Hannelore Kraft: Zielstrebig, verlässlich und sehenden auges dem Leben begegnend

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Statt eines Vorworts

  Statt eines Vorworts – drei Reden nicht von, sondern zu Ehren von
   Christian Ude: gehalten von Hannelore Kraft und von Petra Roth
  anlässlich seines 65. Geburtstags im Oktober 2012, und von Jürgen
Habermas aus Anlass der Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises der
 Stadt München an den Philosophen und Soziologen im Januar 2013.

Hannelore Kraft: Zielstrebig, verlässlich
und sehenden Auges dem Leben begegnend

L    ieber Christian, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste von
     fern und nah, ich freue mich. Ich freue mich sehr, dass ich heute
Abend hier stehe und ebenfalls die Ehre habe, eine kleine Rede auf
einen politischen Weggefährten – aber viel wichtiger noch – auf einen
Freund zu halten.
   Sicher, das ist keine einfache Aufgabe, schließlich geht es hier um
einen Mann, der immer den passenden Spruch auf den Lippen hat, der
auf der politischen wie der kulturellen Bühne zu Hause ist. Den fast
alle amüsant, sympathisch und schlagfertig finden: Deutsche wie Chi-
nesen, Bayern wie Westfalen, Juristen, Marktfrauen, Sozis und auch so
mancher aus der CSU. Immer heißt es: unser Ude! Ein Unikat.
   Das macht einen schon ein wenig nervös, so eine ganz besonde-
re Rede. Neben all diesen besonderen Laudatoren. Aber dann dach-
te ich, dass ich im vergangenen Jahr direkt nach einer einstündigen
Rede von Helmut Schmidt sprechen musste, und irgendwie war ich
sofort wieder beruhigt. Denn heute und hier handelt es sich ja mit
400 Gästen eher um eine ganz kleine, private Feier unter Freunden.
Hier ist es nicht meine Aufgabe, die internationalen Gäste nament-
lich zu begrüßen oder die heutigen Geburtstagskinder aufzulisten.
Heute gehe ich nicht die Gefahr ein, einen internationalen Gast zu
vergessen. Nein: Heute gibt es nur EINEN Ehrengast. Dich, lieber
Christian Ude!

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Nun ist es meine Aufgabe im Rahmen dieser kleinen intimen Feier,
ein wenig von Dir zu verraten. Über den Mann zu berichten, der genau
heute vor 65 Jahren geboren wurde. Übrigens genau am gleichen Tag
wie Hillary Clinton – 26. Oktober 1947. Nur knapp Stephan Remmler
verpasst, der hatte gestern. Ich vermute fast, der wäre Dir lieber ge-
wesen. So oder so, hier sieht man doch deutlich, dass die 1940er-Jahre
viele „Gute“ hervorgebracht haben. Frauen wie Männer, mit viel Spaß,
Witz, Leidenschaft und einem großen Interesse daran, die Welt zu be-
wegen. Sei es die große Welt oder die Welt vor Ort im Kleinen. Und
Du, lieber Ude, möchtest sie alle bewegen!
   Zum einen die Münchner Welt: Du bist hier geboren und hier auf-
gewachsen. Klassensprecher, Schulsprecher, Volontär, Journalist, Pres-
sesprecher. Hast hier Jura studiert. Auch mal Soziologie – aber nicht
zu lang. Und dann ging es los mit der Politik, die nicht immer einfach
ist. Das kann ich bestätigen, aber sie gibt Dir viel, weil Du Dich für
eine gerechtere Welt einsetzt und vor allem für die Menschen, die hier
leben – all ihre Geschichten sind Dein Motor. Seit fast zwanzig Jahren
begleiten sie Dich in Deinem Amt als Oberbürgermeister – aber auch
schon vorher. Du hast für viele von Ihnen gekämpft und so einige Sie-
ge eingefahren – nicht nur gegen Immobilienhaie – aber auch manche
Schlappe einstecken müssen.
   Mit viel Ironie verarbeitest Du Deine Begegnungen gern auf der
Bühne – ganz ehrlich – vermutlich spart das den Weg zum Psycho-
therapeuten – vielleicht werde ich das auch mal in Angriff nehmen.
Und dann hoffe ich auf Deinen kabarettistischen Rat, lieber Ude, denn
Dein Humor ist von meinem nicht weit entfernt. In Dir fließt doch
sogar nordrhein-westfälisches Blut. Dein Vater ist in Düsseldorf gebo-
ren, und Teile Deiner Familie leben noch immer in NRW. Wir ticken
oft gleich, das hat uns privat und beruflich immer nah zueinander ge-
bracht. Vielleicht ist es die Tatsache, dass wir nicht alles im Leben so
bitterernst nehmen. Aber bleiben wir „nah“, und da werden Freunde,
Familie und politische Gefährten wie Kontrahenten eingestehen: Die
Münchner Welt wäre ohne Dich eine andere.
   Viermal im Amt bestätigt und hast von Wahl zu Wahl mehr von Dei-
ner Arbeit überzeugt und ein immer besseres Wahlergebnis erzielt. Das

