Herausforderungen des Datenschutzes und des Datenschutzrechts - Alexander Roßnagel - RG Rhein-Main

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Alexander Roßnagel

  Herausforderungen
des Datenschutzes und
des Datenschutzrechts

   GI-Regionalgruppe Rhein-Main
         23. Februar 2021
Gliederung

1. Technische und ökonomische Herausforderungen
Neue Datenquellen, Infrastrukturen und Auswertungsmöglichkeiten

2. Schutz durch Grundrechte?
Anspruch und Wirksamkeit des Schutzes durch Grundrechte

3. Schutz durch Datenschutz-Grundverordnung?
Schutzaufgabe und Schutzwirkung des Datenschutzrechts

4. Allianz von Recht und Technik?
Rechtliche und technische Gestaltungsaufgaben für die digitale Welt
1.
Die Digitalisierung verstärkt die Notwendigkeit des
Datenschutzes und gefährdet seine Verwirklichung.
Neue Datenquellen: Erfassung des Alltagslebens

Digitalisierung der körperlichen Welt
Smart Everything: Smart Car, Smart Health, Smart Home, Smart Office,
Smart Watch, Industrie 4.0, Sensoren, ...
Künstliche Intelligenz, selbstlernende Algorithmen, Automatisierung, …
Vernetzt durch das Internet der Dinge
Individualisierung
Individuelle Anpassung, individuelle Assistenz
Unterstützung im Hintergrund
Notwendigkeit umfassender und tiefgehender Profilbildung
Explosion personenbezogener Daten
Alltägliche Welt – Daten zu allen Lebensregungen
Keine Flucht aus körperlichem Sozialraum möglich
Neue Infrastrukturen: Vernetzung aller Daten

Lebensnotwendige Infrastrukturen
Suchdienste, Informationsdienste, Soziale Netzwerke, Unterhaltungsdienste,
Nachrichtenaustausch, Verkehrsinfrastrukturen, Versorgungsnetze
Verarbeitung personenbezogener Daten unabdingbar
• Smart Cars: für Verkehrsinfrastruktur und Verkehrssicherheit
• Smart Home: Verhaltenserfassung für Klimaschutz und Energieeffizienz
• Smart Health: telemedizinische Beobachtung von Risikopatienten
(Rollenübergreifende) Profilbildung als Grundlage und Gegenleistung
Zur Teilnahme gezwungen
Anschluss- und Benutzungszwang
Selbstbestimmung reduziert sich auf Ja oder Nein zum digitalen Leben
Neue Auswertungen: Gefangen im Algorithmus
 Auswertung aller Datenquellen
 Big Data, Künstliche Intelligenz:
 schnelle Auswertung großer, diverser Datenmengen
 Delegation von Entscheidungen an Technik, …
 Verhaltenssteuerung
 Algorithmengeleitete Verhaltenssteuerung von Einzelnen und Gruppen
 Individuelle passgenaue Empfehlungen und Handlungsauswahlen durch
 Microtargeting, Nudging, …
 Anonyme Vergemeinschaftung
 Statistik funktioniert auch bei Verweigerung und gilt auch für Verweigerer
 Behandlung nach den statistischen Merkmalen der Gruppenzugehörigkeit
 Normativität der Normalität
 Verhalten nach erwarteter Normalität und gewünschten Wirkungen
Wissen ist Macht
Soziale Macht
hat derjenige, der das Verhalten anderer steuern kann
Nutzung von Daten durch Datenverarbeiter
beeinflusst
• Konsum: kontext- und persönlichkeitsbezogene Werbung
• Wissenserwerb: kontext- und präferenzbezogene Suchergebnisse
• Werthaltungen: präfenzbezogene Informationsauswahl
• Wahlentscheidungen: Programmatic Advertising (US-Wahlkampf)
Begrenzung privater Macht?
Sicherung von Freiheit und Selbstbestimmung durch Machtbegrenzung und
Gewaltenteilung auch bei übermächtigen Infrastrukturanbietern?
Aufgabe des Rechts?
2.
Die Grundrechte haben einen hohen Gestaltungsanspruch, können
diesen aber durch die Digitalisierung immer weniger erfüllen.
Schutz durch Grundrechte
Informationelle Selbstbestimmung
Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
Privatheit und Datenschutz
Art. 7 und 8 EU-GRCh

