Gewünscht wird "Normalität" - Befragung von Menschen mit Behinderung zu den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur im Kanton Zug - SZH/CSPS-Repository

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6                        I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H

Alan Canonica

Gewünscht wird «Normalität»
Befragung von Menschen mit Behinderung zu den Bereichen Wohnen
und Tagesstruktur im Kanton Zug

Zusammenfassung
Der Kanton Zug hat im Jahr 2017 das Projekt «InBeZug» lanciert. Ziel des Projekts ist, das bisherige institutionenbe-
zogene Vorgehen in den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur durch einen personenzentrierten Ansatz zu ersetzen.
Das Finanzierungssystem soll sich zukünftig am individuellen Bedarf von Menschen mit Behinderung ausrichten. Um
diesen Bedarf zu ermitteln, hat der Kanton Zug das Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern beauftragt, ei-
ne Befragung bei Menschen mit Behinderung durchzuführen. In diesem Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse der
Erhebung vorgestellt. In einem nächsten Schritt wird erläutert, wie die Resultate für das Projekt «InBeZug» sowie die
kantonale Angebotsplanung in den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur genutzt werden.

Résumé
Le canton de Zoug a lancé en 2017 le projet « InBeZug ». Ce projet a pour objectif de remplacer, pour les domaines
de l’habitat et des structures d’accueil de jour, le processus qui était jusqu’alors basé sur les institutions par une ap-
proche centrée sur la personne. Le système de financement doit à l’avenir être dicté par les besoins individuels des
personnes en situation de handicap. Pour déterminer ces besoins, le canton de Zoug a mandaté le Département Tra-
vail social de la Haute-école de Lucerne pour réaliser un sondage auprès de personnes concernées. Cet article pré-
sente des résultats ciblés de cette enquête. Dans un second temps, elle décrit comment ces résultats sont exploités
pour le projet «InBeZug» ainsi que pour la planification cantonale d’offres dans les domaines de l’habitat et des struc-
tures d’accueil de jour.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-01-01

                         Die (Mit-)Verantwortung der Kantone für                       zur Verfügung steht, das ihren Bedürfnissen
                         eine adäquate Umsetzung der Postulate der                     in angemessener Weise entspricht» (IFEG,
                         UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)                       Art. 2).
                         ist klar geregelt (Art. 4, Abs. 5). Im Zuge der                    Der Kanton Zug will die Selbstbestim-
                         Neugestaltung des Finanzausgleichs und der                    mung von Menschen mit Behinderung stär-
                         Aufgabenteilung zwischen Bund und Kanto-                      ken. Im Vordergrund steht darum die Perso-
                         nen (NFA) von 2008 wurde die Zuständigkeit                    nenzentrierung: Angebote sollen bestmög-
                         für die Finanzierung von Einrichtungen für                    lich an der Nachfrage der Klientinnen und
                         Menschen mit Behinderung vom Bund an die                      Klienten ausgerichtet werden. Für den Kan-
                         Kantone übertragen. Gemäss Bundesgesetz                       ton Zug ist diese Aufgabe mit Herausforde-
                         über die Institutionen zur Förderung der Ein-                 rungen verbunden, die sich darauf zurück-
                         gliederung von invaliden Personen (IFEG)                      führen lassen, dass das bisherige Unterstüt-
                         von 2006 gewährleistet jeder Kanton, «dass                    zungssystem auf den stationären Bereich
                         invaliden Personen, die Wohnsitz in seinem                    fokussiert. Die UN-BRK bestimmt in Arti-
                         Gebiet haben, ein Angebot an Institutionen                    kel 19, dass Menschen mit Behinderung frei

