Gewünscht wird "Normalität" - Befragung von Menschen mit Behinderung zu den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur im Kanton Zug - SZH/CSPS-Repository
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6 I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H Alan Canonica Gewünscht wird «Normalität» Befragung von Menschen mit Behinderung zu den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur im Kanton Zug Zusammenfassung Der Kanton Zug hat im Jahr 2017 das Projekt «InBeZug» lanciert. Ziel des Projekts ist, das bisherige institutionenbe- zogene Vorgehen in den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur durch einen personenzentrierten Ansatz zu ersetzen. Das Finanzierungssystem soll sich zukünftig am individuellen Bedarf von Menschen mit Behinderung ausrichten. Um diesen Bedarf zu ermitteln, hat der Kanton Zug das Departement Soziale Arbeit der Hochschule Luzern beauftragt, ei- ne Befragung bei Menschen mit Behinderung durchzuführen. In diesem Beitrag werden ausgewählte Ergebnisse der Erhebung vorgestellt. In einem nächsten Schritt wird erläutert, wie die Resultate für das Projekt «InBeZug» sowie die kantonale Angebotsplanung in den Bereichen Wohnen und Tagesstruktur genutzt werden. Résumé Le canton de Zoug a lancé en 2017 le projet « InBeZug ». Ce projet a pour objectif de remplacer, pour les domaines de l’habitat et des structures d’accueil de jour, le processus qui était jusqu’alors basé sur les institutions par une ap- proche centrée sur la personne. Le système de financement doit à l’avenir être dicté par les besoins individuels des personnes en situation de handicap. Pour déterminer ces besoins, le canton de Zoug a mandaté le Département Tra- vail social de la Haute-école de Lucerne pour réaliser un sondage auprès de personnes concernées. Cet article pré- sente des résultats ciblés de cette enquête. Dans un second temps, elle décrit comment ces résultats sont exploités pour le projet «InBeZug» ainsi que pour la planification cantonale d’offres dans les domaines de l’habitat et des struc- tures d’accueil de jour. Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-01-01 Die (Mit-)Verantwortung der Kantone für zur Verfügung steht, das ihren Bedürfnissen eine adäquate Umsetzung der Postulate der in angemessener Weise entspricht» (IFEG, UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) Art. 2). ist klar geregelt (Art. 4, Abs. 5). Im Zuge der Der Kanton Zug will die Selbstbestim- Neugestaltung des Finanzausgleichs und der mung von Menschen mit Behinderung stär- Aufgabenteilung zwischen Bund und Kanto- ken. Im Vordergrund steht darum die Perso- nen (NFA) von 2008 wurde die Zuständigkeit nenzentrierung: Angebote sollen bestmög- für die Finanzierung von Einrichtungen für lich an der Nachfrage der Klientinnen und Menschen mit Behinderung vom Bund an die Klienten ausgerichtet werden. Für den Kan- Kantone übertragen. Gemäss Bundesgesetz ton Zug ist diese Aufgabe mit Herausforde- über die Institutionen zur Förderung der Ein- rungen verbunden, die sich darauf zurück- gliederung von invaliden Personen (IFEG) führen lassen, dass das bisherige Unterstüt- von 2006 gewährleistet jeder Kanton, «dass zungssystem auf den stationären Bereich invaliden Personen, die Wohnsitz in seinem fokussiert. Die UN-BRK bestimmt in Arti- Gebiet haben, ein Angebot an Institutionen kel 19, dass Menschen mit Behinderung frei Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H 7 wählen dürfen, wo und mit wem sie leben Autonomes Wohnen und möchten – und vor allem dürfen sie nicht entlohnte Arbeit dazu verpflichtet werden, in besonderen Le- Der Kanton Zug wollte die Nachfrage genau bensformen