Haftpflicht international - Recht & Versicherung

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Haftpflicht international - Recht & Versicherung
November 2006

Haftpflicht international – Recht & Versicherung

                                   Die Kodifizierung der Business Judgement
                                   Rule im deutschen Aktiengesetz
                                   – ein Überblick
                                   von RA Thomas Elster
                                   Dr. Roller & Partner Rechtsanwälte,
                                   München

                                   Sonderdruck aus PHi 6/2006, S. 232 - 236

Ein Unternehmen der Berkshire Hathaway Gruppe
Die Kodifizierung der Business Judgement
Rule im deutschen Aktiengesetz
– ein Überblick
Die Business Judgment Rule als           Das wären im Fall der Aktiengesell-     RA Thomas Elster, München
Regelung des haftungsfreien              schaft die Aktionäre.
Geschäftsleiterermessens ist eine                                                Der Autor ist Partner der Kanzlei
seit vielen Jahrzehnten internatio-      Grundsätzlich tragen die Eigentü-       Dr. Roller & Partner und spezialisiert
nal diskutierte und mittlerweile         mer das wirtschaftliche Risiko des      auf das Kapitalmarktrecht.
weitgehend anerkannte Rechts-            unternehmerischen Handelns. Sie         elster@kanzlei-roller.de
figur. Geschäftsleitern soll nicht       haben aber die Möglichkeit, ihre        www.kanzlei-roller.de
die unternehmerische Gestaltungs-        Geschäftsleiter für Fehlentschei-
freiheit wegen drohender persön-         dungen in die Haftung zu neh-
licher Haftung für wirtschaftliche       men. Durch Beweislastumkehr             . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Fehlentscheidungen genommen              bezüglich der Tatsache, dass Sorg-      1      Die Aussage der Business
werden. Sie erhalten einen Raum          faltspflichten verletzt wurden (§ 93           Judgment Rule
für haftungsfreie Fehlentscheidun-       Abs. 2, S.2 AktG), ist diese Inan-
gen. Ihnen wird, bei Vorliegen           spruchnahme sogar erleichtert.          . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
bestimmter Voraussetzungen, ein                                                  2      Entwicklung der Business
nicht justiziables Ermessen einge-       Solche drohenden Haftungsrisiken               Judgment Rule vom
räumt.                                   sind geeignet, den Geschäftsleitern            Richterrecht zur Kodifi-
                                         den Mut zum unternehmerischen                  zierung
Die Diskussion um die Business           Handeln zu nehmen, ein Effekt,          2.1    Der historische Gesetzgeber
Judgment Rule betrifft die Voraus-       der jedoch keineswegs erwünscht         2.2    Die Entwicklung in den USA
setzungen und die Weite des              ist.                                    2.3    Deutsche Rechtswissenschaft
gewährten Freiraums sowie die                                                           und richterrechtliche Kon-
Frage, ob sie sich als richterrecht-     Mit der Business Judgment Rule                 kretisierung
liche Figur fortentwickeln oder          wird versucht, einer übertriebenen      2.4    Die Kodifizierung
kodifiziert werden soll.                 Risikoscheu von Organmitglieder
                                                                                 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
                                         entgegen zu wirken. Dahinter
Der deutsche Gesetzgeber hat mit         steht die Einsicht, dass unterneh-      3      Voraussetzung des § 93
Beschluss des Bundestags vom             merische Entscheidungen nicht                  Abs. 1 Satz 2 AktG
16. Juni 2005 die Business Judg-         nur Chancen eröffnen, sondern           . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
ment Rule als Teil des Gesetzes zur      auch Risiken bergen, die gegenein-      4      Rechtsfolgen
Unternehmensintegrität und               ander abzuwägen eine wesentliche
Modernisierung des Anfechtungs-          Aufgabe von Geschäftsleitern ist.       . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
rechts (UMAG) durch Einfügung                                                    5      Die Business Judgment
eines Satzes 2 in § 93 Abs. 1 AktG       Wenn risikobehaftete Geschäft-                 Rule im Prozess
kodifiziert.1 Das Gesetz trat am         schancen nicht genutzt werden,
                                                                                 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1. November 2005 in Kraft.               können dem Unternehmen profi-
                                         table Möglichkeiten entgehen, es        6      Erstreckung der Regelung
Dieser Beitrag gibt einen Überblick      kann den Anschluss an die wirt-                auf Aufsichtsratsmit-
über die Entwicklung der Business        schaftliche Entwicklung verpassen.             glieder
Judgment Rule bis zur Kodifizie-         Zu hohe Risikoaversion von Ent-         . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
