SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt

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SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
ISSN 0949-9601

              Heft 245 I März 2019

SENEGAL • WESTSAHARA • INDIEN
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
INHALT

                                                                                   Von l. n.r.: Verena Vad, Fundraiserin, Boubacar Diop, Länderre-
                                                                                   ferent Afrika und Franziska Kohlhoff, Referentin für Öffentlich-
 4 Senegal                                                                         keitsarbeit

   Der Ausgang der Präsidentschafts-
   wahlen befriedigt Senegals Zivil-
   gesellschaft nicht
 6 Westsaharakonflikt
   Interview zu den Aussichten des
   von Horst Köhler gestarteten
   Verhandlungsprozesses
 8 Indien Ökolandbau
   Eine aktuelle Studie warnt vor der                                           Frischer Wind durch neue Mitarbeiter*innen
   Verwässerung eines guten Programmes
                                                                                Verena Vad ist die neue zweite Fundraiserin der ASW. Sie ist Politik-
                                                                                wissenschaftlerin mit einer Zusatzausbildung am Seminar für ländli-
11 Projektinfo Brasilien                                                        che Entwicklung (SLE) in Entwicklungszusammenarbeit. Sie hat Aus-
                                                                                landserfahrung in Kambodscha, Peru und Mexiko und spricht fließen-
12 In eigener Sache:                                                            des Englisch und Spanisch. Im Dezember 2018 hat sie sich an der
   Themenheft Migration                                                         Fundraising-Akademie Frankfurt erfolgreich zur Fundraising-Referentin
                                                                                weitergebildet.
13 Simbabwe                                                                         Boubacar Diop ist seit Februar zweiter ASW-Referent für den Pro-
                                                                                jektbereich Afrika. Er hat einen binationalen Master im Management
   Unser Standpunkt                                                             von internationalen Projekten, Erfahrungen als Lehrkraft an einer Be-
                                                                                rufsschule in Dakar und als Fachkraft für die Integration von unbeglei-
14 Weltnachbar                                                                  teten minderjährigen Geflüchteten in Deutschland. Zudem hat er klei-
                                                                                nere Bildungs- und Sozialprojekte im Senegal koordiniert und so auch
                                                                                Erfahrungen in Senegals Dörfern gesammelt.
                                                                                    Franziska Kohlhoff ist seit September als Elternzeitvertretung für
                                                                                Marek Burmeister für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der ASW zu-
                                                                                ständig. Durch ihr Engagement für eine freie Westsahara und ein Prak-
                                                                                tikum bei der ASW vor einigen Jahren ist Franziska der Organisation in
                                                                                ihren Werten und Themenschwerpunkten schon lange verbunden.

                                                               Titelfoto
                                                               In den vergangenen Dekaden hat sich der ASW-Fokus auf die Stärkung von
                                                               Frauen und ihr kollektives Empowerment stark in unserer Bildsprache nie-
                                                               dergeschlagen. Gruppen von Frauen oder einzelne Frauen in Aktion – ge-
                                                               legentlich auch mal im Beisein der Männer – waren unsere typischen Titel-
                                                               motive. Bei dieser SW wollen wir es einmal anders machen. Unser Titelfoto
                                                               zeigt einen südindischen Kleinbauern mit Baby. Erfahren Sie im Editorial
                                                               auf der rechten Seite, was sich bei der SW sonst noch ändert.
                                                               Foto: Tobias Zollenkopf

IMPRESSUM
Herausgeberin:
Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e.V.                 Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht   Bereits 1957 gegründet, ist die Aktionsgemeinschaft
ASW, Potsdamer Straße 89, 10785 Berlin,                    unbedingt die Meinung der Redaktion oder der      Solidarische Welt e.V. eine der ältesten entwicklungs-
Telefon: 030 – 259 408 01,                                 Herausgeberin wieder.                             politischen Organisationen Deutschlands. Wir fördern
E-Mail: mail@aswnet.de     www.aswnet.de                                                                     Projekte in Indien, Brasilien und mehreren Ländern
                                                           Grafik:                                           Afrikas, die zur Stärkung von Frauen, zum Schutz der
Erscheinungsweise vierteljährlich:                         Natalie Friedinger, Berlin                        Umwelt und zur Durchsetzung der Menschenrechte
Der Verkaufspreis der Zeitschrift ist für Mitglieder       Ulrike Kleine/Grips medien GmbH&Co.KG             beitragen. Die Projekte werden ausschließlich von
im Mitgliedsbeitrag enthalten. Jahresabonnement 10 Euro.                                                     PartnerInnen vor Ort angestoßen und ausgeführt. Wir
                                                           Bildnachweis:
                                                                                                             sind politisch, wirtschaftlich und religiös unabhängig
                                                           ©ASW (falls nicht anders angegeben)
Redaktion:                                                                                                   und finanzieren uns überwiegend über Spenden von
Isabel Armbrust (Redaktionsleitung), Boubacar Diop,        Druck:                                            Privatpersonen.
Franziska Kohlhoff, Christophe Mailliet, Detlef Stüber,    Oktoberdruck AG, Berlin
Silke Tribukait, Verena Vad, Tobias Zollenkopf             Gedruckt auf 100% Recyclingpapier                 Für eine Welt, die zusammenhält

2 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
EDITORIAL

Liebe Leserinnen und Leser,

Sie halten die Solidarische Welt Nummer 245 in der Hand. Es ist die letzte Ausgabe der Publikation,
wie Sie sie kennen. Denn als Quartalszeitschrift wird es die SW nicht mehr geben.
Stattdessen werden wir Ihnen künftig einmal im Jahr ein spannendes Schwerpunktheft zuschicken,
in dem wir einen Themenkomplex hintergründig und detailreich präsentieren. Außerdem erhalten
Sie einmal im Jahr einen Jahresbericht, der umfassender als bisher unsere geleistete inhaltliche Ar-
beit und die von uns geförderten Projekte vorstellt. Weitere Inhalte und Hintergrundbeiträge präsen-
tieren wir Ihnen außerdem ab sofort auf unserer Homepage.
Unser künftiges Spender*innenmagazin „Solidarische Welt“ wird Ihnen dreimal jährlich einen schnel-
len Überblick über wichtige Themen, neue Projekte und Spendenmöglichkeiten geben und Sie auf
Hintergrundartikel auf unserer Homepage verweisen. Die Spendenaufrufe wollen wir dafür reduzieren.
Insgesamt können wir so die Kosten für Spendenwerbung und Zeitschrift deutlich senken.
Auf Seite 12 dieser SW stellen wir Ihnen schon einmal in Umrissen unser Themenheft 2019 vor. Sein
Gegenstand ist Migration aus der Perspektive der Menschen des globalen Südens – mit Fokus auf
unsere Projektregionen. Zusammen mit unseren Partner*innen haben wir Rohstoff- und Staudamm-
projekte, Landgrabbing und die Folgen des Klimawandels als wesentliche Auslöser von Migration
identifiziert. Wir werden auch zeigen, dass die Menschen, die gehen bzw. an anderen Orten Arbeit
suchen müssen, die ohnehin benachteiligten und aus der Gesellschaft ausgegrenzten sind: Landlose
und Kleinstbäuer*innen, Indigene, Kastenlose. Über Fallgeschichten und Interviews werden wir die
Lage der betroffenen Menschen lebendig werden lassen.
Aus unserer Sicht hat jeder Mensch das Recht auf Migration. Und wir müssen nur zurückschauen,
um zu erkennen, dass Menschen in allen Epochen dieses Recht wahrgenommen haben. Dies hat
kürzlich die archäologische Ausstellung „Menschen in Bewegung“ in Berlin eindrucksvoll gezeigt.
Daher schließen wir uns auch nicht dem aktuellen „Fluchtursachen verhindern“-Diskurs an. Denn
bei diesem wird implizit das Recht von Menschen, ein besseres Leben zu suchen und in einem an-
deren Land zu finden, in Frage gestellt. Allerdings leisten wir mit unserer Projektarbeit sehr wohl
einen Beitrag dazu, dass Menschen in ihren Dörfern eine Perspektive finden und die Notwendigkeit,
zu gehen, entfällt. Insofern machen wir auf unsere Weise „Fluchtursachenbekämpfung“.

