Verhandeln, hart aber herzlich - Hedwig Kellner ISBN 3-446-22593-5 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter

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Verhandeln, hart aber
           herzlich
                 Hedwig Kellner

                 ISBN 3-446-22593-5

                      Leseprobe

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http://www.hanser.de/3-446-22593-5 sowie im Buchhandel
Kapitel   1
          Verhandlungskompetenz
          für Ihren Erfolg
1. Sie brauchen rhetorisches Geschick   3

1. Sie brauchen rhetorisches Geschick

In Ihrem Beruf stehen Sie in der Verantwortung, Ziele zu erreichen.
Ihr Vorgesetzter erwartet von Ihnen zum Beispiel die erfolgreiche Ver-
handlung mit Kunden. Sie sollen von Produkten und Dienstleistungen
überzeugen, erfolgreich verkaufen, Preise selbstbewusst vertreten und
Kunden dauerhaft binden. Vielleicht obliegt es Ihnen auch, in Ver-
handlungen mit Geschäftspartnern die Interessen des Unternehmens
zu vertreten. Sie sollen zuverlässige Lieferungen und günstige Kon-
ditionen durchsetzen. Oder Sie haben die Leitung eines Projektes
übernommen und ringen um Termine, Budget, Personal und die Ak-
zeptanz des Vorhabens bei Betroffenen. Sie stehen mit anderen Füh-
rungskräften im Wettbewerb um knappe Ressourcen und um Mit-
arbeiterverfügbarkeit. Sie wollen den Betriebsrat ins Boot holen, den
Vorstand von Ihren Ideen überzeugen und die Betroffenen zum Mit-
machen bringen. Immer wieder kommt es darauf an, dass Sie die richti-
gen Worte finden, überzeugende Argumente parat haben und mit Ein-
wänden, Bedenken und Gegenstandpunkten professionell umgehen.
    Nicht zuletzt geht es auch um Ihre persönlichen Interessen. Sie
wollen berufliche Ziele erreichen. Sie verhandeln um Ihr Gehalt, um
die nächste Beförderung, um die Erweiterung Ihrer Kompetenzen und
so weiter.
    Ihr beruflicher Erfolg ist eng an Ihre rhetorische Stärke geknüpft.
Wenn Sie sich mit Worten durchsetzen können, können Sie Ihre Ideen
und Ihre Ziele verwirklichen. Wenn Sie als erfolgreicher Durchsetzer
gelten, werden Ihnen zunehmend mehr Verantwortungen übertragen.
Mit Fachwissen allein haben Sie einen guten Namen als Experte. Es ist
jedoch fraglich, ob man Ihnen Führungskompetenz zutraut. Wenn Sie
sich jedoch den guten Ruf eines rhetorisch starken Durchsetzers
erworben haben, dann traut man Ihnen zu, dass Sie Mitarbeiter zum
Ziel führen und die Interessen des Unternehmens vorantreiben wer-
den.
    Rhetorische Stärke ist ein wichtiger Aspekt in der Führung und im
Management. Denken Sie nur an Redewendungen wie: „Wer hat hier
das Sagen?“ „XY ist unser Wortführer.“ „Der Chef muss mal ein
Machtwort sprechen.“ „Von YX lasse ich mir gar nichts sagen.“ „Wer
4   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

