Alkohol und andere Suchtmittel am Arbeitsplatz - Ein Leitfaden für Führungskräfte - Fachstelle NÖ

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Alkohol und andere Suchtmittel am Arbeitsplatz - Ein Leitfaden für Führungskräfte - Fachstelle NÖ
Alkohol und andere
      Suchtmittel am Arbeitsplatz
                Ein Leitfaden für Führungskräfte

fachstelle.at
Alkohol und andere Suchtmittel am Arbeitsplatz - Ein Leitfaden für Führungskräfte - Fachstelle NÖ
Impressum
Fachstelle für Suchtprävention NÖ
Brunngasse 8, 3100 St. Pölten

Teile der Inhalte dieser Broschüre wurden uns vom Institut für
Suchtprävention der Sucht- und Drogenkoordination Wien mit
freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt und für Nieder-
österreich adaptiert.

Alle Angaben ohne Gewähr.

St. Pölten, 1. Auflage: September 2021

                                                                  2
Inhaltsverzeichnis
Praktische Relevanz des Leitfadens                                            5

1. Sucht - was ist das und wie entsteht sie?                                  6
1.1 Kriterien für das Abhängigkeitssyndrom                                    6
1.2 Entstehung von Sucht bzw. Abhängigkeit                                    6
1.3 Alkohol - Definition von Konsum                                           7

2. Was ist betriebliche Suchtprävention?                                      8
2.1 Nutzen                                                                    8
2.2 Suchtprävention als Investition in die Gesundheit                         8
2.3 Handlungsmöglichkeiten von Führungskräften                                9
2.4 Verankerung im Betrieb                                                   10
2.5 Betriebliche Programme                                                   10

3. Wie erkenne ich frühzeitig eine Suchtproblematik bei Mitarbeiter*innen?   13
3.1 Merkmale von problematischem Konsumverhalten                             13
3.2 Substanzen und deren Einfluss auf die Arbeit                             14
3.3 Früherkennung von Verhaltenssüchten                                      15

4. Vorgangsweise bei Verdachts- und Anlassfällen                             16
4.1 Fürsorge- und Klärungsgespräch                                           16
4.2 Vorgehen nach Stufenplan                                                 17
4.3 Gesprächsvorbereitung und -führung                                       18
4.4 Vorgehensweise bei akuten Anlassfällen                                   18
4.5. Entgeltfortzahlungen bei berauschtem Zustand                            18

5. Welche rechtlichen Grundlagen gibt es?                                    20
5.1 Fürsorgepflicht der Arbeitgeber*innen                                    20
5.2 Treuepflicht der Beschäftigten                                           21
5.3 Einschreiten eines Betriebes                                             22
5.4 Betriebsvereinbarung                                                     22
5.5 Rechtslage bei Lehrlingen                                                22
5.6 Konsum(verbot) am Arbeitsplatz                                           23
5.7 Alkohol- und Drogentests in Betrieben                                    23
5.8 Sonstige rechtliche Aspekte                                              24

6. Suchtprävention für Jugendliche/Lehrlinge                                 26
6.1 Relevanz von Suchtpräven­tion im Lehrbetrieb                             26
6.2 Voraussetzungen                                                          26
6.3 Implementierung eines Leitfadens                                         26
6.4 Auswirkungen eines Substa­nzkonsums auf die Arbeitsfähigkeit             27
6.5 Was tun bei einem Anlassfall?                                            27
6.6 Wie suchtpräventiv ist unser Unternehmen?                                27

7. Wo gibt es Beratung und Hilfe in Niederösterreich?                        28
7.1 Beratung zur betrieblichen Suchtprävention                               28
7.2 Beratung zu arbeitsrechtlichen Aspekten                                  29
7.3 Suchtberatung in Niederösterreich                                        29
7.4 Jugendsuchtberatung in Niederösterreich                                  29

8. Orientierungshilfe für die Gesprächsführung                               30

9. Literaturverzeichnis                                                      31

                                                                                   3
Praktische Relevanz des Leitfadens
Alkohol- und Suchtmittelkonsum kann jede Person betreffen - unabhängig davon, in
welchem Betrieb sie arbeitet.

Die Auswirkungen des problematischen bzw. abhängigen Konsumverhaltens von Mitarbeiter*innen (siehe
Seite 7) können für ein Unternehmen und für die betroffene Person selbst gravierend sein: Der Konsum
von Alkohol oder anderen Suchtmitteln beeinflusst die Arbeitsleistung, die Sicherheit und die Gesundheit
der Mitarbeiter*innen.

Für Sie als Führungskraft

Wir haben erfolgreiche Strategien und erprobtes Know-how zusammengestellt, damit Sie korrekt handeln
können, wenn Mitarbeiter*innen problematisch konsumieren. In diesem Leitfaden finden Sie alles zum
Umgang mit Anlassfällen, aber auch Tipps zur Umsetzung suchtpräventiver Maßnahmen für alle Mitar-
beiter*innen Ihres Unternehmens, um generell ihre Gesundheit zu fördern. Anlassfälle werden in dieser
Broschüre als Störungen im Arbeitsablauf oder im Arbeitsumfeld durch Vernachlässigung der arbeits-
rechtlichen oder dienstlichen Verpflichtungen in Zusammenhang mit dem Konsum von Suchtmitteln oder
suchtbedingtem Verhalten verstanden.

Die Informationen und Vorgehensweisen im Leitfaden gelten schwerpunktmäßig für Alkohol, aber
auch für andere legale und illegale Suchtmittel. Vor allem geht es um berauschende Substanzen, die die
Arbeitsfähigkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz gefährden.

Beim Thema Rauchen stellen sich andere Fragen. Die Gesetze zum Schutz von Nichtraucher*innen finden
Sie auf der Webseite der Arbeiterkammer (www.­arbeiterkammer.at).

Mit betrieblicher Suchtprävention sollen die oft schwerwiegenden Auswirkungen von problematischem
Konsum und Abhängigkeitserkrankungen frühzeitig verhindert werden.

         Dieser Leitfaden informiert darüber,

         ·   was Sucht bzw. Abhängigkeit ist,

         ·   wie Sie erste Anzeichen erkennen können,

         ·   wie Sie im Anlassfall vorgehen müssen,

         ·   wie Sie betroffene Mitarbeiter*innen auf ihr Verhalten ansprechen können,

         ·   welche Interventionen und Maßnahmen für Betriebe sinnvoll sind,

         ·   was bei rechtlichen Fragen zu beachten ist,

         ·   welche Beratungs- und Suchthilfeeinrichtungen es in Niederösterreich gibt.

                                                                                                           5
1. SUCHT -
was ist das und wie entsteht sie?
Sucht bzw. Abhängigkeit ist eine Erkrankung. Sie                  1.1 Kriterien für das
kann verschiedene Ursachen und unterschiedliche                       Abhängigkeitssyndrom
Verläufe haben.
                                                                  Nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10 der
Eine Abhängigkeit (umgangssprachlich: Sucht) entwickelt sich      WHO (Dilling, Mombour & Schmidt, 2011) wird die Diagnose
meist über einen längeren Zeitraum und bleibt zu Beginn oft       „Abhängigkeit“ nur dann gestellt, wenn irgendwann während
unbemerkt. Sie entzieht sich weitgehend der Kontrolle von         des letzten Jahres drei oder mehrere der folgenden Kriterien
Betroffenen.                                                      gleichzeitig vorhanden waren:

Wie bei jeder anderen Krankheit gibt es auch bei einer Abhän-     · Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, die Substanz zu
gigkeit bestimmte Symptome, die vorhanden sein müssen,             konsumieren.
damit von einer Erkrankung gesprochen werden kann (siehe
nachstehende Kriterien). Die medizinische Diagnose kann nur       · Verminderte Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Beginns,
von ausgebildeten Fachkräften gestellt werden, zum Beispiel        der Beendigung und der Menge des Konsums.
von Psychiater*innen oder klinischen Psycholog*innen.
                                                                  · Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung
Für die Abhängigkeit von Suchtmitteln wie Alkohol, Medika-         bzw. Reduktion des Konsums.
menten oder illegalen Substanzen (z.B. Kokain, Heroin etc.)
hat sich der medizinische Fachbegriff „Abhängigkeitssyndrom“      · Um dieselbe Wirkung zu erzielen, sind zunehmend höhere
durchgesetzt.                                                       Dosen der Substanz erforderlich (Toleranzentwicklung).