                                                                                    Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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wählen dürfen, wo und mit wem sie leben                          Autonomes Wohnen und
möchten – und vor allem dürfen sie nicht                         entlohnte Arbeit
dazu verpflichtet werden, in besonderen Le-                      Der Kanton Zug wollte die Nachfrage genau
bensformen zu wohnen. Heute ist es aller-                        kennen: Für die Angebotsplanung 2020 bis
dings eher so, dass sich die Handhabung an                       2022 für erwachsene Menschen mit Behin-
den Organisationen bzw. Einrichtungen                            derung in den Bereichen Wohnen und Ta-
ausrichtet und nicht umgekehrt (Früchtel,                        gesstruktur wurde das Departement Soziale
o. J., S. 12). In diesem Beitrag wird eine Be-                   Arbeit der Hochschule Luzern beauftragt,
fragung von Menschen mit Behinderung im                          eine Befragung bei Zugerinnen und Zugern
Kanton Zug vorgestellt, mit der der Bedarf                       mit Behinderung durchzuführen. Eine sol-
der Nutzerinnen und Nutzer in den Berei-                         che Vorgehensweise hat schweizweit Pio-
chen Wohnen und Tagesgestaltung (Arbeit,                         niercharakter. Die Kantone sind verpflich-
Ausbildung, Freizeit) erfasst wurde. Nebst                       tet, periodische Bedarfsanalysen durchzu-
ausgewählten Ergebnissen wird ausge-                             führen und eine Planung des Angebots zu
führt, wie die erhobenen Daten für die kan-                      erstellen (IFEG, Art. 10). Bisher beschränk-
tonale Angebotsplanung 2020 bis 2022 so-                         ten sich die Bedarfsanalysen auf die Ein-
wie das Projekt «InBeZug», das noch näher                        schätzung von Fachexpertinnen und -ex-
beschrieben wird, genutzt werden.                                perten. Primär entsprach der errechnete Be-

Tabelle 1: Stichprobenstruktur der 251 befragten Personen*

  Merkmal                      Kategorie                                         Anzahl               in Prozent

  Geschlecht                   männlich                                          114                  45
                               weiblich                                          126                  50
                               anderes                                           11                   4

  Alter                        15–20 Jahre                                       43                   17
                               21–35 Jahre                                       49                   20
                               36–50 Jahre                                       56                   22
                               51+ Jahre                                         51                   20
                               keine Angabe                                      52                   21

  Wohnort                      Kanton Zug                                        211                  84
                               anderer Kanton                                    26                   10
                               keine Angabe                                      14                   6

  Behinderungsart              körperliche Behinderung                           56                   22
  (Mehrfachnen-                psychische Behinderung                            88                   35
  nung n > 251)**              kognitive Behinderung                             119                  47
                               Sinnesbehinderung                                 29                   12
                               anderes                                           5                    2
                               keine Behinderung                                 28                   11
                               weiss nicht/keine Angabe                          33                   13

* Rundungsdifferenzen von + / – 1 Prozent bei einem Total von 100 Prozent möglich
** Selbstdeklaration

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
8                           I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H

                            darf einer Prognose über benötigte Plätze,                            Sprache übersetzt. Die Befragung zeigt
                            um Menschen mit Behinderung in instituti-                             deutlich, dass Menschen mit Behinderung
                            onellen Settings unterzubringen. Der Kan-                             zuallererst nach «Normalität» streben: Sie
                            ton Zug bezieht nun erstmals die Perspekti-                           wünschen sich, ein Leben wie Menschen
                            ve der Nutzerinnen und Nutzer ein und er-                             ohne Behinderung zu führen.
                            kundigt sich im Rahmen der Angebotspla-                                    Unabhängig von der Wohnform äus-
                            nung direkt bei den Leistungs­empfäng­er­-                            sern sich die befragten Personen positiv zur
                            innen und -empfängern über ihre Erwartun-                             bestehenden Wohnform. Insgesamt geben
                            gen und Wünsche.                                                      86 Prozent an, dass sie ganz oder ziemlich
                                 Für die Studie wurden im Frühling und                            zufrieden mit der aktuellen Wohnsituation
                            Sommer 2018 251 Jugendliche (ab 15 Jah-                               sind. Dennoch bedeutet dieses Ergebnis
                            ren) und Erwachsene mit Behinderung zu                                nicht, dass die aktuelle Wohnform der zu-
                            ihrer aktuellen Situation und zu den zukünf-                          künftig gewünschten entspricht. Das Woh-
                            tigen Wünschen in den Bereichen Wohnen                                nen in sozialen Einrichtungen und bei Ange-
                            und Tagesgestaltung (inklusive Arbeit) be-                            hörigen wird für die Zukunft deutlich weni-
                            fragt (für die Stichprobe siehe Tab. 1). Es                           ger gewünscht, während autonome Lebens-
                            wurden standardisierte Fragen mit einem                               formen (alleine, mit Partner oder Par­tnerin,
                            Fragebogen je nach kognitiven Fähigkeiten                             mit eigener Familie, auf einem Bauernhof,
                            entweder schriftlich oder mündlich gestellt.                          seltener in einer privaten Wohngemein-
                            Der Fragebogen wurde auch in Leichte                                  schaft) bevorzugt werden (Abb. 1). Autono-

