Alkohol und andere Suchtmittel am Arbeitsplatz - Ein Leitfaden für Führungskräfte - Fachstelle NÖ
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Impressum Fachstelle für Suchtprävention NÖ Brunngasse 8, 3100 St. Pölten Teile der Inhalte dieser Broschüre wurden uns vom Institut für Suchtprävention der Sucht- und Drogenkoordination Wien mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt und für Nieder- österreich adaptiert. Alle Angaben ohne Gewähr. St. Pölten, 1. Auflage: September 2021 2
Inhaltsverzeichnis Praktische Relevanz des Leitfadens 5 1. Sucht - was ist das und wie entsteht sie? 6 1.1 Kriterien für das Abhängigkeitssyndrom 6 1.2 Entstehung von Sucht bzw. Abhängigkeit 6 1.3 Alkohol - Definition von Konsum 7 2. Was ist betriebliche Suchtprävention? 8 2.1 Nutzen 8 2.2 Suchtprävention als Investition in die Gesundheit 8 2.3 Handlungsmöglichkeiten von Führungskräften 9 2.4 Verankerung im Betrieb 10 2.5 Betriebliche Programme 10 3. Wie erkenne ich frühzeitig eine Suchtproblematik bei Mitarbeiter*innen? 13 3.1 Merkmale von problematischem Konsumverhalten 13 3.2 Substanzen und deren Einfluss auf die Arbeit 14 3.3 Früherkennung von Verhaltenssüchten 15 4. Vorgangsweise bei Verdachts- und Anlassfällen 16 4.1 Fürsorge- und Klärungsgespräch 16 4.2 Vorgehen nach Stufenplan 17 4.3 Gesprächsvorbereitung und -führung 18 4.4 Vorgehensweise bei akuten Anlassfällen 18 4.5. Entgeltfortzahlungen bei berauschtem Zustand 18 5. Welche rechtlichen Grundlagen gibt es? 20 5.1 Fürsorgepflicht der Arbeitgeber*innen 20 5.2 Treuepflicht der Beschäftigten 21 5.3 Einschreiten eines Betriebes 22 5.4 Betriebsvereinbarung 22 5.5 Rechtslage bei Lehrlingen 22 5.6 Konsum(verbot) am Arbeitsplatz 23 5.7 Alkohol- und Drogentests in Betrieben 23 5.8 Sonstige rechtliche Aspekte 24 6. Suchtprävention für Jugendliche/Lehrlinge 26 6.1 Relevanz von Suchtprävention im Lehrbetrieb 26 6.2 Voraussetzungen 26 6.3 Implementierung eines Leitfadens 26 6.4 Auswirkungen eines Substanzkonsums auf die Arbeitsfähigkeit 27 6.5 Was tun bei einem Anlassfall? 27 6.6 Wie suchtpräventiv ist unser Unternehmen? 27 7. Wo gibt es Beratung und Hilfe in Niederösterreich? 28 7.1 Beratung zur betrieblichen Suchtprävention 28 7.2 Beratung zu arbeitsrechtlichen Aspekten 29 7.3 Suchtberatung in Niederösterreich 29 7.4 Jugendsuchtberatung in Niederösterreich 29 8. Orientierungshilfe für die Gesprächsführung 30 9. Literaturverzeichnis 31 3
Praktische Relevanz des Leitfadens Alkohol- und Suchtmittelkonsum kann jede Person betreffen - unabhängig davon, in welchem Betrieb sie arbeitet. Die Auswirkungen des problematischen bzw. abhängigen Konsumverhaltens von Mitarbeiter*innen (siehe Seite 7) können für ein Unternehmen und für die betroffene Person selbst gravierend sein: Der Konsum von Alkohol oder anderen Suchtmitteln beeinflusst die Arbeitsleistung, die Sicherheit und die Gesundheit der Mitarbeiter*innen. Für Sie als Führungskraft Wir haben erfolgreiche Strategien und erprobtes Know-how zusammengestellt, damit Sie korrekt handeln können, wenn Mitarbeiter*innen problematisch konsumieren. In diesem Leitfaden finden Sie alles zum Umgang mit Anlassfällen, aber auch Tipps zur Umsetzung suchtpräventiver Maßnahmen für alle Mitar- beiter*innen Ihres Unternehmens, um generell ihre Gesundheit zu fördern. Anlassfälle werden in dieser Broschüre als Störungen im Arbeitsablauf oder im Arbeitsumfeld durch Vernachlässigung der arbeits- rechtlichen oder dienstlichen Verpflichtungen in Zusammenhang mit dem Konsum von Suchtmitteln oder suchtbedingtem Verhalten verstanden. Die Informationen und Vorgehensweisen im Leitfaden gelten schwerpunktmäßig für Alkohol, aber auch für andere legale und illegale Suchtmittel. Vor allem geht es um berauschende Substanzen, die die Arbeitsfähigkeit und Sicherheit am Arbeitsplatz gefährden. Beim Thema Rauchen stellen sich andere Fragen. Die Gesetze zum Schutz von Nichtraucher*innen finden Sie auf der Webseite der Arbeiterkammer (www.arbeiterkammer.at). Mit betrieblicher Suchtprävention sollen die oft schwerwiegenden Auswirkungen von problematischem Konsum und Abhängigkeitserkrankungen frühzeitig verhindert werden. Dieser Leitfaden informiert darüber, · was Sucht bzw. Abhängigkeit ist, · wie Sie erste Anzeichen erkennen können, · wie Sie im Anlassfall vorgehen müssen, · wie Sie betroffene Mitarbeiter*innen auf ihr Verhalten ansprechen können, · welche Interventionen und Maßnahmen für Betriebe sinnvoll sind, · was bei rechtlichen Fragen zu beachten ist, · welche Beratungs- und Suchthilfeeinrichtungen es in Niederösterreich gibt. 5
1. SUCHT - was ist das und wie entsteht sie? Sucht bzw. Abhängigkeit ist eine Erkrankung. Sie 1.1 Kriterien für das kann verschiedene Ursachen und unterschiedliche Abhängigkeitssyndrom Verläufe haben. Nach dem internationalen Klassifikationssystem ICD-10 der Eine Abhängigkeit (umgangssprachlich: Sucht) entwickelt sich WHO (Dilling, Mombour & Schmidt, 2011) wird die Diagnose meist über einen längeren Zeitraum und bleibt zu Beginn oft „Abhängigkeit“ nur dann gestellt, wenn irgendwann während unbemerkt. Sie entzieht sich weitgehend der Kontrolle von des letzten Jahres drei oder mehrere der folgenden Kriterien Betroffenen. gleichzeitig vorhanden waren: Wie bei jeder anderen Krankheit gibt es auch bei einer Abhän- · Ein starker Wunsch oder eine Art Zwang, die Substanz zu gigkeit bestimmte Symptome, die vorhanden sein müssen, konsumieren. damit von einer Erkrankung gesprochen werden kann (siehe nachstehende Kriterien). Die medizinische Diagnose kann nur · Verminderte Kontrollfähigkeit hinsichtlich des Beginns, von ausgebildeten Fachkräften gestellt werden, zum Beispiel der Beendigung und der Menge des Konsums. von Psychiater*innen oder klinischen Psycholog*innen. · Ein körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung Für die Abhängigkeit von Suchtmitteln wie Alkohol, Medika- bzw. Reduktion des Konsums. menten oder illegalen Substanzen (z.B. Kokain, Heroin etc.) hat sich der medizinische Fachbegriff „Abhängigkeitssyndrom“ · Um dieselbe Wirkung zu erzielen, sind zunehmend höhere durchgesetzt. Dosen der Substanz erforderlich (Toleranzentwicklung). Abgesehen von Substanzsüchten gibt es auch Verhaltenssüchte, · Fortschreitende Vernachlässigung anderer Vergnügen wie beispielsweise Glücksspielsucht oder Computerspielsucht. oder Interessen zugunsten des Substanzkonsums. Dafür wird der Fachbegriff „Persönlichkeits- und Verhaltensstö- rung“ sowie „Störung der Impulskontrolle“ verwendet. · Anhaltender Substanzkonsum trotz des Nachweises eindeutiger schädlicher Folgen. 1.2 Entstehung von Sucht bzw. Eine Abhängigkeitserkrankung Abhängigkeit erfordert eine Behandlung. Hierbei spielen Schutz- und Risikofaktoren eine wichtige Rolle. Schutzfaktoren - beispielsweise familiärer Rückhalt - senken die Wahrscheinlichkeit, dass Menschen Problemverhalten ent- wickeln. Risikofaktoren hingegen - zum Beispiel eine positive Einstellung zum Konsum von Suchtmitteln - erhöhen diese Wahrscheinlichkeit. Neben solchen persönlichen Faktoren oder Umweltfakto- ren trägt auch die Substanz oder das Verhalten selbst (Art der Anwendung, Dosis, Konsumdauer) zur Entstehung einer Abhängigkeit bei. 6