rung, ihre Voraussetzungen,              scheidungsträgern kann zu massi-
                                                                                 7      Die Business Judgment
Rechtsfolgen und die Auswirkung          ven Schäden für die Gesellschaft
                                                                                        Rule in anderen Unter-
im Prozess.                              und deren Eigentümer führen, sie
                                                                                        nehmensrechtsformen
                                         ist für die ganze Volkswirtschaft
                                                                                 7.1    KGaA
1 Die Aussage der Business               nachteilig.
                                                                                 7.2    GmbH
Judgment Rule
                                                                                 7.3    Genossenschaft
                                         Die Business Judgment Rule soll
                                                                                 7.4    Verein
Wenn Geschäftsleiter nicht auch          klarstellen, welche Folgen von
                                                                                 7.5    Öffentlich-rechtliche
Eigentümer des Unternehmens              Fehlentscheidungen jedenfalls von
                                                                                        Unternehmensformen
sind, sondern Beauftragte und Ver-       den Eigentümern und welche, bei
treter, stellt sich die Frage, wer das   Vorliegen aller sonstigen Haftungs-     . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
wirtschaftliche Risiko ihrer Fehlent-    voraussetzungen, von den Mana-          8      Haftungsrechtliche Folgen
scheidungen trägt, die Geschäfts-        gern selbst zu tragen sind. Für
leiter selber oder die Eigentümer.       Geschäftsleiter soll es einen „siche-
                                                                                                      PHi – November 2006 3
Die Kodifizierung der Business                 ren Hafen“2 geben, wonach bei           Diese Aussagen des historischen
   Judgment Rule im deutschen                     Einhaltung festgelegter Verhaltens-     Gesetzgebers zeigen, dass der
   Aktiengesetz                                   anforderungen Handlungen per se         Grundkonflikt bereits erkannt
   – ein Überblick                                nicht pflichtwidrig und nicht justi-    wurde. Die wesentliche Differen-
                                                  ziabel sind.                            zierung zwischen unternehmeri-
                                                                                          schen und sonstigen Entscheidun-
                                                  Als Ergebnis der bisherigen dog-        gen von Vorständen, bezüglich
                                                  matischen Entwicklung dieser            derer die Freiräume unterschiedlich
                                                  Rechtsfigur hat der deutsche Ge-        zu bewerten sind, wurde noch
                                                  setzgeber mit Fassung des neuen         nicht vorgenommen.
                                                  § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG folgende
                                                  Abgrenzung des „sicheren Hafens“        2.2 Die Entwicklung in den USA
                                                  normiert:
                                                                                          Wesentlich früher als in Deutsch-
                                                  „Eine Pflichtverletzung liegt nicht     land wurde die Business Judgment
                                                  vor, wenn das Vorstandsmitglied         Rule in den USA entwickelt und
                                                  bei einer unternehmerischen Ent-        bekam hier ihren Namen.
                                                  scheidung vernünftigerweise
                                                  annehmen durfte, auf der Grund-         Den Umstand, dass unternehmeri-
                                                  lage angemessener Information           sche Entscheidungen durch Pro-
                                                  zum Wohle der Gesellschaft zu           gnosen und nicht justiziable Ein-
                                                  handeln.“                               schätzungen geprägt sind und
                                                                                          deshalb nur eingeschränkt einer
                                                  2 Entwicklung der Business              gerichtlichen Überprüfung unter-
                                                  Judgment Rule vom Richterrecht          zogen werden können, erkannten
                                                  zur Kodifizierung                       die US-Gerichte.

