SENEGAL WESTSAHARA INDIEN - Heft 245 I März 2019 - Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt
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INHALT Von l. n.r.: Verena Vad, Fundraiserin, Boubacar Diop, Länderre- ferent Afrika und Franziska Kohlhoff, Referentin für Öffentlich- 4 Senegal keitsarbeit Der Ausgang der Präsidentschafts- wahlen befriedigt Senegals Zivil- gesellschaft nicht 6 Westsaharakonflikt Interview zu den Aussichten des von Horst Köhler gestarteten Verhandlungsprozesses 8 Indien Ökolandbau Eine aktuelle Studie warnt vor der Frischer Wind durch neue Mitarbeiter*innen Verwässerung eines guten Programmes Verena Vad ist die neue zweite Fundraiserin der ASW. Sie ist Politik- wissenschaftlerin mit einer Zusatzausbildung am Seminar für ländli- 11 Projektinfo Brasilien che Entwicklung (SLE) in Entwicklungszusammenarbeit. Sie hat Aus- landserfahrung in Kambodscha, Peru und Mexiko und spricht fließen- 12 In eigener Sache: des Englisch und Spanisch. Im Dezember 2018 hat sie sich an der Themenheft Migration Fundraising-Akademie Frankfurt erfolgreich zur Fundraising-Referentin weitergebildet. 13 Simbabwe Boubacar Diop ist seit Februar zweiter ASW-Referent für den Pro- jektbereich Afrika. Er hat einen binationalen Master im Management Unser Standpunkt von internationalen Projekten, Erfahrungen als Lehrkraft an einer Be- rufsschule in Dakar und als Fachkraft für die Integration von unbeglei- 14 Weltnachbar teten minderjährigen Geflüchteten in Deutschland. Zudem hat er klei- nere Bildungs- und Sozialprojekte im Senegal koordiniert und so auch Erfahrungen in Senegals Dörfern gesammelt. Franziska Kohlhoff ist seit September als Elternzeitvertretung für Marek Burmeister für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der ASW zu- ständig. Durch ihr Engagement für eine freie Westsahara und ein Prak- tikum bei der ASW vor einigen Jahren ist Franziska der Organisation in ihren Werten und Themenschwerpunkten schon lange verbunden. Titelfoto In den vergangenen Dekaden hat sich der ASW-Fokus auf die Stärkung von Frauen und ihr kollektives Empowerment stark in unserer Bildsprache nie- dergeschlagen. Gruppen von Frauen oder einzelne Frauen in Aktion – ge- legentlich auch mal im Beisein der Männer – waren unsere typischen Titel- motive. Bei dieser SW wollen wir es einmal anders machen. Unser Titelfoto zeigt einen südindischen Kleinbauern mit Baby. Erfahren Sie im Editorial auf der rechten Seite, was sich bei der SW sonst noch ändert. Foto: Tobias Zollenkopf IMPRESSUM Herausgeberin: Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt e.V. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht Bereits 1957 gegründet, ist die Aktionsgemeinschaft ASW, Potsdamer Straße 89, 10785 Berlin, unbedingt die Meinung der Redaktion oder der Solidarische Welt e.V. eine der ältesten entwicklungs- Telefon: 030 – 259 408 01, Herausgeberin wieder. politischen Organisationen Deutschlands. Wir fördern E-Mail: mail@aswnet.de www.aswnet.de Projekte in Indien, Brasilien und mehreren Ländern Grafik: Afrikas, die zur Stärkung von Frauen, zum Schutz der Erscheinungsweise vierteljährlich: Natalie Friedinger, Berlin Umwelt und zur Durchsetzung der Menschenrechte Der Verkaufspreis der Zeitschrift ist für Mitglieder Ulrike Kleine/Grips medien GmbH&Co.KG beitragen. Die Projekte werden ausschließlich von im Mitgliedsbeitrag enthalten. Jahresabonnement 10 Euro. PartnerInnen vor Ort angestoßen und ausgeführt. Wir Bildnachweis: sind politisch, wirtschaftlich und religiös unabhängig ©ASW (falls nicht anders angegeben) Redaktion: und finanzieren uns überwiegend über Spenden von Isabel Armbrust (Redaktionsleitung), Boubacar Diop, Druck: Privatpersonen. Franziska Kohlhoff, Christophe Mailliet, Detlef Stüber, Oktoberdruck AG, Berlin Silke Tribukait, Verena Vad, Tobias Zollenkopf Gedruckt auf 100% Recyclingpapier Für eine Welt, die zusammenhält 2 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
EDITORIAL Liebe Leserinnen und Leser, Sie halten die Solidarische Welt Nummer 245 in der Hand. Es ist die letzte Ausgabe der Publikation, wie Sie sie kennen. Denn als Quartalszeitschrift wird es die SW nicht mehr geben. Stattdessen werden wir Ihnen künftig einmal im Jahr ein spannendes Schwerpunktheft zuschicken, in dem wir einen Themenkomplex hintergründig und detailreich präsentieren. Außerdem erhalten Sie einmal im Jahr einen Jahresbericht, der umfassender als bisher unsere geleistete inhaltliche Ar- beit und die von uns geförderten Projekte vorstellt. Weitere Inhalte und Hintergrundbeiträge präsen- tieren wir Ihnen außerdem ab sofort auf unserer Homepage. Unser künftiges Spender*innenmagazin „Solidarische Welt“ wird Ihnen dreimal jährlich einen schnel- len Überblick über wichtige Themen, neue Projekte und Spendenmöglichkeiten geben und Sie auf Hintergrundartikel auf unserer Homepage verweisen. Die Spendenaufrufe wollen wir dafür reduzieren. Insgesamt können wir so die Kosten für Spendenwerbung und Zeitschrift deutlich senken. Auf Seite 12 dieser SW stellen wir Ihnen schon einmal in Umrissen unser Themenheft 2019 vor. Sein Gegenstand ist Migration aus der Perspektive der Menschen des globalen Südens – mit Fokus auf unsere Projektregionen. Zusammen mit unseren Partner*innen haben wir Rohstoff- und Staudamm- projekte, Landgrabbing und die Folgen des Klimawandels als wesentliche Auslöser von Migration identifiziert. Wir werden auch zeigen, dass die Menschen, die gehen bzw. an anderen Orten Arbeit suchen müssen, die ohnehin benachteiligten und aus der Gesellschaft ausgegrenzten sind: Landlose und Kleinstbäuer*innen, Indigene, Kastenlose. Über Fallgeschichten und Interviews werden wir die Lage der betroffenen Menschen lebendig werden lassen. Aus unserer Sicht hat jeder Mensch das Recht auf Migration. Und wir müssen nur zurückschauen, um zu erkennen, dass Menschen in allen Epochen dieses Recht wahrgenommen haben. Dies hat kürzlich die archäologische Ausstellung „Menschen in Bewegung“ in Berlin eindrucksvoll gezeigt. Daher schließen wir uns auch nicht dem aktuellen „Fluchtursachen verhindern“-Diskurs an. Denn bei diesem wird implizit das Recht von Menschen, ein besseres Leben zu suchen und in einem an- deren Land zu finden, in Frage gestellt. Allerdings leisten wir mit unserer Projektarbeit sehr wohl einen Beitrag dazu, dass Menschen in ihren Dörfern eine Perspektive finden und die Notwendigkeit, zu gehen, entfällt. Insofern machen wir auf unsere Weise „Fluchtursachenbekämpfung“. Isabel Armbrust, Kommunikationsteam der ASW Engagieren Sie sich mit uns! Wünschen Sie sich Spenden statt Geschenke zu Ihrem nächsten Geburts- oder Hochzeits- tag und nutzen Sie den Anlass, um Menschen in unseren Projektländern zu unterstützen. Oder organisieren Sie