HÖR- UND LESE-ECKE IM DIGITALEN EPFI - EPPINGER FIGURENTHEATER
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Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Fünfzig Ciao. Ja mach ich. Dir auch. Ja, ja, sag ich ihm. Also dann. Ciao. Ja. Ciao. Susanne drückt auf die rote Hörertaste am Mobilteil ihres drahtlosen Festnetztelefons und stellt das Telefon zurück in die Ladestation auf der Küchenfensterbank. Sie atmet tief durch die Nase ein und stößt die Luft in einem langgezogenen Stöhnen wieder zurück in die nach Kaffee duftende Küche. Sie greift beherzt zu ihrer Kaffeetasse und trinkt den lauwarmen Rest auf ex aus. Dann öffnet sie den Kühlschrank, wo sie auf Anhieb eine halbleere Flasche Prosecco von gestern Abend findet. Oder ist sie halbvoll? Egal – sie nimmt ein Sektglas aus der Glasvitrine und schenkt sich ein Glas ein. Es ist kurz vor zwölf Uhr mittags. Sie geht mit dem Glas in den Flur, bleibt vor dem Spiegel stehen, prostet sich selbst zu und beginnt ein Selbstgespräch, im Verlauf dessen sie das Glas leert. Woher soll ich wissen, ob ich meinen Geburtstag feiern will oder nicht? Kann doch sein, dass mir am Tag selbst gar nicht danach ist. Aber plötzlich tun alle so, als müsste ich mich festlegen, am besten vorgestern, damit sie sich darauf einstellen können. Reisen drumherum planen, Resturlaub nehmen, günstige Fahrkarten mit Frühbucherrabatt ergattern, neue Klamotten kaufen, je nach Location eher schick oder lässig – deshalb will man es ja bald schriftlich - Frisörtermine ausmachen, Geschenke überlegen, Reden vorbereiten – ja was denkst du denn - und was weiß ich noch alles. Hilfe! Ist doch mein Geburtstag, oder nicht? Meine Schwiegermutter ist die Schlimmste. Selbst zieht sie jedes Jahr das Gleiche ab, Familientreffen in ihrem Garten, Kuchen darf man selbst mitbringen, ich weiß ja nicht, worauf ihr allergisch seid, danach wird gegrillt, was die Fleischtheke im Supermarkt hergibt, Schätzchen, und was isst du, bei lauwarmem Bier und halbtrockenem Sekt spielen Unverträglichkeiten plötzlich keine Rolle mehr, man sitzt stundenlang rum und futtert, was das Zeug hält, während man über Wehwehchen und Diäten plaudert. Jetzt will sie, dass ich meinen Geburtstag feiere! Wieso? Hat sie einen neuen Partner, den sie in einem geeigneten Rahmen präsentieren will, oder ein neues Kleid? Oder könnte es sein, dass Stefan dahintersteckt? Das wäre ihm zuzutrauen, hetzt seine hysterische Mutter auf mich, beschäftigt sie mit einem ergiebigen Thema, Susannes 50. Geburtstag. Auf die Art kann man sich ein paar Wochen lang Fragen über das eigene leidige Befinden, die stagnierende Karriere, die angeschlagene Gesundheit vom Hals halten. Besten Dank! So wie sie ihre Geburtstage feiert, will ich es jedenfalls auf keinen Fall. Bloß nicht nur Familie, das ist geballter Wahnsinn. Was ist denn das da für eine tiefe Rille in meinem Kinn? Ist ja furchtbar. Die war doch gestern noch nicht da! Und in den Augenfalten staut sich zerlaufenes Mascara. Boah, sieht das scheiße aus. Am liebsten möchte ich einfach 49 bleiben, nur noch ein bisschen, nur, solange es noch glaubwürdig ist. Fünfzig. Das klingt so, als hätte es gar nichts mit mir zu tun. Und jetzt wollen plötzlich alle mit mir darüber reden. Hast du schon eine Whatsapp-Gruppe „Mein 50.