GRUNDRECHT INKLUSION IST EIN - LWL-Inklusionsamt Arbeit
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2 2021 integrationsaemter.de INKLUSION IST EIN GRUNDRECHT Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belan- ge von Menschen mit Behinde- rungen, im G espräch mit ZB. ERFOLGREICH WICHTIG RECHTSSICHER ISSN1860-773X Wie die Deutsche Post die Warum das Thema Aktuelle Urteile rund Herausforderungen der Arbeitssicherheit aktuell um die berufliche Pandemie bewältigt besonders relevant ist Teilhabe
I M P R E S S U M E D I TO R I A L ZB Behinderung & Beruf Herausgeber: BIH Bundesarbeits- gemeinschaft der Integrations- ämter und Hauptfürsorgestellen im Zusammenwirken mit der Bundesagentur für Arbeit --- Verlag, Herstellung, Vertrieb: CW Haarfeld GmbH, cwh.de --- ZB erscheint viermal jährlich und wird finanziert aus den Beiträgen der Mitglieder des Herausgebers (jährlicher Bezugspreis 3 Euro). Michael Bause --- Internetadresse: integrationsaemter.de/ZB --- Redaktion: Christoph Beyer (verantwortlich für den Inhalt), WAS NOCH KOMMEN MUSS Burkhardt Vitt (verantwortlich für den Verlag), Theda Bracht, Maren Zeidler, Isabell Dunschen, Anna Papenbrock --- Beirat: Christoph Beyer, Köln; Anette Liebe Leserinnen und Leser, Bollwien, Nürnberg; Karl-Friedrich Ernst, Karlsruhe; Carola Fischer, die anstehende Bundestagswahl im Herbst 2021 geht in diesen turbulenten Z eiten Köln; Heike Horn-Pittroff, Chemnitz; fast unter. Doch es ist tatsächlich bald so weit. Wir nutzen die Chance, mit dem Eva-Maria Jäger-Kuhlmann, Müns- Behindertenbeauftragten der Bundesregierung, Jürgen Dusel, ein Fazit seiner ter; Thomas Niermann, Kassel; Lo- thar Weigel, Bayreuth; Timo Wissel, ersten, vielleicht nicht letzten Amtszeit zu ziehen. Jürgen Dusels Programmatik ist Köln; Simone Wuschech, Cottbus anspruchsvoll und bestechend selbstverständlich zugleich: „Demokratie braucht In- --- klusion“. Er ist seit 2018 für die Belange von Menschen mit Behinderungen zuständig Titelfoto: Henning Schacht und hat einiges erreicht. Wir blicken mit ihm zurück und halten auch gemeinsam --- Druck: L. N. Schaffrath GmbH & Co. Ausschau: Was kommt, was muss noch kommen? Und: Wie steht es auch in Pande- KG DruckMedien, schaffrath.de; miezeiten um die Inklusion in Deutschland? gedruckt auf 100-prozentigem Recyclingpapier, zertifiziert mit dem Blauen Engel Außerdem haben wir die Deutsche Post DHL Group besucht. Der dort bestehende --- Versandboom durch die Pandemie zeigt, welche Herausforderungen Inklusionsbeauf- Auflage: 184.000 Exemplare tragte und Schwerbehindertenvertretungen aktuell meistern und wie die Digitalisie- --- Redaktionsschluss: 10.05.2021 rung vorangetrieben wird. --- Beilagen: Einem Teil der Auflage Pandemiebedingt ist auch der Arbeits- und Gesundheitsschutz besonders in den ist die ZB Rheinland, die ZB Baden- Fokus geraten. Das Instrument in den Betrieben ist der Arbeitsschutzausschuss, in Württemberg oder die ZB Bayern beigelegt. dem auch die Schwerbehindertenvertretung aktiv mitarbeiten soll. Wie es hier um --- die Rechte und Pflichten von Vertrauenspersonen steht, lesen Sie ab Seite 11. Nachdruck nur nach vorheriger Ge- nehmigung von Verlag und Heraus- geber gestattet. Ich wünsche Ihnen eine informative Lektüre! --- Editorischer Hinweis: Wir bitten um Verständnis, dass aus Gründen der Lesbarkeit bei Personenbezeich- nungen und personenbezogenen Thomas Niermann, Hauptwörtern die männliche Form Leiter des Integrationsamtes und verwendet wird, wenn es sich nicht der Hauptfürsorgestelle Landes- Integrationsämter & vermeiden lässt. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleich- wohlfahrtsverband Hessen I nklusionsämter behandlung grundsätzlich für alle Geschlechter. Die verkürzte Sprach- form hat nur redaktionelle Gründe In Bayern, Nordrhein-Westfalen und dem und beinhaltet keine Wertung. Saarland wurden die Integrationsämter --- umbenannt in Inklusionsämter. Diese Nachbestellungen und Adressände- rungen richten Sie bitte nur an das nehmen weiterhin die Aufgaben der für Sie zuständige Integrationsamt. Integrationsämter wahr.
