Heilige Landschaft - Heilige Berge - Stiftung Bibliothek Werner Oechslin Einsiedeln

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Heilige
Landschaft –
    Heilige
                   Stiftung
                   Bibliothek
                   Werner
Achter
                   Oechslin
Internationaler

      Berge
                   Einsiedeln
Barocksommerkurs
2007

                                gta Verlag
9 Werner Oechslin, «Petit Aethera». Das Oben und Unten im ‘barocken’ Kontext

 I

 28 Jasmin Mersmann, Heilige/Landschaft. Anamorphosen in der Trinità dei Monti
 44 Ria Fabri, Über Berg und Tal ins Heilige Land. Spuren von Pilgern und Pilgerfahrten
    in Antwerpener Kunstsammlungen des 17. Jahrhunderts
 54 Nenad Makuljević, Pilgrimage and Memory. The Picture of the Holy Land in Early
    Modern Visual Culture of the Balkans

 II

 68 Berthold Hub, Geheilte Stadt durch heilige Land-schaft in Filaretes Libro architettonico
    (ca. 1465)
 84 Peter Stephan, Transformation und Transfiguration. Die bauliche und geistige
    ­Erneuerung Roms unter Sixtus V.
130 Gerd Blum, Berge als Bauten und Begrenzung. Giovanni Battista Agucchi, Giordano
    Bruno, Galileo Galilei und die Aussicht der Villa Aldobrandini über Frascati
146 Andreas Tönnesmann, Enea Silvio und der Berg

 III

158 Katja Burzer, «Non potest civitas abscondi supra montem posita». Die geplante
    ­Inszenierung Carlo Borromeos auf dem Sacro Monte in Arona
172 Eckhard Leuschner, Begehbare Bilder eines Heiligen Berges. «Il Sacro Monte della
    Vernia» von Raffaello Schiaminossi und Domenico Falcini

 IV

190 Piet Lombaerde, Utopie in der ‘verlassenen Landschaft’. Die neue Stadt Scherpenheuvel
    als ‘neues Jerusalem’ in den spanisch-habsburgischen Niederlanden
202 Sandra Maria Rust, Der Grazer Kalvarienberg. Barocke Frömmigkeit im Dienste
    ­Jesuitischer Propaganda
214 Tobias Kunz, Authentische Orte – authentische Bilder. Die Renaissance mittel­
    alterlicher Heiligenkulte im Schwarzwald des 18. Jahrhunderts
230 Axel Christoph Gampp, Alles glänzend! Der Sacro Monte von Hergiswald und dessen
    künstlerische Voraussetzung in der Innerschweizer Skulptur des Barock
242 Svetlana Smolčić-Makuljević, The Holy Mountain in Byzantine visual culture of
    ­medieval Balkans. Sinai – Athos – Treskavac
262 Klaus J. Loderer, Von Schneckenbergen, heiligen und künstlichen Bergen. Barocke
    Kreuzwege und Kalvarienberge im Königreich Ungarn
V

278 Mojmír Horyna, Die heilige Stätte als Weltmitte
294 Eckart Kühne, Sakrale Topographien im kolonialen Hispanoamerika: ein Überblick

 VI

308 Johannes Stückelberger, Gipfelkreuze
318 Ulrich Heinen, Brocken am Watzmann – Fremde im eigenen Land. Caspar David
    Friedrichs heilige Berge als Modell nationaler Gewaltimaginationen
    (Für Bazon Brock)
340 Michael Groblewski, Der «colle santo» des Vittoriale degli Italiani
358 Harald Tesan, «High & Low». Perspektiven zwischen Berg und Tal in der M
                                                                          ­ oderne

389 Werner Oechslin, Postscript. Moderne Bild- und Sinnkrisen: «… Die Vertauschung von
    Oben und Unten ist Programm» (Hans Sedlmayr)
Sandra Maria Rust

Der Grazer Kalvarienberg
Barocke Frömmigkeit im Dienste Jesuitischer Propaganda

Im Zeitraum vom Beginn des 17. Jahrhunderts bis 1780 wurden in der Steiermark rund
achtzig Kalvarienberge errichtet. Unter diesen stellt der zwischen 1606 und 1723 in mehre-
ren Etappen erbaute Grazer Kalvarienberg die am frühesten begonnene und auch weitaus
grösste derartige Anlage dar. Ihre Entstehung nahm Ausgang mit der Aufrichtung von drei
Kreuzen auf einem als ‘Austein’ bezeichneten Felsen, der sich am rechten Ufer der Mur
etwas­nördlich der steirischen Landeshauptstadt befindet. Zur Geschichte, Entstehung und
Bedeutung des Kalvarienberges als Zeugnis barocker Frömmigkeit und zu einzelnen im Sta-
tionenverlauf der Wallfahrtsstätte befindlichen Kapellen und Bauwerken liegen bereits ver-
schiedene Publikationen vor.1

Ziel dieses Beitrages ist es, die einzelnen Charakteristika des Grazer Kalvarienberges, wel-
che diesen von der grossen Anzahl ähnlicher Anlagen unterscheiden, auf eine mögliche Ein-
flussnahme der Grazer Jesuitenkongregation hin zu untersuchen. Zu diesen Besonderheiten
ist die grosse Zahl und Vielfalt an Kreuzwegstationen, die sich ursprünglich am Kalvarien-

                                                                                               Abb. 1: Graz, Kalvarienberg,
                                                                                               Die Drei Kreuze, 1606,
                                                                                               Aufnahme 2009
                                                                                               (Foto S. M. Rust)

