Haftpflicht international - Recht & Versicherung
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November 2006 Haftpflicht international – Recht & Versicherung Die Kodifizierung der Business Judgement Rule im deutschen Aktiengesetz – ein Überblick von RA Thomas Elster Dr. Roller & Partner Rechtsanwälte, München Sonderdruck aus PHi 6/2006, S. 232 - 236 Ein Unternehmen der Berkshire Hathaway Gruppe
Die Kodifizierung der Business Judgement Rule im deutschen Aktiengesetz – ein Überblick Die Business Judgment Rule als Das wären im Fall der Aktiengesell- RA Thomas Elster, München Regelung des haftungsfreien schaft die Aktionäre. Geschäftsleiterermessens ist eine Der Autor ist Partner der Kanzlei seit vielen Jahrzehnten internatio- Grundsätzlich tragen die Eigentü- Dr. Roller & Partner und spezialisiert nal diskutierte und mittlerweile mer das wirtschaftliche Risiko des auf das Kapitalmarktrecht. weitgehend anerkannte Rechts- unternehmerischen Handelns. Sie elster@kanzlei-roller.de figur. Geschäftsleitern soll nicht haben aber die Möglichkeit, ihre www.kanzlei-roller.de die unternehmerische Gestaltungs- Geschäftsleiter für Fehlentschei- freiheit wegen drohender persön- dungen in die Haftung zu neh- licher Haftung für wirtschaftliche men. Durch Beweislastumkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlentscheidungen genommen bezüglich der Tatsache, dass Sorg- 1 Die Aussage der Business werden. Sie erhalten einen Raum faltspflichten verletzt wurden (§ 93 Judgment Rule für haftungsfreie Fehlentscheidun- Abs. 2, S.2 AktG), ist diese Inan- gen. Ihnen wird, bei Vorliegen spruchnahme sogar erleichtert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bestimmter Voraussetzungen, ein 2 Entwicklung der Business nicht justiziables Ermessen einge- Solche drohenden Haftungsrisiken Judgment Rule vom räumt. sind geeignet, den Geschäftsleitern Richterrecht zur Kodifi- den Mut zum unternehmerischen zierung Die Diskussion um die Business Handeln zu nehmen, ein Effekt, 2.1 Der historische Gesetzgeber Judgment Rule betrifft die Voraus- der jedoch keineswegs erwünscht 2.2 Die Entwicklung in den USA setzungen und die Weite des ist. 2.3 Deutsche Rechtswissenschaft gewährten Freiraums sowie die und richterrechtliche Kon- Frage, ob sie sich als richterrecht- Mit der Business Judgment Rule kretisierung liche Figur fortentwickeln oder wird versucht, einer übertriebenen 2.4 Die Kodifizierung kodifiziert werden soll. Risikoscheu von Organmitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . entgegen zu wirken. Dahinter Der deutsche Gesetzgeber hat mit steht die Einsicht, dass unterneh- 3 Voraussetzung des § 93 Beschluss des Bundestags vom merische Entscheidungen nicht Abs. 1 Satz 2 AktG 16. Juni 2005 die Business Judg- nur Chancen eröffnen, sondern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ment Rule als Teil des Gesetzes zur auch Risiken bergen, die gegenein- 4 Rechtsfolgen Unternehmensintegrität und ander abzuwägen eine wesentliche Modernisierung des Anfechtungs- Aufgabe von Geschäftsleitern ist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rechts (UMAG) durch Einfügung 5 Die Business Judgment eines Satzes 2 in § 93 Abs. 1 AktG Wenn risikobehaftete Geschäft- Rule im Prozess kodifiziert.1 Das Gesetz trat am schancen nicht genutzt