Isabel Armbrust, Kommunikationsteam der ASW

                   Engagieren Sie sich mit uns!
                   Wünschen Sie sich Spenden statt Geschenke zu Ihrem nächsten Geburts- oder Hochzeits-
                   tag und nutzen Sie den Anlass, um Menschen in unseren Projektländern zu unterstützen.
                   Oder organisieren Sie gemeinsam mit uns eine Benefizaktion für unsere Partner*innen.
                   Für eine gemeinsame Aktion statten wir Sie mit Informationsmaterial, Spendenboxen,
                   Postern oder Flyern aus. In Kürze wird es sogar eine Roll-Up-Version unserer beliebten
                   Wanderausstellung „Gärten der Solidarität“ geben. Leihen Sie diese aus und zeigen Sie
                   anderen, wie ASW-Partnerinnen im Süden gemeinschaftlich ihre Situation verbessern.
                   Schauen Sie dafür einfach auf www.aswnet.de vorbei oder schreiben Sie an
                   spenden@aswnet.de

Helfen Sie uns Kosten sparen
Liebe Leser*innen, auch der Jahresbericht der ASW ist von der Ihnen im Editorial erklärten Konzeptänderung
bei der Solidarischen Welt betroffen. Er ist nicht mehr, wie bislang, identisch mit der SW-Septemberausgabe.
Dadurch werden sich die Versandkosten pro Stück erhöhen. Wir bitten Sie daher heute, sich zu überlegen, ob
Sie nicht künftig den Jahresbericht als PDF statt als gedruckte Broschüre beziehen möchten. Wenn ja, schrei-
ben Sie uns bitte eine E-Mail an redaktion@aswnet.de

                                                                     Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 3
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
SENEGAL

                                                                    Männer in einer senegalesischen Kleinstadt. In den großen
                                                                    Städten Dakar, Thiès und Touba hat Macky Sall gegenüber 2012
                                                                    viele Wählerstimmen eingebüßt.

Macky Sall wird ein zweites Mal Präsident
– Senegals Jugend ist enttäuscht
                        VON BOUBACAR DIOP

                        Am Sonntag, den 24. Februar 2019, wurde der seit           versorgung und die Arbeitslosigkeit vor allem unter
                        sieben Jahren amtierende Macky Sall erneut zum Prä-        jungen Menschen ist noch immer viel zu groß.
                        sidenten gewählt. Laut Wahlkommission erhielt er                Zwar hat Senegals Wirtschaftswachstum seit der
                        58,27 Prozent der Stimmen. Es folgen die Kandidaten        Wahl 2012 von 1,8 Prozent auf 6,2 im Jahr 2018 zuge-
                        Idrissa Seck (20,50 Prozent) und Ousmane Sonko             legt. Aber aus Sicht seiner Gegner favorisiert Macky
                        (15,67 Prozent) und zwei weitere abgeschlagen im           Sall mit seiner neoliberalen Politik große multinatio-
                        einstelligen Bereich. Erstmals in der jüngeren Geschich-   nale Konzerne und vernachlässigt kleine und mittlere
                        te waren die Sozialistische Partei des ehemaligen          Unternehmen des Landes. Ein weiterer Aspekt war die
                        Präsidenten Léopold Sédar Senghor und die Demo-            Unterzeichnung der Wirtschafts-Partnerschaftsabkom-
                        kratische Partei des ehemaligen Präsidenten Abdou-         men (EPAs, franz.: APE: Accord de partenariat écono-
                        laye Wade nicht dabei, weil gegen deren Kandidaten         mique) mit der Europäischen Union durch Präsident
                        Prozesse wegen Unterschlagung von Staatsgeldern            Macky Sall, die sein Vorgänger Abdoulaye Wade noch
                        laufen.                                                    abgelehnt hatte.
                              Als große Überraschung der Wahl gilt Ousmane              Hinzu kommt sein Nicht-Infragestellen der Zuge-
                        Sonko von der PASTEF (Patriotes du Sénégal pour le         hörigkeit Senegals zur CFA-Zone. Der Franc- CFA ist im
                        Travail, l’Ethique et la Fraternité ), der vor allem die   Senegal und 13 anderen afrikanischen Ländern noch
                        Stimmen junger Wähler*innen holte. Diese sind es           immer die Währung. Diese Position Macky Salls wird
                        auch, die mit dem Wahlergebnis am wenigsten zufrie-        vor allem von Senegals Zivilgesellschaft und insbeson-
                        den sein dürften. Denn Macky Sall, der 2012 als Hoff-      dere den jungen Menschen stark kritisiert, die volle
                        nungsträger vor allem der jungen Senegales*innen an-       Souveränität gegenüber der ehemaligen Kolonial-
                        trat, hat in seinen sieben Amtsjahren viele seiner An-     macht Frankreich fordern. Seit der Wahl Macky Salls
                        hänger*innen enttäuscht.                                   im Jahr 2012 hat sich die Präsenz großer französischer
                                                                                   Unternehmen wie Total, Eiffage, Thales, Orange, Bol-
                        Wie ist die wirtschaftliche Bilanz?                        loré in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft sogar
                                                                                   verstärkt. Das gilt auch für die großen Infrastrukturpro-
                        Die Lebensbedingungen der senegalesischen Bevöl-           jekte: Das neue 638 Milliarden-schwere Regionalex-
                        kerung haben sich unter der Präsidentschaft Salls          presszug-Projekt, das die neue Stadt Diamnadio mit
                        nicht wirklich verbessert. Die Mehrheit der Senega-        der 35 km entfernten Hauptstadt Dakar verbindet,
                        les*innen hat weiterhin keinen ausreichenden Zugang        wurde von den französischen Firmen Engie, Thales
                        zu Bildung, Ernährungssicherheit und Gesundheits-          und Eiffage realisiert.

4 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
SENEGAL

                           Rückbau der Demokratie?

                           2012 war Macky Sall auch im Hinblick auf eine gute Re-
                           gierungsführung ein Hoffnungsträger, nachdem sich
                           sein Vorgänger Abdoulaye Wade mit fragwürdigen Me-
                           thoden an die Macht geklammert hatte. Doch nach An-
                           gaben der senegalesischen Zivilgesellschaft hat der
                           Senegal gerade in diesem Bereich einen Rückschlag
                           erlebt. Das von der senegalesischen Verfassung garan-
                           tierte Recht auf Demonstration wird von den staatli-
                           chen Behörden nicht vollständig gewährleistet. Auch
                           gilt Salls Vorhaben, die Funktionsträger des ehemali-
                           gen Regimes zur Rechenschaft zu ziehen, als geschei-
                           tert. Nur eine Person wurde vor Gericht gestellt und in-
                           haftiert: der Sohn des ehemaligen Präsidenten Abdou-       Mitglieder einer selbstorganisierten Gesundheits-
                           laye Wade, Karim Wade. Darüber hinaus wird gegen           kasse bei unserer ehemaligen Partnerorganisation
                           ehemalige Minister wegen Misswirtschaft und Verun-         ENDA in einem Vorort von Senegals Hauptstadt
                           treuung öffentlicher Gelder ermittelt, aber bisher         Dakar
                           wurde keine Strafverfolgung eingeleitet.
                                                      Ebensowenig hat der 2012        Premierminister gab bereits fünf Stunden nach dem
                                                      gewählte Macky Sall das         Schließen der Wahllokale dem einzigen staatlichen
                                                      Versprechen, seine Familie      Fernsehsender RTS 1 eine Erklärung ab und behaup-
                                                      nicht in staatliche Ämter       tete, dass Macky Sall eine absolute Mehrheit von 57
                                                      oder Positionen in Staats-      Prozent der Stimmen erhalten habe. Damit verstieß er
                                                      betrieben zu holen, gehal-      gegen die Gesetze und Vorschriften des Landes, die
                                                      ten. 2017 ernannte er sei-      nur dem Wahlausschuss (Commission nationale de re-
                                                      nen Bruder Alioune Sall per     censement des votes) das Recht erteilen, die endgül-
                                                      Präsidialdekret zum Direk-      tigen Wahlergebnisse bekannt zu geben.
                                                      tor der Caisse de dépôt et
                                                      de consignation (staatlicher    Der Wahlausgang wird von den Oppositionsparteien
                                                      Rechnungshof). Darüber hi-      infrage gestellt. In einer Erklärung am Donnerstag, 28.
                                                      naus scheint sein Bruder in     Februar, teilten sie mit, dass sie die vom Wahlaus-
                                                      einen Skandal um die Ver-       schuss veröffentlichten Ergebnisse nicht anerkennen.
                                                      waltung der Erdölvorkom-        Auf ihr Recht, diese Ergebnisse vom Verfassungsrat
                                                      men verwickelt zu sein, der     überprüfen zu lassen, haben sie jedoch verzichtet,
                                                      kürzlich im Senegal aufge-      weil sie nicht mehr an die Unabhängigkeit der Justiz
                                                      deckt wurde.                    glauben. Die vier Kandidaten der Opposition weiger-
                                                                                      ten sich auch, dem neuen Präsidenten der Republik zu
                                                      …und wie fair waren die         gratulieren, wie es demokratische Gepflogenheit im
                                                      Wahlen?                         Senegal ist.
                                                                                           Den Senegales*innen stellt sich nun die Frage, ob
                                                       Die senegalesische Opposi-     Macky Sall und seine Regierung in den kommenden
                                                       tion und die Mehrheit der      auf fünf Jahre verkürzten Amtsjahren erfolgreich sein
Obwohl viele ländliche Regionen kaum von               senegalesischen Zivilgesell-   werden, das zu erreichen, was in sieben Jahren nicht
den großen Infrastrukturprojekten der vergan-          schaft werfen dem Noch-        gelungen ist. Die Liste der uneingelösten Versprechen
genen Jahre profitierten, konnte Macky Sall            Präsidenten vor, die Justiz    Macky Salls gerade im wirtschaftlichen und sozialen
dort die Wählerschaft mobilisieren. Foto: Frau         instrumentalisiert zu haben,   Bereich ist noch lang.
an einer Ölmühle                                       um ernsthafte Kandidaten
                                                       von den Präsidentschafts-
                           wahlen auszuschließen. Nachdem das Vertrauen zwi-
                           schen Regierung und Opposition bereits gestört war,
                           forderte diese, dass statt des Innenministers Ali Gouye
                           Ndiaye eine unabhängige Behörde die Wahlen organi-
                           sieren solle. Doch Macky Sall weigerte sich, dieser For-
                           derung nachzukommen.
                                Auch am Abend nach der ersten Runde der Wah-
                           len am 24. Februar hat sich die Regierungskoalition
                           Macky Salls nicht demokratiekonform verhalten. Ihr