gemeinsam mit uns eine Benefizaktion für unsere Partner*innen. Für eine gemeinsame Aktion statten wir Sie mit Informationsmaterial, Spendenboxen, Postern oder Flyern aus. In Kürze wird es sogar eine Roll-Up-Version unserer beliebten Wanderausstellung „Gärten der Solidarität“ geben. Leihen Sie diese aus und zeigen Sie anderen, wie ASW-Partnerinnen im Süden gemeinschaftlich ihre Situation verbessern. Schauen Sie dafür einfach auf www.aswnet.de vorbei oder schreiben Sie an spenden@aswnet.de Helfen Sie uns Kosten sparen Liebe Leser*innen, auch der Jahresbericht der ASW ist von der Ihnen im Editorial erklärten Konzeptänderung bei der Solidarischen Welt betroffen. Er ist nicht mehr, wie bislang, identisch mit der SW-Septemberausgabe. Dadurch werden sich die Versandkosten pro Stück erhöhen. Wir bitten Sie daher heute, sich zu überlegen, ob Sie nicht künftig den Jahresbericht als PDF statt als gedruckte Broschüre beziehen möchten. Wenn ja, schrei- ben Sie uns bitte eine E-Mail an redaktion@aswnet.de Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 3
SENEGAL Männer in einer senegalesischen Kleinstadt. In den großen Städten Dakar, Thiès und Touba hat Macky Sall gegenüber 2012 viele Wählerstimmen eingebüßt. Macky Sall wird ein zweites Mal Präsident – Senegals Jugend ist enttäuscht VON BOUBACAR DIOP Am Sonntag, den 24. Februar 2019, wurde der seit versorgung und die Arbeitslosigkeit vor allem unter sieben Jahren amtierende Macky Sall erneut zum Prä- jungen Menschen ist noch immer viel zu groß. sidenten gewählt. Laut Wahlkommission erhielt er Zwar hat Senegals Wirtschaftswachstum seit der 58,27 Prozent der Stimmen. Es folgen die Kandidaten Wahl 2012 von 1,8 Prozent auf 6,2 im Jahr 2018 zuge- Idrissa Seck (20,50 Prozent) und Ousmane Sonko legt. Aber aus Sicht seiner Gegner favorisiert Macky (15,67 Prozent) und zwei weitere abgeschlagen im Sall mit seiner neoliberalen Politik große multinatio- einstelligen Bereich. Erstmals in der jüngeren Geschich- nale Konzerne und vernachlässigt kleine und mittlere te waren die Sozialistische Partei des ehemaligen Unternehmen des Landes. Ein weiterer Aspekt war die Präsidenten Léopold Sédar Senghor und die Demo- Unterzeichnung der Wirtschafts-Partnerschaftsabkom- kratische Partei des ehemaligen Präsidenten Abdou- men (EPAs, franz.: APE: Accord de partenariat écono- laye Wade nicht dabei, weil gegen deren Kandidaten mique) mit der Europäischen Union durch Präsident Prozesse wegen Unterschlagung von Staatsgeldern Macky Sall, die sein Vorgänger Abdoulaye Wade noch laufen. abgelehnt hatte. Als große Überraschung der Wahl gilt Ousmane Hinzu kommt sein Nicht-Infragestellen der Zuge- Sonko von der PASTEF (Patriotes du Sénégal pour le hörigkeit Senegals zur CFA-Zone. Der Franc- CFA ist im Travail, l’Ethique et la Fraternité ), der vor allem die Senegal und 13 anderen afrikanischen Ländern noch Stimmen junger Wähler*innen holte. Diese sind es immer die Währung. Diese Position Macky Salls wird auch, die mit dem Wahlergebnis am wenigsten zufrie- vor allem von Senegals Zivilgesellschaft und insbeson- den sein dürften. Denn Macky Sall, der 2012 als Hoff- dere den jungen Menschen stark kritisiert, die volle nungsträger vor allem der jungen Senegales*innen an- Souveränität gegenüber der ehemaligen Kolonial- trat, hat in seinen sieben Amtsjahren viele seiner An- macht Frankreich fordern. Seit der Wahl Macky Salls hänger*innen enttäuscht. im Jahr 2012 hat sich die Präsenz großer französischer Unternehmen wie Total, Eiffage, Thales, Orange, Bol- Wie ist die wirtschaftliche Bilanz? loré in den Schlüsselbereichen der Wirtschaft sogar verstärkt. Das gilt auch für die großen Infrastrukturpro- Die Lebensbedingungen der senegalesischen Bevöl- jekte: Das neue 638 Milliarden-schwere Regionalex- kerung haben sich unter der Präsidentschaft Salls presszug-Projekt, das die neue Stadt Diamnadio mit nicht wirklich verbessert. Die Mehrheit der Senega- der 35 km entfernten Hauptstadt Dakar verbindet, les*innen hat weiterhin keinen ausreichenden Zugang wurde von den französischen Firmen Engie, Thales zu Bildung, Ernährungssicherheit und Gesundheits- und Eiffage realisiert. 4 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
SENEGAL Rückbau der Demokratie? 2012 war Macky Sall auch im Hinblick auf eine gute Re- gierungsführung ein Hoffnungsträger, nachdem sich sein Vorgänger Abdoulaye Wade mit fragwürdigen Me- thoden an die Macht geklammert hatte. Doch nach An- gaben der senegalesischen Zivilgesellschaft hat der Senegal gerade in diesem Bereich einen Rückschlag erlebt. Das von der senegalesischen Verfassung garan- tierte Recht auf Demonstration wird von den staatli- chen Behörden nicht vollständig gewährleistet. Auch gilt Salls Vorhaben, die Funktionsträger des ehemali- gen Regimes zur Rechenschaft zu ziehen, als geschei- tert. Nur eine Person wurde vor Gericht gestellt und in- haftiert: der Sohn des ehemaligen Präsidenten Abdou- Mitglieder einer selbstorganisierten Gesundheits- laye Wade, Karim Wade. Darüber hinaus wird gegen kasse bei unserer ehemaligen Partnerorganisation ehemalige Minister wegen Misswirtschaft und Verun- ENDA in einem Vorort von Senegals Hauptstadt treuung öffentlicher Gelder ermittelt, aber bisher Dakar wurde keine Strafverfolgung eingeleitet. Ebensowenig hat der 2012 Premierminister gab bereits fünf Stunden nach dem gewählte Macky Sall das Schließen der Wahllokale dem einzigen staatlichen Versprechen, seine Familie Fernsehsender RTS 1 eine Erklärung ab und behaup- nicht in staatliche Ämter tete, dass Macky Sall eine absolute Mehrheit von 57 oder Positionen in Staats- Prozent der Stimmen erhalten habe. Damit verstieß er betrieben zu holen, gehal- gegen die Gesetze und Vorschriften des Landes, die ten. 2017 ernannte er sei- nur dem Wahlausschuss (Commission nationale de re- nen Bruder Alioune Sall per censement des votes) das Recht erteilen, die endgül- Präsidialdekret zum Direk- tigen Wahlergebnisse bekannt zu geben. tor der Caisse de dépôt et de consignation (staatlicher Der Wahlausgang wird von den Oppositionsparteien Rechnungshof). Darüber hi- infrage gestellt. In einer Erklärung am Donnerstag, 28. naus scheint sein Bruder in Februar, teilten sie mit, dass sie die vom Wahlaus- einen Skandal um die Ver- schuss veröffentlichten Ergebnisse nicht anerkennen. waltung der Erdölvorkom- Auf ihr Recht, diese Ergebnisse vom Verfassungsrat men verwickelt zu sein, der überprüfen zu lassen, haben sie jedoch verzichtet, kürzlich im Senegal aufge- weil sie nicht mehr an die Unabhängigkeit der Justiz deckt wurde. glauben. Die vier Kandidaten der Opposition weiger- ten sich auch, dem neuen Präsidenten der Republik zu …und wie fair waren die gratulieren, wie es demokratische Gepflogenheit im Wahlen? Senegal