 Subjektives Recht
„Informationelle Selbstbestimmung ist Befugnis jedes Einzelnen,
grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner
persönlichen Daten zu bestimmen.“
Objektiver Grundsatz
„Selbstbestimmung (ist) eine elementare Funktionsbedingung eines auf
Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten
freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens.“
Schutzprogramm

Umsetzungsprogramm des Grundrechtsschutzes
Datenschutzgrundsätze (Art. 5 DSGVO) beschreiben die Bedingungen für
den Schutz der Grundrechte der betroffenen Person

Zulässigkeit
Vorbehalt des Gesetzes oder der Einwilligung für Eingriff in Grundrechte
Transparenz
Voraussetzung für Rechtsmäßigkeitsprüfung und Rechtsverfolgung
Zweckbindung
Steuerung der Verarbeitung durch Gesetzgeber und betroffene Person
Erforderlichkeit (Datenminimierung, Speicherbegrenzung)
Beschränkung des Grundrechtseingriffs, Schutz vor Missbrauch
Aushöhlung des Schutzprogramms
Bedingungen der Techniknutzung
gefährden die Bedingungen für Grundrechtsschutz

Einwilligung
Zulässigkeitsersatz, Zwang zur Einwilligung, Formalismus
Transparenz
Subjektive und objektive Grenzen, unmerkliche Unterstützung
Zweckbindung
Widerspruch zu umfassender Erkenntnisgewinnung und Unterstützung
Erforderlichkeit
Für weite Zwecke sind alle Daten erforderlich (z.B. Gedächtnis der Dinge)
3.
Der Datenschutz-Grundverordnung fehlen aufgrund ihrer
Technikneutralität angepasste risikoadäquate Regelungen
zum Schutz der Grundrechte der betroffenen Person.
Datenschutz-Grundverordnung

„Verordnung zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-
Grundverordnung)“ vom 27. April 2016

In Kraft seit dem 25. Mai 2016
Geltung in Deutschland seit dem 25. Mai 2018

Unmittelbare Geltung
Keine Umsetzungs- oder Anpassungsakte durch die Mitgliedstaaten notwendig
Anwendungsvorrang
Die Regelungen der Verordnung haben Anwendungsvorrang vor
widersprechenden Regelungen des nationalen Gesetzes- und Richterrechts
Datenschutzregelungen
Zulässigkeit der Datenverarbeitung
Einwilligung oder gesetzliche Zulassung: legitime Interessen
Rechte der betroffenen Person
Auskunft, Berichtigung, Löschung, Einschränkung, Widerspruch
Pflichten des Verantwortlichen
Datenschutzmanagement, Gestaltungs-, Prüf- und Sicherungspflichten
Prüfpflichten bei internationalen Transfers
Gewährleistung vergleichbaren Datenschutzes auch außerhalb der Union
Aufsichtsbehörden
Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung
Risikoadäquate Regelungsansätze
Notwendige Regelungen zur Bewältigung der Herausforderungen fehlen:
• Risikogerechte Ergänzungen der Erlaubnistatbestände
• Einschränkung der Einwilligung / Überprüfung von AGB
• Gestaltungs- und Verarbeitungsregeln (z.B. situationsadäquate Transparenz)
• Differenzierung der Zwecke nach Risiken
• Technikgestaltung, Schnittstellen für Datenschutztechnik
• Selbstbestimmung stärkende Architekturen: Speicherorte, Datenaustausch
• Technikgestalter als Regelungsadressaten
• Vorsorge bei noch nicht personenbezogenen Daten
• Zusätzliche Ziele der Datensicherheit: Nichtverkettbarkeit, Intervenierbarkeit
• Risikospezifische Speicherzeiträume und Löschpflichten
Risikoneutralität

Datenschutz-Grundverordnung
Keine Regelungen, die spezifischen Grundrechtsrisiken gerecht werden,
etwa zur Zulässigkeit, zu Rechten der betroffenen Person und zu
Schutzvorkehrungen
Technikneutralität (EG 15) soll verhindern, dass techniksteuernde Regelungen
so spezifisch sind, dass sie nur für eine bestimmte Technik gelten.
Richtig bezogen auf Technikausprägungen, falsch bezogen auf technische
Funktionen
Regelungen verfehlen ihr Ziel, wenn sie so neutral sind, dass sie den
spezifischen Grundrechtsrisiken nicht gerecht werden
Missverstandene Technikneutralität bewirkt Risikoneutralität
Folgen der Risikoneutralität der DSGVO

