Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften - Deutsches Rotes Kreuz - IFHV

 
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Humanitäres Völkerrecht - Informationsschriften - Deutsches Rotes Kreuz - IFHV
18. Jahrgang                                               Volume 18
1/2005                                                     1/2005

                                                           ISSN 0937-5414
                                                           G 10364

Humanitäres Völkerrecht
Informationsschriften
Journal of International Law of Peace and Armed Conflict

Deutsches Rotes Kreuz

Institut für Friedenssicherungsrecht
und Humanitäres Völkerrecht
Herausgeber:
Deutsches Rotes Kreuz e.V., Generalsekretariat, Carstennstraße 58,
12205 Berlin-Steglitz, Tel. (0 30) 8 54 04-0, Fax (0 30) 8 54 04-4 50,
Internet: www.drk.de
Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht
(IFHV), Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum, Tel. (02 34)
32-2 73 66, Fax (02 34) 32-1 42 08, Internet: www.ifhv.de
ISSN 0937-5414
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Mediengruppe UNIVERSAL, Kirschstraße 16, 80999 München,
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Redaktion:
Prof. Dr. Horst Fischer, Bochum; verantwortlicher Redakteur
dieser Ausgabe: Dozent Dr. Hans-Joachim Heintze, Bochum;
Redaktionsassistentin: Dr. Noëlle Quénivet LL.M., Bochum

Ständige Mitarbeiter:
Georg Bock, Bochum; Dr. Cristina Churruca Muguruza,
Bochum; Prof. Dr. Dennis T. G. Dijkzeul, Bochum; Prof. Dr. Wolff
Heintschel v. Heinegg, Frankfurt (Oder); Prof. Dr. Dr. h.c. mult.
Knut Ipsen, Bochum; Prof. Dr. Claus Kreß LL.M., Köln; Prof.
Dr. Thilo Marauhn, Gießen; Michaela Schneider, Bochum;
Gregor Schotten, Berlin; Dr. Heike Spieker, Berlin; Prof. Dr.
Joachim Wolf, Bochum; Dr. Messeletch Worku LL.M., Bochum

Korrespondierende Mitarbeiter:
Dr. Andreas v. Block-Schlesier, Brüssel; Ralph Czarnecki LL.M.,
Berlin; Dr. Knut Dörmann, Genf; Robert Heinsch LL.M.,
Den Haag; Dr. Avril J. M. McDonald M.A., LL.M., Den Haag;
Dr. Sascha Rolf Lüder, Bochum
Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (HuV-I)
                     Journal of International Law of Peace and Armed Conflict (JILPAC)

18. Jahrgang                                                                                                                     Volume 18
1/2005                                                                                                                           1/2005

Editorial                                                              3       Panorama / Panorama
                                                                               Dokumente / Documents
Das Thema / Topic                                                             Entwurf eines Abkommens zwischen den Vereinten Nationen
Krieg ohne Tränen? Reizstoff für die Bundeswehr                               und der Königlichen Regierung Kambodschas über die
Zur Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes zum                            Verfolgung, nach kambodschanischem Recht, der in der Zeit des
Chemiewaffenübereinkommen                                                     Demokratischen Kampuchea begangenen Verbrechen              59
Hans Wolfram Kessler                                                   4
                                                                              Resolution adopted at the Regional Conference dedicated
The International Criminal Court – a Work in Progress                         to the 50th Anniversary of the 1954 Hague Convention
in the Democratic Republic of Congo                                           for the Protection of Cultural Property in the Event of Armed
Jean-Pascal Obembo                                                   11       Conflict, St. Petersburg (Russia), 14–15 October 2004           64

                                                                               Konferenzen / Conferences
Beiträge / Notes and Comments                                                 “Topical Issues of the Contemporary International Humanitarian
                                                                              Law”: A Training for Lecturers of Central Asia’s Higher Education
Artikel / Articles                                                            Institutions, Tashkent (Uzbekistan), 25–30 October 2004
Justice after Conflict: Challenges Facing ‘Hybrid’ Courts:                    Noëlle Quénivet                                                 65
National Tribunals with International Participation
                                                                              Referendartagung zum humanitären Völkerrecht, Müht-
Fredrick Egonda-Ntende                                               24
                                                                              hal/Trautheim (Deutschland), 27.–28. Oktober 2004
What Future Legal Status for Georgia?                                         Rebecca Unverzagt                                               67
Charlotte Hille                                                      29
Zum Verhältnis von humanitärem Völkerrecht und                                 Buchbesprechungen / Book Reviews
zivilem Bevölkerungsschutz im Lichte der Bekämpfung
                                                                              Kai Hirschmann und Christian Leggemann (Hrsg.),
des internationalen Terrorismus
                                                                              Der Kampf gegen den Terrorismus – Strategien und Handlungs-
Sascha Rolf Lüder                                                    38       erfordernisse in Deutschland
                                                                              Stephan Weber                                                   68
Verbreitung / Dissemination
                                                                              Horst Fischer, Ulrike Froissart, Wolff Heintschel von Heinegg
Reden und Schweigen in der humanitären Tätigkeit                              und Christian Raap (Hrsg): Krisensicherung und Humanitärer
Jakob Kellenberger                                                   42       Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection –
                                                                              Festschrift für Dieter Fleck
Vorträge / Speeches                                                           Wolfgang Haager                                                 70
Trends and Challenges in Humanitarian Assistance                              Georg Karl, Völkerrechtliche Immunität im Bereich der
Costanza Adinolfi                                                    49       Strafverfolgung schwerster Menschenrechtsverletzungen
                                                                              Ivo Gross                                                       73
Fallstudien / Case Studies                                                    Stefan Wolff, Disputed Territories: The Transnational
Superior Responsibility and mens rea –                                        Dynamics of Ethnic Conflict Settlement
The Appeals Decision in the Blaskic-Case                                      Wojciech Kostecki                                               75
Heiko Meiertöns                                                      53
                                                                              Harvey Langholtz, Boris Kondoch and Alan Wells (eds),
                                                                              International Peacekeeping. The Yearbook of International
                                                                              Peace Operations
                                                                              Noëlle Quénivet                                                 77