                                                                                                   Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 5
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
WESTSAHARAKONFLIKT

Westsahara: Lösung für den letzten
Kolonialkonflikt Afrikas aus Berlin?
Interview mit Jatri Adouh, dem Leiter des sahrauischen Verhandlungsteams

                        ASW: Sie sind Leiter der sahrauischen Delegation im        Am 5. Dezember 2018 brachte Horst Köhler in Genf
                        aktuellen Verhandlungsprozess über die Westsahara          erstmals seit 6 Jahren Marokko und die POLISARIO an
                        unter der Regie von Horst Köhler. Wie kam es zu dem        einen Tisch. An diesem saßen außerdem die Nachbar-
                        neuen Prozess?                                             länder Algerien und Mauretanien. Marokko zu dieser
                                                                                   Teilnahme zu bewegen, war ein wichtiger Schritt. Ich
                        Jatri Adouh: Seit 2012 waren die Verhandlungen in-         würde sogar sagen: Damit war das Eis gebrochen. Ei-
                        folge der Blockadehaltung Marokkos unterbrochen.           nen zweiten Runden Tisch wird es nun Ende März ge-
                        Und es war nicht so, dass eine Lösung einfach nur ver-     ben.
                        schoben wurde. Das Problem ist, dass die Ressourcen
                                                                                   Auch im Vorfeld gab es weitere positive Signale. Dass
                                                                                   nämlich der UN-Sicherheitsrat beschlossen hat, das
                                                                                   Mandat der MINURSO (UN-Mission für ein Referendum
                                                                                   in der Westsahara) nur noch für jeweils 6 Monate zu
                                                                                   verlängern. Bislang waren es 12 Monate und es wurde
                                                                                   nie geschaut, was die MINURSO konkret tut. Hinter-
                                                                                   grund ist, dass der Sicherheitsberater der USA John
                                                                                   Bolton erklärt hatte, keine nutzlosen UN-Missionen
                                                                                   mehr finanzieren zu wollen.
                                                                                        Im UN-Sicherheitsrat spielen darüber hinaus auch
                                                                                   Russland, Großbritannien und alle nicht-ständigen
                                                                                   Mitglieder eine sehr positive Rolle. Auch die Afrikani-
                                                                                   sche Union (AU) setzt sich aktuell für einen Frieden
                                                                                   ein.

                                                                                   Es ist jetzt also alles auf einem guten Weg?
                        Mitte: Jatri Adouh, sahrauischer Parlaments-               Leider kommen von der EU negative Signale. Die EU
                        präsident und Leiter des sahrauischen Teams                hat kürzlich ein Handelsabkommen und gleich darauf
                        im aktuellen Verhandlungsprozess über die                  ein Fischereiabkommen mit Marokko neu ausgehan-
                        Westsahara unter der Regie von Horst Köhler.               delt und vom EU-Parlament absegnen lassen und da-
                        Links: Aliyen Kentaoui, Vertreter der POLISARIO            mit gegen zwei aktuelle Urteile des Europäischen Ge-
                        in Deutschland. Rechts: Nadjat Hamdi, ehema-               richtshofes verstoßen. Die Rechtsprechung besagt,
                        lige Vertreterin der POLISARIO in Deutschland.             dass diese Handelsabkommen nicht in dem besetzten
                                                                                   Gebiet angewandt werden dürfen.
                        der Westsahara immer weiter ausgebeutet werden und
                        dass die Menschen einer schlimmen Repression aus-          Diese Haltung der EU ist ein echtes Hindernis, das
                        gesetzt sind.                                              dem von Horst Köhler in Gang gebrachten Prozess im
                             Für die internationale Gemeinschaft war irgend-       Wege steht. Besonders Spanien und Frankreich sind
                        wann offensichtlich, dass dieser Status quo nicht fort-    in der EU die Treiber für diese Haltung. Und Frank-
                        dauern kann. Denn der ungelöste Konflikt könnte auch       reichs besondere Freundschaft mit Marokko befeuerte
                        zu einer Gefahr für die Stabilität in der Region werden.   bislang den Widerstand des Maghrebstaates gegen
                        Man denke an die Nähe zu den Krisengebieten wie            eine Lösung der Westsaharafrage.
                        zum Beispiel Mali. Diese Situation hat letztlich Horst
                        Köhler dazu veranlasst, zum jetzigen Zeitpunkt aktiv       Heute präsentiert sich Marokko gegenüber Europa als
                        nach einer Lösung zu suchen.                               Garant für Sicherheit in der Maghreb-Region und als
                                                                                   Barriere gegen Flüchtlingsströme. Aber über die Situa-
                        Gibt es schon Erfolge zu berichten?                        tion in Marokko selbst wird nicht gesprochen. 2018 er-

6 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
WESTSAHARAKONFLIKT

lebten wir die größte Auswanderungswelle von Marok-       heute verhindert. Es wird aber auch Europa sein, das
kanern nach Europa – das ist ein Indiz dafür, dass es     aufgrund der räumlichen Nähe eine Destabilisierung
in Marokko für viele Menschen keine Perspektive gibt.     der Region am ehesten zu spüren bekommt. Es ist für
Aus meiner Sicht ist der einzige Weg, der zu Stabilität   die Europäer höchste Zeit, das einzusehen.
in der Region führen wird, eine gute Kooperation aller
Maghrebstaaten vor allem im Bereich der Wirtschaft.       Wir von unserer Seite werden jede Lösung des Konflik-
Nur so werden sich auch Fluchtbewegungen verhin-          tes akzeptieren, eine vollständige Integration unseres
dern lassen.                                              Territoriums in den marokkanischen Staat genauso
                                                          wie eine Teilautonomie oder die vollständige Unab-
Was erzählen Sie Ihrer Bevölkerung und besonders          hängigkeit der Westsahara. Wir wollen nur, dass unser
der Jugend in dieser Situation?                           Volk über diese möglichen Optionen abstimmen darf.
                                                          Es muss endlich dieses Referendum geben, das schon
Das ist schwierig. Die POLISARIO arbeitet seit über 25    1992 stattfinden sollte und zu dessen Durchführung
Jahren hart an einer diplomatischen Lösung. Wir muss-     1991 die MINURSO geschaffen wurde. Das Problem
ten unsere Bevölkerung und vor allem die Jugend im-       war bislang immer, dass Marokko jeden Schritt der
mer wieder ermutigen, durchzuhalten und darauf zu         UNO blockiert hat und der UN-Sicherheitsrat tatenlos
vertrauen, dass nur eine friedliche Lösung eine wirkli-   geblieben ist.
che Lösung ist.                                                Wir hoffen nun, dass der neue Anlauf, den Horst
     Immerhin ist es aus meiner Sicht ein enormer Er-     Köhler gestartet hat, zu einer gerechten Lösung führt.
folg, dass der Waffenstillstand von 1991 von unserer      Das wäre aus unserer Sicht eine runde Sache, wenn
Seite nie gebrochen wurde. Wie überall gilt aber auch     der Kolonialkonflikt, dessen Grundlage mit der Berli-
bei uns: Je länger eine Lösung auf sich warten lässt,     ner Kolonialkonferenz von 1884 geschaffen wurde,
desto größer wird die Gefahr einer Destabilisierung.      auch auf Initiative von Berlin gelöst werden könnte.