    40

    35         –19.7

    30
                                                                         + 20.2
    25                                          – 8.5        +4.6
    20

    15
                                                                                           + 5.5            –1.2
    10
                                 – 3.9
     5                                                                                                                                       + 3.4
                                                                                                                             – 0.4
     0
               m

                                 e

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                                                                                           ilie

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                                                                                                                            ilie

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                                                                                                            af

                                                                                                                                           ho
                             pp

                                                            in
               ei

                                                                         er
                                           m

                                                                                      am

                                                                                                        ch

                                                                                                                        m
                                                        le

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                                                                                                   em
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                                                                                                                                   em
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                                                                                 ei
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                                                                                             oh
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                                                                                                                             fe
                                                                             m
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                                                                                                                            au
                                                            Le
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                                                        m

         in Zukunft gewünschte Wohnform                                  Zunahme zur aktuellen Wohnsituation
         Abnahme von der aktuellen Wohnsituation

Abbildung 1: Veränderungsbedürfnisse bei der Wohnform (Mehrfachnennung; Prozentangaben
bzgl. Anzahl Nennungen*)
* Nennungen bereinigt nach der Antwortkategorie «anderes» und «keine Antwort»

                                                                                             Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H           9

    40

    35                                               – 7.3

    30                       + 23.8                                              –16.9
    25

    20                                                                                                     + 1.4
                                                                                                                                  –1.0
    15

    10

     5

     0
                             kt

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                                                                                                        ng

                                                                                                                                  g
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                                                                              Lo

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                                                                                                   es

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                                                                                                 sg
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                                                                                                                   Sc
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                                                                                   in

             in Zukunft gewünschte Tagesgestaltung                            Zunahme zur aktuellen Tagesgestaltung
             Abnahme von der aktuellen Tagesgestaltung

Abbildung 2: Veränderungsbedürfnisse bei der Tagesstruktur (Mehrfachnennung; Prozentangaben
bzgl. Anzahl Nennungen*)
* Nennungen bereinigt nach der Antwortkategorie «anderes» und «keine Antwort»

me Wohnformen werden als Wunsch für die                          befragten Personen an, dass sie sehr oder
Zukunft mit einer Häufigkeit von 69 Prozent                      ziemlich zufrieden mit der aktuellen Situa-
genannt. Aktuell beziehen sich hingegen                          tion ist (79 Prozent). Bei diesem Thema
nur 36 Prozent der Angaben auf eine solche                       zeigt sich ebenso der Wunsch nach «Nor-
Lebensform. Besonders deutlich zeigt sich                        malität». Viele der befragten Personen
dieser Sachverhalt bei den sozialen Einrich-                     wünschen sich, eine wertschöpfende Ar-
tungen: Diese werden als zukünftig ge-                           beit zu verrichten, die mit einem Lohn ho-
wünschte Wohnform im Vergleich zur heu-                          noriert wird. Dass die Entlohnung für Men-
tigen Situation um beinahe 20 Prozent we-                        schen mit Behinderung eine hohe Bedeu-
niger häufig genannt. Das Ergebnis spricht                       tung hat, zeigt sich wiederholt in Befragun-
für eine stärkere Angebotsdiversifikation:                       gen und drückt sich in einer im Vergleich zu
Neben stationären sollen vermehrt auch                           anderen Themen tendenziell eher niedrige-
ambulante Dienstleistungen geschaffen                            ren Zufriedenheit aus, weil sie als zu gering
und finanziert werden. Dank diesen können                        eingeschätzt wird (Statistisches Amt Kan-
Menschen mit Behinderung, die in be-                             ton Zürich, 2018, S. 4). Als zukünftig ge-
stimmten Lebensbereichen auf Unterstüt-                          wünschte Arbeitsbereiche werden vor al-
zung angewiesen sind, eine eigene Woh-                           lem der erste Arbeitsmarkt und Tagesstruk-
nung beziehen.                                                   turen mit Lohn genannt (Abb. 2). Während
     Auch im Bereich Arbeit und Tagesge-                         aktuell 5 Prozent angeben, auf dem ersten
staltung gibt eine deutliche Mehrheit der                        Arbeitsmarkt tätig zu sein, wünschen es