Abgesehen von Substanzsüchten gibt es auch Verhaltenssüchte,      · Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen
wie beispielsweise Glücksspielsucht oder Computerspielsucht.       oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums.
Dafür wird der Fachbegriff „Persönlichkeits- und Verhaltensstö-
rung“ sowie „Störung der Impulskontrolle“ verwendet.              · Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises
                                                                   eindeutiger schädlicher Folgen.

                                                                  1.2 Entstehung von Sucht bzw.
     Eine Abhängigkeitserkrankung                                     Abhängigkeit
       erfordert eine Behandlung.
                                                                  Hierbei spielen Schutz- und Risikofaktoren eine wichtige Rolle.
                                                                  Schutzfaktoren - beispielsweise familiärer Rückhalt - senken
                                                                  die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen Problemverhalten ent-
                                                                  wickeln. Risikofaktoren hingegen - zum Beispiel eine positive
                                                                  Einstellung zum Konsum von Suchtmitteln - erhöhen diese
                                                                  Wahrscheinlichkeit.

                                                                  Neben solchen persönlichen Faktoren oder Umweltfakto-
                                                                  ren trägt auch die Substanz oder das Verhalten selbst (Art
                                                                  der Anwendung, Dosis, Konsumdauer) zur Entstehung einer
                                                                  Abhängigkeit bei.

                                                                                                                                    6
1.3 Alkohol - Definition von Konsum

Risikoarmer Alkoholkonsum                                                                      0,4 l Bier

                                                                     risikoarm
                                                                                               0,2 l Wein
Als risikoarmer Konsum wird bezeichnet, wenn maximal ein                                       =
Glas Bier (0,6 l bei Männern; 0,4 l bei Frauen) bzw. ein Glas Wein                    16 g reiner Alkohol
                                                                                            pro Tag
(0,3 l bei Männern; 0,2 l bei Frauen) pro Tag getrunken wird.

                                                                     mäßiges Risiko
Problematischer Alkoholkonsum

Als Grenze für problematischen Konsum, ab der ein deutlich
erhöhtes Gesundheitsrisiko vorliegt, wird für Männer üblicher-                                 1,0 l Bier
weise ein Wert von 60 Gramm Alkohol pro Tag angegeben, für

                                                                     problematisch
                                                                                               0,5 l Wein
Frauen 40 Gramm. Das entspricht 1,5 bzw. 1 Liter Bier täglich.
                                                                                               =
                                                                                      40 g reiner Alkohol
Die Mengen für den „problematischen Konsum“ dürfen aber
                                                                                            pro Tag
nicht mit einer Abhängigkeitserkrankung gleichgesetzt werden.

Alkoholgebrauch in unangebrachten Situationen wird neben
episodischem Rauschtrinken zu den problematischen Konsum-
mustern gezählt. Durch die unmittelbare Wirkung des Alkohols
entstehen Risiken etwa am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr,                                     0,6 l Bier
                                                                     risikoarm

während der Schwangerschaft oder bei der gleichzeitigen Ein-
                                                                                               0,3 l Wein
nahme von Medikamenten. Hier stehen neben den Gefahren
                                                                                               =
für die Person selbst vor allem die Risiken für Dritte im Fokus,                      24 g reiner Alkohol
wie sie durch ein erhöhtes Unfallrisiko oder die Verwicklung                                pro Tag
in Gewaltsituationen bestehen.
                                                                     mäßiges Risiko

Abhängiger Alkoholkonsum
                                                                                                             (in Anlehnung an Bachmayer, Strizek, Hojni & Uhl, 2020)

Dieser lässt sich nicht ausschließlich über die Konsummenge
                                                                                               1,5 l Bier
definieren. Auch die verminderte, dauerhafte, willentliche
                                                                     problematisch

Kontrolle und Steuerung des Alkoholkonsums ist zu berück-                                      0,75 l Wein
sichtigen. Der Konsum beginnt beispielsweise schon in der Früh                                 =
                                                                                      60 g reiner Alkohol
am Weg zur Arbeit. Es werden die sechs Kriterien nach ICD-10                                pro Tag
herangezogen (Österreichische ARGE Suchtvorbeugung, 2020).

                     Für risikoarmen Konsum empfehlen wir, an
               mindestens 2 aufeinanderfolgenden Tagen in der Woche
                              keinen Alkohol zu trinken.

                                                                                                                                                                       7
2. Was ist
betriebliche Suchtprävention?
Betriebliche Suchtprävention ist eine Investition                    RISIKOFAKTOREN bei der Arbeit
in die Gesundheit der Beschäftigten und stellt die
Menschen in den Mittelpunkt. Das Augenmerk                           • Ständige Überforderung oder Unterforderung
liegt auf Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsfä-                      • Soziale Spannungen und schlechtes Betriebsklima
higkeit der Beschäftigten. Der Nutzen übersteigt
in jedem Fall die Kosten.                                            • Fehlende Anerkennung und Wertschätzung

                                                                     • Hoher Leistungsdruck
Ein wesentlicher Schritt in Richtung eines integrierten Ge-
                                                                     • Ständiger Zeitmangel und Stress
sundheitsmanagements ist der Ausbau von betrieblicher
Gesundheitsförderung und Suchtprävention. Ein integriertes           • Mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz
Gesundheitsmanagement bedeutet die bewusste Steuerung
und Integration betrieblicher Prozesse mit dem Ziel, die Ge-
sundheit der Beschäftigten zu fördern. Unterschiedliche
                                                                     SCHUTZFAKTOREN bei der Arbeit
präventive Handlungsfelder werden dabei verbunden. Dazu              • Balance zwischen Überforderung und Unterforderung
zählen: der Arbeits- und Gesundheitsschutz, die betriebliche
                                                                     • Gutes Betriebsklima
Suchtprävention, die betriebliche Gesundheitsförderung und
das betriebliche Eingliederungsmanagement.                           • Anerkennung und Wertschätzung

                                                                     • Erbringen von Leistungen ohne ständigem Druck
Die Gesundheit aller Beschäftigten und somit auch die Grund-
                                                                     • Zeit und Phasen mit weniger Stress
sätze der Suchtprävention werden so im Leitbild, in der Füh-
rungskultur wie auch in Strukturen und Prozessen des Unter-          • Klare Aufgaben
nehmens auf Dauer verankert.                                         • Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten

Arbeit ist ein stabilisierender Faktor, der dazu beitragen kann,
Menschen gesund zu erhalten. Arbeit kann aber auch zu einer        2.1 Nutzen
Suchterkrankung beitragen.
                                                                   Ein Programm zur betrieblichen Suchtprävention trägt
Sie als Führungskraft können die „schützenden“ Faktoren im         dazu bei …
Betrieb maßgeblich mitgestalten.
                                                                   · die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der
                                                                     Mitarbeiter*innen zu erhalten bzw. zu verbessern,

    Betriebliche Suchtprävention ist                               · das Firmenimage durch ein integriertes Gesundheits-
                                                                     management zu steigern,
   eine Investition in die Gesundheit.
                                                                   · die gesamte Belegschaft hinsichtlich möglicher Sucht-
                                                                     gefahren zu sensibilisieren,

                                                                   · einem problematischen Konsum von Suchtmitteln
                                                                     und suchtbedingtem Verhalten vorzubeugen,

                                                                   · die Arbeitssicherheit zu erhöhen und Krankheits-
                                                                     und Unfallkosten zu reduzieren,

                                                                   · problematisches Konsumverhalten oder eine Sucht-
                                                                     gefährdung frühzeitig zu erkennen bzw. zu intervenieren,

                                                                   · Kündigungen oder Arbeitsausfälle von Mitarbeiter*innen
                                                                     aufgrund suchtbedingter Probleme zu vermeiden.