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hat viel mit Deiner Persönlichkeit zu tun. Zielstrebig, verlässlich und
sehenden Auges dem Leben begegnend. Sicherlich kennt keiner von
uns seinen Weg bereits in den Kinderschuhen, aber Du hast zumindest
Teile davon auch schon früh vor Deinem geistigen Auge gehabt: Mit
zehn war Dir beim Anblick des damaligen OBs von München, Tho-
mas Wimmers, klar, dass Du auch über Theater, Krankenhäuser, Spiel-
und Sportplätze entscheiden willst. Wörtlich: „Einen interessanteren
Job kann es gar nicht geben.“ Für einen Zehnjährigen nicht schlecht –
mehrheitlich sind da eigentlich Feuerwehrmann oder Fußballprofi vor-
ne. Aber bei Dir war es Liebe auf den ersten Blick und diese Beziehung
währt nun schon zwei Jahrzehnte. Deswegen hatte Dein Rektor auf
der Bayernschule auch unrecht, als er damals sagte: „Ude, werd‘ doch
Oberbürgermeister, da musst‘ anzapfen können, sonst nix!“ Sicher, das
kannst Du wie kein anderer, aber Du kannst noch vieles mehr. Viele
haben das erkannt, und einige sprechen sogar von der „Ära Ude“.
    Recht haben sie: München ist heute wirtschaftspolitisch weit vorne,
aber nicht nur! Dank Dir ist München auch sozial, sehr ökologisch und
besticht mit einem außergewöhnlich guten Klima, welches Du politisch
mitgestaltet hast, u. a. auch durch eine bessere Integration und die An-
erkennung andere Lebens- und Partnerschaftsformen. Wie gesagt, nicht
jeder Kampf wurde gewonnen, aber vieles hast Du zum Guten gewendet.
Für die Menschen dieser Stadt, aber eben auch für die Menschen in ganz
Deutschland mit Deiner Arbeit als Präsident des Deutschen Städtetages.
Wir beide wissen, dass genau diese Arbeit vor Ort mit den Kommunen
wichtig ist und auch der umgekehrte Weg, die Einschätzungen und Mit-
arbeit der Kommunen in Belangen des Bundes, der Faktor zum Erfolg
ist. Vor allem der Mensch vor Ort sieht, was Politik kann und schafft –
und was nicht. Die große Welt funktioniert nicht ohne die kleine.
   Und Du bist eben nicht nur in München unterwegs. Seit vielen Wo-
chen und Monaten auch im ganzen Bundesland. Du hast eine neue
Liebe vor Augen und ich freue mich, dass wir Dich alle auf diesem
Weg der nun vor Dir liegt, unterstützen können. Ja, heute gilt es zu
feiern. Aufregende Zeiten liegen hinter Dir. Heute gilt es, an die schö-
nen Dinge zu denken. Deshalb will ich auch gerade jetzt an einem
solchen Abend sagen: Wir alle freuen uns über Deine Kandidatur für

