Hogan Lovells Kartellrechts-Radar - Frühling 2020 - Was Sie auf dem Schirm haben sollten
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Hogan Lovells Kartellrechts-Radar Frühling 2020 – Was Sie auf dem Schirm haben sollten Fokus COVID-19 können. Die Bescheinigungen sollen Unterneh- men zusätzliche Rechts- und Handlungssicherheit Kartellrecht in Zeiten der bei ihrer Zusammenarbeit zur Vermeidung von Corona-Pandemie Versorgungsengpässen vermitteln. Dies gilt ins- besondere für Fälle, in denen Unklarheit über die Es gibt wohl kaum einen Rechtsbereich, der inner- Vereinbarkeit der Kooperation mit EU-Wettbe- halb der letzten zwei Monate nicht von dem Aus- werbsrecht besteht. Derzeit hat die EU-Kommissi- bruch der Corona-Pandemie beeinflusst worden on etwa der Medicines for Europe, einer Koopera- wäre. Das Kartellrecht ist hier keine Ausnahme. Die tion zwischen Arzneimittelherstellen, einen Com- andauernde Krisensituation stellt dabei sowohl fort Letter ausgestellt (abrufbar hier; siehe auch Unternehmen als auch Kartellbehörden vor neue unseren vertieften Blogbeitrag hier). Die EU-Kom- Herausforderungen. Welche Entwicklungen und mission hat zudem jüngst verlauten lassen, dass Fallstricke es angesichts dessen im Bereich des es zudem diverse Anfragen aus dem Agrar- und europäischen Kartellrechts zu berücksichtigen gilt, Lebensmittelsektor gibt. Zudem sei bereits vor haben wir in dem nachfolgenden Artikel COVID-19 erwogen worden, Kooperationen zur zusammengestellt (siehe auch unser Reduzierung des Kohlenstoffdioxid-Ausstoßes mit Themen-Panel hier). Comfort Letter zu unterstützen. Suspendierung des Kartellrechts Bereits zuvor erklärte die EU-Kommission in Krisenzeiten? gemeinsam mit den nationalen Kartellbehörden In Krisenzeiten kann für Unternehmen ein Bedürf- der EU-Mitgliedstaaten in einer Stellungnahme nis nach verstärkter Zusammenarbeit mit Wett- des sog. European-Competition-Network (ECN) bewerbern zum Zwecke der Krisenbewältigung vom 23. März 2020, nicht aktiv gegen Unterneh- existieren, dem das Kartellrecht jedoch naturge- menskooperationen vorzugehen, die zur Vermei- mäß Grenzen setzt. Um insbesondere Unterneh- dung von Versorgungsengpässen initiiert werden men aus versorgungskritischen Wirtschaftssekto- (abrufbar hier; siehe auch unseren vertieften Blog- ren eine flexible Reaktion auf die Herausforderun- beitrag hier). gen der Corona-Pandemie zu ermöglichen, veröf- Im Rahmen ihrer bisherigen Veröffentlichungen fentlichte die EU-Kommission am 8. April 2020 haben die europäischen Wettbewerbsbehörden den sog. befristeten Rahmen zur Beurteilung von jedoch stets davor gewarnt, die gegenwärtige Kri- krisenbedingten Kooperationen im Zusammen- sensituation als Deckmantel für kartellrechtswid- hang mit der COVID-19-Pandemie (abrufbar hier; rige Verhaltensweisen zu nutzen. Trotz der Locke- siehe auch unseren vertieften Blogbeitrag hier). rungen bei der Durchsetzung des Kartellrechts in Der befristete Rahmen beinhaltet Orientierungs- versorgungskritischen Wirtschaftssektoren haben hilfen der EU-Kommission zur kartellrechtlichen Unternehmen daher auch in Zeiten der Corona- Beurteilung von krisenbedingten Kooperatio- Pandemie die kartellrechtlichen Regeln grund- nen zwischen Unternehmen. Die EU-Kommission sätzlich uneingeschränkt zu befolgen (siehe auch bezieht sich dabei insbesondere auf kartellrecht- unseren vertieften Blogbeitrag hier). lich vertretbare Kooperationsformen von Unter- nehmen des Medizinsektors. Neben den Orientie- rungshilfen eröffnet der befristete Rahmen zudem die Möglichkeit der EU-Kommission, in Ausnah- mefällen Bescheinigungen (sog. Comfort Letter) über die kartellrechtliche Vertretbarkeit konkreter Kooperationsprojekte ausstellen zu 1