1.3 Alkohol - Definition von Konsum Risikoarmer Alkoholkonsum 0,4 l Bier risikoarm 0,2 l Wein Als risikoarmer Konsum wird bezeichnet, wenn maximal ein = Glas Bier (0,6 l bei Männern; 0,4 l bei Frauen) bzw. ein Glas Wein 16 g reiner Alkohol pro Tag (0,3 l bei Männern; 0,2 l bei Frauen) pro Tag getrunken wird. mäßiges Risiko Problematischer Alkoholkonsum Als Grenze für problematischen Konsum, ab der ein deutlich erhöhtes Gesundheitsrisiko vorliegt, wird für Männer üblicher- 1,0 l Bier weise ein Wert von 60 Gramm Alkohol pro Tag angegeben, für problematisch 0,5 l Wein Frauen 40 Gramm. Das entspricht 1,5 bzw. 1 Liter Bier täglich. = 40 g reiner Alkohol Die Mengen für den „problematischen Konsum“ dürfen aber pro Tag nicht mit einer Abhängigkeitserkrankung gleichgesetzt werden. Alkoholgebrauch in unangebrachten Situationen wird neben episodischem Rauschtrinken zu den problematischen Konsum- mustern gezählt. Durch die unmittelbare Wirkung des Alkohols entstehen Risiken etwa am Arbeitsplatz, im Straßenverkehr, 0,6 l Bier risikoarm während der Schwangerschaft oder bei der gleichzeitigen Ein- 0,3 l Wein nahme von Medikamenten. Hier stehen neben den Gefahren = für die Person selbst vor allem die Risiken für Dritte im Fokus, 24 g reiner Alkohol wie sie durch ein erhöhtes Unfallrisiko oder die Verwicklung pro Tag in Gewaltsituationen bestehen. mäßiges Risiko Abhängiger Alkoholkonsum (in Anlehnung an Bachmayer, Strizek, Hojni & Uhl, 2020) Dieser lässt sich nicht ausschließlich über die Konsummenge 1,5 l Bier definieren. Auch die verminderte, dauerhafte, willentliche problematisch Kontrolle und Steuerung des Alkoholkonsums ist zu berück- 0,75 l Wein sichtigen. Der Konsum beginnt beispielsweise schon in der Früh = 60 g reiner Alkohol am Weg zur Arbeit. Es werden die sechs Kriterien nach ICD-10 pro Tag herangezogen (Österreichische ARGE Suchtvorbeugung, 2020). Für risikoarmen Konsum empfehlen wir, an mindestens 2 aufeinanderfolgenden Tagen in der Woche keinen Alkohol zu trinken. 7
2. Was ist betriebliche Suchtprävention? Betriebliche Suchtprävention ist eine Investition RISIKOFAKTOREN bei der Arbeit in die Gesundheit der Beschäftigten und stellt die Menschen in den Mittelpunkt. Das Augenmerk • Ständige Überforderung oder Unterforderung liegt auf Gesundheit, Sicherheit und Arbeitsfä- • Soziale Spannungen und schlechtes Betriebsklima higkeit der Beschäftigten. Der Nutzen übersteigt in jedem Fall die Kosten. • Fehlende Anerkennung und Wertschätzung • Hoher Leistungsdruck Ein wesentlicher Schritt in Richtung eines integrierten Ge- • Ständiger Zeitmangel und Stress sundheitsmanagements ist der Ausbau von betrieblicher Gesundheitsförderung und Suchtprävention. Ein integriertes • Mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsplatz Gesundheitsmanagement bedeutet die bewusste Steuerung und Integration betrieblicher Prozesse mit dem Ziel, die Ge- sundheit der Beschäftigten zu fördern. Unterschiedliche SCHUTZFAKTOREN bei der Arbeit präventive Handlungsfelder werden dabei verbunden. Dazu • Balance zwischen Überforderung und Unterforderung zählen: der Arbeits- und Gesundheitsschutz, die betriebliche • Gutes Betriebsklima Suchtprävention, die betriebliche Gesundheitsförderung und das betriebliche Eingliederungsmanagement. • Anerkennung und Wertschätzung • Erbringen von Leistungen ohne ständigem Druck Die Gesundheit aller Beschäftigten und somit auch die Grund- • Zeit und Phasen mit weniger Stress sätze der Suchtprävention werden so im Leitbild, in der Füh- rungskultur wie auch in Strukturen und Prozessen des Unter- • Klare Aufgaben nehmens auf Dauer verankert. • Gestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten Arbeit ist ein stabilisierender Faktor, der dazu beitragen kann, Menschen gesund zu erhalten. Arbeit kann aber auch zu einer 2.1 Nutzen Suchterkrankung beitragen. Ein Programm zur betrieblichen Suchtprävention trägt Sie als Führungskraft können die „schützenden“ Faktoren im dazu bei … Betrieb maßgeblich mitgestalten. · die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter*innen zu erhalten bzw. zu verbessern, Betriebliche Suchtprävention ist · das Firmenimage durch ein integriertes Gesundheits- management zu steigern, eine Investition in die Gesundheit. · die gesamte Belegschaft hinsichtlich möglicher Sucht- gefahren zu sensibilisieren, · einem problematischen Konsum von Suchtmitteln und suchtbedingtem Verhalten vorzubeugen, · die Arbeitssicherheit zu erhöhen und Krankheits- und Unfallkosten zu reduzieren, · problematisches Konsumverhalten oder eine Sucht- gefährdung frühzeitig zu erkennen bzw. zu intervenieren, · Kündigungen oder Arbeitsausfälle von Mitarbeiter*innen aufgrund suchtbedingter Probleme zu vermeiden. 8
