Grundlagen des Asylverfahrens - Arbeitshilfe zum Thema Flucht und Migration - überarbeitete 5. Auflage 2021 - Der Paritätische
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Arbeitshilfe zum Thema Flucht und Migration überarbeitete 5. Auflage 2021 Grundlagen des Asylverfahrens DEUTSCHER PARITÄTISCHER WOHLFAHRTSVERBAND GESAMTVERBAND e. V. | www.paritaet.org
Publikationen zum Thema Migration Herausgeber: Der Paritätische Gesamtverband Im Internet unter www.der-paritaetische.de/themen/ migration-und-internationale-kooperation/ Migrations- und entwicklungs- politische Zusammenarbeit mit ausgewählten Herkunfts- und Transitländern – Situations- analyse Marokko und Tunesien Berlin 2021 Aktualisierte Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Impressum Menschen in Flüchtlingsunter- künften Herausgeber: Hrsg.: BMFSFJ und UNICEF gemein- Der Paritätische Gesamtverband sam mit einem breiten Netzwerk Oranienburger Str. 13-14 von Partnern, u.a. dem Paritäti- D-10178 Berlin schen Gesamtverband, Berlin 2021 Der Zugang zur Berufsausbildung Telefon +49 (0)30 24636-0 und zu den Leistungen der Ausbil- Telefax +49 (0)30 24636-110 dungsförderung für junge Flüchtlin- ge und junge Neuzugewanderte E-Mail: info@paritaet.org Berlin 2020 Internet: www.paritaet.org Verantwortlich im Sinne des Presserechts: Ausbildung und Arbeit als Wege zu Dr. Ulrich Schneider einem sicheren Aufenthalt? Autor: Die Ausbildungs- und Beschäfti- André Schuster, GGUA Münster gungsduldung Berlin 2020 Projekt Q – Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrati- onsberatung Redaktion: Empowermentarbeit mit geflüchte- Kerstin Becker, Der Paritätische Gesamtverband ten Frauen - Bedarfe, Praxisansätze und Handlungsempfehlungen Gestaltung: Berlin 2020 Christine Maier, Der Paritätische Gesamtverband Bilder: © Adobe Stock: Mopic (Titel), Thomas Erhard (S. 4), Animaflora PicsStock (S. 12), fizkes (S. 19), Marco2811 Soziale Rechte für Flüchtlinge (S.27) 3. aktualisierte Auflage Berlin 2020 5. Auflage, November 2021 Widerruf, Rücknahme und Erlöschen des Schutzstatus Berlin 2019
Inhalt Vorwort ............................................................................................................................................................................. 2 Einleitung .......................................................................................................................................................................... 3 1. Meldung als Asylsuchende*r, Unterbringung und Antragstellung ............................................................... 3 1.1 Meldung als Asylsuchende*r ......................................................................................................................................... 4 1.2 Unterbringung .................................................................................................................................................................... 5 1.3 Asylantragstellung ............................................................................................................................................................. 7 1.4 Zulässigkeits- und Zuständigkeitsprüfung ............................................................................................................... 11 1.5 Mitwirkungspflichten während des Asylverfahrens .............................................................................................. 12 2. Die Anhörung ............................................................................................................................................................ 13 2.1 Vor der Anhörung ............................................................................................................................................................... 14 2.2 Während der Anhörung ................................................................................................................................................... 16 2.3 Nach der Anhörung ........................................................................................................................................................... 20 3. Entscheidung über den Asylantrag ............................................................................................................................ 21 3.1 Anerkennung als Asylberechtigte*r ............................................................................................................................ 21 3.2 Feststellung der Flüchtlingseigenschaft .................................................................................................................... 21 3.3 Die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ............................................................................................................ 22 3.4 Die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten ................................................................................... 22 3.5 Die Rechtsfolgen einer Anerkennung als Schutzberechtigte und des Vorliegens nationaler Abschiebungsverbote ................................................................................................... 24 3.6 Kein Schutzstatus und kein nationales Abschiebungsverbot ............................................................................ 25 3.7 Nach dem Asylverfahren – Abschließende Informationen und Hinweise .................................................... 27 3.8 Das Widerrufs- bzw. Rücknahmeverfahren ............................................................................................................... 28 3.9 Der Asylfolgeantrag ........................................................................................................................................................... 28 1