ist. Den Senegales*innen stellt sich nun die Frage, ob Die senegalesische Opposi- Macky Sall und seine Regierung in den kommenden tion und die Mehrheit der auf fünf Jahre verkürzten Amtsjahren erfolgreich sein Obwohl viele ländliche Regionen kaum von senegalesischen Zivilgesell- werden, das zu erreichen, was in sieben Jahren nicht den großen Infrastrukturprojekten der vergan- schaft werfen dem Noch- gelungen ist. Die Liste der uneingelösten Versprechen genen Jahre profitierten, konnte Macky Sall Präsidenten vor, die Justiz Macky Salls gerade im wirtschaftlichen und sozialen dort die Wählerschaft mobilisieren. Foto: Frau instrumentalisiert zu haben, Bereich ist noch lang. an einer Ölmühle um ernsthafte Kandidaten von den Präsidentschafts- wahlen auszuschließen. Nachdem das Vertrauen zwi- schen Regierung und Opposition bereits gestört war, forderte diese, dass statt des Innenministers Ali Gouye Ndiaye eine unabhängige Behörde die Wahlen organi- sieren solle. Doch Macky Sall weigerte sich, dieser For- derung nachzukommen. Auch am Abend nach der ersten Runde der Wah- len am 24. Februar hat sich die Regierungskoalition Macky Salls nicht demokratiekonform verhalten. Ihr Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 5
WESTSAHARAKONFLIKT Westsahara: Lösung für den letzten Kolonialkonflikt Afrikas aus Berlin? Interview mit Jatri Adouh, dem Leiter des sahrauischen Verhandlungsteams ASW: Sie sind Leiter der sahrauischen Delegation im Am 5. Dezember 2018 brachte Horst Köhler in Genf aktuellen Verhandlungsprozess über die Westsahara erstmals seit 6 Jahren Marokko und die POLISARIO an unter der Regie von Horst Köhler. Wie kam es zu dem einen Tisch. An diesem saßen außerdem die Nachbar- neuen Prozess? länder Algerien und Mauretanien. Marokko zu dieser Teilnahme zu bewegen, war ein wichtiger Schritt. Ich Jatri Adouh: Seit 2012 waren die Verhandlungen in- würde sogar sagen: Damit war das Eis gebrochen. Ei- folge der Blockadehaltung Marokkos unterbrochen. nen zweiten Runden Tisch wird es nun Ende März ge- Und es war nicht so, dass eine Lösung einfach nur ver- ben. schoben wurde. Das Problem ist, dass die Ressourcen Auch im Vorfeld gab es weitere positive Signale. Dass nämlich der UN-Sicherheitsrat beschlossen hat, das Mandat der MINURSO (UN-Mission für ein Referendum in der Westsahara) nur noch für jeweils 6 Monate zu verlängern. Bislang waren es 12 Monate und es wurde nie geschaut, was die MINURSO konkret tut. Hinter- grund ist, dass der Sicherheitsberater der USA John Bolton erklärt hatte, keine nutzlosen UN-Missionen mehr finanzieren zu wollen. Im UN-Sicherheitsrat spielen darüber hinaus auch Russland, Großbritannien und alle nicht-ständigen Mitglieder eine sehr positive Rolle. Auch die Afrikani- sche Union (AU) setzt sich aktuell für einen Frieden ein. Es ist jetzt also alles auf einem guten Weg? Mitte: Jatri Adouh, sahrauischer Parlaments- Leider kommen von der EU negative Signale. Die EU präsident und Leiter des sahrauischen Teams hat kürzlich ein Handelsabkommen und gleich darauf im aktuellen Verhandlungsprozess über die ein Fischereiabkommen mit Marokko neu ausgehan- Westsahara unter der Regie von Horst Köhler. delt und vom EU-Parlament absegnen lassen und da- Links: Aliyen Kentaoui, Vertreter der POLISARIO mit gegen zwei aktuelle Urteile des Europäischen Ge- in Deutschland. Rechts: Nadjat Hamdi, ehema- richtshofes verstoßen. Die Rechtsprechung besagt, lige Vertreterin der POLISARIO in Deutschland. dass diese Handelsabkommen nicht in dem besetzten Gebiet angewandt werden dürfen. der Westsahara immer weiter ausgebeutet werden und dass die Menschen einer schlimmen Repression aus- Diese Haltung der EU ist ein echtes Hindernis, das gesetzt sind. dem von Horst Köhler in Gang gebrachten Prozess im Für die internationale Gemeinschaft war irgend- Wege steht. Besonders Spanien und Frankreich sind wann offensichtlich, dass dieser Status quo nicht fort- in der EU die Treiber für diese Haltung. Und Frank- dauern kann. Denn der ungelöste Konflikt könnte auch reichs besondere Freundschaft mit Marokko befeuerte zu einer Gefahr für die Stabilität in der Region werden. bislang den Widerstand des Maghrebstaates gegen Man denke an die Nähe zu den Krisengebieten wie eine Lösung der Westsaharafrage. zum Beispiel Mali. Diese Situation hat letztlich Horst Köhler dazu veranlasst, zum jetzigen Zeitpunkt aktiv Heute präsentiert sich Marokko gegenüber Europa als nach einer Lösung zu suchen. Garant für Sicherheit in der Maghreb-Region und als Barriere gegen Flüchtlingsströme. Aber über die Situa- Gibt es schon Erfolge zu berichten? tion in Marokko selbst wird nicht gesprochen. 2018 er- 6 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
WESTSAHARAKONFLIKT lebten wir die größte Auswanderungswelle von Marok- heute verhindert. Es wird aber auch Europa sein, das kanern nach Europa – das ist ein Indiz dafür, dass es aufgrund der räumlichen Nähe eine Destabilisierung in Marokko für viele Menschen keine Perspektive gibt. der Region am ehesten zu spüren bekommt. Es ist für Aus meiner Sicht ist der einzige Weg, der zu Stabilität die Europäer höchste Zeit, das einzusehen. in der Region führen wird, eine gute Kooperation aller Maghrebstaaten vor allem im Bereich der Wirtschaft. Wir von unserer Seite werden jede Lösung des Konflik- Nur so werden sich auch Fluchtbewegungen verhin- tes akzeptieren, eine vollständige Integration unseres dern lassen. Territoriums in den marokkanischen Staat genauso wie eine Teilautonomie oder die vollständige Unab- Was erzählen Sie Ihrer Bevölkerung und besonders hängigkeit der Westsahara. Wir wollen nur, dass unser der Jugend in dieser Situation? Volk über diese möglichen Optionen abstimmen darf. Es muss endlich dieses Referendum geben, das schon Das ist schwierig. Die POLISARIO arbeitet seit über 25 1992 stattfinden sollte und zu dessen Durchführung Jahren hart an einer diplomatischen Lösung. Wir muss- 1991 die MINURSO geschaffen wurde. Das Problem ten unsere Bevölkerung und vor allem die Jugend im- war bislang immer, dass Marokko jeden Schritt der mer wieder ermutigen, durchzuhalten und darauf zu UNO blockiert hat und der UN-Sicherheitsrat tatenlos vertrauen, dass nur eine friedliche Lösung eine wirkli- geblieben ist. che Lösung ist. Wir hoffen nun, dass der neue Anlauf, den Horst Immerhin ist es aus meiner Sicht ein enormer Er- Köhler gestartet hat, zu einer gerechten Lösung führt. folg, dass der Waffenstillstand von 1991 von unserer Das wäre aus unserer Sicht eine runde Sache, wenn Seite nie gebrochen wurde. Wie überall gilt aber auch der Kolonialkonflikt, dessen Grundlage mit der Berli- bei uns: Je länger eine Lösung auf sich warten lässt, ner Kolonialkonferenz von 1884 geschaffen wurde, desto größer wird