Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen
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Stefanie Molthagen-Schnöring, Jan Wöpking Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen NETZWERK WISSENSCHAFT IMPULSPAPIER FÜR DIE FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG In der Pandemie ist Wissenschaft politischer und Dies bedeutet eine enorme Chance. Um den gestie- Politik wissenschaftlicher geworden. Zugleich sind genen Erwartungen an wissenschaftliche Politikbe- die Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse von ratung zu entsprechen, sind Wissenschaft und Po- Wissenschaft und Politik komplexer und mitunter litik aufgerufen, die Praktiken und Standards ihrer komplizierter geworden. Wissenschaftliche Politik- Zusammenarbeit weiter zu entwickeln. Das vorlie- beratung ist stärker als bisher in die Aufmerksam- gende Papier soll dazu beitragen und entwickelt keit von Medien und Gesellschaft geraten. zehn Empfehlungen für gute wissenschaftliche Po- litikberatung. zugleich über Podcasts, Talkshows und Zeitungsar- AUSGANGSLAGE tikel die Gesellschaft informiert und aufgeklärt. Of- fenbar mit Erfolg – denn der Wissenschaft wurde in In der Corona-Pandemie hat die Wissenschaft so un- der Pandemie seitens der Bevölkerung großes Ver- mittelbar und sichtbar Einfluss auf die Politik und trauen entgegengebracht (vgl. Wissenschaft im Dia- den Alltag der Menschen genommen wie selten zuvor. log 2020). Eine auf Fokusgruppen basierende Studie Entsprechend bekommt die Frage, wie wissenschaft- der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt zudem, dass in der liche Politikberatung nach der Pandemie aussehen Gesellschaft ein klares Bild über die Aufgabenvertei- soll, zunehmend Aufmerksamkeit: „Wir müssen die lung zwischen Wissenschaft und Politik vorherrscht: Politikberatung neu aufstellen!“, fordern etwa Caro- Die Wissenschaft stellt Informationen, Analysen und line Schmutte und Heyo Kroemer (2021). Denn für Empfehlungen zur Verfügung, während die letztliche die wissenschaftsgeleitete Bekämpfung von Covid-19 Verantwortung und Entscheidungskompetenz bei der war neben der Erforschung des Virus und der präze- Politik liegt (vgl. FES/pollytix 2021: 24). Kurz: Wissen- denzlos schnellen Entwicklung eines hochwirksamen schaft berät, Politik entscheidet. Impfstoffs vor allem die Beratung der Politik entschei- dend: „Viele wissenschaftliche Akteure haben zur In- Ist also alles in Ordnung zwischen Wissenschaft, Politik formation und Beratung politischer Entscheidungs- und Gesellschaft? Ganz so einfach ist es nicht. Denn der träger einschließlich der Arbeitsebene beigetragen“ anfängliche Eindruck passgenauer Zusammenarbeit zwi- (Wissenschaftsrat 2021: 18). Wissenschaftler_innen haben Regierungen und Parlamente zu Abstandsre- geln, Inzidenzwerten und Impfstrategien beraten und
Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen Seite 02 /7 NETZWERK WISSENSCHAFT schen Wissenschaft und Politik bekam mit steigenden In- zidenzzahlen Risse: Die Politik klagte über die Vielstim- ZEHN EMPFEHLUNGEN migkeit teilweise widersprüchlicher Einschätzungen und Empfehlungen der Wissenschaft. Diese wiederum zeigte 1. Transparenz sich irritiert, dass ihre Papiere nicht genug gelesen und ihre Ratschläge nicht genug beachtet würden. In Teilen Wie die aktuelle FES-Studie zeigt, wissen die Bürger_ der Bevölkerung nahm die „Skepsis gegenüber wissen- innen wenig bis nichts über den Prozess wissenschaft- schaftlicher Expertise“ zu (Wissenschaftsrat 2021: 23). licher Politikberatung. Damit