Vorwort Das Asylverfahren ist in seinen rechtlichen Grundla- Darüber hinaus stellen wir fest, dass es aufgrund der gen sowie der tatsächlichen Umsetzung enorm kom- zunehmenden Beschleunigung der Asylverfahren im- plex und stellt selbst erfahrene Berater*innen und mer schwieriger wird, überhaupt eine umfassende Be- Anwält*innen immer wieder vor Fragen. Insbesonde- ratung vor der Anhörung durchführen zu können. Hier re das Zusammenspiel von deutschem und europä- werden wir uns auf politischer Ebene dafür einsetzen, ischem Asylrecht macht dieses Rechtsgebiet zu einem dass ausreichend Zeit für eine behördenunabhängige besonders anspruchsvollen. Asylverfahrensberatung eingeräumt wird. Eine Zeit- spanne von ca. zwei Wochen ab Ankunft dient nicht Die vorliegende Arbeitshilfe hat nicht den Anspruch, nur der Sicherstellung der Beratung, sondern ist darü- alle Details des Asylverfahrens abschließend darzu- ber hinaus auch erforderlich, um nach den Strapazen stellen, sondern richtet sich insbesondere an neue der Flucht hier in Deutschland ankommen und sich Asylverfahrensberater*innen und sonstige Personen, auf die Anforderungen des Asyl- und Aufnahmever- die Asylsuchende im Rahmen des Asylverfahrens un- fahrens einstellen zu können. terstützen und beraten möchten. Für diese werden die Grundlagen des Verfahrens dargestellt, wobei an den Besonders wichtig ist daneben aber stets auch ein Stellen, an denen eine Vertiefung sinnvoll erscheint, guter Austausch der Beratungsstellen vor Ort mit der auf andere Arbeitshilfen des Paritätischen Gesamt- zuständigen Außenstelle des BAMF sowie sonstigen verbandes oder anderer Akteure verwiesen wird. Die relevanten Akteuren, um das bestmögliche Ergebnis Arbeitshilfe ist bewusst praxisorientiert gestaltet, kann für die betreuten Asylsuchenden zu erreichen. allerdings nur Basisinformationen zur Verfügung stel- len, die vor Ort mit weiteren Schulungen ergänzt wer- Wir danken dem Autor, André Schuster von der GGUA, den müssen, um eine kompetente Beratung der Asyl- Projekt Q – Qualifizierung der Flüchtlings- und Migrati- suchenden sicherzustellen. onsberatung aus Münster sowie dem Bundesministe- rium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, das Aus Sicht des Paritätischen Gesamtverbandes sollten die Veröffentlichung dieser Arbeitshilfe gefördert hat, möglichst alle Schutzsuchenden bereits vor der Asyl- ganz herzlich. antragstellung, spätestens aber vor der Anhörung Zugang zu einer behördenunabhängigen Asylver- fahrensberatung1 haben. Die Vorbereitung auf die Anhörung als dem Herzstück eines jeden Asylverfah- Kerstin Becker rens kann in ihrer Bedeutung gar nicht unterschätzt Referentin Flüchtlingshilfe/-politik werden. Besonders kritisch ist vor diesem Hintergrund Der Paritätische Gesamtverband die Tendenz zu sehen, dass die Asylverfahrensbera- tung zunehmend vom BAMF als der das Asylverfahren durchführende Behörde durchgeführt wird (vgl. § 12a AsylG). 1 Die Kontaktdaten von behördenunabhängigen Asylverfahrens- beratungsstellen finden Sie unter: https://adressen.asyl.net 2
Einleitung Nach Schätzungen des Hohen Flüchtlingskommissars Ein Hauptproblem des deutschen, aber auch europä- der Vereinten Nationen (UNHCR) waren Ende 2020 ischen und internationalen Flüchtlingsrechts ist es, dass weltweit 82,4 Millionen Menschen auf der Flucht, von es zwar ein Recht auf Schutz vor Zurückweisung in ei- denen sich 56 Millionen als sog. Binnenvertriebene nen Staat gibt, in dem Verfolgung droht (sog. Refoule- innerhalb ihres Herkunftslandes aufhalten.2 Im Unter- mentverbot, Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention schied zu anderen Wanderungsformen ist Flucht keine – GFK), aber keinen Anspruch auf eine legale Einreise freiwillige Migration. Flüchtlinge sind gezwungen, ihr für Asylsuchende. Aus diesem Grund sind die meisten Land zu verlassen, um sich und ihre Familien in Sicher- Flüchtlinge gezwungen, lebensgefährliche Fluchtrou- heit zu bringen. Die Fluchtursachen sowie die individu- ten zu bestreiten, um sich und ihre Familien in Sicherheit ellen Gründe, weshalb Menschen ihre Herkunftsländer zu bringen. Die Menschen, die nun hier in Deutschland verlassen müssen und in einem anderen Staat Schutz ein Asylverfahren durchlaufen müssen, um ihre Schutz- suchen, sind vielfältig. Bürgerkriege, schwerwiegende bedarfe feststellen zu lassen, sind also häufig nicht nur Menschenrechtsverletzungen und politische Verfol- in ihrem Herkunftsland, sondern auch während ihrer oft gung gehören dazu. Hauptherkunftsländer der Asyl- langen Flucht schweren Menschenrechtsverletzungen suchenden in Deutschland waren im Jahr 2020 Syrien, ausgesetzt gewesen. Neben der Erlangung der rechtli- Afghanistan und der Irak. chen Grundlagen, die diese Arbeitshilfe im Folgenden darstellen möchte, gilt es also stets auch ein besonderes Maß an interkultureller Kompetenz und Empathie mit in die Beratung einzubringen. 1. Meldung als Asylsuchende*r, Unterbringung und Antragstellung Die Anforderungen, die im Rahmen des Asylverfah- weit gibt es derzeit zusätzlich rund 60 Außenstellen, rens an die asylsuchende Person gestellt werden, sind die für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig sehr hoch. Neben zahlreichen einzuhaltenden gesetz- sind. In jedem Bundesland befindet sich mindestens lichen Fristen gibt es diverse Pflichten und Rechte, die eine Außenstelle. den meisten Asylsuchenden aufgrund ihrer kurzen Aufenthaltsdauer und der Komplexität des Rechtsge- Die Außenstellen des Bundesamtes sind jeweils einer bietes oftmals nicht bekannt sind. Hinzu kommt, dass Landesaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge zugeord- am Asylverfahren viele verschiedene staatliche Stellen net. Zuständig für die Schaffung und Unterhaltung der beteiligt sind und die Zuständigkeiten, obwohl ge- Aufnahmeeinrichtungen sind die Bundesländer (vgl. setzlich eindeutig geregelt, für die Betroffenen nicht § 44 AsylG). immer klar ersichtlich sind. Die schnelllebige Gesetz- gebung trägt zudem sowohl bei den Betroffenen als auch bei allen anderen Akteur*innen zu einer zuneh- Hinweis: menden Verunsicherung bei. Die Kontaktdaten der jeweiligen Außenstellen sowie weitere Informationen zum Bundesamt für Migration Zuständig für die Durchführung des Asylverfahrens und Flüchtlinge finden Sie hier: www.bamf.de in Deutschland ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt). Das Bundesamt prüft die Asylanträge und entscheidet über sie. Der Hauptsitz Eine schematische Darstellung zum Ablauf des Asyl- des Bundesamtes befindet sich in Nürnberg. Bundes- verfahrens in Deutschland bietet Abbildung 2 am 2 Quelle: UNHCR: https://www.unhcr.org/dach/de/services/statistiken. Ende von Kapitel 1.3. 3
