Herausforderungen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit: Das Beispiel Brasilien - New Powers for Global Change?
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Regional Governance Architecture FES Briefing Paper February 2006 Page 1 New Powers for Global Change? Herausforderungen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit: Das Beispiel Brasilien CATRINA SCHLÄGER
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 2 Brasilien zählt zu den aufstrebenden Mächten des Südens, die im vergangenen Jahrzehnt eine Verschiebung der etablierten globalen Machtachsen eingeleitet haben. Die Forderung nach einem permanenten Sitz im UN Sicherheitsrat und die Führungsrolle in der G-20 sind nur zwei Anzeichen für die erstarkte Rolle Brasiliens als Regionalmacht mit globalen Ambitionen. Der Bedeutungszuwachs Brasiliens manifestiert sich auch in seinem Auftreten als Entwicklungshilfegeber gegenüber anderen Entwicklungsländern. Das vorliegende Briefing Paper analysiert Brasiliens „Geberprofil‘‘ und diskutiert, welche Chancen und Risiken mit den entwicklungspolitischen Aktivitäten der emerging donors verbunden sind und vor welche Herausforderungen die internationale Gebergemeinschaft gestellt wird. 1 Rising powers: Neue Akteure in der wicklungshilfegeber nach ODA-Kriterien in Er- internationalen Gebergemeinschaft scheinung. Der Kreis der Entwicklungshilfegeber ist in den Traditionell werden die Geberaktivitäten der vergangenen Jahren gewachsen. Dies ist zum ei- OECD-Staaten im Development Assistance nen auf die EU-Erweiterung und zum anderen Committee (DAC), dem 22 Staaten angehören, auf die Zunahme von Süd-Süd-Kooperationen öffentlich einer kritischen Analyse unterzogen. zwischen rising powers und Entwicklungsländern Als Nicht-OECD-Staaten sind die emerging do- in den letzten Jahren zurückzuführen. Das Auf- nors in diesen Zusammenschluss nicht integriert kommen von emerging donors kann als Spiegel- und damit auch nicht dem Berichterstattungs- bild eines sich neu austarierenden Global Gover- wesen des DAC und dem Peer-Review unterwor- nance Systems gewertet werden, in dem rising fen. powers wie Brasilien, China und Indien als ein- Drei potentielle Risiken hat das OECD/DAC in flussreiche Akteure auf der Weltbühne auftreten. Bezug auf das entwicklungspolitische Engage- Allerdings ist der Gedanke der Süd-Süd- ment der emerging donors identifiziert: Kooperation keinesfalls neu: bereits 1978 wurde • “They prejudice their debt situation by bor- eine Special Unit for South-South Cooperation rowing on inappropriate terms, im United Nations Development Programm mit dem Ziel gegründet „to promote, coordinate • They use low conditionality as to postpone and support South-South and triangular coope- necessary adjustment, and ration on a Global and United Nations system- • They waste resources on unproductive in- wide basis‘‘ (UNDP, 2006a). Quantität (z.B. Fi- vestment” (Manning, 2006:371). nanzvolumen, überregionales Engagement) und Qualität (bspw. thematische Fokussierung) der Um die Transparenz der entwicklungspolitischen Süd-Süd-Kooperation haben im vergangenen Aktivitäten der emerging donors zu erhöhen und Jahrzehnt jedoch eine erhebliche Aufwertung er- Risiken ihres Engagements zu vermindern, ist die fahren. OECD im Rahmen ihres Global Forum on Deve- lopment in einen Dialog mit den neuen Gebern ge- Unter der Bezeichnung Süd-Süd-Kooperation treten. Das Development Centre der OECD wird wird ‘‘a broad framework for collaboration hierzu gemeinsam mit UN DESA, UNDP und der among countries of the South, in the political, Weltbank Chancen und Risiken des Auftretens der economic, social, environmental and technical emerging donors systematisch analysieren. domains’’ verstanden (UNDP, 2006a). Somit um- fasst dieses Konzept Elemente der klassischen Auch während der russischen G8-Präsidentschaft Official Development Assistance (ODA) und geht wurde den emerging donors eine wichtige Be- gleichzeitig über die ODA-Definition des deutung beigemessen - so veranstalteten das OECD/DAC hinaus, da z.B. auch Handel und In- russische Finanz- und Außenministerium ge- vestitionen einbegriffen sind. 1 Die emerging do- meinsam mit OECD und Weltbank eine Konfe- nors Brasilien, China und Indien bauen einerseits renz zu „Emerging Donors in the Global Deve- umfangreiche Süd-Süd-Kooperationen auf und lopment Community‘‘. Dabei verständigten sich treten dabei gleichzeitig auch als klassische Ent- die Teilnehmerstaaten, dass das Erscheinen neu- er Geber positiv und unerlässlich für die Errei- 1 Laut der OECD/DAC Definition umfasst die Official chung der Millennium Development Goals (MDG) Development Assistance: „ODA consists of flows to sei, gleichzeitig bestehe aber noch ein starker developing countries and multilateral institutions Bedarf nach mehr Abstimmung und Transparenz provided by official agencies, including state and in der gesamten Geber-Community. local governments, or by their executive agencies, each transaction of which meets the following test: Das entwicklungspolitische Engagement Chinas a) it is administered with the promotion of the und Indiens dominiert in der politischen und öf- economic development and welfare of developing fentlichen Wahrnehmung, Brasilien als Entwick- countries as its main objective, and b) it is conces- sional in character and contains a grant element of lungshilfegeber ist kaum Gegenstand wissen- at least 25 per cent.“ (OECD, 1996:24) schaftlicher oder entwicklungspolitischer Debat-