                                                                                                                                8
2.2 Suchtprävention als Investition in die                      Suchtbedingte Fehlzeiten
    Gesundheit
Alkoholabhängigkeit ist die häufigste Diagnose bei Suchter-     Alkohol und Rauchen sind die Hauptursachen suchtbedingter
krankungen in Österreich. 5 bis 10 % aller Beschäftigten in     Fehlzeiten. An Bedeutung gewinnen aber auch leistungsstei-
Unternehmen sind alkoholkrank oder konsumieren proble-          gernde Suchtmittel, oft in Form von Medikamenten. In einer
matisch. Die verminderte Leistungsfähigkeit der betroffenen     Studie von Badura, Ducki, Schröder, Klose & Meyer (2013)
Mitarbeiter*innen hat dabei negative Folgen für das gesamte     wurden die Fehlzeiten in Deutschland im Jahr 2012 erhoben:
Unternehmen.                                                    Fast 44 % der suchtbedingten Fehlzeiten entfallen in Deutsch-
                                                                land auf Alkoholkonsum, die restlichen 56 % auf Tabakkon-
                                                                sum und multiplen Substanzgebrauch.
   SUCHTBEDINGTE AUSWIRKUNGEN
   auf Betriebe

   Alkoholkranke sind laut der Deutschen Hauptstelle            2.3 Handlungsmöglichkeiten von
   für Suchtfragen (DHS, 2011) im Durchschnitt um 25 %              Führungskräften
   weniger leistungsfähig. Die Mitarbeiter*innen sind bei
   vollen Bezügen zwar „im Dienst“, die Arbeitsleistung ist     Sie als Führungskraft haben eine wichtige Funktion beim Pla-
   jedoch gemindert.                                            nen und Umsetzen von Programmen betrieblicher Suchtprä-
                                                                vention in Ihrem Unternehmen. Einerseits geht es darum, alle
   Der problematische Konsum von Suchtmitteln führt             Mitarbeiter*innen zum Thema zu informieren und sie dafür
   zu mehr Fehlzeiten und häufigeren Krankenständen.            zu sensibilisieren. Andererseits geht es darum, das Interven-
   Problematisch konsumierende Mitarbeiter*innen sind           tionskonzept bei suchtmittelbedingten Auffälligkeiten konse-
   bis zu 2,5-mal häufiger krank.                               quent umzusetzen (siehe Kapitel 4.2).

   Ungefähr jeder dritte Unfall bei der Arbeit und am           Betriebe können das Verhalten ihrer Mitarbeiter*innen be-
   Arbeitsweg passiert unter Mitbeteiligung von Alkohol         einflussen — positiv wie negativ. Führungskräfte-Schulungen
   oder anderen Suchtmitteln, wobei bereits bei geringer        zum Thema „Betriebliche Suchtprävention“ sind ein wichtiger
   Alkoholisierung die Risikobereitschaft steigt.               Bestandteil einer erfolgreichen Umsetzung. Damit das Verhal-
                                                                ten von Führungskräften kein Belastungsfaktor wird, sollten
                                                                wesentliche Prinzipien gesunder Führung beachtet werden.
Eine Studie des Instituts für Höhere Studien in Österreich
(Czypionka, Pock, Röhrling & Sigl, 2013) belegt, dass proble-   Gesunde Führung ist geprägt von
matischer Alkoholkonsum dem Gesundheitssystem und den
Betrieben hohe Kosten verursacht. Die Ergebnisse für Öster-     · Wertschätzung,
reich im Jahr 2011 sind nachstehend angeführt.                  · Übertragen von Verantwortung,
                                                                · Ermöglichen von persönlicher Weiterentwicklung,
  Direkte medizinische Kosten                 € 374 Mio.        · authentischer, transparenter Kommunikation,
  Direkte nicht-medizinische Kosten                             · der Übertragung von klar verständ­lichen und zu
  Krankengeld                                 € 6,6 Mio.          bewältigenden Aufgaben,
  Pflegegeld                                  € 8,0 Mio.        · einem frühen, wertschätzenden Ansprechen
  Invaliditätspensionen                       € 23,5 Mio.         von Auffälligkeiten bei Mitarbeiter*innen.
  Hinterbliebenenpensionen                    € 23,0 Mio.
  Schaden aus ungenutzem Arbeitspotenzial                       Gesunde Führung fängt bei sich selbst als Führungskraft an
  wie Produktivitätsverlust durch Fehlzeiten,                   und ist mitentscheidend, wie gut Mitarbeiter*innen mit Be-
  frühe Pensionierung und Sterblichkeit       € 442 Mio.        lastungen und Anforderungen des Arbeitsalltags umgehen
                                                                können.

                                                                                                                                9
2.4 Verankerung im Betrieb                                   2.5 Betriebliche Programme

Der ganze Betrieb steht im Fokus der Präventionsmaßnahmen,   Ein betriebliches Suchtpräventionsprogramm setzt auf meh-
nicht mehr allein der Einzelfall. Zeitgemäße betriebliche    reren Ebenen an, indem es Leitlinien für den Umgang mit
Suchtprävention informiert nicht nur über Auswirkungen       Suchtmitteln im Unternehmen definiert, gesundheitsför-
und Risiken von Suchtmitteln, sondern richtet sich mit ge-   dernde Maßnahmen beinhaltet, beschreibt, wie Führungs-
sundheitsfördernden Maßnahmen an alle Mitarbeiter*innen      kräfte bei Hinweisen auf einen Anlassfall mit Mitarbeiter*in-
eines Unternehmens. Zu solchen Maßnahmen zählen etwa         nen vorgehen sollen.
Informationsmaterialien, Gesundheitstage und Schulungs-
programme. Beeinträchtigungen bei der Arbeit sind nicht      Das aktuelle Gesamtkonzept eines betrieblichen Suchtpräven-
nur bei abhängigen Personen stark ausgeprägt, sondern auch   tionsprogramms umfasst die Bereiche „Vorbeugung“, „Inter-
bei den Menschen, die Suchtmittel in problematischer Weise   vention“, „Beratung“ und „Strukturen“.
konsumieren.

                                                  GESAMTKONZEPT

                       Steuerungsgremium: Arbeitskreis Suchtprävention/Gesundheit

                         • Abstimmung von Zielen und Maßnahmen
                         • Erstellung eines Interventionsleitfadens/einer Handlungsanleitung
                         • Erstellung einer Betriebs-/Dienstvereinbarung
                         • Einbindung in das betriebliche Gesundheitsmanagement
                         • Weiterentwicklung des Konzepts und der Angebote

       Vorbeugung,                  Intervention                   Beratung und                       Strukturen
       Information                         -                       Hilfsangebote                           -
        und Aktion                  Qualifizierung                        -                            Qualitäts-
             -                    und Beratung von                 Betriebliches                       sicherung
     Gesundheitskom-               Personalverant-                Unterstützungs-                          -
          petenz                     wortlichen                        system                         Vernetzung

                                                                                           (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011)

                                                                                                                                          10
Kernelemente dabei sind:                                       Ziel dieser Maßnahmen ist es,

                   Wissen: Informationen sorgen für ein besseres Verständnis      das Thema Suchtmittelkonsum zu enttabuisieren, bei allen
                   im ganzen Betrieb. Damit kann eine Auseinandersetzung mit      Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten ein Problembewusst-
                   dem Thema Sucht und Konsumverhalten beginnen.                  sein zu entwickeln und Probleme frühzeitig zu erkennen und
                                                                                  Betroffene dem Hilfesystem zuzuführen.
                   Hilfe statt Strafe: Das Angebot von Hilfe - anstatt einer
                   Kündigung - ermöglicht es, dass Probleme selbst oder von       Bei den vorbeugenden Maßnahmen werden verhaltensorien-
                   Kolleg*innen angesprochen werden können. (Eine drohende        tierte und verhältnisorientierte Prävention sowie suchtspezi-
                   Kündigung macht aus Suchtproblemen ein unansprechbares         fische und übergreifende Prävention unterschieden.
                   Tabuthema!)
                                                                                  Die verhaltensorientierte Prävention bezieht sich dabei auf
                   Entdramatisierung: Abhängigkeitserkrankungen können            das individuelle Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter*innen.
                   enttabuisiert und erfolgreich behandelt werden.
                                                                                  Die verhältnisorientierte Prävention hat das Ziel einer ge-
                   Präventive Maßnahmen in Betrieben                              sunden Organisation und bezieht sich auf die Arbeits- und
                                                                                  Umweltbedingungen. Ein umfassendes betriebliches Sucht-
                   Professionelle Suchtprävention ist mit Strategien und Maß-     präventionsprogramm beinhaltet neben den vorbeugenden
                   nahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Perso-      Maßnahmen vor allem Maßnahmen der Intervention und Be-
                   nalentwicklung, der Arbeitssicherheit und der Arbeitsmedizin   ratung sowie die Vermittlung von Handlungskompetenz bei
                   verknüpft.                                                     Führungskräften.