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               sich 28 Prozent für die Zukunft. Im Ver-                      Nutzerinnen und Nutzer ausrichtet. Das
               gleich zur gegenwärtigen Situation etwas                      Projekt ist auf drei Jahre angelegt und fin-
               weniger häufig wurde ein geschützter Ar-                      det 2019 seinen Abschluss. Im ersten Jahr
               beitsplatz mit Lohn genannt (34 vs. 27                        wurde eine Analyse und Evaluation der na-
               Prozent). Deutlich weniger häufig wurde                       tional und international bestehenden Fi-
               der Bereich Tagesstruktur ohne Lohn ge-                       nanzierungssysteme und der Situation im
               wünscht (29 vs. 12 Prozent). Dies verdeut-                    Kanton Zug durchgeführt. Im zweiten Jahr
               licht, dass viele Personen, die gegenwärtig                   wurden mögliche Lösungen für den Kanton
               einer Beschäftigung in einer Tagesstruktur                    erarbeitet und geprüft. Im dritten Jahr wird
               nachgehen, gerne einen Arbeitsplatz hät-                      das Projekt mit einer ausgearbeiteten Ge-
               ten, bei dem sie für ihre dargebotene Leis-                   setzesvorlage beendet. Entsprechend ar-
               tung eine Entschädigung erhalten.                             beitet das Kantonale Sozialamt aktuell die
                                                                             Vorlage für eine Revision des Gesetzes über
                                                                             soziale Einrichtungen (SEG) des Kantons
Eines der zentralen Anliegen des Projekts                                    Zug aus. Mit dem neuen Gesetz soll unter
«InBeZug» lautet, Menschen mit                                               anderem die Finanzierung von ambulanten
Behinderung Wahlfreiheit beim Wohnen                                         Wohnangeboten festgelegt werden. Eines
zu ermöglichen.                                                              der zentralen Anliegen des Projekts «InBe-
                                                                             Zug» lautet, Menschen mit Behinderung
                                                                             Wahlfreiheit beim Wohnen zu ermöglichen.
               Das Projekt «InBeZug»: ambulant                               Sie sollen selbstständig entscheiden dür-
               vor stationär                                                 fen, ob sie in eine eigene Wohnung oder in
               Der Kanton Zug nimmt die Anliegen der                         eine soziale Einrichtung einziehen möch-
               Nutzerinnen und Nutzer ernst und reagiert                     ten. Für die Bedarfsermittlung plant der
               auf die geäusserten Wünsche und Erwar-                        Kanton die Einführung der personenzent-
               tungen. Im Auftrag der Regierung wurde                        rierten individuellen Hilfeplanung2 (Rohr-
               2017 das Projekt «InBeZug»1 lanciert (Kan-                    mann & Schädler, 2006).
               tonales Sozialamt Zug, 2017), das vom                              Inklusion hat bereits in der Projektpha-
               Kantonalen Sozialamt durchgeführt wird.                       se hohe Bedeutung: Menschen mit Behin-
               «InBeZug» steht für «Individuelle und be-                     derung, soziale Einrichtungen und Organi-
               darfsabhängige Unterstützung für Zugerin-                     sationen aus dem Behindertenbereich wer-
               nen und Zuger mit Behinderung». Anstelle                      den in die Arbeit einbezogen. Dank der Be-
               des bisherigen institutionenbezogenen                         fragung von Menschen mit Behinderung
               Vorgehens soll ein personenzentrierter An-                    konnte zudem empirisch belegt werden,
               satz eingeführt werden. Nach dem Grund-                       dass das Vorgehen des Kantons einer beste-
               satz «ambulant vor stationär» soll das ge-                    henden Nachfrage entspricht. Die Ergebnis-
               genwärtige kantonale Modell mit pauscha-
               len Einrichtungsfinanzierungen durch ein                      2
                                                                                 Die Methode rückt die Ziele und Wünsche der Kli-
               Finanzierungssystem ersetzt werden, das                           entinnen und Klienten in den Mittelpunkt und fo-
               sich am individuellen Angebotsbedarf der                          kussiert auf die Stärken, Fähigkeiten und persön-
                                                                                 lichen Ressourcen. Mittels individuellem Hilfeplan
                                                                                 (IHP) wird der individuelle Unterstützungsbedarf
                                                                                 des Menschen mit Behinderung erfasst, um die
               1   www.zg.ch/inbezug.                                            formulierten Ziele zu verwirklichen.