“ erstellt? Sehe ich so aus? Es könnte auch Gehässigkeit sein. Siehe da, auch unsere liebe Susanne wird alt! Obwohl sie oberflächlich noch ganz gut aussieht, aber wenn man genauer hinschaut...tja, bleibt eben keiner verschont, so ist das Leben. Prost! Ich will nicht! www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Es klingelt an der Haustür. Susanne öffnet in der Annahme, Amazon übertreffe sich mal wieder selbst und liefere das vegetarische Kochbuch, das sie heute Morgen bestellt hat, um einen weiteren Versuch zu starten, Stefan von den Vorzügen einer vegetarischen Ernährung zu überzeugen. Aber es ist gar nicht der abgehetzte Paketbote, der vor ihr steht, sondern eine attraktive, elegant gekleidete, mittelalte Frau, die lauter als nötig „Guten Tag“ sagt und ihr dynamisch die rechte Hand entgegenstreckt. Ohne nachzudenken schüttelt Susanne die fremde Hand und erwidert den Gruß. Susanne Guten Tag. Verzeihung, äh, kennen wir uns? FF Noch nicht, aber deshalb bin ich ja hier. Susanne Haben Sie einen Termin? FF Ich denke schon, ja. Susanne Seltsam, ich war mir sicher, dass ich heute keine Stunden habe, aber das kriegen wir hin. Klar. Wie war ihr Name? FF Fünfzig. Sabine Fünfzig. Klingelt eine Glocke? Susanne Nein, wirklich nicht, aber FF Sollte aber. Es ist nämlich höchste Zeit, dass wir uns kennenlernen. Susanne Ja, schön, ich versuche gerne, Ihnen zu helfen. FF Ich bin nicht hier, damit Sie mir helfen. Susanne Ah. Damit wir gemeinsam daran arbeiten, ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden - FF Ich brauche kein Yoga. Mir geht es gut. Sie haben das Problem. Okay? Susanne Ich habe – also hören Sie mal. Wenn Sie meine Dienste nicht in Anspruch nehmen möchten, dann gehen Sie bitte wieder, ich habe heute eigentlich frei. FF Hast du nicht. Du denkst über deinen Geburtstag nach. Du wirst so bald kein frei mehr haben, denn der 50. hält dich in Atem, glaub mir, ob du ihn nun verdrängst oder dich endlich damit auseinandersetzt, macht keinen Unterschied. Niemand kann so mir nichts dir nichts 50 werden, als sei das ein ganz normaler Geburtstag. Das geht nicht, kapiert? Ich stelle dir jetzt ein paar Fragen. Versuche, ehrlich darauf zu antworten. Die Antworten werden in keiner Weise dokumentiert oder als persönliche Daten gespeichert. Sie dienen allein einer Bestandsaufnahme. Soweit klar? www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Susanne Ich denke schon, ja. FF Gut. Dann würde ich gerne reinkommen und mich mit dir an den Küchentisch setzen. Susanne Auch gut. Susanne geht gefolgt von Frau Fünfzig etwas mechanisch in die Küche, überschaut mit einem prüfenden Blick das Chaos aus Zeitungen und Frühstücksresten auf dem alten Holztisch, um dann unverzüglich zu beschließen, alles so zu lassen und der fremden Frau mit einem lässigen Blick zu signalisieren, wo sie sich hinsetzen soll. Susanne selbst hockt sich mit angezogenen Beinen auf die Küchenbank. Erst jetzt bemerkt sie, dass sie noch immer das leere Sektglas in der Hand hat. Susanne Möchten Sie auch einen? Frau Fünfzig Trinkst du regelmäßig Alkohol? Susanne Nein. Obwohl. Ja, schon. Aber nicht immer um diese Zeit. Frau Fünfzig Und was bringt dir das? Susanne Ist das jetzt schon das Interview? Mein Gott, sind Sie tough. Frau Fünfzig Ich muss. Anders geht es nicht. Also, was bringt dir der Alkohol? Susanne So ein Prosecco schmeckt einfach gut, finde ich, das ist Genuss. Frau