2 Hogan Lovells COVID-19 und Fusionskontrolle 3. April 2020 erfolgten Änderung des befristeten Die Corona-Pandemie wirkt sich darüber hinaus Rahmens (abrufbar hier) wurden u.a. weitere fünf erheblich auf die Strukturierung und Durchfüh- Arten von Beihilfemaßnahmen ergänzt. rung von M&A-Transaktionen weltweit aus. Der befristete Rahmen gilt zunächst bis zum 31. Trotz der Bemühungen der Kartellbehörden, den Dezember 2020. Die EU-Kommission wird vor ordentlichen Geschäftsbetrieb (auf elektronischem diesem Datum prüfen, ob eine Verlängerung des Wege) aufrechtzuerhalten, ist in zahlreichen euro- befristeten Rahmens erforderlich ist. päischen Ländern mit Einschränkungen bei der Durchführung von Fusionskontrollverfahren zu Take away rechnen (siehe auch unseren vertieften Blogbei- Auch in Zeiten der Corona-Pandemie fin- trag hier). So fordern neben der EU-Kommissi- det das Kartellrecht dem Grunde nach on auch die Kartellbehörden in Deutschland und vollumfänglich Anwendung. Vor diesem Frankreich Unternehmen dazu auf, Fusionskont- Hintergrund sollten Unternehmen (auch rollanmeldungen so weit wie möglich zu verschie- krisenbedingte) Kooperationen mit Wett- ben. Die österreichische Bundeswettbewerbsbe- bewerbern stets kartellrechtlich begleiten hörde hat wiederum den Beginn der Prüfungsfrist lassen und ggf. mit den jeweils zuständi- für sämtliche, bis zum 30. April 2020 angemelde- gen Kartellbehörden abstimmen. Im Hin- te Zusammenschlussvorhaben auf den 1. Mai 2020 blick auf die Fusionskontrolle sollten ins- festgelegt. In Deutschland läuft zudem aktuell ein besondere für das Jahr 2020 geplante Gesetzgebungsvorhaben, mit dem die Prüffristen M&A-Transaktionen durch realistisch ge- in der Fusionskontrolle für alle Anmeldungen von staltete long-stop-dates vertraglich ab- Zusammenschlüssen in der Zeit vom 1. März bis gesichert werden. Unternehmen sollten zum 31. Mai 2020 verlängert werden sollen. Kon- schließlich auch überprüfen, inwiefern sie kret sollen die Fristen für Prüfungen in der Pha- in den Geltungsbereich von Beihilferege- se 1 auf zwei Monate und bei einer vertieften Prü- lungen der EU-Mitgliedstaaten fallen und fung auf insgesamt sechs Monate verlängert wer- ggf. förderungsfähig sind. den (Pressebericht abrufbar hier). Für Unternehmen ist es daher insbesondere im Hinblick auf die zeitliche Planung von M&A- Transaktionen wichtig, mögliche Verzögerungen Ausländische Direktin- bei der Erlangung kartellrechtlicher Behörden- vestitionen auf dem freigaben vertraglich durch realistische long-stop- dates adäquat zu berücksichtigen. Prüfstand Lockerungen bei der Vergabe staatlicher Angesichts der drastischen wirtschaftlichen Aus- Beihilfen wirkungen der Corona-Krise wächst in Europa die Sorge vor einem Ausverkauf der Industrie an Angesichts der gravierenden wirtschaftlichen Aus- Investoren aus Drittstaaten. Vor diesem Hinter- wirkungen der Corona-Pandemie hat die EU- grund bekommt die Krise eine besondere außen- Kommission bereits am 20. März 2020 auch einen wirtschaftsrechtliche Dimension und rückt die in befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen ange- Deutschland und weiteren EU-Mitgliedstaaten nommen (abrufbar hier, siehe auch unseren ver- bestehenden Investitionsprüfverfahren bei M&A- tieften Blogbeitrag hier). Der befristete Rahmen Transaktionen stärker in den Fokus. beschreibt dabei fünf Arten von Beihilfemaßnah- men, die von der EU-Kommission als mit dem Reaktion der Europäischen Kommission europäischen Beihilferecht vereinbar erachtet wer- Die Europäische Kommission