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 3 ten. Ursache hierfür ist, dass die beiden asiati- schaft seitens wichtiger Industrieländer und zum schen Staaten mit ihrem massiven Mittelauf- anderen an der von anderen Schwellen- und kommen und ihrer nicht-konditionierten Hilfe Entwicklungsländern anerkannten Rolle als eine ernstzunehmende Konkurrenz - insbeson- Wortführer des globalen Südens. Das südameri- dere auf dem afrikanischen Kontinent - für die kanische Land hat die Anerkennung und das OECD-Geber darstellen. Im Vergleich dazu ist Vertrauen des globalen Süden gewonnen, da es Brasilien als Geber eher bescheiden aufgetreten: sich selbst als „’intermediary’ between the zwischen 1998 und 2004 standen 15 Millionen ‚weak’ and the ‚strong’‘‘ (SOARES und HILL, US-Dollar für 119 entwicklungspolitische Maß- 2006: 27) versteht. Ohne das wiederholte Be- nahmen zur Verfügung (ALTENBURG und WEI- kenntnis zum Multilateralismus wäre Brasilien KERT, 2006: 34). jedoch nicht zu einem derart bedeutenden Ak- teur aufgestiegen. Eine Analyse der brasilianischen Geberqualitäten ist jedoch sehr aufschlussreich, da sich diese --- Brasiliens wirtschaftliche Erstarkung ist ein weite- nach Ansicht einiger Beobachter --- im Gegensatz rer Faktor für die globale Bedeutungszunahme, zu China und Indien „viel weniger an kurzfristi- jedoch überwiegt in der Relevanz und Außen- gen wirtschaftlichen und politischen Eigeninte- wirkung Brasiliens internationale Rolle als politi- ressen‘‘ orientieren (ALTENBURG und WEIKERT, scher Akteur. Brasiliens Auftreten als donor ist 2006: 34). Brasilien setzt sich als konsequenter gekoppelt an die außenpolitische Strategie zum Verfechter und Initiator von Süd-Süd- Ausbau der Süd-Süd-Kooperationen. Kooperationen für die Belange des globalen Sü- Auch wenn Brasilien ambitioniert die Global Go- dens ein. Außerdem tritt Brasilien nicht nur als vernance-Architektur mitgestaltet, zählt das süd- klassischer bilateraler Geber auf, sondern enga- amerikanische Land nach wie vor als middle in- giert sich in innovativen multilateralen und trila- come country --- und somit als Entwicklungsland. teralen Kooperationsformen. Gleichfalls hat Bra- Zwar wird Brasilien im Rahmen der BRIC- silien in vielen Sektoren eigene Expertise aufge- Staatengruppen 2 in die Riege der aufstrebenden baut, die anderen Ländern für die Verbesserung Wirtschaftsmächte eingereiht und eine leichte der sozio-ökonomischen Entwicklung als Hand- Verbesserung der sozio-ökonomischen Indikato- lungsempfehlung dienen können. Insofern könn- ren zeichnet sich ebenfalls ab, jedoch bleiben te Brasilien anderen emerging donors als Vorbild erhebliche Entwicklungsdefizite bestehen. dienen. Vor diesem Hintergrund wird nachfolgend unter- Brasilien als internationale Ordnungsmacht sucht, inwiefern Brasilien als emerging donor die Brasilien wird von vielen in der internationalen internationalen Geberstrukturen beeinflusst. Hier- Gemeinschaft als konstruktiver „like-minded al- zu ist eine Analyse des entwicklungspolitischen ly‘‘ akzeptiert. Daher wird dem Land eine zentra- Engagements Brasiliens in Bezug auf Gestaltung le Rolle auf der weltpolitischen Bühne einge- und Ausrichtung seiner technischen und finanziel- räumt. So hat sich Brasilien gemeinsam mit der len Zusammenarbeit notwendig. Vertiefend wird Gruppe der Vier (G-4), der neben Brasilien auch die Süd-Süd-Kooperation zwischen Brasilien und Deutschland, Japan und Indien angehören, stark Afrika beleuchtet, um eine umfangreiche Bewer- für die Reform des UN-Sicherheitsrates einge- tung der Geberqualitäten Brasiliens zu ermögli- setzt und für die Einrichtung weiterer Ständiger chen. Sich hieraus ergebende Herausforderungen Sitze engagiert. Brasiliens internationale Bedeu- für die internationale Gemeinschaft und Chancen tung wird zudem durch Beteiligung am einer nachhaltigen Entwicklungspolitik werden „Outreach‘‘ der G8 Gipfel- und Ministertreffen aus den Erkenntnissen der vorgenommenen Be- unterstrichen. trachtungen abgeleitet. Durch den Zusammenschluss mit Indien und Süd- 3 2 Brasilien – eine rising power als afrika zum IBSA-Bündnis hat Präsident Luiz Inácio Anwalt des globalen Südens Brasilien übt seine Rolle als rising power im Sinne 2 Die BRIC-Staatengruppe steht für die Anfangs- einer konsequenten Ausweitung und strategi- buchstaben Brasilien, Russland, Indien und China. schen Verankerung von Süd-Süd-Kooperationen Ihnen wird für die kommenden 50 Jahre ein enor- aus und hat sich somit als konstruktiver Gestalter mes wirtschaftliches Potential zugesprochen, wo- durch sie die etablierten G-7 Mächte hinter sich der Global Governance Architektur bewiesen. lassen können. Brasiliens Aufstieg zu einem globalen Akteur im 3 Das „India, Brazil, South Africa IBSA-Dialogue Fo- politischen Weltgeschehen manifestiert sich zum rum“ wurde 2003 auf Initiative Lulas gegründet, einen an der Akzeptanz und Kooperationsbereit- bekennt sich zu demokratischen Werten, bekräftigt
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 4 Lula da Silva eine Süd-Süd-Kooperation mit neuer suren gut überstehen. Das 185 Millionen Ein- und einflussreicher Dynamik geschaffen und seine wohner starke Land ist zur neuntgrößten Volks- Ernsthaftigkeit an multilateraler Süd-Zusammen- wirtschaft der Welt aufgestiegen. Neben der arbeit unterstrichen. Mit Übernahme der Wort- Entwicklung zu einem attraktiven Anleihenmarkt führerschaft innerhalb der G20 im Rahmen der tritt Brasilien auch als globaler Investor auf: die WTO Doha-Entwicklungsrunde hat Brasilien seine multinationalen Unternehmen Petrobas S.A. und Verhandlungsmacht im Welthandelsregime unter Companhia Vale do Rio Doce 6 agieren weltweit. Beweis gestellt und enorm gestärkt. Insgesamt hat sich Brasilien zum sechstgrößten Investor innerhalb der Entwicklungsländergruppe Auch der Erfolg der ‘‘Lula-Group‘‘ 4 verdeutlicht aufgeschwungen (UNCTAD, 2006: 20). Brasiliens Rolle als Akteur des globalen Wandels. Mit dem Ziel alternative Finanzierungsinstrumen- Durch die gute wirtschaftliche Entwicklung und te für Entwicklung zu entwerfen, gründete Prä- die zahlreichen Sozialprogramme der Lula Regie- sident Luiz Inácio Lula da Silva gemeinsam mit rung konnten etliche armutsreduzierende Effek- den