Fünfzig Und warum stürzt du dann ein ganzes Glas hinunter, nachdem du mit deiner Schwiegermutter telefoniert hast? Susanne Ach das eben? Das war mal nötig. Frau Fünfzig Wieso? Hast du ein Problem mit deiner Schwiegermutter? Susanne Nein, nein. Frau Fünfzig Ehrlich antworten, bitte. Susanne Okay, also sie mischt sich in mein Leben ein. FF Sie möchte vielleicht nur Anteil nehmen. Susanne Vielleicht möchte sie mir aber auch eins auswischen! Das ist mein Geburtstag. www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi FF Es geht also um einen Geburtstag. Susanne Ja, natürlich, und zwar nicht um ihren, sondern um meinen und wie ich ihn zu feiern gedenke. FF Um den wievielten handelt es sich? Susanne Das wissen Sie doch ganz genau. FF Aber ich möchte es von dir hören. Susanne Fünfzig. Ich werde fünfzig, kapiert? FF Ich höre da einen aggressiven Unterton in Verbindung mit der Zahl. Susanne Quatsch! FF Darauf kommen wir später zurück. Ich möchte noch mal auf die Schwiegermutter zu sprechen kommen. Was ist verkehrt daran, wenn sie als dir nahestehender Mensch das Bedürfnis hat, mit dir zu feiern? Susanne Ich bin mir eben nicht sicher, ob sie wirklich aus Empathie und Verbundenheit mit mir feiern möchte, so eng ist unser Verhältnis schließlich nicht, oder ob es ihr nicht Spaß macht, mich mit ihren dauernden Anrufen darauf hinzuweisen, dass ich erstens bald ziemlich alt werde und zweitens trotz meines Alters immer noch keine Ahnung habe, wie man sich gesellschaftlich korrekt verhält. Sie sucht nach Fehlern bei mir, weil es ihr eine Genugtuung bereitet, an meinem Lack zu kratzen. Ich habe ihr ihren einzigen Sohn weggenommen, den sie vergöttert und total verzogen hat. Ich habe ihn angeblich mit meiner Carpe-diem-Lebensphilosophie verseucht und einen Waschlappen aus ihm gemacht. Dabei hat sie ihm doch als Erste immer alles durchgehen lassen. Ist doch nicht meine Schuld, dass er beruflich keinen Ehrgeiz hat und sich auch sonst ganz schön gehen lässt! FF Wie lange möchtest du diese schwelenden Konflikte noch in Prosecco allein am Küchentisch ersäufen? Susanne Was soll denn das? Mir geht es gut. Ich bin ein ausgeglichener, zufriedener Mensch und weiß, was ich im Leben bisher erreicht habe. FF Und wie würdest du das in drei Sätzen zusammenfassen? www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Susanne Hmm. Ich lebe in einem schönen Haus, gemeinsam mit einem Mann - (Sie macht eine kurze Pause) den ich liebe. Erster Satz. Ich habe einen Beruf, der mich ausfüllt und mir Spaß macht, also meistens. Zweiter Satz. Ich habe zwei Töchter großgezogen, von denen eine schon studiert und die andere noch zur Schule geht, also jedenfalls glaube ich, dass sie dahingeht. Dritter Satz. Ja, ich denke, das ist es. FF Gut. Wann hast du das letzte Mal gelacht? Susanne Mal überlegen. Letzte Woche, glaube ich, da hat es hier in der Küche irgendwo geklingelt, so ein ganz normaler Klingelton, und da habe ich das Telefon abgenommen, also das Festnetz, aber da war keiner dran und das Klingeln hat nicht aufgehört. Dann habe ich den Küchenwecker ausgemacht, der gerade für die Spaghetti gestellt war, aber der war's auch nicht und dann fiel mir ein, wie ich mit Stefan am Abend vorher über diese Leute mit unglaublich nervigen Handyklingeltönen gesprochen habe, so richtige Scheißmelodien haben viele, und