                                                  Der zu regelnde Grundkonflikt           Z.B. sprach der Delaware Supreme
                                                  ist international seit langer Zeit      Court in zwei Urteilen aus, ein
                                                  bekannt. Die dogmatische Ent-           Gericht „will not substitute its own
                                                  wicklung der Business Judgment          notions of what is or is not sound
                                                  Rule erfolgte durch die Rechtslehre     business judgment“6 wenn „the
                                                  und die Gerichte. Selten wurde          directors of a corporation acted on
                                                  eine gesetzliche Festschreibung         an informed basis, in good faith
                                                  vorgenommen, wie jetzt in               and in the honest belief that the
                                                  Deutschland.3                           action taken was in the best inter-
                                                                                          ests of the company.“7
                                                  2.1 Der historische Gesetzgeber
                                                                                          Die wesentlichen Merkmale der
                                                  Bereits im Entwurf des ersten           heutigen Regelung wurden also
                                                  Aktienrechtlichen Reformgesetzes        bereits in den 70er- und 80er-
   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
                                                  von 1894 fand sich die Aussage,         Jahren beschrieben.
   1   BGBl. I, Nr.60, 2802.                      dass:
   2   Regierungsentwurf S.21; abrufbar:                                                  Die dogmatische Diskussion in den
       http://www.bmj.bund.de/media/
       archive/797.pdf.
                                                  „die Mitglieder des Vorstands für ein   USA ist in die deutsche Rechtsfort-
   3   Kodifizierung erfolgte in Australien und   missglücktes oder Schaden bringen-      bildung und Gesetzgebung einge-
       Neuseeland „Statutory Business Judg-       des Geschäft (nur) einstehen (müs-      flossen.
       ment Rule“.                                sen), wenn sie nicht den Beweis füh-
   4   Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre
       modernes Aktienrecht, S. 508 bei
                                                  ren, dass von ihnen die Eingehung       2.3 Deutsche Rechtswissenschaft
       Art. 241 sub I.                            und Abwicklung des Geschäfts selbst     und richterrechtliche Konkretisie-
   5   Abgedruckt bei Klausing, Gesetz über       mit der bezeichneten Sorgfalt erfolgt   rung
       Aktiengesellschaften und Kommandit-        ist“.4 (Klammereinfügung durch
       gesellschaften auf Aktien nebst Einfüh-
       rungsgesetz und amtliche Begründung,
                                                  Autor)                                  Die deutsche Rechtswissenschaft
       1937, S.71.                                                                        hat das Privileg eines unterneh-
   6   Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805, 812        Auch in den amtlichen Begründun-        merischen Ermessens von
       (Del. 1984).                               gen5 zu § 84 AktG 1937 findet           Geschäftsleitern ab den 80er-
   7   Sinclair Oil Corp. v. Levien, 280 A.2d
       717, 720 (Del. 1971).
                                                  sich:                                   Jahren beschrieben.8
   8   Vgl. statt vieler Schneider, FS Werner,
       1984; Kessler, FS Baumann, 1999;           „,… den Vorständen dürfe nicht          Der BGH folgte mit seiner als Leit-
       Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl.        jeder Mut zur Tat genommen              entscheidung geltenden ARAG/
       2000, § 43 Rz.6.
   9   ARAG/Garmenbeck-Entscheidung v.
                                                  werden.“                                Garmenbeck-Entscheidung vom
       21.4.1997, AZ II ZR 175/95, BGH Z 135,                                             21. April 19979 diesen Grundsätzen.
       244 = NJW 1997, 1926 f.

4 Gen Re
Den zu Grunde liegenden Konflikt        Bundesregierung zur Verbesserung
beschrieb der BGH:                      der Unternehmensintegrität und
                                        des Anlegerschutzes vom Sommer
„Bei seiner Beurteilung, ob der fest-   2002 und dem konkretisierenden
gestellte Sachverhalt den Vorwurf       Maßnahmenkatalog15 der Bundes-
eines schuldhaft pflichtwidrigen Vor-   ministerien für Justiz und für Finan-
standsverhaltens rechtfertigt, hatte    zen zur Stärkung des Anleger-
der Aufsichtsrat zu berücksichtigen,    schutzes und des Vertrauens in die
dass dem Vorstand bei der Leitung       Aktienmärkte durchgeführt.