die Gefahr einer Destabilisierung. auch auf Initiative von Berlin gelöst werden könnte. Welche Kräfte werden am Ende stärker sein: die den Interview: Isabel Armbrust und Franziska Kohlhoff Frieden wollen oder die Blockierer? Seit April 2018 gab es wie gesagt die Signale der USA und des Sicherheitsrates. Wir hoffen nun, dass sich auch Frankreich bewegt. Es war Europa und konkret Spanien, das den ko- lonialen Konflikt verursacht hat. Danach war es wie- derum Europa, das eine Lösung des Konfliktes bis Westsahara – Der letzte ungelöste Kolonialkonflikt in Afrika Seit der Ernennung von Horst Köhler zum Sonderge- über ihre Zukunft abstimmen zu lassen. Die eigens sandten des UN-Generalsekretärs für die Westsa- für die Durchführung eines solchen Referendums hara wird wieder über die Zukunft der von Marokko geschaffene UN-Mission für ein Referendum in der besetzten Westsahara verhandelt. Marokko be- Westsahara, MINURSO, scheiterte bislang am Wi- herrscht das Gebiet südlich seiner Staatsgrenze seit derstand Marokkos. Auch die von der POLISARIO ge- dem Rückzug der Kolonialmacht Spanien – seine forderte Erweiterung des Mandats der MINURSO um Militärmacht machte 1975 Hunderttausende von ein Menschenrechtsmandat scheiterte bislang. Sahrauis zu Flüchtlingen. Bis heute leben sie und ihre Nachfahren in Flüchtlingscamps nahe dem al- Die Westsahara verfügt über mineralische Rohstoffe gerischen Tindouf. und reiche Fischvorkommen. Mit europäischer Un- terstützung beutet Marokko diese bis heute aus, Die 1973 gegründete sahrauische Befreiungsbewe- ohne die Sahrauis – wie es das Völkerrecht vorsieht gung POLISARIO kämpfte bis 1991 mit militärischen – an den Erlösen zu beteiligen. Mitteln gegen Marokko. Seit dem 1991 von der UNO ausgehandelten Waffenstillstand kämpft sie auf di- In den Flüchtlingslagern der Sahrauis in Algerien un- plomatischem Weg und fordert, die Bevölkerung terstützt die ASW ein Gartenprojekt. Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 7
INDIEN Indiens Bundesstaat Andhra Pradesh wird pestizidfrei Eine aktuelle Studie warnt vor Datenklau VON ISABEL ARMBRUST Bis 2024 soll Andhra Pradesh mit seinen 50 Millionen wirtschaft ohne chemische Dünger und Pestizide in Einwohner*innen zu einer komplett pestizidfreien dem geplanten Ausmaß funktioniert, wäre das Pro- Zone werden. Die Regierung des südindischen Bun- gramm eine Blaupause für ganz Indien und sogar die desstaates will bis dahin alle sechs Millionen ganze Welt. Bäuer*innen entkämen der Verschuldung Bäuer*innen zum natürlichen Landbau geführt haben. und würden eine Umwelt hinterlassen, in der auch künftige Generationen noch existieren können. Allerdings sehen viele Vertreter*innen der Zivilge- sellschaft in Indien das Programm auch kritisch. Nicht nur die Umweltaktivistin Vandana Shiva fürchtet, dass einige Agrarmultis und z.B. die Bill & Melinda Gates Stiftung versuchen werden, einen Fuß in die Tür von „Zero Budget Natural Farming“, ZBNF, zu bekommen. Die Environment Support Group in Bangalore analy- siert in einer aktuellen Studie 3) die Schwachstellen des Programms genauer, benennt Ungereimtheiten und leitet daraus konkrete Forderungen ab. Im Folgenden erhalten Sie einen Überblick über die aus unserer Sicht interessantesten Ergebnisse. Im Anschluss daran lassen wir unseren Partner Dr. GV Ramanjaneyulu zu Wort kommen. Er hat uns einige An- merkungen zur Studie der Environment Support Group übermittelt. Andhra Pradeshs „Zero Budget Natural Farming“-Programm unter der Lupe In der kleinbäuerlichen Landwirtschaft Andhra Pradeshs „Wenn Dinge zu gut erscheinen, um wahr sein zu kön- spielen Frauen eine zentrale Rolle. Sie werden von dem Öko- nen, sind sie meistens tatsächlich zu gut, um wahr zu landbauprogramm profitieren. sein.“ Leo Saldanha bekennt sich zu einer skeptischen Haltung – und hält Andhra Pradeshs Programm doch für zu gut und zu wichtig, um es nicht kritisch zu be- Ein Öko-Programm von einem solchen Ausmaß gab es gleiten. Nur durch eine Aufdeckung von Ungereimthei- bislang nirgendwo auf der Welt. Entsprechend groß ten und durch eine transparente Kommunikation der ist das Echo – auch in Deutschlands Nichtregierungs- Finanzierung kann eine Verwässerung des konsequent organisationen wird über das Modell Andhra Pradesh ökologischen Ansatzes verhindert werden. „Bei einem debattiert. Programm, bei dem es ausdrücklich um eine Minimie- rung der Investitionskosten geht (“Zero Budget” Natu- Unser Partner Dr. G V Ramanjaneyulu, den einige un- ral Farming), muss gut und nachvollziehbar begründet serer Leser*innen im November 2018 während einer werden, warum Milliarden von Rupien zu seiner Reali- Vortragsreise treffen konnten, steht mit seinem „Cen- sierung notwendig sind“, so Saldanha. tre for Sustainable Agriculture“ Bäuer*innen seit 20 Jahren erfolgreich beim pestizidfreien Landbau 1) bei, Parallelstrukturen zu Gemeinderegierungen, teils in Kooperation mit der Regierung. In dem südin- Digitalisierungsvisionen und große Geldgeber dischen Bundesstaat konnte so der Pestizideinsatz bereits um 50 Prozent reduziert werden. Zur Umsetzung des „Zero Budget Natural Farming“- Auch in das neue Programm der Regierung von Programms hat die Regierung Andhra Pradeshs die Andhra Pradesh, das dem Ansatz von „Zero Budget „Farmers Empowerment Corporation“ RySS ins Leben Natural Farming“ 2) , also Landbau ohne externe In- gerufen. Sie soll alles von Schulung, Beratung, Orga- puts, folgt, ist unsere Partnerorganisation involviert. nisierung bis zu Vermittlung von Krediten an Farmer Denn wenn der Übergang zu einer ökologischen Land- leisten. Ihr Vorsitzender ist Ministerpräsident Chandra- 8 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
INDIEN babu Naidu persönlich, der Vize ist der Landwirt- schaftsminister Andhra Pradeshs und an seiner Seite steht als Ko-Vizevorsitzender der Agrarexperte und ehemalige hohe Beamte T Vijay Kumar. Dass das „Zero Budget Natural Farming“-Programm eine Herzensangelegenheit des Ministerpräsidenten des Bundesstaates ist, kann von Vorteil, aber auch ein Nachteil sein. Saldanha sieht vor allem die Nachteile. Mit RySS hat die Regierung eine Parallelstruktur zu Or- ganen der Lokalverwaltung (Panchayat Raj) geschaf- fen, denen laut indischer Verfassung eigentlich die landwirtschaftsbezogenen Aufgaben, inklusive der Agrarberatung obliegen. Weiter ist für Saldanha problematisch, dass Chandra- babu Naidu sich für High-Tech-Lösungen begeistert und die Nähe großer Geldgeber sucht. Im September 2018 reiste er anlässlich der UN-Vollversammlung nach New York, um dort seine Idee eines pestizidfreien und zugleich durchdigitalisierten Andhra Pradeshs mit anderen zu teilen. Zuvor, im Juni 2018, hatte die Umweltorganisation Herstellung einer Viruslösung, die