Präsidenten von Frankreich und Chile die Ini- te erzielt werden, welches sich auch positiv auf tiative „Action against Hunger and Pover- die Einstufung im Human Development Index ty‘‘ (KAGE, 2006: 1). (HDI) niederschlägt. Demnach hat sich die Le- bensqualität in Brasilien stetig verbessert, im Brasilien hat sich in den letzten Jahren auch stär- Vergleich zu anderen rising powers liegt Brasilien ker an UN-Missionen beteiligt und somit als glo- etwa 10 Plätze vor China und 50 Plätze vor In- bal player Verantwortung für Frieden und Si- dien. Insgesamt, bleibt Brasilien in der Bilanz je- cherheit in der Welt übernommen. Die Peace doch ein Land mit starken Entwicklungsdefiziten. Keeping Mission in Haiti steht seit 2004 unter Soziale Ungleichheit und Einkommensarmut sind brasilianischer Führung, mit 1.200 Soldaten stellt nach wir vor stark verbreitet. Zwar nimmt Brasi- Brasilien das größte Truppenkontingent. 1999 lien im internationalen Vergleich der Gini Koeffi- war Brasilien an der UN Peace Keeping Mission zienten keinen zweifelhaften Spitzenrang mehr in Osttimor mit Polizeikräften beteiligt. Brasilien ein (10. Rang im Jahr 2004 gegenüber 2. Rang hat außerdem an der UN-Oberserver Mission in in 1989 den ein), aber unverändert verfügen die El Salvador und an der UN-Oberserver Mission in Reichsten 10% über 45% des Wohlstands. Nach Mosambik teilgenommen und 1.300 Soldaten UNDP Angaben leben 22% der Brasilianer un- für die UN Mission in Angola bereitgestellt. terhalb der nationalen Armutsgrenze und müs- Mit der Ausrichtung der UN Konferenz für Um- sen mit 2 US-Dollar pro Tag auskommen (UNDP, welt und Entwicklung (UNCED) hat Brasilien be- 2006b). reits 1992 einen wichtigen Beitrag zur Global Aufgrund dieser gemischten Resultate ist Brasi- Governance-Architektur geleistet. Brasiliens Mit- lien zwar nach wie vor Netto-ODA- gliedschaft in zahlreichen regionalen und inter- Empfängerland, jedoch hat sich die Form der nationalen Regimen und Institutionen spiegelt Entwicklungszusammenarbeit geändert. Das die multilaterale Leitvision der brasilianischen 5 Bundesministerium für wirtschaftliche Zusam- Außenpolitik wider. menarbeit und Entwicklung (BMZ) stuft Brasilien 7 bspw. als Ankerland ein, mit dem die Bundes- So aufstrebend – aber regierung eine vertiefte Kooperation in geson- gleichzeitig doch so arm derten Themenfeldern aufbauen sollte, um die Brasilien hat sich nach seiner Marktöffnung er- regionale Bedeutung Brasiliens als Katalysator zu folgreich in den Weltmarkt integriert und konnte nutzen. auch die Währungskrise 1998 mit wenigen Bles- Verglichen mit den rising powers China, Indien und Südafrika erhält Brasilien die geringsten ODA-Mittel internationaler Geber: 2004 waren ein multilaterales globales Ordnungssystem und verpflichtet sich der Armutsbekämpfung (GRATIUS es ca. 477 Millionen US-Dollar, 2005 waren es und ZILLA, 2006: 3) 4 6 Bestehend aus: Algerien, Brasilien, Chile, Frank- Petrobas (Petrolio Brasiliero S.A. ist ein brasiliani- reich, Deutschland und Spanien schen Staatsunternehmen im Energiesektor. CVRD 5 Brasilien ist unter anderem Mitglied in der Organi- (Companhia Vale do Rio Doce) ist ein brasiliani- zation of American States (OAS), der Rio-Gruppe, sches Bergbauunternehmen. 7 der Interamerikanischen Entwicklungsbank, der Af- „Ankerländer sind aufstrebende wirtschaftliche rikanischen Entwicklungsbank, dem Internationalen und politische Mächte, ohne deren Engagement Währungsfonds, der Weltbank, UNCTAD, UNESCO, die Lösung aktueller und zukünftiger Weltproble- UNHCR, UNIDO, ILO sowie vielen weiteren Institu- me kaum möglich scheint.“ (ALTENBURG und WEI- tionen. KERT, 2006: 1)
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 5 sogar nur 281 Millionen US-Dollar. 2004 nahm durchaus zwischen Süd-Süd-Kooperation, Ent- die ODA lediglich 0,025% des brasilianischen wicklungszusammenarbeit, technischer und fi- Bruttonationaleinkommens ein (China: 0,096%, nanzieller Zusammenarbeit, Handel und Investiti- Indien: 0,002%). Der Anteil an Technischer onen. Grundsätzlich wird allerdings Entwick- Zusammenarbeit der gesamten ODA liegt mit lungspolitik als Teil des außenpolitischen Ansatzes etwa 180 Millionen US-Dollar seit Mitte der „Süd-Süd-Kooperation“ verstanden. 1990er Jahren auf einem stabilen Niveau. Der Brasilien hat sich nach eigenen Angaben dazu größte bilaterale Geber ist Japan, gefolgt von verpflichtet, seine Entwicklungshilfe nicht nach Deutschland, Frankreich und den USA. Mehr als finanziellen und/oder materiellen Eigeninteressen 40% der bilateralen EZ konzentriert sich auf auszurichten. Die brasilianische Regierung ver- „Programme Assistance‘‘, multisektorale Ent- steht Entwicklungspolitik als Beitrag zur interna- wicklungsansätze werden etwa mit 15% der tionalen Sicherheits- und Friedenspolitik. Vor ODA-Mittel unterstützt, weitere 12% fließen in diesem Hintergrund sind das Bekenntnis zum den Bildungssektor. Multilateralismus, der Nichteinmischung und der friedlichen Lösung von Konflikten wichtige 3 Brasiliens Entwicklungspolitik – Grundsätze brasilianischer Außenpolitik und wir- ein Instrument der Außenpolitik ken auch auf die Entwicklungspolitik. Bereits seit den 1970er Jahren tritt Brasilien un- ter der Überschrift der horizontalen oder Süd- Brasiliens technische Zusammenarbeit: Süd-Kooperation als entwicklungspolitischer Ge- vorbildlich für andere emerging donors? ber auf. Dabei positioniert sich Brasilien selbst als Brasilien versteht sein Süd-Engagement als ein Zwitter: „Brazil belongs simultaneously to both Instrument der Außenpolitik, welches die Bin- the industrialized and the developing worlds, dung zu bestimmten Regionen und Ländern where modernity and backwardness live side by stärkt, die nach nationalen und außenpolitischen side’’ (Ministério das Relações Exteriores (MRE) Interessen eine hohe Priorität genießen. Daher 2006). Aufgrund dieser