der Geschäfte des Gesellschaftsun-
ternehmens ein weiter Handlungs-        Im Zuge dieser gesetzgeberischen
spielraum zugebilligt werden            Initiative wurde das System von
muss, ohne den eine unternehmeri-       Haftungsfreiräumen für Entschei-
sche Tätigkeit schlechterdings nicht    dungsträger und Haftungsver-
denkbar ist. Dazu gehört neben          schärfung zur Verbesserung des
dem bewussten Eingehen geschäft-        Anlegerschutzes durch das
licher Risiken grundsätzlich auch       UMAG16 neu austariert. Die Busi-
die Gefahr von Fehlbeurteilungen        ness Judgment Rule wurde als
und Fehleinschätzungen, der jeder       Gegengewicht zur Verschärfung
Unternehmensleiter, mag er auch         des Verfolgungsrechts durch Aktio-
noch so verantwortungsbewusst           närsminderheiten, § 148 AktG,
handeln, ausgesetzt ist.“10 (Hervor-    und der Schaffung eines Aktionärs-
hebung durch den Autor)                 forums zur Verbesserung der
                                        Kommunikationsmöglichkeiten
Die Abwägung, wann eine Scha-           zwischen Aktionären, § 127 a
densersatzpflicht für Mitglieder des    AktG, vom Reformgesetzgeber
Vorstands in Betracht kommt, nahm       geregelt, wie der Regierungsent-
der BGH folgendermaßen vor:             wurf erkennen lässt.17

Diese (die Schadensersatzpflicht)       Die Entscheidung zur Kodifizierung
kann erst in Betracht kommen,           entspricht deutscher Rechtstradi-
wenn die Grenzen, in denen sich ein     tion, sie schafft Rechtssicherheit und
von Verantwortungsbewusstsein           Transparenz. Die subsumtionsfähi-
getragenes, ausschließlich am           gen Begriffe des § 93 Abs. 1 Satz 2
Unternehmenswohl orientiertes, auf      AktG erleichtern die Anwendung
sorgfältiger Ermittlung der Ent-        der Business Judgment Rule durch
scheidungsgrundlage beruhendes          die Gerichte. Entscheidungen wer-
unternehmerisches Handeln bewe-         den besser vorhersehbar.
gen muss, deutlich überschritten
sind, die Bereitschaft, unternehmeri-   Als Nachteil der Kodifizierung wird
sche Risiken einzugehen, in unver-      angesehen, dass in einen noch
antwortlicher Weise überspannt          nicht abgeschlossenen Dogmatisie-        . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
worden ist oder das Verhalten des       rungsprozess eingegriffen werde.
Vorstands aus anderen Gründen als       Diese Überlegung, dass es nicht          10   Ebenda, NJW 1997, 1926, 1927.
                                                                                 11   Ebenda, 1928.
pflichtwidrig geltend muss.11 (Her-     wünschenswert sei „to freeze the         12   Ulmer, ZHR, 163 (1999), 290, 299.
vorhebung und Klammervermerk            concept in a statue“,18 also eine        13   Verhandlungen des 63. Deutschen
durch den Autor)                        Zementierung des Prinzips vorzu-              Juristentages, 2000, Bd. II/1 O 79.
                                        nehmen, führt in anderen Rechts-         14   Baums, Bericht der Regierungskommis-
                                                                                      sion Corporate Governance, 2001,
2.4 Die Kodifizierung                   kreisen dazu, die Business Judg-              Rz. 70.
                                        ment Rule nicht zu kodifizieren, so      15   Abrufbar: http://www.bmj.de/enid/
Die Kodifizierung der Business          im angelsächsischen Rechtsraum.19             e6a181b2b061e1b367374691083207a6,0/
Judgment Rule im Deutschen                                                            Corporate_Governance/Bundesregierung
                                                                                      _staerkt_Anlegerschutz_und_
Recht folgte einer These von Ulmer      Da die Gerichte von Fall zu Fall die          Unternehmensintegritaet_ai.html
aus dem Jahr 199912, der sich der       Norm fortentwickeln können, steht        16   Gesetz zur Unternehmensintegrität und
63. deutsche Juristentag 2000 in        die Kodifizierung einer Weiterent-            Modernisierung des Anfechtungsrechts.
Leipzig13 und auch die Regierungs-      wicklung des Geschäftsleiterermes-       17   Regierungsentwurf S.21; vgl. Fn. 2.
                                                                                 18   Verfasser des US-amerikanischen Revised
kommision „Corporate Gover-             sens jedoch tatsächlich nicht im              Model Business Corporation Act in 1998,
nance“14 im Jahr 2001 angeschlos-       Weg. Zudem betrifft die Kodifizie-            2 Model Bus. Corp. Act Ann. § 8.30
sen haben.                              rung nach dem Wortlaut des                    Official Commentary, § 8-199, 3d
                                        Gesetzes nur Aktiengesellschaften,            (1998/99).