2.2 Suchtprävention als Investition in die Suchtbedingte Fehlzeiten Gesundheit Alkoholabhängigkeit ist die häufigste Diagnose bei Suchter- Alkohol und Rauchen sind die Hauptursachen suchtbedingter krankungen in Österreich. 5 bis 10 % aller Beschäftigten in Fehlzeiten. An Bedeutung gewinnen aber auch leistungsstei- Unternehmen sind alkoholkrank oder konsumieren proble- gernde Suchtmittel, oft in Form von Medikamenten. In einer matisch. Die verminderte Leistungsfähigkeit der betroffenen Studie von Badura, Ducki, Schröder, Klose & Meyer (2013) Mitarbeiter*innen hat dabei negative Folgen für das gesamte wurden die Fehlzeiten in Deutschland im Jahr 2012 erhoben: Unternehmen. Fast 44 % der suchtbedingten Fehlzeiten entfallen in Deutsch- land auf Alkoholkonsum, die restlichen 56 % auf Tabakkon- sum und multiplen Substanzgebrauch. SUCHTBEDINGTE AUSWIRKUNGEN auf Betriebe Alkoholkranke sind laut der Deutschen Hauptstelle 2.3 Handlungsmöglichkeiten von für Suchtfragen (DHS, 2011) im Durchschnitt um 25 % Führungskräften weniger leistungsfähig. Die Mitarbeiter*innen sind bei vollen Bezügen zwar „im Dienst“, die Arbeitsleistung ist Sie als Führungskraft haben eine wichtige Funktion beim Pla- jedoch gemindert. nen und Umsetzen von Programmen betrieblicher Suchtprä- vention in Ihrem Unternehmen. Einerseits geht es darum, alle Der problematische Konsum von Suchtmitteln führt Mitarbeiter*innen zum Thema zu informieren und sie dafür zu mehr Fehlzeiten und häufigeren Krankenständen. zu sensibilisieren. Andererseits geht es darum, das Interven- Problematisch konsumierende Mitarbeiter*innen sind tionskonzept bei suchtmittelbedingten Auffälligkeiten konse- bis zu 2,5-mal häufiger krank. quent umzusetzen (siehe Kapitel 4.2). Ungefähr jeder dritte Unfall bei der Arbeit und am Betriebe können das Verhalten ihrer Mitarbeiter*innen be- Arbeitsweg passiert unter Mitbeteiligung von Alkohol einflussen — positiv wie negativ. Führungskräfte-Schulungen oder anderen Suchtmitteln, wobei bereits bei geringer zum Thema „Betriebliche Suchtprävention“ sind ein wichtiger Alkoholisierung die Risikobereitschaft steigt. Bestandteil einer erfolgreichen Umsetzung. Damit das Verhal- ten von Führungskräften kein Belastungsfaktor wird, sollten wesentliche Prinzipien gesunder Führung beachtet werden. Eine Studie des Instituts für Höhere Studien in Österreich (Czypionka, Pock, Röhrling & Sigl, 2013) belegt, dass proble- Gesunde Führung ist geprägt von matischer Alkoholkonsum dem Gesundheitssystem und den Betrieben hohe Kosten verursacht. Die Ergebnisse für Öster- · Wertschätzung, reich im Jahr 2011 sind nachstehend angeführt. · Übertragen von Verantwortung, · Ermöglichen von persönlicher Weiterentwicklung, Direkte medizinische Kosten € 374 Mio. · authentischer, transparenter Kommunikation, Direkte nicht-medizinische Kosten · der Übertragung von klar verständlichen und zu Krankengeld € 6,6 Mio. bewältigenden Aufgaben, Pflegegeld € 8,0 Mio. · einem frühen, wertschätzenden Ansprechen Invaliditätspensionen € 23,5 Mio. von Auffälligkeiten bei Mitarbeiter*innen. Hinterbliebenenpensionen € 23,0 Mio. Schaden aus ungenutzem Arbeitspotenzial Gesunde Führung fängt bei sich selbst als Führungskraft an wie Produktivitätsverlust durch Fehlzeiten, und ist mitentscheidend, wie gut Mitarbeiter*innen mit Be- frühe Pensionierung und Sterblichkeit € 442 Mio. lastungen und Anforderungen des Arbeitsalltags umgehen können. 9
2.4 Verankerung im Betrieb 2.5 Betriebliche Programme Der ganze Betrieb steht im Fokus der Präventionsmaßnahmen, Ein betriebliches Suchtpräventionsprogramm setzt auf meh- nicht mehr allein der Einzelfall. Zeitgemäße betriebliche reren Ebenen an, indem es Leitlinien für den Umgang mit Suchtprävention informiert nicht nur über Auswirkungen Suchtmitteln im Unternehmen definiert, gesundheitsför- und Risiken von Suchtmitteln, sondern richtet sich mit ge- dernde Maßnahmen beinhaltet, beschreibt, wie Führungs- sundheitsfördernden Maßnahmen an alle Mitarbeiter*innen kräfte bei Hinweisen auf einen Anlassfall mit Mitarbeiter*in- eines Unternehmens. Zu solchen Maßnahmen zählen etwa nen vorgehen sollen. Informationsmaterialien, Gesundheitstage und Schulungs- programme. Beeinträchtigungen bei der Arbeit sind nicht Das aktuelle Gesamtkonzept eines betrieblichen Suchtpräven- nur bei abhängigen Personen stark ausgeprägt, sondern auch tionsprogramms umfasst die Bereiche „Vorbeugung“, „Inter- bei den Menschen, die Suchtmittel in problematischer Weise vention“, „Beratung“ und „Strukturen“. konsumieren. GESAMTKONZEPT Steuerungsgremium: Arbeitskreis Suchtprävention/Gesundheit • Abstimmung von Zielen und Maßnahmen • Erstellung eines Interventionsleitfadens/einer Handlungsanleitung • Erstellung einer Betriebs-/Dienstvereinbarung • Einbindung in das betriebliche Gesundheitsmanagement • Weiterentwicklung des Konzepts und der Angebote Vorbeugung, Intervention Beratung und Strukturen Information - Hilfsangebote - und Aktion Qualifizierung - Qualitäts- - und Beratung von Betriebliches sicherung Gesundheitskom- Personalverant- Unterstützungs- - petenz wortlichen system Vernetzung (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011) 10
Kernelemente dabei sind: Ziel dieser Maßnahmen ist es, Wissen: Informationen sorgen für ein besseres Verständnis das Thema Suchtmittelkonsum zu enttabuisieren, bei allen im ganzen Betrieb. Damit kann eine Auseinandersetzung mit Mitarbeiter*innen und Vorgesetzten ein Problembewusst- dem Thema Sucht und Konsumverhalten beginnen. sein zu entwickeln und Probleme frühzeitig zu erkennen und Betroffene dem Hilfesystem zuzuführen. Hilfe statt Strafe: Das Angebot von Hilfe - anstatt einer Kündigung - ermöglicht es, dass Probleme selbst oder von Bei den vorbeugenden Maßnahmen werden verhaltensorien- Kolleg*innen angesprochen werden können. (Eine drohende tierte und verhältnisorientierte Prävention sowie suchtspezi- Kündigung macht aus Suchtproblemen ein unansprechbares fische und übergreifende Prävention unterschieden. Tabuthema!) Die verhaltensorientierte Prävention bezieht sich dabei auf Entdramatisierung: Abhängigkeitserkrankungen können das individuelle Gesundheitsverhalten der Mitarbeiter*innen. enttabuisiert und erfolgreich behandelt werden. Die verhältnisorientierte Prävention hat das Ziel einer ge- Präventive Maßnahmen in Betrieben sunden Organisation und bezieht sich auf die Arbeits- und Umweltbedingungen. Ein umfassendes betriebliches Sucht- Professionelle Suchtprävention ist mit Strategien und Maß- präventionsprogramm beinhaltet neben den vorbeugenden nahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung, der Perso- Maßnahmen vor allem Maßnahmen der Intervention und Be- nalentwicklung, der Arbeitssicherheit und der Arbeitsmedizin ratung sowie die Vermittlung von Handlungskompetenz bei verknüpft. Führungskräften. VERHALTENSO RIENTIERTE Suchtprävention VERHÄLTNISORIENTIERTE Suchtprävention · Information und Aufklärung über Wirkung · Abbau suchtfördernder Arbeitsbedingungen von Suchtmitteln und problematischem Konsum SUCHTSPEZIFISCHE · Einschränkung der Verfügbarkeit von Suchtmitteln Prävention · Information und Aufklärung über Suchtprävention und -hilfe · Bereitstellung von alkoholfreien Getränken · Angebote zur individuellen Konsumreduzierung · Qualifizierung und Sensibilisierung der Vorgesetzten · Erweiterung der Gesundheitskompetenz · Schaffung gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen ÜBERGREIFENDE Prävention · Stressbewältigung und Selbstmanagement · Beteiligungsorientierte Arbeitsgestaltung · Konfliktmanagement · Arbeitsbewältigungscoaching · Fitness und Bewegung · Work-Life-Balance-Konzept 11