ambivalenten Stellung ist auch die 1987 gegründete Agência Brasileira und aus der Kritik an der von Eigeninteressen de Cooperação (ABC) als selbständige Arbeits- geleiteten Entwicklungspolitik der Industrielän- einheit im Außenministerium verankert. Die Prio- der, leitet Brasilien einen Auftrag für seine Ge- ritäten der Süd-Süd-Kooperation leiten sich in beraktivitäten und einen internationalen Füh- erster Linie aus den Zusagen und Verpflichtun- rungsanspruch im Interesse der Länder des Sü- gen ab, die vom Präsidenten oder Außenminister dens ab. Infolgedessen nimmt das Außenminis- zu Staatsbesuchen gemacht werden. Ingesamt terium Brasiliens eine skeptisch bis kritische Hal- unterhält Brasilien mit 53 bilateralen Partnern tung gegenüber den Industrieländern ein: ‘‘The Kooperationsabkommen, welche die technische perspective on the problems and the solutions (und zum Teil kulturelle sowie wissenschaftliche) proposed by developed countries have not al- Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern in ei- ways corresponded with the concerns of the de- nen völkerrechtlichen Rahmen kleiden. Dabei ist veloping countries, since rich nations have auffällig, dass sich Brasiliens Engagement nicht tended to focus their attention on a selective nur auf Lateinamerika konzentriert, sondern agenda of issues on which they wanted to take auch sehr stark überregional ausgerichtet ist. immediate action and on those claiming the full support, just as immediately, of the so-called Entsprechend der außenpolitischen Verpflich- Third World’’ (MRE 2006). tungen konzentrierte sich die Mittelverteilung der entwicklungspolitischen Gelder (TZ-Mittel) Traditionell ist Brasiliens Außenpolitik auch im- 2003 zu 38% auf die südamerikanischen Länder, mer mit einer entwicklungspolitische Agenda wobei zweidrittel an Paraguay gingen. 34% der verbunden gewesen. Diese Verknüpfung hat un- Hilfe entfiel auf die lusophonen Länder Afrikas, ter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva eine neue hier hauptsächlich auf Angola und Sao Tome e Aufwertung erhalten: „The government’s fight Principe. 22% des brasilianischen EZ-Volumens against poverty and unequal income distribution gingen an Osttimor. Der mittelamerikanische at home and its assertive and activist foreign pol- Raum inklusive Karibik erhielt in diesem Zeitraum icy can be viewed as two sides of the same lediglich 6% der Zuwendungen, Haiti war das coin‘‘ (SOARES und HIRST, 2006: 21). 8 meistbegünstigte Land. Die Entwicklungspolitik (hier insbesondere die technische Kooperation) wurde in den vergan- genen Jahren professionalisiert und (außen) poli- 8 tisch aufgewertet. Brasilien unterscheidet dabei Alle Angaben in Stamm 2005: 16.
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 6 Als Nicht-OECD-Mitglied berichtet Brasilien nicht • Priorität auf Projekte, die Multiplikationsef- öffentlich und nicht nach DAC-Kriterien über fekte anstoßen und Nachhaltigkeit nach Pro- seinen EZ-Etat, extern validierte Angaben sind jektende garantieren; demnach nicht erhältlich. Nach eigenen Anga- • Priorität auf Projekte, die den größten Erfolg ben belief sich das finanzielle Volumen zwischen versprechen und eine pulverisierende Mittel- 2000 und 2004 insgesamt auf 12 Millionen US- verschwendung vermeiden; Dollar, die der ABC für TZ- Maßnahmen zur Ver- fügung standen. 9 Im Bericht an das High-Level • Präferenz von Projekten, bei denen die Emp- Committee on the Review of Technical Coopera- fängerländer mit einer eigenen Mittelmobili- tion among Developing Countries (HLC) von sierung beteiligt sind. UNDP verweist der brasilianische Berichterstatter In offiziellen Darstellungen ist das Leitmotiv der jedoch auf den Umstand, dass nicht nur die fi- brasilianischen technischen Zusammenarbeit ei- nanziellen Ressourcen der ABC berechnet wer- ne „Partnership for Development‘‘ mit dem den dürften, sondern auch die Dienstleistungen Empfängerland einzugehen: „to improve peo- anderer Organisationen, die in der Umsetzung ple’s standard of living, to foster sustainable mitwirken, mit einfließen müssen. Somit rechnet growth and to promote social develop- er vor: „that it is estimated that each US$ 1.00 ment‘‘ (HLC, 2003: 1). Knowhow-Transfer und spent should be multiplied by ten, since its exe- Stärkung institutioneller Strukturen in Partner- cution partners are institutions that do not ländern werden als Schlüssel für Entwicklung ge- charge for their participation nor for the know- sehen, welche durch Beratung, capacity building how they contribute’’ (HLC, 2003: 2). Mit dieser und Technologietransfer gefördert werden sollen. Grobüberschlagung hätte das Volumen zwi- schen 2000 und 2004 120 Millionen US-Dollar Brasiliens TZ ist institutionell breit aufgestellt: die betragen, auch damit bleibt der TZ-Etat Brasi- grundsätzliche Koordinationsfunktion über- liens sehr gering. nimmt die ABC, in die Durchführung sind über 120 weitere Institutionen eingebunden. Im Ge- Ein Grundsatz brasilianischer Entwicklungspolitik sundheitsbereich ist v.a. die Fundação Oswaldo ist laut Außenminister Celso Amorim, dass die Cruz, die an das Gesundheitsministerium ange- Vergabe brasilianischer TZ-Mittel weder an kom- bunden ist, in der Süd-Süd-Kooperation enga- merzielle nationale Interessen noch an Konditio- giert. Gemeinsam mit dem SENAI (Serviço Naci- nen für die Empfängerländer geknüpft sind (ABC, onal de Aprendizagem Industrial), einer Aus- 2006: 16). In diesem Zusammenhang reportierte und Weiterbildungsorganisation, werden berufli- Brasilien an das HLC: “The focus of Brazil’s tech- che Bildungszentren in Partnerländern aufgebaut. nical cooperation strategy has sought not to stimulate dependence, not to condition aid to Für die inhaltlich-konzeptionelle Schwerpunkt- profits or commercial benefits. Nor is it meant to setzung schöpft Brasilien aus seinen eigenen Er- be