                      VERHALTENS­O RIENTIERTE Suchtprävention                      VERHÄLTNISORIENTIERTE Suchtprävention

                      · Information und Aufklärung über Wirkung                    · Abbau suchtfördernder Arbeitsbedingungen
                        von Suchtmitteln und problematischem Konsum
SUCHTSPEZIFISCHE

                                                                                   · Einschränkung der Verfügbarkeit von Suchtmitteln
   Prävention

                      · Information und Aufklärung über Suchtprävention
                        und -hilfe                                                 · Bereitstellung von alkoholfreien Getränken

                      · Angebote zur individuellen Konsumreduzierung

                      · Qualifizierung und Sensibilisierung der Vorgesetzten

                      · Erweiterung der Gesundheitskompetenz                       · Schaffung gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen
ÜBERGREIFENDE
  Prävention

                      · Stressbewältigung und Selbstmanagement                     · Beteiligungsorientierte Arbeitsgestaltung

                      · Konfliktmanagement                                         · Arbeitsbewältigungscoaching

                      · Fitness und Bewegung                                       · Work-Life-Balance-Konzept

                                                                                                                                                  11
VERHALTENS­O RIENTIERTE Suchtprävention                      VERHÄLTNISORIENTIERTE Suchtprävention

                                                                               Abbau suchtfördernder Arbeitsbedingungen
                   Information und Aufklärung über Wirkung von                 · Fehlende Wertschätzung, Arbeitsplatzunsicherheit,
SUCHTSPEZIFISCHE

                   Suchtmitteln und problematischem Konsum                       Zeitdruck, unklare Anforderungen etc.
   Prävention

                   · Informationsmaterial und Vorträge über Suchtmittel
                     und Konsum                                                Einschränkung der Verfügbarkeit von Suchtmitteln
                   · Gesundheitstage                                           · Einschränkung des Angebots von Alkohol oder
                   · Impulse zur Entwicklung einer alkoholfreien Feierkultur     Alkohoverbot in Kantinen etc.
                     bei betrieblichen Feiern (in Betrieben ohne generellem
                     Alkoholverbot)                                            Bereitstellung von alkoholfreien Getränken
                                                                               · kostenloses Mineralwasser für Mitarbeiter*innen
                   Information und Aufklärung über Suchtprävention               etc.
                   und -hilfe
                   · Führungskräfteschulungen
                   · Informationsvorträge in Teams

                   Angebote zur individuellen Konsumreduzierung
                   · Beratung durch Arbeitspsycholog*innen
                   · Stufenpläne
                   · Kooperation mit Einrichtungen der Suchthilfe,
                     Rauchfreitelefon etc.

                   Qualifizierung und Sensibilisierung der Vorgesetzten
                   · Schulungen für Lehrlingsausbildner*innen und
                     Führungskräfte

                                                                               Schaffung gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen
                   Erweiterung der Gesundheitskompetenz                        · Sicherheit des Arbeitsplatzes, Förderung gegenseitiger
ÜBERGREIFENDE

                   · Informationsmaterial und Vorträge über Gesundheit           Unterstützung durch Kolleg*innen, abwechslungsreiche
  Prävention

                                                                                 Arbeit, Vorgesetzte vermitteln Anerkennung bzw.
                   Stressbewältigung und Selbstmanagement                        konstruktive Kritik etc.
                   · Integration in innerbetriebliche Schulungen
                                                                               Beteiligungsorientierte Arbeitsgestaltung
                   Konfliktmanagement                                          · Gesundheitszirkel
                   · Führungsseminare                                          · mehr Partizipation bei der Gestaltung der Arbeit

                   Fitness und Bewegung                                        Arbeitsbewältigungscoaching
                   · Gutscheine zur Bewegungsförderung                         · Evaluierungen der psychischen Belastungen am
                   · Gratis-Mitgliedschaften im Fitnesscenter für                Arbeitsplatz
                      Mitarbeiter*innen
                                                                               Work-Life-Balance-Konzept
                                                                               · flexible Arbeitszeiten, Erholungsangebote,
                                                                                 Kinderbetreuung etc.

                                                                                                                                          12
3. Wie erkenne ich frühzeitig eine
Suchtproblematik bei Mitarbeiter*innen?
Das Wahrnehmen und Bewerten von Veränderungen bei Mitarbeiter*innen braucht ein hohes Maß an
Sensibilität.

Auffälligkeiten können unterschiedliche Ursachen haben. Nachlassende Leistungen müssen nicht unbedingt auf ein Suchtproblem
hinweisen, sondern können auch durch Lebenskrisen, psychische Beeinträchtigungen oder andere Krankheiten verursacht werden.
Erst mehrere Hinweise begründen ein weiteres Vorgehen. Ob Sie als Führungskraft einschreiten oder nicht, basiert immer darauf,
wie Sie die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person beurteilen:

 • Ist die Person in der Lage, die Arbeit ohne Gefahr für sich und andere zu erledigen?
 • Handelt es sich um Störungen im Arbeitsablauf oder um Verletzungen arbeitsvertraglicher bzw.

3.1 Merkmale von problematischem                                  · Leistungsschwankungen im Arbeitsverhalten und in
    Konsumverhalten                                                 der Arbeitsqualität; gehäuftes Auftreten von Fehlern
                                                                  · Beeinträchtigung der Konzentrations- und
Im Folgenden wird eine Reihe von Auffälligkeiten im Hinblick        Reaktionsfähigkeit
auf einen problematischen bzw. abhängigen Konsum von ei-          · erhöhte Risikobereitschaft
nerseits Alkohol, daran anschließend aber auch von Tabak,         · Kontakt mit Vorgesetzten wird zusehends gemieden
Medikamenten und illegalen Substanzen sowie von substanz-
ungebundenen Abhängigkeiten (Verhaltenssüchten) darge-            Physische Veränderungen
stellt (Barmer GEK und Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen,      · Zittern und Schweißausbrüche
2014).                                                            · gerötetes, aufgedunsenes Gesicht und glasige Augen
                                                                  · Vernachlässigung oder übermäßiges Betonen des
Diese sollen als Unterstützung zur Beobachtung am Arbeits-          äußeren Erscheinungsbildes
platz verstanden werden.                                          · Auffälligkeiten in der Sprache (verlangsamt, undeutlich)
                                                                  · Störungen des Gleichgewichts, Auffälligkeiten
Bei Verdacht auf ein problematisches Alkoholkonsumver-              im Gangbild
halten kann es nach Barmer GEK und Deutsche Hauptstelle
für Suchtfragen (2014) zu möglichen Veränderungen in folgen-      Veränderungen in der Persönlichkeit
den Bereichen kommen:                                             · wenig kritikfähig oder sehr angepasstes Verhalten
                                                                  · starke Stimmungsschwankungen, entweder nervös/reizbar
Veränderungen im Arbeitsverhalten                                   oder überaus gesellig und kommunikativ
· wiederholte kurze Abwesenheit vom Arbeitsplatz,                 · Rückzug, soziale Isolation
  die nicht arbeitsbedingt ist
· häufige Fehltage ohne ärztliches Attest                         Veränderungen im Konsumverhalten
· überziehen der Pausen, Unpünktlichkeit                          · gesteigerter Alkoholkonsum bei feierlichen Anlässen
· spontane Kurzurlaube bzw. Gleitzeitnahme ohne                   · Alkoholkonsum bei unpassenden Gelegenheiten
  Voranmeldung                                                    · schnelles, heimliches Trinken (Alkoholverstecke rund
· wiederholte, wenig glaubwürdige Entschuldigungen                  um den Arbeitsplatz)
  durch Angehörige                                                · Alkoholfahne und Versuche, diese zu kaschieren
· Nachlassen der Arbeitsleistung, zunehmende                        (mit Kaugummi, Mundwasser o.ä.)
  Unzuverlässigkeit                                               · Alkohol wird demonstrativ abgelehnt

                                                                                                                                 13
3.2 Substanzen und deren Einfluss auf die Arbeit

                         Unmittelbarer Einfluss des Konsums                                Regelmäßiger, problematischer Konsum
                                   auf die Arbeit                                            und dessen Einfluss auf die Arbeit