VERHALTENSO RIENTIERTE Suchtprävention VERHÄLTNISORIENTIERTE Suchtprävention Abbau suchtfördernder Arbeitsbedingungen Information und Aufklärung über Wirkung von · Fehlende Wertschätzung, Arbeitsplatzunsicherheit, SUCHTSPEZIFISCHE Suchtmitteln und problematischem Konsum Zeitdruck, unklare Anforderungen etc. Prävention · Informationsmaterial und Vorträge über Suchtmittel und Konsum Einschränkung der Verfügbarkeit von Suchtmitteln · Gesundheitstage · Einschränkung des Angebots von Alkohol oder · Impulse zur Entwicklung einer alkoholfreien Feierkultur Alkohoverbot in Kantinen etc. bei betrieblichen Feiern (in Betrieben ohne generellem Alkoholverbot) Bereitstellung von alkoholfreien Getränken · kostenloses Mineralwasser für Mitarbeiter*innen Information und Aufklärung über Suchtprävention etc. und -hilfe · Führungskräfteschulungen · Informationsvorträge in Teams Angebote zur individuellen Konsumreduzierung · Beratung durch Arbeitspsycholog*innen · Stufenpläne · Kooperation mit Einrichtungen der Suchthilfe, Rauchfreitelefon etc. Qualifizierung und Sensibilisierung der Vorgesetzten · Schulungen für Lehrlingsausbildner*innen und Führungskräfte Schaffung gesundheitsfördernder Arbeitsbedingungen Erweiterung der Gesundheitskompetenz · Sicherheit des Arbeitsplatzes, Förderung gegenseitiger ÜBERGREIFENDE · Informationsmaterial und Vorträge über Gesundheit Unterstützung durch Kolleg*innen, abwechslungsreiche Prävention Arbeit, Vorgesetzte vermitteln Anerkennung bzw. Stressbewältigung und Selbstmanagement konstruktive Kritik etc. · Integration in innerbetriebliche Schulungen Beteiligungsorientierte Arbeitsgestaltung Konfliktmanagement · Gesundheitszirkel · Führungsseminare · mehr Partizipation bei der Gestaltung der Arbeit Fitness und Bewegung Arbeitsbewältigungscoaching · Gutscheine zur Bewegungsförderung · Evaluierungen der psychischen Belastungen am · Gratis-Mitgliedschaften im Fitnesscenter für Arbeitsplatz Mitarbeiter*innen Work-Life-Balance-Konzept · flexible Arbeitszeiten, Erholungsangebote, Kinderbetreuung etc. 12
3. Wie erkenne ich frühzeitig eine Suchtproblematik bei Mitarbeiter*innen? Das Wahrnehmen und Bewerten von Veränderungen bei Mitarbeiter*innen braucht ein hohes Maß an Sensibilität. Auffälligkeiten können unterschiedliche Ursachen haben. Nachlassende Leistungen müssen nicht unbedingt auf ein Suchtproblem hinweisen, sondern können auch durch Lebenskrisen, psychische Beeinträchtigungen oder andere Krankheiten verursacht werden. Erst mehrere Hinweise begründen ein weiteres Vorgehen. Ob Sie als Führungskraft einschreiten oder nicht, basiert immer darauf, wie Sie die Arbeitsfähigkeit der betroffenen Person beurteilen: • Ist die Person in der Lage, die Arbeit ohne Gefahr für sich und andere zu erledigen? • Handelt es sich um Störungen im Arbeitsablauf oder um Verletzungen arbeitsvertraglicher bzw. 3.1 Merkmale von problematischem · Leistungsschwankungen im Arbeitsverhalten und in Konsumverhalten der Arbeitsqualität; gehäuftes Auftreten von Fehlern · Beeinträchtigung der Konzentrations- und Im Folgenden wird eine Reihe von Auffälligkeiten im Hinblick Reaktionsfähigkeit auf einen problematischen bzw. abhängigen Konsum von ei- · erhöhte Risikobereitschaft nerseits Alkohol, daran anschließend aber auch von Tabak, · Kontakt mit Vorgesetzten wird zusehends gemieden Medikamenten und illegalen Substanzen sowie von substanz- ungebundenen Abhängigkeiten (Verhaltenssüchten) darge- Physische Veränderungen stellt (Barmer GEK und Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, · Zittern und Schweißausbrüche 2014). · gerötetes, aufgedunsenes Gesicht und glasige Augen · Vernachlässigung oder übermäßiges Betonen des Diese sollen als Unterstützung zur Beobachtung am Arbeits- äußeren Erscheinungsbildes platz verstanden werden. · Auffälligkeiten in der Sprache (verlangsamt, undeutlich) · Störungen des Gleichgewichts, Auffälligkeiten Bei Verdacht auf ein problematisches Alkoholkonsumver- im Gangbild halten kann es nach Barmer GEK und Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (2014) zu möglichen Veränderungen in folgen- Veränderungen in der Persönlichkeit den Bereichen kommen: · wenig kritikfähig oder sehr angepasstes Verhalten · starke Stimmungsschwankungen, entweder nervös/reizbar Veränderungen im Arbeitsverhalten oder überaus gesellig und kommunikativ · wiederholte kurze Abwesenheit vom Arbeitsplatz, · Rückzug, soziale Isolation die nicht arbeitsbedingt ist · häufige Fehltage ohne ärztliches Attest Veränderungen im Konsumverhalten · überziehen der Pausen, Unpünktlichkeit · gesteigerter Alkoholkonsum bei feierlichen Anlässen · spontane Kurzurlaube bzw. Gleitzeitnahme ohne · Alkoholkonsum bei unpassenden Gelegenheiten Voranmeldung · schnelles, heimliches Trinken (Alkoholverstecke rund · wiederholte, wenig glaubwürdige Entschuldigungen um den Arbeitsplatz) durch Angehörige · Alkoholfahne und Versuche, diese zu kaschieren · Nachlassen der Arbeitsleistung, zunehmende (mit Kaugummi, Mundwasser o.ä.) Unzuverlässigkeit · Alkohol wird demonstrativ abgelehnt 13