                                                                          Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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se der Studie haben aber auch bereits direk-                     Herkunftsfamilie zwischen aktueller Situati-
te Wirkung erzielt: Auf Basis der im gelten-                     on und zukünftigem Wunsch illustrieren,
den Gesetz über soziale Einrichtungen im                         dass die gegenwärtig hohe Zufriedenheit
Grundsatz vorhandenen Finanzierungs-                             nicht zwingend bedeuten muss, dass Men-
möglichkeit für ambulante Lösungen hat                           schen mit Behinderung keine Veränderung
der Regierungsrat für die Angebotsplanung                        wünschen. Das heisst, dass Fragen mit Blick
der Periode 2020 bis 2022 einem Ausbau                           auf die Zukunft gestellt werden müssen, bei
der ambulanten Angebote zugestimmt. Die                          denen diese als ein offenes Feld von poten-
Hälfte der 30 in der kommenden Planungs-                         ziellen Möglichkeiten skizziert wird. Wenn
periode neu zu schaffenden Plätze wird als                       nicht konkret nach Alternativen gefragt
unterstütztes Wohnen in den eigenen vier                         wird, dann erhält man den (in manchen Fäl-
Wänden finanziert (Faessler, 2019). Diese                        len irrtümlichen) Eindruck, dass Personen,
erfreuliche Entwicklung soll mit der vorge-                      die seit Jahren in einer bestimmten Wohn-
sehenen Revision des Gesetzes über soziale                       form leben, bleiben wollen, wo sie sind.
Einrichtungen in Zukunft weiter gefestigt
werden.
                                                                 Wird nicht konkret nach Alternativen
Menschen mit Behinderung                                         gefragt, entsteht der Eindruck,
zur eigenen Zukunftsplanung                                      dass Personen in der Wohnform bleiben
befähigen                                                        wollen, in der sie sind.
Ausschlaggebend für die Befragung war die
Zukunftsgerichtetheit der Fragen. Das Er-
kenntnisinteresse bei den üblichen Zufrie-                       Besonders Menschen mit kognitiven Beein-
denheitsbefragungen in sozialen Einrich-                         trächtigungen wird häufig nicht zugetraut,
tungen fokussiert primär die Entwicklung                         dass sie sich zu ihrer Zukunft und ihren dies-
und Optimierung der institutionellen Be-                         bezüglichen Wünschen zu äussern vermö-
treuungsangebote. In der Regel erzielen                          gen. Menschen mit Behinderung sollten da-
Fragen nach der Zufriedenheit in solchen Er-                     zu befähigt werden, ihre Lebenssituation zu
hebungen hohe Werte. Dieses Ergebnis                             reflektieren und – mit der notwendigen Un-
zeigt sich auch in der hier vorgestellten Stu-                   terstützung – eigene Pläne für die Zukunft
die: Es besteht bei allen Wohnformen eine                        zu schmieden. Erst dank dieser Befähigung
hohe Zufriedenheit. Es lässt sich zudem im                       kann in Erfahrung gebracht werden, welche
Allgemeinen feststellen, dass die Zufrieden-                     Lebensgestaltung ihren eigenen Vorstellun-
heitswerte zunehmen, je länger jemand in                         gen am besten entspricht. Fachpersonen
einer bestimmten Wohnform lebt. Die Dau-                         sollten die Fähigkeit von Menschen mit Be-
er des Aufenthalts spielt vor allem bei den                      hinderung, das eigene Leben zu reflektieren
sozialen Einrichtungen eine wichtige Rolle:                      und zu planen, mit personenzentrierten An-
Personen, die null bis zwei Jahre in einer                       sätzen (Becker, 2014) systematisch fördern.
Einrichtung zuhause sind, sind signifikant                       Viele der befragten Personen haben bereits
weniger zufrieden als Personen, die länger                       bemerkenswert konkrete und auf realisti-
als zwei Jahre in einer solchen Wohnform                         schen (Selbst-)Einschätzungen basierende
leben. Die zuvor besprochenen Abweichun-                         Vorstellungen zu ihren Lebenszielen. Wie
gen bei den Wohnformen Wohnheim und                              sich aus den mündlichen Reaktionen man-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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               cher Personen schliessen lässt, wurden sie                    Literatur
               schlicht noch nie danach gefragt. So hatten                   Becker, H. (2014). Sozialraumorientierung –
               mehrere Befragte Hemmungen zu sagen,                              personenzentriert: Inklusion auch für Men-
               was sie sich wirklich wünschten – etwa,                           schen mit schwersten Behinderungen. Ge-
               weil sie zu wissen glaubten oder vermute-                         sprächspsychotherapie und Personenzent-
               ten, dass ihre Angehörigen die geäusserten                        rierte Beratung, 4, 208–215.
               Wünsche nicht gutheissen würden.                              Bundesgesetz über die Institutionen zur För-
                                                                                 derung der Eingliederung von invaliden
                                                                                 Personen (IFEG) vom 6. Oktober 2006
Der Kanton Zug möchte die Angebote                                               (Stand am 1. Januar 2017), SR 831.26.
systematisch an der Nachfrage                                                Faessler, A. (2019, 29. März). Vorbildliche Pi-