dann hat Stefan mir an meinem Handy einen neuen Klingelton eingestellt, der gar nicht wie ein Handy klingt, sondern wie ein richtiges Telefon und ja, das fand ich dann irgendwie komisch, dass ich mein eigenes Handy gar nicht erkannt habe. Na ja und die Spaghetti waren natürlich viel zu weich und dann habe ich noch mal gelacht, weil ich meine, da könnte man sich ja auch aufregen, aber ich lache dann lieber, ist gesünder. FF Gut. Ich sage jetzt drei Sätze und du musst entscheiden, welcher am ehesten zutrifft, okay? Susanne Okay FF a) Stefan hat deinen Klingelton verändert, weil er dich für eine im besten Sinne altmodische Romantikerin hält. b) Stefan hat deinen Klingelton verändert, weil er dich für technisch völlig inkompetent hält und dir nicht zutraut, dass du das auch alleine könntest. c) Stefan hat deinen Klingelton verändert, um dich absichtlich zu verwirren und dir damit vor Augen zu führen, dass du langsam alt wirst. Susanne Hmm. Kann ich auch mehrere Sachen ankreuzen? Alle Antworten klingeln irgendwie plausibel, leider. FF Du musst dich entscheiden, welche Aussage am ehesten zutrifft. www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Susanne Also gehen wir es noch mal durch. Er hält mich definitiv für eine Romantikerin. Wie oft schon haben wir uns gemeinsam den Sternenhimmel angesehen vorm Schlafengehen. Ich entdecke den großen Wagen und sage zu ihm, damit möchte ich einmal mit dir fahren, und er sagt dann, komm lieber ins Bett, das ist auch nett, aber mach das Fenster zu, sonst kommen die Mücken rein. Ja gut, da ist er jetzt nicht so romantisch, aber ich bin es schon, finde ich. Klar, man könnte sich auch gleich am offenen Fenster küssen, aber dann hat man ja die Zähne noch nicht geputzt und außerdem schauen die Nachbarn zu. Was war b? FF Technisch inkompetent. Susanne Also das denkt er bestimmt. Das definitiv zu. C war so ein bisschen hinterhältig und gemein. Will er mir einen reinwürgen? Was hat er davon? Ein kleiner Akt der Rache vielleicht, weil ich ja angeblich immer so viel an ihm kritisiere. Da macht es Spaß, Ms. Perfect, so nennt er mich, mal ein bisschen aus dem Konzept zu bringen. Das ist genauso lieb, wie wenn ich abends im Bett noch Zeitung lesen will und er sagt, komm, ich hol dir deine Brille. Du weißt bestimmt nicht, wo du sie zuletzt hingelegt hast und ohne kannst du doch gar nichts mehr erkennen. Er selbst liest natürlich noch ohne Brille, allerdings niemals Zeitung, alles nur vom Smartphone, das so wahnsinnig romantisch das Schlafzimmer erleuchtet, mindestens wie bei Vollmond. Und das jeden Abend! Ja, wahrscheinlich freut er sich, wenn er mir Schwächen nachweisen kann. Und mit dem Älterwerden kommen Schwächen, und sei es nur die Schwierigkeit, die Telefone zu unterscheiden. Für einen technisch uninteressierten Menschen wie mich ist das bereits eine Herausforderung und das nutzt er aus. Er hingegen argumentiert, dass ich mir so ein elitäres technisches Desinteresse nur deshalb leisten kann, weil er sich ja um diese ganzen Dinge kümmert. Da frage ich mich allerdings, mit welcher Begründung er das nicht tun sollte, zumindest das, was sich doch ohnehin mit seinen Interessen deckt, also nicht einmal eine Einbuße für ihn darstellt. Wieso sollte ich mir die Mühe machen und hier ein W-Lan installieren, wenn er sowieso nur darauf brennt, mal wieder einen