gehen Zweifel an der Und medial besonders engagierte Wissenschaftler_innen Objektivität sowie Annahmen einer möglichen Beein- wurden zum Feindbild von Populist_innen und Quer- flussung durch (wirtschaftliche) Lobbyinteressen ein- denker_innen und bekamen sogar Morddrohungen. her, die sich negativ auf das Vertrauen in Politik und Wissenschaft auswirken können (FES/pollytix 2021: Die bereits zitierte FES-Studie listet weitere Unsicher- 25).1 Umso wichtiger ist es, größtmögliche Transparenz heiten auf Seiten der Gesellschaft auf: Auswahl- und im Beratungsprozess herzustellen. Die Transparenz hat Entscheidungskriterien von wissenschaftlichen Bera- wenigstens drei Aspekte: tungsgremien können häufig nicht beurteilt werden bzw. erscheinen intransparent. Darüber hinaus beste- (1) Wissenschaftler_innen sollten sich ihrer Rolle als hen Zweifel hinsichtlich der Neutralität von wissen- Berater_innen – und eben nicht Entscheider_innen schaftlicher Politikberatung bis hin zum Vorwurf der - bewusst sein und dies auch gegenüber der Öffent- unlauteren, einseitigen Beeinflussung (vgl. FES/polly- lichkeit immer klar kommunizieren. Politiker_innen tix 2021: 25). Diese Diagnose gibt Anlass zur Sorge, sollten wiederum grundsätzlich erklären können, wa- zumal vor dem Hintergrund von Verschwörungserzäh- rum sie sich von wem wozu beraten lassen. Dies ver- lungen und verbreiteter Impfskepsis. Laut der jüngsten kennt nicht, dass es einen Bedarf an vertraulicher Be- „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmte je- ratung geben kann. Doch gerade bei Beratungen, die der Fünfte der Aussage zu, „Politiker_innen und ande- so erhebliche Auswirkungen auf den Alltag aller Men- re Führungspersönlichkeiten seien Marionetten dahin- schen haben, ist zumindest eine Angabe darüber, wer terstehender Mächte“ (Lamberty/Rees 2021: 289). wen und warum beraten hat, wichtig, um Vertrauen zu sichern. Deshalb scheint es auch grundsätzlich sinn- Vor diesem Hintergrund scheint es angebracht, einge- voll, über wenigstens gelegentliche öffentliche Bera- hender über die Praxis wissenschaftlicher Politikbera- tungen nachzudenken, wo das nicht bereits geschehen tung zu diskutieren. Zwar kann die Beratung der Poli- ist. tik durch die Wissenschaft in der Pandemie, getragen durch außerordentliches Engagement unzähliger Wis- (2) Zur Wissenschaft gehört dazu, in Zweifel zu ziehen, senschafter_innen, insgesamt als erfolgreich beurteilt abzuwägen, Hypothesen zu formulieren und wieder zu werden. Zugleich ist aber deutlich geworden, dass das verwerfen, einen neuen Ansatz zu wählen.2 Ein Merk- Zusammenspiel beider Systeme von einer verstärkten mal der Corona-Pandemie war, dass die Gesellschaft Reflexion über Standards weiter profitieren kann. Für genau das live und weitgehend ungefiltert miterlebt diese Standards möchten wir im Folgenden zehn Vor- hat. Die Leopoldina (2021) betont deshalb zu Recht: schläge zur Diskussion stellen. „Es ist wichtig, dass die Wissenschaft […] Unsicher- heiten und Grenzen des Wissenstandes erklärt, um fal- schen Erwartungshaltungen entgegen zu wirken.“ (3) Wissenschaftler_innen sollten klar sichtbar zwi- schen Information, Analyse (inkl. Szenarienerstellung) und möglicher Empfehlung trennen (vgl. Niebuhr 2021). 1 Siehe auch das Papier von Ricarda Ziegler und Markus Weißkopf mit Empfehlungen zur Wissenschaftskommunikation, das ebenfalls auf Grundlage der Ergebnisse der Fokusgruppendiskussionen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden ist: Ziegler/Weißkopf 2021 2 Vgl. Matthias Kleiner in Weidenfeld 2020.
Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen Seite 03/7 NETZWERK WISSENSCHAFT 2. Pluralität auch, dass bei aller akuten Kurzfristigkeit gerade große politische Vorhaben einen sehr langen Zeitrah- Die Pandemie hat die Gesellschaft als Ganzes betrof- men haben – und in diesem Fall sollte der Zeitbedarf fen und Auswirkungen auf alle ihre sozialen Systeme wissenschaftlich fundierter Forschung respektiert und gehabt, von Gesundheit über Wirtschaft bis Bildung. entsprechend eingeplant werden. Die kommenden Herausforderungen wie Klimawan- del oder die Veränderung der Arbeitswelt durch dis- ruptive Technologien brauchen nicht nur ähnlich 4. Gesicherte Qualität viel Beratung, sondern sind auch mindestens genau so komplex und vieldimensional wie die Pandemie. Es ist von überragender Bedeutung, dass wissen- Wissenschaftliche Politikberatung muss dieser Kom- schaftliche Expertise, auf die sich Politik in ihren Ent- plexität angemessen sein. Dafür muss sie das Wissen scheidungen stützt, von gesicherter (hoher) Qualität und die Perspektiven einerseits vieler Fachdisziplinen ist. Das hat wenigstens drei Dimensionen: und andererseits vieler gesellschaftlicher Gruppen zusammenführen (vgl. Wissenschaftsrat 2021: 18- (1) Wissenschaftliche Beratung sollte robust sein, 19), gerade weil sich dadurch ein vielschichtiges Bild was nicht mit „absolut sicher“ zu verwechseln ist. Ein ergibt. Während die Öffentlichkeit wissenschaftliche Best-Practice-Beispiel sind die IPCC-Klimaberichte, Beratung zumeist mit Naturwissenschaften assoziiert die jeweils den Level of Confidence bei ihren Einschät- (vgl. FES/pollytix 2021: 8), sind gerade auch Geistes- zungen angeben. 3 Eine Variante davon ist die Angabe und Sozialwissenschaften wichtig, etwa wenn es um darüber, ob die vertretene Einschätzung weitgehen- historische Kontextualisierung oder die Eigenlogik der Konsens in der jeweiligen Disziplin ist oder ob sie sozialer Systeme geht. In der Pandemie brauchte es Gegenstand kontroverser Beratung ist, wie es etwa bei nicht nur Virolog_innen, sondern auch Bildungsfor- vielen Fragen zu Beginn der Covid-19-Pandemie der scher_innen, Ökonom_innen und Ethiker_innen. Die Fall war. entsprechenden Expert_innengremien sollten selbst divers besetzt sein, um auch hier blinde Flecken und (2) Beratung sollte innerhalb der wissenschaftlichen einseitige Perspektiven zu vermeiden und daher bes- Expertise erfolgen und die Grenzen dieser Expertise sere Beratung sicherzustellen. Hinzu kommt, dass sollten im Zweifelsfall mitkommuniziert werden („Ich eine diverse Gremienbesetzung die öffentliche Auf- bin Virologe, aber kein Kinderarzt“). Dies ist einer- nahmebereitschaft gegenüber den Empfehlungen er- seits eine Selbstverantwortung der Wissenschaft. An- höht. dererseits ist es eine Aufforderung an die Politik, auf tatsächlich ausgewiesene Expert_innen zurückzugrei- fen. Diese zu finden, oft in kurzer Zeit, ist keine tri- 3. Passendes Timing viale Aufgabe. Es sollte deshalb noch weiter darüber nachgedacht werden, der Politik transparente Such- Der Faktor Zeit ist in der wissenschaftsbasierten Po- methoden für Expert_innen zur Verfügung zu stel- litikberatung von zentraler Bedeutung, denn Politik len - idealerweise natürlich durch die Wissenschaft und Wissenschaft folgen sehr unterschiedlichen zeit- selbst. Eine wichtige Rolle nehmen hier bereits die lichen Logiken. Während Politik schnelle Beratung Akademien ein, wie in der Pandemie besonders am mit exakten Szenarien fordert, arbeitet Wissenschaft Fall der Leopoldina deutlich wurde. mit „Wahrscheinlichkeiten und Ungewissheiten, ent- wickelt, verwirft und überarbeitet Hypothesen meist (3) Sensibel sind Grauzonen, in denen sich wissen- über lange Zeiträume“ (Burk/Hetze 2021). Doch Po- schaftliche Politikberatung und wissenschaftliches litiker_innen