der Nutzerinnen und Nutzer ausrichten.                                           onierarbeit. Zuger Zeitung, 27.
                                                                             Früchtel, F. (o. J.). Theorie und Methodik der
                                                                                 Sozialraumorientierung. Potsdam. insos.
               Periodische Erhebung des Bedarfs                                  ch/assets/Downloads/Artikel-Fruechtel-IN-
               Die durchgeführte Befragung war ein erster                        SOS-Kongress.pdf [Zugriff am 09.10.2019].
               Schritt, der noch von vielen Fragezeichen be-                 Gesetz über die sozialen Einrichtungen im
               gleitet wurde. Es sind bei der Durchführung                       Kanton Zug (SEG) vom 26. August 2010
               der Befragung verschiedene Schwierigkeiten                        (Stand 1. Januar 2011), BGS 861.5.
               und Hindernisse aufgetreten, die auch im                      Kantonales Sozialamt Zug (2017). Projekt In-
               Fachdiskurs regelmässig thematisiert wer-                         BeZug (Projektbeschrieb). Zug. zg.ch/be-
               den. Dies betrifft unter anderem die barrie-                      hoerden/direktion-des-innern/kantona-
               refreie Befragung von Menschen mit schwe-                         les-sozialamt /abteilung-soziale -
               reren Beeinträchtigungen (Schröttle & Horn-                       einrichtungen/8-projekt-inbezug [Zugriff
               berg, 2014, S. 81f.) sowie die Validität der                      am 09.10.2019].
               gegebenen Antworten aufgrund von kom-                         Moisl, D. (2017). Methoden zur Befragung
               munikativen Schwierigkeiten (Moisl, 2017,                         von Menschen mit geistiger Behinderung.
               S. 322). Der Kanton Zug möchte das Verfah-                        Public Health Forum, 25 (4), 321–323.
               ren aber weiter anwenden und aufgrund der                     Rohrmann, A. & Schädler, J. (2006). Individu-
               gewonnenen Erfahrungen kontinuierlich op-                         elle Hilfeplanung und Unterstützungsma-
               timieren, um den Bedarf von Menschen mit                          nagement. In G. Theunissen & K. Schirbort
               Behinderung periodisch erheben zu können                          (Hrsg.), Inklusion von Menschen mit geis-
               und die Angebote systematisch an der Nach-                        tiger Behinderung. Zeitgemässe Wohnfor-
               frage der Nutzerinnen und Nutzer auszurich-                       men – Soziale Netze – Unterstützungsan-
               ten. So will der Kanton einen Beitrag zur                         gebote (S. 230–247). Stuttgart: Kohlham-
               Selbstbestimmung von Menschen mit Behin-                          mer.
               derung und zu einer inklusiven Gesellschaft                   Schröttle, M. & Hornberg, C. (2014). Vorstudie
               leisten.                                                          für eine Repräsentativbefragung zur Teilha-
                                                                                 be von Menschen mit Behinderung(en).
                                                                                 Nürnberg. bmas.de/SharedDocs/Down-
                                                                                 loads/DE/PDF-Publikationen/forschungs-
                                                                                 bericht-vorstudie-repraesentativbefra-
                                                                                 gung-zur-teilhabe-von-menschen-mit-be-