imposed” (HLC 2003: 1, 2). Damit entzieht fahrungen als Entwicklungsland und konzent- sich Brasilien dem politischen Grundsatz der riert sich auf Bereiche in denen das Land eigene OECD-Geber, die Vergabe von Entwicklungshil- Expertise angesammelt hat: „Most of the propo- femittel an Kriterien wie Rechtstaatlichkeit, Schutz sals of technical cooperation presented to the der Menschenrechte oder eine armutsorientierte Government of Brazil are related to sharing our Politikgestaltung zu binden. experiences in implementing these soluti- ons‘‘ (HLC 2003: 2). Schwerpunkte legt die ABC Gleichwohl wurde die TZ Brasiliens 2004 folgen- demnach auf die sozio-ökonomische Entwick- den politischen Leitlinien unterworfen: lungsfaktoren: Grund- und Erwachsenenbildung, • Priorisierung von Programmen der techni- Landwirtschaft, berufliche Bildung, Gesundheit, schen Zusammenarbeit, die die Intensivie- alternative Energien und Umwelt. Zusätzlich bie- rung der Beziehungen zwischen Brasilien tet Brasilien auch TZ-Mittel zur Reform der öf- und Partnerländern (Länder von höchster fentlichen Verwaltung und dem Ausbau des 10 außenpolitischer Priorität) unterstützen, KMU-Sektors an. Mit dem Fokus auf die nach- haltige Entwicklung von Humanressourcen • Unterstützung von Projekten, die nationalen scheint sich Brasiliens EZ-Ansatz stark von der Programmen und Prioritäten der Empfänger- chinesischen und indischen Ausrichtung auf In- länder entsprechen; frastrukturmaßnahmen zu unterscheiden. 9 Zum Vergleich: Allein Deutschlands TZ-Etat für das Jahr 2004 lag bei etwa 2,4 Milliarden US-Dollar (O- 10 ECD/DAC Stastics). Kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 7 „Export-Schlager‘‘ brasilianischer TZ sind z.B. im rika teilnehmen. Impfprogramme wurden auf Bildungssektor das Programm Bolsa Escola und Haiti gemeinsam mit der Canadian International das Alphabetisierungsprogramm. Beides sind na- Development Agency (CIDA) durchgeführt. Mit tionale Programme, die in Brasilien hervorragen- dem United Nations Population Fund hat Brasi- de Wirkungen erzielt haben. Das brasilianische lien ein Programm zur internationalen Verbrei- Programm zur Bekämpfung von HIV/AIDS und tung seines Gesundheitsprogramms zu Familien- Sexually Transmitted Diseases genießt auch un- planung, reproduktiver Gesundheit und Be- ter den OECD/DAC-Gebern einen hervorragen- kämpfung von AIDS in lateinamerikanischen und den Ruf. Im Bereich erneuerbare Energien gilt lusophonen Ländern initiiert. Brasilien international als Vorreiter bei der Etha- nolherstellung, die neben positiven Umweltef- Die große Unbekannte: fekten auch sehr breitenwirksame Einkommens- Brasiliens finanzielle Zusammenarbeit effekte erzielt, da industrielle (Agrobusiness) und Während die Ausrichtung der technischen Zu- traditionelle (Kleinbauern) Anbaustrukturen sammenarbeit Brasiliens umfangreich dokumen- kombiniert werden. Inwiefern der Transfer dieser tiert ist, sind nur wenige Informationen über brasilianischen Programme in andere nationale Konzeption, Leitlinien, Struktur und Volumen Kontexte von Erfolg gekrönt ist, ist jedoch nicht der brasilianischen FZ öffentlich zugänglich. Die bekannt. Evaluationen der implementierten Pro- Hauptkoordination der FZ scheint in einer klei- gramme existieren nicht oder sind nicht nen Unterabteilung des Finanzministeriums zu öffentlich zugänglich. liegen, über die sowohl Exportkreditlinien entwi- Die TZ Brasiliens ist an drei Achsen ausgerichtet: ckelt als auch bi- und multilaterale Schuldener- bi-, tri- und multilateral. Der Hauptanteil der bra- lasse abgewickelt werden. silianischen TZ wird über bilaterale Kooperati- Als Mitglied mit Oberserver-Status im Paris Club onsabkommen abgewickelt. Brasilien engagiert hat Brasilien an zahlreichen multilateralen Schul- sich aber auch zunehmend in multilateralen Fo- 12 denerlassen vor allem afrikanischer Staaten ren. Über den Brazilian Cooperation Fund, der mitgewirkt. Unter dem Dach der HIPC-Initiative 13 1995 unter dem Dach der OAS ins Leben geru- erlies das brasilianische Finanzministerium Mo- fen wurde, werden in erster Linie Fortbildungs- sambik 369 Millionen US-Dollar, Tansania 10 maßnahmen angeboten. So wurde bspw. 2003 Millionen US-Dollar, Mauretanien 9 Millionen ein Kurs zu „Diplomatic Practices‘‘ in El Salvador US-Dollar und Guinea-Bissau 5 Millionen US- für Teilnehmer aus Mittelamerika ausgerichtet. Dollar Schulden. Der regionale Fokus der brasili- Im Rahmen der Gemeinschaft Portugiesischspra- 11 anischen FZ liegt demnach auf Afrika. chiger Staaten (CPLP) setzt sich Brasilien bspw. für den Aufbau von beruflichen Bildungszentren IWF und Weltbank zählen Brasilien zu der Grup- in den lusophonen Entwicklungsländern ein. pe der emerging creditors 14 und haben beobach- tet, dass die Finanzhilfen der emerging creditors Die trilaterale oder auch Dreieckskooperation in den vergangenen Jahren sehr stark zuge- zwischen Brasilien als emerging donor, einem nommen haben. Nach China und Kuwait be- OECD-Geber und einem Entwicklungsland ist ei- hauptet sich Brasilien als drittgrößter emerging ne neue Form der Entwicklungszusammenarbeit creditor, der Kredite an Low Income Countries (vgl. ALTENBURG und WEIKERT 2006). Hierbei vergibt. 15 Innerhalb der Gruppe der emerging werden die Projekte von den drei Parteien ge- meinsam geplant, finanziert und implementiert. Trilaterale Kooperationen entstehen zumeist in 12 Unter anderem: Kongo, Nigeria, Gabun, Senegal, Sektoren, in denen die emerging donors über Demokratische Republik Kongo, Sambia, Maureta- eigene Expertise verfügen. Brasilien hat bisher nien, Tansania, Mosambik, Guinea, Bolivien, Gui- mit der Japan International Cooperation Agency nea-Bissau und Ghana. 13 (JICA) Dreieckskooperationen zu Bildungs- und Initiative der G8 von 1999 zum Schuldenerlass von Landwirtschaftsprojekten gestartet, bei denen Heavily Indebted Poor Countries (HIPC). 14 jährlich 120 Fachleute aus Lateinamerika und Af- IWF und Weltbank zählen Brasilien, China, Indien, Korea, Kuwait und Saudi Arabien zu den emerging creditors. 11 15 Die CPLP (Comunidade dos Países de Língua Portu- Im Vergleich zum Mittelaufkommen der traditionel- guesa) wurde 1996 gegründet, um die Kooperati- len OECD-Geber ist der Anteil der brasilianischen on zwischen den portugiesischsprachigen Staaten Kredite jedoch noch sehr gering. China und Kuwait zu fördern. Ihr gehören Angola, Brasilien, Kap Ver- als die größten Kreditgeber verfügen über Forde- de, Guinea-Bissau, Mosambik, Portugal und Sao rungen in der Höhe von 5 Mrd. bzw. 2,5 Mrd. US- Tomé e Príncipe an, Osttimor besitzt Beobachter- Dollar, konkrete Angaben über Brasiliens Kredite status. liegen nicht vor (IWF und WELTBANK, 2006: 8).