    kann sich Gehör verschaffen?“ „YW lässt aufhorchen.“ „XV hat hier
    gar nichts zu sagen.“ „YZ wird ein gutes Wort für uns einlegen.“ „Von
    XZ wird man in Zukunft noch viel hören.“ Schon an diesen Redewen-
    dungen lässt sich der enge Zusammenhang zwischen Redegewandt-
    heit, Einfluss auf andere, Durchsetzungskraft und letztlich Erfolg er-
    kennen.
        Schauen Sie sich in Ihrem beruflichen Umfeld um. Wer von den
    Nachwuchskräften ist auf Erfolgskurs und gilt bereits jetzt schon als
    Aufsteiger, von dem man noch viel hören wird? Wer verfügt unzwei-
    felhaft über gutes Fachwissen und kommt trotzdem beruflich nicht
    weiter? Wer von den Führungskräften kann seinem Team die notwen-
    digen Ressourcen erkämpfen? Wer beklagt sich stattdessen immer wie-
    der über mangelnde Ausstattung, zu wenig Personal bei viel zu viel
    Arbeit? Wer hat bei Mitarbeitern ein hohes Ansehen und kann die
    Besten an sich binden? Wem fällt es sogar schwer, sich bei den eigenen
    Mitarbeitern durchzusetzen? Wer vom Management kann sich im
    Führungsteam behaupten und hat starken Einfluss auf die strategische
    Entwicklung des Unternehmens? Wer von den Managern gilt als
    durchsetzungsschwach und muss sogar Übergriffe von Führungs-
    kollegen auf den eigenen Kompetenzbereich dulden? Wer gewinnt im
    Machtpoker um Spitzenpositionen und wer verliert?
        Es sind immer wieder die rhetorisch Starken, die sich am besten be-
    haupten können. Das gilt für jede Ebene in der Hierarchie. Dazu
    kommt, dass die rhetorisch Starken mit zunehmendem Einfluss immer
    weniger auf ihre Rhetorik allein angewiesen sind. Je höher sie auf-
    steigen, desto mehr Unterstützung bekommen sie von anderen. Wer
    ganz oben steht, kann schließlich das „Machtwort“ sprechen und dem
    Unternehmen seinen Stempel aufdrücken.
        Sie haben sich in Ihrer Ausbildung oder an der Uni fachlich qualifi-
    ziert. Sie haben im täglichen Arbeitsalltag wertvolle Erfahrungen ge-
    sammelt und kontinuierlich Ihre Sachkompetenz erweitert. Aber Sie
    wollen nicht für immer nur in ausführender Position als abhängiger
    Fachprofi das abarbeiten, was andere vorgeben. Sie sind kreativ und
    wollen Ihre eigenen Ideen umsetzen. Vielleicht wollen Sie in der Hie-
    rarchie aufsteigen, führen und managen und so die Geschicke des
    Unternehmens mitgestalten. Vielleicht wollen Sie stattdessen als Ex-
    perte zu den wichtigsten Entwicklern und fachlich Einflussreichen ge-
    hören. Vielleicht wollen Sie am Markt kämpfen, Kunden gewinnen
    und so dem Unternehmen seine Position im Wettbewerb sichern und
    erweitern.
1. Sie brauchen rhetorisches Geschick   5

    Einfach nur ein guter Fachprofi zu sein reicht Ihnen nicht. Sie
wollen mitgestalten und Einfluss nehmen. Dazu brauchen Sie rhetori-
sches Geschick. Sie werden vermutlich schon öfter erlebt haben, dass
fachliche Überlegenheit und sachlich bessere Argumente allein nur
wenig bewirken, wenn man mit Menschen spricht, die etwas nicht ein-
sehen wollen oder können, die andere Meinungen vertreten oder
konträre Ziele verfolgen. In der Sache Recht zu haben reicht nicht. Es
kommt darauf an, den eigenen Standpunkt richtig zu vertreten. Es
kommt darauf an, Bedenken und Widerstände der Gegenseite ge-
schickt aufzufangen und Überzeugungshürden zu überwinden. Sie
brauchen ein Gespür dafür, was andere überzeugt. Wie müssen Sie Ihr
Anliegen verargumentieren? Wie gehen Sie taktisch klug vor? Was
wird den anderen beeindrucken? Was lässt ihn aufhorchen? Wie kön-
nen Sie seine Überzeugungen so beeinflussen, dass er auch nachträg-
lich bei seiner Zustimmung bleibt und nicht wieder einen Rückzieher
macht?
    Ihr rhetorisches Geschick besteht aus einer gelungenen Kombina-
tion von überzeugenden Argumenten, vertrauenswürdiger und selbst-
sicherer Ausstrahlung, sozialer Intelligenz und zielsicherer Anwen-
dung von Techniken und Taktiken der Verhandlungskunst.