I N H A LT Fotos: Henning Schacht; Getty Images/Luis Alvarez T I T E LT H E M A Inklusion ist ein Grundrecht Jürgen Dusel spricht im Interview über die Herausforderun- gen und Chancen der Pandemie für die Inklusion. In wan- 6 delnden Zeiten wie diesen heißt es, Barrierefreiheit direkt in neuen Gesetzen zu beachten. Inklusion ist kein Thema der Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für Fürsorge oder Caritas, sondern ein Grundrecht. die Belange von Menschen mit Behinderungen R E P O RTA G E R ATG E B E R Interview mit der Deutsche Post DHL Group Arbeitsschutzausschuss (ASA) 10 13 Einiges zu stemmen Aktiv mitwirken für einen vielfältigen Arbeitsschutz Das größte internationale Logistik- unternehmen Deutsche Post DHL Arbeitsschutz steht mehr denn je Group schaut auf die vergangenen durch die Pandemie im Fokus. Daher Monate der Corona-Pandemie. sollte die Schwerbehindertenver- Herausforderungen wurden gemeis- tretung (SBV) auch im betrieblichen tert und die Digitalisierung wurde Arbeitsschutzausschuss (ASA) angekurbelt. mitwirken. RECHT ONLINE Auf dem neuesten Stand SBV aktiv 14 Aktuelle Urteile Auch unterwegs informiert ■ Befugnisse der Gesamt-SBV → sbvaktiv.integrationsaemter.de ■ Unterrichtungsanspruch ■ Videos mit Erklärungen ■ Keine Beschäftigungsgarantie ■ Fachlexikon zur SBV ■ Personalisierte Inhalte 2 | 2021 3
NACHRICHTEN kurz notiert Studie zum Weltfrauentag Frauen mit Behinderung verdienen am schlechtesten Zum Weltfrauentag am 8. März wurden besonders die Arbeitsrechte der Frauen betrachtet. Dabei kam heraus, dass schwerbehinderte Frauen, die am stärksten Benachteiligten auf dem Arbeitsmarkt sind. Sie trifft es gleich doppelt durch die Benachtei- ligung von Frauen und aufgrund der Behinderungen. Dies bedeutet laut Studie „Situation von Frauen mit Schwerbehinderung am Arbeitsmarkt“, dass weibli- Getty Images/Kali Nine LLC che Erwerbstätige mit Behinderung im Durchschnitt 667 Euro weniger pro Monat verdienen als ihre männlichen Kollegen. → destatis.de > Themen > Gesellschaft und Umwelt > Gesundheit > Behinderte Menschen Getty Images/Dazeley Barrierefreiheit per Gesetz Neues Gesetz sorgt für europaweite Barrierefreiheit REHADAT-Befragung zu rheumatoider Arthritis Am 24. März 2021 hat das Bundeskabinett RA-Erwerbstätige fühlen sich gut integriert das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) Nach aktuellem Projekt von REHADAT am Institut beschlossen. Es regelt die Barrierefreiheits- der deutschen Wirtschaft fühlt sich ein Großteil anforderungen für bestimmte Produkte und der Erwerbstätigen mit rheumatoider Arthritis (RA) Dienstleistungen und beseitigt Barrieren beim gut am Arbeitsplatz integriert. Dies geht aus einer Zugang zu Informationen und Kommunikation. Befragung in 2020 hervor, bei der von 419 Befragten Die Regelungen sind grundsätzlich ab dem 28. mit Rheuma 312 Personen von RA betroffen waren. Juni 2025 anzuwenden. Sie orientieren sich an Untersucht wurden die Bereiche Betriebsklima, in- der EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European dividuelle Arbeitsanpassung sowie die Inanspruch- Accessibility Act, kurz: EAA). flaticon.com nahme von Unterstützung. → bmas.de > Mehr Barrierefreiheit für Deutschland 4 2 | 2021
im fokus 173.709 schwerbehinderte Menschen waren im Oktober 2020 in Deutschland arbeitslos gemeldet – ein Anstieg um 10,3 % Getty Images/Tascha Rassadornyindee/EyeEm gegenüber März, zu Beginn der Corona-Krise Quelle: Bundesagentur für Arbeit Projekt incluMOVE Digital gestützter Lern- und Arbeitsplatz für Menschen mit Beeinträchtigung Die Montage von Objekten, ist eine zentrale Anforderung der meisten ge- werblich-technischen Berufsbilder. Im BMBF-geförderten Projekt incluMOVE wurde exemplarisch für das Berufsfeld Getty Images/SKapl Elektromontage im Berufsbild Industrie- elektriker ein digital gestützter Lern- und Arbeitsplatz entwickelt, der Menschen mit und ohne B ehinderung bei der Montage assistiert. Mögliche behinderungsbeding- Erkennung von epileptischen Anfällen te Barrieren können damit kompensiert Künstliche Intelligenz hilft werden. In Deutschland leiden 400.000 bis 800.000 Menschen Die Projektergebnisse von incluMOVE an Epilepsie. Pro Jahr erkranken ca. 30.000 Menschen tragen dazu bei, dass Menschen mit Beein- neu. Etwa ein Drittel der epileptischen Anfälle bleibt trächtigung formale Qualifikationen erwer- unerkannt. Das kann insbesondere in der Nacht zu le- ben können. Link zur Projektseite: bensbedrohlichen Situationen führen. Das BMBF för- → inclumove.de dert mit dem Projekt EPIWATCH die Entwicklung eines Sensorsystems, das mithilfe künstlicher Intelligenz die Vitaldaten von Epilepsie-Patienten überwacht, sodass im Notfall schneller interveniert, die Diagnose verbessert und die Therapie angepasst werden kann. Link zum Projekt: → elektronikforschung.de > projekte > epiwatch 2 | 2021 5