Samstagvormittag bei Mediamarkt zu verbringen, anstatt mit mir auf den Wochenmarkt zu gehen. Oh ja, ich denke c trifft zu. FF Gut. Und was trifft jetzt am meisten zu – a, b oder c? Susanne Ich denke mal c. Möchten Sie auch einen Prosecco? FF Vielleicht später. Susanne Na gut. FF Was magst du an Stefan? www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Susanne Ach so, das ist jetzt vielleicht ein bisschen zu kurz gekommen. Also ich mag, dass ich mit ihm über alles reden kann. Er ist wirklich wie ein sehr guter Freund. Wir kennen uns ja auch schon sehr lange. FF Bist du glücklich mit ihm? Susanne Was ist schon Glück? Wie gesagt, mir geht es ja gut. Wir haben die Kinder, das Haus, gemeinsame Freunde und so. Da fehlt eigentlich nichts. FF Wärest du mit einem anderen Mann glücklicher? Susanne Also wirklich, das steht doch gar nicht zur Diskussion! FF Trotzdem: Wärest du mit einem anderen Mann glücklicher? Susanne Ja vielleicht, manchmal. Nun zufrieden? Ich könnte mir schon vorstellen, dass es Spaß machen könnte, sich noch einmal frisch zu verlieben und eine Achterbahn der Gefühle zu fahren. Ein Mann, zum Beispiel dieser Schauspieler aus Fack Ju Göhte, so ein dunkler, durchtrainierter Typ, so cool und unkonventionell, der würde mir natürlich schon gefallen, aber ich bin ja Gott sei Dank nicht Heidi Klum oder Brigitte Macron und außerdem habe ich viel zu viel Verantwortung. Denn an so einer langen Beziehung wie der von mir und Stefan, da hängt ja nicht nur mehr oder weniger Leidenschaft, sondern quasi das ganze gemeinsame Leben, der Alltag, die Sorge um die Kinder, die Katze, die Altersvorsorge, Anschaffungen, Urlaube und Schwiegermütter. Das ist ja nicht so eine kleine verrückte Liebelei ohne Konsequenzen, aus der man wieder rauskommt, nein, das ist ein Spinnennetz mit fein verwobenen Fäden, die jeder von einer anderen Seite angefangen hat zu spinnen, um den anderen darin zu fangen, und am Ende sitzen beide fest. Die Fäden kann man nie mehr auseinanderdividieren. Und wenn man es täte, würde man fallen. Aber ja, ich denke schon fast jeden Tag, dass ich mit einem anderen Mann glücklicher wäre. Oder wenn Stefan wieder mehr so wäre wie früher, da wäre mir ja auch schon geholfen. FF Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark hat sich Stefan deiner Meinung nach von dem Mann entfernt, in den du dich einmal verliebt hast? Denke nicht zu lange nach. Susanne 8 würde ich sagen. FF Gut. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark hast du dich deiner Meinung nach von der Frau entfernt, in die Stefan sich einmal verliebt hat? Denke nicht zu lange nach. Susanne Ich habe mich kaum verändert. 1 oder 2. Ich bin ein Mensch, der sich treu bleibt. www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi FF Nochmal. Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie stark hast du dich deiner Meinung nach von der Frau entfernt, in die Stefan sich einmal verliebt hat? Denke etwas länger nach. Susanne Hmm. Wird das nicht langsam ein bisschen psycho? Was kriege ich dafür? FF Das Gespräch dient einzig und allein nur der Auseinandersetzung mit dem Status quo. Da du dich nicht freiwillig einer Analyse unterziehst, helfe ich ein bisschen nach. Wie gesagt, man kann nicht ohne das 50 werden. Susanne Wieso eigentlich nicht? FF Der 50. Geburtstag markiert selbst bei einer sehr