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict                                     1
Beiträge zum ausländischen
öffentlichen Recht und Völkerrecht
Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für ausländisches
                                                      d       öffentliches Recht
und Völkerrecht

                                                                                                   Herausgeber:
                                                                                                   A. von Bogdandy; R. Wolfrum

Band 174                                                  Band 173                                 Band 172
                                                          O. Dörr sg.)
J. A. Frowein                                                                                      L.-J.

Völkerrecht - Menschen-                                   Ein Rechtslehrer                         Konkurrentenrechtsschutz
rechte - Verfassungsfragen
          erfassungsfragen                                in Berlin                                aus Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EGV
Deutschlands und Europas                                  Symposium für Albrecht Randelzhofer
                                                                                                   Am Beispiel von Steuer-
Ausgewählte Schriften                                     Der Band enthält die Referate eines      vergünstigungen
                                                          Symposiums zum Ausscheiden
Lehre und Praxis der Staats- und Völ-                     Albrecht Randelzhofers aus dem           Inwieweit können nachteilig betroffene
kerrechtswissenschaft wurden über                         aktiven Hochschuldienst. Inhaltlich      Dritte aufgrund von Art. 88 Abs. 3 Satz
Jahrzehnte durch Jochen Abr. Frowein                      orientieren sich die Beiträge an den     3 EGV gegen die nicht genehmigte
mitgeprägt. Die gesammelten Schriften                     Forschungsschwerpunkten Randelzho-       steuerliche Subventionierung anderer
zu den Themenbereichen "Grundfra-                         fers und behandeln u. a. den Stand des   Unternehmen vorgehen? Der Band
gen des Völkerrechts", "Grund- und                        völkerrechtlichen Gewaltverbots nach     erörtert an konkreten praktischen
Menschenrechtsschutz", "Verfassung                        dem Irak-Krieg 2003, die Auswirkun-      Problemen grundsätzliche Fragen, die
in Europa", "Staatsorganisation" und                      gen der Europäisierung auf die Demo-     auch für den Konkurrentenrechts-
"Zur Rechtslage Deutschlands", enthal-                    kratietheorie, das Haftungsrecht der     schutz im Subventionsbereich allge-
ten seine wesentliche Publikationen.                      Europäischen Union im Zusammen-          mein von Bedeutung sind.
Damit werden die Forschungsschwer-                        hang mit WTO-Entscheidungen sowie        2004. XVII, 412 S. Geb.
punkte des Jubilars in einem Band                         die Freizügigkeit des Unionsbürgers      € 84,95; sFr 134,50
zugänglich gemacht, der zugleich                          und die Untersuchungsmaxime im           ISBN 3-540-22665-6
eine Würdigung seines Gesamtwerks                         Asylrecht.
darstellt.
                                                          2004. VII, 117 S. Geb.
2004. VIII, 732 S. Geb.                                   € 54,95; sFr 91,00
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ISBN 3-540-23023-8

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Editorial

Die Zeitschrift „Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften (HuV-I)“ erscheint nunmehr im 18. Jahrgang
und hat sich einen festen Platz innerhalb der deutschen völkerrechtlichen Literatur erworben. Freilich, tempora
mutantur et nos mutamur in illis, und so sahen auch wir uns gezwungen, auf die Globalisierung zu reagieren.
Ausdruck dessen war die zunehmende Aufnahme englischsprachiger Artikel in die HuV-I. Wir wissen, dass dies
nicht nur auf Beifall stieß, meinen aber, dass einige Fragen der Entwicklung des humanitären Völkerrechts nur
noch in einem über Deutschland hinausgehenden Rahmen sinnvoll diskutiert werden können. Da wir eine Platt-
form für diese Diskussionen sein wollen und müssen, haben wir uns den neuen Herausforderungen gestellt.

Das neue Outfit der HuV-I soll dies dokumentieren und wir hoffen, dass die geschätzten Leser die Zeitschrift
weiterhin so wohlwollend aufnehmen wie bisher. Wir versichern, dass auch zukünftig die Mehrzahl der Beiträge
in deutscher Sprache erscheinen wird und dass die Neugestaltung der HuV-I nicht bedeutet, bewährte Rubriken
wie die „Verbreitungsarbeit“ zu vernachlässigen. Im Gegenteil, die Verbreitungsarbeit wird vertieft, was
beispielsweise darin zum Ausdruck kommt, dass wir in loser Folge Schaubilder und sonstige Schemata beifügen,
die für Lehrzwecke verwendet werden können. Sie befinden sich jeweils im Mittelteil der Zeitschrift, so dass
sie leicht entfernt werden können, ohne dass die HuV-I dabei Schaden nimmt.