T I T E LT H E M A Henning Schacht „INKLUSION IST KEIN SCHÖNWETTER- KONZEPT“ Jürgen Dusel ist Beauftragter der Bundesregierung für die Be- lange von Menschen mit Behinderungen. Im ZB-Interview spricht er über Herausforderungen während der Corona-Pandemie und macht deutlich, dass Inklusion nichts mit Fürsorge oder Caritas zu tun hat, sondern ein fundamentales Grundrecht ist. 6 2 | 2021
In Deutschland gibt K es insgesamt 13 Mil- ann man sagen, dass Menschen mit Behinde- rungen in vielen Belangen durch die Corona- Pandemie besonders betroffen sind? In Deutschland gibt es circa 13 Millionen Men- lionen Menschen mit schen mit Beeinträchtigungen – knapp 8 Millionen davon sind schwerbehinderte Menschen. Diese Gruppen sind sehr heterogen. Aus diesem Grund ist die Betroffenheit Beeinträchtigungen – durch die Corona-Pandemie nicht leicht zu beantworten. Was klar ist: Innerhalb der Gruppe der Schwerbehinder- 8 Millionen davon ten gibt es Menschen, die sich bereits seit über einem Jahr isolieren müssen. Diese Menschen haben große Sorgen, sich zu infizieren und an COVID-19 zu sterben – sind schwerbehinderte kritisch ist für diese Gruppe jetzt der lange Verlauf der Pandemie. Menschen.“ Welche großen Themen sehen Sie zurzeit in der Corona- Krise? Worauf muss geachtet werden? Wir stellen fest, dass sich bestehende Problemlagen in Was meinen Sie damit konkret? Haben Sie Maßnahmen der Pandemie noch einmal verschärft haben. Das betrifft im Blick? die Teilhabe am Arbeitsleben, die gesundheitliche Versor- Zunächst sollten wir uns einfach an die Regeln halten, die gung der Menschen mit Beeinträchtigungen und die Bar- wir uns gegeben haben. Ein Viertel aller Unternehmen rierefreiheit insgesamt. Aus diesem Grund ist es wichtig, beschäftigt trotz einer Beschäftigungspflicht keinen ein- dass wir bei allen neuen Gesetzen, die wir jetzt in der zigen Menschen mit Behinderung. Was würde passieren, Pandemie auf den Weg bringen, darauf achten, dass wenn 25 Prozent aller Autofahrer einfach sagen, für mich sie inklusiv sind. Ob das jetzt ein Konjunkturprogramm, gilt die Straßenverkehrsordnung nicht? Das ist völlig in- ein Krisenbewältigungsprogramm, die Unterstützung akzeptabel – Nullakzeptanz für Nullbeschäftigung! Des- von Inklusionsunternehmen, oder die Informationsver- halb bin ich für eine Verdoppelung der Ausgleichsabgabe mittlung per Gebärdensprache ist – alle Ideen und Pro- für diese Unternehmen. Arbeitsminister Hubertus Heil gramme sollten auch für Menschen mit Behinderungen hat die Erhöhung der Ausgleichsabgabe noch im Dezem- zukunftsfähig sein. Das hat dann auch positive Auswir- ber 2020 als Teil seiner Forderung formuliert. Allerdings kungen auf die Zeit nach der Pandemie. scheint die Forderung derzeit leider keine Mehrheit zu finden. Haben Sie Sorge, dass vieles, das Sie und Ihre Mitarbeiter Dann müssen die Bewilligungsverfahren zum Bei- in den letzten Jahren erreicht haben, durch die Pandemie spiel von Lohnkostenzuschüssen und Arbeitsplatzaus- zunichtegemacht wird? Und wie begegnen Sie dem? stattungen bei einer Einstellung von Menschen mit Be- Oh ja, ich habe schon Sorge, dass das, was wir bereits er- einträchtigungen vereinfacht und beschleunigt werden. reicht haben – auch was die Umsetzung der UN-Behin- Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen sol- dertenrechtskonvention betrifft –, geopfert wird. Aktuell len es zukünftig einfacher haben, sich in dem Wirrwarr ist die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Beeinträch- von Beschäftigungshilfen und unterschiedlich zustän- tigungen gestiegen und derzeit so hoch wie seit fünf digen Leistungsträgern zurechtzufinden. Deshalb trete Jahren nicht mehr. Wir wissen auch, dass diese Gruppe ich dafür ein, dass Arbeitgeber zukünftig nur noch einen schwerer wieder einen Job findet als nichtbehinderte Ansprechpartner für alle ihre Fragen rund um die Aus- Menschen. Deshalb müssen wir jetzt schon Maßnahmen bildung, Einstellung und Beschäftigung von Menschen ergreifen, damit die Einstellung von behinderten Men- mit Behinderungen haben. Andernfalls könnten vor al- schen vereinfacht wird, wenn sich die Konjunktur wieder lem kleinere Unternehmen schnell überfordert sein. Das erholt. muss sich ändern. 2 | 2021 7