202
berg befanden, zu zählen.2 Diese spricht für ein umfassendes theologisches Wissen um die
Leidensgeschichte Jesu und ist ein weiteres Zeugnis für die Bedeutung der Wallfahrtsstätte
und der ihr zuteilgewordenen Förderung. Die Errichtung einer auf Kalvarienbergen nur
selten anzutreffenden Auferstehungssäule verweist über die Darstellung der Passion hinaus-
gehend auf den der christlichen Heilsbotschaft innewohnenden Erlösungscharakter. In
diesem­Zusammenhang ausserdem zu nennen ist die rasche Aufnahme neuer, ‘moderner’
Strömungen der Heiligenverehrung, wie etwa die Errichtung einer Kapelle zu Ehren des hl.
Dismas, dessen Verehrung, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts stark zugenom-
men hatte, von den Jesuiten gefördert wurde. Bemerkenswert ist ausserdem, dass sich am
Kalvarienberg zwei architektonische Devotionalkopien befinden, einmal die 1654 errichtete
Heilig-Grab-Kapelle und zum anderen die ab 1718 erbaute Heilige Stiege, deren ‘Theat-
rum Sacrum’ am Fassadenprospekt schon vielfach mit dem Einfluss der Jesuiten in Zusam-
menhang gebracht wurde. Im Folgenden wird der Frage nachgegangen, ob die im Laufe des
Ausbaus der Wallfahrtsstätte getroffenen baulichen und seelsorgerischen Massnahmen als
‘Propaganda’ oder, anders ausgedrückt, als ‘Förderung zur Verlebendigung des Glaubens’
im Sinne der Jesuiten und damit letztlich als Massnahmen der Gegenreformation gedeutet
werden können.

1 Rochus Kohlbach, Die barocken Kirchen von Graz,               Druck- und Verlagsanstalt 1991, S. 255–261; Walter
  Graz: Grazer Domverlag o. J. (1951), S. 141–146;              Brunner (Hg.), Calvaria, Tod und Leben, Graz: Ver-
  Gustav Gugitz, Österreichische Gnadenstätten in Kult          ein zur Erneuerung und Erhaltung des Kalvarien-
  und Brauch, Bd. 4, Kärnten und Steiermark, Wien:              berges 1992, S. 111–113; id., «Passionsfrömmigkeit
  Verlag Hollinek 1956, S. 143f.; Kurt Woisetschlä-             und Kalvarienberge in der Steiermark», in: Lust und
  ger/Peter Krenn, Alte steirische Herrlichkeiten, Graz/        Leid, Barocke Kunst – Barocker Alltag, Ausstellungs-
  Wien/Köln: Styria 1968, S. 76; Dehio-Handbuch, Die            katalog Steirische Landesausstellung Schloss Trau-
  Kunstdenkmäler Österreichs, Graz, bearb. von Horst            tenfels, Graz: Verlag für Sammler 1992, S. 227–231;
  Schweigert, Wien: Schroll 1979, S. 152–156; Ägidi-            Amilcare Barbero, Atlante dei Sacri Monti, Calvari e
  us Leipold, «Kalvarienberg», in: Karl Amon (Hg.),             Complessi devozionale europei, Novara: Istituto
  Die Grazer Stadtpfarren, Graz/Wien/Köln: Styria               ­Geografico De Agostini 2001, S. 150f.; Robert Pret-
  1980, S. 125–131; Walter Brunner, «Aus der Ge-                 terhofer, “Bei den drei Kreuzen”, Liturgisches und
  schichte der Pfarre Kalvarienberg», in: Brief vom              volksfrommes Leben am Grazer Kalvarienberg im Spie-
  Kalvarienberg (1981), 9. Jg., Graz, Juni, S. 5–10;             gel schriftlicher und bildlicher Quellen vom Beginn
  ­Gabriele Striessnig-Kaltenegger, Die Kalvarienberge           (1606) bis in die Gegenwart (2001), Dissertation
   von Graz und St. Radegund, Diplomarbeit (Ms.),                (Ms.), Graz 2001; Erich Renhart (Hg.), Der Grazer
   Graz 1985, S. 24–37 sowie S. 63–77; Walter Brun-              Kalvarienberg. Geschichte, Bedeutung und Anspruch.
   ner, Der Grazer Kalvarienberg, Graz: Pfarramt                 Eine Dokumentation, Graz: Steirische Verlagsgesell-
   Graz-Kalvarienberg 1987; Hubert Moser, «Der                   schaft 2003; Walter Brunner (Hg.), Die Geschichte
   Kalvarienberg in Graz», in: Gerhard M. Dienes/                der Stadt Graz, Graz: Eigen­verlag der Stadt Graz
   Karl A. Kubinzky, Gösting und seine Geschichte, Graz:         2003, Bd. 3, ­Kirche-Bildung-Kultur, S. 474 und Bd. 4,
   Kulturreferat der Landeshauptstadt Graz 1989,                 Stadtlexikon, S. 234–237; Michael Rüdiger, Nachbau-
   S. 49f.; Walter Brunner/Erich Renhart, Steirische             ten des Heiligen Grabes in Jerusalem in der Zeit von
   Kalvarienberge, Graz: Schnider 1990, S. 110–138;              Gegenreformation und Barock. Ein Beitrag zur Kult­
   Heimo Kaindl, «Kunsthistorische Streifzüge über               geschichte architektonischer Devotionalkopien, Regens-
   steirische Kalvarienberge», in: Zeitschrift des histori-      burg: Schnell und Steiner 2003, S. 185f.; Sandra
   schen Vereins für Steiermark 82 (1991), S. 223f.;             Maria Rust, Der steirische Barock­architekt Johann
   Heimo Widtmann, «Die Unterschutzstellung des                  ­Georg Stengg (1689–1753), Dissertation (Ms.), Wien
   Grazer Kalvarienberges nach dem Grazer Altstadt-               2009.
   Erhaltungsgesetz 1980», in: Erich Renhart/Andreas          2 Im Zuge einer Renovierung des Kalvarienberges im
   Schnider (Hg.), Sursum corda, Graz: Akademische                Jahr 1853 wurden zahlreiche Stationen entfernt.