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das Ministerpräsidentenamt! Die kommenden Wochen werden wir
an Deiner Seite stehen und all das, was wir beruflich und privat von
Dir bekommen haben, mit jeder Münze gern und aus ganzem Herzen
zurückzahlen. Denn Dir wird es gelingen – so wie es Dir in München
gelungen ist – Bayern gerechter, lebens- und vor allem noch liebens-
werter zu machen. Da bin ich mir sicher. Ich freue mich auf diesen
Wahlkampf, aber vor allem freue ich mich, dass wir bald auch auf Bun-
desebene noch enger zusammenarbeiten werden. Berlin ist eine Kä-
seglocke, da laufen die Uhren anders – nicht immer macht das unser
Geschäft einfach, und Bauchschmerzen vor Lachen hat man selten.
   Deshalb bin ich hier knallharte Egoistin. Ich kann Dich in Berlin ein-
fach unglaublich gut an meiner Seite gebrauchen – nicht nur, weil dann
die Bundesratssitzungen kurzweiliger werden. Mich durchdringt dann
auch ein wenig die Vorfreude auf ein neues Buch oder ein neues Stück
von Dir. Wenn es 1993 schon deine verfrühten Memoiren gab, vielleicht
gibt es dann bald schon „Udes Memoiren 2. – Über das wundervolle Le-
ben als Ministerpräsident und Bundesratsausflüge nach Berlin“, oder viel-
leicht nennst Du es auch einfach „Ein Pinselohrschwein und andere gro-
ße Tiere. Band 2“, nach Deinem Sammelband von Geschichten aus der
Politik, 2011 erschienen. Darüber, wer das Pinselohrschwein in Berlin ist,
müssen wir uns allerdings nachher noch unter vier Augen unterhalten.
   Ja, Tiere spielen in Deinem Leben eine wichtige Rolle. Nicht nur
Pinselohrschweine, auch Deine Katzen, Dein Drahtesel und Deine
Münchner Löwen. Doch bevor ich noch ganz kurz auf diese weitere
bedingungslose Fußballliebe von Dir eingehe, muss ich sagen, dass ich
gestern kurz schmunzeln musste, als ich mir noch einmal all Deine
Ehrentitel, Ämter und Auszeichnungen vor Augen führte. Was gab es
da alles: Löwenpfote (Großstadtpreis München) – Sozialistenhut (SPD
Bayern) – Ehrenbürger von Pülümür (Ostanatolien) – Ehrenbürger
Mykonos – Großoffizier des Verdienstordens der Italienischen Repu-
blik – Professor der Tongji-Universität in Shanghai – Bayerisches Ver-
dienstkreuz – Bundesverdienstkreuz und, und, und …
   Ich bin mir sicher, Professor in Tongji bist Du nicht nur, weil der
Jahrgang 1947 das Chinesische Tierkreiszeichen Schwein trägt und
dieses laut deren Interpretation „der Inbegriff der Aufrichtigkeit,

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Reinheit, Toleranz und Ehre ist. Stets offen für ein freundliches und
ehrliches Gespräch.“ Dort gilt: „Wenn Du einem Schwein zum ersten
Mal begegnest, wird es Dir unwirklich perfekt erscheinen. Vertraue
ihm, und es wird Dich nie enttäuschen, wohin Du auch gehst.“ Na ja –
vermutlich hat es doch ein wenig damit zu tun, ich kann es eigentlich
nur bestätigen: Denn ich bin auch Schwein.
   In Ernst, alle diese schönen, wichtigen und verdienten Auszeichnun-
gen und Würdigungen spiegeln Deine Persönlichkeit in bestem Maße
wieder. Besser hätte ich es nicht erklären und Du selbst es nicht schrei-
ben können. Du lässt Dich nicht auf eines beschränken. Du siehst über
den Tellerrand hinaus: Engagiert, leidenschaftlich, gewissenhaft, op-
timistisch und kämpferisch. All das macht Dich aus! Und das haben
wir alle längst erkannt. Ich danke Dir für die schönen gemeinsamen
Parteitage, Volksfeste und Diskussionsabende. Heute wird ein weiterer
schöner Abend hinzukommen, und bevor ich das Glas noch einmal auf
Dich erhebe, möchte ich mit den Worten Deiner Münchner Löwen
enden. Diese Liebe währt ein Leben lang, und ich als Gladbach-Fan
weiß aus eigener Erfahrung nur zu genau, gerade diese Liaison verläuft
nicht ohne Tiefen: Manchmal verliert man und manchmal gewinnen
die anderen. Aber eines ist auch hier gewiss: Man hält zusammen. Es
heißt nicht ohne Grund in Eurem Lied:
   So viel hat sich verändert und nichts ist, wie’s mal war.
   gestern noch Mode, schon morgen nicht mehr da,
   die Zeiten werden schneller, verändern ihr Gesicht, vieles
   ist vergänglich, doch eins das ändert sich nicht!
   Einmal Löwe! Immer Löwe, treue für ein Leben lang.
   Einmal Löwe! Immer Löwe, alle ziehn an einem Strang!
   (Vereinslied TSV 1860 München)
   Heute anders gesagt:
   Einmal Ude! Immer Ude, Treue für ein Leben lang.
   Einmal Ude! Immer Ude – alle zieh’n an einem Strang!
   Auf Dich! Glück auf!