Welche Kräfte werden am Ende stärker sein: die den        Interview: Isabel Armbrust und Franziska Kohlhoff
Frieden wollen oder die Blockierer?

Seit April 2018 gab es wie gesagt die Signale der USA
und des Sicherheitsrates. Wir hoffen nun, dass sich
auch Frankreich bewegt.
     Es war Europa und konkret Spanien, das den ko-
lonialen Konflikt verursacht hat. Danach war es wie-
derum Europa, das eine Lösung des Konfliktes bis

  Westsahara – Der letzte ungelöste Kolonialkonflikt in Afrika
  Seit der Ernennung von Horst Köhler zum Sonderge-       über ihre Zukunft abstimmen zu lassen. Die eigens
  sandten des UN-Generalsekretärs für die Westsa-         für die Durchführung eines solchen Referendums
  hara wird wieder über die Zukunft der von Marokko       geschaffene UN-Mission für ein Referendum in der
  besetzten Westsahara verhandelt. Marokko be-            Westsahara, MINURSO, scheiterte bislang am Wi-
  herrscht das Gebiet südlich seiner Staatsgrenze seit    derstand Marokkos. Auch die von der POLISARIO ge-
  dem Rückzug der Kolonialmacht Spanien – seine           forderte Erweiterung des Mandats der MINURSO um
  Militärmacht machte 1975 Hunderttausende von            ein Menschenrechtsmandat scheiterte bislang.
  Sahrauis zu Flüchtlingen. Bis heute leben sie und
  ihre Nachfahren in Flüchtlingscamps nahe dem al-        Die Westsahara verfügt über mineralische Rohstoffe
  gerischen Tindouf.                                      und reiche Fischvorkommen. Mit europäischer Un-
                                                          terstützung beutet Marokko diese bis heute aus,
  Die 1973 gegründete sahrauische Befreiungsbewe-         ohne die Sahrauis – wie es das Völkerrecht vorsieht
  gung POLISARIO kämpfte bis 1991 mit militärischen       – an den Erlösen zu beteiligen.
  Mitteln gegen Marokko. Seit dem 1991 von der UNO
  ausgehandelten Waffenstillstand kämpft sie auf di-      In den Flüchtlingslagern der Sahrauis in Algerien un-
  plomatischem Weg und fordert, die Bevölkerung           terstützt die ASW ein Gartenprojekt.

                                                                       Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 7
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
INDIEN

Indiens Bundesstaat
Andhra Pradesh wird pestizidfrei
Eine aktuelle Studie warnt vor Datenklau
                          VON ISABEL ARMBRUST

                          Bis 2024 soll Andhra Pradesh mit seinen 50 Millionen      wirtschaft ohne chemische Dünger und Pestizide in
                          Einwohner*innen zu einer komplett pestizidfreien          dem geplanten Ausmaß funktioniert, wäre das Pro-
                          Zone werden. Die Regierung des südindischen Bun-          gramm eine Blaupause für ganz Indien und sogar die
                          desstaates will bis dahin alle sechs Millionen            ganze Welt. Bäuer*innen entkämen der Verschuldung
                          Bäuer*innen zum natürlichen Landbau geführt haben.        und würden eine Umwelt hinterlassen, in der auch
                                                                                    künftige Generationen noch existieren können.
                                                                                         Allerdings sehen viele Vertreter*innen der Zivilge-
                                                                                    sellschaft in Indien das Programm auch kritisch. Nicht
                                                                                    nur die Umweltaktivistin Vandana Shiva fürchtet, dass
                                                                                    einige Agrarmultis und z.B. die Bill & Melinda Gates
                                                                                    Stiftung versuchen werden, einen Fuß in die Tür von
                                                                                    „Zero Budget Natural Farming“, ZBNF, zu bekommen.
                                                                                    Die Environment Support Group in Bangalore analy-
                                                                                    siert in einer aktuellen Studie 3) die Schwachstellen
                                                                                    des Programms genauer, benennt Ungereimtheiten
                                                                                    und leitet daraus konkrete Forderungen ab.
                                                                                         Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über
                                                                                    die aus unserer Sicht interessantesten Ergebnisse. Im
                                                                                    Anschluss daran lassen wir unseren Partner Dr. GV
                                                                                    Ramanjaneyulu zu Wort kommen. Er hat uns einige An-
                                                                                    merkungen zur Studie der Environment Support Group
                                                                                    übermittelt.

                                                                                    Andhra Pradeshs „Zero Budget Natural
                                                                                    Farming“-Programm unter der Lupe

         In der kleinbäuerlichen Landwirtschaft Andhra Pradeshs                     „Wenn Dinge zu gut erscheinen, um wahr sein zu kön-
         spielen Frauen eine zentrale Rolle. Sie werden von dem Öko-                nen, sind sie meistens tatsächlich zu gut, um wahr zu
         landbauprogramm profitieren.                                               sein.“ Leo Saldanha bekennt sich zu einer skeptischen
                                                                                    Haltung – und hält Andhra Pradeshs Programm doch
                                                                                    für zu gut und zu wichtig, um es nicht kritisch zu be-
                          Ein Öko-Programm von einem solchen Ausmaß gab es          gleiten. Nur durch eine Aufdeckung von Ungereimthei-
                          bislang nirgendwo auf der Welt. Entsprechend groß         ten und durch eine transparente Kommunikation der
                          ist das Echo – auch in Deutschlands Nichtregierungs-      Finanzierung kann eine Verwässerung des konsequent
                          organisationen wird über das Modell Andhra Pradesh        ökologischen Ansatzes verhindert werden. „Bei einem
                          debattiert.                                               Programm, bei dem es ausdrücklich um eine Minimie-
                                                                                    rung der Investitionskosten geht (“Zero Budget” Natu-
                          Unser Partner Dr. G V Ramanjaneyulu, den einige un-       ral Farming), muss gut und nachvollziehbar begründet
                          serer Leser*innen im November 2018 während einer          werden, warum Milliarden von Rupien zu seiner Reali-
                          Vortragsreise treffen konnten, steht mit seinem „Cen-     sierung notwendig sind“, so Saldanha.
                          tre for Sustainable Agriculture“ Bäuer*innen seit 20
                          Jahren erfolgreich beim pestizidfreien Landbau 1) bei,    Parallelstrukturen zu Gemeinderegierungen,
                          teils in Kooperation mit der Regierung. In dem südin-     Digitalisierungsvisionen und große Geldgeber
                          dischen Bundesstaat konnte so der Pestizideinsatz
                          bereits um 50 Prozent reduziert werden.                   Zur Umsetzung des „Zero Budget Natural Farming“-
                               Auch in das neue Programm der Regierung von          Programms hat die Regierung Andhra Pradeshs die
                          Andhra Pradesh, das dem Ansatz von „Zero Budget           „Farmers Empowerment Corporation“ RySS ins Leben
                          Natural Farming“ 2) , also Landbau ohne externe In-       gerufen. Sie soll alles von Schulung, Beratung, Orga-
                          puts, folgt, ist unsere Partnerorganisation involviert.   nisierung bis zu Vermittlung von Krediten an Farmer
                          Denn wenn der Übergang zu einer ökologischen Land-        leisten. Ihr Vorsitzender ist Ministerpräsident Chandra-

8 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
INDIEN

babu Naidu persönlich, der Vize ist der Landwirt-
schaftsminister Andhra Pradeshs und an seiner Seite
steht als Ko-Vizevorsitzender der Agrarexperte und
ehemalige hohe Beamte T Vijay Kumar.

Dass das „Zero Budget Natural Farming“-Programm
eine Herzensangelegenheit des Ministerpräsidenten
des Bundesstaates ist, kann von Vorteil, aber auch ein
Nachteil sein. Saldanha sieht vor allem die Nachteile.
Mit RySS hat die Regierung eine Parallelstruktur zu Or-
ganen der Lokalverwaltung (Panchayat Raj) geschaf-
fen, denen laut indischer Verfassung eigentlich die
landwirtschaftsbezogenen Aufgaben, inklusive der
Agrarberatung obliegen.