Im Zentrum des vorliegenden Heftes stehen zwei „Thematische Artikel“, die schlaglichtartig gegenwärtige
Herausforderungen auf nationaler und globaler Ebene widerspiegeln. Der Kieler Wissenschaftler Hans Wolfram
Kessler wendet sich aktuellen Fragen der Bundeswehreinsätze zu, die spätestens seit den jüngsten Unruhen im
Kosovo vom Frühjahr 2004 große Medienaufmerksamkeit erregt haben. Er untersucht inwieweit die Bundeswehr
Reizstoffe einsetzen darf, die unter das Chemiewaffenübereinkommen fallen. Er kommt zu dem Schluss, dass die
jüngste Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes eine deutlich weitere Auslegung ihrer völkerrechtlichen
Verpflichtungen darstellt, die aber angesichts des veränderten Aufgabenprofils der Bundeswehr unumgänglich ge-
wesen sei. Mit der gegenwärtigen Arbeit des International Criminal Court, auf dem so große Hoffnungen bezüg-
lich der Prävention von Kriegsverbrechen ruhen, befasst sich der internationale Experte Jean-Pascal Obembo.
Im Mittelpunkt steht dabei die Abstrafung von völkerrechtlichen Verbrechen, die im Kongo begangen wurden.

Unter der Rubrik „Beiträge“ befasst sich Frederick Egonda-Ntende mit einem anderen Aspekt der internationalen
Strafgerichtsbarkeit, und zwar dem der Bildung nationaler Strafgerichte mit internationaler Beteiligung. Es scheint,
dass solche vermehrt entstehenden Gerichte in den betroffenen Gesellschaften größere Akzeptanz erfahren.
Weitere Artikel äußern sich zum Status von Georgien und zum Terrorismus.

Besonders empfehlen wir unseren Lesern wiederum die Rubrik „Verbreitung“, in der wir einen Vortrag des
Präsidenten des IKRK, Jakob Kellenberger, zur Philosophie der Öffentlichkeitsarbeit des IKRK wiedergeben. Wir
möchten nicht versäumen, dem IKRK für die Überlassung dieses in sehr deutlichen Worten verfassten Beitrages
zu danken. Er erscheint erstmals in deutscher Sprache.

Weiterhin verweisen wir auf die neuen Rubriken „Vorträge“ und „Fallstudien“. Ergänzt wird das Heft durch die
bekannten Teile „Dokumente, Konferenzen und Buchbesprechungen“.

Last but not least erlaubt sich die Redaktion wiederum den Hinweis, dass alle Beiträge in den Humanitäres
Völkerrecht – Informationsschriften die Meinungen der Autoren reflektieren. Die Redaktion identifiziert sich
nicht notwendigerweise mit deren Positionen.

Die Redaktion

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict         3
Thema

Krieg ohne Tränen? Reizstoff für die Bundeswehr
Zur Änderung des deutschen Ausführungsgesetzes
zum Chemiewaffenübereinkommen
Hans Wolfram Kessler*

The essay analyses the recent change of the German national implementation legislation of the Chemical Weapons Conventi-
on (CWC). In the light of last year’s riots in Kosovo legal obstacles for an extraterritorial use of riot control agents (RCA) by
the German armed forces were abolished to allow for more effective and adjustable reactions in similar situations in the futu-
re. The new wording of the CWC implementation act was not passed without controversy. Some concerns about a possible wea-
kening of the ban on chemical weapons were voiced. Whether the new German approach to the employment of RCAs really
poses such a threat is one focus of the analysis. The scope of the legislative change is examined in respect to different scena-
rios of RCA uses and a comparison to the approaches of other nations is made. The study attempts to define the legal limits of
the employment of RCA by armed forces under the CWC and under German law. The second issue are possible problems re-
garding the use and development of certain substances as riot control agents. Especially the widespread use of Pepperspray
(OC) creates some legal uncertainty in regard to a possible prohibition under the Bio Weapons Convention. Finally, the questi-
on of the role of incapacitants under the new German CWC act is briefly raised and discussed. The new legislation is evalua-
ted in respect to the military demands and the prospects for legal development and arms control.