zu wohnen. Heute ist es aller- kennen: Für die Angebotsplanung 2020 bis dings eher so, dass sich die Handhabung an 2022 für erwachsene Menschen mit Behin- den Organisationen bzw. Einrichtungen derung in den Bereichen Wohnen und Ta- ausrichtet und nicht umgekehrt (Früchtel, gesstruktur wurde das Departement Soziale o. J., S. 12). In diesem Beitrag wird eine Be- Arbeit der Hochschule Luzern beauftragt, fragung von Menschen mit Behinderung im eine Befragung bei Zugerinnen und Zugern Kanton Zug vorgestellt, mit der der Bedarf mit Behinderung durchzuführen. Eine sol- der Nutzerinnen und Nutzer in den Berei- che Vorgehensweise hat schweizweit Pio- chen Wohnen und Tagesgestaltung (Arbeit, niercharakter. Die Kantone sind verpflich- Ausbildung, Freizeit) erfasst wurde. Nebst tet, periodische Bedarfsanalysen durchzu- ausgewählten Ergebnissen wird ausge- führen und eine Planung des Angebots zu führt, wie die erhobenen Daten für die kan- erstellen (IFEG, Art. 10). Bisher beschränk- tonale Angebotsplanung 2020 bis 2022 so- ten sich die Bedarfsanalysen auf die Ein- wie das Projekt «InBeZug», das noch näher schätzung von Fachexpertinnen und -ex- beschrieben wird, genutzt werden. perten. Primär entsprach der errechnete Be- Tabelle 1: Stichprobenstruktur der 251 befragten Personen* Merkmal Kategorie Anzahl in Prozent Geschlecht männlich 114 45 weiblich 126 50 anderes 11 4 Alter 15–20 Jahre 43 17 21–35 Jahre 49 20 36–50 Jahre 56 22 51+ Jahre 51 20 keine Angabe 52 21 Wohnort Kanton Zug 211 84 anderer Kanton 26 10 keine Angabe 14 6 Behinderungsart körperliche Behinderung 56 22 (Mehrfachnen- psychische Behinderung 88 35 nung n > 251)** kognitive Behinderung 119 47 Sinnesbehinderung 29 12 anderes 5 2 keine Behinderung 28 11 weiss nicht/keine Angabe 33 13 * Rundungsdifferenzen von + / – 1 Prozent bei einem Total von 100 Prozent möglich ** Selbstdeklaration Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
8 I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H darf einer Prognose über benötigte Plätze, Sprache übersetzt. Die Befragung zeigt um Menschen mit Behinderung in instituti- deutlich, dass Menschen mit Behinderung onellen Settings unterzubringen. Der Kan- zuallererst nach «Normalität» streben: Sie ton Zug bezieht nun erstmals die Perspekti- wünschen sich, ein Leben wie Menschen ve der Nutzerinnen und Nutzer ein und er- ohne Behinderung zu führen. kundigt sich im Rahmen der Angebotspla- Unabhängig von der Wohnform äus- nung direkt bei den Leistungsempfänger- sern sich die befragten Personen positiv zur innen und -empfängern über ihre Erwartun- bestehenden Wohnform. Insgesamt geben gen und Wünsche. 86 Prozent an, dass sie ganz oder ziemlich Für die Studie wurden im Frühling und zufrieden mit der aktuellen Wohnsituation Sommer 2018 251 Jugendliche (ab 15 Jah- sind. Dennoch bedeutet dieses Ergebnis ren) und Erwachsene mit Behinderung zu nicht, dass die aktuelle Wohnform der zu- ihrer aktuellen Situation und zu den zukünf- künftig gewünschten entspricht. Das Woh- tigen Wünschen in den Bereichen Wohnen nen in sozialen Einrichtungen und bei Ange- und Tagesgestaltung (inklusive Arbeit) be- hörigen wird für die Zukunft deutlich weni- fragt (für die Stichprobe siehe Tab. 1). Es ger gewünscht, während autonome Lebens- wurden standardisierte Fragen mit einem formen (alleine, mit Partner oder Partnerin, Fragebogen je nach kognitiven Fähigkeiten mit eigener Familie, auf einem Bauernhof, entweder schriftlich oder mündlich gestellt. seltener in einer privaten Wohngemein- Der Fragebogen wurde auch in Leichte schaft) bevorzugt werden (Abb. 1). Autono- 40 35 –19.7 30 + 20.2 25 – 8.5 +4.6 20 15 + 5.5 –1.2 10 – 3.9 5 + 3.4 – 0.4 0 m e