1.1 Meldung als Asylsuchende*r Das Asylverfahren in Deutschland beginnt mit der In der Aufnahmeeinrichtung (Ankunfts- oder AnkER- Meldung als Asylsuchende*r. Die Meldung kann bei Zentrum) werden die neu ankommenden Asylsuchen- jeder Polizeidienststelle, Ausländerbehörde oder di- den von der Landesaufnahmebehörde (LAB) bzw. der rekt bei einer Aufnahmeeinrichtungen erfolgen (vgl. Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) des Landes als § 13 Abs. 3 AsylG). Hierbei handelt es sich in Deutsch- Asylsuchende registriert, erkennungsdienstlich be- land zunächst „nur“ um ein sog. „Asylbegehren“ bzw. handelt und untergebracht. Erkennungsdienstliche „Asylgesuch“ und nicht schon um die förmliche Asyl- Maßnahmen umfassen die Aufnahme persönlicher so- antragstellung. Mit dem „Asylgesuch“ bei den o.g. Stel- wie biometrischer Daten, insbesondere in Form eines len folgt immer die Weiterleitung in ein sog. Ankunfts- Lichtbildes und der Abgabe von Fingerabdrücken. zentrum, in einigen Bundesländern wie z.B. in Bayern Abdrücke aller zehn Finger sowie Lichtbilder dürfen oder Sachsen auch als AnkER (Ankunft, Entscheidung seit dem 01.04.2021 bereits im Alter von sechs Jahren und Rückführung) -Zentrum bezeichnet. Erst dort wird vorgenommen werden. (vgl. § 16 Abs. 1 AsylG). Nach die für die tatsächliche Aufnahme und Unterbringung der Registrierung erhalten die Asylsuchenden eine Be- zuständige Aufnahmeeinrichtung ermittelt (EASY- scheinigung über die Meldung als Asylsuchende, den Verfahren)3. Es ist also durchaus möglich, dass die sog. Ankunftsnachweis (vgl. § 63a AsylG). Das Asylver- Personen bei Meldung in einem Ankunfts- oder An- fahren findet, nicht zuletzt aufgrund des hohen Zu- kER-Zentrum in die für sie nach dem EASY-Verfahren zugs von Asylsuchenden insbesondere in den Jahren ermittelte bzw. zuständige Aufnahmeeinrichtung wei- 2015 und 2016, gezielt und politisch gewollt in großen tergeleitet werden – auch bundeslandübergreifend. In Aufnahmeeinrichtungen statt. Im Vordergrund steht diesem Fall sind die Asylsuchenden verpflichtet, sich dabei die sukzessiv ausgeweitete Wohnverpflichtung unverzüglich bzw. bis zu einem ihnen genannten Ter- in eben diesen Einrichtungen, die mit der Antragstel- min, spätestens jedoch innerhalb einer Woche, in die lung verknüpft ist. zuständige Aufnahmeeinrichtung zu begeben (vgl. § 22 Abs. 3 AsylG). Hinweis: Um eine zügige Durchführung des Asylverfahrens sowie die zeitnahe Klärung des ausländerrechtlichen Status‘ der asylsuchenden Personen zu gewährlei- sten, sind diese zudem verpflichtet, unverzüglich nach der Meldung als asylsuchend den (förmlichen) Asylantrag zu stellen – demzufolge innerhalb von zwei Wochen (vgl. § 13 Abs. 3 S. 3 AsylG). 3 EASY steht für „Erstverteilung von Asylbegehrenden“ und stellt ein Quotensystem auf Grundlage des sog. Königsteiner-Schlüssels. Es handelt sich hiermit um ein Verteilsystem, indem auf Basis von (Bundes-)Länder da- ten festgelegt wird, welchen Anteil der Asylsuchenden jedes Bundesland aufnimmt. Weitere Informationen und die aktuelle Quotenverteilung fin- den Sie hier: https://www.bamf.de/DE/Themen/AsylFluechtlingsschutz/ AblaufAsylverfahrens/Erstverteilung/erstverteilung-node.html 4
1.2 Unterbringung Seit Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur besseren • Verpflichtung, an einem anderen Ort oder in einer Durchsetzung der Ausreisepflicht am 01.08.2019 sind anderen Unterkunft Wohnung zu nehmen (§ 48 Asylsuchende grundsätzlich bis zu 18 Monaten ver- Nr.1 AsylG), z.B. bei Verlegung aus Kapazitätsgrün- pflichtet, in der für sie zuständigen Aufnahmeeinrich- den in eine andere Aufnahmeeinrichtung oder tung zu wohnen. Ausnahmen gelten jedoch für Fami- kommunale Unterbringung lien mit minderjährigen ledigen Kindern sowie den volljährigen Geschwistern. Für sie dauert die Wohn- • Rechtsanspruch auf Erteilung eines Aufenthaltsti- verpflichtung längstens sechs Monate4 (vgl. § 47 Abs. tels nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auf- 1 AsylG). Des Weiteren machen einige Bundesländer grund einer Eheschließung oder Begründung ei- von der in § 47 Abs. 1b AsylG geregelten Möglichkeit ner Lebenspartnerschaft nach Asylantragstellung Gebrauch, die Verpflichtung in der Aufnahmeeinrich- (§ 48 Nr. 3 AsylG) tung zu wohnen, auf längstens 24 Monate zu verlän- gern.5 Für Asylsuchende aus den sogenannten „si- • Wenn die vollziehbare Anordnung der Abschie- cheren“ Herkunftsstaaten im Sinne des § 29a AsylG6, bung nicht in angemessener Zeit möglich ist oder gilt seit dem 24. Oktober 2015 die Verpflichtung zur wenn dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis Unterbringung in einer Landesaufnahmeeinrichtung nach § 24 AufenthG erteilt werden soll (§ 49 Abs. 1 bis zur Beendigung des Asylverfahrens und im Falle AsylG). Die Gesetzesbegründung nennt hier bspw. einer unanfechtbaren Ablehnung des Asylantrages Reiseunfähigkeit oder die Beschaffung von Reise- bis zur Ausreise oder Abschiebung (vgl. § 47 Abs. 1a papieren (vgl. BT-Drs. 12/2061, S. 36). AsylG). • Gründe der öffentlichen Gesundheitsvorsorge so- Und auch Asylsuchende, die gegen ihre Mitwirkungs- wie sonstige Gründe „der öffentlichen Sicherheit pflichten im Asylverfahren verstoßen sowie vollzieh- oder Ordnung, insbesondere zur Gewährleistung bar Ausreisepflichtige, die über ihre Identität oder der Unterbringung und Verteilung, oder aus an- Staatsangehörigkeit täuschen oder nicht hinreichend deren zwingenden Gründen“7 (§ 49 Abs. 2 AsylG). bei der Beseitigung von Abschiebungshindernissen Dies ist bspw. der Fall, wenn bei bestimmten Er- mitwirken, sind gemäß § 47 Abs. 1 S. 3 AsylG unter krankungen erforderliche Hygienemaßnahmen Umständen dauerhaft zur Unterbringung in der Erst- nicht eingehalten werden können. aufnahmeeinrichtung verpflichtet. • Das Verwaltungsgericht hat bei eingereichter Die Beendigung der Wohnverpflichtung in einer Auf- Klage gegen die Entscheidung des Bundesamtes nahmeeinrichtung entsteht im Regelfall bei Ablauf die aufschiebende Wirkung angeordnet. Dies gilt der gesetzlichen Fristen oder mit einem positiven Be- nicht bei Unzulässigkeitsentscheidungen des scheid (Zuerkennung eines Schutzstatus) durch das BAMF gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AsylG (§ 50 Abs. BAMF. In beiden Fällen ist eine Entlassung bzw. Zuwei- 1 Nr. 2 AsylG). sung in eine Kommune durch die zuständige Behörde vorzunehmen. Darüber hinaus können aber auch an- • Hat die eingereichte Klage gegen einen „einfach“ dere Gründe eine Beendigung der Wohnverpflichtung unbegründeten Bescheid des BAMF kraft Gesetzes erfordern: aufschiebende Wirkung, so sieht der Gesetzeswor- 4 Um den individuellen Familiensituationen Rechnung zu tragen, sind tlaut kein Ende der Wohnverpflichtung vor. Dem auch andere sorgeberechtige Personen von Minderjährigen eingeschlossen. widerspricht aber das VG Münster, wonach hierin 5 U.a. setzen Nordrhein-Westfalen, Bayern und Sachsen den § 47 Abs. 1 eine zu schließende Regelungslücke vorliege und b AsylG um. 6 Zu den als „sicher“ eingestuften Herkunftsländern im Sinne des § 29a ebenfalls eine Entlassung aus der EAE erfolgen AsylG gehören derzeit: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, müsse.8 Mazedonien, Montenegro, Senegal und Serbien (vgl. Anlage II zu § 29a AsylG). Eine Erweiterung dieser Liste um insbesondere Algerien, Marokko und Tunesien, ist in der Vergangenheit immer wieder Gegenstand politischer Diskussionen 7 Hier ist mit der individuellen Situation der Person(en), insbesondere bei gewesen, bislang aber ohne entsprechende Mehrheit im Bundesrat, die wie- besonderer Schutzbedürftigkeit (s. Seite 11), zu begründen. derum erforderlich wäre, um eine entsprechende Ausweitung der als „sicher“ 8 VG Münster, Beschluss vom 06.08.2020 - 6a L 601/20 (Asylmagazin erklärten Herkunftsländer vorzunehmen. 9/2020, S. 315) - asyl.net: M28718 https://www.asyl.net/rsdb/M28718/). 5