                                                                                 19   In Großbritannien, Company Law
Die gesetzgeberische Maßnahme           sie kann die Entwicklung zu ande-             Review, Modern Company Law for a
wurde im Rahmen der Umsetzung           ren Gesellschaftsformen also per se           Competitive Economy, Developing the
des 10-Punkte-Programms der             nicht behindern.                              Framework (March 2000), Rz. 3.69.

                                                                                                        PHi – November 2006 5
Die Kodifizierung der Business             3 Voraussetzung des § 93 Abs. 1         Zeitvorlaufs, des Gewichtes und
   Judgment Rule im deutschen                 Satz 2 AktG                             der Art der zu treffenden Entschei-
   Aktiengesetz                                                                       dung zu beurteilen.24
   – ein Überblick                            Die Regelung des § 93 Abs. 1
                                              Satz 2 AktG umfasst fünf Voraus-        4. Ohne Sonderinteressen und
                                              setzungen, die vorliegen müssen,        sachfremde Einflüsse – Implizit
                                              damit eine Entscheidung des Vor-        geregelt, da bei Vorliegen von
                                              standsmitglieds von vornherein          Interessenkonflikten nicht ange-
                                              nicht als pflichtwidrig angesehen       nommen werden kann, zum Wohl
                                              werden darf, eine gerichtliche          der Gesellschaft zu handeln. Aus-
                                              Überprüfung nicht weiter stattfin-      nahme möglicherweise bei Offen-
                                              det, also der „sichere Hafen“           legung des Interessenkonflikts.25
                                              erreicht ist.
                                                                                      5. Gutgläubigkeit – Implizit im
                                              Die fünf Merkmale sind dem              „annehmen dürfen“ zum Wohl der
                                              Normtext nicht mit gleicher Deut-       Gesellschaft zu handeln, enthalten.
                                              lichkeit zu entnehmen, sie sind teil-
                                              weise implizit geregelt.20              Ergänzt werden die Merkmale 2.
                                                                                      und 3. durch die Festlegung einer
                                              Die Voraussetzungen der gesetz-         subjektiven Beurteilungsperspek-
                                              lichen Regelung „Eine Pflichtver-       tive, deren Grenzen aber gleich-
                                              letzung liegt nicht vor, wenn das       zeitig geregelt werden („vernünf-
                                              Vorstandsmitglied bei einer unter-      tigerweise annehmen dürfen“).
                                              nehmerischen Entscheidung ver-          Die Beurteilung erfolgt aus der
                                              nünftigerweise annehmen durfte,         Sicht des entscheidenden Organs
                                              auf der Grundlage angemessener          subjektiv ex-ante („annehmen“),
                                              Information zum Wohl der Gesell-        begrenzt durch die objektive Kom-
                                              schaft zu handeln“ im Einzelnen:        ponente „dürfen“. Als absolute
                                                                                      Grenze fungiert „vernünftiger-
                                              1. Unternehmerische Entscheidung        weise“ und soll Extrementschei-
                                              – In Abgrenzung zur Befolgung           dungen ausgrenzen, bei denen
                                              von Pflichten kraft Gesetz, Sat-        etwa Existenz gefährdende Risiken
                                              zung, Vertrag, Geschäftsordnung         eingegangen werden.26 Dies folgt
                                              oder Anweisung, die keinen tatbe-       der Rechtsprechung des BGH, der
                                              standlichen Beurteilungsspielraum       darauf abstellt, ob „die Bereit-
                                              bieten.21 Das Vorstandsmitglied hat     schaft, unternehmerische Risiken
                                              keine Wahl, es muss, um pflicht-        einzugehen, in unverantwortlicher
                                              gemäß zu handeln, der gegebene          Weise überspannt worden ist“.27
                                              Festlegung folgen.
                                                                                      4 Rechtsfolgen
                                              2. Handeln zum Wohl der Gesell-
                                              schaft – Der Handlungsbegriff wird      Liegen die Voraussetzungen des
                                              weit gefasst, er umfasst die unter-     § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG vor, hat
                                              nehmerische Entscheidung selbst,        sich das betreffende Vorstandsmit-
                                              wie auch ihre Umsetzung,22 sowie        glied nicht pflichtwidrig verhalten.