   Mögliche Hürde
   Vor allem, wenn Sie noch nicht lange im Arbeitsprozess stehen, haben Sie
   vielleicht noch nicht die Erfahrung gemacht, wie gerne andere Unsicher-
   heiten ausnutzen. Wenn Sie nicht genau wissen, wie weit Sie gehen kön-
   nen, zum Beispiel bei Preis- oder Honorarverhandlungen, spüren cle-
   vere Verkäufer das sofort. Oder auch ein erfahrener Einkäufer beim
   Kunden kann aus Ihnen Zusagen für Leistungen herausholen, die Ihnen
   im Nachhinein zur Bürde werden.
        Klären Sie deshalb unbedingt mit Ihrem Vorgesetzten vorab, wo die
   Grenzen Ihrer Entscheidungskompetenzen liegen. Sie müssen genau wis-
   sen, wie weit Sie mit Zusagen, Rabatten oder Forderungen gehen können
   und ab wann Sie Rückendeckung brauchen.
        Außerdem sprechen Sie sich bitte mit Ihrem Vorgesetzten über das
   „Wording“ ab. Wie sollen Standpunkte verargumentiert werden? Was
   dürfen Sie sagen? Welche Informationen bekommt zum Beispiel ein Lie-
   ferant oder ein anderer externer Partner über Interna des Unterneh-
   mens? Darf der eine Lieferant wissen, dass Sie mit einem anderen auch
   verhandeln? Sollen die Ansprechpartner beim Kunden erfahren, mit wel-
   chen anderen Kunden Sie auch Geschäfte machen? Könnte es zu Proble-
   men führen, wenn Sie Konkurrenten als Referenzen erwähnen? Mit wel-
   chen Argumenten vertreten Sie das Preisniveau im Vergleich zu ähnlichen       ➠
6   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

        Produkten? Welche Möglichkeiten haben Sie, einem Kunden mit Rabat-
        ten oder Zusatzleistungen entgegenzukommen?
            Ein Großteil Ihres rhetorischen Erfolgs hängt nicht von dem ab, was
        Sie sagen oder wie Sie es sagen. Wichtig ist Ihre selbstsichere Ausstrah-
        lung. Die haben Sie, wenn Sie genau wissen, in welchem Verhandlungs-
        rahmen Sie sich bewegen.

    Mit rhetorischem Geschick brauchen Sie keine Wortgefechte auszu-
    kämpfen. Schlagfertigkeit ist nicht das entscheidende Kriterium bei der
    Durchsetzung Ihrer Ziele. Sie wollen andere schließlich nicht mundtot
    machen, sondern überzeugen. Sie werden als geschickter Verhandler
    auch nicht das Opfer derer, die Ihnen vielleicht an Schlagfertigkeit
    überlegen sind. Sie lassen sich erst gar nicht von ihnen provozieren
    oder gar in die Enge treiben. Sie bleiben souverän bei Ihren Verhand-
    lungszielen und beeindrucken durch Intelligenz statt durch unfaire
    Attacken.
       Vor allem, wenn Sie noch am Beginn Ihrer beruflichen Entwicklung
    stehen, haben Sie im Vergleich zu vielen Verhandlungspartnern wenig
    Macht. Sie können es sich nicht leisten, im Schlagabtausch gegenüber
    Ihrem Chef das letzte Wort zu behalten. Er würde es Ihnen nicht ver-
    zeihen. Sie können sich bei der Durchsetzung Ihrer Ideen und Ziele
    nicht auf eine etablierte Position im Organigramm stützen. Sie gehö-
    ren auch noch nicht zum gewachsenen Netzwerk der Manager und
    haben noch nicht einflussreiche Befürworter auf Ihrer Seite. Wo an-
    dere ein Machtwort sprechen können, setzen Sie auf die Kraft der in-
    haltlichen Überzeugung. Wo die Mächtigen bestimmen dürfen, müs-
    sen Sie werben, appellieren und um Zustimmung ringen. Das bedeutet,
    dass Sie als junge Nachwuchskraft noch viel mehr als andere auf Ihre
    rhetorische Klugheit und sogar List angewiesen sind. Gleichzeitig
    wollen Sie mit jeder Verhandlung auch als Persönlichkeit mehr über-
    zeugen. Sie wollen als Persönlichkeit glaubwürdig bleiben, fair bleiben
    und Sympathie finden. Wenn man von Ihnen sagt, dass Sie eine „ge-
    winnende Art“ haben, dann ist Ihnen der Erfolg sicher. Dann haben
    Sie es geschafft, durchsetzungsstark und zugleich sympathisch in Ver-
    handlungen Ihre Ziele zu erreichen. Man wird auf Sie hören, bei Ihren
    Argumenten mitdenken und bereit sein, mit Ihnen gemeinsam zu
    einem fairen Ergebnis zu kommen.
2. Bauen Sie auf die drei Grundpfeiler der Überzeugung   7

   Auf den Punkt
   Sie brauchen rhetorische Kompetenz, um Ihre eigenen beruflichen Inte-
   ressen, aber auch die Ihres Chefs und Ihres Unternehmens erfolgreich zu
   vertreten. Wenn Sie als durchsetzungsstarker Verhandler gelten, qua-
   lifizieren Sie sich über Ihren fachlichen Expertenstatus hinaus. Sie
   werden zunehmend für verantwortungsvollere Aufgaben herangezo-
   gen. Sie können beweisen, dass Sie andere Menschen zu überzeugen
   und zu führen verstehen. Rhetorische Stärke ist ein wichtiger „Karriere-
   Turbo“ für Sie.