                             Hannelore Kraft ist Ministerpräsidentin des Landes
            Nordrhein-Westfalen und stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD.

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Statt eines Vorworts

Petra Roth: Ich bin aus Deinem Rathaus
nie ohne Rat raus

D     er Applaus gebührt dem Geburtstagskind, denn er hat mich ein-
      geladen, die Laudatio auf ihn zu halten. Also vielen Dank für den
Applaus, lieber Christian! Herzlichen Glückwunsch! Das war noch ein-
mal der Applaus Deiner Gäste!
   Sehr verehrte Damen und Herren, Mitglieder der Staatsregierung,
des Stadtrates, Frau Bürgermeisterin und sehr verehrte, liebe Edith!
Eine Laudatio auf Christian Ude zum Geburtstag zu halten – nichts
einfacher als das! So lange, wie wir uns kennen, so gut, wie wir uns
kennen, so sehe ich das auch mit den Gedanken und Formulierungen
meines Landsmannes als Frankfurterin, mit Goethe: „Ich salutiere
dem gelehrten Herrn, Ihr habt mich reichlich schwitzen machen!“
So, meine Damen und Herren, äußert sich nämlich Mephisto im
Faust, und Sie merken, so einfach ist das nun überhaupt nicht – selbst
wenn Mephisto ins Schwitzen kommt –, über Christian Ude etwas
zu sagen.
   Ich habe mir überlegt: Soll ich nun etwas zu Christian Ude sa-
gen? Unzählige Male haben wir uns mit Edith in Deinem Haus und
in Lokalen getroffen, über Berufliches und Privates geschwätzt, uns
ausgetauscht, meine Damen und Herren, und nicht nur Politisches,
auch familiäre Themen standen auf der Agenda. Viel Persönliches
kam dann auch zwischen uns Dreien – und manchmal spät nachts bei
Sitzungen des Städtetages zu zweit – zur Sprache. Weil Du, lieber
Christian, die Gabe besitzt, die Dinge klar zu sehen, auf den Punkt
zu bringen und als Kommunalpolitiker immer lebensnah geblieben
bist, bin ich aus Deinem Rathaus nie ohne Rat raus! Dafür, lieber
Christian, habe ich mich als Deine Kollegin ganz bewusst heute
schwarz-rot angezogen. Ich wusste nicht, dass Frau Bürgermeisterin
heute die gleichen Farben trägt. Das zeigt eine Nähe zu den großen