ilie e /in ilie t ilie f af ho pp in ei er m am ch m le rn nh ru rtn fa al fa ns ue ng rF oh fts ge pa ei Ba ne oh W em un le he ge Pf w em rk ng -/E t-/ en ei He in oh ns as ss it fe m be G Au W au Le it m in Zukunft gewünschte Wohnform Zunahme zur aktuellen Wohnsituation Abnahme von der aktuellen Wohnsituation Abbildung 1: Veränderungsbedürfnisse bei der Wohnform (Mehrfachnennung; Prozentangaben bzgl. Anzahl Nennungen*) * Nennungen bereinigt nach der Antwortkategorie «anderes» und «keine Antwort» Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H 9 40 35 – 7.3 30 + 23.8 –16.9 25 20 + 1.4 –1.0 15 10 5 0 kt hn hn ng g un ar Lo Lo ltu m ld ta it ne bi its m es us be oh sg ur /A Ar ur ge kt le kt er tru Ta hu tru st ss lle er Sc ge ss ue ge Ta vid Ta di in in Zukunft gewünschte Tagesgestaltung Zunahme zur aktuellen Tagesgestaltung Abnahme von der aktuellen Tagesgestaltung Abbildung 2: Veränderungsbedürfnisse bei der Tagesstruktur (Mehrfachnennung; Prozentangaben bzgl. Anzahl Nennungen*) * Nennungen bereinigt nach der Antwortkategorie «anderes» und «keine Antwort» me Wohnformen werden als Wunsch für die befragten Personen an, dass sie sehr oder Zukunft mit einer Häufigkeit von 69 Prozent ziemlich zufrieden mit der aktuellen Situa- genannt. Aktuell beziehen sich hingegen tion ist (79 Prozent). Bei diesem Thema nur 36 Prozent der Angaben auf eine solche zeigt sich ebenso der Wunsch nach «Nor- Lebensform. Besonders deutlich zeigt sich malität». Viele der befragten Personen dieser Sachverhalt bei den sozialen Einrich- wünschen sich, eine wertschöpfende Ar- tungen: Diese werden als zukünftig ge- beit zu verrichten, die mit einem Lohn ho- wünschte Wohnform im Vergleich zur heu- noriert wird. Dass die Entlohnung für Men- tigen Situation um beinahe 20 Prozent we- schen mit Behinderung eine hohe Bedeu- niger häufig genannt. Das Ergebnis spricht tung hat, zeigt sich wiederholt in Befragun- für eine stärkere Angebotsdiversifikation: gen und drückt sich in einer im Vergleich zu Neben stationären sollen vermehrt auch anderen Themen tendenziell eher niedrige- ambulante Dienstleistungen geschaffen ren Zufriedenheit aus, weil sie als zu gering und finanziert werden. Dank diesen können eingeschätzt wird (Statistisches Amt Kan- Menschen mit Behinderung, die in be- ton Zürich, 2018, S. 4). Als zukünftig ge- stimmten Lebensbereichen auf Unterstüt- wünschte Arbeitsbereiche werden vor al- zung angewiesen sind, eine eigene Woh- lem der erste Arbeitsmarkt und Tagesstruk- nung beziehen. turen mit Lohn genannt (Abb. 2). Während Auch im Bereich Arbeit und Tagesge- aktuell 5 Prozent angeben, auf dem ersten staltung gibt eine deutliche Mehrheit der Arbeitsmarkt tätig zu sein, wünschen es Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
10 I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H sich 28 Prozent für die Zukunft. Im Ver- Nutzerinnen und Nutzer ausrichtet. Das gleich zur gegenwärtigen Situation etwas Projekt ist auf drei Jahre angelegt und fin- weniger häufig wurde ein geschützter Ar- det 2019 seinen Abschluss. Im ersten Jahr beitsplatz mit Lohn genannt (34 vs. 27 wurde eine Analyse und Evaluation der na- Prozent). Deutlich weniger häufig wurde tional und international bestehenden Fi- der Bereich Tagesstruktur ohne Lohn ge- nanzierungssysteme und der Situation im wünscht (29 vs. 12 Prozent). Dies verdeut- Kanton Zug durchgeführt. Im zweiten Jahr licht, dass viele Personen, die gegenwärtig wurden mögliche Lösungen für den Kanton einer Beschäftigung in einer Tagesstruktur erarbeitet und geprüft. Im dritten Jahr wird nachgehen, gerne einen Arbeitsplatz hät- das Projekt mit einer ausgearbeiteten Ge- ten, bei dem sie für