3.2 Substanzen und deren Einfluss auf die Arbeit Unmittelbarer Einfluss des Konsums Regelmäßiger, problematischer Konsum auf die Arbeit und dessen Einfluss auf die Arbeit · Gefährdung der Gesundheit anderer Mitarbeiter*innen · Gefährdung der Gesundheit anderer Mitarbeiter*innen durch durch das Passivrauchen das Passivrauchen · Erhöhtes Sicherheitsrisiko (z.B. Verursachung eines Brandes) · Erhöhtes Risiko, einen Brand zu verursachen TABAK · Gehäufte Inanspruchnahme von Rauchpausen · Ansteigen der Absenzen durch Krankheit · Verschlechterung der körperlichen Leistungsfähigkeit · Erhöhte Risikobereitschaft · Fehlende Genauigkeit · Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Fähigkeit, sich · Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten z.B. vermehrtes ALKOHOL zu konzentrieren Vergessen von Arbeitsausführungen bzw. - aufträgen. · Beeinträchtigung der Fähigkeit, zu reagieren · Vermehrte kurze Abwesenheiten · Auffälligkeiten im Verhalten z.B. Gereiztheit oder Aggressivität · Unberechenbares Verhalten sowie wahrnehmbare Unruhe · Schwindel · Minderung der Leistungsfähigkeit sowie Störungen des MEDIKAMENTE · Müdigkeit, Niedergeschlagenheit Gedächtnisses · Benommenheit · Herabgesetzte Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit · Muskuläre Beeinträchtigung · Veränderte Wahrnehmung von Raum/Zeit bzw. Veränderungen · Beeinträchtigung des Denkens sowie Störungen des in der Sinneswahrnehmung Kurzzeitgedächtnisses CANNABIS · Müdigkeit · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit · Beeinträchtigung d. Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeit · Sinkende Arbeitsmotivation · Herabgesetzte Reaktionsfähigkeit · Veränderte Grundstimmung · Kurz andauernde euphorische Stimmungslage und teils · Zunehmende Unzuverlässigkeit und Unpünktlichkeit unkontrollierte Hyperaktivität mit anschließender Erschöpfung · Erhöhte Aggressivität und Gewaltbereitschaft KOKAIN und Niedergeschlagenheit · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit · Störungen des Kurzzeitgedächtnisses · Erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen · Benommenheit · Beeinträchtigung der Konzentrationsfähigkeit OPIATE/HEROIN · Veränderte Wahrnehmung und Aufmerksamkeit · Verändertes Bewusstsein · Erhebliche Stimmungsschwankungen · Veränderte Stimmungslage · Zunehmende Unzuverlässigkeit und Fehltage · Eine veränderte Stimmungslage (Euphorie, Sinnestäuschungen) · Erhöhtes Risiko für psychische Auffälligkeiten (Halluzinationen, PARTYDROGEN führt zu unangemessenem Verhalten Verwirrtheits- und Erregungszustände, etc.) · Risikobereitschaft steigt, eigene Fähigkeiten werden überschätzt · Erhöhte Aggressivität und Reizbarkeit 14
3.3 Früherkennung von Verhaltenssüchten Exzessive Verhaltensweisen, wie sie beispielsweise bei Glücks- Ess-Brech-Sucht: In Anfällen werden große Mengen an spiel, Internetnutzung oder Essen bzw. Nicht-Essen vorkom- (wahllosen) Lebensmitteln gegessen. Nach jeder Attacke re- men, können wie Substanzen zu psychischer Abhängigkeit agieren Betroffene mit gewichtsregulierenden Maßnahmen sowie zu schwerwiegenden gesundheitlichen und sozialen (vor allem Erbrechen). Beeinträchtigungen führen. Bei diesen substanzungebundenen oder Verhaltenssüchten wird eine Veränderung der Gefühle Essstörungen sollen nicht verwechselt werden mit der Frage und des Erlebens hervorgerufen („Kick“), die im Körper selbst der richtigen oder falschen Ernährung. Auffälligkeiten sind hergestellt werden (Endorphine). Im Vergleich zu einem prob- über einen langen Zeitraum nicht im Leistungsverhalten zu lematischen oder abhängigen Konsum von Alkohol und ande- erwarten, früher oder später aber auch am Arbeitsplatz fest- ren Suchtmitteln sind Verhaltenssüchte oft unauffälliger, da zustellen. das betreffende Verhalten sozial akzeptierter ist. Für die Ein- ordnung gibt es, bis auf die Glücksspielsucht, noch keine di- Internetsucht agnostischen Kategorien. Süchtige Verhaltensweisen werden unter dem Sammelbegriff „Störungen der Impulskontrolle“ Übermäßige Computer- und Internetnutzung wird zuneh- zusammengefasst. mend als ein Suchtverhalten anerkannt. Im Hintergrund stehen unter anderem Computer- und Glücksspiele, Blogs, Ein relevantes Merkmal ist der Verlust der Kontrolle. So kön- Recherchen sowie Musik- und Videoangebote. Außer der nen Betroffene nicht der Versuchung widerstehen, eine be- umfangreichen Zeitspanne, die Betroffene online verbringen, stimmte Handlung auszuführen - auch wenn ihnen bewusst gibt es keine spezifischen Auffälligkeiten am Arbeitsplatz. Für ist, dass diese Handlung für sie selbst oder für andere Men- viele Menschen ist der Umgang mit dem Internet eine berufli- schen schädlich ist. Wenn das Verhalten trotz schädlicher che Notwendigkeit, weshalb Abstinenz meist nicht angestrebt Folgen zunehmend intensiver ausgeübt wird, kann von Sucht wird. gesprochen werden. Ziel einer Behandlung ist hier vor allem, Techniken für einen Für Sie als Führungskraft ist es wichtig, Klarheit über die ei- kontrollierten Umgang mit dem Internet zu finden bzw. die gene Rolle zu haben. Es geht dabei stets um den Erhalt der Entwicklung von Alternativen. Arbeitsfähigkeit und nicht um die Diagnose oder Therapie ei- ner Person - diese findet in spezialisierten Einrichtungen statt. Glücksspielsucht Sollten Sie Grund zur Annahme haben, dass Mitarbeiter*in- nen in Ihrem Unternehmen betroffen sind, gehen Sie wie in Bei Glücksspielen handelt es sich um Kapitel 4 beschrieben vor und kontaktieren Sie bei Bedarf · Automatenglücksspiele, eine Suchtberatung. · Sportwetten, · Roulette, Nachstehend sind die häufigsten Verhaltenssüchte nach Reh- · Kartenspiele (z.B. Poker, Black Jack etc.), wald, Reineke, Wienemann und Zinke (2012) aufgelistet. · Lotterien und · Lose. Essstörungen Das „pathologische Glücksspielen“ wird als eigenständige Es gibt verschiedene Formen essgestörten Verhaltens. Die Krankheit betrachtet. Auffälligkeiten werden nicht zwangs- zwei häufigsten sind läufig am Arbeitsplatz sichtbar. Spielsüchtige sind oft ge- danklich mit dem Spielen beschäftigt, haben unter anderem Magersucht: Verhalten, dass durch extremes Hungern gekenn- notorische Geldprobleme, Stimmungsschwankungen sowie zeichnet ist - das Ziel ist, ein sehr niedriges Gewicht zu erreichen, zunehmende Interesselosigkeit an den Arbeitsinhalten oder unter anderem durch übertriebene sportliche Aktivitäten. am kollegialen Miteinander. 15