werden, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. November 2005 in Kraft. können dem Unternehmen profi- table Möglichkeiten entgehen, es 6 Erstreckung der Regelung Dieser Beitrag gibt einen Überblick kann den Anschluss an die wirt- auf Aufsichtsratsmit- über die Entwicklung der Business schaftliche Entwicklung verpassen. glieder Judgment Rule bis zur Kodifizie- Zu hohe Risikoaversion von Ent- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . rung, ihre Voraussetzungen, scheidungsträgern kann zu massi- 7 Die Business Judgment Rechtsfolgen und die Auswirkung ven Schäden für die Gesellschaft Rule in anderen Unter- im Prozess. und deren Eigentümer führen, sie nehmensrechtsformen ist für die ganze Volkswirtschaft 7.1 KGaA 1 Die Aussage der Business nachteilig. 7.2 GmbH Judgment Rule 7.3 Genossenschaft Die Business Judgment Rule soll 7.4 Verein Wenn Geschäftsleiter nicht auch klarstellen, welche Folgen von 7.5 Öffentlich-rechtliche Eigentümer des Unternehmens Fehlentscheidungen jedenfalls von Unternehmensformen sind, sondern Beauftragte und Ver- den Eigentümern und welche, bei treter, stellt sich die Frage, wer das Vorliegen aller sonstigen Haftungs- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . wirtschaftliche Risiko ihrer Fehlent- voraussetzungen, von den Mana- 8 Haftungsrechtliche Folgen scheidungen trägt, die Geschäfts- gern selbst zu tragen sind. Für leiter selber oder die Eigentümer. Geschäftsleiter soll es einen „siche- PHi – November 2006 3
Die Kodifizierung der Business ren Hafen“2 geben, wonach bei Diese Aussagen des historischen Judgment Rule im deutschen Einhaltung festgelegter Verhaltens- Gesetzgebers zeigen, dass der Aktiengesetz anforderungen Handlungen per se Grundkonflikt bereits erkannt – ein Überblick nicht pflichtwidrig und nicht justi- wurde. Die wesentliche Differen- ziabel sind. zierung zwischen unternehmeri- schen und sonstigen Entscheidun- Als Ergebnis der bisherigen dog- gen von Vorständen, bezüglich matischen Entwicklung dieser derer die Freiräume unterschiedlich Rechtsfigur hat der deutsche Ge- zu bewerten sind, wurde noch setzgeber mit Fassung des neuen nicht vorgenommen. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG folgende Abgrenzung des „sicheren Hafens“ 2.2 Die Entwicklung in den USA normiert: Wesentlich früher als in Deutsch- „Eine Pflichtverletzung liegt nicht land wurde die Business Judgment vor, wenn das Vorstandsmitglied Rule in den USA entwickelt und bei einer unternehmerischen Ent- bekam hier ihren Namen. scheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grund- Den Umstand, dass unternehmeri- lage angemessener Information sche Entscheidungen durch Pro- zum Wohle der Gesellschaft zu gnosen und nicht justiziable Ein- handeln.“ schätzungen geprägt sind und deshalb nur eingeschränkt einer 2 Entwicklung der Business gerichtlichen Überprüfung unter- Judgment Rule vom Richterrecht zogen werden können, erkannten zur Kodifizierung die US-Gerichte. Der zu regelnde Grundkonflikt Z.B. sprach der Delaware Supreme ist international seit langer Zeit Court in zwei Urteilen aus, ein bekannt. Die dogmatische Ent- Gericht „will not substitute its own wicklung der Business Judgment notions of what is or is not sound Rule erfolgte durch die Rechtslehre business judgment“6 wenn „the und die Gerichte. Selten wurde directors of a corporation acted on eine gesetzliche Festschreibung an informed basis, in good faith vorgenommen, wie jetzt in and in the honest belief that the Deutschland.3 action taken was in the best inter- ests of the company.