2. Bauen Sie auf die drei Grundpfeiler
   der Überzeugung

Alle Überzeugungsbemühung, auch mit der besten Rhetorik, kann
nicht erfolgreich sein ohne das Fundament der drei Grundpfeiler:

Vernünftige Einsicht
Zunächst einmal brauchen Sie für Ihr Anliegen in einer Verhandlung
nachvollziehbare, vernünftige Argumente. Ihr Gesprächspartner will
mitdenken, warum Sie bestimmte Forderungen stellen oder wozu das,
was Sie vorschlagen, gut sein soll.
    Wenn Sie die logischen Zusammenhänge schildern, Beweise vor-
bringen und rational sinnvoll begründen, wird Ihr Gesprächspartner
leichter zustimmen. Er denkt mit, kommt zum gleichen Schluss wie
Sie, und sagt mit hoher Wahrscheinlichkeit ja.
    Die meisten Menschen sträuben sich dagegen, einer Sache zustim-
men zu sollen, die sie nicht ganz verstanden haben. Sie fühlen sich
unterlegen, werden misstrauisch und befürchten Manipulation und
Tricks. Auf der anderen Seite kann niemand immer alles verstehen.
Deshalb nimmt sich der Manager zum Beispiel einen IT-Experten mit
in die Verhandlung, wenn es um das IT-Projekt gehen soll. Wenn der
Experte zustimmt, lässt sich der Manager überzeugen. Er vertraut des-
sen Sachverstand und dessen Vertrauenswürdigkeit.
8   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

    Das bedeutet für Sie viererlei:

    b   Klopfen Sie vor jeder wichtigen Verhandlung Ihre eigenen Argu-
        mente auf logische Stimmigkeit ab.
    b   Stellen Sie sich immer sprachlich und inhaltlich auf das Niveau
        Ihres Gesprächspartners ein.
    b   Fördern Sie die Anwesenheit von Experten auf beiden Seiten, bei
        Verhandlungen zwischen Partnern mit unterschiedlichem Wissens-
        stand zur Sache. Laden Sie den Manager mit seinem besten Fach-
        profi ein, wenn Sie dem Manager fachlich überlegen sind. Nehmen
        Sie Ihren Experten mit, wenn Sie fachlich unterlegen sind.
    b   Bauen Sie sich im Unternehmen oder am Markt das Image eines
        vertrauenswürdigen, anständigen und gut informierten Profis auf.
        Man wird sich von Ihnen überzeugen lassen, wenn man Sie als
        Menschen kennt, auf dessen Wort man vertrauen kann.

    Die Fähigkeit und Bereitschaft, sachlichen Argumenten zuzuhören
    und dabei mitzudenken, sinkt, wenn Gefühle ablenken. Sie kennen
    sicherlich aus eigener Erfahrung, wie man sich manchmal im Nach-
    hinein ärgert, weil man sich unter dem Einfluss von Zorn oder Begeis-
    terung zu etwas hat hinreißen lassen, was man unter normalen Um-
    ständen nie getan oder gesagt hätte.
       Meiden Sie deshalb alles, was Ihren Gesprächspartner verärgern
    könnte. Seien Sie selbst freundlich und kompromissbereit. Nerven Sie
    ihn nicht mit fachlichen Belehrungen, die ihm das Gefühl geben, für
    dumm gehalten zu werden. Meiden Sie auch Reizwörter oder Themen,
    die bei ihm negative Assoziationen hervorrufen könnten.