Sandra Maria Rust.   Der Grazer Kalvarienberg                                                                             203
Die Grazer Kalvarienberganlage entstand auf private Initiative des Bernhard Walter von
  Waltersweil3, Oberststallmeister bei Erzherzog Maximilian Ernst von Innerösterreich
  (1583–1616), der selbst eine Pilgerfahrt ins Heilige Land unternommen hatte. Er liess 1606
  zum Gedenken an die Leiden Jesu drei Kreuze auf dem Austein aufrichten. (Abb. 1) Die
  Wahl fiel sicherlich nicht zufällig auf diesen Ort. Einer Legende nach warf der Teufel selbst
  einen grossen Felsbrocken auf das Gebiet des heutigen Graz. Dieser zerbarst in drei Teile,
  wovon die beiden kleineren der Grazer Schlossberg sowie eben jener Austein sein sollen.
  Der Austein eignete sich wegen seiner äusseren Erscheinungsform, die an Golgotha erin-
  nert, und aufgrund seiner Entfernung zur Stadt besonders gut für dieses Vorhaben. In frü-
  hen Beschreibungen wird die Ansicht vertreten, dass er dem Golgothahügel in Jerusalem
  ähnlich wäre und die Entfernung von der Stadt Graz jener in Jerusalem entspräche.4 Bezo-
  gen auf den Grazer Kalvarienberg muss dies jedoch in symbolischem Sinne verstanden wer-
  den, da der Austein tatsächlich etwa 3,5 Kilometer vom Ausgangspunkt des Pilgerweges, der
  St. Ägydius-Kirche der Jesuiten (der heutigen Grazer Domkirche), entfernt liegt.
      Zu den drei Kreuzen setzte schon bald eine rege Wallfahrt ein. Der Eigentümer des
 ­Felsens, Ferdinand Freiherr von Maschwander5, vermachte diesen samt dem umliegenden
­Gebiet schliesslich testamentarisch dem Grazer Jesuitenkollegium mit dem Wunsch, dass
 «nach seinem Tode die göttliche Güte ganz vorzügliche Gnaden an jenem Berg ausspenden
 möge».6 Am 31. 8. 1619 traten die Jesuiten das Erbe an. Der Orden, der 1573 von Erzherzog

                                                                                                                       e
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                                                                                                  Denen Menschen aber
                                                                                                    e
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                                                                                                                    e
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                                                                                                                  e
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                                                                                                                           e
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                                                                                                  darbey=ligenden / von der
                                                                                                     e
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                                                                                                  Reinigung / In dem
                                                                                                  Ertz=Hertzogl. Collegio der
                                                                                                            e
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                                                                                                  Fortpflantzung der Andacht
                                                                                                  zu den Leyden Christi / und
                                                                                                  Schmertzen Mariæ, Mit
                                                                                                          e
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                                                                                                  Capellen gezierten Berg
                                                                                                  Calvariæ. Abermahlens auffs
                                                                                                       e
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                                                                                                  bessere Ordnung gerichtet.
                                                                                                        e
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                                                                                                              e
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                                                                                                  Erben / 1711, Wallfahrts­
                                                                                                  büchlein, Titelblatt (Abb. aus
                                                                                                  einem Nachdruck, Graz 2003,
                                                                                                  des vermutlich einzigen noch
                                                                                                  existierenden Originals,
                                                                                                  Privatbesitz)

204
Karl II. von Innerösterreich (1564–1590) nach Graz berufen worden war, betrieb zu diesem
Zeitpunkt in der Stadt bereits ein Gymnasium, das Jesuitenkolleg sowie eine Universität, die
etwa doppelt so viele Studenten zählte wie jene in Wien. Die Einrichtungen der Jesuiten-
kongregation befanden sich in unmittelbarer Nähe zum Grazer Hof. Die dem Orden zur
Benützung überlassene spätgotische St. Ägydius-Kirche bildet zusammen mit dem Mauso­
leum Ferdinands II. die vis-à-vis der Burg gelegene sogenannte Stadtkrone.
    Mit der Gründung zahlreicher Bruderschaften zur Verlebendigung des Glaubens be-
mühten sich die Jesuiten auch im Besonderen um das Seelenheil der Bürger.7 Einer dieser
Bruderschaften, der 1620 gegründeten Mariae Reinigung, wurden spätestens ab 1644 der
Ausbau und die Verwaltung des Kalvarienberges übertragen.8 Die Sodalität, welche der
deutsch abgehaltenen Gebete wegen auch ‘Deutsche Kongregation’ genannt wurde, erfreu-
te sich regen Zulaufs aus der Bevölkerung und zählte im Jahr 1657 bereits 750 Mitglieder.9
Bruderschaften wie diese spielten in der Barockzeit eine wichtige Rolle bei der Errichtung
von Kirchen, Kalvarienbergen und Denkmälern, da durch die Zugehörigkeit zu einer Bru-
derschaft auch bürgerlichen oder bäuerlichen Stiftern eine Möglichkeit zur gemeinschaftli-
chen materiellen Demonstration ihrer Frömmigkeit gegeben wurde. Das Ermöglichen und
Fördern eines solchermassen ‘bruderschaftlichen’ Er- und Auslebens der Religiosität sind
als wichtige Instrumente der jesuitischen Gegenreformationsbestrebungen zu werten, die
auch am bruderschaftlich finanzierten Grazer Kalvarienberg zur Anwendung kamen.