4. Vorgangsweise bei Verdachts- und Anlassfällen Nachdem Sie als Führungskraft die Merkmale sprechen Sie vor allem die Veränderungen an, die Ihnen auf- von problematischem Konsumverhalten bei ei- gefallen sind, und bieten Hilfe (Fürsorge) an. ner*einem Mitarbeiter*in wahrgenommen ha- ben, suchen Sie das Gespräch mit dieser Person. Führen Sie ein Klärungsgespräch, · um Auffälligkeiten bei der betroffenen Person anzusprechen, 4.1 Fürsorge- und Klärungsgespräch · um die Erwartungen an das zukünftige Verhalten zu Arbeitgeber*innen haben eine rechtliche Fürsorgepflicht (sie- benennen, um konkrete Schritte zu vereinbaren sowie he auch Kapitel 5). Je früher bei Auffälligkeiten erste Schritte gesetzt werden, desto besser sind die Chancen auf eine gute · um innerbetriebliche und externe Beratungs- und und konstruktive Lösung des Problems. Fürsorge- und Klä- Unterstützungsangebote aufzuzeigen. rungsgespräche sind erprobte Instrumente für Führungskräf- te und geben beiden Seiten Klarheit über weitere Abläufe. Ein Klärungsgespräch findet dann statt, wenn es bereits zu einer (wiederholten) Vernachlässigung arbeitsvertraglicher Führen Sie ein Fürsorgegespräch, oder dienstlicher Pflichten und / oder Störungen im Arbeits- · wenn Ihnen bei Angestellten persönliche, gesundheitliche zusammenhang gekommen ist, deren Ursache nicht klar ist. oder soziale Probleme auffallen, Im Klärungsgespräch kommen konkrete Fakten zur Sprache: · wenn diese Probleme auf Dauer zur Vernachlässigung die Besorgnis darüber, dass sich Probleme auf das Arbeits- arbeitsvertraglicher oder dienstrechtlicher Pflichten und Leistungsverhalten auswirken oder Störungen am Ar- führen können. beitsplatz verursachen. Eine beidseitig vertrauliche, schriftli- che Gesprächsnotiz wird angefertigt. Mit dem Fürsorgegespräch setzen Sie ein erstes Signal. Sie vermitteln, dass die Person mit ihrem Verhalten bereits auf- Ungefähr sechs bis acht Wochen später findet ein weiteres fällt und bei Bedarf unterstützt wird. In diesem Gespräch Gespräch darüber statt, wie sich die Situation entwickelt hat. Fürsorge- und Klärungsgespräch Interventionsschritt Beteiligte Hilfsangebote Folgen bzw. Sanktionen direkt vorgesetzte Fürsorgegespräch Führungskraft Hilfe anbieten betroffene Person direkt vorgesetzte Innerbetriebliche und Klärungsgespräch Führungskraft externe Beratungs- und vertrauliche Gesprächsnotiz betroffene Person Unterstützungsangebote aufzeigen (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011) 16
4.2 Vorgehen nach Stufenplan Rechtlich gesehen unterliegen Sie als Führungskraft der Für- Das erste Gespräch im Stufenplan hat das Ziel, das auffällige sorgepflicht und müssen bei gesundheitlichen oder sozialen Verhalten in eine positive Richtung zu lenken und auf fachli- Auffälligkeiten am Arbeitsplatz reagieren, um weiteren Ge- che Hilfe zurückzugreifen – mit einer internen oder externen fährdungen entgegenzuwirken. Der Stufenplan ist ein Inter- Beratung. Weitere Stufengespräche folgen, wenn es keine ventionskonzept in der betrieblichen Praxis, das seit vielen positive Veränderung gibt. Die zeitlichen Abstände zwischen Jahrzehnten erfolgreich angewandt wird. den Stufen liegen je nach Betrieb bei ein bis zwei Monaten. Der Einsatz des Stufenplans erfolgt immer bei: Wenn die Stufenplangespräche erfolgreich verlaufen sind, · Verstoß bzw. Vernachlässigung von folgt etwa zwei Monate später ein Gespräch über den positi- - arbeitsrechtlichen Pflichten oder ven Verlauf. Es gibt keine weiteren Stufenplangespräche und - dienstlichen Pflichten auch keine arbeitsrechtlichen Folgen. Sie als Führungskraft · Störungen im Arbeitsablauf sollten das Arbeitsverhalten aber weiterhin im Blick haben. Gibt es neuerlich Auffälligkeiten, geht es weiter im Stufen- Der Stufenplan gibt vor, wie bei Anlassfällen einheitlich vorge- plan. Jeder Stufenplan muss dem jeweiligen Betrieb ange- gangen werden soll. Eine spezielle Betriebsvereinbarung zum passt sein. Bei Klein- und Mittelbetrieben kann das Vorgehen Thema Suchtmittelkonsum bzw. -missbrauch, in der auf den anders gestaltet sein, zum Beispiel mit weniger Stufen, mit Stufenplan verwiesen wird, ist empfehlenswert. einem kleineren Personenkreis oder kürzeren Zeitabständen. Interventionsschritt Beteiligte Hilfsangebote Folgen bzw. Sanktionen direkt vorgesetzte Informationsmaterial STUFE 1 Führungskraft Hinweis auf externe / interne Beratung internes Protokoll betroffene Person Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan wie oben und nächst- Aufforderung zur Kontaktaufnahme einer STUFE 2 höhere Führungskraft Beratungsstelle oder Suchthilfeeinrichtung internes Protokoll Betriebsratsmitglied Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan wie oben und Aufforderung zum Aufsuchen einer Beratungsstelle STUFE 3 unter Umständen oder Suchthilfeeinrichtung 1. schriftliche Abmahnung Arbeitsmediziner*in Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan wie oben und schriftliche Aufforderung, eine Beratungsstelle STUFE 4 unter Umständen oder Suchthilfeeinrichtung aufzusuchen 2. schriftliche Abmahnung Arbeitsmediziner*in Rückmeldegespräch oder weiter im Stufenplan wie oben und Beginn einer Therapie Androhung bzw. Einleitung STUFE 5 unter Umständen Ggf. Angebot der Wiedereinstellung nach Therapie des Kündigungsverfahrens Arbeitsmediziner*in Rückmeldegespräche 17
4.3 Gesprächsvorbereitung und -führung Die Fachstelle NÖ bietet Seminare zur Gesprächsführung für Führungskräfte, Arbeitsmediziner*innen, Arbeitspsycholog* Gespräche mit Mitarbeiter*innen zu ihrem Suchtmittel- innen, Sicherheitsvertrauenspersonen und Betriebsrät*innen konsum gehören zu den besonders schwierigen Aufga- an. Die in dieser Fortbildung erlernten Gesprächstechniken sind ben von Führungskräften. Planen Sie genügend Zeit ein im Bereich der Fürsorge- und Klärungsgespräche anwendbar. und schaffen Sie ein gutes Gesprächsklima. Bedenken Sie, dass es in der Regel nicht leicht ist, sich eine Sucht- 4.4 Vorgehensweise bei akuten erkrankung einzugestehen und bereiten Sie sich auf das Ge- Anlassfällen spräch gut vor. · Stellen Sie den Grad der Beeinträchtigung fest und CHECKLISTE objektivieren sie diesen: Versichern Sie sich, dass die eigene Einschätzung mit der Einschätzung anderer Personen · Was ist das Ziel des Gesprächs? über einstimmt und nicht nur Ihr persönlicher Eindruck ist. · Wann ist ein geeigneter Zeitpunkt für das Gespräch? Idealerweise ziehen Sie Zeug*innen wie Betriebsrät*innen · Was ist meine Aufgabe als Führungskraft? oder Arbeitsmediziner*innen bei. Die Beurteilung durch die · Wie kann ich der betroffenen Person positiv vorgesetzte Führungskraft ist rechtlich gesehen ausreichend. begegnen? · Welche konkreten Beobachtungen habe ich · Sofern keine akute, medizinische Behandlung erforderlich gemacht? ist (Rettungsdienst), garantieren Sie ein sicheres · Welche konkreten Hilfs- und Unterstützungs- Heimkommen der Person, zum Beispiel mit dem Taxi. angebote kann ich vorschlagen? · Mit welchen