Endet die Wohnverpflichtung durch einen der o.g. Hinweis: Gründe, folgt die Unterbringung in einer kommunalen Menschen, die zum Wohnen in einer Aufnahme- Gemeinschaftsunterbringung. Die tatsächlichen Wohn- einrichtung verpflichtet sind, unterliegen der so formen unterscheiden sich je nach Organisation von genannten „Residenzpflicht“. Diese räumliche Be- Bundesland und Kommune, sodass eine kommunale schränkung verpflichtet die Betroffenen gemäß § 56 Unterbringung in zentralen Flüchtlingsunterkünften AsylG, sich nur in dem Bezirk der Ausländerbehörde bis hin zu Privatwohnungen möglich ist. aufzuhalten, in dem die zuständige Aufnahmeein- richtung liegt. Wenn „zwingende Gründe es erfor- dern“, kann das BAMF einer Person erlauben (Verlas- senserlaubnis), den Aufenthaltsbereich zu verlassen, den § 56 AsylG festlegt. Die häufig abgeschiedene Lage von Erstaufnahmeeinrichtungen erschwert Besuche in Fachberatungsstellen oder Arztpraxen. Daher sollten Berater*innen ggf. einen Antrag auf Verlassenserlaubnis stellen bzw. dabei unterstützen (§ 57 Abs. 1). Argumentieren können sie beispiels- weise mit Artikel 19 Absatz 2 EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU (medizinische Leistungen für beson- ders Schutzbedürftige) und mit Artikel 25 UN-BRK (Recht auf Gesundheit ohne Diskriminierung). Für Termine bei Behörden und Gerichten ist eine Verlas- senserlaubnis nicht erforderlich, diese müssen dem BAMF und der Aufnahmeeinrichtung lediglich mit- geteilt werden (§ 57 Abs. 3 AsylG). Abbildung 1: Darstellung Unterbringung und Zuweisung 6
1.3 Asylantragstellung Für den förmlichen Asylantrag müssen Asylsuchende Hinweis: unverzüglich bzw. zu einem ihnen von den Behörden Die Pflicht zur persönlichen Asylantragstellung in genannten Termin persönlich bei der Außenstelle des der Außenstelle des Bundesamtes entfällt gemäß Bundesamtes erscheinen (vgl. § 23 Abs. 1 AsylG). Vor § 14 Abs. 2 AsylG für Personen, die: dem Hintergrund der Schaffung großer Landesauf- nahmeeinrichtungen und der damit verbundenen • einen Aufenthaltstitel (Visum, Aufenthaltser- Zentralisierung der Asylverfahren befinden sich die laubnis, Niederlassungserlaubnis, Erlaubnis Außenstellen des BAMF häufig sogar auf dem Gelände zum Daueraufenthalt-EU, Blaue Karte EU) mit dieser Einrichtungen oder in unmittelbarer Nähe. In einer Gesamtgeltungsdauer von mehr als sechs jedem Fall sind die Außenstellen jeweils einer Landes- Monaten besitzen, aufnahmeeinrichtung zugeordnet. • sich in Haft oder sonstigem öffentlichem Ge- Bei der Asylantragstellung werden die Asylsuchenden wahrsam, in einem Krankenhaus, einer Heil- noch nicht direkt zu den Fluchtgründen befragt. Da- oder Pflegeanstalt oder in einer Jugendhilfeein- für gibt es einen gesonderten Termin, die sogenannte richtung befinden, oder Anhörung. Im Rahmen der förmlichen Asylantragstel- lung geht es vielmehr darum, dass die asylsuchende • minderjährig sind und der gesetzliche Vertreter Person offiziell als Asylantragsteller*in registriert und nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrich- eine Akte beim Bundesamt angelegt wird. Ist die Per- tung zu wohnen. son zuvor noch nicht erkennungsdienstlich behandelt worden, erfolgt diese Behandlung spätestens bei der In diesen Fällen ist der Asylantrag im Regelfall persönlichen Asylantragstellung durch das Bundes- schriftlich bei der Zentrale des Bundesamtes in amt (vgl. § 16 Abs. 2 AsylG). Für die Aktenanlage wer- Nürnberg zu stellen (Schriftliche Asylantragstellung). den erneut die Personalien aufgenommen und ggf. Die Zentrale bestimmt dann die für die Bearbeitung mit den bereits erhobenen Daten der Stellen, bei de- zuständige Außenstelle. Der schriftliche Antrag nen das Asylgesuch stattgefunden hat, abgeglichen. kann auch bei der zuständigen Ausländerbehörde eingereicht werden. Diese ist gemäß § 14 Abs. 2 S. Es kann sein, dass im Rahmen der förmlichen Asylan- 2 AsylG verpflichtet, den Antrag unverzüglich dem tragstellung bereits entlang eines standardisierten Bundesamt zuzuleiten. Fragenkatalogs etwa 25 allgemeine Fragen zur Person und zur allgemeinen Lebenssituation im Herkunftsland Die schriftliche Asylantragstellung entbindet einen (Name, Wohnsitz, letzte Anschrift, Familienangehörige, Teil des o.g. Personenkreises von der Verpflichtung, Reisedokumente, Schul-/Ausbildungs- und Berufssi- in einer Landesaufnahmeeinrichtung zu wohnen tuation im Herkunftsland, etc.) sowie zum Reiseweg und führt dazu, dass die Personen nicht in die EASY- gestellt werden. Eigentlich ist dies Bestandteil der An- Verteilung kommen. Für Antragstellende, die einen hörung. Je nach Kapazitäten des Bundesamtes kann Antrag aus der Haft, dem Krankenhaus oder einer diese Befragung jedoch auch schon bei der förmlichen Jugendhilfeeinrichtung stellen und diese vor einer Asylantragstellung erfolgen. Die Vorgehensweise un- Entscheidung über den Asylantrag verlassen kön- terscheidet sich zudem von Außenstelle zu Außenstelle. nen/müssen, ist jedoch zu beachten, dass sie nach der Entlassung ebenfalls verpflichtet sind, sich zu Mit der förmlichen Asylantragstellung erhalten die einer Aufnahmeeinrichtung zu begeben und eine Personen vom Bundesamt ein neues Aufenthaltspa- bundesweite Verteilung möglich ist (vgl. § 47 Abs. pier – die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylG 1 AsylG). Hier ist jedoch die jeweilige Praxis / Erlass- i.V.m. § 63 AsylG. Während der Verpflichtung, in einer lage in den einzelnen Bundesländern zu berück- (Landes-)Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, bleibt das sichtigen. Diese Personen erhalten dann zu einem Bundesamt für die Verlängerung der Aufenthaltsge- späteren Zeitpunkt die Einladung zu einem persön- stattung zuständig. Erst bei einer kommunalen Zuwei- lichen Anhörungstermin beim Bundesamt. Siehe sung ist die Ausländerbehörde am Wohnort zuständig. hierzu näher: „Die Anhörung“. 7
EASY-Verteilung Asylgesuch i.d.R. Unterbringung in EAE (ED-Behandlung und Unterbringung) Asylantragstellung Zuständigkeitsprüfung(Dublin-Anhörung) Zuständigkeit Deutschland: Anhörung zu den Fluchtgründen Inhaltliche Prüfung des Asylantrags Nationale Asylberechtigung Abschiebungsverbote (§ 60 V und VII AufenthG) Flüchtlings- Subsidiärer eigenschaft Schutz i.S.d. GFK Positive Entscheidung: Negative Entscheidung: Erteilung von AE von ABH Abschiebung in das HKL (aber: Rechtschutz möglich) Abbildung 2: Ablauf Asylverfahren 8