1.     Hintergrund                                                 2.         Funktion und Neuregelung des CWÜAG

Im März letzten Jahres (2004) kam es im gesamten Kosovo            Das Ausführungsgesetz zum Chemiewaffenübereinkommen
zu schweren Unruhen, bei denen Albaner die Angehörigen             vom 2. August 1994 (CWÜAG)3 regelt die innerstaatliche
ethnischer Minderheiten, insbesondere Serben und Aschkali,         Umsetzung des 1997 inkraftgetretenen Chemiewaffenüber-
angriffen. Das Versagen von KFOR und UNMIK, die Aus-               einkommens (CWÜ)4.5 Durch diesen völkerrechtlichen Ver-
schreitungen zu verhindern und den Zerstörungen Einhalt zu         trag verpflichten sich bisher 164 Staaten (Stand Juli 2004)
gebieten, ist von vielen Seiten kritisiert worden.1 Eine der Er-   zum weitgehenden Bann chemischer Waffen. Das Erste Ge-
klärungen für das Scheitern der KFOR während der Pogrome           setz zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Chemie-
wurde im unzureichenden Ausrüstungsstand der Friedens-             waffenübereinkommen (CWÜAGÄndG)6 umfasst lediglich
truppe gesehen.2 Einsatzmittel zur Bekämpfung ziviler Un-          zwei Artikel. Die entscheidende Neuregelung ist in Artikel 1
ruhen waren nicht oder zumindest nicht in ausreichendem            enthalten. Artikel 2 betrifft nur das Inkrafttreten des Gesetzes.
Umfang vorhanden. So verfügte nur ein Teilkontingent der           Mit Artikel 1 wird der bisherige Wortlaut des § 1 Nr. 2 lit. b
deutschen KFOR-Truppe über entsprechende Ausrüstung, wie           CWÜAG hinsichtlich der erlaubten Verwendungszwecke von
Schutzschild, Helm mit Visier und Schlagstock. Die vorhan-         Mitteln zur Bekämpfung von Unruhen ergänzt. Der neue Text
dene 40-mm-Wuchtmunition darf nur von speziell ausgebilde-         lautet:
ten Kräften des deutschen Einsatzkontingents verwendet wer-
den und ist in der Wirkung auf einzelne Gewalttäter beschränkt.    „2. erlaubte Zwecke :
Der Einsatz von Tränengas, einem der effektivsten polizei-         a) die in Artikel II Nr. 9 Buchstabe a bis c des Übereinkom-
lichen Mittel zur Unruhebekämpfung, war der Bundeswehr                 mens genannten Zwecke,
ganz verboten. Der Grund für dieses Verbot lag im innerstaat-
lichen deutschen Recht. Zumindest diesem Umstand hat der           *    Hans Wolfram Kessler ist Rechtsreferendar und Doktorand am Walther-
Bundestag auf Initiative des Bundesministers für Verteidigung           Schücking-Institut für Internationales Recht an der Christian-Albrechts-
Abhilfe geschaffen. In der 122. Plenarsitzung am 8. Septem-             Universität zu Kiel (Deutschland). Sein Promotionsthema sind die völker-
                                                                        rechtlichen Probleme beim Einsatz nichtletaler Waffen in internationalen
ber 2004 wurde die Änderung des Ausführungsgesetzes des
                                                                        bewaffneten Konflikten.
Chemiewaffenübereinkommens mit den Stimmen des ganzen              1    Eine ausführliche Darstellung der Ereignisse findet sich in dem Bericht
Hauses beschlossen. Am 16. Oktober 2004 trat das Gesetz in              von Human Rights Watch, Failure to Protect: Anti-Minority Violence in
Kraft. Die Gesetzesänderung ist in der Öffentlichkeit kaum              Kosovo, March 2004, Juli 2004, Vol. 16 No. 6 (D), abrufbar unter
wahrgenommen worden, auch wenn im Vorfeld vereinzelt vor                http://www.hrw.org, in September 2004.
                                                                   2    Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten
einer chemischen Wiederbewaffnung der Bundeswehr gewarnt                Dr. Rainer Stinner, Günther Friedrich Nolting, Dr. Max Stadler, weiterer
wurde. Ob die Neuregelung den Anforderungen der Bundes-                 Abgeordneter und der Fraktion der FDP, Deutscher Bundestag –
wehr einerseits und den völkerrechtlichen Rahmenbedingun-               15. Wahlperiode Drucksache 15/3531, 15. Juli 2004.
                                                                   3    BGBl. 1994 I, S. 1954.
gen andererseits genügt, soll im Folgenden erörtert werden.
                                                                   4    Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung
Dabei befasst sich der erste Teil der Abhandlung mit dem Hin-
                                                                        und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher
tergrund der Gesetzesänderung und der besonderen Proble-                Waffen vom 13. Januar 1993, BGBl. 1994 II, S. 807.
matik der Verwendung von Mitteln zur Unruhebekämpfung              5    J. Badelt, Das Pariser Chemiewaffen-Übereinkommen: Probleme der
im Ausland. Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Frage,             nationalen Umsetzung, in: Die Friedens-Warte (1994), S. 27 ff.
welche Substanzen für diese Einsätze in Frage kommen.              6    BGBl. 2004 I, S. 2575.

4                                                                                                                                        1/2005
Topic

b) der Einsatz von Mitteln zur Bekämpfung von Unruhen im                      der NATO und der Europäischen Union.11 Weniger konkret
   Sinne von Artikel II Nr. 7 des Übereinkommens zur Auf-                     fällt die Beschreibung des Zwecks der RCA-Anwendung aus.
   rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung                     Hier wird nur von der Aufrechterhaltung der öffentlichen
    – durch die Polizeien des Bundes und der Länder,                          Sicherheit und Ordnung gesprochen.

    – durch die Bundeswehr bei der Anwendung von Maß-                         2.1.2. RCA-Anwendung nach dem CWÜ
      nahmen nach dem Gesetz über die Anwendung unmit-
      telbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Be-                        Das CWÜAG bezieht sich damit auf Art. II Nr. 9 lit. d CWÜ,
      fugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbün-                      der als nicht verbotenen Zweck die Aufrechterhaltung der
      deter Streitkräfte sowie ziviler Wachpersonen oder                      öffentlichen Ordnung einschließlich der innerstaatlichen
    – durch die Bundeswehr bei Einsätzen im Rahmen                            Bekämpfung von Unruhen vorsieht. Die englischsprachige
      eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit                      Originalfassung des Textes spricht von „law enforcement
      (Artikel 24 Abs. 3 des Grundgesetzes)                                   including domestic riot control purposes“.12 Unter diese Be-
                                                                              stimmung wird jedoch nicht nur der Einsatz von Mitteln zur
sowie die Ausbildung zu einem solchen Einsatz und
                                                                              Unruhebekämpfung gefasst, sondern beispielsweise auch die
c) die Erfüllung internationaler Verpflichtungen zur Abrüs-                   Verwendung von Giftgas zur Hinrichtung verurteilter Straf-
   tung oder Rüstungskontrolle;“ [Hervorhebung durch den                      täter.13 Umstritten ist indes, ob dabei eine Beschränkung auf
   Autor]                                                                     die innerstaatliche Rechtsdurchsetzung besteht. Der Wortlaut
                                                                              lässt eine solche Deutung zu, und tatsächlich scheinen einige
Die Regelung des § 1 Nr. 2 lit. b CWÜAG bezieht sich auf die                  Staaten dieser restriktiven Auslegung zu folgen.14 Auch die
im CWÜ enthaltene Ausnahme vom Chemiewaffenverbot für                         ursprüngliche Fassung des CWÜAG konnte als Indiz einer
Mittel zur Bekämpfung von Unruhen. Für diese Mittel hat                       sehr engen deutschen Interpretation gewertet werden. Bezüg-
sich die englische Bezeichnung „riot control agents“ (RCA)                    lich der Unruhebekämpfung ist durch domestic riot control
eingebürgert.7 Die bisherige Fassung des deutschen CWÜAG                      ein eindeutiger Inlandsbezug gegeben. Die gleiche Formulie-
beschränkte den Einsatz von RCA für die Bundeswehr auf                        rung fand sich im ersten Vertragsentwurf des Vorsitzenden
Maßnahmen im Rahmen des Gesetzes über die Anwendung                           des CW-Ad-hoc-Ausschusses auch hinsichtlich der Aufrecht-
unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Be-                         erhaltung der öffentlichen Ordnung – domestic law enforce-
fugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter                        ment.15 Maßgeblich auf Druck der Vereinigten Staaten wurde
Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw)8. Der                         diese Einschränkung nicht in den Vertragstext übernommen.16
Geltungsbereich des UZwGBw ist jedoch auf das Bundes-                         Für law enforcement kommt daher auch eine extraterritoriale
gebiet beschränkt.9 Somit konnte § 1 Nr. 2 lit. b CWÜAG                       Anwendung in Betracht. Die Fälle, in denen ein Staat jenseits
nicht als Rechtsgrundlage der Verwendung dieser Einsatz-                      seines Hoheitsgebietes Maßnahmen zur Aufrechterhaltung
mittel durch Soldaten der Bundeswehr im Ausland dienen.                       der öffentlichen Sicherheit treffen darf, sind völkerrechtlich
                                                                              jedoch eng gefasst. Relevant sind vor allem Situationen, in
2.1.    Analyse der Neuregelung