T I T E LT H E M A Ich plädiere dafür, dass diese z entrale Ansprechperson für Unternehmen Wer soll denn diese Ansprechperson sein? zukünftig aus den Ich plädiere dafür, dass diese zentrale Ansprechperson für Unternehmen zukünftig aus den Integrationsämtern kommt, die dann auch verbindliche Zusagen machen Integrationsämtern und Entscheidungen treffen darf. Das kann es kleinen und mittleren Unternehmen, die nicht immer das Perso- kommt ...“ nal abstellen können für solche Aufgaben, leichter ma- chen, auch Menschen mit Behinderungen einzustellen. Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg ist getan: Im par- Die Politik hat in der Corona-Pandemie am 1. Januar lamentarischen Verfahren zum Teilhabestärkungsgesetz 2021 den sogenannten Corona-Teilhabe-Fonds auf den sind jetzt auch Ansprechstellen vorgesehen, allerdings Weg gebracht. Einrichtungen der Behindertenhilfe, In- trägerunabhängig, und sie sollen nur Beratungs- und klusionsbetriebe, Sozialkaufhäuser und gemeinnützige Lotsenfunktion haben. Sozialunternehmen können Zuschüsse aus dem Fonds beantragen. Die Antragsfrist ist aufgrund der andauern- Aktuell unterstützt der Staat mit Milliardenprogram- den pandemischen Lage bis zum 31. Mai 2021 verlängert men Unternehmen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass worden. Wie unterstützt der Fonds die Inklusion in der sich die Inklusion der Wirtschaft unterordnen muss. Wie Krise? sehen Sie das? Dies ist ein sehr wichtiges und notwendiges Instrument, Wir müssen anders argumentieren. Der Deutsche Bun- weil vor allem Inklusionsunternehmen am Anfang der destag hat viel steuerfinanziertes Geld in die Hand ge- Corona-Krise immense Schwierigkeiten hatten, Kredite nommen, – übrigens auch Steuern, die von Menschen oder Zuschüsse zu erhalten, denn sie waren zunächst mit Behinderungen erbracht wurden –, um Arbeitgeber von allen Wirtschaftshilfen ausgeschlossen. Die mehr als und Arbeitnehmer in der Corona-Krise zu unterstützen. 900 Inklusionsunternehmen in Deutschland haben eine Und das ist vollkommen richtig so. Das ist ein solidari- wichtige Aufgabe – sie gewährleisten die Teilhabe für scher Akt der Gesellschaft. Aber Solidarität ist keine Ein- Menschen mit Behinderungen am ersten Arbeitsmarkt. bahnstraße. Wenn schon der Steuerzahler Unternehmen Die dürfen jetzt nicht in Konkurs gehen. Ich hoffe wirklich unterstützt, dann erwarte ich, dass auch Firmen etwas sehr, dass sie einigermaßen gut durch die Corona-Krise von dieser Solidarität zurückgeben und Menschen mit kommen. Behinderungen beschäftigen. Wie schätzen Sie die Arbeit der Integrationsämter in der Gibt es auch positive Entwicklungen in der Corona-Krise? Corona-Krise ein? Die gibt es: Nach 45 Jahren konnten wir erreichen, dass Ich habe ja selber von 2002 bis 2009 das Integrationsamt die Pauschbeträge in der Einkommenssteuer für Behin- des Landes Brandenburg geleitet. Deshalb weiß ich, dass derte am 1. Januar 2021 verdoppelt wurden. Dem ging sehr viele Beschäftigte Überzeugungstäter sind und eine ein intensiver Austausch zwischen dem Finanzminister hohe intrinsische Motivation haben, die sich vor allem und mir voraus. Das zeigt, dass man auch in der Pande- durch ehrliche Freude an einer Aufgabe auszeichnet. Ich mie inklusive Gesetze voranbringen kann. Inklusion ist wünsche mir sehr, dass die Integrationsämter personell also nicht nur ein Schönwetterkonzept, das man macht, besser ausgestattet werden und einen höheren Stellen- wenn man sonst keine Sorgen hat, sondern es zeigt, dass wert erhalten. Sie stehen für einen sehr wichtigen Be- man auch in der Krise Gesetze für Menschen mit Behin- reich der gesellschaftlichen Teilhabe, nämlich der Teilha- derungen verbessern kann. be von Menschen mit Behinderung am Arbeitsleben. 8 2 | 2021
Jürgen Dusel ist seit 2018 Beauftragter der Bundesregie- rung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Der 56-Jährige leitete von 2002 bis 2009 das Inklusions- amt in Brandenburg und war zu dieser Zeit auch Mitglied im Medienbeirat dieses Magazins. Er war zunächst Beauf- tragter für die Belange der Menschen mit Behinderungen der brandenburgischen Landesregierung, bis er 2018 auf die Bundesebene wechselte. Und wie steht es um die digitale Teilhabe? Viele Konzep- te wurden aus dem Boden gestampft, ohne die Barriere- freiheit zu berücksichtigen. Was muss da geschehen? Es muss eigentlich im ureigensten Interesse der Unter- nehmen liegen, alle Webseiten und Kommunikations- Henning Schacht tools barrierefrei zu gestalten, denn auch die Barrierefrei- heit zeigt, dass sich Firmen modern und zukunftsfähig aufstellen. Arbeitgeber sind jetzt in der Corona-Krise gut beraten, ihre Schwerbehindertenvertretung zu kon- sultieren. Das betrifft vor allem Fragen zur Barrierefrei- Es gilt ein einfacher Satz, ob es nun um die Teilhabe am heit der Computersysteme, die zur Kommunikation im Arbeitsleben, am gesellschaftlichen Leben, am kulturel- Homeoffice eingesetzt werden. Denn was nützt ein mo- len Leben oder am Sport geht: „Menschen mit Behinde- dernes Videokonferenz-Tool, das zum Beispiel nicht von rungen sind Bürgerinnen und Bürger unseres Landes und Sehbehinderten benutzt werden kann. Barrierefreiheit in sie haben genau die gleichen Rechte, wie alle anderen der IT darf nicht weiter als „nice to have“ behandelt wer- Menschen auch.