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demokratischen Parteien, zum bürgerschaftlichen Engagement, aber,
 lieber Christian, für diesen Rat, der in einem Rathaus von Dir nie
 ausgeht, herzlichen Dank!
    Dann habe ich mir überlegt: Vielleicht ist dann doch eine Rede für
 Christian Ude angebracht – bei der großen, hohen Kompetenz, die Du
 besitzt. Eine Laudatio, Frau Bürgermeisterin, Sie haben es eben selbst
 gesagt, haben Sie mir auferlegt. Laudatio heißt loben, und den Jubilar
 zu loben, heißt zu jubilieren. Für mich als Oberbürgermeisterin a. D.
 spielt das jetzt keine Rolle, aber als CDU-Frau, meine Damen und
 Herren, muss ich Ihnen jetzt sagen, ist da Vorsicht angesagt.
    Denn, Christian, Du hast Dich entschlossen, nach dem Ende Deiner
 letzten Amtszeit nicht an der Isar oder auf einer dieser wunderschönen
 griechischen Inseln – Du hast mich eingeladen, aber ich habe sie nie
 kennengelernt – Entchen oder weiteres Getier zu züchten oder gar zu
 füttern, sondern Du hast Dich entschieden, noch einmal Anlauf auf ein
 anderes Amt zu nehmen. Es ist nun in ganz Deutschland bekannt, dass
 jeder Inhaber dieses Amtes, das Du anstrebst, mit schöner Regelmäßig-
 keit sagt, es ist das schönste der Welt. Vielleicht kommt die Motivation
 daher. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich muss jetzt auf-
 passen, dass ich nicht zu viel des Lobes spende, sonst laufe ich Gefahr
– der Fraktionsvorsitzende der CSU im Stadtrat ist ja da –, dass meine
 christsozialen Unions-Freunde mich demnächst beim Überqueren der
 südlichen Landesgrenze den bayerischen Löwen zum Fraß vorwerfen.
 Dabei bin ich doch noch ausersehen, eventuell den hessischen Löwen
 domptieren zu können. Also Vorsicht!
    Dann habe ich mir überlegt: Es ist vielleicht besser, eine Rede gegen
 Christian Ude zu halten, eine Gegenrede. Wenn man aus Frankfurt
 kommt, wo der Diskurs und die Frankfurter Schule zu Hause sind und
 weltweit einen hohen Ruf genießen, freue ich mich ganz besonders,
 dass mir aus meinem Amt in Frankfurt heraus zwei Intellektuelle zu
 Freunden geworden sind: Frau Rachel Salamander und Herr Beck vom
 Beck-Verlag. Wenn man mit dem kritischen Geist in Frankfurt auf-
 gezogen wurde und Politik lernte, dann darf man schon sagen, dass
 vielleicht auch eine Rede gegen den Oberbürgermeister der Stadt
 München eine Laudatio sein kann.

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Aber das geht nun überhaupt nicht, und ich will Ihnen auch sagen,
warum. Es sind heute sehr viele Kollegen aus dem Präsidium des Deut-
schen Städtetages und auch Hauptgeschäftsführer da. Auf der Haupt-
versammlung vor drei Jahren hörten wir, die Delegierten: Gut 15 Jahre
lang hat uns der Zeitgeist auf die Anklagebank gesetzt, weil wir an-
geblich altmodisch und rückständig seien mit unseren schwerfälligen
Verwaltungen und unseren langwierigen Verfahren, unseren eigenbröt-
lerischen Betrieben, unseren altmodischen Wohnungsbeständen und
provinziellen Sparkassen. Ein neues Zeitalter wurde verkündet, das
durch „Privat vor Staat“ und weniger Stadt gekennzeichnet sei. Nicht
nur Wirtschaftsvertreter und Parlamentarier, Wirtschaftsprofessoren
und angeblich dem Gemeinwohl verpflichtete Stiftungen forderten
von uns, die Stadt zu verschlanken, obwohl gleichzeitig nach mehr
Kinderbetreuung, längeren Öffnungszeiten, mehr Sicherheits- und
Reinigungskräften gerufen wurde. Wir sollten Betriebe veräußern, weil
Private angeblich alles besser können als die Politik, und Wohnungen
verkaufen, weil sich mit dem Erlös dieser Verkäufe trefflich Schulden
reduzieren lassen.
   Meine Damen und Herren, wer von Ihnen kann auf Anhieb sagen,
wer das war? Präsident, Vizepräsident, Christian, Petra? Niemand von
Ihnen kann das. Das ist auch kein Wunder. Es war zwar in der Tat Chri-
stian, der dieses gesagt hat, aber es hätte genauso gut Petra sein können.
Christian, als Repräsentanten der deutschen Städte haben wir in vielen
großen politischen Auseinandersetzung für unsere, für alle deutschen
Städte manchen Strauß ausgefochten: mal gegen die Landesfürsten im
Bundesrat, noch häufiger gegen Berlin – von denen ist keiner da, glau-
be ich –, und noch immer mussten wir mehr und mehr die Attacken aus
Brüssel abweisen.
   Der Christian und ich, die wir ja von dem Autor Deiner neuen Bio-
grafie als das Traumpaar der deutschen Kommunalpolitik apostrophiert
wurden, sind über manches Detail gelegentlich unterschiedlicher Mei-
nung gewesen. Aber eines hat uns nie getrennt, sondern vereint: das
Ziel. Zwar ging es vordergründig immer um das liebe Geld, woher es
kommen und wer darüber verfügen soll. Tatsächlich aber stand da-
hinter die Frage nach der Unabhängigkeit unserer Städte, nach der