                · Gefährdung der Gesundheit anderer Mitarbeiter*innen                · Gefährdung der Gesundheit anderer Mitarbeiter*innen durch
                  durch das Passivrauchen
                                                                                       das Passivrauchen
                · Erhöhtes Sicherheitsrisiko (z.B. Verursachung eines Brandes)       · Erhöhtes Risiko, einen Brand zu verursachen
TABAK

                                                                                     · Gehäufte Inanspruchnahme von Rauchpausen
                                                                                     · Ansteigen der Absenzen durch Krankheit
                                                                                     · Verschlechterung der körperlichen Leistungsfähigkeit

                · Erhöhte Risikobereitschaft                                         · Fehlende Genauigkeit
                · Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Fähigkeit, sich            · Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten z.B. vermehrtes
ALKOHOL

                  zu konzentrieren                                                     Vergessen von Arbeitsausführungen bzw. - aufträgen.
                · Beeinträchtigung der Fähigkeit, zu reagieren                       · Vermehrte kurze Abwesenheiten
                · Auffälligkeiten im Verhalten z.B. Gereiztheit oder Aggressivität   · Unberechenbares Verhalten sowie wahrnehmbare Unruhe

                · Schwindel                                                          · Minderung der Leistungsfähigkeit sowie Störungen des
MEDIKAMENTE

                · Müdigkeit, Niedergeschlagenheit                                      Gedächtnisses
                · Benommenheit                                                       · Herabgesetzte Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit
                                                                                     · Muskuläre Beeinträchtigung

                · Veränderte Wahrnehmung von Raum/Zeit bzw. Veränderungen            · Beeinträchtigung des Denkens sowie Störungen des
                  in der Sinneswahrnehmung                                             Kurzzeitgedächtnisses
CANNABIS

                · Müdigkeit                                                          · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit
                · Beeinträchtigung d. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit     · Sinkende Arbeitsmotivation
                · Herabgesetzte Reaktionsfähigkeit
                · Veränderte Grundstimmung

                · Kurz andauernde euphorische Stimmungslage und teils                · Zunehmende Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit
                  unkontrollierte Hyperaktivität mit anschließender Erschöpfung      · Erhöhte Aggressivität und Gewaltbereitschaft
KOKAIN

                  und Niedergeschlagenheit                                           · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit
                                                                                     · Störungen des Kurzzeitgedächtnisses
                                                                                     · Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen

                · Benommenheit                                                       · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit
OPIATE/HEROIN

                · Veränderte Wahrnehmung                                               und Aufmerksamkeit
                · Verändertes Bewusstsein                                            · Erhebliche Stimmungsschwankungen
                · Veränderte Stimmungslage                                           · Zunehmende Unzuverlässigkeit und Fehltage

                · Eine veränderte Stimmungslage (Euphorie, Sinnestäuschungen)        · Erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten (Halluzinationen,
PARTYDROGEN

                  führt zu unangemessenem Verhalten                                    Verwirrtheits- und Erregungszustände, etc.)
                · Risikobereitschaft steigt, eigene Fähigkeiten werden überschätzt   · Erhöhte Aggressivität und Reizbarkeit

                                                                                                                                                          14
3.3 Früherkennung von
    Verhaltenssüchten

Exzessive Verhaltensweisen, wie sie beispielsweise bei Glücks-          Ess-Brech-Sucht: In Anfällen werden große Mengen an
spiel, Internetnutzung oder Essen bzw. Nicht-Essen vorkom-              (wahllosen) Lebensmitteln gegessen. Nach jeder Attacke re-
men, können wie Substanzen zu psychischer Abhängigkeit                  agieren Betroffene mit gewichtsregulierenden Maßnahmen
sowie zu schwerwiegenden gesundheitlichen und sozialen                  (vor allem Erbrechen).
Beeinträchtigungen führen. Bei diesen substanzungebundenen
oder Verhaltenssüchten wird eine Veränderung der Gefühle                Essstörungen sollen nicht verwechselt werden mit der Frage
und des Erlebens hervorgerufen („Kick“), die im Körper selbst           der richtigen oder falschen Ernährung. Auffälligkeiten sind
hergestellt werden (Endorphine). Im Vergleich zu einem prob-            über einen langen Zeitraum nicht im Leistungsverhalten zu
lematischen oder abhängigen Konsum von Alkohol und ande-                erwarten, früher oder später aber auch am Arbeitsplatz fest-
ren Suchtmitteln sind Verhaltenssüchte oft unauffälliger, da            zustellen.
das betreffende Verhalten sozial akzeptierter ist. Für die Ein-
ordnung gibt es, bis auf die Glücksspielsucht, noch keine di-           Internetsucht
agnostischen Kategorien. Süchtige Verhaltensweisen werden
unter dem Sammelbegriff „Störungen der Impulskontrolle“                 Übermäßige Computer- und Internetnutzung wird zuneh-
zusammengefasst.                                                        mend als ein Suchtverhalten anerkannt. Im Hintergrund
                                                                        stehen unter anderem Computer- und Glücksspiele, Blogs,
Ein relevantes Merkmal ist der Verlust der Kontrolle. So kön-           Recherchen sowie Musik- und Videoangebote. Außer der
nen Betroffene nicht der Versuchung widerstehen, eine be-               umfangreichen Zeitspanne, die Betroffene online verbringen,
stimmte Handlung auszuführen - auch wenn ihnen bewusst                  gibt es keine spezifischen Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Für
ist, dass diese Handlung für sie selbst oder für andere Men-            viele Menschen ist der Umgang mit dem Internet eine berufli-
schen schädlich ist. Wenn das Verhalten trotz schädlicher               che Notwendigkeit, weshalb Abstinenz meist nicht angestrebt
Folgen zunehmend intensiver ausgeübt wird, kann von Sucht               wird.
gesprochen werden.
                                                                        Ziel einer Behandlung ist hier vor allem, Techniken für einen
Für Sie als Führungskraft ist es wichtig, Klarheit über die ei-         kontrollierten Umgang mit dem Internet zu finden bzw. die
gene Rolle zu haben. Es geht dabei stets um den Erhalt der              Entwicklung von Alternativen.
Arbeitsfähigkeit und nicht um die Diagnose oder Therapie ei-
ner Person - diese findet in spezialisierten Einrichtungen statt.       Glücksspielsucht
Sollten Sie Grund zur Annahme haben, dass Mitarbeiter*in-
nen in Ihrem Unternehmen betroffen sind, gehen Sie wie in               Bei Glücksspielen handelt es sich um
Kapitel 4 beschrieben vor und kontaktieren Sie bei Bedarf               · Automatenglücksspiele,
eine Suchtberatung.                                                     · Sportwetten,
                                                                        · Roulette,
Nachstehend sind die häufigsten Verhaltenssüchte nach Reh-              · Kartenspiele (z.B. Poker, Black Jack etc.),
wald, Reineke, Wienemann und Zinke (2012) aufgelistet.                  · Lotterien und
                                                                        · Lose.
Essstörungen
                                                                        Das „pathologische Glücksspielen“ wird als eigenständige
Es gibt verschiedene Formen essgestörten Verhaltens. Die                Krankheit betrachtet. Auffälligkeiten werden nicht zwangs-
zwei häufigsten sind                                                    läufig am Arbeitsplatz sichtbar. Spielsüchtige sind oft ge-
                                                                        danklich mit dem Spielen beschäftigt, haben unter anderem
Magersucht: Verhalten, dass durch extremes Hungern gekenn-              notorische Geldprobleme, Stimmungsschwankungen sowie
zeichnet ist - das Ziel ist, ein sehr niedriges Gewicht zu erreichen,   zunehmende Interesselosigkeit an den Arbeitsinhalten oder
unter anderem durch übertriebene sportliche Aktivitäten.                am kollegialen Miteinander.