veröffentlichte am den. Im Falle der Anwendung der beschriebenen 25. März 2020 Leitlinien betreffend ausländische Beihilfemaßnahmen durch die EU-Mitgliedstaaten Direktinvestitionen (abrufbar hier). Darin fordert können die Hilfsprogramme trotz des weiterhin sie die Mitgliedstaaten auf, ihre Überprüfungsme- geltenden Genehmigungsvorbehalts auch kurz- chanismen für ausländische Direktinvestitionen in fristig von der EU-Kommission freigegeben wer- vollem Umfang zu nutzen, um die Risiken für kri- den. So genehmigte die EU-Kommission bereits tische Gesundheitsinfrastrukturen, die Versor- wenige Tage nach Erlass des befristeten Rahmens gung mit kritischen Ressourcen und andere kriti- die ersten nationalen Hilfsprogramme, darunter sche Sektoren vollständig zu berücksichtigen. Mit- auch das Hilfspaket der deutschen Bundesregie- gliedstaaten, die noch nicht über Überprüfungs- rung vom 22. März 2020 (siehe hier). Mit der am mechanismen verfügen oder deren Mechanismen
3 Hogan Lovells nicht alle einschlägigen Transaktionen abdecken, Abweichende Sonderregeln gelten für den Erwerb wird aufgegeben, einen umfassenden Mechanis- von Unternehmen, die in besonders sicherheits- mus einzurichten und in der Zwischenzeit alle sensiblen Bereichen tätig sind (sogenannte sektor- anderen verfügbaren Möglichkeiten zu nutzen, spezifische Prüfung). Dazu zählen Hersteller oder um in Fällen aktiv zu werden, in denen der Erwerb Entwickler von Kriegswaffen und anderen militäri- eines bestimmten Unternehmens ein Risiko für schen Schlüsseltechnologien, von besonders kons- die Sicherheit oder die öffentliche Ordnung in der truierten Motoren oder Getrieben für gepanzer- EU mit sich bringen könnte. te militärische Kettenfahrzeuge und von Produkten mit IT-Sicherheitsfunktionen, die für die Verarbei- Zuständigkeit liegt bei den Mitgliedstaaten tung staatlicher Verschlusssachen genutzt werden. Im Gegensatz zur Fusionskontrolle liegt die Zuständigkeit für die Überprüfung ausländischer Verschärfung des deutschen Außenwirt- Direktinvestitionen allein bei den Mitgliedstaaten. schaftsrechts Daran ändert auch die am 10. April 2019 in Kraft Unabhängig von der Corona-Krise hat das Bun- getretene Verordnung (EU) 2019/452 zur Schaf- deskabinett am 8. April 2020 einen Gesetzent- fung eines Rahmens für die Überprüfung auslän- wurf zur Änderung des Außenwirtschaftsgeset- discher Direktinvestitionen in der Union nichts zes beschlossen (abrufbar hier). Zentrale Neue- (abrufbar hier). Mit der Verordnung werden Stan- rung ist die Ausweitung des Prüfungsmaßstabs bei dards für die Überprüfung und ein Kooperations- der Investitionsprüfung. Künftig wird es darauf mechanismus zwischen den Mitgliedstaaten sowie ankommen, ob ein Erwerb zu einer „voraussichtli- zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommissi- chen Beeinträchtigung“ der öffentlichen Ordnung on geschaffen. Letzterer umfasst die Möglichkeit, oder Sicherheit führt; bisher war eine „tatsäch- Stellungnahmen zu Investitionen abzugeben. Die liche Gefährdung“ maßgeblich. Neben den Aus- Entscheidung darüber, ob ein Überprüfungsme- wirkungen eines Erwerbs in Deutschland können chanismus eingerichtet oder eine bestimmte aus- außerdem Auswirkungen auf andere Mitgliedstaa- ländische Direktinvestition überprüft und unter- ten sowie auf Projekte oder Programme von Uni- sagt wird, fällt jedoch weiterhin in die alleinige onsinteresse berücksichtigt werden. Darüber hin- Verantwortung des betreffenden Mitgliedstaats. aus wird jeder meldepflichtige Erwerb für die Dau- Bislang haben 14 Mitgliedstaaten entsprechende er der Prüfung schwebend unwirksam sein. Bis- Überprüfungsmechanismen