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 8 creditors verfügt Brasilien derzeit über die größ- räumte ein, dass Brasilien in Afrikas Schuld stehe: ten Forderungen in Angola (8% des BIP), Gui- „Brazilian society was built on the work, the nea-Bissau (4% des BIP) und der Republik Kongo sweat and blood of Africans‘‘ (Africa Recovery, (3% des BIP) (IWF und WELTBANK, 2006: 8). Da 2004: 3). Auch betonte der Präsident, dass Brasi- Brasiliens technische Zusammenarbeit ohne lien nach Nigeria die größte schwarze Bevölke- Konditionalitäten vergeben wird, ist auch bei der rung der Welt beheimatet. Die portugiesische Gewährung finanzieller Hilfen von einer Entbin- Sprache bindet die lusophonen Länder Afrikas dung an rechtstaatliche oder menschenrechtli- besonders eng an Brasilien, somit liegt der che Prinzipien auszugehen. Hauptfokus auch in der Süd-Süd-Kooperation auf dieser Ländergruppe. Neben den multilateralen Schuldenerlassen durch den Paris Club bekräftigt Brasilien seine Am deutlichsten skizziert sich die zunehmende multilaterale Grundposition durch Kontributio- Bedeutung Afrikas für Brasilien am gestiegenen nen an multilaterale Foren. Über das IBSA-Dialog Handels- und Investitionsvolumen. Zwischen Forum stellt Brasilien gemeinsam mit Indien und 2002 und 2006 hat sich der Handel mit afrikani- Südafrika 1 Million US-Dollar für den „UNDP schen Ländern verdreifacht und stieg 2006 auf 16 Fund for Public Health, Education, Sanitation fast 13 Milliarden US-Dollar an. Der Handel mit 17 and Food Security Projects‘‘ bereit. der SACU -Region war bereits zwischen 2003 und 2005 um 224% gestiegen, wobei sich 98% 4 Brasiliens Süd-Süd-Kooperation auf Südafrika konzentrierten. Mit den afrikani- mit Afrika: Echte Solidarität schen Ländern der CPLP wuchs der Handel im angereichert mit zahlreichen gleichen Zeitraum sogar um 283%, 90% entfie- Eigeninteressen len hierbei auf Angola. Brasilien exportiert in ers- ter Linie Lebensmittel und Industriegüter und Afrika ist zunehmend in das Interessenfeld der importiert fossile Energieträger. Die größten Öl- rising powers gerückt: so hat auch Präsident Luiz lieferanten Brasiliens waren 2006 Nigeria, Saudi- Inácio Lula da Silva im Einklang mit Brasiliens Arabien, Irak und Angola, der regionale Ener- außenpolitischer Strategie, die Süd-Süd- giemarkt Lateinamerika hingegen scheint für die Kooperation mit dem afrikanischen Kontinent brasilianische Energiepolitik bisher kaum eine verstetigt. Erklärte Ziele der Afrikapolitik sind: Rolle zu spielen. Auch brasilianische multinatio- „One is to set foot in what is seen as one of the nale Unternehmen haben Afrika als Wirtschafts- last commercial frontiers of the world. The other standort entdeckt; erst kürzlich investierte das to help Brazil become a global player in interna- brasilianische Bergbauunternehmen CVRD 2 Mil- tional affairs’’ (ZANINI und SORBARA, 2007). liarden US-Dollar in den Bau einer Steinkohlemi- Afrika wird in Brasiliens Wahrnehmung nicht nur ne in Mosambik (Africa Research Bulletin, 2006: als „lost continent‘‘ eingeordnet, sondern auch 17110). Laut dem Global Development Finance als potentieller Wirtschaftsstandort und Energie- Report verfügt Brasilien zudem über „conside- versorger hofiert. Der Ausbau der Süd-Süd Part- rable investments in Angola and Nige- nerschaft wird von brasilianischer Seite einerseits ria‘‘ (WELTBANK, 2006: 112). Auch wenn diese von „sanften‘‘ öffentlichen Solidaritätsbekun- Zahlen imposant wirken, so zeigen sie auch, dass dungen und andererseits von „harter‘‘ wirt- andere Wirtschaftsregionen wie die USA, die EU schaftlicher, politischer, technischer und finan- oder Lateinamerika für Brasilien nach wie vor zieller Kooperation geprägt. Priorität genießen, dass Brasilien auf dem afrikanischen Kontinent nur ein Player unter Im Zugang zu afrikanischen Märkten und Bo- vielen ist, und dass sich die wirtschaftlichen denschätzen konkurriert Brasilien vor allem mit Aktivitäten auf einzelne Länder beschränken. China und Indien. Handelspolitiker sehen dabei die engen kulturellen Bande Brasiliens mit Afrika Ende November 2006 fand auf Präsident Luiz als komparativen Vorteil. Die kulturellen Verbin- Inácio Lula da Silva’s Initiative der erste „Africa- dungen zwischen Brasilien und Afrika sind histo- South America Summit‘‘ (ASA) in Nigeria mit risch sehr eng, wurden jedoch erst in den ver- dem Ziel statt, die Süd-Süd-Kooperation zwi- gangenen Jahren wieder belebt. Dies unterstrei- chen die fünf Staatsbesuche Präsident Luiz Inácio 16 Im Vergleich dazu betrug der Handel zwischen Chi- Lula da Silva’s seit 2003 in 17 afrikanischen Län- na und Afrika bereits 2004 40 Milliarden US-Dollar dern und die symbolträchtigen Neueröffnungen und wird sich schätzungsweise in den kommenden von zwölf Botschaften. Bei seinem ersten Staats- fünf Jahren mehr als verdoppeln (Hofmann, 2006: besuch in Afrika beschwor der brasilianische Prä- 6). 17 sident die gemeinsamen kulturellen Wurzeln und Der 1969 gegründeten Southern African Customs Union gehören 5 Staaten Südafrikas an.