3 Zur Person des Bernhard Walter von Waltersweil            (1892), S. 48: 6. Dezember 1654: «Revers der Bru-
  vgl. Walter Brunner, Thal und seine Bewohner, Graz:       derschaft Unserer lieben Frauen des Grazer
  Riegler 1994, S. 351; Brunner/Renhart, Steirische         Jesuiten=Colle­giums an den Rector, dass sie ihn je-
  Kalvarienberge, op. cit. (wie Anm. 1), S. 120; Pret-      derzeit für den ‘Grundoberherren’ jenes kleinen
  terhofer, Bei den drei Kreuzen (Diss.), op. cit. (wie     ‘Bergels’ unweit Graz ‘neben dem Murstrom bei
  Anm. 1), S. 62.                                           den drei Kreuzen genannt’, welches er zur Errich-
4 Vgl. Robert Pretterhofer, «Bei den drei Kreuzen.          tung eines heiligen Grabes und anderer kirchlichen
  Volksfrommes liturgisches Leben am Grazer Kalva-          Bauten ihr überlassen habe, cum iure advocatiae an-
  rienberg», in: Erich Renhart, Der Grazer Kalvari-         erkennen werde.» Am 24. April 1654 war zwischen
  enberg, op. cit. (wie Anm. 1), S. 99.                     den beiden Parteien ein Vertrag geschlossen
5 Brunner/Renhart, Steirische Kalvarienberge, op. cit.      ­worden, wonach die Bruderschaft an das Jesuiten-
  (wie Anm. 1), S. 120. Zur Person des Ferdinand von         kollegium 1 fl. Grundzins leisten sollte. Wann die
  Maschwander vgl. Pretterhofer, Bei den drei Kreu-          Bruderschaft Mariae Reinigung den Austein über-
  zen (Diss.), op. cit. (wie Anm. 1), S. 63; Bernhard       nommen hat, geht aus den Quellen nicht eindeutig
  A. Reismann/Franz Mittermüller, Stadtlexikon, in:         hervor. Erstmals kann 1644 aus den Annuae Litterae
  Brunner, Geschichte der Stadt Graz, op. cit. (wie         der Jesuiten eine Verbindung ersehen werden. Es
  Anm. 1), S. 311f.                                         wird berichtet, dass die Bruderschaft eine Statue der
6 Vgl. Martin Čičo, «Kalvarienberge in der Slowa-           Schmerzensreichen Maria auf einem Sockel am
  kei», in: Brunner, Calvaria, op. cit. (wie Anm. 1),       Fusse des Austeins errichtet hätte. Brunner/Ren-
  S. 173; Pretterhofer, Bei den drei Kreuzen (Diss.),       hart, Steirische Kalvarienberge, op. cit. (wie
  op. cit. (wie Anm. 1), S. 57; id., Bei den drei Kreu-     Anm. 1), S. 120f.; Pretterhofer, Bei den drei Kreu-
  zen. Volksfrommes liturgisches Leben, op. cit. (wie        zen (Diss.), op. cit. (wie Anm. 1), S. 63–65.
  Anm. 4), S. 99.                                         9 Es wurden regelmässige, mitunter prunkvolle, von
7 Vgl. Franz von Oer, Das Bruderschaftswesen der Diö­        Büssern, Geisslern und Kreuzschleppern begleitete
  zese Seckau, Graz: Moser 1919.                             Prozessionen abgehalten, an denen sich tausende
8 Das Jesuitenkollegium behielt jedoch die grund-            Menschen beteiligten. Zur Kreuzauffindung des
  herrschaftlichen Rechte. Vgl. Franz von Krones, in:        Jahres 1657 wurden 8000 Personen gezählt. Zur
  Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen      Passionsfrömmigkeit vgl. auch Brunner, Passions-
  24, Graz: Historischer Verein für Steiermark               frömmigkeit, op. cit. (wie Anm. 1), S. 227–231.

Sandra Maria Rust.   Der Grazer Kalvarienberg                                                                       205
Die Aufgaben der Bruderschaft lagen neben der Regelung der Pilgerströme vor allem in
der Sorge um die Erteilung der nötigen Anzahl von Messlizenzen durch die Kirche, um eine
regelmässige Abhaltung von Gottesdiensten zu garantieren. Darüber hinaus setzte sie sich
für die Gewährung von Ablässen ein. Besonders Letzteres diente zweifellos der Erhöhung
der Pilgerzahlen. Äusserst willkommen war deshalb sicherlich der von Papst Alexander VII.
für alle Besucher des Kalvarienberges gewährte vollkommene Ablass für die Jahre 1657–
1664. Die hohen Kosten für die Errichtung, Erhaltung und Erweiterung der Kalvarienberg-
anlage konnten nur durch eine grosse Anzahl an Wallfahrern, Spenden und Stiftungen ge-
deckt werden. Die Beschaffung der entsprechenden finanziellen Mittel war vermutlich eine
der wichtigsten Aufgaben der Bruderschaft Mariae Reinigung. Unterstützung erhielt der
Kalvarienberg auch von höchsten adeligen Kreisen, allen voran von Kaiser Leopold I. und
führenden steirischen Adelsfamilien, wie den Grafen Herberstein und den Grafen Attems.10
    Indizien für das gemeinschaftliche Wirken von Bruderschaft und Jesuitenkongregation
am Grazer Kalvarienberg finden sich zum Beispiel auf dem Titelblatt eines Wallfahrtsbüch-
leins des Kalvarienberges aus dem Jahr 1711, (Abb. 2) aber auch in der Weiheinschrift der
von 1718–1723 am Kalvarienberg errichteten Heiligen Stiege, die wie folgt lautet:

             Ao: 1723. den. 14. Sept: wvrde | dise h:Stiegen Benedicirt
             zvr zeit a:r: patris iacobi | Wenner e.s:i: | vniversitatis et
             Collegy | Graecensis Rectoris | dan a:r:patris ioannis bapt.
             Gastinger / praesidis. e:s:i. titl. | heren leopold fridrich
             kopp i:v:d: | als rectoris Congregat: | Mariae Reinigung
             heren petri lvcrety ignaty von apostellen i:v:d: | vnd
             ­heren iohan georg | molser. | beider assistenten | heren
              h.georg Ramoser | des berg Calv: procvratoris.