Besondere Verfahrensregeln für Personen aus Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge – UMF sogenannten „sicheren“ Herkunftsstaaten Eine besondere Gruppe von Asylsuchenden sind un- Personen aus den als „sicher“ erklärten Herkunfts- begleitete Minderjährige – UMF genannt. Bei der staaten sollten sogfältig prüfen, ob eine Asylan- Gruppe der UMF handelt es sich um Kinder und Ju- tragstellung sinnvoll ist, da die damit verbundenen gendliche unter 18 Jahren, die ohne Sorgeberechtigte Restriktionen nicht unerheblich sind. Neben der Ver- nach Deutschland fliehen und keine sorgeberechtigte pflichtung, für die Dauer des Asylverfahrens in einer Person in Deutschland haben. Sie sind in besonderem Landesaufnahmeeinrichtung zu verbleiben, besteht Maße auf Hilfe und Begleitung angewiesen. die dauerhafte Residenzpflicht, beschränkt auf den Bezirk der zuständigen Ausländerbehörde (vgl. §§ Grundsätzlich garantiert § 42 Abs. 1 S. 3 SGB VIII den 47 Abs. 1a, 56 AsylG). Damit einher geht ein dauer- unbegleiteten Kindern und Jugendlichen den Schutz haftes Ausbildungs- und Arbeitsverbot, das sich nach der Jugendhilfe durch Inobhutnahme. Die Frage der Ablehnung des jeweiligen Asylantrages auch auf die Altersfeststellung bzw. -festsetzung ist hier von zen- Duldungszeiten erstreckt, es sei denn, die Rücknahme traler Bedeutung. Nur Minderjährige haben Anspruch erfolgte auf Grundlage einer „Beratung“ nach § 24 Abs. auf diesen besonderen Schutz. Dem liegt auch ein 1 AsylG durch das Bundesamt (vgl. § 61 Abs. 1 S. 2 Nr. gesondertes Verteilungs- und Unterbringungsver- 3 AsylG i.V.m. § 60a Abs. 6 S. 1 Nr. 3 AufenthG). Gemäß fahren zugrunde. So erfolgt eine vorläufige Inobhut- § 30a Abs. 1 Nr. 1 AsylG unterliegen die Menschen seit nahme durch das Jugendamt, welches zuerst auf die dem 17. März 2016 auch dem beschleunigten Verfah- Minderjährigen trifft. Dann wird in einem Verwal- ren. Das bedeutet, dass das Bundesamt innerhalb ei- tungsverfahren geklärt, welches Jugendamt zukünf- ner Woche entscheidet. tig zuständig sein wird. Die Verteilung steht unter dem Vorbehalt des Kindeswohles – bei Gefährdung Personen aus den als „sicher“ eingestuften Herkunfts- bleibt das ursprünglich vorläufig zuständige Jugend- ländern droht eine Ablehnung ihres Asylantrags als amt auch weiterhin zuständig. Anderenfalls führt das „offensichtlich unbegründet“. Damit einher geht – Jugendamt der vorläufigen Inobhutnahme auch die auch bei eigenständiger, „freiwillig“ genannter Aus- Überstellung durch geeignete Personen an das end- reise ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 gültig zuständige Jugendamt durch und übermittelt Abs. 7 AufenthG von derzeit 10 Monaten. Bei erfolgter die erforderlichen personenbezogenen Daten. Erst Abschiebung beträgt die Sperrzeit nach § 11 Abs. 2 dann kommt es zu einer Vormundbestellung. Wichtig AufenthG sogar 30 Monate. ist hierbei, dass bei der Bestimmung des endgültig zuständigen Jugendamtes auch Geschwister und so- Personen aus den sog. „sicheren“ Herkunftsstaaten, genannte Fluchtgemeinschaften, das sind nicht fami- bei denen individuelle Verfolgungsgründe vorliegen, liär gebundene, auf der Flucht entstandene Freund- sollten sich hiervon jedoch keinesfalls von einem Asyl- schaften, berücksichtigt werden müssen. Näheres antrag abhalten lassen. Dies gilt insbesondere bei An- dazu finden Sie auf der Internetseite des Bundesfach- gehörigen von Minderheiten wie etwa LGBTQ. Beson- verbandes UMF.9 ders wichtig ist in diesen Fällen eine gute Vorbereitung auf die Anhörung und eine umfassende Information Im Gegensatz zu anderen Asylsuchenden sind UMF über die Folgen der Antragstellung. nicht verpflichtet, sich unverzüglich als asylsuchend zu melden und einen Asylantrag zu stellen. Vielmehr ist bei dieser Gruppe zunächst ein sogenanntes Clea- ringverfahren durchzuführen. Das Clearingverfahren dient der umfassenden Klärung der individuellen Si- tuation der jungen Flüchtlinge und umfasst u.a. fol- gende Aspekte: Identität, Familienzusammenführung, nötige Hilfen, Unterbringung, (aufenthaltsrechtliche) 9 https://b-umf.de/ 9
Perspektiven, etc.. Nicht in allen Fällen ist ein Asylan- Die Gruppe der besonders Schutzbedürftigen wird trag das geeignete Mittel für den Schutz. In einigen wiederum in Art. 21 der EU-Aufnahmerichtlinie be- Fällen dürften Anträge auf nationale Abschiebungs- schrieben: verbote oder andere humanitäre Aufenthaltserlaub- nisse geeigneter sein. • Minderjährige, • unbegleitete Minderjährige, Hinweis: • behinderte Menschen, Informationen zum Thema „Unbegleitete minder- • ältere Menschen, jährige Flüchtlinge in Deutschland“ finden Sie auf • Schwangere, der Internetseite des Bundesfachverbandes – Unbe- gleitete Minderjährige unter: www.b-umf.de • Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, • Opfern des Menschenhandels, Eine Arbeitshilfe für Jugendämter, Vormund*innen und Betreuer*innen hinsichtlich des Asylverfahrens • Personen mit schweren körperlichen bei UMF finden Sie ebenfalls beim Bundesfachver- Erkrankungen, band – Unbegleitete Minderjährige • Personen mit psychischen Störungen und • Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder se- Schutzbedürftige Personen mit besonderen xueller Gewalt erlitten haben, wie z. B. Opfer der Bedürfnissen Verstümmelung weiblicher Genitalien. Während des Asylverfahrens muss der gesonderten Die in der EU-Aufnahmerichtlinie genannten Grup- Situation von besonders schutzbedürftigen Personen pen stehen hier exemplarisch, nicht abschließend für Rechnung getragen werden, insbesondere in Form alle, die besondere Unterstützung benötigen. Zwar von besonderen Verfahrensgarantien. Diese sieht Art. sind z.B. Homosexuelle nicht explizit genannt, sie sind 24 der EU Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) für alle aber in der Praxis dennoch in der Regel als besonders Mitgliedstaaten explizit vor. In den Erwägungsgrün- Schutzbedürftige zu betrachten. Neben den besonde- den der Richtlinie heißt es: „Die Mitgliedstaaten sollten ren Verfahrensgarantien, die sich auf den gesamten bestrebt sein, Antragsteller, die besondere Verfahrens- Ablauf des Asylverfahrens beziehen, muss auch im garantien benötigen, als solche zu erkennen, bevor Hinblick auf die Aufnahme, also z.B. mit Blick auf die eine erstinstanzliche Entscheidung ergeht. Diese An- Unterbringung darauf geachtet werden, ob die Betrof- tragsteller sollten eine angemessene Unterstützung fenen überhaupt in den entsprechenden Aufnahme- erhalten, einschließlich ausreichend Zeit, um die not- einrichtungen unterzubringen sind bzw. eine frühzei- wendigen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass tige Entlassung notwendig erscheint (vgl. dazu 1.2). sie das Verfahren effektiv in Anspruch nehmen und die zur Begründung ihres Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Angaben machen können.“10 10 EG 29 Asylverfahrensrichtlinie (2013/32/EU) 10