hohen Lebenserwartung in der Regel über die Hälfte des Lebens. Diese Vorstellung kann auch bisher zufriedene Menschen in tiefe Depressionen stürzen. Susanne Ja ja, schon gut. Wie war die Frage? Ach so, ob ich mich verändert habe. Mal sehen. Wie war ich denn früher? Ich glaube, so mit Anfang 20 bis mindestens Mitte 30 war ich ziemlich humorvoll und spontan, emotional und durchaus auch sexy. Was bin ich davon heute nicht mehr? Letzte Woche habe ich über mich selbst gelacht, okay das ist ein bisschen arm, aber ich reiße halt nicht mehr die brüllenden Witze. Ich mache auch niemanden mehr nach, das finde ich inzwischen respektlos. Mich nervt der ganze Comedy-Kram, obwohl ich vom Talent her sicher Komikerin hätte werden können, aber nun bin ich halt Yogalehrerin. Stefan hat mich darin immer sehr bestärkt, also nehme ich an, er wollte keinen Kasper zuhause. Aber meine Auftritte waren richtig gut und an der Schauspielschule hätten sie mich auch genommen, wenn ich gewollt hätte. Manchmal frage ich mich, wenn sich damals ein Künstler in mich verliebt hätte und nicht gerade ein Jurastudent, ob ich es dann anders gemacht hätte und wie mein Leben als Schauspielerin verlaufen wäre. Das ist so ein wunder Punkt, der bleibt, ob Stefan nun etwas dafür kann oder nicht, aber den Verzicht auf das Künstlerleben bringe ich für immer mit dem Beginn unseres Zusammenseins in Verbindung. Also ist da immer so ein Opfergefühl geblieben. Und das nervt mich besonders, wenn ich enttäuscht von ihm bin. Obwohl das Leben ja kein Konto ist, verbucht man insgeheim Soll und Haben und rechnet sich seine persönliche Bilanz aus. Wie bin ich jetzt darauf gekommen? FF Bestandsaufnahme. Wie stark hast du dich verändert im Vergleich zu - Susanne Ach so ja. Und was Spontaneität betrifft, bin nicht ich diejenige, die alle Unternehmungen schon im Keim mit einer finsteren Mine erstickt. Ich bin nur noch mit mir selbst spontan, ich leiste mir spontan mal ein Glas Prosecco oder mache einen Waldspaziergang, wenn mir danach ist. Ich gehe ganz spontan allein ins Theater, denn bis ich jemanden gefunden habe, der eventuell mitkommt, hat die Vorstellung längst angefangen. So, und dass ich immer noch sehr emotional bin, www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi merkst du ja, und was meine Erotik betrifft, kann ich nur sagen, für mein Alter habe ich eine sehr erotische Ausstrahlung. Ich gebe Yogakurse für Manager der deutschen Bank, da solltest du mal dabei sein, wie die Herren, die ohne Anzug übrigens lächerlich aussehen, mich verschwitzt auf ihren Matten hockend anschmachten. Ich bin nun mal sehr gelenkig und spüre, wo meine Mitte ist. Das war harte Arbeit für mich, aber nun kenne ich meinen Beckenboden eben deutlich besser als meine Gesichtsfalten, die mich im Vergleich dazu herzlich wenig interessieren. Und jeder halbwegs aufgeklärte Mann weiß heute, dass der Beckenboden der Schlüssel zum weiblichen Orgasmus ist. Also, um deine Frage zu beantworten, glaube ich, dass ich mich vielleicht schon um einige Punkte von der Frau entfernt habe, die ich einmal war, aber das ist Teil meiner Persönlichkeitsentwicklung. Ich hasse Stillstand und ich verstehe auch gar nicht, warum das bei dir so negativ rüberkommt. Als ob Stefan noch das Kind von vor 25 Jahren in mir suchen würde. Wir haben selbst zwei Kinder, die jetzt schon