Trotz eines von Beginn an grossen Zustroms der Pilger zu der 1606 errichteten Kreuzi-
gungsgruppe am Austein, der Übernahme des Kalvarienberges durch die Jesuiten und der
Verwaltung durch die Bruderschaft Mariae Reinigung, verlief der Ausbau der Wallfahrtsstätte­
anfangs nur schleppend. Es vergingen fast fünfzig Jahre bis weitere Wegstationen errichtet
werden konnten. Ab den 1640er Jahren finden sich vermehrt in den Jahresberichten der
­Jesuiten, den Annuae Litterae Societatis Iesu, Hinweise auf den Grazer Austein, der ab 1651
 offi­ziell mons Calvarius genannt wird. 1653 wurde von bischöflicher Seite die Erlaubnis zur
 Errichtung des Grabes Christi, einer Nachbildung des Heiligen Grabes in Jerusalem,
 ­erteilt.11 1659 entstanden die Kreuzsäulen zu den ‘Sieben Schmerzen Mariens’, die den Pil-
gerweg von der Minoritenkirche Mariahilf am Lend, einem am rechten Murufer gelegenen
damaligen Vorort von Graz, bis zum Kalvarienberg säumten. Die im selben Jahr errichtete
Ölbergkapelle (die heutige Pfarrkirche Graz-Kalvarienberg) wurde erstmals im Jahr 1668
und nochmals im Jahr 1700 erweitert, um schliesslich 800 Gläubigen Platz zu bieten. In der
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden zahlreiche neue Kapellen errichtet, die grösste
war die ab 1694 von Ignaz Maria Graf Attems gestiftete Dismaskapelle. Den Abschluss der
Baumassnahmen am Kalvarienberg bildete die in den Jahren 1718–1723 vom Grazer Archi-
tekten Johann Georg Stengg (1689–1753) erbaute Heilige Stiege. Die Anordnung der ein-

206
zelnen Kapellen erfolgte ohne Regelmässigkeit, der Geländeform angepasst. Sie wurden                                Abb. 3: Graz, Kalvarienberg,
                                                                                                                    Stationenweg, Ansicht von
völlig unterschiedlich gestaltet. Der Pilgerweg verläuft kreisförmig über den Austein. Den
                                                                                                                    Südosten, Aufnahme 2009
Ausgangspunkt des Rundganges bildet thematisch gesehen die Ölbergkapelle, den End-                                  (Foto S. M. Rust)
punkt die unmittelbar benachbarte Auferstehungssäule. (Abb. 3)
   Die übliche Anzahl der Stationen eines Kalvarienberges wird bereits bei Christian Adrian
Cruys, gen. Adrichomius, in den Werken Jerusalem sicut Christi tempore floruit, Köln 1584,
und Theatrum terrae sanctae, Köln 1590, mit folgenden 12 Stationen angegeben: Jesus wird
zum Tode verurteilt, Jesus nimmt das Kreuz auf seine Schultern, Jesus fällt zum ersten Mal

10 Vom Besuch Kaiser Leopolds I. (1658–1705) zeugt      gegen die Neige des Jahres 1653, wo nach Lösung
   eine Inschrift in der Kirche über dem Seitenein-     aller Schwierigkeiten vom hochw. P. Trinkell, da-
   gang: «LeopoLDVs I Caesar aVstrIaCVs qVarta          mals ­Ordensprovinzial, die Erlaubnis kam, Hand an
   oCtobrIs Isatas patIentIs saLVatorIs nostrI pIas     das Werk zu legen, nachdem auch vom Hochwür-
   ­statIones DeVote InVIsIt pIeque CoLVIt.» («Kai-     digsten und Hochwohlgeborenen Fürstbischof zu
    ser Leopold I. von Österreich hat am 4. Oktober     Seckau, Markus von Altringen, General-Vikar des
    andächtig diese verehrungswürdigen Leidensstatio-   Erz­bischofs von Salzburg, die Vollmacht dazu vor-
    nen Unseres Erlösers besucht und sie fromm ver-     her erbeten und erlangt worden war.», in: Annuae
    ehrt. 1660.», [übers. S. M. R.]).                   Litterae Societatis Iesu (1658), (zit. nach Pretterhofer,
11 «Wie es schon zu geschehen pflegt, so haben auch     Bei den drei Kreuzen [Diss.], op. cit. [wie Anm. 1],
    dieses fromme Werk verschiedene und zwar nicht      S. 64); vgl. auch Brunner, Passionsfrömmigkeit,
    geringfügige Hindernisse aufgehalten und es konn-   op. cit. (wie Anm. 1), S. 122.
    te trotz guten Willens nicht begonnen werden, bis

Sandra Maria Rust.   Der Grazer Kalvarienberg                                                                                                207
unter dem Kreuz, Jesus begegnet seiner Mutter, Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tra-
gen, Veronika reicht Jesus das Schweisstuch, Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz,
Jesus begegnet den weinenden Frauen, Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz, Jesus
wird seiner Kleider beraubt, Jesus wird an das Kreuz genagelt, Jesus stirbt am Kreuz. Anto-
nius Daza fügt diesen in seinen 1626 publizierten Exercitii spirituali noch die Stationen der
Kreuzabnahme und der Grablegung hinzu. Es ergaben sich somit 14 Stationen, die 1731
durch Papst Clemens XII. kanonisiert wurden.