                                                                                                                                          15
4. Vorgangsweise bei
Verdachts- und Anlassfällen
Nachdem Sie als Führungskraft die Merkmale                         sprechen Sie vor allem die Veränderungen an, die Ihnen auf-
von problematischem Konsumverhalten bei ei-                        gefallen sind, und bieten Hilfe (Fürsorge) an.
ner*einem Mitarbeiter*in wahrgenommen ha-
ben, suchen Sie das Gespräch mit dieser Person.                    Führen Sie ein Klärungsgespräch,
                                                                   · um Auffälligkeiten bei der betroffenen Person
                                                                     anzusprechen,
4.1 Fürsorge- und Klärungsgespräch
                                                                   · um die Erwartungen an das zukünftige Verhalten zu
Arbeitgeber*innen haben eine rechtliche Fürsorgepflicht (sie-        benennen, um konkrete Schritte zu vereinbaren sowie
he auch Kapitel 5). Je früher bei Auffälligkeiten erste Schritte
gesetzt werden, desto besser sind die Chancen auf eine gute        · um innerbetriebliche und externe Beratungs- und
und konstruktive Lösung des Problems. Fürsorge- und Klä-             Unterstützungsangebote aufzuzeigen.
rungsgespräche sind erprobte Instrumente für Führungskräf-
te und geben beiden Seiten Klarheit über weitere Abläufe.          Ein Klärungsgespräch findet dann statt, wenn es bereits zu
                                                                   einer (wiederholten) Vernachlässigung arbeitsvertraglicher
Führen Sie ein Fürsorgegespräch,                                   oder dienstlicher Pflichten und / oder Störungen im Arbeits-
· wenn Ihnen bei Angestellten persönliche, gesundheitliche         zusammenhang gekommen ist, deren Ursache nicht klar ist.
  oder soziale Probleme auffallen,
                                                                   Im Klärungsgespräch kommen konkrete Fakten zur Sprache:
· wenn diese Probleme auf Dauer zur Vernachlässigung               die Besorgnis darüber, dass sich Probleme auf das Arbeits-
  arbeitsvertraglicher oder dienstrechtlicher Pflichten            und Leistungsverhalten auswirken oder Störungen am Ar-
  führen können.                                                   beitsplatz verursachen. Eine beidseitig vertrauliche, schriftli-
                                                                   che Gesprächsnotiz wird angefertigt.
Mit dem Fürsorgegespräch setzen Sie ein erstes Signal. Sie
vermitteln, dass die Person mit ihrem Verhalten bereits auf-       Ungefähr sechs bis acht Wochen später findet ein weiteres
fällt und bei Bedarf unterstützt wird. In diesem Gespräch          Gespräch darüber statt, wie sich die Situation entwickelt hat.

Fürsorge- und Klärungsgespräch

     Interventionsschritt                     Beteiligte                Hilfsangebote                 Folgen bzw. Sanktionen

                                           direkt vorgesetzte
     Fürsorgegespräch                        Führungskraft               Hilfe anbieten
                                           betroffene Person

                                           direkt vorgesetzte         Innerbetriebliche und
     Klärungsgespräch                        Führungskraft           externe Beratungs- und          vertrauliche Gesprächsnotiz
                                           betroffene Person        Unterstützungsangebote
                                                                           aufzeigen

                                                                                                (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011)

                                                                                                                                               16
4.2 Vorgehen nach Stufenplan

Rechtlich gesehen unterliegen Sie als Führungskraft der Für-           Das erste Gespräch im Stufenplan hat das Ziel, das auffällige
sorgepflicht und müssen bei gesundheitlichen oder sozialen             Verhalten in eine positive Richtung zu lenken und auf fachli-
Auffälligkeiten am Arbeitsplatz reagieren, um weiteren Ge-             che Hilfe zurückzugreifen – mit einer internen oder externen
fährdungen entgegenzuwirken. Der Stufenplan ist ein Inter-             Beratung. Weitere Stufengespräche folgen, wenn es keine
ventionskonzept in der betrieblichen Praxis, das seit vielen           positive Veränderung gibt. Die zeitlichen Abstände zwischen
Jahrzehnten erfolgreich angewandt wird.                                den Stufen liegen je nach Betrieb bei ein bis zwei Monaten.

Der Einsatz des Stufenplans erfolgt immer bei:                         Wenn die Stufenplangespräche erfolgreich verlaufen sind,
· Verstoß bzw. Vernachlässigung von                                    folgt etwa zwei Monate später ein Gespräch über den positi-
  - arbeitsrechtlichen Pflichten oder                                  ven Verlauf. Es gibt keine weiteren Stufenplangespräche und
  - dienstlichen Pflichten                                             auch keine arbeitsrechtlichen Folgen. Sie als Führungskraft
· Störungen im Arbeitsablauf                                           sollten das Arbeitsverhalten aber weiterhin im Blick haben.
                                                                       Gibt es neuerlich Auffälligkeiten, geht es weiter im Stufen-
Der Stufenplan gibt vor, wie bei Anlassfällen einheitlich vorge-       plan. Jeder Stufenplan muss dem jeweiligen Betrieb ange-
gangen werden soll. Eine spezielle Betriebsvereinbarung zum            passt sein. Bei Klein- und Mittelbetrieben kann das Vorgehen
Thema Suchtmittelkonsum bzw. -missbrauch, in der auf den               anders gestaltet sein, zum Beispiel mit weniger Stufen, mit
Stufenplan verwiesen wird, ist empfehlenswert.                         einem kleineren Personenkreis oder kürzeren Zeitabständen.

 Interventionsschritt             Beteiligte                            Hilfsangebote                      Folgen bzw. Sanktionen

                              direkt vorgesetzte                      Informationsmaterial
       STUFE 1                  Führungskraft                Hinweis auf externe / interne Beratung            internes Protokoll
                               betroffene Person         Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan

                             wie oben und nächst-          Aufforderung zur Kontaktaufnahme einer
       STUFE 2               höhere Führungskraft          Beratungsstelle oder Suchthilfeeinrichtung          internes Protokoll
                             Betriebsratsmitglied        Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan

                                 wie oben und          Aufforderung zum Aufsuchen einer Beratungsstelle
       STUFE 3                 unter Umständen                     oder Suchthilfeeinrichtung              1. schriftliche Abmahnung
                             Arbeitsmediziner*in         Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan

                                 wie oben und            schriftliche Aufforderung, eine Beratungsstelle
       STUFE 4                 unter Umständen              oder Suchthilfeeinrichtung aufzusuchen         2. schriftliche Abmahnung
                             Arbeitsmediziner*in         Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan

                                 wie oben und                        Beginn einer Therapie                 Androhung bzw. Einleitung
       STUFE 5                 unter Umständen         Ggf. Angebot der Wiedereinstellung nach Therapie    des Kündigungsverfahrens
                             Arbeitsmediziner*in                     Rückmeldegespräche

                                                                                                                                       17
4.3 Gesprächsvorbereitung und -führung                            Die Fachstelle NÖ bietet Seminare zur Gesprächsführung für
                                                                  Führungskräfte, Arbeitsmediziner*innen, Arbeitspsycholog*
Gespräche mit Mitarbeiter*innen zu ihrem Suchtmittel-             innen, Sicherheitsvertrauenspersonen und Betriebsrät*innen
konsum gehören zu den besonders schwierigen Aufga-                an. Die in dieser Fortbildung erlernten Gesprächstechniken sind
ben von Führungskräften. Planen Sie genügend Zeit ein             im Bereich der Fürsorge- und Klärungsgespräche anwendbar.
und schaffen Sie ein gutes Gesprächsklima. Bedenken
Sie, dass es in der Regel nicht leicht ist, sich eine Sucht-      4.4 Vorgehensweise bei akuten
erkrankung einzugestehen und bereiten Sie sich auf das Ge-            Anlassfällen
spräch gut vor.
                                                                  · Stellen Sie den Grad der Beeinträchtigung fest und

   CHECKLISTE                                                      objektivieren sie diesen: Versichern Sie sich, dass die
                                                                   eigene Einschätzung mit der Einschätzung anderer Personen
    · Was ist das Ziel des Gesprächs?                              über einstimmt und nicht nur Ihr persönlicher Eindruck ist.
    · Wann ist ein geeigneter Zeitpunkt für das Gespräch?          Idealerweise ziehen Sie Zeug*innen wie Betriebsrät*innen
    · Was ist meine Aufgabe als Führungskraft?                     oder Arbeitsmediziner*innen bei. Die Beurteilung durch die
    · Wie kann ich der betroffenen Person positiv                  vorgesetzte Führungskraft ist rechtlich gesehen ausreichend.
       begegnen?
    · Welche konkreten Beobachtungen habe ich                     · Sofern keine akute, medizinische Behandlung erforderlich
       gemacht?                                                    ist (Rettungsdienst), garantieren Sie ein sicheres
    · Welche konkreten Hilfs- und Unterstützungs-                  Heimkommen der Person, zum Beispiel mit dem Taxi.
      angebote kann ich vorschlagen?
    · Mit welchen Vereinbarungen möchte ich das                   · Erstellen Sie ein Protokoll über den Anlassfall.
      Gespräch beenden?
                                                                  · Sprechen Sie eine Verwarnung aus und gehen Sie nach
Eine ausführlichere Checkliste finden Sie in Kapitel 8.            dem Stufenplan vor.