ihre dargebotene Leis- setzesvorlage beendet. Entsprechend ar- tung eine Entschädigung erhalten. beitet das Kantonale Sozialamt aktuell die Vorlage für eine Revision des Gesetzes über soziale Einrichtungen (SEG) des Kantons Eines der zentralen Anliegen des Projekts Zug aus. Mit dem neuen Gesetz soll unter «InBeZug» lautet, Menschen mit anderem die Finanzierung von ambulanten Behinderung Wahlfreiheit beim Wohnen Wohnangeboten festgelegt werden. Eines zu ermöglichen. der zentralen Anliegen des Projekts «InBe- Zug» lautet, Menschen mit Behinderung Wahlfreiheit beim Wohnen zu ermöglichen. Das Projekt «InBeZug»: ambulant Sie sollen selbstständig entscheiden dür- vor stationär fen, ob sie in eine eigene Wohnung oder in Der Kanton Zug nimmt die Anliegen der eine soziale Einrichtung einziehen möch- Nutzerinnen und Nutzer ernst und reagiert ten. Für die Bedarfsermittlung plant der auf die geäusserten Wünsche und Erwar- Kanton die Einführung der personenzent- tungen. Im Auftrag der Regierung wurde rierten individuellen Hilfeplanung2 (Rohr- 2017 das Projekt «InBeZug»1 lanciert (Kan- mann & Schädler, 2006). tonales Sozialamt Zug, 2017), das vom Inklusion hat bereits in der Projektpha- Kantonalen Sozialamt durchgeführt wird. se hohe Bedeutung: Menschen mit Behin- «InBeZug» steht für «Individuelle und be- derung, soziale Einrichtungen und Organi- darfsabhängige Unterstützung für Zugerin- sationen aus dem Behindertenbereich wer- nen und Zuger mit Behinderung». Anstelle den in die Arbeit einbezogen. Dank der Be- des bisherigen institutionenbezogenen fragung von Menschen mit Behinderung Vorgehens soll ein personenzentrierter An- konnte zudem empirisch belegt werden, satz eingeführt werden. Nach dem Grund- dass das Vorgehen des Kantons einer beste- satz «ambulant vor stationär» soll das ge- henden Nachfrage entspricht. Die Ergebnis- genwärtige kantonale Modell mit pauscha- len Einrichtungsfinanzierungen durch ein 2 Die Methode rückt die Ziele und Wünsche der Kli- Finanzierungssystem ersetzt werden, das entinnen und Klienten in den Mittelpunkt und fo- sich am individuellen Angebotsbedarf der kussiert auf die Stärken, Fähigkeiten und persön- lichen Ressourcen. Mittels individuellem Hilfeplan (IHP) wird der individuelle Unterstützungsbedarf des Menschen mit Behinderung erfasst, um die 1 www.zg.ch/inbezug. formulierten Ziele zu verwirklichen. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H 11 se der Studie haben aber auch bereits direk- Herkunftsfamilie zwischen aktueller Situati- te Wirkung erzielt: Auf Basis der im gelten- on und zukünftigem Wunsch illustrieren, den Gesetz über soziale Einrichtungen im dass die gegenwärtig hohe Zufriedenheit Grundsatz vorhandenen Finanzierungs- nicht zwingend bedeuten muss, dass Men- möglichkeit für ambulante Lösungen hat schen mit Behinderung keine Veränderung der Regierungsrat für die Angebotsplanung wünschen. Das heisst, dass Fragen mit Blick der Periode 2020 bis 2022 einem Ausbau auf die Zukunft gestellt werden müssen, bei der ambulanten Angebote zugestimmt. Die denen diese als ein offenes Feld von poten- Hälfte der 30 in der kommenden Planungs- ziellen Möglichkeiten skizziert wird. Wenn periode neu zu schaffenden Plätze wird als nicht konkret nach Alternativen gefragt unterstütztes Wohnen in den eigenen vier wird, dann erhält man den (in manchen Fäl- Wänden finanziert (Faessler, 2019). Diese len irrtümlichen) Eindruck, dass Personen, erfreuliche Entwicklung soll mit der vorge- die seit Jahren in einer bestimmten Wohn- sehenen Revision des Gesetzes über soziale form leben, bleiben wollen, wo sie sind. Einrichtungen in Zukunft weiter gefestigt werden. Wird nicht konkret nach