Weiter ist für Saldanha problematisch, dass Chandra-
babu Naidu sich für High-Tech-Lösungen begeistert
und die Nähe großer Geldgeber sucht. Im September
2018 reiste er anlässlich der UN-Vollversammlung
nach New York, um dort seine Idee eines pestizidfreien
und zugleich durchdigitalisierten Andhra Pradeshs mit
anderen zu teilen.
     Zuvor, im Juni 2018, hatte die Umweltorganisation
                                                           Herstellung einer Viruslösung, die sehr spezifisch
der Vereinten Nationen, UNEP, bekanntgegeben, das
                                                           gegen schädliche Raupen wirkt. Auch in Deutsch-
„Zero Budget Natural Farming“-Programm in Andhra
                                                           land wird im Bioanbau gegen den Apfelwickler ein
Pradesh zu unterstützen. Dazu wurde ein Finanzie-
                                                           Virus eingesetzt.
rungsarrangement mit der französischen Großbank
„BNP Paribas“ und dem „World Agroforestry Centre“,
ICRAF, getroffen und zur Umsetzung die „Sustainable        Bill Gates – ein gern gesehener Gast?
India Finance Facility“, SIFF, eingesetzt. Diese Finan-
zierungsstruktur wiederum soll weitere Geldgeber an-       Zwei Monate zuvor, im November 2017 richtete Chan-
werben.                                                    drababu Naidu zusammen u.a. mit der Vereinigung der
     Saldanha stört sich an dreierlei. Erstens outet       Indischen Industrie und mit der Bill & Melinda Gates-
sich der Chef des UNEP, Erik Solheim, der Chandra-         Stiftung einen AgTech Summit 2017 in Vishakapatnam
babu Naidu im September 2018 nach New York geholt          aus. Drei Tage lang wurde in der Großstadt Andhra Pra-
hatte, in seinem Einladungsschreiben als Freund einer      deshs über innovative Ideen, Techniken und Praxisbei-
Kommodifizierung und Finanzialisierung der Landwirt-       spiele aus den Bereichen Ernährung und Landwirt-
schaft. Das Prinzip von „Zero Budget Natural Farming“      schaft debattiert.
scheint er damit zu verfehlen. Zweitens wirft die finan-        Bill Gates hielt eine Rede und bezog sich dabei
zielle Beteiligung der BNP Paribas, einer der größten      auch auf einen Saatgut-Park, der in Andhra Pradeshs
Banken Europas, ethische Fragen auf. BNP Paribas ist       Stadt Guntur in Kooperation mit der Universität von
nämlich gleichzeitig in sozial und ökologisch zerstö-      IOWA entstehen soll. Bekanntermaßen ist Gates auch
rerische Projekte involviert und hat dafür 2015 auch       ein Befürworter der Gentechnik und tut alles, um dem
die Negativauszeichnung Pinocchio-Award erhalten.          neuen gentechnischen Verfahren CRISPR den Weg zu
Drittens hüllen sich die Vertreter von SIFF, die Gelder    bahnen.
auch der BNP Paribas umsetzen, gegenüber Journa-                Wenig überraschend war daher, dass er auf dem
list*innen in Schweigen. Saldanha wirft SIFF vor, an ei-   Gipfel in Vishakapatnam sagte, moderne Pflanzen-
nem Greenwashing von Paribas mitzuwirken.                  züchtungstechniken inklusive DNA-Analyse könnten
                                                           die jährlichen Erträge der Bäuer*innen verdoppeln
Das Einwerben von Geld obliegt aber nicht nur der          oder sogar verdreifachen und widerstandsfähigere
SIFF. Auch Chandrababu Naidu nutzt Gelegenheiten,          Sorten schaffen.
um weitere Unterstützung für sein Programm zu fin-
den. Auf Youtube kann ein Video geschaut werden,           Rote Karte gegen Gentech und Datenklau
das den Ministerpräsidenten Andhra Pradeshs im Ja-         notwendig
nuar 2018 bei einer Powerpointpräsentation auf dem
Weltwirtschaftsforum in Davos zeigt:                       Warum trifft sich Andhra Pradeshs Regierungschef mit
(youtube.com/watch?v=SOShDrI0dmQ&feature=yout              Gentechnikbefürwortern wie Bill Gates, wenn doch in
u.be).                                                     seinem ambitionierten Zero Budget Natural Farming-

                                                                        Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 9
SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
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                                                                                    in einem Interview, auf das sich Saldanha bezieht, die
                                                                                    Gates-Stiftung habe dem Forschungskonsortium Digi-
                                                                                    tal Green ein Darlehen gewährt. Und dieses entwickele
                                                                                    zusammen mit der Regierung von Andhra Pradesh ein
                                                                                    digitales Agrarberatungssystem. Es soll vor allem um
                                                                                    Videos gehen, die dann zum Training der Bauern in
                                                                                    ZBNF eingesetzt werden.

                                                                                    Wir wünschen uns sehr, dass Ramanjaneyulu mit sei-
                                                                                    nem Optimismus dem zukunftsweisenden Experiment
                                                                                    in Südindien eher gerecht wird als Leo Saldanha, des-
                                                                                    sen skeptischen Überlegungen wir hier Raum gegeben
                                                                                    haben. Wir hoffen auch, dass Ramanjaneyulu gegen-
                                                                                    über dem Autor in einem weiteren Punkt recht behält.
                                                                                    Für den ist es kein gutes Zeichen, dass die Regierung
                                                                                    Andhra Pradeshs sich plötzlich vom erfolgreich prak-
  Die Environment Support Group fordert:
                                                                                    tizierten Modell „Community Managed Sustainable
  Die Zivilgesellschaft muss das Programm kritisch begleiten können – dazu
                                                                                    Agriculture“ (CMSA) 5) verabschiedet hat, um aus-
  braucht es mehr Transparenz seitens der Ausführenden, vor allem bei der
                                                                                    schließlich auf das Modell „Zero Budget Natural Far-
  Finanzierung. Die zur Wirkungskontrolle des Programms geplanten Studien
                                                                                    ming“ zu setzen. Diese Irritation teilt Ramanjaneyulu
  sollten mit Biodiversitäts-Schutzgesetzen abgestimmt werden. Sonst be-
                                                                                    nicht. „Ich bin optimistisch, dass das Programm
  steht die Gefahr, dass Agrarmultis Zugriff auf Wissen zu traditionellen
                                                                                    schließlich über ZBNF hinauswächst. Erst einmal muss
  Pflanzensorten erhalten.
                                                                                    ein organisierter Wandel in solchem Ausmaß geplant
                                                                                    und angestoßen werden. Mit dem neuen Wissen, das
                          Programm die Gentechnik keinen Platz hat? Saldanha        in seinem Verlauf generiert wird, werden auch die Un-
                          benennt hier eine weitere Ungereimtheit. Und diese        terschiede zwischen den verschiedenen Modellen der
                          erklärt auch seine Sorge bezüglich der Gefahr des Da-     Öko-Landwirtschaft verschwinden“.
                          tenklaus. Denn die Regierung will auch Wirkungsstu-
                          dien zu ZBNF anfertigen lassen, die nicht nur Daten zur
                          Bodengesundheit und zur Wasserqualität, sondern           Anmerkungen:
                          auch sensible Daten über die lokale Biodiversität zu-
                          sammentragen werden.                                      1) Umgesetzt wurden Programme ohne chemischen Dünger
                                                                                    und Pestizide, die dem Ansatz der Community Managed Sus-
                               Sind allerdings solche Informationen einmal
                                                                                    tainable Agriculture (CMSA) folgten.
                          preisgegeben, können sie nur mühsam wieder einge-
                                                                                    2) Die regierungsamtliche Version des von Subash Palekar
                          klagt werden, wie das Beispiel des 11-jährigen Prozes-    entwickelten „Zero Budget Natural Farming“ hat noch den Zu-
                          ses um den Neembaum 4) zeigt. Vorkehrungen gegen          satz „climate resilient, daher das Kürzel CRZBNF“. ZBNF um-
                          ein Abgreifen von Daten scheinen aber im Falle des        schreibt eine Öko-Landwirtschaft, die ohne externe Inputs
                          ZBNF-Programms nicht getroffen worden zu sein, so         funktioniert, also ohne Dünger und Pestizide. Alle Inputs, die
                          Saldanha.                                                 benötig werden um Pflanzen und Saatgut zu schützen, sind
                                                                                    in Form von Kuhdung und Kuhurin lokal verfügbar. Allerdings
                          Bleibt Anlass zu Optimismus?                              hat sich Subash Palekar inzwischen von dem CRZBNF-Ansatz
                                                                                    der Regierung distanziert.
                          Der Autor schließt mit dem Appell, dass die Chance,       3) Environment Support Group : A Review of Andhra Pra-
                                                                                    desh’s Climate Resilient Zero Budget Natural Farming Pro-
                          die dieses beispiellose Projekt für das Wohl der Klein-
                                                                                    gramme, Oktober 2018. Autor: Leo Saldanha
                          bäuer*innen, für die Ökologie und für nachfolgende
                                                                                    4) Vandana Shiva hatte einen langjährigen Prozess gegen
                          Generationen birgt, nicht vertan werden darf.             eine US-Firma geführt und gewonnen, die sich die Gene des
                               Hier trifft er sich mit der Sicht unseres Partners   als Biopestizid wirksamen Neembaumes patentieren lassen
                          Ramanjaneyulu vom CSA, der ebenfalls die Meinung          wollte. Das Wissen um die Eigenschaften des Neems hatte
                          vertritt, dass das Programm von der Zivilgesellschaft     das Unternehmen traditionellen Nutzer*innen „geraubt“, da-
                          kritisch begleitet werden muss. Allerdings sieht Ram-     her wurde hier von Biopiraterie gesprochen.
                          anjaneyulu bislang keine Indizien für eine direkte Be-    5) Siehe Anmerkung 1)
                          teiligung großer Akteure: „Weder die Bill & Melinda
                          Gates-Stiftung noch ein Agrarunternehmen sind bisher
                          in ZBNF involviert“.
                               Ein indirektes Mitmischen der Bill & Melinda
                          Gates-Stiftung bei „Zero Budget Natural Farming“ legt
                          aber eine Aussage des Vize der „Farmers Empower-
                          ment Corporation“ RySS, T Vijay Kumar, nahe. Der sagt