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 9 schen den beiden Regionen auszubauen. In der Infrastruktur, um den Rohstoffabbau zu optimie- Eröffnungsrede hielt Präsident Luiz Inácio Lula da ren. Silva ein Plädoyer für die Annäherung der beiden Im Jahr 2005 führte die ABC 54 bilaterale TZ Regionen auf der internationalen Bühne: „The Projekte in Afrika durch, davon entfielen 35 auf association between our two regions had never die lusophonen Länder Afrikas (Angola, Kap been so necessary before (...) We should become Verde, Guinea-Bissau, Mosambik und São Tomé aware that the collective way out is the only und Príncipe). Schwerpunkte waren (berufliche) possible one’’ (Radio Mundo Real, 2006). In die- Bildung, Landwirtschaft und HIV/AIDS- sem Sinne bekennen sich die Teilnehmerstaaten Bekämpfung. In Angola, Guinea-Bissau und Mo- in der Abschlusserklärung des Gipfels zur Demo- sambik unterstützt Brasilien durch das Angebot kratisierung der internationalen Beziehungen, beruflicher Bildungszentren die Reintegration zur Reform der UN und des Sicherheitsrat und von Ex-Kombattanten in das gesellschaftliche zum Ausbau der Süd-Süd-Kooperationen „for Leben und fördert somit die Konsolidierung des the mutual benefit of the states and peoples of Friedensprozesses. Zur Stärkung lokaler landwirt- the two regions‘‘ (Declaration ASA-Summit). Mit schaftlicher Forschungsinstitute kooperiert Brasi- dieser Übereinkunft sichert sich Brasilien die Un- lien mit Mosambik, São Tomé und Príncipe und terstützung der afrikanischen Staaten bei seinem Angola. Von Technologie- und Knowhow- Streben nach einem ständigen Sitz im UN- Transfer für bestimmte Anbaumethoden oder Sicherheitsrat. Kultivierungspflanzen profitieren São Tomé und Auf diesem Gipfel wurde außerdem das Africa- Príncipe, Namibia und Guinea-Bissau. Alle lu- South America Cooperative Forum (ASACOF), sophonen Länder sowie Botswana, Burundi und dessen Aktivitäten von Brasilien und Nigeria ko- Burkina Faso erhalten Unterstützung von Brasi- ordiniert werden sollen, ins Leben gerufen. Im lien bei der Bekämpfung von HIV/AIDS, dabei Mittelpunkt der Kooperationsabsichten stehen kann Brasilien auf Erfolge der eigenen Bekämp- die Bereiche Landwirtschaft, Handel und Investi- fungsstrategie zurückgreifen. Im Rahmen der tionen, Energie, Technologien, Wasserressourcen CPLP hat Brasilien den Aufbau von zwei regiona- und Tourismus. Es bleibt abzuwarten, welche len Exzellenzzentren gefördert: in Angola wurde Dynamik das Forum entwickeln wird und inwie- ein Regionalzentrum zur Unternehmensentwick- weit es gelingen wird, die gesteckten Ziele um- lung und in Mosambik ein Regionalzentrum für zusetzen. die Öffentliche Verwaltung eingerichtet. Auch wenn Brasiliens Entwicklungspolitik teilweise Ebenso wie bei anderen rising powers kommt es nicht dem OECD/DAC-Kriterienkatalog ent- auch im Falle Brasiliens zu einer Verquickung spricht, ist sein entwicklungspolitisches Engage- außenwirtschaftlicher, außenpolitischer und ment im Vergleich zu anderen emerging donors entwicklungspolitischer Interessen. Diese zeigt als eher positiv zu werten. sich am deutlichsten in der Empfängerliste brasi- lianischer Finanzhilfen. Zwar liegen nur vereinzelt 5 Chancen und Risiken einer Berichte über die finanzielle Zusammenarbeit vor, erweiterten Gebergemeinschaft: jedoch ist davon auszugehen, dass die 1 Milliar- Konstruktiver Dialog statt de US-Dollar, die Brasilien afrikanischen Ländern Schwarz-Weiß-Malerei an Schulden erlassen hat, vornehmlich rohstoff- reichen Ländern zu Gute kam (WELTBANK, 2006: Das Gesamtkonzept „Süd-Süd-Kooperation“ zieht 109). sich wie ein roter Faden durch Brasiliens Außen- politik. Zu begrüßen ist der proaktive und kon- Wie andere aufstrebende Mächte setzt sich Bra- struktive Einsatz Brasiliens für den globalen Süden, silien auf dem afrikanischen Kontinent für der unter anderem durch das IBSA-Bündnis und Armutsbekämpfung und die Erreichung der das Africa-South America Cooperative Forum an MDGs ein und bindet seine Hilfsmittel dabei nicht Nachhaltigkeit gewinnen könnte. Hinter der Rhe- an Konditionen wie „Gute Regierungsfüh- torik einer Partnerschaft von beiderseitigem Nut- rung“ oder „Beachtung der Menschenrechte“. zen, scheint der Nutzen nicht ausschließlich auf Generell sind jedoch bei der Bewertung Brasiliens brasilianischer Seite zu liegen. Problematisch ist Entwicklungspolitik zwei Faktoren zu beachten: im Zusammenhang mit der „Süd-Süd- zum einen ist Brasilien im Vergleich zu anderen Kooperation“ unterdessen die unscharfe Tren- rising powers nur ein relativ kleiner Akteur in nung zwischen den einzelnen Komponenten. Afrika; zum anderen konzentriert sich Brasiliens EZ in Afrika auf die langfristige Bildung von Isoliert betrachtet scheint Brasilien --- gemessen Humankapital und investiert nicht vornehmlich in an den vorliegenden Informationen über das die physische Infrastruktur, um den Mittelaufkommen --- eher ein kleiner emerging