fast in dem Alter sind. Ich lass mir von dir doch nicht einreden, dass mein Leben scheiße ist. Fast wäre ich auf dich reingefallen, weil dominant auftretende Menschen mir Angst machen. Aber im Gegensatz zu früher, wo ich Leuten wie dir hilflos ausgeliefert gewesen wäre, kann ich so ein Verhalten heute Gott sei Dank einordnen. FF Gut. Susanne Sag nicht immer gut! FF Gut. Ich erkenne bei dir ein tiefsitzendes Bedürfnis, dein Leben zu rechtfertigen, wahrscheinlich aus Sorge, aus diesem Gespräch nicht ohne Gesichtsverlust hervorzugehen. Aber nochmal: Hier geht es um dich. Ich will dir weder irgendwas beweisen noch dich hinterrücks überlisten. Susanne Tut mir leid, aber das glaube ich nicht. Du kommst zu mir, ungefragt, drängst dich in meine Küche, zwingst mir ein Gespräch auf und das soll nicht übergriffig sein? FF Es ist nun mal mein Schicksal, nicht gebeten zu werden. Niemand freut sich über mein Erscheinen. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? Susanne Soll ich jetzt auch noch Mitleid haben? Du zerstörst meinen freien Tag mit sinnlosen Analysen meiner Beziehung, als würde das etwas ändern. Im Übrigen ist meine Partnerschaft nicht alles in meinem Leben. Warum sind Frauen immer so darauf fixiert? Ich habe schließlich auch noch zwei Töchter und einen Beruf! FF Gut. Wir können gerne das Thema wechseln. Aber ich bleibe. Susanne Na gut, aber nur, weil ich mich heute schon genug geärgert habe. Ich erzähl dir mal was über meine Töchter, ja? www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi FF Ich bin gespannt. Susanne Die sind beide in Ordnung, ich habe sie sehr lieb, aber sie gehen mir neuerdings echt auf die Nerven. Früher, als sie noch klein waren, war ich die Geduld in Person. Klar, da hilft Yoga natürlich enorm. Die anderen Mütter aus der Kita haben mich um meine Geduld beneidet. Denn egal, welchen Zaubertrank aus teuren, hochwertigen Säften, Kräutern, Jogurts etc. aus dem Bioladen sie in dieser Küche gebraut oder welche frisch gestrichene weiße Wand sie mit bunten, wasserfesten Filzstiften verschönert haben, ich bin immer ruhig geblieben und habe sie noch für ihre tollen, kreativen Ideen gelobt. Manchmal habe ich sogar mitgemacht, denn man ist doch auch gerne mal Kind. Trotzdem war in der Pubertät plötzlich alles scheiße. Glückwunsch, denkst du. Da hätte ich ihnen genauso gut gleich alles verbieten können! Umweltschutz war scheiße, Kunst war scheiße, Toleranz war scheiße, alles, was mir etwas bedeutet, haben sie abgelehnt. Wenn man mit 15 anfängt zu rauchen und sich die Haare zu färben, das verstehe ich, das habe ich auch gemacht, aber sie wollen immer nur den Weg des geringsten Widerstands, die totale Anpassung! Willst du jetzt vielleicht einen Prosecco? FF Ja, gerne. Susanne holt ein zweites Sektglas aus der Glasvitrine und schenkt Sabine und sich selbt ein Glas ein. Sie reicht Sabine das Glas, die es mit einem freundlichen Lächeln entgegennimmt. Susanne Na dann: Prost! FF Prost! Sie stoßen an. Susanne trinkt mit Genuss, während Sabine geradezu gierig immer wieder am Glas nippt. Susanne Und das Beste kommt noch. FF Erzähl. Susanne Neuerdings finden Sie es komisch, wenn wir so ähnliche Klamotten tragen. Wir haben ja alle drei die gleiche Größe und einen ähnlichen Geschmack. So casual Streetwear, bei mir kommt noch so ein bisschen Alternativlook dazu, während die Mädels eher so Girlies sind. Bisher haben wir viel untereinander getauscht, was auch immer richtig Spaß gemacht hat und natürlich insgesamt für beide auch vorteilhaft war, da sie dadurch ja im Prinzip mehr Sachen hatten. Aber als ich neulich eine zerrissene Jeans zurück haben wollte, sagt Lisa doch glatt zu mir „Bist du nicht langsam zu alt für sowas?