sehr spezifisch der Vereinten Nationen, UNEP, bekanntgegeben, das gegen schädliche Raupen wirkt. Auch in Deutsch- „Zero Budget Natural Farming“-Programm in Andhra land wird im Bioanbau gegen den Apfelwickler ein Pradesh zu unterstützen. Dazu wurde ein Finanzie- Virus eingesetzt. rungsarrangement mit der französischen Großbank „BNP Paribas“ und dem „World Agroforestry Centre“, ICRAF, getroffen und zur Umsetzung die „Sustainable Bill Gates – ein gern gesehener Gast? India Finance Facility“, SIFF, eingesetzt. Diese Finan- zierungsstruktur wiederum soll weitere Geldgeber an- Zwei Monate zuvor, im November 2017 richtete Chan- werben. drababu Naidu zusammen u.a. mit der Vereinigung der Saldanha stört sich an dreierlei. Erstens outet Indischen Industrie und mit der Bill & Melinda Gates- sich der Chef des UNEP, Erik Solheim, der Chandra- Stiftung einen AgTech Summit 2017 in Vishakapatnam babu Naidu im September 2018 nach New York geholt aus. Drei Tage lang wurde in der Großstadt Andhra Pra- hatte, in seinem Einladungsschreiben als Freund einer deshs über innovative Ideen, Techniken und Praxisbei- Kommodifizierung und Finanzialisierung der Landwirt- spiele aus den Bereichen Ernährung und Landwirt- schaft. Das Prinzip von „Zero Budget Natural Farming“ schaft debattiert. scheint er damit zu verfehlen. Zweitens wirft die finan- Bill Gates hielt eine Rede und bezog sich dabei zielle Beteiligung der BNP Paribas, einer der größten auch auf einen Saatgut-Park, der in Andhra Pradeshs Banken Europas, ethische Fragen auf. BNP Paribas ist Stadt Guntur in Kooperation mit der Universität von nämlich gleichzeitig in sozial und ökologisch zerstö- IOWA entstehen soll. Bekanntermaßen ist Gates auch rerische Projekte involviert und hat dafür 2015 auch ein Befürworter der Gentechnik und tut alles, um dem die Negativauszeichnung Pinocchio-Award erhalten. neuen gentechnischen Verfahren CRISPR den Weg zu Drittens hüllen sich die Vertreter von SIFF, die Gelder bahnen. auch der BNP Paribas umsetzen, gegenüber Journa- Wenig überraschend war daher, dass er auf dem list*innen in Schweigen. Saldanha wirft SIFF vor, an ei- Gipfel in Vishakapatnam sagte, moderne Pflanzen- nem Greenwashing von Paribas mitzuwirken. züchtungstechniken inklusive DNA-Analyse könnten die jährlichen Erträge der Bäuer*innen verdoppeln Das Einwerben von Geld obliegt aber nicht nur der oder sogar verdreifachen und widerstandsfähigere SIFF. Auch Chandrababu Naidu nutzt Gelegenheiten, Sorten schaffen. um weitere Unterstützung für sein Programm zu fin- den. Auf Youtube kann ein Video geschaut werden, Rote Karte gegen Gentech und Datenklau das den Ministerpräsidenten Andhra Pradeshs im Ja- notwendig nuar 2018 bei einer Powerpointpräsentation auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos zeigt: Warum trifft sich Andhra Pradeshs Regierungschef mit (youtube.com/watch?v=SOShDrI0dmQ&feature=yout Gentechnikbefürwortern wie Bill Gates, wenn doch in u.be). seinem ambitionierten Zero Budget Natural Farming- Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 9
INDIEN in einem Interview, auf das sich Saldanha bezieht, die Gates-Stiftung habe dem Forschungskonsortium Digi- tal Green ein Darlehen gewährt. Und dieses entwickele zusammen mit der Regierung von Andhra Pradesh ein digitales Agrarberatungssystem. Es soll vor allem um Videos gehen, die dann zum Training der Bauern in ZBNF eingesetzt werden. Wir wünschen uns sehr, dass Ramanjaneyulu mit sei- nem Optimismus dem zukunftsweisenden Experiment in Südindien eher gerecht wird als Leo Saldanha, des- sen skeptischen Überlegungen wir hier Raum gegeben haben. Wir hoffen auch, dass Ramanjaneyulu gegen- über dem Autor in einem weiteren Punkt recht behält. Für den ist es kein gutes Zeichen, dass die Regierung Andhra Pradeshs sich plötzlich vom erfolgreich prak- Die Environment Support Group fordert: tizierten Modell „Community Managed Sustainable Die Zivilgesellschaft muss das Programm kritisch begleiten können – dazu Agriculture“ (CMSA) 5) verabschiedet hat, um aus- braucht es mehr Transparenz seitens der Ausführenden, vor allem bei der schließlich auf das Modell „Zero Budget Natural Far- Finanzierung. Die zur Wirkungskontrolle des Programms geplanten Studien ming“ zu setzen. Diese Irritation teilt Ramanjaneyulu sollten mit Biodiversitäts-Schutzgesetzen abgestimmt werden. Sonst be- nicht. „Ich bin optimistisch, dass das Programm steht die Gefahr, dass Agrarmultis Zugriff auf Wissen zu traditionellen schließlich über ZBNF hinauswächst. Erst einmal muss Pflanzensorten erhalten. ein organisierter Wandel in solchem Ausmaß geplant und angestoßen werden. Mit dem neuen Wissen, das Programm die Gentechnik keinen Platz hat? Saldanha in seinem Verlauf generiert wird, werden auch die Un- benennt hier eine weitere Ungereimtheit. Und diese terschiede zwischen den verschiedenen Modellen der erklärt auch seine Sorge bezüglich der Gefahr des Da- Öko-Landwirtschaft verschwinden“. tenklaus. Denn die Regierung will auch Wirkungsstu- dien zu ZBNF anfertigen lassen, die nicht nur Daten zur Bodengesundheit und zur Wasserqualität, sondern Anmerkungen: auch sensible Daten über die lokale Biodiversität zu- sammentragen werden. 1) Umgesetzt wurden Programme ohne chemischen Dünger und Pestizide, die dem Ansatz der Community Managed Sus- Sind allerdings solche Informationen einmal tainable Agriculture (CMSA) folgten. preisgegeben, können sie nur mühsam wieder einge- 2) Die regierungsamtliche Version des von Subash Palekar klagt werden, wie das Beispiel des 11-jährigen Prozes- entwickelten „Zero Budget Natural Farming“ hat noch den Zu- ses um den Neembaum 4) zeigt. Vorkehrungen gegen satz „climate resilient, daher das Kürzel CRZBNF“. ZBNF um- ein Abgreifen von Daten scheinen aber im Falle des schreibt eine Öko-Landwirtschaft, die ohne externe Inputs ZBNF-Programms nicht getroffen worden zu sein, so funktioniert, also ohne Dünger und Pestizide. Alle Inputs, die Saldanha. benötig werden um Pflanzen und Saatgut zu schützen, sind in Form von Kuhdung und Kuhurin lokal verfügbar. Allerdings Bleibt Anlass zu Optimismus? hat sich Subash Palekar inzwischen von dem CRZBNF-Ansatz der Regierung distanziert. Der Autor schließt mit dem Appell, dass die Chance, 3) Environment Support Group : A Review of Andhra Pra- desh’s Climate Resilient Zero Budget Natural Farming Pro- die dieses beispiellose Projekt für das Wohl der Klein- gramme, Oktober 2018. Autor: Leo Saldanha bäuer*innen, für die Ökologie und für nachfolgende 4) Vandana Shiva hatte einen langjährigen Prozess gegen Generationen birgt, nicht vertan werden darf. eine US-Firma geführt und gewonnen, die sich die Gene des Hier trifft er sich mit der Sicht unseres Partners als Biopestizid wirksamen Neembaumes patentieren lassen Ramanjaneyulu vom CSA, der ebenfalls die Meinung wollte. Das Wissen um die Eigenschaften des Neems hatte vertritt, dass das Programm von der Zivilgesellschaft das Unternehmen traditionellen Nutzer*innen „geraubt“, da- kritisch begleitet werden muss. Allerdings sieht Ram- her wurde hier von Biopiraterie gesprochen. anjaneyulu bislang keine Indizien für eine direkte Be- 5) Siehe Anmerkung 1) teiligung großer Akteure: „Weder die Bill & Melinda Gates-Stiftung noch ein Agrarunternehmen sind bisher in ZBNF involviert“. Ein indirektes Mitmischen der Bill & Melinda Gates-Stiftung bei „Zero Budget Natural Farming“ legt aber eine Aussage des Vize der „Farmers Empower- ment Corporation“ RySS, T Vijay Kumar, nahe. Der sagt 10 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