                                              ein bewusstes Unterlassen.              Es wird rechtstechnisch nicht ledig-
                                                                                      lich eine Entschuldigung vorge-
                                              Zum Wohle der Gesellschaft              nommen, sondern das Vorstands-
                                              erfolgt ein Handeln jedenfalls,         handeln war korrekt.
                                              wenn es der langfristigen Ertrags-
                                              stärkung und Wettbewerbsfähig-          Schon die erste Voraussetzung für
                                              keit des Unternehmens und seiner        eine Haftungsklage ist entfallen,
   . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    Produkte oder Dienstleistungen          und die Entscheidung des Vor-
   20 Regierungsentwurf S. 22, vgl. Fn. 2.    dienen soll.23                          standsmitgliedes wird vom Gericht
   21 Ebenda.                                                                         inhaltlich nicht geprüft, unabhän-
   22 Ebenda.                                 3. Auf Grundlage angemessener           gig davon, welche gravierenden
   23 Ebenda.
   24 Regierungsentwurf S. 24; vgl. Fn. 2.
                                              Informationen – In den Grenzen          Schäden die Fehlentscheidung
   25 Regierungsentwurf S. 23; vgl. Fn. 2.    seiner Sorgfaltspflichten wird dem      nach sich gezogen haben mag.
   26 Regierungsentwurf S. 22; vgl. Fn. 2.    Vorstand ein erheblicher Spielraum      Sind die Voraussetzungen nicht
   27 ARAG/Garmenbeck-Entscheidung, BGH       eingeräumt, den Informations-           erfüllt, ist die fragliche Entschei-
      NJW 1997, 1926, 1928.
   28 Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl.
                                              bedarf abzuwägen. Die Angemes-          dung des Vorstandsmitglieds noch
      2000, § 43 Rz.6; Scholz/Schneider,      senheit der Intensität der Informa-     nicht per se pflichtwidrig. Die Ent-
      GmbHG, 9. Aufl. 2000, § 43 Rz. 44-49.   tionsbeschaffung ist anhand des         scheidung des Vorstandsmitglieds
6 Gen Re
kann aber nun vom Gericht inhalt-       7 Die Business Judgment Rule in        Wettbewerb handelt, wie Spar-
lich überprüft werden.                  anderen Unternehmensrechts-            kassen oder die als Anstalten des
                                        formen                                 öffentlichen Rechts verselbststän-
5 Die Business Judgment Rule                                                   digten Universitätskliniken und
im Prozess                              Die Kodifizierung der Business         Studentenwerke, muss auch ihren
                                        Judgment Rule im Aktiengesetz          Geschäftsführern und Vorständen
Die Funktion der Business Judg-         ändert an der bisherigen Anwend-       das Privileg der Business Judgment
ment Rule im Prozess ist im             barkeit der Rechtsfigur auf Ge-        Rule mit gleichen Voraussetzungen
Zusammenspiel mit § 93 Abs.1,           schäftsleiter anderer Unterneh-        und Rechtsfolgen zugebilligt werden.
Satz 1 AktG, als dessen Tatbe-          mensrechtsformen nichts.
standseinschränkung sie formuliert                                             8 Haftungsrechtliche Folgen
ist, und mit § 93 Abs.2, Satz 2         7.1 KGaA
AktG, der die Beweislast zuun-                                                 Die Kodifizierung der Business
gunsten des Vorstandsmitglieds          Auf die KGaA ist die neue Rege-        Judgment Rule in § 93 Abs.1,
umkehrt, zu sehen.                      lung zu Vorstandsmitgliedern über      Satz 2 AktG führt zu mehr Rechts-
                                        den Verweis nach § 283 Nr. 3 AktG      sicherheit. Da die Regelung zuvor
Normalerweise muss im Prozess           anwendbar. Für persönlich haf-         bereits auf Grundlage richterrecht-
der Kläger die Tatbestandsmerk-         tende Gesellschafter einer KGaA        licher Ausgestaltung angewandt
male, die seine Ansprüche begrün-       gilt also das gleiche wir für Vor-     wurden, ist aber eine wesentliche
den sollen, darlegen und im             standsmitglieder einer AG.             Haftungsentlastung durch die
Bestreitensfall beweisen. Dann                                                 Kodifizierung selbst nicht zu
trüge die Gesellschaft gegenüber        7.2 GmbH                               erwarten.