Das CWÜ benennt in Art. II Nr. 9 lit. a–d nach diesem Über-                   7    Public health response to biological and chemical weapons: WHO guid-
einkommen nicht verbotene Zwecke des Umgangs mit toxi-                             ance, Second edition of Health aspects of chemical and biological
                                                                                   weapons: Report of a WHO Group of Consultants, Geneva, World Health
schen Chemikalien. Bisher verwies das deutsche Ausfüh-                             Organization, 1970, World Health Organization, Genf 2004, S. 180.
rungsgesetz auf die Absätze a bis c und zeigte dann separat                   8    BGBl. 1965 I, S. 786.
den Rahmen des RCA-Einsatzes auf. Dieser war wesentlich                       9    S. Weber, Nicht-Letale-Wirkmittel: Rechtliche Aspekte, CD Sympo-
enger, als es der Wortlaut des Übereinkommens zugelassen                           siumsband des Wehrtechnischen Symposiums „NLW“ an der Bundes-
hätte. Zweck der Neuregelung ist es, die Ausnahmen des                             akademie für Wehrverwaltung und Wehrtechnik, Mannheim 2001, S. 5.
                                                                              10   Ob der Bundeswehr der RCA-Einsatz im Ausland in bestimmten Fällen
CWÜ weiter auszuschöpfen. Grundsätzlich hätte dazu eine
                                                                                   auch unter der alten Regelung durch den Verweis auf Art. II Nr. 9 lit. c
Ergänzung des § 1 Abs. 2 a CWÜAG um den Absatz d des                               CWÜ möglich war, wird unter 2.1.3. erörtert.
Übereinkommens genügt. Mit der Gesetzesänderung wurde                         11   Einzelbegründung zu Artikel 1, S. 6, Deutscher Bundestag – 15. Wahl-
stattdessen eine neue Interpretation des CWÜ getroffen.                            periode Drucksache 15/3447.
                                                                              12   Die anderen Vertragssprachen weichen hiervon soweit ersichtlich nicht
2.1.1. RCA-Anwendung nach dem CWÜAG                                                signifikant ab. Authentische Sprachen sind gemäß Art. 24 CWÜ Arabisch,
                                                                                   Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch.
                                                                              13   W. Krutzsch, „Non-Lethal“ chemicals for law enforcement?, Berliner
Nach der alten Fassung des CWÜAG war ein Einsatz von                               Informationszentrum für transatlantische Sicherheit (BITS), Research
Mitteln zur Unruhebekämpfung ausdrücklich nur für das                              Note 03.2, April 2003, S. 3 in Fn. 11.
                                                                              14    Am Beispiel der Schweiz: Generalmajor J. Schärli, Hintergrundpapier
Bundesgebiet vorgesehen.10 Durch den eingefügten Absatz ist
                                                                                   basierend auf einem Vortrag anlässlich des EAPC Workshops zum
der Bundeswehr nun die Verwendung von RCA zur Aufrech-                             Humanitären Völkerrecht und multinationalen Streitkräften in London,
terhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung bei Ein-                        21. November 2000, abrufbar unter http://www.vbs.admin.ch, in Septem-
sätzen im Rahmen eines Systems gegenseitiger kollektiver                           ber 2004.
                                                                              15   Conference on Disarmament Document, CD/WP.4000 vom 18. Mai 1992,
Sicherheit gestattet. Der rechtliche Kontext dieser Einsätze ist
                                                                                   S. 10.
schon durch die Bezugnahme auf Artikel 24 Abs. 3 des                          16   Vgl. J. Badelt: Chemische Kriegführung – Chemische Abrüstung: Die
Grundgesetzes klar umrissen. In Frage kommen für die Bun-                          Bundesrepublik und das Pariser Chemiewaffen-Übereinkommen, Berlin
deswehr insofern Operationen der Vereinten Nationen (VN),                          1994, S. 108 f.