Das Beispiel Brasilien FES Briefing Paper 3 | März 2007 Seite 10 donor zu sein. Vor allem im Vergleich mit ande- nors demonstrativ in die etablierte Geberge- ren emerging donors und etablierten OECD- meinschaft einzubinden. Gebern ist der EZ-Etat Brasiliens sehr gering. OECD und die G8 sind geeignete Foren, eben- Somit wird sich Brasiliens Süd-Süd-Engagement solche Dialogprozesse anzustoßen, allerdings in naher Zukunft dahingehend nicht gravierend stoßen sie an ihre Grenzen, wenn es um die Ver- auf die internationalen Geberstrukturen auswir- stetigung und Verrechtlichung gemeinsamer ken, dass Brasilien das finanzielle Volumen eines Prinzipien und Standards zwischen emerging OECD-Gebers übertreffen würde. donors und etablierten Gebern geht. Denn nur Im Vergleich zur Entwicklungspolitik der OECD- unter Voraussetzung einer „Vollmitglied- Staaten stechen Defizite der brasilianischen EZ schaft‘‘ der emerging donors in diesen multilate- insbesondere durch fehlende Transparenz über ralen Gremien würde eine gemeinsame Basis für Finanzvolumen und Vergabekriterien hervor. Ein die Ausgestaltung unterschiedlichster Politikbe- Öffentlichlegungsmechanismus über die Ver- reiche entstehen können, die der Leitvision einer wendung von EZ-Mitteln existiert in Brasilien multipolaren und fairen Weltordnung gerecht nicht. In diesem Zusammenhang ist auch die würde. Unabhängig von einer solchen Erweite- Leitlinie der Nichteinmischung und damit die un- rungsbereitschaft in der OECD oder der G8 stellt konditionierte Entwicklungshilfe kritisch zu hin- sich jedoch die prinzipielle Frage, ob die emer- terfragen. ging donors überhaupt Interesse an einer Ein- bindung in den OECD- oder G8- Wertekatalog Die Analyse der brasilianischen technischen Zu- befürworten würden, da dies die Akzeptanz des sammenarbeit hat jedoch auch verdeutlicht, „acquis communitaire‘‘ voraussetzt. welche Potentiale in der technischen Süd-Süd- Kooperation liegen können. In bi-, tri- oder mul- Die aktuelle Debatte um die Süd-Süd- tilateralen Kooperationen setzt sich Brasilien für Kooperationen zwischen emerging donors und Entwicklungspartnerschaften ein und legt dabei Afrika wird derzeit sehr emotional geführt. Nach einen Schwerpunkt auf die sozio-ökonomische Ansicht einiger westlicher Entwicklungspolitiker Entwicklung in den Kooperationsländern. Brasi- sind die Aktivitäten der emerging donors „men- lien könnte anderen emerging donors in zweier- schenrechtsverachtende Operationen‘‘, die lei Hinsicht als Vorbild dienen: zum einen hat hauptsächlich der nationalen Energiesicherung sich der Rückgriff auf eigene Entwicklungserfol- dienen. Die Motivation für das Engagement der ge als sinnvoll bewiesen, zum anderen bieten emerging donors in Ländern wie Angola oder Dreieckskooperationen zwischen emerging do- Sudan ist in der Tat äußerst zweifelhaft, jedoch nor, OECD-Geber und low income country viele kann man Jeffrey Sachs’ Ansicht in dieser Sache positive Lerneffekte für alle Involvierten. nur zustimmen: „Es ist eine Karikatur, dass die neuen Geberländer dort nur wegen ihres Eigen- In ihrer Gesamtheit werden die emerging donors interesses sind - und die traditionellen Geberlän- langfristig die internationalen Geberstrukturen der wegen der Güte ihres Herzens.‘‘ Die Aktivitä- getreu dem Motto „Konkurrenz belebt das Ge- ten alter und neuer Geber dürfen nicht mit schäft‘‘ verändern können. Als zentral für mögli- zweierlei Maß gemessen werden. che Veränderungen in der internationalen Ge- bergemeinschaft wird sich die Diskussion um Eine Debatte, die sich nur auf den Bereich der normative Standards in der Entwicklungszu- Entwicklungspolitik konzentriert, greift zu kurz. sammenarbeit zeigen: Welche Standards sollen Vielmehr müssen sich OECD und Nicht-OECD universal in der Entwicklungszusammenarbeit Staaten auch über kohärente und transparente gelten? Wie hoch sollte der Grad der Transpa- Politikgestaltung einerseits, und über Standards renz sein? Wie verhält es sich mit der Konditio- für Handel und Investitionen andererseits ver- nalität, die an die Vergabe von entwicklungspoli- ständigen. Derartige Dialoge sollten sowohl in- tischen Geldern geknüpft ist? Die normative nerhalb der OECD und G8-Gemeinschaft als Grundbestimmung, wie sie von der OECD ge- auch mit den emerging donors geführt werden. pflegt und verteidigt wird, wird derzeit von den Geberpraktiken der emerging donors herausge- Über die Autorin: fordert. Die Dialogbereitschaft, die von den etablierten OECD-Gebern ausgestrahlt wird, sind Catrina Schläger ist Mitarbeiterin im Referat positive Schritte in die Richtung, emerging do- Entwicklungspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin.
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