PROJEKTINFO BRASILIEN Die urbanen Gärten der Frauen aus Belém Agrarökologie und Feminismus zusammengebracht „U nsere ganze Organisation ist wieder aufgelebt“ erklärt Solange Aparecida de Oliveira. Beim letz- ten ASW-Besuch bei der Frauengruppe GMB (Grupo de Mulheres Brasilieiras) war das Dach des Hauses im Stadtviertel Benguí in der Amazonasmetro- pole Belém gerade erfolgreich repariert. Und die Wände erstrahlten in frischer Farbe. Von da an konnte auch die Produktionsgruppe der Frauen im Haus der Organisation GMB die Herstellung z.B. von Fairtrade- Kunsthandwerk wieder aufnehmen. „Endlich arbeiten wir wieder gemeinsam statt jede zuhause“, ergänzt Domingas de Paula Martins Caldas. „Mit dem neuen integrierten Laden zur Straßenseite können wir sogar unsere Produkte zeigen“. Aber es sind nicht nur die 11 Frauen der Produkti- onsgruppe, die wieder mit frischem Mut in die Zukunft sehen. Für alle Frauen von der GMB, der das Haus ge- hört, und die befürchtet hatten, dieses verkaufen zu müssen, ist ein Traum in Erfüllung gegangen. GMB ist die älteste und noch immer eine der wich- tigsten Frauenorganisationen in Belém. GMB hat sich Bitte spenden Sie, damit 1986 mit dem Ende der Diktatur gegründet und fordert GMB ihre Idee weiterhin seitdem Bürgerrechte und Gleichberechtigung ein. erfolgreich umsetzen Themen wie Gewalt gegen Frauen, sexuelle Identität kann. und Einkommensschaffung stehen im Vordergrund. Kennwort: Die GMB-Frauen stehen aktiv für Frauenrechte ein, Belém liegt im Mündungsgebiet des Amazonas und Frauen Brasilien wie hier bei einer Kundgebung zum 8. März wird von 1,4 Millionen Menschen bewohnt. Wie in al- Kennnummer: 6002 len Großstädten sind auch hier noch ein paar freie Flä- Bank für Sozialwirtschaft chen vorhanden. Und hier können Gemeinschaftsgär- auf dem 13 mal 63 Meter großen Gelände gezogenen IBAN DE69 ten entstehen, wie sie die Frauen der GMB gemäß ih- Heilkräuter gesprochen. 1002 0500 0001 2507 00 res Konzeptes „Agrarökologie in der Stadt säen” der- Ganz besonders stolz sind die Frauen auf einen BIC/SWIFT: zeit aufbauen. Dabei stehen die Solidarität der Frauen selbst organisierten Erfahrungsaustausch mit einer BFSWDE33BER untereinander und deren Autonomie immer im Vorder- Frauengruppe in einer Landlosensiedlung im 72 km www.aswnet.de grund. entfernten Mosqueiro. 27 Frauen konnten daran teil- In den Workshops geht es daher den Frauen nicht nehmen. Auf den Parzellen konnten die Teilnehmerin- nur um Agrarökologie und bessere Selbstversorgung. nen ihr Wissen zu Agrarökologie und ihre Emanzipati- „Um das deutlich zu machen haben wir auch die Titel onserfahrungen austauschen. „Ich habe viel bei dem der Kurse geändert: Aus ‚Urbanes Gärtnern‘ wurde nun Ausflug gelernt. Ich weiß jetzt, wie sehr die Frauen in- ‚Agrarökologie und Feminismus‘ “, erklärt uns Solange. nerhalb der Landlosenbewegung um ihre Selbständig- Bei den Teilnehmerinnen kommen diese umfas- keit kämpfen mussten und wie sehr sie der organische senderen Workshops gut an – verbinden sie doch die Anbau in eigener Regie dabei unterstützt hat. Auch wir Vermittlung von Wissen zum Umgang mit Pflanzen mit hier in der Stadt werden durch unsere Gartenprojekte der Möglichkeit, sich über Probleme auszutauschen stärker“, ist Edileusa Pena überzeugt. und sich gegenseitig zu stärken. Denn Probleme und Diese Erfolge möchte GMB nun mit ASW- Unter- Belastungen für die Frauen gibt es genug in den ge- stützung weiter ausbauen und verbreiten. „Schließlich walttätigen Stadtrandsiedlungen. Sie reichen von Ar- gibt es so viele versteckte Orte für Agrarökologie auch mut, häuslicher Gewalt bis zum Verlust von Kindern in der Stadt“, sagt Solange. Ein weiterer Erfahrungs- und Angehörigen durch Morde. austausch mit der Gemeinde Pirocaba und den kämp- Außerdem finden auch Themen wie Frauenheil- ferischen Frauen der ASW-Partnerorganisation FASE ist kunde Platz und dazu wird auch über die Wirkung der auch schon fest eingeplant. Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 11
IN EIGENER SACHE Neues Thema, neues Themenheft: Migration aus der Südperspektive „Hinter die Grenzen geschaut“ lautet der Arbeitstitel, ßen“, weil die Männer für Saisonarbeit oder längerfris- der uns aktuell bei der Konzipierung eines Themen- tig migriert sind. Und wenn Frauen selbst migrieren, heftes zu Migration leitet. Es wird im Dezember 2019 wo landen sie? Viele vermutlich als Hausangestellte anstelle der Solidarischen Welt (siehe Editorial) er- der städtischen Mittelschicht. Es gibt derzeit noch we- scheinen. Um Ihre Vorfreude zu wecken, wollen wir Ih- nige verlässliche Zahlen dazu, aber es gibt Indizien, nen vorab die wichtigsten Themenkomplexe präsen- dass auch im globalen Süden der Anteil der Migran- tieren. tinnen in der Gruppe der formell oder informell als Hausangestellte beschäftigten Frauen steigt. Was veranlasst Men- „Weltweit“, so sagt zum Beispiel Karin Pape von schen zur Migration? Für der Internationalen Föderation der Hausangestellten ländliche Gebiete geben (IDWF) „sind 20 Prozent aller Hausangestellten Mi- Analysen aus dem Um- grantinnen, allerdings sehr ungleich verteilt. In Län- feld unserer Partner eine dern mit hohem Einkommen sind es gemäß Angaben Antwort, die zeigen, wie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) bis zu 80 Menschen durch Roh- Prozent. Generell ist es schwierig die Anzahl von Haus- stoff- und Staudammpro- angestellten zu erfassen, da die meisten informell ar- jekte, Landgrabbing und beiten.