dem Vorstandsmitglied im Fall
eines Haftungsprozesses die             Für die Haftung von Geschäfts-         Die haftungsrechtliche Folge ist im
Beweislast.                             führern einer GmbH wurde die           Zusammenhang mit der Neuge-
                                        Business Judgment Rule in              staltung der Haftungssituation
Diese Regelsituation ist zugunsten      Deutschland ursprünglich dog-          durch das UMAG insgesamt zu
der Gesellschaft durch die in           matisch entwickelt. Sie ist mit        sehen.
§ 93 Abs.2, Satz 2 AktG geregelte       gleichem Inhalt wie bei der AG
Beweislastumkehr bezogen auf            anerkannt.28                           Mit Schaffung eines Aktionärs-
die Frage, ob die Sorgfalt eines                                               forums durch § 127 a AktG zur
ordentlichen und gewissenhaften         7.3 Genossenschaft                     Verbesserung der Kommunika-
Geschäftsleiters angewandt wurde,                                              tionsmöglichkeit zwischen Aktio-
verändert. Der Geschäftsleiter          Die Business Judgment Rule wird        nären soll ein gemeinsames Vor-
müsste beweisen, dass er diese          auch bei der Genossenschaft            gehen von Aktionären ermöglicht
Sorgfalt angewandt hat.                 unverändert auf den Vorstand           und gefördert werden. Zugleich
                                        angewandt. § 34 GenG ist § 93          wurde mit § 148 AktG die Ver-
An dieser Stelle wirkt sich die Busi-   AktG weitestgehend nachgebildet.       schärfung des Verfolgungsrechts
ness Judgment Rule bzw. § 93            Dies gilt auch ohne eine Entspre-      von Aktionärsminderheiten vor-
Abs.1, Satz 2 AktG aus. Das Vor-        chung zum neuen Absatz 1 Satz 2.       genommen. Die Durchsetzungs-
standsmitglied muss nur bewei-                                                 möglichkeit von Klagen durch
sen, dass die oben genannten            7.4 Verein                             Aktionärsminderheiten wurde
Merkmale vorliegen. Sein Handeln                                               durch die Reduzierung der not-
war dann pflichtgemäß und wird          Die Anwendbarkeit der Business         wendigen Quoren verbessert.
keiner weiteren gerichtlichen Kon-      Judgment Rule auf die Vorstands-
trolle unterzogen.                      mitglieder eines Vereins muss          Die Rechtspraxis muss, insbeson-
                                        differenziert betrachtet werden.       dere bei der Auslegung der ver-
6 Erstreckung der Regelung auf          Handelt es sich um einen wirt-         schiedenen unbestimmten Rechts-
Aufsichtsratsmitglieder                 schaftlichen Verein nach § 22 BGB,     begriffe (§§ 93, 148 AktG) zeigen,
                                        was selten vorkommt, so besteht        ob eine Erweiterung der tatsäch-
Auch Aufsichtsratsmitglieder tref-      kein Zweifel an der Anwendbarkeit      lichen Haftpflichtfälle durch diese
fen unternehmerische Entschei-          der Business Judgment Rule. Auf        Stärkung der Aktionärsminderhei-
dungen. Über den Verweis von            den Idealverein nach § 21 BGB          tenrechte erfolgt oder ob die hin-
§ 116 AktG auf § 93 AktG kommt          wird die Business Judgment Rule        zugewonnene Rechtssicherheit
ihnen das Privileg der kodifizierten    allerdings nicht anwendbar sein.       durch die Kodifizierung der Busi-
Business Judgment Rule ebenfalls                                               ness Judgment Rule gar zu einer
zugute.                                 7.5 Öffentlich-rechtliche Unter-       Reduzierung führen kann.
                                        nehmensformen

                                        Sobald es sich bei öffentlich-recht-
                                        lichen Körperschaften und Anstal-
                                        ten um Wirtschaftsunternehmen
                                        im wirtschaftlichen Umfeld und
                                                                                                 PHi – November 2006 7
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Zitiervorschlag: PHi, Jahr, Seitenzahl

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