eingeführt (vollstän- lang war dies nur bei der sektorspezifischen Prü- dige Liste abrufbar hier). fung möglich. Investitionsprüfung in Deutschland In einem zweiten Schritt sollen in Kürze ergän- Nach deutschem Außenwirtschaftsrecht zende Vorschläge zur Änderung der Außenwirt- unterfallen ausländische Direktinvestitionen in schaftsverordnung vorgelegt werden. Geplant ist, deutsche Unternehmen der Investitionsprüfung dass zur kritischen Infrastruktur bald auch die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Bereiche Künstliche Intelligenz, Robotik, Halblei- Energie. Prüfungsmaßstab ist, ob der konkre- ter, Biotechnologie und Quantentechnologie zäh- te Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicher- len. Derzeit wird innerhalb der Bundesregierung heit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. diskutiert, ob auch Arzneimittel- und Impfstoff- Grundlage dafür sind das Außenwirtschaftsgesetz hersteller explizit erwähnt werden sollten – dazu und die Außenwirtschaftsverordnung. dürfte der mutmaßliche Übernahmeversuch des Tübinger Pharmaunternehmens CureVac durch Im Regelfall findet die sogenannte sektorübergrei- die US-Regierung seinen Teil beigetragen haben. fende Prüfung Anwendung. Sie erfasst grundsätzlich alle Erwerbsvorgänge, durch die ein Unionsfremder mindestens 25% der Stimmrechte an einem inländi- schen Unternehmen erlangt. Gehört das inländische Unternehmen einem besonders sicherheitsrelevan- ten Bereich an (z.B. Betreiber kritischer Infrastruk- tur), liegt die Aufgreifschwelle bei 10% der Stimm- rechte. Um frühzeitig Rechtssicherheit zu erlangen, kann im Vorfeld des Erwerbs eine Unbedenklich- keitsbescheinigung beantragt werden.
4 Hogan Lovells absprache auf den Beschaffungsvorgang, auf den Take away das Schadensersatzbegehren gestützt ist, tatsäch- Die Europäische Union ist auch in der Co- lich ausgewirkt hat: Stehe ein Verstoß gegen Art. rona-Krise weiter für ausländische Inves- 101 AEUV in Rede, so sei die Rechtsprechung des titionen offen. Trotzdem verstärkt die Kri- EuGH zu berücksichtigen, nach der grundsätz- se einen anhaltenden Trend zu mehr Pro- lich „jedermann“ Ersatz eines Schadens aus einem tektionismus. In der Praxis bedeutet dies, Kartellverstoß verlangen könne, soweit nur zwi- dass betroffene M&A-Transaktionen, nicht schen Schaden und Kartellverstoß ein ursächlicher nur im Gesundheitssektor, komplexer wer- Zusammenhang bestehe. Hierzu müsse zur Haf- den und die Transaktionssicherheit ab- tungsbegründung jedoch nicht festgestellt werden, nimmt. Auswirkungen können abgemil- dass der gegenständliche Beschaffungsvorgang dert werden, indem bereits in einem frü- kartellbetroffen sei. Daher gelte auch nicht das hen Stadium außenwirtschaftsrechtliche Beweismaß des § 286 ZPO. Soweit sich aus dem Aspekte Berücksichtigung finden und den Urteil „Schienenkartell I“ etwas anderes ergebe, zuständigen Behörden dargelegt wird, dass werde daran „nicht festgehalten“. Stehe fest, dass die Übernahme nicht die gegenwärtige die Kartellabsprache ursächlich für den geltend Krise ausnutzt. gemachten Schaden sei, stehe zugleich die Kartell- betroffenheit des diesbezüglichen Erwerbvorgangs fest. Die Kartellbetroffenheit sei daher grundsätz- lich mit der Schadensfeststellung Gegenstand der Fokus Kartellschadensersatz haftungsausfüllenden Kausalität. BGH konkretisiert die Beweisanforderun- Das Beweismaß für die Schadensfeststellung rich- gen an die Kartellbetroffenheit und den tet sich nach § 287 Abs. 1 ZPO. Der BGH hält an der Ablehnung eines Anscheinsbeweises fest. Es Schadenseintritt sei nicht davon auszugehen, dass sich jedes Kar- Im Urteil „Schienenkartell I“ zum sogenannten tell allgemein und damit auf die in Rede stehen- Kartell der Schienenfreunde hatte der Bundes- den Beschaffungsvorgänge preissteigernd aus- gerichtshof einem bisher anerkannten doppel- wirke, sodass dadurch dem Abnehmer ein Scha- ten Anscheinsbeweis hinsichtlich Schadenseintritt den entstehe. An dieser für einen Anscheinsbe- und Kartellbetroffenheit eine Absage erteilt (BGH, weis erforderlichen Typizität des Geschehensab- Urt. v.11.12.2018, KZR 26/17; abrufbar hier; wir laufs fehle es jedenfalls bei Quoten- und Kunden- berichteten hier). Das OLG Düsseldorf trat der schutzkartellen. Es könne jedoch auf Erfahrungs- Absage des BGH offen entgegen (OLG Düsseldorf, sätze als tatsächliche Vermutung und als Indiz im Urt. v. 23.1.2019, VI-U (Kart) 18/17; wir berichte- Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung ten hier). Nun nutzte der BGH sein Urteil „Schie- zurückgegriffen werden. Das Gewicht des Erfah- nenkartell II“ ebenfalls zum Kartell der Schienen- rungssatzes hänge von der konkreten Ausprägung freunde zur Konkretisierung der Beweisanfor- des Kartells und den weiteren Umständen ab, die derungen (BGH, Urt. v. 28.01.2020, KZR 24/17; für oder gegen einen Preiseffekt der Kartellabspra- abrufbar hier). che sprechen. Bei dem gegenständlichen Quoten- Gegenstand des Verfahrens ist die auf Kartell- und Kundenschutzkartell komme einem solchen schadensersatz gerichtete Klage eines regiona- Erfahrungssatz jedenfalls eine starke Indizwir- len Verkehrsunternehmens, gegen einen Herstel- kung zu. ler und einen Händler von Schienen, Weichen und Schwellen, die sich an einem Quoten- und Kun- denschutzkartell beteiligt hatten. Die Vorinstanz hatte noch vor Erlass des ersten Schienenkartell- Urteils des BGH einen doppelten Anscheinsbe- weis dafür angenommen, dass sich das Kartell all- gemein preissteigernd ausgewirkt hätte und die Beschaffungsvorgänge der Klägerin auch konkret von der Kartellabsprache betroffen gewesen seien. Der BGH hat die Entscheidung auf die Revision der Beklagten aufgehoben. Zunächst bezog der BGH zur Kartellbetroffen- heit Stellung, d.h. zur Frage, ob sich die Kartell-
5 Hogan Lovells Beschl. v. 23.01.2018, KVR 3/17, abrufbar hier) Take away stellt das Bundeskartellamt klar, dass im Fall von Das BGH-Urteil „Schienenkartell II“ hat Sonderrabattforderungen die Rabattforderung unmittelbare Implikationen für die Gel- und die Gegenleistung objektiv nachvollziehbar tendmachung von oder die Verteidigung begründet sein müssen. Eine pauschal vom Liefe- gegen Kartellschadensersatzansprüche. rantenumsatz mit dem Händler berechnete und Das Merkmal der Kartellbetroffenheit deshalb nicht lieferanten-, waren- oder artikelbe- dürfte erheblich an Bedeutung verlieren. zogene Beteiligung vom Lieferanten an allgemei- Ein allgemeingültiger Anscheinsbeweis für nen (Werbungs-) Kosten des Händlers begründe den Schadenseintritt gilt zwar nicht. Künf- die Vermutung einer nicht sachlich gerechtfertig- tig dürfte es jedoch entscheidend auf den ten Forderung. Zwar könne die Vermutung wider- Vortrag von Tatsachen zur Darlegung bzw. legt werden, soweit eine leistungsgerechte Gegen- Widerlegung von Erfahrungssätzen als tat- leistung objektiv erkennbar ist. Dies erschien dem sächliche Vermutungen oder Indiz für den Bundeskartellamt nach vorläufiger Einschätzung Schadenseintritt ankommen. jedoch zweifelhaft, da die Rabattforderung allein an das 75-jährige Jubiläum anknüpfte, Umsatz- steigerungen lediglich vage in Aussicht gestellt wurden und die Rabattforderung keinen Mengen- Fokus Missbrauchskontrolle rabatt darstellten. Anzapfverbot – Bundeskartellamt