10 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
PROJEKTINFO BRASILIEN

Die urbanen Gärten der Frauen aus Belém
Agrarökologie und Feminismus zusammengebracht

                    „U
                                  nsere ganze Organisation ist wieder aufgelebt“
                                  erklärt Solange Aparecida de Oliveira. Beim letz-
                                  ten ASW-Besuch bei der Frauengruppe GMB
                            (Grupo de Mulheres Brasilieiras) war das Dach des
                            Hauses im Stadtviertel Benguí in der Amazonasmetro-
                            pole Belém gerade erfolgreich repariert. Und die
                            Wände erstrahlten in frischer Farbe. Von da an konnte
                            auch die Produktionsgruppe der Frauen im Haus der
                            Organisation GMB die Herstellung z.B. von Fairtrade-
                            Kunsthandwerk wieder aufnehmen. „Endlich arbeiten
                            wir wieder gemeinsam statt jede zuhause“, ergänzt
                            Domingas de Paula Martins Caldas. „Mit dem neuen
                            integrierten Laden zur Straßenseite können wir sogar
                            unsere Produkte zeigen“.
                                 Aber es sind nicht nur die 11 Frauen der Produkti-
                            onsgruppe, die wieder mit frischem Mut in die Zukunft
                            sehen. Für alle Frauen von der GMB, der das Haus ge-
                            hört, und die befürchtet hatten, dieses verkaufen zu
                            müssen, ist ein Traum in Erfüllung gegangen.
                                 GMB ist die älteste und noch immer eine der wich-
                            tigsten Frauenorganisationen in Belém. GMB hat sich
Bitte spenden Sie, damit    1986 mit dem Ende der Diktatur gegründet und fordert
GMB ihre Idee weiterhin     seitdem Bürgerrechte und Gleichberechtigung ein.
erfolgreich umsetzen        Themen wie Gewalt gegen Frauen, sexuelle Identität
kann.                       und Einkommensschaffung stehen im Vordergrund.
Kennwort:                                                                             Die GMB-Frauen stehen aktiv für Frauenrechte ein,
                            Belém liegt im Mündungsgebiet des Amazonas und
Frauen Brasilien                                                                      wie hier bei einer Kundgebung zum 8. März
                            wird von 1,4 Millionen Menschen bewohnt. Wie in al-
Kennnummer: 6002            len Großstädten sind auch hier noch ein paar freie Flä-
Bank für Sozialwirtschaft   chen vorhanden. Und hier können Gemeinschaftsgär-         auf dem 13 mal 63 Meter großen Gelände gezogenen
IBAN DE69                   ten entstehen, wie sie die Frauen der GMB gemäß ih-       Heilkräuter gesprochen.
1002 0500 0001 2507 00      res Konzeptes „Agrarökologie in der Stadt säen” der-           Ganz besonders stolz sind die Frauen auf einen
BIC/SWIFT:                  zeit aufbauen. Dabei stehen die Solidarität der Frauen    selbst organisierten Erfahrungsaustausch mit einer
BFSWDE33BER                 untereinander und deren Autonomie immer im Vorder-        Frauengruppe in einer Landlosensiedlung im 72 km
www.aswnet.de               grund.                                                    entfernten Mosqueiro. 27 Frauen konnten daran teil-
                                 In den Workshops geht es daher den Frauen nicht      nehmen. Auf den Parzellen konnten die Teilnehmerin-
                            nur um Agrarökologie und bessere Selbstversorgung.        nen ihr Wissen zu Agrarökologie und ihre Emanzipati-
                            „Um das deutlich zu machen haben wir auch die Titel       onserfahrungen austauschen. „Ich habe viel bei dem
                            der Kurse geändert: Aus ‚Urbanes Gärtnern‘ wurde nun      Ausflug gelernt. Ich weiß jetzt, wie sehr die Frauen in-
                            ‚Agrarökologie und Feminismus‘ “, erklärt uns Solange.    nerhalb der Landlosenbewegung um ihre Selbständig-
                                 Bei den Teilnehmerinnen kommen diese umfas-          keit kämpfen mussten und wie sehr sie der organische
                            senderen Workshops gut an – verbinden sie doch die        Anbau in eigener Regie dabei unterstützt hat. Auch wir
                            Vermittlung von Wissen zum Umgang mit Pflanzen mit        hier in der Stadt werden durch unsere Gartenprojekte
                            der Möglichkeit, sich über Probleme auszutauschen         stärker“, ist Edileusa Pena überzeugt.
                            und sich gegenseitig zu stärken. Denn Probleme und             Diese Erfolge möchte GMB nun mit ASW- Unter-
                            Belastungen für die Frauen gibt es genug in den ge-       stützung weiter ausbauen und verbreiten. „Schließlich
                            walttätigen Stadtrandsiedlungen. Sie reichen von Ar-      gibt es so viele versteckte Orte für Agrarökologie auch
                            mut, häuslicher Gewalt bis zum Verlust von Kindern        in der Stadt“, sagt Solange. Ein weiterer Erfahrungs-
                            und Angehörigen durch Morde.                              austausch mit der Gemeinde Pirocaba und den kämp-
                                 Außerdem finden auch Themen wie Frauenheil-          ferischen Frauen der ASW-Partnerorganisation FASE ist
                            kunde Platz und dazu wird auch über die Wirkung der       auch schon fest eingeplant.