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict                                               5
Thema

denen ein Staat als Besatzungsmacht Hoheitsgewalt über           die Methode der Kriegführung dar.23 Durch das amerikani-
fremdes Territorium ausübt (Art. 42 ff. HLKO).17 Gleiches        sche Verteidigungsministerium ist der Standpunkt vertreten
gilt, wenn die Ausübung der Hoheitsgewalt auf dem Ein-           worden, dass im CWÜ bewusst nur auf Methoden der Krieg-
verständnis des fremden Staates, beispielsweise im Rahmen        führung abgestellt wurde.24 Diese blieben in ihrer Bedeutung
eines VN-Mandates, beruht.18 Eine Grenze ist dem law             auf die strategische Ebene beschränkt. Eine taktische Ver-
enforcement durch Art. I Nr. 5 CWÜ gesetzt. Diese Norm           wendung als Mittel der Kriegführung wäre von der Norm
verbietet den Gebrauch von Mitteln zur Bekämpfung von Un-        nicht erfasst. Diese Ansicht ist nach den Grundsätzen des
ruhen als Mittel der Kriegführung. Damit ist den Vertragspar-    Völkervertragsrechts nicht zu halten. Die unterschiedliche
teien der Gebrauch von toxischen Chemikalien zur Durchset-       Bezeichnung in den authentischen Vertragssprachen führt
zung völkerrechtlicher Normen im internationalen Verkehr         vielmehr dazu, dass sowohl Mittel als auch Methoden der
verboten. Insbesondere kann ein Staat im Falle eines bewaff-     Kriegführung vom Verbot erfasst sind.25 Auch eine teleologi-
neten Angriffs unter Berufung auf sein Selbstverteidigungs-      sche Analyse des Vertragstextes kann zu keinem anderen Er-
recht aus Artikel 51 VN-Charta keine toxischen Chemikalien       gebnis führen, da eine Trennung von taktischer und strategi-
verwenden, um den Gegner zurückzuschlagen, denn bei mili-        scher Ebene das Einsatzverbot völlig aufweichen würde.26 Es
tärischen Verteidigungsmaßnahmen handelt es sich um Kriegs-      ist also davon auszugehen, dass im Kontext der CWÜ beide
handlungen.19                                                    Begriffe synonym angewendet werden. Hinsichtlich des Be-
                                                                 griffsinhaltes bleibt viel Raum zur Auslegung.27 Schon auf
Das Verbot des Einsatzes toxischer Substanzen als Mittel der     der Ebene der Kriegsmittel genügt es nicht, bloß auf das kon-
Kriegführung findet sich auch in Art. II Nr. 9 lit. c CWÜ. Da-   krete Einsatzmittel selbst abzustellen. Eine Tränengasgranate,
bei handelt es sich um eine zweite, neben der Aufrechterhal-     die in eine feindliche Stellung geschossen wird, um die Geg-
tung der öffentlichen Ordnung wenig beachtete Ausnahme,          ner aus der Deckung und damit in das Feuer zu treiben, ist
die den RCA-Einsatz außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes        Mittel der Kriegführung. Wird eine baugleiche Tränengas-
erlaubt. Als nicht verboten gelten gemäß Art. II Nr. 9 lit. c    granate durch die Polizei dazu verwendet, um renitente De-
„militärische Zwecke, die nicht mit dem Einsatz chemischer       monstranten abzudrängen, ist wohl kaum von Kriegführung
Waffen zusammenhängen und die nicht von den toxischen            zu sprechen. Entscheidend ist der Bezugsrahmen. Um über-
Eigenschaften der Chemikalien als Mittel der Kriegführung        haupt von Mitteln der Kriegführung sprechen zu können,
abhängen“. Diese etwas umständlich formulierte Norm wird         muss ein bewaffneter Konflikt vorliegen. Dabei ist unerheb-
in der Regel auf den Einsatz giftiger Substanzen in Spreng-      lich, ob es sich um einen internationalen oder nur einen
mitteln, Treibladungen, pyrotechnischen Kampfmitteln und         innerstaatlichen Konflikt handelt. Die Regeln des CWÜ sind
Ähnliches bezogen.20 Bei genauer Betrachtung bietet die Be-      in beiden Fällen anzuwenden.28 Das gilt auch dann, wenn
stimmung aber auch die Möglichkeit zum militärischen Ein-        Deutschland selbst nicht Konfliktpartei, sondern, beispiels-
satz von RCA. Zwar können RCA grundsätzlich chemische            weise durch ein Mandat der VN, neutrale Drittpartei ist.29 Der
Waffen darstellen. Gemäß Art. II Nr. 1 lit. a CWÜ jedoch nur     Generalsekretär der VN erließ 1999 diesbezüglich eine Vor-
dann, wenn sie nach Art und Menge nicht mit den nach dem         schrift, nach der Truppen unter VN-Mandat trotz ihrer Son-
Übereinkommen erlaubten Zwecken vereinbar sind. Ein
größeres Arsenal an tränengasgefüllten Artilleriegranaten
wird beispielsweise kaum noch unter die nach Art. II Nr. 9       17 W. Krutzsch/R. Trapp, A Commentary on the Chemical Weapons Conven-
CWÜ erlaubten Zwecke zu fassen sein.21 Werden RCA zu                tion, Dordrecht [u.a.] 1994, S. 42 Fn. 44.
militärischen Zwecken verwendet, darf ihre toxische Wir-         18 A. Chayes/M. Meselson: Proposed guidelines on the Status of Riot

kung nicht als Mittel der Kriegführung genutzt werden.              Control Agents and other Toxic Chemicals under the Chemical Weapons
                                                                    Convention, in: THE CBW Conventions Bulletin – Quarterly Journal of
                                                                    the Harvard Sussex Program on CBW Armament and Arms Limitation,
2.1.3. Wo liegen die Grenzen des legalen RCA-Einsatzes?             Nr. 35, März 1997, S. 15.
                                                                 19 Ibid.