“7 2.1 Der historische Gesetzgeber Die wesentlichen Merkmale der Bereits im Entwurf des ersten heutigen Regelung wurden also Aktienrechtlichen Reformgesetzes bereits in den 70er- und 80er- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . von 1894 fand sich die Aussage, Jahren beschrieben. 1 BGBl. I, Nr.60, 2802. dass: 2 Regierungsentwurf S.21; abrufbar: Die dogmatische Diskussion in den http://www.bmj.bund.de/media/ archive/797.pdf. „die Mitglieder des Vorstands für ein USA ist in die deutsche Rechtsfort- 3 Kodifizierung erfolgte in Australien und missglücktes oder Schaden bringen- bildung und Gesetzgebung einge- Neuseeland „Statutory Business Judg- des Geschäft (nur) einstehen (müs- flossen. ment Rule“. sen), wenn sie nicht den Beweis füh- 4 Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre modernes Aktienrecht, S. 508 bei ren, dass von ihnen die Eingehung 2.3 Deutsche Rechtswissenschaft Art. 241 sub I. und Abwicklung des Geschäfts selbst und richterrechtliche Konkretisie- 5 Abgedruckt bei Klausing, Gesetz über mit der bezeichneten Sorgfalt erfolgt rung Aktiengesellschaften und Kommandit- ist“.4 (Klammereinfügung durch gesellschaften auf Aktien nebst Einfüh- rungsgesetz und amtliche Begründung, Autor) Die deutsche Rechtswissenschaft 1937, S.71. hat das Privileg eines unterneh- 6 Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805, 812 Auch in den amtlichen Begründun- merischen Ermessens von (Del. 1984). gen5 zu § 84 AktG 1937 findet Geschäftsleitern ab den 80er- 7 Sinclair Oil Corp. v. Levien, 280 A.2d 717, 720 (Del. 1971). sich: Jahren beschrieben.8 8 Vgl. statt vieler Schneider, FS Werner, 1984; Kessler, FS Baumann, 1999; „,… den Vorständen dürfe nicht Der BGH folgte mit seiner als Leit- Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. jeder Mut zur Tat genommen entscheidung geltenden ARAG/ 2000, § 43 Rz.6. 9 ARAG/Garmenbeck-Entscheidung v. werden.“ Garmenbeck-Entscheidung vom 21.4.1997, AZ II ZR 175/95, BGH Z 135, 21. April 19979 diesen Grundsätzen. 244 = NJW 1997, 1926 f. 4 Gen Re
Den zu Grunde liegenden Konflikt Bundesregierung zur Verbesserung beschrieb der BGH: der Unternehmensintegrität und des Anlegerschutzes vom Sommer „Bei seiner Beurteilung, ob der fest- 2002 und dem konkretisierenden gestellte Sachverhalt den Vorwurf Maßnahmenkatalog15 der Bundes- eines schuldhaft pflichtwidrigen Vor- ministerien für Justiz und für Finan- standsverhaltens rechtfertigt, hatte zen zur Stärkung des Anleger- der Aufsichtsrat zu berücksichtigen, schutzes und des Vertrauens in die dass dem Vorstand bei der Leitung Aktienmärkte durchgeführt. der Geschäfte des Gesellschaftsun- ternehmens ein weiter Handlungs- Im Zuge dieser gesetzgeberischen spielraum zugebilligt werden Initiative wurde das System von muss, ohne den eine unternehmeri- Haftungsfreiräumen für Entschei- sche Tätigkeit schlechterdings nicht dungsträger und Haftungsver- denkbar ist. Dazu gehört neben schärfung zur Verbesserung des dem bewussten Eingehen geschäft- Anlegerschutzes durch das licher Risiken grundsätzlich auch UMAG16 neu austariert. Die Busi- die Gefahr von Fehlbeurteilungen ness Judgment Rule wurde als und Fehleinschätzungen, der jeder Gegengewicht zur Verschärfung Unternehmensleiter, mag er auch des Verfolgungsrechts durch Aktio- noch so verantwortungsbewusst närsminderheiten, § 148 AktG, handeln, ausgesetzt ist.