Alternativen Menschen mit Behinderung gefragt, entsteht der Eindruck, zur eigenen Zukunftsplanung dass Personen in der Wohnform bleiben befähigen wollen, in der sie sind. Ausschlaggebend für die Befragung war die Zukunftsgerichtetheit der Fragen. Das Er- kenntnisinteresse bei den üblichen Zufrie- Besonders Menschen mit kognitiven Beein- denheitsbefragungen in sozialen Einrich- trächtigungen wird häufig nicht zugetraut, tungen fokussiert primär die Entwicklung dass sie sich zu ihrer Zukunft und ihren dies- und Optimierung der institutionellen Be- bezüglichen Wünschen zu äussern vermö- treuungsangebote. In der Regel erzielen gen. Menschen mit Behinderung sollten da- Fragen nach der Zufriedenheit in solchen Er- zu befähigt werden, ihre Lebenssituation zu hebungen hohe Werte. Dieses Ergebnis reflektieren und – mit der notwendigen Un- zeigt sich auch in der hier vorgestellten Stu- terstützung – eigene Pläne für die Zukunft die: Es besteht bei allen Wohnformen eine zu schmieden. Erst dank dieser Befähigung hohe Zufriedenheit. Es lässt sich zudem im kann in Erfahrung gebracht werden, welche Allgemeinen feststellen, dass die Zufrieden- Lebensgestaltung ihren eigenen Vorstellun- heitswerte zunehmen, je länger jemand in gen am besten entspricht. Fachpersonen einer bestimmten Wohnform lebt. Die Dau- sollten die Fähigkeit von Menschen mit Be- er des Aufenthalts spielt vor allem bei den hinderung, das eigene Leben zu reflektieren sozialen Einrichtungen eine wichtige Rolle: und zu planen, mit personenzentrierten An- Personen, die null bis zwei Jahre in einer sätzen (Becker, 2014) systematisch fördern. Einrichtung zuhause sind, sind signifikant Viele der befragten Personen haben bereits weniger zufrieden als Personen, die länger bemerkenswert konkrete und auf realisti- als zwei Jahre in einer solchen Wohnform schen (Selbst-)Einschätzungen basierende leben. Die zuvor besprochenen Abweichun- Vorstellungen zu ihren Lebenszielen. Wie gen bei den Wohnformen Wohnheim und sich aus den mündlichen Reaktionen man- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
12 I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H cher Personen schliessen lässt, wurden sie Literatur schlicht noch nie danach gefragt. So hatten Becker, H. (2014). Sozialraumorientierung – mehrere Befragte Hemmungen zu sagen, personenzentriert: Inklusion auch für Men- was sie sich wirklich wünschten – etwa, schen mit schwersten Behinderungen. Ge- weil sie zu wissen glaubten oder vermute- sprächspsychotherapie und Personenzent- ten, dass ihre Angehörigen die geäusserten rierte Beratung, 4, 208–215. Wünsche nicht gutheissen würden. Bundesgesetz über die Institutionen zur För- derung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG) vom 6. Oktober 2006 Der Kanton Zug möchte die Angebote (Stand am 1. Januar 2017), SR 831.26. systematisch an der Nachfrage Faessler, A. (2019, 29. März). Vorbildliche Pi- der Nutzerinnen und Nutzer ausrichten. onierarbeit. Zuger Zeitung, 27. Früchtel, F. (o. J.). Theorie und Methodik der Sozialraumorientierung. Potsdam. insos. Periodische Erhebung des Bedarfs ch/assets/Downloads/Artikel-Fruechtel-IN- Die durchgeführte Befragung war ein erster SOS-Kongress.pdf [Zugriff am 09.10.2019]. Schritt, der noch von vielen Fragezeichen be- Gesetz über die sozialen Einrichtungen im gleitet wurde. Es sind bei der Durchführung Kanton Zug (SEG) vom 26. August 2010 der Befragung verschiedene Schwierigkeiten (Stand 1. Januar 2011), BGS 861.5. und Hindernisse aufgetreten, die auch im Kantonales Sozialamt Zug (2017). Projekt In- Fachdiskurs regelmässig thematisiert wer- BeZug (Projektbeschrieb). Zug. zg.ch/be- den. Dies betrifft unter anderem die