        Praxistipp
        Disziplinieren Sie Ihr eigenes Denken vor allem bei schwierigen Ge-
        sprächspartnern oder Meinungsgegnern. Zwingen Sie sich notfalls, be-
        wusst positiv über die oder den Betreffenden zu denken. Wenn Sie die
        andere Person innerlich ablehnen, müssten Sie ein perfekter Schauspie-
        ler sein, um das im Stress einer harten Verhandlung noch zu verbergen.
        Leichter ist es, wenn Sie vorab schon bewusst über das Nette, Intelli-
        gente oder sonstige Positive des anderen nachdenken. Sie können sich
        ihm dadurch ehrlich positiv zuwenden. Schauspielerei ist dann gar nicht
        notwendig.
2. Bauen Sie auf die drei Grundpfeiler der Überzeugung   9

Windige Finanzberater oder Drücker im Haustürverkauf nutzen die
Macht der Gefühle über den rationalen Verstand für ihre Manipula-
tionstricks. Sie begeistern durch emotionalisierende Argumente, bis sie
die Unterschrift unter dem Vertrag für eine zweifelhafte Geldanlage
haben, oder sie drücken auf die Tränendrüse, bis das Opfer aus Mitleid
ein Abo bestellt, oder sie bedrohen subtil, bis der Kunde aus Angst ja
sagt.
   Verzichten Sie grundsätzlich auf Manipulationsspielchen jeder Art.
Kann sein, dass es Ihnen innerhalb der Verhandlung gelingt, über Ge-
fühle Ihre Ziele zu erreichen. Aber im Nachhinein wird Ihr Ge-
sprächspartner wieder ernüchtert und vernünftig über die Sache nach-
denken. Ihm wird bewusst, dass Sie Gefühle ausgenutzt haben. Er
wird sich in Zukunft vor Ihnen hüten! Bei der nächsten Verhandlung
stehen Sie vor unüberwindlichen Überzeugungshürden.

Persönliche Interessen
Sie werden einen anderen Menschen niemals nur durch vernünftige
Argumente überzeugen. Vielleicht sieht Ihr Verhandlungspartner so-
gar ein, dass Sie in der Sache Recht haben, stimmt Ihnen jedoch den-
noch nicht zu, weil es gegen seine Interessen verstößt.
    Als Projektleiter wollen Sie vielleicht über Ressourcen verhandeln,
die Ihr Gesprächspartner selber gut gebrauchen kann. Sie wollen viel-
leicht einen Mitarbeiter für Ihr Team haben, den der Linienvorgesetzte
in seinem Bereich nicht so leicht ersetzen kann. Sie werden durch Ihr
Projekt Veränderungen in den gewohnten Abläufen verursachen. Ihr
Projektprodukt macht vielleicht Umstellungen und damit Mehrauf-
wand für die Betroffenen notwendig. Um die eigenen Interessen zu
schützen, mag Ihnen Ihr Verhandlungspartner selbst dann nicht zu-
stimmen, wenn Ihre Argumente viel besser sind als seine.
    Ähnlich ist es bei Preisverhandlungen mit Kunden. Sie können ver-
mutlich sehr gut darstellen, warum Ihre Preise marktgerecht sind. Sie
haben klare Begründungen, warum Rabatte nicht gewährt werden.
Das sieht für Ihren Verhandlungspartner ganz anders aus. Der kämpft
um möglichst gute Konditionen und zieht dabei alle Register der Rhe-
torik, aber auch der Macht Ihnen gegenüber.
    Es kann auch sein, dass ein Verhandlungspartner Sie als persön-
lichen Rivalen um Ansehen und Karriere sieht. Das ist vielleicht bei
einem Kollegen der Fall, mit dem Sie die Arbeitseinteilung oder die
Strategie eines Vorhabens besprechen wollen. Er könnte befürchten,
10   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