haben wenig Zeit und zwar tendenziell Lobbying berühren. Beide sind legitim, sollten aber umso weniger, je herausgehobener ihre Position ist. nicht unbewusst vermischt werden. Dies betrifft etwa Für die beratende Wissenschaft heißt das, sich da- Fälle, in denen das Potenzial neuer Forschungsfelder rauf einzulassen, also kompakt und dem jeweiligen skizziert wird („Wir brauchen hierzu mehr Forschung“, Adressaten entsprechend zu kommunizieren, Ergeb- „das wird unsere Gesellschaft bahnbrechend verän- niszusammenfassungen oder andere Kurzformen dern“). Hier gilt es die oben angesprochene Klarheit von Studien zu erstellen. Das liegt nicht allen Wis- über Motive und Rollen zu schaffen. senschaftler_innen gleichermaßen. Zugleich gilt aber 3 Eine Übersicht der Reporte findet sich unter https://www.ipcc.ch/about/preparingreports/
Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen Seite 04/7 NETZWERK WISSENSCHAFT 5. Nach der Beratung: Kommunikation Wir empfehlen dafür vorsorglich Krisenschutzmecha- und Fairness nismen einzurichten, etwa entlang der Vorschläge der #FactoryWisskomm (vgl. BMBF 2021). Der Prozess wissenschaftlicher Politikberatung endet nicht mit der Abgabe des Dokuments, das Empfeh- lungen enthält. Denn gerade in der anschließenden 7. Kein Rosinenpicken Phase entscheidet sich, welche Wirkung die Empfeh- lungen entfalten können. Das gilt besonders, wenn Wissenschaftliche Politikberatung lebt von Unabhän- mediales und öffentliches Interesse an den Empfeh- gigkeit und Glaubwürdigkeit ihrer Empfehlungen: lungen besteht. Dann kommt es nicht nur auf die „Sie wird vom Stand der Forschung und nicht von Empfehlungen an, sondern auch auf ihre Kommuni- wirtschaftlichen Gewinn- oder politischen Machtin- kation. Grundsätzlich scheint es sinnvoll, die Empfeh- teressen geleitet.“ (Leopoldina 2021) Daraus bezieht lungen öffentlich zu erläutern, auf Fragen und auch sie ihre Glaubwürdigkeit und kann fundierte Grund- kritische Einwände einzugehen. Am besten geschieht lagen für politische Entscheidungen schaffen. Der Be- das durch die Expert_innen selbst: „Wirklich erfolg- ratungsprozess sollte diese Unabhängigkeit nicht nur reich kann wissenschaftliche Politikberatung nur sein, schützen, sondern idealerweise gezielt fördern. Wer- wenn sie die Entscheidungen auch plausibel erklärt. den hingegen von politischer Seite immer wieder und Dabei ist es wichtig, zwischen tatsächlichen wissen- bevorzugt Wissenschaftler_innen herangezogen, von schaftlich unstrittigen Erkenntnissen und […] Abwä- denen man erwartet, dass sie die eigene politische Po- gungselementen zu unterscheiden.“ (Dullien 2021) sition stützen und bekräftigen, ist das problematisch. Denn auf Dauer kann es das Vertrauen der Gesell- Ebenso entscheidend ist, wie die Politik mit den schaft in Politikberatung unterminieren, wenn diese Empfehlungen umgeht, besonders wenn sie in eine als Bestätigungs- oder Legitimierungsfunktion dessen andere Richtung gehen, als sich die Politik das er- wahrgenommen würde, was politisch ohnehin schon hofft. Gemäß des Grundsatzes Wissenschaft berät, vorher gewusst oder gefordert wurde. Umgekehrt ist Politik entscheidet ist das zwar völlig normal und an es besonders begrüßenswert, wenn Politik auch dann sich unproblematisch, wichtig ist aber, dass dies von die Wissenschaft zu Rate zieht, wenn sie davon aus- Seiten der Politik transparent und fair kommuniziert gehen muss, dass sie die eigene Position (der Politik) wird. Schädlich wäre, wenn ein Dissens in der Sache in Frage stellt, wo kein Einvernehmen zu vermuten in Form personalisierter Kritik ausgedrückt würde. ist. Auch eine pauschale Disqualifizierung der Empfeh- lungen ist problematisch, wenn beispielsweise eine Kommission unwillkommene Empfehlungen zum Re- 8. Daten: mehr, besser, schneller! formbedarf sozialer