                                                                          Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H                     13

    hinderung.pdf?_ _blob=publicationFile
    [Zugriff am 09.10.2019].
                                                                                                Impressum
Statistisches Amt Kanton Zürich (2018). Zu-
                                                                                                Schweizerische Zeitschrift für
    friedenheitsbefragung der betreuten Per-                                                    Heilpädagogik, 26. Jahrgang, 1/ 2020
                                                                                                ISSN 1420-1607
    sonen 2018. Benchmarking der Institutio-
    nen für Menschen mit Behinderung. Zü-                                                       Herausgeber
                                                                                                Stiftung Schweizer Zentrum
    rich: Statistisches Amt Kanton Zürich.                                                      für Heil- und Sonderpädagogik (SZH)
Übereinkommen über die Rechte von Men-                                                          Haus der Kantone
                                                                                                Speichergasse 6, Postfach, CH-3001 Bern
    schen mit Behinderungen (UN-Behinder-                                                       Tel. +41 31 320 16 60, Fax +41 31 320 16 61
    tenrechtskonvention,            UN-BRK),        vom                                         szh@szh.ch, www.szh.ch

    13. Dezember 2006, durch die Schweiz ra-                                                    Redaktion und Herstellung
    tifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit                                                  Kontakt: redaktion@szh.ch
                                                                                                Verantwortlich: Romain Lanners
    dem 15. Mai 2014, SR 0.109.                                                                 Redaktion: Silvia Brunner Amoser,
                                                                                                Silvia Schnyder, Daniel Stalder
                                                                                                Rundschau und Dokumentation: Thomas Wetter
                                                                                                Inserate: Remo Lizzi
                                                                                                Layout: Anne-Sophie Fraser

                                                                                                Erscheinungsweise
                                                                                                9 Ausgaben pro Jahr, jeweils in der Monatsmitte

                                                                                                Inserate
                                                                                                inserate@szh.ch
                                                                                                Annahmeschluss: 10. des Vormonats;
                                                                                                Preise: ab CHF 220.– exkl. MwSt.;
                                                                                                Mediadaten unter www.szh.ch ➝ Zeitschrift

                                                                                                Auflage
                                                                                                2247 Exemplare (WEMF / SW-beglaubigt)

                                                                                                Druck
Dr. des. Alan Canonica                                                                          Ediprim AG, Biel
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
                                                                                                Jahresabonnement
Hochschule Luzern – Soziale Arbeit                                                              Digital-Abo CHF 69.90
                                                                                                Print-Abo   CHF 79.90
Institut Sozialmanagement, Sozialpolitik
                                                                                                Kombi-Abo CHF 89.90
und Prävention
                                                                                                Einzelausgabe
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6002 Luzern                                                                                     Digital CHF 7.90 (inkl. MwSt.)

alan.canonica@hslu.ch                                                                           Abdruck
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                                                                                                jedoch nur mit ausdrücklicher Genehmigung
                                                                                                der Redaktion.

                                                                                                Hinweise
                                                                                                Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge von
                                                                                                Autorinnen und Autoren muss nicht mit
                                                                                                der Auffassung der Redaktion übereinstimmen.

                                                                                                Weitere Informationen erhalten Sie auf
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Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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