bestä- Vor dem Hintergrund der vorläufigen Einschät- tigt seine Praxis zung verzichtete XXXLutz auf die pauschale Son- derrabattforderung und trat in individuelle Ver- Das Möbelhandelsunternehmen XXXLutz ver- handlungen mit den Lieferanten. Im Zuge die- zichtet auf seine pauschale Forderung nach 7,5% ser Verhandlungen fielen Rabatte in der Höhe und „Jubiläumsrabatt“ gegenüber seinen Lieferanten. Dauer deutlich niedriger aus und wurden mit indi- Zuvor hatte das Bundeskartellamt kartellrecht- viduellen Gegenleistungen (wie konkrete Werbe- liche Bedenken geäußert (Pressemitteilung und maßnahmen, Einlistung zusätzlicher Sortimente) Fallbericht des Bundeskartellamt, abrufbar hier verknüpft. Daraufhin stellte das Bundeskartellamt und hier). das Verfahren ein. Anlässlich seines Jubiläums zum 75-jährigen Bestehen hatte XXXLutz von seinen Lieferanten einen Jubiläumsrabatt in Höhe von 7,5% für sechs Take away Monate gefordert und dies „mit umfangreichen, Sonderrabattforderungen („Jubiläumsra- zusätzlichen Marketing-Maßnahmen“ begründet, batte“, „Hochzeitsrabatte“) bleiben im Fo- wodurch ein deutlicher Umsatzzuwachs zu erwar- kus des Bundeskartellamts. Das Bundes- ten sei. Das Bundeskartellamt kam in seiner vor- kartellamt stellt an die Zulässigkeit von läufigen Einschätzung zum Ergebnis, dass die Sonderrabattforderungen marktstarker / Rabattforderung einen Verstoß gegen das Miss- marktbeherrschender Unternehmen ge- brauchsverbot darstellen könnte (§ 20 Abs. 2 genüber ihren Lieferanten hohe Anforde- i.V.m. § 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 5 GWB). Demnach ist rungen. Sonderrabatte müssen individuell es einem Unternehmen verboten, andere abhän- ausverhandelt und mit einer angemesse- gige Unternehmen dazu aufzufordern, ihm ohne nen und hinreichend konkreten Gegenleis- sachlich gerechtfertigten Grund einen Vorteil zu tung verknüpft sein. gewähren (sog. Anzapfverbot). Nach Auffassung des Bundeskartellamts sei das Fordern eines Vorteils nur dann sachlich gerecht- fertigt, wenn dieser in einer Gesamtbetrachtung der Konditionen mit einer Gegenleistung verbun- den ist. Nach dem Bundeskartellamt erschien es jedoch zweifelhaft, dass die Forderung des Jubi- läumsrabatts mit dem Verhandlungsprozess im Rahmen der Jahresverhandlungen verknüpft gewesen sei. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bun- desgerichtshofs zu Hochzeitsrabatten (BGH,
6 Hogan Lovells Fokus Fusionskontrolle ihren Branchen besonders stark sind, durch vonein- ander unabhängige Zukäufe unterhalb der bisheri- Fusionskontrolle und 10. GWB-Novelle gen Anmeldeschwellen wachsen (d.h. durch Erwer- be von Zielunternehmen mit derzeit weniger als Die bevorstehende 10. GWB-Novelle (GWB-Digita- EUR 5 Millionen Umsatz). Die Sorge ist, dass sich lisierungsgesetz) befindet sich derzeit im Stadium durch solch ein Vorgehen größere Unternehmen des Referentenentwurfs (abrufbar hier; wir berich- oder Konzerne in regionalen Märkten schrittweise teten zu den Änderungen im Kartellbußgeldrecht eine Vormachtstellung erkaufen können. Der neue hier). Ein Regierungsentwurf lässt – vermutlich § 39a GWB sieht vor, dass das Bundeskartellamt auch wegen der Corona-Krise – noch auf sich war- Unternehmen auffordern kann, jeden Zusammen- ten. Hiermit ist jedoch in den nächsten Monaten zu schluss in einer oder mehreren Branchen anzumel- rechnen, zumal aus Ministeriumskreisen zu verneh- den, in denen durch zukünftige Zusammenschlüs- men ist, dass derzeit ein überarbeiteter Referenten- se der Wettbewerb in Deutschland eingeschränkt entwurf zwischen BMWi und BMJV abgestimmt wird. werden kann, wenn das erwerbende Unternehmen