“ Jetzt ist es Aufgabe des Staates, diese den, sondern ist ein Qualitätsmerkmal eines modernen Rechte nicht nur zu versprechen, sondern auch dafür zu Unternehmens, das für Innovation steht. Und das wird sorgen, dass sie umgesetzt werden. Wenn das nicht funk- zukünftig auch ein Merkmal einer Firma sein im Kampf tioniert, kann es sein, dass Menschen sich verlassen füh- um junge Talente – egal ob sie mit Beeinträchtigungen len von ihrem Sozialstaat. Und das kann im schlimmsten leben oder nicht. Fall dazu führen, dass sie den politischen Kräften hinter- Ein anderes Beispiel zur Barrierefreiheit: Es wird in herlaufen, die scheinbar einfache Antworten auf schwie- den kommenden Jahren viel Geld in die Infrastruktur rige Fragen geben. Aus diesem Grund muss uns klar wer- und den Netzausbau der Deutschen Bahn investiert. Ich den, dass Inklusion und Demokratie eng miteinander habe jetzt mit Finanzminister Olaf Scholz abgesprochen, verflochten sind. Inklusion hat deshalb auch nichts mit dass bei diesen Milliardeninvestitionen immer auch an Fürsorge, Humanität oder Caritas zu tun – nein, es geht die Barrierefreiheit gedacht wird. Und dabei geht es nicht bei der Inklusion um die Umsetzung von fundamentalen nur um die funktionierende Rampe – Barrierefreiheit hat Grundrechten, die jeder Mensch hat. für mich eine tiefe soziale Dimension. Sie ist vielmehr Vo- raussetzung, dass Menschen zusammenleben können, und damit ein qualitatives Zeichen einer modernen Ge- sellschaft. Gibt es aktuell ein Thema, das Sie im Zusammenhang INKLUSION IM BETRIEB mit Inklusion beschäftigt? F Ö R D E R N Auch wenn es sich sehr staatstragend anhört, mein Mot- to lautet: Demokratie braucht Inklusion. Das heißt für Menschen mit Schwerbehinderung und ihre mich, dass ich mir ohne Inklusion kein demokratisches Arbeitgeber können von Seiten ihres Integra- Land vorstellen kann. Wenn man diesen Punkt weiter- tionsamtes Beratung, Schulung, Betreuung und denkt, bedeutet unsere gemeinsame Arbeit für die Teil- finanzielle Leistungen erhalten. habe von Menschen mit Behinderungen auch Demokra- → integrationsaemter.de/leistungen tiearbeit. 2 | 2021 9
R E P O R TA G E EINIGES ZU STEMMEN Der Konzern Deutsche Post DHL Group hat die Heraus- forderungen der Corona-Pandemie bisher gut gemeistert. Doch hinter dem Erfolg steht harte Arbeit. ZB zeigt, wie eine erfolgreiche Zusammenarbeit von Arbeitgeber, SBV und Integrationsämtern auch in der Krise funktioniert. 10 2 | 2021
Wir haben jetzt ein Jahr Pandemieerfahrung. Und es gab einiges zu stemmen bei uns.“ Susanne Kaus, Inklusionsbeauftragte Deutsche Post DHL Group D er Onlinehandel boomt wie nie zuvor. Die Schutzmasken oder Desinfektionsmitteln gekommen, Zahlen stiegen in den letzten Jahren kontinuier sagt er. Zudem seien in Paketzentren besonders wirksa- lich – und die Corona-Pandemie hat die Ent- me Virenfilter in den Luftheizungen eingebaut worden. wicklung beschleunigt. Das größte interna- Mit speziellen Abstandsmessgeräten sind Kollegen auf tionale Logistikunternehmen transportierte 2020 nach die wichtigen Sicherheitsabstände hingewiesen wor- eigenen Angaben in Deutschland 1,83 Milliarden Pakete den. „Die Hygienekonzepte funktionieren hervorragend. und damit deutlich mehr als im Vor-Corona-Jahr 2019. Es wurden keine Kosten und Mühen gescheut, um die Da waren es 1,59 Milliarden. Kollegen vor Ort vor einer Infektion zu schützen – völlig Hinter den nackten Zahlen stehen großer Aufwand unabhängig davon, ob der Kollege oder die Kollegin eine und viel Engagement. „Wir haben jetzt ein Jahr Pan- Behinderung hat oder nicht“, fasst Finis zusammen. demieerfahrung. Und es gab einiges zu stemmen bei uns“, erzählt Susanne Kaus, Inklusionsbeauftragte des Bislang keine Schließungen. Der Erfolg gibt den Maß- Gesamtkonzerns. Die Juristin ist seit 1995 bei der Deut- nahmen recht. Weitgehend reibungslos lief der Tagesbe- schen Post AG und für Tarifpolitik und Mitbestimmung trieb bei der Deutschen Post in der Pandemiezeit. Weder im Konzern zuständig – seit zwei Jahren verantwortet in den 36 Paketzentren noch in den 82 Briefzentren, die Jens Schlueter Kaus in Deutschland zudem für alle Gesellschaften im im Bundesgebiet und den Bundesländern verteilt sind, Konzern den Themenbereich Inklusion. Im Jahr 2020 kam es bisher zu pandemiebedingten Schließungen. beschäftigte der Konzern Deutsche Post DHL Group Aufgrund der stark gestiegenen Paketmenge hat in Deutschland ca. 210.000 Beschäftigte, davon rund Deutsche Post DHL Group auch viele neue Beschäftigte 17.000 Menschen mit Behinderungen. Das entspricht eingestellt. Die Recruitingtools des Unternehmens wur- einer Beschäftigungsquote von 8 Prozent. den schon vor der Pandemiezeit vereinfacht und digita- lisiert. „Vieles, was das Bewerbungsverfahren und auch Zwei-Wellen-Verfahren. „Viele unserer Arbeitnehmerin- die Vorauswahl von Bewerberinnen und Bewerbern nen und Arbeitnehmer sind im operativen Bereich, zum betrifft, läuft heute digital“, sagt Kaus. So können sich Beispiel in der Zustellung, tätig. Das sind Tätigkeiten, die Menschen jetzt direkt über das Smartphone bewerben, nicht einfach ins Homeoffice verlagert werden