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Gebietskörperschaft, die uns Heimat ist, die wir repräsentieren, für die
 wir Entscheidungen treffen –und damit für Sie: für die Bürgerschaft –
 nach dem Subsidiaritätsprinzip, um die staatlichen Aufgaben so nahe
 wie möglich bei den Menschen erledigen zu lassen, weil sie hier im Rat-
 haus am lebensnächsten und am pragmatischsten angegangen werden.
    Dann, meine Damen und Herren, war es Christian und mir egal,
 ob SPD, CDU, Grüne, Ungebundene oder Freie, dann sind wir an
 erster Stelle Oberbürgermeister und nicht parteigebunden für die, die
 uns steuern wollen. Die Begründung ist ganz einfach: Ich darf das mit
 einem Dank an Sie, meine Damen und Herren, die Sie hier stehen,
 zurückgeben. Gerade weil unsere Ämter, die wir innehaben, nicht aus
 Parlamenten, Koalitionen oder Parteivorständen abgeleitet sind, son-
 dern weil wir sie Ihnen, den Bürgern jeweils Ihrer Städte, zu verdan-
 ken haben. So kann man es sich dann auch leisten, lieber Christian,
 unbequem zu sein. Direkt gewählt zu sein, meine Damen und Herren
– und das nicht nur einmal –, verleiht ein Maß an Unabhängigkeit und
 Selbstbewusstsein, von dem Minister, ja selbst Ministerpräsidenten und
 Kanzler oft nur träumen können.
    Es bleibt also nur noch eine Rede über Christian Ude. Auch da
 hilft mir Goethe mit seinen Wahlverwandtschaften, und da wir ja in
Wahlverwandtschaften ähnliche Talente unser eigen nennen, möchte
 ich sagen, dass diese Form der Rede, lieber Christian, die schwierigste
Aufgabe ist. Wer könnte schließlich besser über Politiker reden, als wir
 Politiker selbst, und da ist Christian Ude eine übermächtige Konkur-
 renz. Er hat nicht nur etliche Sachbücher verfasst, sondern er ist ein
 begnadeter Satiriker. Ein Satiriker, der sich nicht nur über andere, son-
 dern vor allem über sich in seinem Amt lustig gemacht hat.
    Ich darf Dich jetzt zitieren: „Politiker wollen, so vermutet das ge-
 meine Volk“ – Das sind Sie! – „in seinem Argwohn immer nur das eine,
 ihre Wiederwahl. Wie kann man nur so selbstsüchtig sein! Das Volk
 selbst zum Glück ist völlig anders. Arbeitnehmer warten in aller Regel
 voll freudiger Ungeduld auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes, Beamte
 träumen gar ganztägig von befristeten Jobs, die sie bald an den Nagel
 hängen können. Ärzte, Anwälte, Architekten machen mit bewunderns-
 werter Noblesse einen großen Bogen um jeden potenziellen Patienten,