“10 (Hervor- und der Schaffung eines Aktionärs- hebung durch den Autor) forums zur Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten Die Abwägung, wann eine Scha- zwischen Aktionären, § 127 a densersatzpflicht für Mitglieder des AktG, vom Reformgesetzgeber Vorstands in Betracht kommt, nahm geregelt, wie der Regierungsent- der BGH folgendermaßen vor: wurf erkennen lässt.17 Diese (die Schadensersatzpflicht) Die Entscheidung zur Kodifizierung kann erst in Betracht kommen, entspricht deutscher Rechtstradi- wenn die Grenzen, in denen sich ein tion, sie schafft Rechtssicherheit und von Verantwortungsbewusstsein Transparenz. Die subsumtionsfähi- getragenes, ausschließlich am gen Begriffe des § 93 Abs. 1 Satz 2 Unternehmenswohl orientiertes, auf AktG erleichtern die Anwendung sorgfältiger Ermittlung der Ent- der Business Judgment Rule durch scheidungsgrundlage beruhendes die Gerichte. Entscheidungen wer- unternehmerisches Handeln bewe- den besser vorhersehbar. gen muss, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmeri- Als Nachteil der Kodifizierung wird sche Risiken einzugehen, in unver- angesehen, dass in einen noch antwortlicher Weise überspannt nicht abgeschlossenen Dogmatisie- . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . worden ist oder das Verhalten des rungsprozess eingegriffen werde. Vorstands aus anderen Gründen als Diese Überlegung, dass es nicht 10 Ebenda, NJW 1997, 1926, 1927. 11 Ebenda, 1928. pflichtwidrig geltend muss.11 (Her- wünschenswert sei „to freeze the 12 Ulmer, ZHR, 163 (1999), 290, 299. vorhebung und Klammervermerk concept in a statue“,18 also eine 13 Verhandlungen des 63. Deutschen durch den Autor) Zementierung des Prinzips vorzu- Juristentages, 2000, Bd. II/1 O 79. nehmen, führt in anderen Rechts- 14 Baums, Bericht der Regierungskommis- sion Corporate Governance, 2001, 2.4 Die Kodifizierung kreisen dazu, die Business Judg- Rz. 70. ment Rule nicht zu kodifizieren, so 15 Abrufbar: http://www.bmj.de/enid/ Die Kodifizierung der Business im angelsächsischen Rechtsraum.19 e6a181b2b061e1b367374691083207a6,0/ Judgment Rule im Deutschen Corporate_Governance/Bundesregierung _staerkt_Anlegerschutz_und_ Recht folgte einer These von Ulmer Da die Gerichte von Fall zu Fall die Unternehmensintegritaet_ai.html aus dem Jahr 199912, der sich der Norm fortentwickeln können, steht 16 Gesetz zur Unternehmensintegrität und 63. deutsche Juristentag 2000 in die Kodifizierung einer Weiterent- Modernisierung des Anfechtungsrechts. Leipzig13 und auch die Regierungs- wicklung des Geschäftsleiterermes- 17 Regierungsentwurf S.21; vgl. Fn. 2. 18 Verfasser des US-amerikanischen Revised kommision „Corporate Gover- sens jedoch tatsächlich nicht im Model Business Corporation Act in 1998, nance“14 im Jahr 2001 angeschlos- Weg. Zudem betrifft die Kodifizie- 2 Model Bus. Corp. Act Ann. § 8.30 sen haben. rung nach dem Wortlaut des Official Commentary, § 8-199, 3d Gesetzes nur Aktiengesellschaften, (1998/99). 19 In Großbritannien, Company Law Die gesetzgeberische Maßnahme sie kann die Entwicklung zu ande- Review, Modern Company Law for a wurde im Rahmen der Umsetzung ren Gesellschaftsformen also per se Competitive Economy, Developing the des 10-Punkte-Programms der nicht behindern. Framework (March 2000), Rz. 3.69. PHi – November 2006 5