1.4 Zulässigkeits- und Zuständigkeitsprüfung Bevor das inhaltliche Asylverfahren „eröffnet“ wird, Die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen prüft das Bundesamt, ob der Asylantrag gem. § 29 Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Fest- AsylG zulässig ist. Gemäß § 29 Abs. 1 AsylG ist ein Asyl- legung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung antrag im Wesentlichen als unzulässig einzustufen, des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem wenn: Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mit- gliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz ein anderer EU-Mitgliedstaat für die Durchführung zuständig ist, kurz: Dublin III oder Dublin III-VO, regelt und Prüfung des Asylverfahrens zuständig ist, die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asylverfah- rens innerhalb der Europäischen Union. Neben den • eine Person bereits internationalen Schutz in EU-Mitgliedstaaten sind auch Norwegen, die Schweiz einem EU-Mitgliedstaat erhalten hat, und Liechtenstein Teil der Verordnung und wenden diese entsprechend an. • eine Person in einem sicheren Drittstaat oder einem sonstigen Drittstaat im Sinne des § 27 AsylG Es handelt sich zunächst nur um eine Zuständigkeits- vor Verfolgung sicher gewesen wäre und dieser regelung, nicht jedoch schon um eine inhaltliche Prü- Drittstaat seine Aufnahmebereitschaft erklärt oder fung oder Entscheidung des Asylantrages. In der Praxis wird jedoch häufig trotz eindeutiger „Nicht-Zuständig- • ein Asylfolgeantrag gem. § 71 AsylG nicht zur keit“ eine Anhörung zu den Fluchtgründen durchge- Durchführung eines weiteren Asylverfahrens führt. führt, die vom BAMF als „informatorische Anhörung“ deklariert wird. Hintergrund dessen ist eine mögliche Bevor die Anträge von Asylsuchenden jedoch als un- eintretende Zuständigkeit Deutschland, wenn die zulässig beschieden werden, sind die Betroffenen per- asylsuchende Person nicht innerhalb einer bestimm- sönlich anzuhören (vgl. § 29 Abs. 2 AsylG). Die Asylsu- ten Frist in den zuständigen Mitgliedstaat (rück-)über- chenden sollten in diesen Fällen detailliert berichten, stellt werden kann. warum sie aus individuellen Gründen nicht in einen anderen Dublin-Staat oder sicheren Drittstaat zurück- kehren können. Hinweis: Das Dublin-Verfahren sowie die Verfahren im Zu- sammenhang mit bereits „anerkannten“ Flüchtlin- gen aus anderen EU-Mitgliedstaaten gestaltet sich in der Praxis als sehr komplex, weshalb hierzu eine eigene Arbeitshilfe in Planung ist. Empfehlenswert ist in jedem Fall die Basisinformationen: Das „Dublin- Verfahren“. Die Zulässigkeitskeitsprüfung im Asyl- verfahren bei „Dublin-Fällen“ und „Anerkannten“ (2. Aufl., 2021) vom Informationsverbund Asyl.11 11 11 https://www.asyl.net/view/neu-bei-uns-basisinformation-zum- dublin-verfahren-aktualisiert/ 11
1.5 Mitwirkungspflichten während des Asylverfahrens Mit der Antragstellung entsteht für die Asylsuchen- den eine allgemeine Pflicht, an der Sachverhalts- aufklärung mitzuwirken (§ 15 AsylG). Diese Pflicht ist persönlich zu erfüllen und zwar unabhängig davon, ob ein Rechtsanwalt bzw. eine Rechtsanwältin als Be- vollmächtigte Person mandatiert wurde. Die Mitwir- kungspflicht bezieht sich dabei auch auf die Identität der Asylsuchenden. Konkrete Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Identitätsfeststellung sind darüber hinaus in § 15 Abs. 2 AsylG geregelt. Danach besteht eine Pflicht zur Vorlage, Aushändigung und Überlas- sung u.a. • des Passes oder Passersatzes (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG), • von Urkunden und sonstigen Unterlagen (§ 15 Abs.2 Nr. 5 AsylG) • sowie von Datenträgern, wie z.B. Laptops oder Smartphones (§ 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylG). Wenn die Asylsuchenden dieser Vorlagepflicht nicht nachkommen, aber Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie im Besitz von Identitätspapieren sind, können die zuständigen Behörden die Asylsuchenden und ihre Sachen durchsuchen (§ 15 Abs. 4 S. 1 AsylG). Fer- ner sind die erkennungsdienstlichen Maßnahmen wie z.B. Fingerabdrücke abnehmen oder das Erstellen von Lichtbildern zu dulden (§ 15 Abs. 2 Nr. 7 AsylG). 12
2. Die Anhörung Die Anhörung ist der wichtigste Teil des gesamten Asylverfahrens. Im Rahmen der Anhörung hat die asylsu- chende Person die Gelegenheit, aber auch die Pflicht, alle Gründe darzulegen, weshalb sie das Herkunftsland verlassen musste und was ihr bei einer Rückkehr droht (vgl. § 25 AsylG). Die Anhörung stellt die Grundlage für die spätere Entscheidung über den Asylantrag dar. Eine zweite Anhörung ist nicht vorgesehen. Nachdem der Asylantrag bei der zuständigen Außen- Neben der Frage, ob die persönlichen Erlebnisse als stelle des Bundesamtes gestellt worden ist, erhalten schutzrelevant einzustufen sind bzw. die Feststellung Asylsuchende einen Termin für die persönliche Anhö- eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 rung durch eine*n Mitarbeiter*in (Anhörer*in12) des Abs. 5 oder 7 AufenthG begründen können, dient die Bundesamtes. Im Rahmen der Anhörung werden die persönliche Anhörung auch dazu, sich ein Bild über Asylsuchenden zu ihren Asylgründen befragt. Der Ter- die Glaubwürdigkeit der Antragstellenden zu machen. min wird den Antragstellenden schriftlich zugestellt. Denn nur, wenn der Entscheider bzw. die Entscheide- In der Regel soll die Anhörung innerhalb weniger Tage rin zu dem Eindruck gelangt, dass die Person glaub- nach der förmlichen Asylantragstellung beim Bundes- würdig ist und schutzrelevante bzw. abschiebungs- amt erfolgen. Je nach Kapazitäten des Bundesamtes verbotsrelevante Tatsachen vorgetragen werden, wird kann es allerdings auch länger dauern. ein Schutzstatus erteilt. Hat der Entscheider bzw. die Entscheiderin Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Antragstellenden, droht der gesamte Vortrag als un- Hinweis: glaubwürdig eingestuft und der Asylantrag als (offen- Für Asylsuchende, die noch in einer Landesunter- sichtlich) unbegründet abgelehnt zu werden. Ein Vor- kunft leben, ist zu beachten, dass dort ein „Aushang“ trag gilt insbesondere als unglaubwürdig, wenn er in ausreichend sein kann, um die Asylsuchenden über wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder in sich den Termin der Anhörung zu informieren. So heißt widersprüchlich ist, offenkundig den Tatsachen nicht