Zusätzlich zu diesen Stationen befanden sich am Grazer Kalvarienberg jedoch noch ins­
gesamt dreizehn weitere.12 Diese waren:

             – die Kreuzigungsgruppe an der Spitze des Austeins (1606)
             – die Heilig-Grab-Kapelle (1654)
             – die Ölbergkapelle (heute Pfarrkirche zum hl. Kreuz)
             – die Heilige Stiege (1718–1723) mit der Ecce-Homo-Szene
             – die Geisselungskapelle (um 1660)
             – die Maria-Magdalena-Kapelle
             – die Herrgottsruhkapelle
             – eine weitere Kreuzfall-Kapelle
             – die Beweinungskapelle
             – die Verspottung-Christi-Kapelle
             – die Dismaskapelle (heute Mariatroster Kapelle, 1694–1701)
             – die Kapelle mit der Darstellung der Drei Marien
             – und die Auferstehungssäule

Von diesen zusätzlichen Stationen sind verschiedene im Zusammenhang mit dem Thema
des Beitrages besonders interessant:

             – die Heilig-Grab-Kapelle (1654)
             – die Heilige Stiege (1718–1723)
             – die Auferstehungssäule
             – die Dismaskapelle (ab 1694)

Eine Besonderheit im Verband mit einem Kalvarienberg stellt die Dismaskapelle dar.
(Abb. 4) Sie ist ein Beispiel für das rasche Reagieren des Jesuitenordens auf die ‘modernsten’
Tendenzen in der Heiligenverehrung. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, vielleicht unter
dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges, und schliesslich nach der Abwehr der Bedro-
hung durch die Türken13 nahm die Verehrung des hl. Dismas, des zur Rechten Christi ge-
kreuzigten Schächers, der als Patron eines ‘guten Todes’ gilt, rasch zu. 1688 kam es in
Ljubljana zur Gründung der Hochadeligen Dismas-Conföderation zu Laybach. Die Bruderschaft
liess die erste bekannte Kapelle zu Ehren des Heiligen in Ljubljana errichten, der eine grös-
sere Zahl weiterer Kapellenbauten folgte.14 Der Heiligenkult wurde aktiv von den Jesuiten
gefördert, deren Ordensmitglied P. David Loy 1693 in Wien eine Schrift zum Leben des

208
Abb. 4: Graz, Kalvarienberg,
                                                                                                                       Dismaskapelle, heute
                                                                                                                       Mariatroster Kapelle,
                                                                                                                       1694–1701, Aufnahme 2009
                                                                                                                       (Foto S. M. Rust)

12 Vgl. Striessnig-Kaltenegger, Kalvarienberge, op. cit.   14 Leopold Kretzenbacher, «St. Dismas, der rechte
   (wie Anm. 1), S. 16; Brunner/Renhart, Steirische           Schächer. Legenden, Kultstätten und Verehrungs-
   Kalvarienberge, op. cit. (wie Anm. 1), S. 115f. Im         formen in Innerösterreich», in: Zeitschrift des Histo-
   Zuge einer Renovierung des Kalvarienberges im              rischen Vereins für Steiermark 42 (1951), S. 126f.;
   Jahr 1853 wurden viele Stationen entfernt.                 Pretterhofer, Bei den drei Kreuzen (Diss.), op. cit.
13 Entsatz von Wien 1683, Schlacht bei Mohacs 1687,           (wie Anm. 1), S. 46.
   Schlacht bei Belgrad 1688, Schlacht bei Zenta 1697,
   Friede von Karlowitz 1699.

Sandra Maria Rust.   Der Grazer Kalvarienberg                                                                                                   209
Heiligen herausgab. Aus der Pfarrchronik der Pfarre Graz-Kalvarienberg geht hervor, dass       Abb. 5: Graz, Kalvarienberg,
                                                                                               Heilig-Grab-Kapelle, 1653,
die Bruderschaft Mariae Reinigung im selben Jahr, 1693, bereits um den Konsens für die Er-
                                                                                               Aufnahme 2009
richtung der geplanten Dismaskapelle ansuchte, an deren Stelle sich damals eine ältere Pest-   (Foto S. M. Rust)
kapelle zu Ehren der hll. Sebastian, Rochus, Rosalia, Ignatius und Franz Xaver befand. Die
beiden letztgenannten Namen verraten auch unzweifelhaft den Einfluss der Jesuiten.15 Für
die Finanzierung der neuen Kapelle kam Ignaz Maria Graf Attems auf.16 Vermutlich war At-
tems selbst Mitglied der Laibacher Dismas-Bruderschaft, denn er liess seinen im Jahr der
Gründung der Bruderschaft (1688) geborenen Sohn nach dem Heiligen auf den Namen
‘Franz Dismas’ taufen.17 Der Standort der Kapelle am Fuss des Austeins fügt sich gut in den
Pilgerrundgang ein. Sie ist sowohl chronologisch als auch geographisch vor der Heilig-
Grab-Kapelle situiert. Vom höchsten Punkt des Kalvarienberges mit der Kreuzigungs­
gruppe­herabsteigend, ermöglicht diese Anordnung dem Gläubigen das Nachvoll­ziehen des
Eintritts Jesu in das Reich des Todes. Auf den ‘guten Tod’, einer zentralen Vorstellung der
Gläubigen, folgt das leere Grab Christi und die Auferstehungssäule. Heiliges Grab und Auf-
erstehungssäule entlassen den Pilger nach tiefempfundenem Leiden Christi schliesslich mit
dem tröstlichen Gedanken der Erlösung.
   Als Hinweis auf die umfassende Ausstattung des Kalvarienberges und den hohen theologi­
schen Anspruch, der hinter dessen Ausbau zu vermuten ist, darf auch die Tatsache gewertet
werden, dass sich hier zwei architektonische Devotionalkopien befinden: die Heilig-Grab-
Kapelle und die Heilige Stiege. Das Heilige Grab in der Jerusalemer Grabeskirche ist eine