Der derzeit vorliegende Referentenentwurf (Stand Umsätze von mehr als EUR 250 Millionen weltweit Januar 2020) lässt bereits ein paar interessan- und das Zielunternehmen Umsätze von mehr als te Änderungen für die deutsche Fusionskontrol- EUR 2 Millionen weltweit (davon 2/3 in Deutsch- le erkennen, die für die Planung zukünftiger M&A- land) erzielt. Diese Anmeldepflicht soll dann für das Transaktionen schon einmal im Blick behalten wer- Unternehmen für die identifizierten Branchen für den sollten. Ziel der Änderungen ist insbesondere drei Jahre gelten. die Entlastung des Mittelstands und des Bundeskar- Der neue § 39a GWB soll dem Bundeskartellamt ein tellamts von Anmeldungen und Prüfungen kleine- Tätigwerden ermöglichen, bevor in einzelnen Bran- rer Fällen in der sog. „Phase 1“ und mehr Zeit für die chen eine marktbeherrschende Stellung entsteht. vertiefte Prüfung von komplexen Fällen in der soge- Erwartet wird jedoch nur eine Anwendung auf ein nannten „Phase 2“. Die wichtigsten derzeit vorgese- bis drei Unternehmen pro Jahr. Wie sich diese neue henen Änderungen sollen im Folgenden näher vor- Kompetenz des Bundeskartellamts zukünftig auf die gestellt werden. Praxis auswirken wird, bleibt allerdings abzuwar- Zunächst soll es zu einer Anhebung der zweiten ten. Zudem lässt sich vernehmen, dass diese Rege- Inlandsumsatzschwelle von derzeit EUR 5 Millionen lung, die bereits Gegenstand kontroverser Stel- auf EUR 10 Millionen kommen. Dies soll zu einer lungnahmen zur 10. GWB-Novelle war (ablehnend Verringerung der Anmeldungen von Zusammen- etwa die Studienvereinigung Kartellrecht, abruf- schlüssen von rund 20% pro Jahr führen. Die bar hier, grundsätzlich begrüßend aber Anpassun- zweite Inlandsumsatzschwelle dient dazu, die gen fordernd das Bundeskartellamt, abrufbar hier), deutsche Fusionskontrolle auf gesamtwirtschaft- im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal lich bedeutende Fälle zu beschränken. Dies wird etwas angepasst wird. dadurch erreicht, dass für eine Anmeldepflicht regel- mäßig u.a. mindestens zwei beteiligte Unternehmen Take away Umsätze in gewisser Höhe in Deutschland erzielen müssen (derzeit ein Unternehmen mehr als EUR 25 Derzeit lässt die 10. GWB-Novelle noch auf Millionen und eine weiteres Unternehmen mehr als sich warten. Diese wird auch für die deut- EUR 5 Millionen). sche Fusionskontrolle einige interessan- te Änderungen mit sich bringen, die bei Demgegenüber soll die Frist für vertiefte Prüfungen der Planung zukünftiger M&A-Transak- in der sog. Phase 2 der Fusionskontrolle von der- tionen im Blick behalten werden sollten. zeit vier auf fünf Monate verlängert werden. Hinter- Durch die Anhebung der zweiten Inlands- grund ist, dass die bisherige Frist in immer komple- umsatzschwelle auf EUR 10 Millionen wer- xer werdenden Fällen mit umfangreichen Ermitt- den zukünftig einige kleinere Transaktio- lungen und ökonomischen Analysen oft nicht mehr nen nicht mehr anmeldepflichtig sein. Da- ausreicht und es regelmäßig zu Fristverlängerungen für können vertiefte Prüfungen in Phase kommt. Im Gegenzug ist vorgesehen, die bislang in 2 künftig einen Monat länger dauern. Zu- Phase 2 mehrfach mögliche Verlängerung der Frist dem könnte mit der neuen Kompetenz des unter Zustimmung der beteiligten Unternehmen auf Bundeskartellamtes die Verpflichtung auf insgesamt einen Monat zu begrenzen. wenige starke Unternehmen zukommen, Als größte und wahrscheinlich interessanteste Neue- auch alle Zusammenschlüsse unterhalb rung ist die Einführung einer Zusammenschlussauf- der eigentlichen Anmeldeschwellen anzu- sicht für Fälle geplant, in denen Unternehmen, die in melden.