konnten“, bei der ersten Kontaktaufnahme werden E-Mails oder sagt Kaus. Als wichtige Maßnahme zum Schutz der Be- das Telefon genutzt und teilweise auch digitale Assess- schäftigten hat die Post im vergangenen Jahr ihren Ta- ment-Verfahren eingesetzt. gesbetrieb aufgeteilt. Das sogenannte Zwei-Wellen-Ver- fahren in der Zustellung bedeutet, dass zum Beispiel nur Corona treibt Digitalisierung an. Überhaupt habe die die Hälfte aller Brief- und Paketboten zu ihrer üblichen Corona-Pandemie der Digitalisierung im Konzern, wie Frühmorgenzeit mit der Arbeit beginnt. Die anderen Zu- in anderen Unternehmen auch, einen Entwicklungs- steller machen sich zu einem späteren Zeitpunkt auf ihre schub gegeben, erzählt die Inklusionsbeauftragte. „Al- Zustelltouren. lein die Möglichkeiten, im Homeoffice arbeiten zu kön- Auch die zusätzlichen Hygienekonzepte hätten her- nen, mussten ja pandemiebedingt schnell ausgebaut vorragend funktioniert, sagt Jürgen Finis. Der 58-Jähri- werden.“ Auch Jürgen Finis gibt ein Beispiel aus seinem ge arbeitet seit über 40 Jahren bei der Deutschen Post praktischen Alltag in der Niederlassung Betrieb Kassel, und ist stellvertretende Vertrauensperson der Gesamt- wo 433 Menschen mit Behinderungen arbeiten. Für den schwerbehindertenvertretung (GSBV) der Deutschen Austausch und für Arbeitsanweisungen mit einer gehör- Post AG. Zusätzlich ist Finis Vertrauensperson der Nie- losen Mitarbeiterin im Paketzentrum sei noch vor der derlassung Betrieb Kassel und kennt das operative Ge- Corona-Pandemie regelmäßig ein Gebärdendolmetscher schäft. Nie sei es zu Engpässen bei der Versorgung mit engagiert worden. Das sei gelegentlich umständlich ge- 2 | 2021 11
R E P O R TA G E Adrian Brooks/Imagewise wesen. „Heute kommuniziert der Dolmetscher mit der schen Post AG, mit denen sie zusammen Inklusionsthe- Beschäftigten per Videokonferenz. Die Übersetzung wird men weiterentwickelt. „Der Austausch funktioniert sehr uns direkt auf dem Tablet angezeigt“, sagt Finis. gut“, sagt der stellvertretende GSBV-Vorsitzende Finis, Für die Zusammenarbeit mit dem Landeswohlfahrts- „das ist ja nicht überall der Fall.“ verband Hessen, Integrationsamt Kassel hat Finis nur lo- bende Worte. „Das läuft noch besser als spitzenmäßig“, Tägliche Skype-Sitzungen. So ist Finis in seiner Niederlas- sagt er. Dies vor allem in Pandemiezeiten, präzisiert er. sung beim Thema Arbeits- und Infektionsschutz immer „Wir hatten nie das Gefühl, in diesen besonderen Zeiten, eingebunden worden. Das gelte auch für die aktualisier- im Stich gelassen zu werden. Wirklich vorbildlich, was Er- te Gefährdungsbeurteilung während der Corona-Pan- reichbarkeit und Rückmeldung betrifft“, freut er sich. demie, sagt die stellvertretende GSBV-Vertrauensperson Finis. „Teilweise hatten wir sogar tägliche Sitzungen per Gute Zusammenarbeit. Auch Susanne Kaus und Ina Skype, in denen wir immer unsere Ideen und Vorschläge Spörrer, Vorsitzende der Konzern- und Gesamtschwer- einbringen konnten“, erläutert er. behindertenvertretung im Rheinland, arbeiten gut und Auch Susanne Kaus macht deutlich, dass die Gefähr- gerne mit dem LVR-Inklusionsamt in Köln zusammen. dungsbeurteilung für die Deutsche Post AG ein Schwer- Konkret habe man 2019 ein Pilotprojekt zum E-Learning punktthema während der Pandemie war und ist. „Wie aufgesetzt. „Das waren digitale Austauschtermine zu die gesamte Gesellschaft haben auch wir viel gelernt. unterschiedlichen Themen, u. a. zum betrieblichen Ein- Auf veränderte Pandemie-Bedingungen mussten auch gliederungsmanagement – interessant vor allem für die wir teilweise sehr schnell reagieren“, sagt sie. Die Zusam- Inklusionsbeauftragten aus dem Konzern“, sagt Kaus. Ar- menarbeit mit der Konzern- und Gesamt-SBV und den beitgeber sind durch das Sozialgesetzbuch (SGB) IX ver- Betriebs-SBVn im Konzern habe sehr gut funktioniert. pflichtet, längerfristig oder wiederholt arbeitsunfähigen Aber durch die besondere Situation der Corona-Pande- Beschäftigten Maßnahmen der betrieblichen Eingliede- mie sei die Inklusion nicht in den Hintergrund gerückt, rung anzubieten. Dieses Betriebliche Eingliederungsma- darauf weist Kaus hin. „Das Thema Inklusion ist bei uns nagement, kurz BEM, dient zur Prävention erneuter Aus- als wichtiger Pfeiler in der Konzernstrategie verankert. fälle von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Die Deshalb ist es dem Konzern Deutsche Post DHL Group Resonanz auf den digitalen Austausch sei durchgehend jetzt und auch zukünftig wichtig, ein integratives und positiv gewesen. So positiv, dass der LVR BEM-Schulun- inklusives Arbeitsumfeld zu bieten.“ gen und -Beratungen nun als eines der ersten Fachthe- men in unterschiedlichen Online-Formaten anbiete, so die Konzern-Inklusionsbeauftragte. Aktuell schaue man gemeinsam mit dem LVR, welche weiteren Themen sich besonders für ein digitales Vermittlungsformat eignen. Als Inklusionsbeauftragte hat Susanne Kaus verschie- KENNE DIE RISIKEN dene Aufgaben im Logistikkonzern. Dazu gehört die Ein- haltung der gesetzlichen Vorschriften bei Themen rund Nützliche Infos zum Thema Gefährdungsbeurtei- um Schwerbehinderung. Auch ist sie für das jährliche An- lung stellt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz zeigeverfahren zur Feststellung von Ausgleichsabgaben und Arbeitsmedizin online bereit: verantwortlich. Gleichzeitig ist Kaus zentrale Ansprech- → baua.de > gefaehrdungsbeurteilung partnerin für die Konzern-SBV und Gesamt-SBV der Deut- 12 2 | 2021