     im Vergleich zu Ihnen schlechter dazustehen, wenn Sie Ihre Vor-
     schläge durchsetzen und er seine Ideen zurückstellen muss. Vielleicht
     sieht er innerlich längst ein, dass Sie Recht haben. Trotzdem verweigert
     er die Zustimmung. Es ist nun einmal nicht in seinem Interesse, dass
     Sie als Sieger aus der Verhandlung herausgehen.
         Auf der anderen Seite sind die meisten Menschen gerne bereit, sich
     an etwas zu beteiligen, was ihr Ansehen fördert. Wenn Sie selbst einen
     guten Ruf haben und zum Beispiel mit Ihrem Projekt, Ihrer Forschung
     oder Ihrer Verkaufsstrategie auf Erfolgskurs sind, wird es Ihnen leich-
     ter fallen, Unterstützung zu finden. Sie brauchen kaum noch Überzeu-
     gungsarbeit zu leisten, wenn Sie um Ressourcen oder Ähnliches ver-
     handeln. Am Erfolg wollen viele gerne beteiligt sein. Man wird Ihnen
     entgegenkommen, sich mit Ihnen einigen und sogar Ihren schwäche-
     ren Argumenten zustimmen.
         Es ist demnach wichtig, dass Sie sich vor einer Verhandlung nie nur
     überlegen, warum Ihr Standpunkt vernünftig ist, warum Ihre An-
     sprüche berechtigt sind. Überlegen Sie immer auch aus Sicht des Ver-
     handlungspartners, was ihm unangenehm oder angenehm an der Sache
     sein könnte.
         Manchmal reicht es auch, wenn Sie einem Verhandlungspartner nur
     deutlich machen, dass seine Interessen gar nicht berührt werden. Sie
     legen zum Beispiel einen Plan vor, dass Sie eine Ressource nur dann be-
     nötigen, wenn er sie selbst gerade nicht braucht. Oder Sie rechnen
     Ihrem Chef vor, dass die Kosten für die Umsetzung Ihrer Idee sich mit
     bestimmten Einsparungen an anderer Stelle glatt verrechnen lassen.
     Oder Sie erklären einem Betroffenen, dass er fast gar keinen Aufwand
     damit hat, wenn er Ihren Verbesserungsvorschlag wenigstens einmal
     ausprobiert.
         Denken Sie auch immer über die aktuelle Verhandlung hinaus. Mit
     den meisten Ihrer Gesprächspartner werden Sie in Zukunft weiterhin
     zusammenarbeiten. Daran denken andere natürlich auch. Aus rein
     taktischen Gründen könnte man Ihnen entgegenkommen. Ihr Ge-
     sprächspartner zeigt sich jetzt in Bezug auf Ihr Anliegen kompromiss-
     bereit. Damit erhofft er sich in Zukunft auch Ihr Entgegenkommen
     für seine Anliegen. Eventuell kann es sinnvoll sein, wenn Sie im Rah-
     men der Verhandlung mehr oder weniger deutlich darauf hinweisen,
     dass Sie langfristig an fairen Beziehungen gegenseitiger Hilfe interes-
     siert sind.
2. Bauen Sie auf die drei Grundpfeiler der Überzeugung   11

Gewahrtes Gesicht
Vor allem bei sehr konträren Verhandlungen sollten Sie auch an das
Umfeld Ihres Gesprächspartners denken.

   Checkliste: Die drei Grundpfeiler der Überzeugung

   ➥
   ❏
        Vernünftige Einsicht
        Wie beweisen Sie, dass Ihr Standpunkt richtig ist?
                                                                               ✔
   ❏    Wie machen Sie dem anderen die Berechtigung Ihres Anliegens ver-
        ständlich?
   ❏    Wie fördern Sie ein emotional unbelastetes Verhandlungsklima?

   ➥    Persönliche Interessen
   ❏    Welche Nachteile, Kosten, Aufwände könnte der andere befürchten?
   ❏    Wie können Sie die befürchteten Nachteile verhindern oder ausglei-
        chen?
   ❏    Mit welchen Vorteilen könnten Sie die Zustimmung schmackhaft
        machen?

   ➥    Gewahrtes Gesicht
   ❏    Wie kann Ihr Verhandlungspartner die Einigung mit Ihnen im eige-
        nen Lager vertreten?
   ❏    Welche Alternativen und Mitgestaltungsmöglichkeiten werden Sie
        anbieten?
   ❏    Wie ermöglichen Sie dem anderen eigene Verhandlungssiege?

   Praxisbeispiel
   In einem Unternehmen des Einzelhandels sollten alle Filialen nach jeder
   nur denkbaren Einsparmöglichkeit durchforstet werden. Personalkosten
   sollten ebenso auf den Prüfstand wie die Ausstattung einzelner Geschäfte
                                                                               ✗
   bis hin zu grundsätzlichen Rentabilitätsüberlegungen. Gleichzeitig wur-
   den die Filialleiter aufgefordert, durch Forcieren des aktiven Verkaufens
   für Umsatzsteigerungen zu sorgen. Das Personal sollte nicht mehr nur
   passiv an der Kasse sitzen, sondern offensiv auf Kunden zugehen, ihnen
   Produkte empfehlen, auf Sonderangebote aufmerksam machen und Zu-
   satzverkäufe über die Selbstbedienung hinaus anstreben. Die Verkäufe-
   rinnen wehrten sich vehement gegen diese Neuerungen. Es widerstrebe
   ihnen, Kunden anzusprechen und ihnen etwas „aufzuschwatzen“. Sie
   wollten auch keine Seminare zum aktiven Verkaufen besuchen. Ganz be-          ➠
12   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