7 Hogan Lovells Fokus Brexit Die Überwachung und Durchsetzung von Ver- pflichtungszusagen oder Abhilfemaßnahmen aus Auswirkungen des Brexit auf das Fusionskontroll-, Kartell- oder Missbrauchsver- Kartellrecht fahren verbleiben auch nach Ablauf der Über- gangsfrist Aufgabe der EU-Kommission, sofern Nach Ratifizierung des Austrittsabkommens durch diese die Grundentscheidung erlassen hat. Die das Vereinigte Königreich und die EU (abrufbar Zuständigkeit kann jedoch im Einvernehmen von hier) ist das Vereinigte Königreich mit Ablauf des EU und Vereinigtem Königreich auf die britische 31. Januar 2020 aus der EU ausgetreten. Bis zum Behörde übertragen werden. 31. Dezember 2020 (verlängerbar um maximal zwei Jahre) gilt nun eine Übergangsfrist, in der die EU-Gruppenfreistellungsverordnungen bleiben bisherigen EU-Regelungen weitestgehend fortgel- während der Übergangsfrist auch im Vereinigten ten. Dies trifft auch auf das Kartellrecht zu (siehe Königreich anwendbar. Für die Zeit nach Ablauf auch unseren vertieften Blogbeitrag hier). der Frist ist derzeit zu erwarten, dass das Verei- nigte Königreich diese Regelungen (ggf. mit not- Im Bereich der Fusionskontrolle bleibt das Ver- wendigen Anpassungen) übernehmen wird. Vor- einigte Königreich bis zum Ablauf der Über- erst dürfte es daher nicht zu materiell-rechtli- gangsfrist Teil des One-Stop-Shop-Prinzips der chen Änderungen kommen. Ein Gleichlauf ist nach EU. Umsatzerlöse, die im Vereinigten König- Übergangsfrist allerdings nicht mehr zwingend, reich erzielt wurden, sind also weiterhin für die sodass es ab 2021 zu unterschiedlichen Rechts- Anmeldepflicht zur EU-Kommission zu berück- lagen in der EU und dem Vereinigten Königreich sichtigen. Sofern das Zusammenschlussvorha- kommen könnte. ben bei der EU-Kommission anzumelden ist, ent- fällt die Zuständigkeit der britischen CMA (eben- so wie in den verbleibenden EU-Mitgliedstaaten). Take away Mit Ablauf der Übergangsfrist wird das Vereinigte Vorerst sind durch den Austritt des Verei- Königreich sodann aus dem One-Stop-Shop-Prin- nigten Königreichs aus der EU keine Än- zip ausscheiden. Maßgeblich für die Zuständig- derungen im Kartellrecht zu erwarten. Ab keit ist der Zeitpunkt der Anmeldung. Sofern also 2021 werden sodann jedoch die ersten Un- die Anmeldung nach Ablauf der Übergangsfrist terschiede spürbar werden, insbesonde- erfolgt, sind britische Umsatzerlöse nicht mehr für re im Hinblick auf die Zuständigkeiten der die Prüfung der Anmeldepflicht zur EU-Kommis- Behörden. Gerade mit Blick auf die Fusi- sion zu berücksichtigen und es können ggf. paral- onskontrolle sollte zum Jahresende 2020 lele Anmeldungen zur EU-Kommission und der geprüft werden, ob Transaktionen vor- CMA erforderlich sein. zugsweise noch vor Jahresende oder mög- Im Bereich der Kartell- oder Missbrauchsverfol- licherweise erst im neuen Jahr angemeldet gung bleibt die Zuständigkeit der EU-Kommis- werden sollten. sion während der Übergangsfrist unverändert, wobei es insofern auf die Einleitung des Verfah- rens ankommt. Leitet die EU-Kommission vor Ablauf der Übergangsfrist ein Verfahren ein, bleibt sie auch für das verbleibende Verfahren zuständig, d.h. üblicherweise bis zur Bußgeldentscheidung. Nach Ablauf der Übergangsfrist kann die EU- Kommission wettbewerbswidriges Verhalten im Vereinigten Königreich nur noch verfolgen, wenn dieses den Handel zwischen den (verbleibenden) EU-Mitgliedstaaten beeinträchtigt. In diesem Fall kann es zu parallelen Verfahren der EU-Kommis- sion und der CMA kommen.
Ihre Hauptansprechpartner Bleiben Sie auf dem Laufenden! Christian Ritz Focus on Regulation Blog Partner, München christian.ritz@hoganlovells.com Deutscher Blog Dr. Falk Schöning Deutsche Webseite Partner, Brüssel falk.schoening@hoganlovells.com Dr. Marc Schweda Partner, Hamburg marc.schweda@hoganlovells.com Dr. Martin Sura Praxisgruppenleiter Kartellrecht Partner, Düsseldorf martin.sura@hoganlovells.com Dr. Christoph Wünschmann Partner, München christoph.wuenschmann@hoganlovells.com Unser deutsches Kartellrechtsteam “Hogan Lovells” oder die “Sozietät” ist eine internationale Anwaltssozietät, zu der Hogan Lovells International LLP und Hogan Lovells US LLP und ihnen nahestehende Gesellschaften gehören. Abbildungen von Personen zeigen aktuelle oder ehemalige Anwälte und Mitarbeiter von Hogan Lovells oder Models, die nicht mit der Sozietät in Verbindung stehen. www.hoganlovells.com © Hogan Lovells 2020. Alle Rechte vorbehalten. 1211189_0520
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