es in § 25 Abs. 4 AsylG: „Bei einem Ausländer, der entspricht oder auf gefälschte oder verfälschte Be- verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu weismittel gestützt wird (vgl. § 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylG). wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusam- menhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Ei- ner besonderen Ladung des Ausländers und seines In der Regel besteht die Anhörung aus zwei Teilen: Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer 1. Den Asylsuchenden werden entlang eines stan- Woche nach der Antragstellung der Termin für die dardisierten Fragenkatalogs etwa 25 allgemeine Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht Fragen zur Person und zur allgemeinen Lebenssi- an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer tuation im Herkunftsland (Name, Wohnsitz, letzte und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungs- Anschrift, Familienangehörige, Reisedokumente, termin unverzüglich zu verständigen. Erscheint der Schul-/Ausbildungs- und Berufssituation im Her- Ausländer ohne genügende Entschuldigung nicht kunftsland, etc.) sowie zum Reiseweg gestellt. Da- zur Anhörung, entscheidet das Bundesamt nach ran anschließend wird nach Gründen gefragt, die Aktenlage, wobei auch die Nichtmitwirkung des gegen ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß Ausländers zu berücksichtigen ist.“ Vgl. zu sonstigen § 11 AufenthG sprechen. Zustellungen und formlosen Mitteilungen in Auf- nahmeeinrichtungen auch § 10 Abs. 4 AsylG. 2. Anschließend müssen die individuellen Flucht- gründe geschildert und erläutertet werden und ebenso, was bei einer Rückkehr ins Herkunftsland befürchtet wird. 12 Während Anhörer*innen und Entscheider*innen in der Vergangen- heit meist personenidentisch waren, wurde im Jahr 2015 aus Effizienz- gründen eine Trennung eingeführt, die teilweise bis heute anhält. 13
Hinweis: Für die Praxis von besonderer Relevanz ist die Grup- Auf der Internetseite des „Informationsverbundes pe der besonders Schutzbedürftigen gem. Art. 21 der Asyl & Migration“ finden Sie ein hilfreiches Infor- EU-Aufnahmerichtlinie. Denn aufgrund einer bislang mationsblatt für Asylantragstellende, in dem die bundesweit fehlenden einheitlichen Regelung zur Besonderheiten der Anhörung sowie die sonstigen Feststellung dieser Personengruppe könnten Bedar- Rechte und Pflichten während des Asylverfahrens fe, insbesondere von Traumatisierten, Opfern von ge- verständlich und nachvollziehbar aufgezeigt sind. schlechtsspezifischer Verfolgung und Minderjährigen, Dieses Informationsblatt ist in verschiedenen Spra- nicht berücksichtigt werden. (Verweis: siehe Seite 10). chen unter: www.asyl.net erhältlich. Dies spielt für Fragen bei der Versorgung und Unterbrin- gung der Asylsuchenden eine ebenso wichtige Rolle wie Auf der Internetseite finden Sie auch eine umfang- bei der Anhörung zu den Fluchtgründen. Denn für die reiche Rechtsprechungsdatenbank zu asyl- und Anhörungssituation trägt das Bundesamt die Verant- ausländerrechtlichen Entscheidungen sowie aktu- wortung, auf Grundlage der EU-Asylverfahrensrichtlinie elle Herkunftsländerinformationen. den Bedarfen vulnerabler Gruppen besondere Garan- tien während des gesamten Ablaufs des Asylverfahrens Weitere Herkunftsländerinformationen finden Sie zu gewähren. Dazu zählen eine gesonderte Sensibilität auch in der Datenbank des European Country of der beteiligten Mitarbeitenden des Bundesamtes ge- Origin Information Network unter: www.ecoi.net genüber allen antragstellenden Personen, Bedürfnisse von Betroffenen soweit als möglich zu berücksichtigen – insbesondere in der Anhörungssituation – sowie bei frühzeitiger Bekanntgabe oder Identifizierung auch die 2.1 Vor der Anhörung Bereitstellung sog. „Sonderbeauftrager“. Für den Zeitraum nach der Antragstellung und vor dem Anhörungstermin ist es sinnvoll, folgende Dinge Hinweis: zu überprüfen und ggf. das Bundesamt rechtzeitig da- Das Bundesamt stellt bei entsprechender Identifizie- rüber zu informieren: rung und/oder Bekanntgabe durch spezielle Qualifi- zierungsmaßnahmen geschulte Anhörer*innen bzw. • Liegt eine besondere Schutzbedürftigkeit i.S.d. Entscheider*innen für folgende Gruppen bereit: Art. 20 der EU-Aufnahmerichtlinie vor und wurde noch nicht mitgeteilt? • unbegleitete Minderjährige • geschlechtsspezifische Verfolgte • Ist bei Antragstellung die Herkunftssprache an- gegeben worden, in der die asylsuchende Person • Folteropfer und traumatisierte auch angehört werden will bzw. kann? Asylbewerber*innen • Opfer von Menschenhandel • Soll der*die Anwält*in oder eine anderweitige • Sicherheit im Asylverfahren13 dritte Person als Beistand die asylsuchende Person begleiten? 13 13 Die Sonderbeauftragten für „Sicherheit im Asylverfahren“ unterstüt- • Soll/muss für die Anhörung ein*e entspre- zen hier im Wesentlichen die Mitarbeitenden des BAMF und sind hier chend geschulte*r Entscheider*in und ein*e nur aus Gründen der Vollständigkeit mit aufgeführt. „Diese sensibilisie- ren Mitarbeitende für Sachverhalte mit Sicherheitsbezug und koordi- Sprachmitler*in eingesetzt werden? nieren die Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsbereich der Zentrale. Das BAMF ist im Zuge seiner Aufgaben in den behördenübergreifenden • Gibt es weitere Bedarfe, die für den Anhörungster- Zentren im Sicherheitsbereich aktiv, dazu zählen u.a. das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ), das Gemeinsame Extremismus- und min relevant sein könnten? Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) und das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM).“ (vgl. https://www.bamf. de/SharedDocs/Meldungen/DE/2021/210729-am-migration-sicher. html?nn=282658) 14