Sicherungssysteme ausspricht. Schließlich: Wenn Politik Entscheidungen trifft, die Wissenschaft, Politik und auch wissenschaftliche Po- erkennbar von den wissenschaftlichen Empfehlungen litikberatung werden künftig viel stärker auf Grund- abweichen, dann sollte sie dies in transparenter Wei- lage empirischer Daten stattfinden. In diesem Bereich se tun, ohne die wissenschaftlichen Empfehlungen in hat Deutschland substanziellen Nachholbedarf, denn ihrem Wert herabzusetzen. „Politik und Wissenschaft sind datentechnisch mehr oder weniger blind durch die Pandemie gestolpert“ (Schularick 2021: 75). Auch eine jüngste Studie im 6. Wissenschaftler_innen schützen Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und For- schung kommt zu dem Ergebnis, dass „es in vielen Gerade in der Pandemie sind Wissenschaftler_innen, Bereichen deutliche Datendefizite gibt und wichtige die Politik in kontroversen Fragen beraten haben oder Datenbestände für eine krisenbezogene Politikbera- sich in Podcasts oder Talkshows öffentlich zu diesen tung fehlen“ (Kuhlmann et al. 2021: 3). Nur ein Bei- Empfehlungen geäußert haben, teilweise massiv an- spiel: Zu dem Zeitpunkt, in dem dieses Papier verfasst gegriffen worden. Ähnliches kannte man bereits von wird, ist noch immer nicht verlässlich klar, wie viele Klimawissenschaftler_innen. Das Spektrum der An- Menschen in Deutschland eigentlich gegen Covid-19 griffe reicht im Falle der Pandemie von Beleidigungen geimpft sind. Die Konsequenz ist klar: Es braucht über Diffamierungen bis hin zu Morddrohungen. Hier mehr Daten, die systematischer erhoben werden. Ge- stehen Wissenschaftseinrichtungen und Politik glei- rade in Krisenzeiten muss die Datensammlung und chermaßen in der Verantwortung, Wissenschaftler_in- Bereitstellung deutlich agiler geschehen. Es muss nen zu schützen und gegen Angriffe zu verteidigen. möglich sein, ad hoc essenzielle Daten zu identifizie-
Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen Seite 05/7 NETZWERK WISSENSCHAFT ren und zu erheben. Die gesammelten Daten müssen 10. Das Fundament: dann für Forschungszwecke flexibel, nutzbar und un- Herausragende Wissenschaft bürokratisch zur Verfügung gestellt werden. Eine de- taillierte Analyse des Handlungsbedarfs geben Kuhl- Kein Papier zu Bedingungen guter wissenschaftlicher mann et al. 2021. Politikberatung sollte schließen, ohne auf die wich- tigste dieser Bedingungen einzugehen: herausra- gende Wissenschaftler_innen. Deshalb lässt sich mit 9. Politikberatung zwischen Normalzustand Christian Bermes (2021) festhalten: „Wenn es darum und Krisenmodus geht, wissenschaftliche Politikberatung zu stärken und zu sichern, so bedeutet dies gerade in Zeiten Die deutsche Politik verfügt über viele wissenschaft- manifester Krisen, die Orte zu stärken, an denen For- liche Beratungsgremien, die überwiegend auf den schung stattfindet“. Normalzustand ausgelegt sind. Die Corona-Pandemie war deshalb auch ein Stresstest für das Beratungs- system, den es insgesamt nicht nur gut bestanden Fazit hat, sondern der zugleich eine steile Lernkurve dar- stellte. Die Reaktionszeit wissenschaftlicher Gremien In der Pandemie ist Wissenschaft politischer und Po- auf politischen Beratungsbedarf hat sich wesentlich litik wissenschaftlicher geworden. Zugleich sind ihre verkürzt: Was früher Monate bis Wochen brauch- Aushandlungs- und Abstimmungsprozesse komple- te, verkürzte sich in der Pandemie auf wenige Tage. xer und mitunter komplizierter geworden. Wissen- Dennoch sind die Erfahrungen der Pandemie Anlass, schaftliche Politikberatung ist stärker als bisher in die über die Anforderungen an Politikberatung unter Aufmerksamkeit von Medien und Gesellschaft gera- den extremen Bedingungen einer Krise nachzuden- ten. Das bedeutet eine enorme Chance. Denn wissen- ken, die sich merklich von