                                                                                                  Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 11
IN EIGENER SACHE

Neues Thema, neues Themenheft:
Migration aus der Südperspektive

                          „Hinter die Grenzen geschaut“ lautet der Arbeitstitel,    ßen“, weil die Männer für Saisonarbeit oder längerfris-
                          der uns aktuell bei der Konzipierung eines Themen-        tig migriert sind. Und wenn Frauen selbst migrieren,
                          heftes zu Migration leitet. Es wird im Dezember 2019      wo landen sie? Viele vermutlich als Hausangestellte
                          anstelle der Solidarischen Welt (siehe Editorial) er-     der städtischen Mittelschicht. Es gibt derzeit noch we-
                          scheinen. Um Ihre Vorfreude zu wecken, wollen wir Ih-     nige verlässliche Zahlen dazu, aber es gibt Indizien,
                          nen vorab die wichtigsten Themenkomplexe präsen-          dass auch im globalen Süden der Anteil der Migran-
                          tieren.                                                   tinnen in der Gruppe der formell oder informell als
                                                                                    Hausangestellte beschäftigten Frauen steigt.
                                                       Was veranlasst Men-               „Weltweit“, so sagt zum Beispiel Karin Pape von
                                                       schen zur Migration? Für     der Internationalen Föderation der Hausangestellten
                                                       ländliche Gebiete geben      (IDWF) „sind 20 Prozent aller Hausangestellten Mi-
                                                       Analysen aus dem Um-         grantinnen, allerdings sehr ungleich verteilt. In Län-
                                                       feld unserer Partner eine    dern mit hohem Einkommen sind es gemäß Angaben
                                                       Antwort, die zeigen, wie     der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bis zu 80
                                                       Menschen durch Roh-          Prozent. Generell ist es schwierig die Anzahl von Haus-
                                                       stoff- und Staudammpro-      angestellten zu erfassen, da die meisten informell ar-
                                                       jekte, Landgrabbing und      beiten.“
                                                       die Folgen des Klimawan-          Und wie geht es den Betroffenen, die migrieren?
                                                       dels ihrer Existenzgrund-    Die Südperspektive einnehmen heißt für uns auch,
                                                       lage beraubt werden. Ge-     ihre Motivationslage zu erforschen. Über Interviews
                                                       rade in Westafrika, wo       wollen wir uns den Zugang erschließen und die
                                                       fast zwei Drittel der Men-   Chance nutzen, auch einmal gegen den Strich zu fra-
                                                       schen von der Landwirt-      gen: Bietet die Abwanderung vor allem jungen Men-
                                                       schaft abhängen, sind        schen und Frauen auch die Chance, aus überkomme-
                                                       Dürren und unkalkulier-      nen Rollen auszubrechen und neue Identitäten zu er-
                          bare Regenfälle als Folgen des Klimawandels ein ganz      proben? Sind die Migrierenden also nicht nur Opfer,
                          wesentlicher Treiber der Migration. Dies gilt auch für    sondern auch Subjekte einer eigenen Lebensgestal-
                          Menschen des ländlichen Indiens. Zudem werden             tung?
                          dort, wie auch in Brasilien, immer mehr Menschen
                          durch Rohstoffabbau und Staudammprojekte aus ihrer        Wir vermuten allerdings, dass dieser Aspekt von Mi-
                          Lebensumgebung vertrieben.                                gration in keinem Verhältnis steht zu dem großen Leid,
                               Welches aber sind die Muster und Wege der Mi-        das gerade in den von Abwanderung betroffenen Re-
                          gration – im und aus dem Süden? Fest steht, dass die      gionen unserer Projektländer herrscht und das den Lu-
                          meisten Menschen nach Verlust ihrer Lebensgrund-          xus von Freiwilligkeit gar nicht zulässt. Die Migrieren-
                          lage auf dem Land vor allem Zuflucht in den Städten       den sind dort oft Menschen aus benachteiligten Ge-
                          oder in den Nachbarländern suchen. Eine Studie des        meinschaften von Landlosen, Indigenen oder Dalits.
                          französischen Instituts für Migration und demografi-      Für Indien geht man derzeit davon aus, dass bereits
                          sche Studien, INED, hat die Migrationsmuster aus Sub-     50 Prozent der indigenen Adivasi zwangsweise ihre
                          sahara-Afrika analysiert. Der Autor François Héran        angestammte Umgebung verlassen mussten.
                          kommt zu dem Ergebnis, dass von den Migrant*innen
                          aus diesen Ländern 70 Prozent in ein anderes subsa-       Ende 2019, sobald das Themenheft erschienen ist,
                          harisches Land gehen. Nur 15 Prozent gehen nach           dürfen Sie sich dann auf das nächste Highlight freuen:
                          Europa, die anderen 15 Prozent verteilen sich auf         Für April 2020 planen wir eine Tagung, bei der wir mit
                          Nordamerika und die Golfstaaten.                          Partner*innen, Fachleuten und Menschen aus der EZ
                                                                                    Mythen der Migration aufbrechen und Menschen des
                          Wie immer interessiert uns die Genderfrage. Wie sind      globalen Südens das Wort erteilen wollen.
                          Frauen von Migration betroffen – als aktive Migrantin-
                          nen und als Zurückgebliebene? Zum Beispiel müssen         Isabel Armbrust
                          in unseren Projektregionen in Afrika und Indien immer
                          mehr Bäuerinnen allein die Landwirtschaft „schmei-

12 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
UNSER STANDPUNKT

Nicht nur Menschen, auch Hoffnungen
sind in Simbabwe gestorben

       VON BOUBACAR DIOP

       Nach dem Staatsstreich Ende 2017, der 37 Jahre Dik-        nisationen unter Druck gesetzt wurde. Diese Einladung
       tatur von Präsident Robert Mugabe beendete, und            zum Dialog wurde vom Oppositionsführer Nelson Cha-
       trotz der umstrittenen Wahl von Präsident Emmerson         misa abgelehnt. Letzterer fordert die sofortige Been-
       Mnangagwa zum Präsidenten der Republik, keimte             digung von illegalen Inhaftierungen und die Über-
       bei den Menschen in Simbabwe etwas Hoffnung auf.           nahme der Verantwortung durch Polizei und Militärbe-
       Hoffnung auf eine Wende zu ei-
       ner demokratischeren Entwick-
       lung und zu einem wirtschaftli-
       chen Aufschwung des Landes.
       Die Simbabwer*innen hofften
       vor allem, dass die neue Regie-
       rung zumindest die Menschen-
       rechte achten würde.

       Mit den heftigen Repressionen
       während der Demonstration am
       15.01.2019, die sich u.a. gegen
       (150 Prozent) steigende Ben-
       zinpreise und eine katastro-
       phale wirtschaftliche Situation
       richtete, starb dieser Traum:
       Kugeln, die von Sicherheits-
       kräften auf die Zivilbevölke-
       rung gefeuert wurden, nahmen
       zwölf Menschen das Leben.
       Außerdem wurden Hunderte
       verletzt und nochmals Hunderte willkürlich verhaftet,      Wird der Karren wieder ins Rollen kommen? Die
       unter ihnen Persönlichkeiten wie Pastor Evan Mawa-         aktuellen Proteste wurden durch die starken Benzin-
       rire, Mitglieder der Oppositionspartei MDC (Bewegung       preiserhöhungen ausgelöst.
       für einen Demokratischen Wandel) und mehrere Ge-
       werkschaftsführer.
                                                                  hörden, die diese Menschenrechtsverletzungen be-
       Ist die Diktatur wieder da?                                gangen haben.
                                                                       Angesichts dieser Situation muss man feststellen,
       Simbabwe habe sich von einem Polizeistaat zu einem         dass das repressive System, das das Volk Simbabwes
       Militärstaat entwickelt, sagt Oppositionsführer Nelson     seit 37 Jahren kannte, noch lange nicht am Ende ist.
       Chamisa. Das blutige Eingreifen des Militärs bei den       Das System bleibt bestehen, und die Männer, die es
       Demonstrationen am 15. Januar ist tatsächlich einer        verkörpern sowie die politische Partei ZANU-PF haben
       Diktatur würdig. Es ist ein offensichtlicher Verstoß ge-   immer noch die Macht.
       gen die Verfassung des Landes, die den Einsatz von              Nach einer kurzen Entspannungsphase nach der
       Militär nur unter bestimmten Bedingungen vorsieht.         Regierungsübernahme durch Mnangagwa wird die öf-
       Neben diesen Menschenrechtsverletzungen und der            fentliche Äußerung von Kritik an der Regierung wieder
       Erniedrigung der Zivilbevölkerung durch Sicherheits-       als riskant eingestuft. Eine Projektpartnerin der ASW
       kräfte wurde auch der Zugang zum Internet blockiert.       zum Beispiel zog ihre Zusage zurück, für uns einen
       Auch nach den Demonstrationen wurden Oppositions-          Kommentar zur aktuellen Menschenrechtslage zu ver-
       führer- und Aktivist*innen der Zivilgesellschaft gezielt   fassen. Wir, die ASW finden diese Entwicklung höchst
       verhaftet.                                                 bedenklich.
            Präsident Mnangagwa ruft nun zu einem nationa-
       len Dialog auf, nachdem er von der internationalen Ge-
       meinschaft und internationalen Menschenrechtsorga-

                                                                              Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 13
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                          WELTNACHBAR
                          Alles, was wir tun hat
                          Ursache und Wirkung
                          Yoga für Weltnachbarschaft

             Sie spenden seit über 10 Jahren regelmäßig für die ASW.
             Warum?

             Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, wie ich damals
             auf die ASW kam. Es hat auf jeden Fall mit Indien zu tun,
             mit dem Einsatz der ASW für die Adivasi und andere Be-
             nachteiligte. Denn ich war selbst mehrmals dort. 10 Mal           Ralf Schütt betreibt in Peine das Yogazentrum JIVANA,
             allein in Pune bei B. K. S. Iyengar, bei dem ich gelernt          das an der Lehre von B. K. S. Iyengar ausgerichtet ist.
             habe und nach dessen Methode ich Yoga unterrichte.                Das Foto zeigt ihn bei der „Parivritta Janu Sirsanana“
                                                                               (gedrehte Knie zum Kopf)-Stellung.
             Anlässlich des 100. Geburtstages von Iyengar haben Sie
             Anfang 2019 einen größeren Betrag an die ASW überwie-
             sen. Wie kam der Betrag zusammen?                              Das Spenden hat bei mir Tradition. Ich will etwas geben.
                                                                            Ich habe bei meinen Aufenthalten in Indien viel Leid ge-
             Iyengar (1918 – 2014) wäre im Dezember 2018 100 Jahre          sehen. Krasse Gegensätze: Menschen in Slums und sol-
             geworden. Um dies zu feiern habe ich Anfang Januar eine        che, die ihren Reichtum nach außen tragen.
             Veranstaltung für meine Yoga-Kursteilnehmer*innen aus-              Wenn ich jemandem helfe, macht mir das Freude. Au-
             gerichtet. Es gab Essen, eine Vorführung eines Kathak-         ßerdem denke ich als Yogalehrer: Was ich im Leben gebe,
             Tanzes und einen Film über Iyengar. Bei diesem Anlass          kommt auch zurück. Alles was ich tue, hat eine Ursache
             habe ich eine Spendendose aufgestellt.                         und eine Wirkung.