210
der zentralen Stätten der Christenheit, weil es – so die christliche Tradition – als die leer auf-
gefundene Ruhestätte des Leichnams Christi das historische Beweisstück für dessen Aufer-
stehung darstellt. Die Heilig-Grab-Kapelle als getreues Abbild der Grabkapelle Christi in
Jerusalem entstand bereits in der ersten Ausbauphase des Kalvarienberges ab 1654.18 (Abb. 5)
     Ganz zu Beginn – genau genommen vor dem Beginn – des Stationenweges befindet sich
die von 1718–1723 errichtete Heilige Stiege.19 (Abb. 6) Diese wurde der bereits bestehenden
Ölbergkapelle vorgebaut, so dass sie gleichzeitig auch als Kirchenfassade und Zugang zur
Kapelle (heute Pfarrkirche Graz-Kalvarienberg) dient. Auf Kalvarienbergen wurden Heilige
Stiegen üblicherweise in die Abfolge der Leidensstationen eingegliedert, wie dies bei den
grossen Anlagen in Italien (z.B. Sacro Monte di Varallo) oder in Polen (etwa Kalwaria Zeb-
rzydowska oder Kalwaria Pacławska) der Fall ist. Der Handlungsablauf der Passion wird in
das Bildprogramm der Stiegen integriert, wobei von der reichen malerischen Ausstattung
der Scala Santa in Rom bis zur Reduktion des Bildprogramms auf die Arma Christi alle
­Varianten vorkommen. Die Grazer Heilige Stiege ist zwar Bestandteil des Kalvarienberges,
 sie befindet sich aber nicht innerhalb des chronologischen Ablaufs der Handlung, sondern
 steht als eigenständiges architektonisches Element vor dem Beginn des Leidensweges. Ein
 zentrales Element ist das Bildmotiv am oberen Treppenabsatz. Häufig – so auch in Graz –
 findet sich an dieser Stelle eine Skulptur des ‘Christus an der Geisselsäule’. Die Fassade des
 Grazer Stiegengebäudes mit ihrem dramatisch aufgefassten Fassadenprospekt bietet einer
 vielfigurigen Ecce-Homo-Szene Platz. Die einzelnen Protagonisten der Ecce-Homo-Szene
 befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen, in gestaffelten Räumen der ‘Fassadenbühne’.
 Damit entspricht die Komposition in etwa der von den Jesuiten entwickelten ‘kubischen
 ­Simultanbühne’, bei der die Bühne auf einen einzigen szenischen Raum reduziert wurde,
  welcher Vorder-, Hinter- und Oberbühne vereinte und dem Publikum einen festen Standort
  gegenüber der Bühne zuwies. Mit dem Ausruf ‘Seht, was für ein Mensch!’ werden die Pilger
  unmittelbar in den Bann gezogen und es wird ihnen als Betrachter der Szene gleichsam auch
  ihr Platz unter dem Jesus verurteilenden Volk zugewiesen. Dieses unmittelbare Hineinge­

15 Vgl. Kohlbach, Die barocken Kirchen, op. cit. (wie         18 Vgl. Rüdiger, Nachbauten des Heiligen Grabes,
   Anm. 1), S. 144f.                                             op. cit. (wie Anm. 1), S. 185f.
16 Ibid; Brunner/Renhart, Steirische Kalvarienberge,          19 Zur Heiligen Stiege am Grazer Kalvarienberg vgl.
   op. cit. (wie Anm. 1), S. 127f.                               Rust, Stengg, op. cit. (wie Anm. 1), S. 52–76; id.,
17 Vgl. Kohlbach, Die barocken Kirchen, op. cit. (wie            «Die Heilige Stiege am Grazer Kalvarienberg
   Anm. 1), S. 144; zur Dismaskapelle vgl. auch Robert           (1718–1723). Das früheste bekannte Werk des Gra-
   Pretterhofer/Josef Ranftl/Kurt Woisetschläger,                zer B
                                                                     ­ arockarchitekten Johann Georg Stengg (1689–
   “Trö­sterin der Betrübten”. Die Dismas- bzw. Maria­           1753)», in: Friedrich Bouvier/Nikolaus Reisinger
   trosterkapelle am Grazer Kalvarienberg, Graz: Verein          (Hg.), Historisches Jahrbuch der Stadt Graz,
   zur Erhaltung und Erneuerung des Kalvarienberges              Bd. 38/39, Graz: Kulturamt der Stadt Graz 2009,
   2001. Zu den Verbindungen Ignaz Maria Graf                    S. 243–268. Die Heilige Stiege war nicht das erste
   ­Attems zu seiner Geburtsstadt Ljubljana siehe auch           Gebäude dieser Art in Graz. Im ehemaligen Aller-
    Igor Weigl, «‘Die Einheimischen bewundern die                heiligenkloster der Klarissen, das 1783 aufgehoben
    Gemälde’ – Graf Ignaz Maria von Attems-Heili-                wurde, befand sich ebenfalls eine Heilige Stiege,
    genkreuz als Auftraggeber und Sammler», in:                  über deren Aussehen jedoch nichts bekannt ist.
    11. Österreichischer Kunsthistorikertag: Osterweiterung      Papst Clemens XI. hatte noch 1715 für diese Stiege
    – West­erweiterung (= Kunsthistoriker. Mitteilungen          Ablässe verliehen. Gugitz, Gnadenstätten, op. cit.
    des Öster­reichischen Kunsthistorikerverbandes               (wie Anm. 1), S. 144.
    [2001], Jg. 18/19, S. 50–55).

Sandra Maria Rust.    Der Grazer Kalvarienberg                                                                         211
Abb. 6: Johann Georg Stengg,
                                                                                                 Heilige Stiege, 1718–1723,
                                                                                                 Graz, Kalvarienberg,
                                                                                                 Aufnahme 2009
                                                                                                 (Foto S. M. Rust)

zogenwerden in das Geschehen kann als gelungene Umsetzung der Affektlehre der Jesuiten
gewertet werden. Die Vorgehensweise erinnert auch an die Bühnenpraxis des zeitgenössi-
schen Ordensdramas. Die Jesuiten schickten ihren Theateraufführungen in der Regel kurze,
musikalisch untermalte Inhaltsangaben voraus, denen das eigentliche Drama folgte.20 Die
Heilige Stiege vereint verschiedene ikonographische Deutungsmodelle und erweist sich da-
mit als äusserst vielschichtiges Bauwerk. Sie ist eine Devotionalkopie, ihre Stufen dienen als
Reliquiare, als Stiege des Pilatushauses ist sie selbst eine Passionsreliquie und weist sich

212
durch die Ecce-Homo-Szene und die Skulptur des Christus an der Geisselsäule als Leidens-
stiege aus. Sie symbolisiert aber auch die Möglichkeit des Hinaufsteigens, des Beschreitens
des Weges zu Gott, und ist damit auch als Himmelsstiege zu deuten.