“ die Folgen des Klimawan- Und wie geht es den Betroffenen, die migrieren? dels ihrer Existenzgrund- Die Südperspektive einnehmen heißt für uns auch, lage beraubt werden. Ge- ihre Motivationslage zu erforschen. Über Interviews rade in Westafrika, wo wollen wir uns den Zugang erschließen und die fast zwei Drittel der Men- Chance nutzen, auch einmal gegen den Strich zu fra- schen von der Landwirt- gen: Bietet die Abwanderung vor allem jungen Men- schaft abhängen, sind schen und Frauen auch die Chance, aus überkomme- Dürren und unkalkulier- nen Rollen auszubrechen und neue Identitäten zu er- bare Regenfälle als Folgen des Klimawandels ein ganz proben? Sind die Migrierenden also nicht nur Opfer, wesentlicher Treiber der Migration. Dies gilt auch für sondern auch Subjekte einer eigenen Lebensgestal- Menschen des ländlichen Indiens. Zudem werden tung? dort, wie auch in Brasilien, immer mehr Menschen durch Rohstoffabbau und Staudammprojekte aus ihrer Wir vermuten allerdings, dass dieser Aspekt von Mi- Lebensumgebung vertrieben. gration in keinem Verhältnis steht zu dem großen Leid, Welches aber sind die Muster und Wege der Mi- das gerade in den von Abwanderung betroffenen Re- gration – im und aus dem Süden? Fest steht, dass die gionen unserer Projektländer herrscht und das den Lu- meisten Menschen nach Verlust ihrer Lebensgrund- xus von Freiwilligkeit gar nicht zulässt. Die Migrieren- lage auf dem Land vor allem Zuflucht in den Städten den sind dort oft Menschen aus benachteiligten Ge- oder in den Nachbarländern suchen. Eine Studie des meinschaften von Landlosen, Indigenen oder Dalits. französischen Instituts für Migration und demografi- Für Indien geht man derzeit davon aus, dass bereits sche Studien, INED, hat die Migrationsmuster aus Sub- 50 Prozent der indigenen Adivasi zwangsweise ihre sahara-Afrika analysiert. Der Autor François Héran angestammte Umgebung verlassen mussten. kommt zu dem Ergebnis, dass von den Migrant*innen aus diesen Ländern 70 Prozent in ein anderes subsa- Ende 2019, sobald das Themenheft erschienen ist, harisches Land gehen. Nur 15 Prozent gehen nach dürfen Sie sich dann auf das nächste Highlight freuen: Europa, die anderen 15 Prozent verteilen sich auf Für April 2020 planen wir eine Tagung, bei der wir mit Nordamerika und die Golfstaaten. Partner*innen, Fachleuten und Menschen aus der EZ Mythen der Migration aufbrechen und Menschen des Wie immer interessiert uns die Genderfrage. Wie sind globalen Südens das Wort erteilen wollen. Frauen von Migration betroffen – als aktive Migrantin- nen und als Zurückgebliebene? Zum Beispiel müssen Isabel Armbrust in unseren Projektregionen in Afrika und Indien immer mehr Bäuerinnen allein die Landwirtschaft „schmei- 12 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
UNSER STANDPUNKT Nicht nur Menschen, auch Hoffnungen sind in Simbabwe gestorben VON BOUBACAR DIOP Nach dem Staatsstreich Ende 2017, der 37 Jahre Dik- nisationen unter Druck gesetzt wurde. Diese Einladung tatur von Präsident Robert Mugabe beendete, und zum Dialog wurde vom Oppositionsführer Nelson Cha- trotz der umstrittenen Wahl von Präsident Emmerson misa abgelehnt. Letzterer fordert die sofortige Been- Mnangagwa zum Präsidenten der Republik, keimte digung von illegalen Inhaftierungen und die Über- bei den Menschen in Simbabwe etwas Hoffnung auf. nahme der Verantwortung durch Polizei und Militärbe- Hoffnung auf eine Wende zu ei- ner demokratischeren Entwick- lung und zu einem wirtschaftli- chen Aufschwung des Landes. Die Simbabwer*innen hofften vor allem, dass die neue Regie- rung zumindest die Menschen- rechte achten würde. Mit den heftigen Repressionen während der Demonstration am 15.01.2019, die sich u.a. gegen (150 Prozent) steigende Ben- zinpreise und eine katastro- phale wirtschaftliche Situation richtete, starb dieser Traum: Kugeln, die von Sicherheits- kräften auf die Zivilbevölke- rung gefeuert wurden, nahmen zwölf Menschen das Leben. Außerdem wurden Hunderte verletzt und nochmals Hunderte willkürlich verhaftet, Wird der Karren wieder ins Rollen kommen? Die unter ihnen Persönlichkeiten wie Pastor Evan Mawa- aktuellen Proteste wurden durch die starken Benzin- rire, Mitglieder der Oppositionspartei MDC (Bewegung preiserhöhungen ausgelöst. für einen Demokratischen Wandel) und mehrere Ge- werkschaftsführer. hörden, die diese Menschenrechtsverletzungen be- Ist die Diktatur wieder da? gangen haben. Angesichts dieser Situation muss man feststellen, Simbabwe habe sich von einem Polizeistaat zu einem dass das repressive System, das das Volk Simbabwes Militärstaat entwickelt, sagt Oppositionsführer Nelson seit 37 Jahren kannte, noch lange nicht am Ende ist. Chamisa. Das blutige Eingreifen des Militärs bei den Das System bleibt bestehen, und die Männer, die es Demonstrationen am 15. Januar ist tatsächlich einer verkörpern sowie die politische Partei ZANU-PF haben Diktatur würdig. Es ist ein offensichtlicher Verstoß ge- immer noch die Macht. gen die Verfassung des Landes, die den Einsatz von Nach einer kurzen Entspannungsphase nach der Militär nur unter bestimmten Bedingungen vorsieht. Regierungsübernahme durch Mnangagwa wird die öf- Neben diesen Menschenrechtsverletzungen und der fentliche Äußerung von Kritik an der Regierung wieder Erniedrigung der Zivilbevölkerung durch Sicherheits- als riskant eingestuft. Eine Projektpartnerin der ASW kräfte wurde auch der Zugang zum Internet blockiert. zum Beispiel zog ihre Zusage zurück, für uns einen Auch nach den Demonstrationen wurden Oppositions- Kommentar zur aktuellen Menschenrechtslage zu ver- führer- und Aktivist*innen der Zivilgesellschaft gezielt fassen. Wir, die ASW finden diese Entwicklung höchst verhaftet. bedenklich. Präsident Mnangagwa ruft nun zu einem nationa- len Dialog auf, nachdem er von der internationalen Ge- meinschaft und internationalen Menschenrechtsorga- Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 13
WELTNACHBAR WELTNACHBAR Alles, was wir tun hat Ursache und Wirkung Yoga für Weltnachbarschaft Sie spenden seit über 10 Jahren regelmäßig für die ASW. Warum? Ich kann nicht mehr genau rekonstruieren, wie ich damals auf die ASW kam. Es hat auf jeden Fall mit Indien zu tun, mit dem Einsatz der ASW für die Adivasi und andere Be- nachteiligte. Denn ich war selbst mehrmals dort. 10 Mal Ralf Schütt betreibt in Peine das Yogazentrum JIVANA, allein in Pune bei B. K. S. Iyengar, bei dem ich gelernt das an der Lehre von B. K. S. Iyengar ausgerichtet ist. habe und nach dessen Methode ich Yoga unterrichte. Das Foto zeigt ihn bei der „Parivritta Janu Sirsanana“ (gedrehte Knie zum Kopf)-Stellung. Anlässlich des 100. Geburtstages von Iyengar haben Sie Anfang 2019 einen größeren Betrag an die ASW überwie- sen. Wie kam der Betrag zusammen? Das Spenden hat bei mir Tradition. Ich will etwas geben. Ich habe bei meinen Aufenthalten in Indien viel Leid ge- Iyengar (1918 – 2014) wäre im Dezember 2018 100 Jahre sehen. Krasse Gegensätze: Menschen in Slums und sol- geworden. Um dies zu feiern habe ich Anfang Januar eine che, die ihren Reichtum nach außen tragen. Veranstaltung für meine Yoga-Kursteilnehmer*innen aus- Wenn ich jemandem helfe, macht mir das Freude. Au- gerichtet. Es gab Essen, eine Vorführung eines Kathak- ßerdem denke ich als Yogalehrer: Was ich im Leben gebe, Tanzes und einen Film über Iyengar. Bei diesem Anlass kommt auch zurück. Alles was ich tue, hat eine Ursache habe ich eine Spendendose aufgestellt. und eine Wirkung. Warum fordern Sie Ihre Teilnehmer*innen zu Spenden für Wir, die ASW danken Herrn Schütt im Namen unserer Part- die ASW auf? Sie könnten auch einen Unkostenbeitrag ner*innen für seine Unterstützung benachteiligter Men- für Essen und Tanzvorführung erbitten? schen in Indien. Setzlinge tauschen und über Glyphosat sprechen Die Steinheimer Pflanzentauschbörse bringt Hobbygärtner*innen zusammen Nikolaus Schäfer, Mitinitiator der Pflanzentauschbörse, stellte Wie wichtig ist denn die Wissensvermittlung auf der Börse? 