             Warum fordern Sie Ihre Teilnehmer*innen zu Spenden für         Wir, die ASW danken Herrn Schütt im Namen unserer Part-
             die ASW auf? Sie könnten auch einen Unkostenbeitrag            ner*innen für seine Unterstützung benachteiligter Men-
             für Essen und Tanzvorführung erbitten?                         schen in Indien.

     Setzlinge tauschen und über Glyphosat sprechen
     Die Steinheimer Pflanzentauschbörse bringt Hobbygärtner*innen zusammen
     Nikolaus Schäfer, Mitinitiator der Pflanzentauschbörse, stellte     Wie wichtig ist denn die Wissensvermittlung auf der Börse?
     2018 dort die ASW-Gärten der Solidarität vor und spendete ei-
     nen Teil der Spendeneinnahmen für ASW Projekte.                     Die ist sehr zentral. In jedem Jahr steht die Tauschbörse unter
                                                                         einem Oberthema. 2014 war das Thema Glyphosat und wir ha-
     Sie organisieren einmal im Jahr in Steinheim an der Murr eine       ben zu diesem Herbizid sensibilisiert.
     Pflanzentauschbörse. Was ist die Idee?                                   Vor drei Jahren ging es um biologische Pflanzenschutzmit-
                                                                         tel und wir gaben Anleitungen, wie man Brennnesseljauche,
     Es geht u.a. darum, Leute zusammenzubringen, die selber             Schachtelhalmtee oder einen Sud aus Zwiebel-und Knoblauch-
     Hobbygärtner sind oder sich für die Gärtnerei interessieren.        schalen selbst herstellen kann. Vor zwei Jahren war das Thema
     Menschen lernen an den Marktständen Pflanzensorten kennen,          der Muskateller-Salbei. Das ist eine alte Pflanze, die im 19 Jahr-
     die sie nicht kannten und noch nicht angebaut haben. Auch           hundert dazu verwendet wurde, Wein zu aromatisieren. Sie ist
     kann Überschuss abgegeben werden. Gemüsegärtner säen im             ein Insektenmagnet und lockt vor allem die Holzhummel an, die
     Frühjahr aus, wissen aber nicht, wieviele Samen aufgehen. Man       eine nützliche Pflanzenbestäuberin ist. Diese Informationen
     hat dann zuviele Pflanzen und kann diese abgeben oder tau-          habe ich an unserem Stand ausgelegt.
     schen sowie andere Gärtner*innen über die Eigenschaften die-             Und im aktuellen Jahr 2018 waren die ASW-Gärten der So-
     ser Pflanzen informieren.                                           lidarität im Fokus. Dazu habe ich die ASW-Faltblätter unter die

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         Was dem Ehepaar Neumann-Hönig
         seit 30 Jahren an der ASW gefällt
         „Die ASW ist mit unserer Ehe verbunden“, sagt Jürgen Hö-
         nig in unserem Gespräch. Denn vor 30 Jahren spendeten
         die Frischvermählten, Jürgen Hönig und Elke Neumann-                     Das Ehepaar Hönig spendete anlässlich des
         Hönig, erstmals einen größeren Betrag für die ASW. Auch                  30sten Hochzeitstages 200 Euro für das ASW-
         damals baten sie ihre zahlreichen Hochzeitsgäste um                      Gartenprojekt in Burkina Faso.
         Spenden statt Geschenke. „Wir hatten schon Vieles und
         brachten Vieles aus bis dahin zwei Wohnungen in den ge-         an, bevor es handelt. Und ist zu dem Schluss gekommen,
         meinsamen Haushalt ein. Wir wollten keine zehnte Blu-           dass es vor allem wichtig ist, Dinge in den eigenen Alltag
         menvase und kein drittes Bowle-Set. Aber noch wichtiger         einzubauen, die einen positiven Einfluss auf die interna-
         war, dass wir das Feiern mit anderen schon als großes Ge-       tionalen Wirkungszusammenhänge haben.
         schenk betrachteten. Materielle Geschenke sollten daher              „Solidarisch handeln kann ich leider nicht direkt vor
         anderen zugutekommen.“                                          Ort, also auf der Südhalbkugel, wo die Not am größten
              Den ersten Kontakt zur ASW hatte Elke Neumann-Hö-          ist“, sagt Herr Hönig. „Ich kann aber hier, zum Beispiel
         nig hergestellt. Sie war 1988 bereits Gemeindepfarrerin,        durch mein Konsumverhalten, darauf einwirken, dass sich
         in der Friedensbewegung aktiv und hatte von anderen             die Produktionsbedingungen bei Textilien oder der Her-
         Mitstreiterinnen von der ASW erfahren. Beiden Partnern          stellung von Nahrungsmitteln verbessern. Indem ich nur
         war bei den Hochzeitsvorbereitungen klar, dass die Geld-        bestimmte Dinge kaufe und andere nicht kaufe.“
         geschenke zur Hochzeit zum größten Teil an ASW-Projekte              An der ASW heute, also 30 Jahre nach der Erstbegeg-
         gehen sollten. In den Jahren danach blieben sie der ASW         nung, gefällt dem Ehepaar besonders, dass sie sich so
         treu.                                                           stark fokussiert: Auf wenige Länder und wenige Themen
              „Wir hatten einen Betrag festgelegt, den wir jährlich      und dabei vor allem auf die Frauenrechte; und dass sie
         spendeten. Immer wenn die Faltblätter der ASW auf Öko-          weiterhin kleine Projekte anschiebt, bei denen Menschen
         papier ins Haus trudelten, gefielen uns die kleinen Pro-        der Zielgruppe selbst zu Multiplikator*innen werden.
         jekte, die sich abhoben von dem, was wir von den großen              Und was möchte Herr Hönig anderen Menschen ra-
         Hilfswerken wie Brot oder Caritas kannten. Wir wollten          ten, die sich solidarisch engagieren möchten?
         möglichst nah dran sein an den Menschen.“Die Infoblät-               „Die ASW unterstützen heißt, anderen einen Weg in
         ter der ASW boten dem Ehepaar jedes Mal Gesprächs-              die Zukunft zu ermöglichen. Schauen Sie aber vor allem,
         stoff, und manche Anregungen daraus flossen auch in die         wie Sie tagtäglich solidarisch handeln können, indem Sie
         Predigten von Pfarrerin Neumann-Hönig ein.                      entsprechende Handlungsweisen in Ihren Alltag integrie-
              „Ich sehe heute eine noch größere Notwendigkeit,           ren.“
         sich gegen negative Folgen der Globalisierung zu enga-
         gieren“, ist Herr Hönig überzeugt. Das Ehepaar schaut           Von Isabel Armbrust
         sich dabei die Komplexität des Weltsystems sehr genau

                       Leute gebracht und darauf vertraut, dass       Warum? Wo ist da aus Ihrer Sicht das Gemeinsame?
                       Interessierte sich die zuhause an-
                       schauen und prüfen, ob die Idee in ihre        Meine Gedankenbrücke war: hier wie dort hast du Leute, die ihr
                       Gedankenwelt passt. Eine Rückmeldung           eigenes Obst und Gemüse ziehen und sich so unabhängiger
                       werde ich auf der nächsten Pflanzen-           machen. Die Leute im Süden sichern ihre Ernährung, unsere
                       tauschbörse 2019 bekommen – denn               Leute werden unabhängig vom Supermarktgemüse, das fade
                       die meisten Hobbygärtner*innen kom-            schmeckt und weniger gesund ist. Auch die Gemeinschaftskom-
                       men wieder.                                    ponente gibt es nicht nur in den Gärten auf der Südhalbkugel,
                                                                      sondern auch bei unseren Hobbygärtner*innen, die durch die
                       Wie kamen Sie überhaupt auf die ASW?           Neuentdeckung einer alten Pflanzensorte und den Austausch
                                                                      von Wissen zusammengebracht werden.
                     Ihr Flyer ‚Gärten der Solidarität‘ fiel mir
                     als Beilage der Zeitschrift Kraut und Rü-        Wir danken Herrn Schäfer für seine tolle Idee und für die Spende
                     ben in die Hände. Die Idee fand ich ge-          für ASW-Projekte.
nial und ich sah sofort, dass sie das Potential hat, unsere
Hobbygärtner*innen zu begeistern.

                                                                                               Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 15
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