“ Ich bitte dich, wieso sind die jungen Leute heute so spießig? Ich habe mein Leben lang angezogen, wozu ich Lust hatte, das werde ich mir von meinen Töchtern nicht verbieten lassen. www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi FF Du bist ja gut. Das würde ich mich nicht trauen. Susanne In deinem grauen Kostüm siehst du aber ganz schön alt aus, finde ich. Und irgendwie so streng, richtig autoritär. Mein Ding wäre das nicht. Stefan würde sich totlachen, wenn ich sowas tragen würde. FF Meinst du nicht, dass es ihm vielleicht gefallen würde? Susanne Nein, so bieder ist er nicht. FF Wer weiß. Vielleicht fände er das sogar sexy. Susanne Steh mal auf, bitte. Sabine steht auf und geht in ihrem Kostüm quer durch die Küche. Also jetzt, wo du einen Prosecco intus hast und nicht mehr ganz so steif bist, sieht es eigentlich ganz gut aus. Mach mal ein bisschen mehr Hüftschwung. Sabine versucht es. Na bitte, geht doch. Also das ist schon sexy bei dir, hätte ich gar nicht gedacht. FF Sexy hin oder her. Es macht mir einfach Spaß, seriös aufzutreten. Ich demonstriere mein Alter und meine gesellschaftliche Stellung, das verschafft mir Ansehen und Souveränität. Ich finde, es wird höchste Zeit, dass du das auch mal probierst, Susanne. Manche Probleme lösen sich dann von ganz alleine. Susanne Echt? Welche? FF Denk mal an deine Schwiegermutter. Susanne Ja? FF Sie will verhindern, dass du verkennst, wie deine Rolle funktioniert. Damit du ihren Sohn nicht blamierst, der es ohne dich nie so weit gebracht hätte. Du wolltest doch so gerne Schauspielerin werden, stimmt's? Susanne Ja, verdammt. FF Dafür, dass das dein Lebenstraum ist, spielst du viel zu wenige Rollen. Du gibst schon dein ganzes Leben lang das rebellische Kind, seit ca. fünfzehn Jahren die Berufsjugendliche und nun wird es für dein Umfeld langsam peinlich. Lisa hätte gerne eine erwachsene Mutter, zu der sie aufschauen kann. Ein Vorbild. Susanne Aber das hat doch nun wirklich nichts mit grauen Kostümen oder zerstörten Hosen zu tun, ich bitte dich, verschone mich mit so äußerlichen Kriterien. FF Du wirst 50. www.eppinger-figurentheater.de
Hör- und Lese-Ecke im digitalen EpFi Susanne Was du nicht sagst. FF Du wirst 50. Susanne Ja und? FF Du wirst 50. Susanne Ich weiß. Na und? FF Es macht dir nichts mehr aus? Susanne Nein, verdammt, und hör auf mich zu nerven! FF Glückwunsch, Susanne, ich bin stolz auf dich. Susanne Was? FF Ja, du hast es geschafft, du nimmst dein Alter an. Ich kann gehen. Susanne Wieso das denn? Wir verstehen uns doch gerade ganz gut. Ich mach uns erstmal einen Kaffee und dann planen wir die Party. Heute Abend diskutiere ich die Angelegenheit mit Stefan und morgen früh rufe ich als erstes meine Schwiegermutter an. Dann schreibe ich den Mädels auf WhatsApp und der Rest erledigt sich danach eh von selbst. Ich freue mich darauf. Endlich passiert mal wieder was Aufregendes! www.eppinger-figurentheater.de
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