         sonders fürchteten sie das neue Erfassungssystem, mit dem individuelle
         Umsätze ermittelt werden sollten.
             Der Betriebsrat stand selbstverständlich vehement in Gegenposition
         zum neuen Konzept. Auf keinen Fall werde man Testkäufer zulassen oder
         der Einführung eines Erfassungssystems zustimmen. Man werde alles
         tun, diese Änderungen zu stoppen.
             In der Verhandlung zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat stan-
         den sich entsprechend konträre Standpunkte unversöhnlich gegenüber.
         Der Prokurist versuchte, den Betriebsrat von der Notwendigkeit der
         Maßnahmen zu überzeugen. Überall schlossen sogar große Kaufhäuser
         ihre Pforten. Wie sollte man am Markt noch bestehen, wenn der Wettbe-
         werb immer härter wurde? Vielleicht sah der Betriebsrat die Notwendig-
         keit ein. Er wehrte sich trotzdem gegen das Neue. Er stand unter dem
         Druck, den Mitarbeitern vor den Verhandlungen fest versprochen zu ha-
         ben, sich nicht erweichen zu lassen. Es sollte für die Verkäuferinnen alles
         so bleiben, wie es bisher war.

     Denken auch Sie bei Ihren Verhandlungen bitte darüber nach, vor
     wem Ihr Verhandlungspartner sich nach einer Einigung mit Ihnen
     rechtfertigen muss oder will. Wem gegenüber steht er im Wort?
         Es kann das ehrliche Pflichtgefühl sein, wenn der andere sich auch
     bei überzeugendsten Argumenten stur stellt. Kann sein, dass Ihr Ver-
     handlungspartner durch Ihre vernünftigen Argumente längst über-
     zeugt ist. Er mag trotzdem nicht zustimmen. Er will nicht diejenigen
     enttäuschen, denen er vorab versprochen hat, Ihnen auf keinen Fall
     entgegenzukommen.
         Das bedeutet für Sie, dass Sie nicht nur darüber nachdenken, wie
     Sie die Person überzeugen, mit der Sie verhandeln werden. Denken Sie
     auch darüber nach, wie Sie Ihrem Verhandlungspartner helfen können,
     im eigenen Lager sein Ergebnis mit Ihnen überzeugend darzustellen.
     Sie müssen ihm Argumente mitgeben, wie er ohne Gesichtsverlust
     einen Sinneswandel vertreten kann.
         Nicht nur Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Lager kann Ihren
     Verhandlungspartner stur sein lassen. Die meisten Menschen hassen es,
     wenn man sie für manipulierbar hält. Wer vorher gesagt hat, sich Ihnen
     gegenüber hart zu zeigen, könnte sich aus Schamgefühl gegen eine
     Einigung sperren. Man will von Ihnen nicht „umgedreht“ werden und
     sich anschließend dafür verspottet sehen.
         Das bedeutet, dass Sie Ihrem Verhandlungspartner helfen sollten,
     sich mit Ihnen zu einigen und trotzdem nicht sein „Gesicht zu verlie-
     ren“. Geben Sie dem anderen Erfolge mit. Der andere will anschlie-
2. Bauen Sie auf die drei Grundpfeiler der Überzeugung   13