Ziel ist es, auf betroffene Mitarbeiter*innen rechtzeitig zuzu-   Grundsätzlich ist die ­Regelung der Vorgangsweise in einer
gehen und sensibel Veränderungen anzustoßen. Inhalte und          ­speziellen Betriebsvereinbarung zum Thema Suchtmittel­
Methoden sind zum Beispiel „aktives Zuhören“ oder der „Um-         konsum bzw. -missbrauch empfehlenswert. Dadurch ist das
gang mit Widerstand“.                                              konkrete Vorgehen bekannt und muss nicht erst im Einzelfall
                                                                   festgelegt werden.
    ALLGEMEINE TIPPS
                                                                  4.5 Entgeltfortzahlungen bei
    · Thematisieren Sie im Gespräch, was Ihnen                        berauschtem Zustand
       aufgefallen ist.
    · Sprechen Sie die erwartete Verhaltensänderung               Hier ist es wichtig zu unterscheiden, ob die betroffene Person
      konkret an.                                                 nachgewiesen suchtkrank ist oder nicht. Durch ein fachärzt-
    · Machen Sie deutlich, welche Maßnahmen ein                   liches Gutachten bezüglich der Abhängigkeit von Alkohol und
      weiteres Missachten der Vereinbarungen mit sich             anderen illegalen Suchtmitteln wird diese grundsätzlich als
      bringt.                                                     Krankheit angesehen. So erfolgen nach dem Entgeltfortzah-
    · Zeigen Sie mögliche Hilfsangebote auf.                      lungsgesetz (EFZG) wie bei anderen Krankheiten Zahlungen
                                                                  auch während des Krankenstandes.

                                                                                                                                    18
Liegt ein übermäßiger Alkoholkonsum ohne diagnostizierte Ab-     mäßigem Grund für die Dauer der Fehlzeiten kein Anspruch auf
hängigkeit vor, und ist die Person deshalb vorübergehend ar-     Entgeltfortzahlung - selbst dann nicht, wenn die betroffenen Per-
beitsunfähig, so besteht aufgrund des Fernbleibens ohne recht-   son von der vorgesetzten Person nach Hause geschickt wurde.

                     VORGEHEN BEI AKUTER BERAUSCHUNG

                                             Grad der Beeinträchtigung
                                            feststellen und objektivieren

                                                       Medizinischer
                                                         Notfall ?

         144
                                                        Schriftliche
                                                      Dokumentation

                                                         Verwarnung

                                                       Vorgehen nach
                                                         Stufenplan
                                                                                             (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011)

                                                                                                                                            19
5. Welche
rechtlichen Grundlagen gibt es?
Die gesetzlichen Grundlagen beschreiben sowohl die Pflichten der Arbeitnehmer*innen als auch die der
Arbeitgeber*innen: Die Fürsorge-, Informations- und Kontrollpflicht gilt für Arbeitgeber*innen, und die
Treuepflicht für Arbeitnehmer*innen.

5.1 Fürsorgepflicht der Arbeitgeber*innen                      Informations- und Kontrollpflicht

Arbeitgeber*innen und Führungskräfte haben eine Fürsor-        Eine Detaillierung der Fürsorgepflicht im Arbeit­nehmer*innen-
gepflicht: Sie müssen bei der Gestaltung des Arbeitsverhält-   Schutzgesetz (ASchG) ist die Informations- und Kon-
nisses unter anderem die gesundheitlichen und persönlichen     trollpflicht. Arbeitgeber*innen vernachlässigen dann ihre
Interessen der Mitarbeiter*innen schützen. So ist etwa dafür   Fürsorgepflicht, wenn sie wissentlich Mitarbeiter*innen be-
zu sorgen, dass sich Mitarbeiter*innen keinen besonderen ar-   rauscht arbeiten lassen – sei es durch die Einnahme von Alko-
beitsbedingten Gefahren aussetzen. Die Fürsorgepflicht kann    hol oder anderen Suchtmitteln.
zu aktiven Maßnahmen verpflichten, aber auch zu Unterlas-
sungen seitens der Arbeitgebenden führen. In diesem Rah-
men können oder müssen unter Umständen sogar gesund-
heitsfördernde und präventive Maßnahmen durchgeführt              §   Arbeitgeber*innen sind verpflichtet, für eine aus-
                                                                      reichende Information der Arbeitnehmer*innen
werden.                                                           über die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit so-
                                                                  wie über die Maßnahmen zur Gefahrenverhütung zu
                                                                  sorgen.“ (§ 12 Absatz 1 ASchG)

  §    Geregelt ist die Fürsorgepflicht in § 1157 Allgemei-
       nes Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) und in § 18
   Angestelltengesetz (AnG): Dienstgeber*innen haben              §   In § 6 Absatz 3 ASchG werden Arbeitgeber*innen
                                                                      verpflichtet, alle Arbeitnehmer*innen, die nicht in
   Dienstleistungen und den Betrieb so zu regeln, dass            der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder
   das Leben und die Gesundheit der Dienstnehmer*in-              andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht zu be-
   nen geschützt werden.                                          schäftigen und gegebenenfalls vom Arbeitsplatz zu
                                                                  verweisen.

  §    Im Arbeitnehmer*innen-Schutzgesetz (ASchG)
       wird die Fürsorge­pflicht in einem Teilbereich et-
   was präzisiert: „Arbeitgeber*innen sind verpflichtet,       Die Arbeitgeber*innen sind durch die gesetzlichen Bestim-
   für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitneh-         mungen verpflichtet, alle Mitarbeiter*innen über Gefahren
   mer*innen in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit         und diesbezügliche Regeln im Betrieb zu informieren und
   betreffen, zu sorgen […]. Arbeitgeber*innen haben die       deren Einhaltung sicherzustellen. Dies gilt für alle Branchen,
   zum Schutz des Lebens und der Gesundheit erforder-          Betriebe und Tätigkeiten.
   lichen Maßnahmen zu treffen, einschließlich der Maß-
   nahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, zur         Eine Kontrolle geht allerdings niemals so weit, dass etwa im
   Information und zur Unterweisung. […].“ (§ 3 Absatz         größeren Umfang Alkohol- oder Drogentests durchgeführt
   1 ASchG)                                                    werden können oder gar müssen. Ausnahmen gibt es bei be-
                                                               stimmten Berufsgruppen wie Pilot*innen, Busfahrer*innen,
                                                               beim Bedienen bestimmter Maschinen, bei Lokführer*innen
                                                               etc. (siehe Punkt 5.7 Alkohol- und Drogentests in Betrieben).
                                                               Arbeitgeber*innen müssen jedenfalls reagieren, wenn durch
          Arbeitgeber*innen und                                einen bekannten Konsum wie etwa von Alkohol eine Gefähr-
        Führungskräfte haben eine                              dung für die betroffenen Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen,
                                                               Kund*innen und sonstige Personen oder den Betrieb ent-
             Fürsorgepflicht.
                                                               stehen kann; das schließt auch einen Schaden an der Ver-