2018 dort die ASW-Gärten der Solidarität vor und spendete ei- nen Teil der Spendeneinnahmen für ASW Projekte. Die ist sehr zentral. In jedem Jahr steht die Tauschbörse unter einem Oberthema. 2014 war das Thema Glyphosat und wir ha- Sie organisieren einmal im Jahr in Steinheim an der Murr eine ben zu diesem Herbizid sensibilisiert. Pflanzentauschbörse. Was ist die Idee? Vor drei Jahren ging es um biologische Pflanzenschutzmit- tel und wir gaben Anleitungen, wie man Brennnesseljauche, Es geht u.a. darum, Leute zusammenzubringen, die selber Schachtelhalmtee oder einen Sud aus Zwiebel-und Knoblauch- Hobbygärtner sind oder sich für die Gärtnerei interessieren. schalen selbst herstellen kann. Vor zwei Jahren war das Thema Menschen lernen an den Marktständen Pflanzensorten kennen, der Muskateller-Salbei. Das ist eine alte Pflanze, die im 19 Jahr- die sie nicht kannten und noch nicht angebaut haben. Auch hundert dazu verwendet wurde, Wein zu aromatisieren. Sie ist kann Überschuss abgegeben werden. Gemüsegärtner säen im ein Insektenmagnet und lockt vor allem die Holzhummel an, die Frühjahr aus, wissen aber nicht, wieviele Samen aufgehen. Man eine nützliche Pflanzenbestäuberin ist. Diese Informationen hat dann zuviele Pflanzen und kann diese abgeben oder tau- habe ich an unserem Stand ausgelegt. schen sowie andere Gärtner*innen über die Eigenschaften die- Und im aktuellen Jahr 2018 waren die ASW-Gärten der So- ser Pflanzen informieren. lidarität im Fokus. Dazu habe ich die ASW-Faltblätter unter die 14 I Solidarische Welt Nr. 245, März 2019
WELTNACHBAR WELTNACHBAR Was dem Ehepaar Neumann-Hönig seit 30 Jahren an der ASW gefällt „Die ASW ist mit unserer Ehe verbunden“, sagt Jürgen Hö- nig in unserem Gespräch. Denn vor 30 Jahren spendeten die Frischvermählten, Jürgen Hönig und Elke Neumann- Das Ehepaar Hönig spendete anlässlich des Hönig, erstmals einen größeren Betrag für die ASW. Auch 30sten Hochzeitstages 200 Euro für das ASW- damals baten sie ihre zahlreichen Hochzeitsgäste um Gartenprojekt in Burkina Faso. Spenden statt Geschenke. „Wir hatten schon Vieles und brachten Vieles aus bis dahin zwei Wohnungen in den ge- an, bevor es handelt. Und ist zu dem Schluss gekommen, meinsamen Haushalt ein. Wir wollten keine zehnte Blu- dass es vor allem wichtig ist, Dinge in den eigenen Alltag menvase und kein drittes Bowle-Set. Aber noch wichtiger einzubauen, die einen positiven Einfluss auf die interna- war, dass wir das Feiern mit anderen schon als großes Ge- tionalen Wirkungszusammenhänge haben. schenk betrachteten. Materielle Geschenke sollten daher „Solidarisch handeln kann ich leider nicht direkt vor anderen zugutekommen.“ Ort, also auf der Südhalbkugel, wo die Not am größten Den ersten Kontakt zur ASW hatte Elke Neumann-Hö- ist“, sagt Herr Hönig. „Ich kann aber hier, zum Beispiel nig hergestellt. Sie war 1988 bereits Gemeindepfarrerin, durch mein Konsumverhalten, darauf einwirken, dass sich in der Friedensbewegung aktiv und hatte von anderen die Produktionsbedingungen bei Textilien oder der Her- Mitstreiterinnen von der ASW erfahren. Beiden Partnern stellung von Nahrungsmitteln verbessern. Indem ich nur war bei den Hochzeitsvorbereitungen klar, dass die Geld- bestimmte Dinge kaufe und andere nicht kaufe.“ geschenke zur Hochzeit zum größten Teil an ASW-Projekte An der ASW heute, also 30 Jahre nach der Erstbegeg- gehen sollten. In den Jahren danach blieben sie der ASW nung, gefällt dem Ehepaar besonders, dass sie sich so treu. stark fokussiert: Auf wenige Länder und wenige Themen „Wir hatten einen Betrag festgelegt, den wir jährlich und dabei vor allem auf die Frauenrechte; und dass sie spendeten. Immer wenn die Faltblätter der ASW auf Öko- weiterhin kleine Projekte anschiebt, bei denen Menschen papier ins Haus trudelten, gefielen uns die kleinen Pro- der Zielgruppe selbst zu Multiplikator*innen werden. jekte, die sich abhoben von dem, was wir von den großen Und was möchte Herr Hönig anderen Menschen ra- Hilfswerken wie Brot oder Caritas kannten. Wir wollten ten, die sich solidarisch engagieren möchten? möglichst nah dran sein an den Menschen.“Die Infoblät- „Die ASW unterstützen heißt, anderen einen Weg in ter der ASW boten dem Ehepaar jedes Mal Gesprächs- die Zukunft zu ermöglichen. Schauen Sie aber vor allem, stoff, und manche Anregungen daraus flossen auch in die wie Sie tagtäglich solidarisch handeln können, indem Sie Predigten von Pfarrerin Neumann-Hönig ein. entsprechende Handlungsweisen in Ihren Alltag integrie- „Ich sehe heute eine noch größere Notwendigkeit, ren.“ sich gegen negative Folgen der Globalisierung zu enga- gieren“, ist Herr Hönig überzeugt. Das Ehepaar schaut Von Isabel Armbrust sich dabei die Komplexität des Weltsystems sehr genau Leute gebracht und darauf vertraut, dass Warum? Wo ist da aus Ihrer Sicht das Gemeinsame? Interessierte sich die zuhause an- schauen und prüfen, ob die Idee in ihre Meine Gedankenbrücke war: hier wie dort hast du Leute, die ihr Gedankenwelt passt. Eine Rückmeldung eigenes Obst und Gemüse ziehen und sich so unabhängiger werde ich auf der nächsten Pflanzen- machen. Die Leute im Süden sichern ihre Ernährung, unsere tauschbörse 2019 bekommen – denn Leute werden unabhängig vom Supermarktgemüse, das fade die meisten Hobbygärtner*innen kom- schmeckt und weniger gesund ist. Auch die Gemeinschaftskom- men wieder. ponente gibt es nicht nur in den Gärten auf der Südhalbkugel, sondern auch bei unseren Hobbygärtner*innen, die durch die Wie kamen Sie überhaupt auf die ASW? Neuentdeckung einer alten Pflanzensorte und den Austausch von Wissen zusammengebracht werden. Ihr Flyer ‚Gärten der Solidarität‘ fiel mir als Beilage der Zeitschrift Kraut und Rü- Wir danken Herrn Schäfer für seine tolle Idee und für die Spende ben in die Hände. Die Idee fand ich ge- für ASW-Projekte. nial und ich sah sofort, dass sie das Potential hat, unsere Hobbygärtner*innen zu begeistern. Solidarische Welt Nr. 245, März 2019 I 15
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