R ATG E B E R ZUSAMMEN FÜR SICHERHEIT UND GESUNDHEIT Arbeitssicherheit ist während der Corona-Pandemie in vielen Betrieben in den Fokus gerückt. Daher sollte die Schwerbehindertenvertretung (SBV) auch im betrieblichen Arbeitsschutzausschuss (ASA) mitwirken. A rbeiten von zu Hause, mit Maske und ohne ■ dem Betriebsarzt oder der Betriebsärztin und der Körperkontakt: Damit Beschäftigte gesund Fachkraft für Arbeitssicherheit, und sicher arbeiten, gibt es den Arbeitsschutz. ■ den Sicherheitsbeauftragten, Die Pandemie sorgte hier für die neue SARS- ■ weiteren Fachleuten, CoV-2-Arbeitsschutzregel. Durch besonderen Fokus der Medien erhöht sich der Umsetzungsdruck und somit Auf Antrag muss der ASA außerdem Angelegenheiten eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. der schwerbehinderten Menschen auf die Tagesordnung setzen (§ 178 Abs. 4 SGB IX). Wurde die SBV nicht betei- Arbeitsschutz ist vielfältig. Arbeits- und Gesundheits- ligt, muss das Gremium Beschlüsse auf Antrag der SBV schutz betrifft alle Arbeitsbereiche und berücksichtigt für eine Woche aussetzen (§ 178 Abs. 4 Satz 2 SGB IX). seit 2015 auch psychische Belastungen. Leider haben bisher nur etwa 7 Prozent der Unternehmen diese Anfor- Ansprüche der SBV. Als Vertrauensperson oder herange- derung erfüllt und die Gefährdungsbeurteilung um den zogenes stellvertretendes SBV-Mitglied haben Sie: psychischen Aspekt erweitert. Die Zahlen steigen aller- ■ Anspruch auf Schulung in Fragen rund um den dings und das liegt auch an der Pandemiesituation. Arbeits- und Gesundheitsschutz, ■ Anspruch auf Teilnahme an Sitzungen des ASA, ■ das Recht, Anliegen der schwerbehinderten Menschen auf die Tagesordnung zu setzen. Bei Menschen mit Schwerbehinderung Die Schwerbehindertenvertretung wirkt gleichberech- hat das Spektrum der ausgleichenden tigt im ASA als beratendes Gremium mit, da viele dort besprochene Themen alle Beschäftigten und damit auch und kompensierenden, aber auch der diejenigen mit Schwerbehinderung oder ihnen Gleich- präventiven Maßnahmen eine b esondere gestellte betreffen. Bei Betriebsbegehungen im Rahmen des Arbeitsschutzes sollten SBVs ebenfalls mitwirken – Bedeutung beim Arbeitsschutz.“ oft ergeben sich konkrete Fragen für Beschäftigte mit Be- Frank Schrapper, Leiter Technischer Beratungsdienst hinderungen erst vor Ort. beim LWL-Inklusionsamt Arbeit in Münster, Vorsitzender BIH-Arbeitsausschuss Technische Beratungsdienste Die Bestimmungen. Damit Arbeitsschutz im Betrieb funktioniert, muss ein sogenannter Arbeitsschutzaus- schuss eingesetzt werden. Arbeitgeber in Betrieben mit A R B E I T S S C H U T Z VO M U N T E R- mehr als 20 Beschäftigten müssen einen solchen ASA NEHMEN BIS INS HOMEOFFICE bilden (§ 11 ASiG). Er ist ein beratendes Gremium (§§ 3 Getty Images/Luis Alvarez und 6 ASiG) und beschäftigt sich mit Maßnahmen und Es gibt viele Schulungen zum Thema – auch bei Anliegen im Arbeitsschutz, die den konkreten Betrieb be- den Angeboten der Inklusions- und Integrations- treffen. Der ASA besteht üblicherweise aus: ämter ist der Arbeitsschutz Thema. ■ dem Arbeitgeber oder einem dazu Beauftragten, → integrationsaemter.de > Akademie ■ 2 Mitgliedern des Betriebsrats, 2 | 2021 13
RECHT AKTUELLE URTEILE Befugnisse der Gesamt-SBV und alle vakanten Stellen Ist in einem Betrieb keine Schwerbehindertenver- unter Verzicht auf Stellenaus- tretung gewählt, ist die Gesamtschwerbehinder- schreibungen auf der Grunlage tenvertretung nicht befugt, zu einer Versammlung einer zu erstellenden Beurteilung zu besetzen. Die zum Zweck der Wahl des Wahlvorstandes einzula- Antragstellerin beantragt die Zurverfügungstel- den. ArbG Stuttgart, Beschluss vom 26. Januar 2021 lung aller Beurteilungsergebnisse der einzustel- – 7 BVGa 1/21 lenden sowie der im Verfahren nicht berücksich- tigten schwerbehinderten und gleichgestellten Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Arbeitnehmer und der Beurteilungsmaßstäbe. Gesamtschwerbehindertenvertretung, zur Wahl Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht des Wahlvorstands einzuladen. Belegschaftsmit- gaben dem Antrag statt. Das BAG führt aus, dass glieder des Betriebs in B luden Ende 2020 schrift- die Antragstellerin keinen Anspruch auf Vorlage lich zur Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstan- der dienstlichen