                                                                 20 Vgl. W. Krutzsch/R. Trapp, a.a.O. (Fn. 17), S. 42.
Die Grenze des legalen Einsatzes von RCA ist also immer
                                                                 21 A. Chayes/M. Meselson, a.a.O. (Fn. 18), S. 14.
dann erreicht, wenn sie als Mittel der Kriegführung verwen-
                                                                 22 E. Harper, A Call for a Definition of Method of Warfare in Relation to the
det werden. Die Auslegung dieses Begriffes ist somit von ent-
                                                                    Chemical Weapons Convention, in: 48 Naval Law Review (2001), S. 137.
scheidender Bedeutung. Leider existiert keine völkerrechtliche   23 J. de Preux, in: Y. Sandoz u.a. (Hrsg.), Commentary on the additional pro-
Definition für Mittel der Kriegführung und auch die CWÜ-            tocols of 8 June 1977 to the Geneva conventions of 12 august 1949, Genf
Vertragsparteien konnten sich diesbezüglich nicht einigen.22        1987, Rn. 1402.
Weitere Differenzen werden in den verschiedenen Vertrags-        24 E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 154.

                                                                 25 Vgl. Art. 33 Abs. 1 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge
sprachen deutlich. So gleicht zwar die englische Version mit
                                                                    vom 23. Mai 1969.
„methods of warfare“ dem spanischem Text „método de              26 Vgl. E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 155 dort insbesondere in Fn. 80.
guerra“, die französische und russische Fassung sprechen je-     27 E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 132 ff.; Center for Law and Military Opera-
doch von „moyens de guerre“ und „                                   tions: Rules of Engagement (ROE) Handbook for Judge Advocates, Char-
        “. Letztere Varianten widerspiegelt auch die deut-          lottesville 2000, S. 3–4.
sche Übersetzung als Mittel der Kriegführung. Der unter-         28 W. Krutzsch/R. Trapp, a.a.O. (Fn. 17), S. 19; UK Ministry of Defence: The

schiedliche Wortlaut stellt jedoch nicht bloß ein semantisches      Manual of the Law of Armed Conflict, Oxford/New York 2004, S. 395,
                                                                    Rn. 15.28; E. Harper, a.a.O. (Fn.22), S. 146.
Problem dar. Gewöhnlich wird mit Mittel der Kriegführung         29 Zentrale Dienstvorschrift 15/2 (Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten
eine Waffe oder ein Waffensystem bezeichnet. Die Weise, in          Konflikten – Handbuch), Bundesministerium der Verteidigung 1992,
der die Waffe im konkreten Fall eingesetzt wird, stellt dann        Rn. 208.