Keine Risikoreduzierung
Anwendung hochabstrakter Regelungen auf spezifische Risikolagen:
Kein Schutz der betroffenen Person und weitere Gefährdung von Grundrechten
Keine Rechtssicherheit
Abstrakte Regelungen und Abwägungsklauseln: interessengeleitete Interpreta-
tionen und Meinungsstreit – soziale Macht dringt in normative Spielräume
Folge: Handlungs- und Investitionsunsicherheit
Keine demokratische Risikosteuerung
Im Zweifel entscheidet der Verantwortliche über Risiken der Betroffenen
Nach Wesentlichkeitsgrundsatz: Aufgabe des Gesetzgebers
4.
Grundrechts- und Datenschutz werden in einer digitalisierten Welt
ohne eine enge Zusammenarbeit zwischen Recht und Technik und
ohne die Gestaltung technischer Systeme nicht möglich sein.
Datenschutz durch Systemgestaltung?

Moderne Techniksysteme als stärkster Motor der Veränderung
Neue technische Potentiale ermöglichen neue Techniknutzungen, neue
Geschäftsmodelle und neue Verhaltensweisen –
diese entwickeln einen gesellschaftlichen Druck zu einem sich ständig
verändernden Umgang mit personenbezogenen Daten
Notwendigkeit der rechtlichen Systemgestaltung
Schlichte Handlungsgebote und -verbote sind unzureichend
Wenn Techniksysteme die Verwirklichungsbedingungen rechtlicher Ziele am
stärksten beeinflussen, muss Recht vor allem diese so gestalten, dass durch sie
die rechtlichen Ziele erreicht werden
Beispiele zur Technikgestaltung

•   transparente, datensparsame, missbrauchsresistente Verarbeitungsvorgänge
•   Selbstbestimmung stärkende Architekturen: Speicherorte, Datenaustausch
•   nutzerfreundliche Verschlüsselungsmöglichkeiten
•   technischer Selbstdatenschutz (Festlegung geeigneter Schnittstellen)
•   risikospezifische Speicherzeiträume und Löschungsroutinen
•   situationsgerechte und entscheidungswirksame Information
•   frühzeitige Anonymisierung oder Pseudonymisierung von Daten

Diese Gestaltungsmaßnahmen führen selten zu echten Zielkonflikten:
vertretbare Datenverarbeitungen bleiben möglich
Überwindung der Technikneutralität
Mitgliedsstaaten
Präzisierung, Konkretisierung, Öffnungsklauseln
Europäischer Datenschutzausschuss
Leitlinien und Empfehlungen
Aufsichtsbehörden
Hinweise, Empfehlungen, Vorgaben, Anordnungen, Sanktionen
Vereinigungen von Verantwortlichen
Freiwillige Verhaltensregeln
Technische Alternativen
Technische Machbarkeit
Grenze jeder Gestaltungsanforderung

Technische Abhängigkeit
von Technikanbietern außerhalb der Europäischen Union
z.B. Betriebssysteme von Smartphones
Ökonomische Abhängigkeit
Marktmacht zur Durchsetzung globaler datenschutzfeindlicher
Geschäftsmodelle

Beschränkte Gestaltungsmöglichkeiten
• funktionaläquivalente Alternativen?
• Einfluss auf Hersteller?
• Zugriff auf Software?
Technologische Selbstbestimmung
Individuell und kollektiv bezogen auf
Datenverwendung
Faire Verwendung der Daten bei Sammlung, Analyse und Austausch
Infrastrukturleistungen
Alternative Angebote, die europäische Werte einhalten und unterstützen
Kontrollfähigkeit
ausreichende Transparenz und Offenheit technischer Systeme, um
kontrollieren zu können, ob sie europäische Werte erfüllen
Globalisierung und dritter Weg
Digitalisierung nach europäischen Werten als dritter Weg zwischen
Digitalkapitalismus und digitale Überwachung
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