Vereinbarungen möchte ich das · Erstellen Sie ein Protokoll über den Anlassfall. Gespräch beenden? · Sprechen Sie eine Verwarnung aus und gehen Sie nach Eine ausführlichere Checkliste finden Sie in Kapitel 8. dem Stufenplan vor. Ziel ist es, auf betroffene Mitarbeiter*innen rechtzeitig zuzu- Grundsätzlich ist die Regelung der Vorgangsweise in einer gehen und sensibel Veränderungen anzustoßen. Inhalte und speziellen Betriebsvereinbarung zum Thema Suchtmittel Methoden sind zum Beispiel „aktives Zuhören“ oder der „Um- konsum bzw. -missbrauch empfehlenswert. Dadurch ist das gang mit Widerstand“. konkrete Vorgehen bekannt und muss nicht erst im Einzelfall festgelegt werden. ALLGEMEINE TIPPS 4.5 Entgeltfortzahlungen bei · Thematisieren Sie im Gespräch, was Ihnen berauschtem Zustand aufgefallen ist. · Sprechen Sie die erwartete Verhaltensänderung Hier ist es wichtig zu unterscheiden, ob die betroffene Person konkret an. nachgewiesen suchtkrank ist oder nicht. Durch ein fachärzt- · Machen Sie deutlich, welche Maßnahmen ein liches Gutachten bezüglich der Abhängigkeit von Alkohol und weiteres Missachten der Vereinbarungen mit sich anderen illegalen Suchtmitteln wird diese grundsätzlich als bringt. Krankheit angesehen. So erfolgen nach dem Entgeltfortzah- · Zeigen Sie mögliche Hilfsangebote auf. lungsgesetz (EFZG) wie bei anderen Krankheiten Zahlungen auch während des Krankenstandes. 18
Liegt ein übermäßiger Alkoholkonsum ohne diagnostizierte Ab- mäßigem Grund für die Dauer der Fehlzeiten kein Anspruch auf hängigkeit vor, und ist die Person deshalb vorübergehend ar- Entgeltfortzahlung - selbst dann nicht, wenn die betroffenen Per- beitsunfähig, so besteht aufgrund des Fernbleibens ohne recht- son von der vorgesetzten Person nach Hause geschickt wurde. VORGEHEN BEI AKUTER BERAUSCHUNG Grad der Beeinträchtigung feststellen und objektivieren Medizinischer Notfall ? 144 Schriftliche Dokumentation Verwarnung Vorgehen nach Stufenplan (Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, 2011) 19
5. Welche rechtlichen Grundlagen gibt es? Die gesetzlichen Grundlagen beschreiben sowohl die Pflichten der Arbeitnehmer*innen als auch die der Arbeitgeber*innen: Die Fürsorge-, Informations- und Kontrollpflicht gilt für Arbeitgeber*innen, und die Treuepflicht für Arbeitnehmer*innen. 5.1 Fürsorgepflicht der Arbeitgeber*innen Informations- und Kontrollpflicht Arbeitgeber*innen und Führungskräfte haben eine Fürsor- Eine Detaillierung der Fürsorgepflicht im Arbeitnehmer*innen- gepflicht: Sie müssen bei der Gestaltung des Arbeitsverhält- Schutzgesetz (ASchG) ist die Informations- und Kon- nisses unter anderem die gesundheitlichen und persönlichen trollpflicht. Arbeitgeber*innen vernachlässigen dann ihre Interessen der Mitarbeiter*innen schützen. So ist etwa dafür Fürsorgepflicht, wenn sie wissentlich Mitarbeiter*innen be- zu sorgen, dass sich Mitarbeiter*innen keinen besonderen ar- rauscht arbeiten lassen – sei es durch die Einnahme von Alko- beitsbedingten Gefahren aussetzen. Die Fürsorgepflicht kann hol oder anderen Suchtmitteln. zu aktiven Maßnahmen verpflichten, aber auch zu Unterlas- sungen seitens der Arbeitgebenden führen. In diesem Rah- men können oder müssen unter Umständen sogar gesund- heitsfördernde und präventive Maßnahmen durchgeführt § Arbeitgeber*innen sind verpflichtet, für eine aus- reichende Information der Arbeitnehmer*innen werden. über die Gefahren für Sicherheit und Gesundheit so- wie über die Maßnahmen zur Gefahrenverhütung zu sorgen.“ (§ 12 Absatz 1 ASchG) § Geregelt ist die Fürsorgepflicht in § 1157 Allgemei- nes Bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) und in § 18 Angestelltengesetz (AnG): Dienstgeber*innen haben § In § 6 Absatz 3 ASchG werden Arbeitgeber*innen verpflichtet, alle Arbeitnehmer*innen, die nicht in Dienstleistungen und den Betrieb so zu regeln, dass der Lage sind, eine Arbeit ohne Gefahr für sich oder das Leben und die Gesundheit der Dienstnehmer*in- andere auszuführen, mit dieser Arbeit nicht zu be- nen geschützt werden. schäftigen und gegebenenfalls vom Arbeitsplatz zu verweisen. § Im Arbeitnehmer*innen-Schutzgesetz (ASchG) wird die Fürsorgepflicht in einem Teilbereich et- was präzisiert: „Arbeitgeber*innen sind verpflichtet, Die Arbeitgeber*innen sind durch die gesetzlichen Bestim- für Sicherheit und Gesundheitsschutz der Arbeitneh- mungen verpflichtet, alle Mitarbeiter*innen über Gefahren mer*innen in Bezug auf alle Aspekte, die die Arbeit und diesbezügliche Regeln im Betrieb zu informieren und betreffen, zu sorgen […]. Arbeitgeber*innen haben die deren Einhaltung sicherzustellen. Dies gilt für alle Branchen, zum Schutz des Lebens und der Gesundheit erforder- Betriebe und Tätigkeiten. lichen Maßnahmen zu treffen, einschließlich der Maß- nahmen zur Verhütung arbeitsbedingter Gefahren, zur Eine Kontrolle geht allerdings niemals so weit, dass etwa im Information und zur Unterweisung. […].“ (§ 3 Absatz größeren Umfang Alkohol- oder Drogentests durchgeführt 1 ASchG) werden können oder gar müssen. Ausnahmen gibt es bei be- stimmten Berufsgruppen wie Pilot*innen, Busfahrer*innen, beim Bedienen bestimmter Maschinen, bei Lokführer*innen etc. (siehe Punkt 5.7 Alkohol- und Drogentests in Betrieben). Arbeitgeber*innen müssen jedenfalls reagieren, wenn durch Arbeitgeber*innen und einen bekannten Konsum wie etwa von Alkohol eine Gefähr- Führungskräfte haben eine dung für die betroffenen Mitarbeiter*innen, Kolleg*innen, Kund*innen und sonstige Personen oder den Betrieb ent- Fürsorgepflicht. stehen kann; das schließt auch einen Schaden an der Ver- 20