Politikberatung im Nor- schaftliche Politikberatung wird für die Bewältigung malzustand unterscheidet: „Die Krise hat allerdings der kommenden Herausforderungen, insbesondere eine weitere zentrale Herausforderung deutlich zu- der Bewältigung der Klimakrise, essenziell sein. Die tage treten lassen, nämlich auch unter hohem Aufforderung „Listen to the Science“ der Fridays-for- Zeit- und Handlungsdruck fundierte, gut begründete Future-Bewegung bringt das auf den Punkt. Doch die- und ausgewogene Beratung situations- und adressa- ses listen to / follow the science ist, auch das hat uns die tengerecht bereitzustellen.“ (Wissenschaftsrat 2021: Pandemie gelehrt, kein Selbstläufer. Die Gesellschaft 18) Zwei Punkte sind hier wichtig: Erstens braucht hat zurecht hohes Vertrauen in die Wissenschaft und es verstärkte Reflexion und Sensibilisierung darüber, setzt große Hoffnungen in wissenschaftliche Politik- wie Wissenschaft qualitätsgesichert beraten kann, beratung. Darin mag sich auch die Erwartung äußern, wenn sie unter dem extremen Zeit- und Handlungs- dass das diskursgeleitete, wahrheitssuchende Vorge- druck einer Krise nicht auf den etablierten Qualitäts- hen der Wissenschaft politische Entscheidungen bes- sicherungsmechanismus Peer Review zurückgreifen ser machen kann. Um diese Erwartung zu realisieren, kann, schlicht weil das viel zu lange dauern würde sind Wissenschaft und Politik aufgerufen, die Prak- (vgl. Leopoldina 2021). Zweitens wäre zu diskutieren, tiken und Standards ihrer Zusammenarbeit weiter zu ob Deutschland ein eigenständiges Gremium braucht, entwickeln. Wir sollten auch in dieser Hinsicht aus das den expliziten Auftrag der politischen Beratung in der Pandemie lernen. Denn: Je besser die wissen- Krisen und Notfallsituationen hat. Als erfolgreiches schaftliche Politikberatung, desto besser die politi- Modell wurde wiederholt auf die britische Scienti- schen Entscheidungen, die auf ihr basieren. fic Advisory Group on Emergencies (SAG E) verwiesen (Schularick 2021; Schmutte/Kroemer 2021).
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Gute wissenschaftliche Politikberatung nach der Pandemie: Zehn Empfehlungen Seite 07/7 NETZWERK WISSENSCHAFT DIE AUTOR_INNEN DIESER NETZWERK WISSENSCHAFT PUBLIKATION Das Netzwerk Wissenschaft behandelt aktuelle wis- senschafts- und hochschulpolitische Fragestellungen Prof. Dr. Stefanie Molthagen-Schnöring ist Professorin in Form von Konferenzen und Publikationen. Ziel für Wirtschaftskommunikation und Vizepräsidentin der Aktivitäten ist es, zur Herstellung von Bildungs- für Forschung und Transfer an der Hochschule für gerechtigkeit im Hochschulwesen, zur zukünftigen Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Gestaltung des deutschen Hochschulsystems und zum Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in fort- Dr. Jan Wöpking ist Geschäftsführer der German U15, schrittliche Politik beizutragen. der strategischen Interessenvertretung forschungs- Digitale Versionen aller Publikationen: starker und international sichtbarer medizinführen- http://www.fes.de/themen/bildungspolitik der Universitäten. IMPRESSUM KONTAKT UND FEEDBACK Copyright by Friedrich-Ebert-Stiftung 2021 Dr. Martin Pfafferott Hiroshimastraße 17, 10785 Berlin Leitung Bildung und Wissenschaft Abt. Analyse, Planung und Beratung Abteilung Analyse, Planung und Beratung Redaktion: Dr. Martin Pfafferott, Marion Stichler Martin.Pfafferott@fes.de Grafik Seite 1: Johannes Beck © Gestaltung & Satz: minus Design, Berlin Publikationen können Sie per E-Mail nachbestellen bei: Hochschulpolitik@fes.de Publikationen der Friedrich-Ebert-Stiftung dürfen nicht für Wahlkampfzwecke verwendet werden. Besuchen Sie unseren Bildungsblog www.fes.de/bildungsblog Folgen Sie uns auch auf twitter.
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