barrie- hoerden/direktion-des-innern/kantona- refreie Befragung von Menschen mit schwe- les-sozialamt /abteilung-soziale - reren Beeinträchtigungen (Schröttle & Horn- einrichtungen/8-projekt-inbezug [Zugriff berg, 2014, S. 81f.) sowie die Validität der am 09.10.2019]. gegebenen Antworten aufgrund von kom- Moisl, D. (2017). Methoden zur Befragung munikativen Schwierigkeiten (Moisl, 2017, von Menschen mit geistiger Behinderung. S. 322). Der Kanton Zug möchte das Verfah- Public Health Forum, 25 (4), 321–323. ren aber weiter anwenden und aufgrund der Rohrmann, A. & Schädler, J. (2006). Individu- gewonnenen Erfahrungen kontinuierlich op- elle Hilfeplanung und Unterstützungsma- timieren, um den Bedarf von Menschen mit nagement. In G. Theunissen & K. Schirbort Behinderung periodisch erheben zu können (Hrsg.), Inklusion von Menschen mit geis- und die Angebote systematisch an der Nach- tiger Behinderung. Zeitgemässe Wohnfor- frage der Nutzerinnen und Nutzer auszurich- men – Soziale Netze – Unterstützungsan- ten. So will der Kanton einen Beitrag zur gebote (S. 230–247). Stuttgart: Kohlham- Selbstbestimmung von Menschen mit Behin- mer. derung und zu einer inklusiven Gesellschaft Schröttle, M. & Hornberg, C. (2014). Vorstudie leisten. für eine Repräsentativbefragung zur Teilha- be von Menschen mit Behinderung(en). Nürnberg. bmas.de/SharedDocs/Down- loads/DE/PDF-Publikationen/forschungs- bericht-vorstudie-repraesentativbefra- gung-zur-teilhabe-von-menschen-mit-be- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
I N K L U S I O N I M E R WA C H S E N E N B E R E I C H 13 hinderung.pdf?_ _blob=publicationFile [Zugriff am 09.10.2019]. Impressum Statistisches Amt Kanton Zürich (2018). Zu- Schweizerische Zeitschrift für friedenheitsbefragung der betreuten Per- Heilpädagogik, 26. Jahrgang, 1/ 2020 ISSN 1420-1607 sonen 2018. Benchmarking der Institutio- nen für Menschen mit Behinderung. Zü- Herausgeber Stiftung Schweizer Zentrum rich: Statistisches Amt Kanton Zürich. für Heil- und Sonderpädagogik (SZH) Übereinkommen über die Rechte von Men- Haus der Kantone Speichergasse 6, Postfach, CH-3001 Bern schen mit Behinderungen (UN-Behinder- Tel. +41 31 320 16 60, Fax +41 31 320 16 61 tenrechtskonvention, UN-BRK), vom szh@szh.ch, www.szh.ch 13. Dezember 2006, durch die Schweiz ra- Redaktion und Herstellung tifiziert am 15. April 2014, in Kraft seit Kontakt: redaktion@szh.ch Verantwortlich: Romain Lanners dem 15. Mai 2014, SR 0.109. Redaktion: Silvia Brunner Amoser, Silvia Schnyder, Daniel Stalder Rundschau und Dokumentation: Thomas Wetter Inserate: Remo Lizzi Layout: Anne-Sophie Fraser Erscheinungsweise 9 Ausgaben pro Jahr, jeweils in der Monatsmitte Inserate inserate@szh.ch Annahmeschluss: 10. des Vormonats; Preise: ab CHF 220.– exkl. MwSt.; Mediadaten unter www.szh.ch ➝ Zeitschrift Auflage 2247 Exemplare (WEMF / SW-beglaubigt) Druck Dr. des. Alan Canonica Ediprim AG, Biel Wissenschaftlicher Mitarbeiter Jahresabonnement Hochschule Luzern – Soziale Arbeit Digital-Abo CHF 69.90 Print-Abo CHF 79.90 Institut Sozialmanagement, Sozialpolitik Kombi-Abo CHF 89.90 und Prävention Einzelausgabe Werftestrasse 1 Print CHF 9.90 (inkl. MwSt.), plus Porto 6002 Luzern Digital CHF 7.90 (inkl. MwSt.) alan.canonica@hslu.ch Abdruck erwünscht, bei redaktionellen Beiträgen jedoch nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Hinweise Der Inhalt der veröffentlichten Beiträge von Autorinnen und Autoren muss nicht mit der Auffassung der Redaktion übereinstimmen. Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Website www.szh.ch Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 1 / 2020
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