Die Kodifizierung der Business 3 Voraussetzung des § 93 Abs. 1 Zeitvorlaufs, des Gewichtes und Judgment Rule im deutschen Satz 2 AktG der Art der zu treffenden Entschei- Aktiengesetz dung zu beurteilen.24 – ein Überblick Die Regelung des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG umfasst fünf Voraus- 4. Ohne Sonderinteressen und setzungen, die vorliegen müssen, sachfremde Einflüsse – Implizit damit eine Entscheidung des Vor- geregelt, da bei Vorliegen von standsmitglieds von vornherein Interessenkonflikten nicht ange- nicht als pflichtwidrig angesehen nommen werden kann, zum Wohl werden darf, eine gerichtliche der Gesellschaft zu handeln. Aus- Überprüfung nicht weiter stattfin- nahme möglicherweise bei Offen- det, also der „sichere Hafen“ legung des Interessenkonflikts.25 erreicht ist. 5. Gutgläubigkeit – Implizit im Die fünf Merkmale sind dem „annehmen dürfen“ zum Wohl der Normtext nicht mit gleicher Deut- Gesellschaft zu handeln, enthalten. lichkeit zu entnehmen, sie sind teil- weise implizit geregelt.20 Ergänzt werden die Merkmale 2. und 3. durch die Festlegung einer Die Voraussetzungen der gesetz- subjektiven Beurteilungsperspek- lichen Regelung „Eine Pflichtver- tive, deren Grenzen aber gleich- letzung liegt nicht vor, wenn das zeitig geregelt werden („vernünf- Vorstandsmitglied bei einer unter- tigerweise annehmen dürfen“). nehmerischen Entscheidung ver- Die Beurteilung erfolgt aus der nünftigerweise annehmen durfte, Sicht des entscheidenden Organs auf der Grundlage angemessener subjektiv ex-ante („annehmen“), Information zum Wohl der Gesell- begrenzt durch die objektive Kom- schaft zu handeln“ im Einzelnen: ponente „dürfen“. Als absolute Grenze fungiert „vernünftiger- 1. Unternehmerische Entscheidung weise“ und soll Extrementschei- – In Abgrenzung zur Befolgung dungen ausgrenzen, bei denen von Pflichten kraft Gesetz, Sat- etwa Existenz gefährdende Risiken zung, Vertrag, Geschäftsordnung eingegangen werden.26 Dies folgt oder Anweisung, die keinen tatbe- der Rechtsprechung des BGH, der standlichen Beurteilungsspielraum darauf abstellt, ob „die Bereit- bieten.21 Das Vorstandsmitglied hat schaft, unternehmerische Risiken keine Wahl, es muss, um pflicht- einzugehen, in unverantwortlicher gemäß zu handeln, der gegebene Weise überspannt worden ist“.27 Festlegung folgen. 4 Rechtsfolgen 2. Handeln zum Wohl der Gesell- schaft – Der Handlungsbegriff wird Liegen die Voraussetzungen des weit gefasst, er umfasst die unter- § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vor, hat nehmerische Entscheidung selbst, sich das betreffende Vorstandsmit- wie auch ihre Umsetzung,22 sowie glied nicht pflichtwidrig verhalten. ein bewusstes Unterlassen. Es wird rechtstechnisch nicht ledig- lich eine Entschuldigung vorge- Zum Wohle der Gesellschaft nommen, sondern das Vorstands- erfolgt ein Handeln jedenfalls, handeln war korrekt. wenn es der langfristigen Ertrags- stärkung und Wettbewerbsfähig- Schon die erste Voraussetzung für keit des Unternehmens und seiner eine Haftungsklage ist entfallen, . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produkte oder Dienstleistungen und die Entscheidung des Vor- 20 Regierungsentwurf S. 22, vgl. Fn. 2. dienen soll.23 standsmitgliedes wird vom Gericht 21 Ebenda. inhaltlich nicht geprüft, unabhän- 22 Ebenda. 3. Auf Grundlage angemessener gig davon, welche gravierenden 23 Ebenda. 24 Regierungsentwurf S. 24; vgl. Fn. 2. Informationen – In den Grenzen Schäden die Fehlentscheidung 25 Regierungsentwurf S. 23; vgl. Fn. 2. seiner Sorgfaltspflichten wird dem nach sich gezogen haben mag. 26 Regierungsentwurf S. 22; vgl. Fn. 2. Vorstand ein erheblicher Spielraum Sind die Voraussetzungen nicht 27 ARAG/Garmenbeck-Entscheidung, BGH eingeräumt, den Informations- erfüllt, ist die fragliche Entschei- NJW 1997, 1926, 1928. 28 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl. bedarf abzuwägen. Die Angemes- dung des Vorstandsmitglieds noch 2000, § 43 Rz.6; Scholz/Schneider, senheit der Intensität der Informa- nicht per se pflichtwidrig. Die Ent- GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rz. 44-49. tionsbeschaffung ist anhand des scheidung des Vorstandsmitglieds 6 Gen Re
kann aber nun vom Gericht inhalt- 7 Die Business Judgment Rule in Wettbewerb handelt, wie Spar- lich überprüft werden. anderen Unternehmensrechts- kassen oder die als Anstalten des formen öffentlichen Rechts verselbststän- 5 Die Business Judgment Rule digten Universitätskliniken und im Prozess Die Kodifizierung der Business Studentenwerke, muss auch ihren Judgment Rule im Aktiengesetz Geschäftsführern und Vorständen Die Funktion der Business Judg- ändert an der bisherigen Anwend- das Privileg der Business Judgment ment Rule im Prozess ist im barkeit der Rechtsfigur auf Ge- Rule mit gleichen Voraussetzungen Zusammenspiel mit § 93 Abs.1, schäftsleiter anderer Unterneh- und Rechtsfolgen zugebilligt werden. Satz 1 AktG, als dessen Tatbe- mensrechtsformen nichts. standseinschränkung sie formuliert 8 Haftungsrechtliche Folgen ist, und mit § 93 Abs.2, Satz 2 7.1 KGaA AktG, der die Beweislast zuun- Die Kodifizierung der Business gunsten des Vorstandsmitglieds Auf die KGaA ist die neue Rege- Judgment Rule in § 93 Abs.1, umkehrt, zu sehen. lung zu Vorstandsmitgliedern über Satz 2 AktG führt zu mehr Rechts- den Verweis nach § 283 Nr. 3 AktG sicherheit. Da die Regelung zuvor Normalerweise muss im Prozess anwendbar. Für persönlich haf- bereits auf Grundlage richterrecht- der Kläger die Tatbestandsmerk- tende Gesellschafter einer KGaA licher Ausgestaltung angewandt male, die seine Ansprüche begrün- gilt also das gleiche wir für Vor- wurden, ist aber eine wesentliche den sollen, darlegen und im standsmitglieder einer AG. Haftungsentlastung durch die Bestreitensfall beweisen. Dann Kodifizierung selbst nicht zu trüge die Gesellschaft gegenüber 7.2 GmbH erwarten. dem Vorstandsmitglied im Fall eines Haftungsprozesses die Für die Haftung von Geschäfts- Die haftungsrechtliche Folge ist im Beweislast. führern einer GmbH wurde die Zusammenhang mit der Neuge- Business Judgment Rule in staltung der Haftungssituation Diese Regelsituation ist zugunsten Deutschland ursprünglich dog- durch das UMAG insgesamt zu der Gesellschaft durch die in matisch entwickelt. Sie