trauenswürdigkeit mit ein. Es sind Maßnahmen zu setzen, Bei Bestehen eines Alkoholverbotes während der Arbeits- die eine Gefährdung verhindern. Aus gerechtfertigten Alko- zeit strahlt dieses auf das Verhalten in der Freizeit aus: holverboten für die Zeit der Erbringung der Arbeitsleistung Auch durch Konsumation in der Freizeit dürfen sich Arbeit- ergibt sich unmittelbar eine Notwendigkeit zur Beschränkung nehmer*innen nicht in einen Zustand versetzen, welcher es des Alkoholkonsums in Freizeit, Pausen und Ruhezeiten. Für unmöglich macht, die in der Arbeitszeit geltende Nüchtern- vertragliche Beschränkungen im Freizeitbereich muss jedoch heit einzuhalten. eine erhöhte Interessenslage eines Berufes bzw. einer Bran- che vorliegen (z.B. für das Bedienen bestimmter Maschinen). Nehmen Arbeitnehmer*innen Leistungsbeeinträchtigungen von Kolleg*innen durch den Konsum von Alkohol oder an- Arbeitgeber*innen haben aufgrund des Suchtmittelgesetzes deren berauschenden Mitteln wahr, sind diese grundsätz- (SMG) keine Verpflichtung, den Konsum von illegalen Subs- lich nicht verpflichtet, Vorgesetzte zu informieren. Besteht tanzen von Arbeitnehmer*innen zur Anzeige zu bringen. allerdings die Möglichkeit einer Gefährdung von anderen Mitarbeiter*innen bzw. einer Schädigung des Betriebs, so 5.2 Treuepflicht der Beschäftigten kann aus den Pflichten der Arbeitnehmer*innen eine Infor- mationspflicht abgeleitet werden. Diese beinhaltet, dass bei Die Treuepflicht der Beschäftigten ist das Gegenstück zur Für- Beobachtungen hinsichtlich Konsum und Berauschung die sorgepflicht der Arbeitgeber*innen. Arbeitnehmer*innen ha- Führungskraft informiert werden muss. ben demnach nicht nur eine Pflicht zur Arbeit, sondern auch die Verantwortung, auf betriebliche Interessen der Arbeitge- Mitarbeiter*innen, die berauscht arbeiten und sich oder an- ber*innen Rücksicht zu nehmen. Unter der Treuepflicht wird dere dadurch gefährden können, verstoßen gegen ihre Treue- somit ganz allgemein wie folgt verstanden: und Mitwirkungspflicht. Sie verletzen ihre vertragliche Pflicht, die volle Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen und die Ar- · Die Pflicht, die schützenswerten Interessen der Arbeitge- beitgeber*innen bei notwendigen Maßnahmen zur Unfallver- ber*innen zu respektieren und auch außerdienstlich kein hütung zu unterstützen. Verhalten zu setzen, welches diesen widerspricht. Nehmen Arbeitnehmer*innen ärztlich verschriebene Medika- · Sich den Arbeitgeber*innen gegenüber korrekt und loyal zu mente ein, sind sie grundsätzlich nicht dazu verpflichtet, dies verhalten, was auch ein angemessenes Verhalten im Um- der Führungskraft mitzuteilen. Eine Medikamenteneinnahme gang mit Kolleg*innen, Kund*innen oder Geschäftspart- mit möglichen Nebenwirkungen, die die Person selbst oder ner*innen mit einschließt. andere gefährden können (z.B. Verkehrsbeeinträchtigung), muss jedoch aufgrund der Treuepflicht gemeldet werden. So · Das Ansehen der Arbeitgeber*innen zu wahren. kann die Person für die Dauer der möglichen Beeinträchti- gung eine Arbeitstätigkeit ausführen, bei der eine Gefährdung Pflichten der Beschäftigten in Bezug auf nicht möglich ist. berauschende Suchtmittel Eine Richtlinie gibt Vorgesetzten einerseits konkrete Hand- Das Arbeitnehmer*innenschutzgesetz richtet sich auch an die lungs- und Ablaufanweisungen für den Anlassfall und erhöht Mitarbeiter*innen selbst und bestimmt dazu: andererseits durch deren Durchführung die Arbeitssicherheit im Betrieb. § „Arbeitnehmer*innen dürfen sich nicht durch Alko- hol, Arzneimittel oder Suchtgift in einen Zustand Beschäftigte haben eine versetzen, in dem sie sich oder andere Personen gefähr- Treuepflicht gegenüber ihren den können.“ (§ 15 Absatz 4 ASchG) Arbeitgeber*innen. 21
5.3 Einschreiten eines Betriebes Die direkt vorgesetzte Führungskraft entscheidet über die weiteren Schritte Der Betrieb muss dann einschreiten, wenn Arbeitnehmer*innen gegen folgende Punkte verstoßen: · Berauschte Mitarbeiter*innen dürfen nicht arbeiten. · Arbeitnehmer*innen-Schutzvorschriften (§ 15 Absatz 4 ASchG, siehe S. 22) oder · Bei Bedarf muss für einen Transport nach Hause gesorgt werden. · spezielle Erfordernisse eines spezifischen Tätigkeitsfeldes · Es folgen ein Fürsorgegespräch, ein Klärungs- wie etwa eine Nüchternheitserfordernis für Busfahrer*innen oder gespräch und weitere Gespräche nach Stufen- plan (siehe auch Kapitel 4). · betriebsinterne Ordnungsvorschriften. Es geht dabei immer um die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit in Bezug auf die konkrete Tätigkeit der Arbeitnehmenden. Die 5.4 Betriebsvereinbarung Führungskraft beurteilt, ob eine Gefährdung der Sicherheit am Arbeitsplatz vorliegt. Gleichzeitig muss die Führungskraft Da es im Arbeitnehmer*innenschutzgesetz keine konkrete dafür sorgen, dass Mitarbeiter*innen, die ein Arbeitssicher- Regelung zum Konsum von Suchtmitteln im Betrieb gibt, ist der heitsrisiko darstellen, nicht weiterarbeiten. Wie die Füh- Abschluss einer Betriebsvereinbarung zum Thema Umgang mit rungskraft die Beobachtung einschätzt, ist maßgeblich für Suchtmitteln zwischen Arbeitgeber*in und Betriebsrat sinnvoll. die Beurteilung der Situation. Es empfiehlt sich, Unbeteiligte Diese regelt die Vorgangsweise im Anlassfall und den Konsum für die Beurteilung beizuziehen. Diese können sein: Betriebs- von Alkohol und anderen Suchtmitteln im Zusammenhang mit rät*innen, Personalvertreter*innen oder nächsthöhere Vor- der Arbeitsleistung. Damit wird gewährleistet, dass ein ein- gesetzte. Die Entscheidung fällt aber die direkt vorgesetzte heitliches Handlungskonzept Anwendung findet und jeder Fall Führungskraft. gleich behandelt wird. Bei einer offensichtlichen Arbeitsunfähigkeit von Mitarbei- 5.5 Rechtslage bei Lehrlingen ter*innen entscheidet die direkt vorgesetzte Führungskraft, ob ein medizinischer Notfall vorliegt und die Rettung gerufen Eine vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses ist in § 15 werden muss, z.B. bei starker Berauschung und bei Fremd- Berufsausbildungsgesetz geregelt. Gründe für eine vorzeitige oder Selbstgefährdung, oder ob die Person – gegebenen- Auflösung des Lehrverhältnisses sind unter anderem: falls in Begleitung – nach Hause geschickt werden kann. Bei Jugendlichen müssen die Erziehungsberechtigten informiert · Ein Lehrling macht sich einer strafbaren Handlung schul- werden. dig, die zu einem Vertrauensverlust führt. Beispiel: Diebstahl oder Vermögensdelikt. In Betrieben wird die Entwicklung eines innerbetrieblichen Vorgehens bei Suchtmittelkonsum und -missbrauch der Mit- · Ein Lehrling versucht Betriebsangehörige zur Nichtbefolgung arbeiter*innen, das auch die Auszubildenden einbezieht, von betrieblichen Anordnungen oder zu gesetzeswidrigen empfohlen. Dieses Vorgehen nach Stufenplan (siehe dazu Handlungen zu verleiten: Anbieten von Alkohol oder illegalen Kapitel 4.2) wird idealerweise in der Betriebsvereinbarung Suchtmitteln im Betrieb, Aufforderung zum Alkoholkonsum festgehalten. trotz notwendiger Nüchternheit etc. 22
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