                                                                                                                                20
trauenswürdigkeit mit ein. Es sind Maßnahmen zu setzen,          Bei Bestehen eines Alkoholverbotes während der Arbeits-
die eine Gefährdung verhindern. Aus gerechtfertigten Alko-       zeit strahlt dieses auf das Verhalten in der Freizeit aus:
holverboten für die Zeit der Erbringung der Arbeitsleistung      Auch durch Konsumation in der Freizeit dürfen sich Arbeit-
ergibt sich unmittelbar eine Notwendigkeit zur Beschränkung      nehmer*innen nicht in einen Zustand versetzen, welcher es
des Alkoholkonsums in Freizeit, Pausen und Ruhezeiten. Für       unmöglich macht, die in der Arbeitszeit geltende Nüchtern-
vertragliche Beschränkungen im Freizeitbereich muss jedoch       heit einzuhalten.
eine erhöhte Interessenslage eines Berufes bzw. einer Bran-
che vorliegen (z.B. für das Bedienen bestimmter Maschinen).      Nehmen Arbeitnehmer*innen Leistungsbeeinträchtigungen
                                                                 von Kolleg*innen durch den Konsum von Alkohol oder an-
Arbeitgeber*innen haben aufgrund des Suchtmittelgesetzes         deren berauschenden Mitteln wahr, sind diese grundsätz-
(SMG) keine Verpflichtung, den Konsum von illegalen Subs-        lich nicht verpflichtet, Vorgesetzte zu informieren. Besteht
tanzen von Arbeitnehmer*innen zur Anzeige zu bringen.            allerdings die Möglichkeit einer Gefährdung von anderen
                                                                 Mitarbeiter*innen bzw. einer Schädigung des Betriebs, so
5.2 Treuepflicht der Beschäftigten                               kann aus den Pflichten der Arbeitnehmer*innen eine Infor-
                                                                 mationspflicht abgeleitet werden. Diese beinhaltet, dass bei
Die Treuepflicht der Beschäftigten ist das Gegenstück zur Für-   Beobachtungen hinsichtlich Konsum und Berauschung die
sorgepflicht der Arbeitgeber*innen. Arbeitnehmer*innen ha-       Führungskraft informiert werden muss.
ben demnach nicht nur eine Pflicht zur Arbeit, sondern auch
die Verantwortung, auf betriebliche Interessen der Arbeitge-     Mitarbeiter*innen, die berauscht arbeiten und sich oder an-
ber*innen Rücksicht zu nehmen. Unter der Treuepflicht wird       dere dadurch gefährden können, verstoßen gegen ihre Treue-
somit ganz allgemein wie folgt verstanden:                       und Mitwirkungspflicht. Sie verletzen ihre vertragliche Pflicht,
                                                                 die volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen und die Ar-
· Die Pflicht, die schützenswerten Interessen der Arbeitge-      beitgeber*innen bei notwendigen Maßnahmen zur Unfallver-
  ber*innen zu respektieren und auch außerdienstlich kein        hütung zu unterstützen.
  Verhalten zu setzen, welches diesen widerspricht.
                                                                 Nehmen Arbeitnehmer*innen ärztlich verschriebene Medika-
· Sich den Arbeitgeber*innen gegenüber korrekt und loyal zu      mente ein, sind sie grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, dies
  verhalten, was auch ein angemessenes Verhalten im Um-          der Führungskraft mitzuteilen. Eine Medikamenteneinnahme
  gang mit Kolleg*innen, Kund*innen oder Geschäftspart-          mit möglichen Nebenwirkungen, die die Person selbst oder
  ner*innen mit einschließt.                                     andere gefährden können (z.B. Verkehrsbeeinträchtigung),
                                                                 muss jedoch aufgrund der Treuepflicht gemeldet werden. So
· Das Ansehen der Arbeitgeber*innen zu wahren.                   kann die Person für die Dauer der möglichen Beeinträchti-
                                                                 gung eine Arbeitstätigkeit ausführen, bei der eine Gefährdung
Pflichten der Beschäftigten in Bezug auf                         nicht möglich ist.
berauschende Suchtmittel
                                                                 Eine Richtlinie gibt Vorgesetzten einerseits konkrete Hand-
Das Arbeitnehmer*innenschutzgesetz richtet sich auch an die      lungs- und Ablaufanweisungen für den Anlassfall und erhöht
Mitarbeiter*innen selbst und bestimmt dazu:                      andererseits durch deren Durchführung die Arbeitssicherheit
                                                                 im Betrieb.

   §   „Arbeitnehmer*innen dürfen sich nicht durch Alko-
       hol, Arzneimittel oder Suchtgift in einen Zustand                  Beschäftigte haben eine
   versetzen, in dem sie sich oder andere Personen gefähr-
                                                                        Treuepflicht gegenüber ihren
   den können.“ (§ 15 Absatz 4 ASchG)
                                                                            Arbeitgeber­*innen.

                                                                                                                                    21
5.3 Einschreiten eines Betriebes                                     Die direkt vorgesetzte Führungskraft
                                                                     entscheidet über die weiteren Schritte
Der Betrieb muss dann einschreiten, wenn Arbeitnehmer*innen
gegen folgende Punkte verstoßen:
                                                                     · Berauschte Mitarbeiter*innen dürfen nicht
                                                                       arbeiten.
· Arbeitnehmer*innen-Schutzvorschriften
  (§ 15 Absatz 4 ASchG, siehe S. 22) oder                            · Bei Bedarf muss für einen Transport nach
                                                                       Hause gesorgt werden.
· spezielle Erfordernisse eines spezifischen Tätigkeitsfeldes
                                                                     · Es folgen ein Fürsorgegespräch, ein Klärungs-
  wie etwa eine Nüchternheitserfordernis für
  Busfahrer*innen oder                                                 gespräch und weitere Gespräche nach Stufen-
                                                                       plan (siehe auch Kapitel 4).
· betriebsinterne Ordnungsvorschriften.

Es geht dabei immer um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit
in Bezug auf die konkrete Tätigkeit der Arbeitnehmenden. Die     5.4 Betriebsvereinbarung
Führungskraft beurteilt, ob eine Gefährdung der Sicherheit
am Arbeitsplatz vorliegt. Gleichzeitig muss die Führungskraft    Da es im Arbeitnehmer*innenschutzgesetz keine konkrete
dafür sorgen, dass Mitarbeiter*innen, die ein Arbeitssicher-     Regelung zum Konsum von Suchtmitteln im Betrieb gibt, ist der
heitsrisiko darstellen, nicht weiterarbeiten. Wie die Füh-       Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum Thema Umgang mit
rungskraft die Beobachtung einschätzt, ist maßgeblich für        Suchtmitteln zwischen Arbeitgeber*in und Betriebsrat sinnvoll.
die Beurteilung der Situation. Es empfiehlt sich, Unbeteiligte   Diese regelt die Vorgangsweise im Anlassfall und den Konsum
für die Beurteilung beizuziehen. Diese können sein: Betriebs-    von Alkohol und anderen Suchtmitteln im Zusammenhang mit
rät*innen, Personalvertreter*innen oder nächsthöhere Vor-        der Arbeitsleistung. Damit wird gewährleistet, dass ein ein-
gesetzte. Die Entscheidung fällt aber die direkt vorgesetzte     heitliches Handlungskonzept Anwendung findet und jeder Fall
Führungskraft.                                                   gleich behandelt wird.

Bei einer offensichtlichen Arbeitsunfähigkeit von Mitarbei-      5.5 Rechtslage bei Lehrlingen
ter*innen entscheidet die direkt vorgesetzte Führungskraft,
ob ein medizinischer Notfall vorliegt und die Rettung gerufen    Eine vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses ist in § 15
werden muss, z.B. bei starker Berauschung und bei Fremd-         Berufsausbildungsgesetz geregelt. Gründe für eine vorzeitige
oder Selbstgefährdung, oder ob die Person – gegebenen-           Auflösung des Lehrverhältnisses sind unter anderem:
falls in Begleitung – nach Hause geschickt werden kann. Bei
Jugendlichen müssen die Erziehungsberechtigten informiert        · Ein Lehrling macht sich einer strafbaren Handlung schul-
werden.                                                            dig, die zu einem Vertrauensverlust führt. Beispiel: Diebstahl
                                                                   oder Vermögensdelikt.
In Betrieben wird die Entwicklung eines innerbetrieblichen
Vorgehens bei Suchtmittelkonsum und -missbrauch der Mit-         · Ein Lehrling versucht Betriebsangehörige zur Nichtbefolgung
arbeiter*innen, das auch die Auszubildenden einbezieht,            von betrieblichen Anordnungen oder zu gesetzeswidrigen
empfohlen. Dieses Vorgehen nach Stufenplan (siehe dazu             Handlungen zu verleiten: Anbieten von Alkohol oder illegalen
Kapitel 4.2) wird idealerweise in der Betriebsvereinbarung         Suchtmitteln im Betrieb, Aufforderung zum Alkoholkonsum
festgehalten.                                                      trotz notwendiger Nüchternheit etc.

                                                                                                                                    22
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