ßend stolz berichten, was er aus Ihnen „herausgeholt“ hat. Er will auch
als Sieger aus der Verhandlung herausgehen. Überlegen Sie also vorher,
was Sie selbst an Entgegenkommen anbieten werden. Überlegen Sie
auch, wie Sie dem anderen das Gefühl geben wollen, sich Ihr Ent-
gegenkommen hart erkämpft zu haben.
    Ein dritter Aspekt ist das Streben nach Selbstständigkeit, innerer
Unabhängigkeit, Autonomie. Die meisten Menschen hassen es, wenn
man sie vor vollendete Tatsachen stellt, an denen sie nichts mehr
ändern können. Dann fühlen sie sich bevormundet. Die meisten Men-
schen hassen auch das Gefühl, nur ja oder nein sagen zu können. Dann
fühlen sie sich in ihrer Freiheit eingeschränkt. Schon aus Verärgerung
sagen sie nein.
    Wer sich bevormunden, einschränken oder unter Druck setzen
lässt, ist schwach. Vor allem, wenn Sie mit Managern, Entscheidern
und Einflussreichen zu verhandeln haben, denken Sie an den Selbstres-
pekt auf der Gegenseite. Für Menschen, die Ihnen in der Hierarchie
überlegen sind, wäre es ein peinlicher „Gesichtsverlust“, von Ihnen in
die Enge getrieben worden zu sein. Sie wollen auch nicht vor Dritten
so wirken, als hätten sie Ihrem Druck, Ihrem tieferen Fachwissen oder
Ihrer rhetorischen Überlegenheit nachgegeben. Sie werden sich ins-
tinktiv sperren, wenn sie von Ihnen fertige Tatsachen serviert bekom-
men. Sie werden schon aus Verärgerung nein sagen, wenn sie nur zwi-
schen Ablehnung oder Zustimmung zu Ihrem Standpunkt wählen
dürfen. Sie werden sich spontan stur stellen, wenn sie von Ihnen mit
plötzlichen Forderungen oder Vorschlägen überfallen werden. „Brau-
chen wir nicht.“ „Ist nicht machbar.“ „Haben wir schon mal probiert.
Da ging es auch nicht.“ „Dafür ist die Zeit nicht reif.“ „Im Moment lie-
gen die Prioritäten woanders.“ Mit solchen fadenscheinigen Schein-
argumenten wird man Sie abwimmeln. Womöglich darf kurz darauf
ein anderer mit genau Ihrem Vorschlag groß herauskommen. Das liegt
dann daran, dass die Mächtigen längst eingesehen haben, wie Recht Sie
hatten, aber vor Ihnen kapitulieren, das hätten sie nicht wollen.

   Praxistipp
   Bieten Sie Ihren Verhandlungspartnern stets Alternativen zum Aussuchen
   an. Lassen Sie sie an Lösungen mitwirken. Präsentieren Sie nichts Perfektes,
   sondern bewusst solche Vorschläge, die noch offen für Veränderungen sind.
14   Kapitel 1: Verhandlungskompetenz für Ihren Erfolg

     Kommen Sie mit unangenehmen Themen nicht auf den letzten Drü-
     cker, wenn die Zeit für Entscheidungen schon knapp wird. Erpressen
     Sie zum Beispiel den Chef nicht damit, dass Sie eine Ressource jetzt so-
     fort brauchen, weil sonst die fest geplanten Termine nicht eingehalten
     werden. Konfrontieren Sie Ihre Geschäftsleitung nicht urplötzlich mit
     der Tatsache, dass Sie eine Budgeterweiterung für Ihr Projekt brau-
     chen, wenn das Produkt noch pünktlich ausgeliefert werden soll. Ver-
     langen Sie keine Gehaltserhöhung in Kombination mit einem Hinweis
     auf Ihren hohen Marktwert, wenn gerade jetzt der Chef Sie dringend
     braucht. Es wäre für den anderen ein „Gesichtsverlust“, sich auf diese
     Weise von Ihnen unter Druck setzen zu lassen. Kann sein, dass man
     Ihnen notgedrungen gibt, was Sie verlangen. Mit Sicherheit werden Sie
     jedoch später in anderen Verhandlungen auf Granit beißen.
         Sorgen Sie bei allen Verhandlungen dafür, dass Ihr Gesprächspart-
     ner immer das Gefühl behält, die freie Wahl und ausreichend Bedenk-
     zeit zu haben. Lassen Sie ihn auch Siege erringen, die sein Ansehen vor
     Dritten und vor sich selbst steigern oder zumindest nicht schmälern.

         Auf den Punkt
           Setzen Sie bei Ihren Verhandlungen auf die drei Grundpfeiler der Über-
         zeugung:

         ➥    Vertreten Sie Ihren Standpunkt mit vernünftigen Argumenten.
         ➥    Berücksichtigen Sie die Interessen Ihres Gesprächspartners.
         ➥    Achten Sie das Selbstwertgefühl Ihres Gesprächspartners.

     3. Rhetorik ist nicht alles

     Nicht nur im Interesse Ihres aktuellen Anliegens, sondern auch im
     Interesse Ihrer beruflichen Entwicklung werden Sie an Ihrer rhetori-
     schen Stärke arbeiten. Wer sich gut artikulieren kann, wirkt intelligen-
     ter als andere, die mühsam nach Worten suchen. Wer überzeugen kann,
     kann besser für Vorhaben, Ideen oder die Interessen des eigenen Be-
     reichs kämpfen und das Notwendige beschaffen. Wer andere über-
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