Des Weiteren haben die Antragstellenden ein Recht Hinweis: darauf, in ihrer Herkunftssprache angehört zu werden. Eine explizite „Anmeldepflicht“ für Begleiter*innen Dafür wird vom Bundesamt ein*e Sprachmittler*in ge- besteht nicht. Grundsätzlich empfiehlt es sich, das stellt. Die Antragstellenden können auf eigene Kosten Bundesamt vorab darüber zu informieren, damit es auch eine*n geeignete*n Sprachmittler*in ihrer Wahl bspw. nicht zu Schwierigkeiten beim „Zugang“ auf hinzuziehen (vgl. § 17 AsylG). Es ist deshalb wichtig, das Bundesamtsgelände für die begleitenden Per- dem Bundesamt so früh wie möglich mitzuteilen, in sonen kommt.14 welcher Sprache sich die asylsuchende Person am be- sten verständigen kann. In der Beratung sollten die 14 Angaben, die auf dem förmlichen Dokument der Asyl- antragstellung zur Sprache gemacht werden, noch Weitere Bedarfe, die für Anhörungstermin bzw. Anhö- einmal überprüft werden und es sollte sichergestellt rungssituation relevant sein könnten, sind ebenfalls im werden, dass es sich dabei um die Sprache handelt, in Vorfeld mit dem Bundesamt abzuklären bzw. schrift- der die Asylsuchenden zu ihren Asylgründen befragt lich mitzuteilen. So kann es sinnvoll sein abzuklären, werden möchten. In der Praxis häufen sich oftmals ob die Einrichtungen des BAMF barrierefrei zugäng- Fälle – insbesondere von Personen aus afrikanischen lich sind, sodass z.B. Menschen mit Behinderungen Staaten –, in denen die Amtssprache im Herkunftsland oder aber Familien mit Kinderwägen der Zugang er- gleichgesetzt wird mit der tatsächlich gesprochenen möglicht werden kann. Besonderes Augenmerk gilt es Sprache im jeweiligen Landesteil oder auf Grundlage auch bei der generellen Frage der Handlungsfähigkeit der Volkszugehörigkeit. Dies gilt es dem BAMF unmit- (§ 12 AsylG) von Asylsuchenden. Entsteht vor dem An- telbar mitzuteilen. hörungstermin der Verdacht, dass die Person hand- lungsunfähig ist bzw. sein könnte, dann steht auch in Möchten Asylsuchende, dass ihr*e Anwält*in, ihr Vor- Zweifel, ob das vorangegangene Asylgesuch sowie die mund oder ein*e Vertreter*in des UNHCR zur Anhö- Antragstellung überhaupt rechtswirksam gestellt wer- rung mitkommen, so ist dies jederzeit möglich (§ 25 den konnten. Bestätigt sich eine Handlungsunfähig- Abs. 6 AsylG). Darüber hinaus kann aber auch eine drit- keit, folgt i.d.R. ein langwieriges Verfahren hinsichtlich te Person als Beistand an der Anhörung teilnehmen (§ der Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung für die 25 Abs. 6 AsylG i.V.m. § 14 Abs. 4 VwVfG). Beistände kön- betroffene Person. Erst mit entsprechendem Ergebnis nen hier Mitarbeiter*innen einer (Asylverfahrens- oder kann das Asylverfahren fortgeführt werden. Flüchtlings-)Beratungsstelle, Bezugsbetreuer*innen (bspw. in Jugendhilfeeinrichtungen) oder aber Freunde oder Bekannte sein. Familienmitglieder, die sich eben- falls im Asylverfahren befinden, können jedoch nicht als Beistände teilnehmen. Eine Begleitung bei der An- hörung kann den Asylsuchenden Sicherheit geben und sie darin bestärken, ihre Rechte wahrzunehmen und durchzusetzen. Bei der Begleitung sollte jedoch, insbesondere bei ehrenamtlichen Unterstützer*innen, vorab geklärt sein, dass die asylsuchende Person nicht aus Scham oder falscher Rücksichtnahme Fluchtgrün- de im Beisein der Begleitperson nicht erzählen kann. Auch sollte die Fluchtgeschichte vorab bekannt sein. 14 Wertvolle Hinweise zum Thema Beistände im Asylverfahren finden sich hier: https://www.nds-fluerat.org/wp-content/uploads/2017/02/2016_12_ Merkblatt_f%C3%BCr_Beist%C3%A4nde_im_Asylverfahren_Endf.pdf 15
2.2 Während der Anhörung Ist die Befragung nach dem 25-Fragenkatalog bereits Für den zweiten Teil sind mit Blick auf die Anhörungs- bei der Asylantragstellung erfolgt, wird in der Anhö- situation einige Grundsätze für die Antragstellenden rung nur noch auf eventuelle Unklarheiten eingegan- zu beachten: gen. Sollte es bei der Asylantragstellung oder auch bei der Befragung durch die (Bundes-)Polizei oder die • Flüchtlinge müssen von selbst berichten, was im Ausländerbehörde zu Missverständnissen gekommen Herkunftsland passiert ist und weswegen sie die- sein, nicht alles korrekt aufgenommen worden oder ses verlassen mussten und dorthin auch nicht zu- von den Antragstellenden wichtige Angaben verges- rückkehren können (vgl. § 25 Abs. 1 und 2 AsylG). sen worden sein, haben sie an dieser Stelle noch Ge- legenheit, die Missverständnisse aufzuklären bzw. die • Die Befragung zu den Geschehnissen findet i.d.R.15 Angaben zu ergänzen. nur im Beisein eines*einer Anhörer*in sowie eines*einer Sprachmittler*in statt. Grundsätzlich gilt: Unabhängig davon, ob die asylsu- chende Person bereits von anderen Stellen zu ihren • Eheleute und Familienangehörige werden i.d.R. Fluchtgründen und/oder ihrem Reiseweg befragt wor- getrennt angehört. Die Angaben werden später den ist, kommt es darauf an, was sie in der Anhörung be- verglichen. richtet. D.h. es kann sein, dass bestimmte Dinge erneut erzählt werden müssen. Dies ist jedoch wichtig, da nur • Die Schilderungen sollten so detailliert wie mög- das, was in der Anhörung auch gesagt und protokolliert lich sein, damit sich die Anhörer*innen bzw. worden ist, für die Entscheidung später zählt. Allerdings Entscheider*innen auch ohne stützende Beweise sollte den Antragstellenden auch bewusst sein, dass einen möglichst glaubhaften Eindruck von der Si- alle Angaben, die bereits vorher gemacht worden sind, tuation machen können. auch dem Bundesamt vorliegen. Falls diese Angaben zuvor unvollständig oder nicht korrekt waren, können • Liegen Beweise und Belege vor, welche die Flucht- sie an dieser Stelle noch ergänzt bzw. korrigiert werden. geschichte untermauern, sollten diese direkt ab- Außerdem sollte erklärt werden, weshalb zunächst feh- gegeben werden. lerhafte Angaben gemacht wurden. • Die gesamte Anhörung ist zeitlich nicht begrenzt, Auch wenn es bei den Fragen nach dem 25-Fragenka- sodass sich die Antragstellenden unbedingt die talog noch nicht direkt um die Fluchtgründe geht, ist Zeit nehmen sollten, die sie benötigen, um alle Er- es bereits in diesem Teil sehr wichtig, dass die Fragen eignisse und Informationen, die wichtig sind, dar- so genau wie möglich beantwortet werden, da even- zulegen. tuelle Widersprüche/Ungenauigkeiten dazu führen können, dass das Bundesamt die Glaubwürdigkeit der • Brauchen Anhörungen viel Zeit, dürfen Pausen ein- asylsuchenden Person in Frage stellt. Im schlimmsten gefordert werden. Ebenso besteht die Möglichkeit, Fall werden dann auch die Angaben zu den Flucht- in Absprache mit den Anhörer*innen für Essen und gründen nicht geglaubt und der Asylantrag wird als Trinken entsprechende Pausen einzulegen. offensichtlich unbegründet abgelehnt. • Schwierigkeiten mit Sprachmittler*innen sollten Im Anschluss an den 25-Fragenkatalog werden Asyl- unbedingt sofort angesprochen werden. suchende im zweiten Teil der Anhörung aufgefordert, ihre individuellen Fluchtgründe zu schildern und zu In der Befragung zu den Fluchtgründen ist es besonders erläutern, was bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wichtig, die Ereignisse so genau wie möglich zu schil- befürchtet wird. dern, damit sich die Entscheider*innen (nicht immer sind anhörende und entscheidende Person identisch) 15 Es kann durchaus vorkommen, dass zu Schulungszwecken oder zur Einarbeitung neuer Kolleg*innen weitere BAMF-Mitarbeiter*innen an der Anhörung teilnehmen. Dies sollte jedoch unbedingt vom BAMF im Vorfeld mit den Antragstellenden abgesprochen werden. 16
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