Wie dargelegt werden konnte, bot der Kalvarienberg den Jesuiten mannigfache Möglich­
keiten des Wirkens und der einprägsamen Vermittlung der Glaubensinhalte an die Pilger.
Neben den bereits erwähnten architektonischen Mitteln gab die von den Jesuiten mit der
Verwaltung des Kalvarienberges betraute Bruderschaft Mariae Reinigung ab der Mitte des
17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts mindestens 30 verschiedene Wallfahrtsbüchlein her-
aus. Die meisten erschienen zwischen 1659 und 1726, fast alle in deutscher Sprache. Zu
beson­deren Anlässen, wie der Errichtung der Dismaskapelle oder der Heiligen Stiege, er-
schienen besondere Publikationen, welche die Gläubigen in der richtigen Verehrung dieser
Stätten unterwiesen.
    Allgemein taten sich bei der Errichtung von Kalvarienbergen und deren Ausbau neben
den Jesuiten vor allem die Franziskaner hervor, denen schon zu Anfang des 14. Jahrhunderts
von Papst Clemens VI. die Betreuung der Heiligen Stätten in Jerusalem übertragen worden
war. Leider fehlt bislang eine umfassende und überregionale Überblicksuntersuchung zu
den Auftraggebern von Kalvarienberganlagen. Jedenfalls scheinen die Jesuiten im 17. und
18. Jahrhundert eine entscheidende Rolle bei der Initiierung neuer Kalvarienberge gespielt
zu haben. Zweifellos standen die unterschiedlichen Orden in ihrem gemeinschaftlichen
­Bemühen um die Rekatholisierung der Bevölkerung und die Festigung des Glaubens auch
 gewissermassen in Konkurrenz zueinander. Vielleicht nicht zufällig führte deshalb der Pil-
 gerweg zum Grazer Kalvarienberg von der Ägydius-Kirche der Jesuiten, der heutigen Gra-
 zer Domkirche, vorbei an der Minoritenkirche Mariahilf zu den Drei Kreuzen am Austein.
    Alle von den Jesuiten ergriffenen Massnahmen zum Ausbau des Kalvarienberges sowie
 dessen umfangreicher theologischer Gehalt dienten der Förderung der Frömmigkeit und
 der Stärkung des Katholizismus in der Steiermark, deren Bevölkerung nach dem Dreißig-
 jährigen Krieg in grosser Zahl protestantisch geworden war. Hier an der Grenze des Rei-
 ches, wo während mehr als zweihundert Jahren ein türkischer Einfall drohte, waren die
 Menschen für religiöse Initiativen des Jesuitenordens vermutlich besonders empfänglich.

20 Ursula Brossette, Die Inszenierung des Sakralen. Das     terreich», in: Hellmut Lorenz (Hg.), Barock. (= Ge-
   theatralische Raum- und Ausstattungsprogramm süd-        schichte der Bildenden Kunst in Österreich, Bd. 4),
   deutscher Barockkirchen in seinem liturgischen und ze-   München/London/New York: Prestel 1999, S. 27f.;
   remoniellen Kontext (= Marburger Studien zur             Wiltraud Resch, «Kunsthistorische Betrachtungen
   Kunst- und Kulturgeschichte, 4), Weimar: VDG             beim Gang über den Grazer Kalvarienberg», in:
   2002, S. 87f.; vgl. auch Friedrich Polleroß, «Auf-       Renhart, Der Grazer Kalvarienberg, op. cit. (wie
   traggeber und Funktionen barocker Kunst in Ös-           Anm. 1), S. 79.

Sandra Maria Rust.   Der Grazer Kalvarienberg                                                                     213
Edition Bibliothek Werner Oechslin
Studien und Texte zur Geschichte der Architekturtheorie
herausgegeben von Werner Oechslin

Akten des Achten Internationalen Barocksommerkurses
«Heilige Landschaft – Heilige Berge», 8. bis 12. Juli 2007,
herausgegeben von der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln

Redaktion, Lektorat, Korrektorat:
Christine House, Berlin (engl. Korr.)
Berthold Hub, Wien (Red.)
Philipp Tscholl, Zürich (Red., Lekt.)

Satz und Gestaltung:
Philippe Mouthon, Zürich (Konzept)
Angelika Wey-Bomhard, Zürich (Satz und Layout)

Sämtliche Abbildungen stammen, so nicht
anders vermerkt, aus der Stiftung
Bibliothek Werner Oechslin. Fotografie:
Robert Rosenberg, Einsiedeln

Bildbearbeitung und Druck:
galledia ag, Berneck

2014 © Autoren und gta Verlag, ETH Zürich, 8093 Zürich
www.verlag.gta.arch.ethz.ch
Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln
www.bibliothek-oechslin.ch

ISBN 978-3-85676-294-0

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                                                                              Umschlag: «elige», Der Mensch in der Welt zwischen ‘Gut und
                                                                              Böse’ und seine Bestimmung auf dem Weg zu Gott,
                                                                              Radierung, gezeichnet und gestochen von Dominique Barriere,
                                                                              in: Theologia | Ascetica | sive | Doctrina Spiritvalis
                                                                              Vniversa | Ex Svis Principiis | methodice, et breviter
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zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.                               Societatis Iesv. | Romæ, Ex Typographia Vareſij. MDCLVIII
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