ist mit sehen. § 93 Abs.2, Satz 2 AktG geregelte gleichem Inhalt wie bei der AG Beweislastumkehr bezogen auf anerkannt.28 Mit Schaffung eines Aktionärs- die Frage, ob die Sorgfalt eines forums durch § 127 a AktG zur ordentlichen und gewissenhaften 7.3 Genossenschaft Verbesserung der Kommunika- Geschäftsleiters angewandt wurde, tionsmöglichkeit zwischen Aktio- verändert. Der Geschäftsleiter Die Business Judgment Rule wird nären soll ein gemeinsames Vor- müsste beweisen, dass er diese auch bei der Genossenschaft gehen von Aktionären ermöglicht Sorgfalt angewandt hat. unverändert auf den Vorstand und gefördert werden. Zugleich angewandt. § 34 GenG ist § 93 wurde mit § 148 AktG die Ver- An dieser Stelle wirkt sich die Busi- AktG weitestgehend nachgebildet. schärfung des Verfolgungsrechts ness Judgment Rule bzw. § 93 Dies gilt auch ohne eine Entspre- von Aktionärsminderheiten vor- Abs.1, Satz 2 AktG aus. Das Vor- chung zum neuen Absatz 1 Satz 2. genommen. Die Durchsetzungs- standsmitglied muss nur bewei- möglichkeit von Klagen durch sen, dass die oben genannten 7.4 Verein Aktionärsminderheiten wurde Merkmale vorliegen. Sein Handeln durch die Reduzierung der not- war dann pflichtgemäß und wird Die Anwendbarkeit der Business wendigen Quoren verbessert. keiner weiteren gerichtlichen Kon- Judgment Rule auf die Vorstands- trolle unterzogen. mitglieder eines Vereins muss Die Rechtspraxis muss, insbeson- differenziert betrachtet werden. dere bei der Auslegung der ver- 6 Erstreckung der Regelung auf Handelt es sich um einen wirt- schiedenen unbestimmten Rechts- Aufsichtsratsmitglieder schaftlichen Verein nach § 22 BGB, begriffe (§§ 93, 148 AktG) zeigen, was selten vorkommt, so besteht ob eine Erweiterung der tatsäch- Auch Aufsichtsratsmitglieder tref- kein Zweifel an der Anwendbarkeit lichen Haftpflichtfälle durch diese fen unternehmerische Entschei- der Business Judgment Rule. Auf Stärkung der Aktionärsminderhei- dungen. Über den Verweis von den Idealverein nach § 21 BGB tenrechte erfolgt oder ob die hin- § 116 AktG auf § 93 AktG kommt wird die Business Judgment Rule zugewonnene Rechtssicherheit ihnen das Privileg der kodifizierten allerdings nicht anwendbar sein. durch die Kodifizierung der Busi- Business Judgment Rule ebenfalls ness Judgment Rule gar zu einer zugute. 7.5 Öffentlich-rechtliche Unter- Reduzierung führen kann. nehmensformen Sobald es sich bei öffentlich-recht- lichen Körperschaften und Anstal- ten um Wirtschaftsunternehmen im wirtschaftlichen Umfeld und PHi – November 2006 7
Impressum Herausgeber: Kölnische Rückversicherungs- Gesellschaft AG, Theodor-Heuss-Ring 11, 50668 Köln www.genre.de/phi Redaktion: RAin Regina Dahm-Loraing (verantwortlich); RA Michael Köhler; Reinhard Müller; RA Dr. Mathias Schubert; Dipl.-Übersetzerin Ursula Smoll, Dipl.-Ing. Udo Wegerhoff Anschrift der Redaktion: Theodor-Heuss-Ring 11, 50668 Köln Telefon (0221) 9738 1650 Fax (0221) 9738 453 Email rlorain@genre.com; smoll@genre.com Zitiervorschlag: PHi, Jahr, Seitenzahl © Kölnische Rückversicherungs-Gesellschaft AG 2006 Die veröffentlichten Beiträge genießen urheberrechtlichen Schutz, solche mit Angabe des Verfassers stellen nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder der Redaktion dar.
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