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Mandanten oder Bauherren. Nur Politiker, Politiker hängen an ihrem
Beruf. Nein, das ist doch einfach degoutant.“
   Es ist schon eine satirische Ader, die Du besitzt, und ich habe von
Dir, lieber Christian, gelernt, dass es kein schlechtes Rüstzeug für einen
Politiker ist, aber auch das sage ich aus eigener Erfahrung: Es gehört
durchaus auch Mut zur satirischen Reflexion, gerade in der Politik, weil
Gegner und Medien in jede Lücke im Panzer vorgeblicher Unfehlbar-
keit gnadenlos hineinstoßen. Weil sich der Wähler nicht gerne die Le-
viten lesen lässt und wir womöglich die Abstrafung an der Urne als Lie-
besentzug zur Kenntnis nehmen müssen. Ich als Oberbürgermeisterin
vergangener Jahre und Jahrzehnte wäre diesbezüglich im preußisch-
korrekten Frankfurt arm dran. Dergleichen habe ich mir auch nie
leisten können. Deine Münchner, lieber Christian, haben Dir das
indes nicht nur durchgehen lassen, nein, in der Stadt Karl Valentins
und Gerhard Polts liebt man Dich dafür, und es gehört wohl auch zur
bayerischen, ja namentlich Münchner Liberalität, es auch auszuhalten.
Warum man wie Du alle Jahre auf dem Nockherberg selbst ins Fa-
denkreuz der Spötter gerät. Und wenn Du erst einmal selbst mit den
vermeintlichen Gegnern gelacht hast, gerade über Dich selbst, dann
fällt die Zusammenarbeit hinterher umso leichter. Diese Fähigkeit,
auch einmal neben sich selbst zu stehen, sich selbst aus der Distanz
zu betrachten und hin und wieder auch die eigene Unzulänglichkeit,
die wir natürlich auch haben, wahrzunehmen, das macht den Politiker,
Kollegen und Freund Christian Ude zu dem, was er ist.
   Der Karl Marx, der nicht hier ist – der Weihbischof ist da, aber den
meine ich nicht –, der andere Karl Marx aus Trier hat gesagt, das Sein
ist das Bewusstsein, prägt das Bewusstsein, und deshalb, Christian, bist
Du ein sympathischer Mensch, den wir gern haben. So soll es blei-
ben, besonders in diesem neuen Lebensjahr, und wir wünschen Dir von
Herzen alle Kraft, um Dein Ziel zu erreichen, und ein Glückauf für die
weiteren vielen, vielen Lebensjahre, die folgen werden. Ich danke Dir.

                  Petra Roth, CDU, war von 1995 bis 2012 Oberbürgermeisterin
          von Frankfurt a. M. und mehrmals Präsidentin des Deutschen Städtetags.

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Statt eines Vorworts

Jürgen Habermas: Aus der nahen Entfernung

S    ehr verehrter, lieber Herr Ude, ich habe Sie während der beiden
     Jahrzehnte Ihrer Amtszeit aus öffentlichen kulturellen Anlässen oft
und mit zunehmender Bewunderung sprechen hören. Denn mit jedem
Mal wuchs auch meine Verwunderung darüber, dass es Ihnen gelingt,
bei jeder nächsten Gelegenheit wiederum Neues und Eigenes zu sagen.
Diese Reden zehren offensichtlich von der Energiequelle einer nicht
erlahmenden Neugier und der Fähigkeit, sich auf andere Personen
einzulassen.
   Da ich heute selber zum Objekt einer solchen Übung avanciert bin,
kann ich aus der Perspektive eines Betroffenen diese Qualität eines
Oberbürgermeisters, der keine Abnutzungseffekte zeigt, zuverlässig
beurteilen. Freilich haben Sie auch ein Amt inne, das letzte politische
Amt von barocker Fülle, das Ihnen, wenn ich mich im Kanzlerkandida-
tendeutsch ausdrücken darf, die nötige Beinfreiheit gewährt. Die Re-
gierung einer so strahlenden Kommune wie München kann ja, wenn
sie in den richtigen Händen liegt, fast noch im republikanisch-altrömi-
schen Geist ausgeübt werden. Umso mehr bedaure ich natürlich Herrn
Udes absehbaren Abstieg in eine schmächtige Staatskanzlei.

                     Jürgen Habermas ist einer der einflussreichsten Philosophen
                      und Soziologen der Gegenwart. Er ist u.a. Mitherausgeber
                           der „Blätter für deutsche und internationale Politik“.

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