Beurteilungen habe. Sie könne des im förmlichen Verfahren für die Wahlen zur jedoch die Mitteilung der Beurteilungsrichtlinien Schwerbehindertenvertretung im Betrieb in B ein verlangen. Die in § 178 Abs. 2 S. 1 HS 1 SGB IX und hängten die Einladung aus. Im Betrieb in B gibt geregelte Anhörungspflicht der Schwerbe- es keine Schwerbehindertenvertretung. Es exis- hindertenvertretung erstrecke sich nur auf tiert eine Gesamtschwerbehindertenvertretung. Entscheidungen des Arbeitgebers, die sich Diese teilte den Beteiligten mit, dass die geplante spezifisch auf schwerbehinderte Menschen Versammlung nicht stattfinden würde. Sie werde auswirken. Bei den begehrten dienstlichen Anfang des Jahres einen Wahlvorstand benennen, Beurteilungen handele es sich nicht um damit dieser ohne Verzögerung die Wahl einleiten entscheidungserhebliche Teile der Bewer- könne. Das Arbeitsgericht Stuttgart gab den Anträ- bungsunterlagen, da die Arbeitgeberin gen der Belegschaftsmitglieder statt. Die Gesamt- diese selbst nicht kenne und ihrer Ent- schwerbehindertenvertretung sei nicht berechtigt, scheidung lediglich die Ergebnisse einen Wahlvorstand zu bestellen. Die Antragsteller der jeweiligen Beurteilung zugrunde hätten wirksam von dem Einladungsrecht nach § 1 gelegt habe. Demgegenüber folge Abs. 2 SchwbVWO Gebrauch gemacht. § der Anspruch auf Vorlage der Beurtei- lungsgrundsätze aus § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX. Nur auf der Grundlage die- Unterrichtungsanspruch ser Beurteilungsrichtlinien könne die Der Unterrichtungsanspruch nach § 178 Abs. 2 Schwerbehindertenvertretung nachvoll- S. 1 HS 1 SGB IX erstreckt sich auf alle Angelegen- ziehen, ob die Behinderung der betroffenen heiten, die sich spezifisch auf schwerbehinderte Arbeitnehmer berücksichtigt worden sei. § Menschen auswirken. Die Anhörungspflicht hin- gegen bezieht sich nur auf die diesbezüglichen Entscheidungen des Arbeitgebers. BAG, Beschluss Keine Beschäftigungsgarantie vom 16. September 2020 – AZ: 7 ABR 2/20 § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX gibt dem schwerbehinderten Menschen keine Be- Die Antragstellerin ist die SBV der Agentur für Ar- schäftigungsgarantie. Der Arbeitgeber beit in B. Diese ist Trägerin verschiedener Jobcenter, ist nicht verpflichtet, für den schwerbe- in denen jeweils eine SBV gebildet ist. Die Arbeit- hinderten Menschen einen bislang nicht geberin beabsichtigte, befristete Arbeitsverträge vorhandenen, zusätzlichen Arbeitsplatz einzu- von in den Jobcentern Beschäftigten zu entfristen richten. Er ist nicht verpflichtet, den bestehenden 14 2 | 2021
NETZ GEFLÜSTER Vertrag dahin zu verändern, eine be- hinderungsgerechte Beschäftigung zu ge- währleisten. BAG, Urteil vom 14. Oktober 2020 – 5 AZR 649/19 Die Parteien streiten über Vergütung we- gen Annahmeverzuges. Sag ich’s? Der mit einem GdB von 100 schwerbehinderte Kläger war bei der Arbeitgebe- Chronische Krankheit, neuer Job rin als Industriearbeiter eingestellt und als Bohr- und die Frage, ob man offen mit werkshelfer tätig. Er wurde nach einer längeren seiner Beeinträchtigung umgeht. Arbeitsunfähigkeit und nach Umschulung zum Hilfe dazu gibt es durch das Projekt Bürokaufmann einvernehmlich befristet als „Sag ich’s“ der Universität zu Köln. Sachbearbeiter bei der Werksfeuerwehr als Ver- Ein umfangreicher Selbsttest gibt tretung für eine in Elternzeit befindliche Arbeit- direktes Feedback zur persönlichen nehmerin eingesetzt. Laut arbeitsmedizinischer Situation und informiert zu Rechten Stellungnahme ist er dauerhaft zu einer Tätigkeit und Pflichten sowohl für Arbeitge- als Bohrwerkshelfer nicht mehr in der Lage. Der ber als auch Arbeitnehmer. Kläger verlangt nach Ablauf der befristeten Be- schäftigung Annahmeverzugsvergütung und → sag-ichs.de vertritt die Auffassung, ihm sei eine Bürotä- tigkeit bei der Werksfeuerwehr als leidens- gerechter Arbeitsplatz dauerhaft zuzuwei- sen. Das BAG führt aus, der Arbeitgeber sei nicht in Annahmeverzug geraten. Die Icon: flaticon.com Tätigkeit als Sachbearbeiter konnte ihn nicht in Annahmeverzug versetzen, weil es sich hierbei nicht um die zu bewirkende Arbeitsleistung als Industriearbeiter hande- Foto: Getty Images/©Jetta Productions/Blend Images LLC le. Aus § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX könne er Digitales Schulungsprojekt keine Beschäftigung herleiten. Der Arbeitgeber sei weder verpflichtet, einen zusätzlichen Ar- Gerade in Zeiten des Homeoffice beitsplatz einzurichten, noch, den Vertrag dahin und der fehlenden Schulungsmög- zu verändern, eine behinderungsgerechte Be- lichkeit in Präsenz bietet sich das schäftigung zu gewährleisten. § Internet zur Weiterbildung an. Das Projekt eVideo ist ein kostenloses Angebot zur Grundbildung in der Arbeitswelt mit dem Schwerpunkt Lesen – Schreiben – Rechnen. → lernen-mit-evideo.de 2 | 2021 15
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