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Topic

derstellung die kriegsrechtlichen Normen grundsätzlich zu                     militärische Aufgabe handelt, erscheint es passender, hier
beachten haben.30 Unter Sektion 6 der Vorschrift wird aus-                    Art. II Nr. 9 lit. c CWÜ anzuwenden.40 Art und Menge von
drücklich bestimmt, dass VN-Truppen keine erstickenden,                       RCA, die zur Niederschlagung eines Gefangenenaufstandes
giftigen oder anderen Gase und biologische Methoden der                       notwendig sind, gehen nicht über den üblichen Umfang zur
Kriegführung einsetzen dürfen. Damit ist der Einsatz von                      Bekämpfung von Unruhen hinaus. Entscheidend ist somit, ob
RCA als Methode der Kriegführung auch für Friedenstruppen                     die toxische Wirkung als Mittel der Kriegführung genutzt
ausdrücklich ausgeschlossen. Freilich wird beim Vorliegen                     wird.41 Das wäre bei einem Einsatz gegen Kombattanten der
eines bewaffneten Konfliktes noch nicht jede Handlung zum                     Fall. Rebellieren die Kriegsgefangenen, die ja keine Kombat-
Akt der Kriegführung. Ein Mittel zur Kriegführung muss                        tanten mehr sind, gegen die schlechte Versorgung im Lager,
vielmehr darauf gerichtet sein, den Gegner militärisch zu                     stellt der Tränengaseinsatz tatsächlich einen legalen Ge-
schwächen. Davon umfasst ist jedes Vorgehen gegen feind-                      brauch zum Zwecke der Herstellung der öffentlichen Ord-
liche Kombattanten.31 Im Umkehrschluss kann aber nicht an-                    nung dar. Richtet sich der Aufruhr aber nicht gegen die Ver-
genommen werden, dass der RCA-Einsatz gegen Nichtkom-                         pflegung, sondern stellt aus Sicht der Kriegsgefangenen ihren
battanten in jedem Fall erlaubt wäre. Der massive Einsatz von                 Versuch dar, die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen,
Reizstoffen gegen Zivilisten kann durchaus einem militäri-                    wäre ein Vorgehen mit Tränengas als Mittel der Kriegführung
schen Zweck dienen. Als Beispiel sei hier nur die strategisch                 jedoch verboten.42
günstige Lenkung von Flüchtlingsströmen, um gegnerische
Truppenbewegungen zu behindern, genannt. Ähnlich schwie-                      „(b) Die Verwendung von Mitteln zur Unruhebekämpfung in
rig kann sich in Bürgerkriegssituationen die Abgrenzung von                   Situationen in denen Zivilisten benutzt werden, um Angriffe
Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung                      zu schirmen oder zu verdecken und in denen zivile Opfer ver-
und Mitteln der Kriegführung gestalten.32 Die unterschied-                    mindert oder verhindert werden können.“
liche Interpretation der CWÜ hinsichtlich noch erlaubter
RCA-Einsatzszenarien führt teilweise zu Schwierigkeiten bei                   Unter dieser Klausel ist ein breites Spektrum von Szenarien
gemeinsamen Operationen verschiedener Nationen.33 Die                         vorstellbar. Es reicht von vereinzelten Schüssen feindlicher
weite Auslegung der Vereinigten Staaten, der sich Deutsch-                    Milizangehöriger aus einer demonstrierenden Menschen-
land durch das neugefasste CWÜAG annähert, wird in einem                      menge heraus, bis hin zum massiven Einsatz menschlicher
diesbezüglichen Regierungserlass deutlich. Die Executive                      Schutzschilde zur Deckung militärischer Ziele. Gerade in
Order 11850 regelt Fallgruppen, in denen der US-Präsident                     dem Graubereich zwischen quasi-polizeilichen Aufgaben und
den RCA-Einsatz durch die Streitkräfte genehmigen kann.34                     der Bekämpfung feindlicher Gruppierungen ist eine deutliche
Anhand dieser lassen sich die möglichen Abgrenzungs-                          Abgrenzung zur Kriegführung kaum zu leisten. Ein massiver
schwierigkeiten gut verdeutlichen. Der amerikanische Erlass                   Einsatz von Tränengas, der die Menge zerstreuen, aber eben
stammt aus dem Jahre 1975, der US-Senat machte jedoch die
Ratifizierung des CWÜ ausdrücklich von einer Auslegung
des Übereinkommens abhängig, durch welche die Executive                       30   Secretary-General’s Bulletin: Observance by United Nations forces of
Order 11850 nicht eingeschränkt würde.35 Der Regierungs-                           international humanitarian law, 06. August 1999, UN Doc. ST/SGB/
erlass selbst war Ergebnis der starken Kritik, die der ameri-                      1999/12.
                                                                              31   M.-A. Coppernoll, The Nonlethal Weapons Debate, in: Naval War College
kanische RCA-Einsatz im Vietnamkrieg ausgelöst hatte. Dort
                                                                                   Review, Vol. LII (1999), Nr. 2, S. 119; A. Chayes/M. Meselson, a.a.O.
setzte die US-Armee Tränengas massiv gegen feindliche                              (Fn. 18), S. 16.
Truppen in Bunkern und Tunnelsystemen ein. Der Einsatz von                    32   Vgl. E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 142.
Reizstoffen diente dabei in der Regel der Vorbereitung eines                  33   Center for Law and Military Operations (CLAMO), The Judge Advocate
Angriffs mit tödlicher Gewalt.36 Eine solche Verwendung                            General’s School, United States Army: Law and Military Operations in the
                                                                                   Balkans 1995–1998: Lessons Learned for Judge Advocates, Charlottes-
wäre heute durch das CWÜ verboten.37 In der Executive                              ville 1998, S. 61.
Order 11850 wurde der Erstgebrauch von RCA durch die                          34   Executive Order 11850 – Renunciation of certain uses in war of chemical
US-Streitkräfte daher auf spezielle Fallgruppen begrenzt.38                        herbicides and riot control agents, 40 FR 16187, 3 CFR, 1971–1975
                                                                                   Comp., S. 980. Die Grundsätze des Erlasses sind auch von anderen Ver-
                                                                                   tragsstaaten übernommen worden. Bsp.: Chief of the Royal Australian Air-
„(a) Die Verwendung von Mitteln zur Unruhebekämpfung                               force: Operations Law for RAAF Commanders AAP1003, Canberra 2004,
bei Unruhen in Gebieten, die unter direkter und eindeutiger                        S. 76.
militärischer Kontrolle der Vereinigten Staaten stehen, inklu-                35   E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 140.
sive der Bekämpfung aufrührerischer Kriegsgefangener.“                        36   Eine eingehende Schilderung dieser Taktik findet sich im US Army FM
                                                                                   90-5, Jungle Operations, S. 5–15.
                                                                              37   E. Harper, a.a.O. (Fn. 22), S. 149.
Diese Bestimmung ist gleichbedeutend mit der Vorschrift aus
                                                                              38   Übersetzung der folgenden Zitate durch den Autor.
§ 1 Nr. 2 lit. b CWÜAG über die Aufrechterhaltung der                         39   W. Krutzsch/R. Trapp, a.a.O. (Fn. 17), S. 42 Rn. 9 Art. II 9 (d); L.C. Green,
öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Auch hier muss letzt-                         The contemporary law of armed conflict, 2. Aufl., Manchester 2000,
lich eine Abgrenzung von Unruhebekämpfung und Kriegs-                              S. 137.
handlung im Einzelfall erfolgen. Dass diese Unterscheidung                    40   Anders W. Krutzsch/R. Trapp, a.a.O. (Fn. 17), S. 42 Rn. 9 Art. II 9 (d).
aber selbst in relativ klaren Umständen nicht immer leicht                    41   Art. II Nr. 9 lit. c stellt eben nicht nur auf die toxische Wirkung, sondern
fällt, kann am Beispiel der aufrührerischen Kriegsgefangenen                       auf ihre Anwendung als Mittel der Kriegführung ab. Verkürzt insofern
                                                                                   W. Krutzsch/R. Trapp, a.a.O. (Fn. 17), S. 42 Rn. 9 Art. II 9 (c).
gezeigt werden. Diese werden stets als Musterbeispiel für den                 42   Beispiel nach W. D. Verwey, Riot control agents and herbicides in war:
legalen Einsatz von RCA in Kriegszeiten angeführt.39 Da es                         their humanitarian, toxicological, ecological, military, polemological and
sich bei der Kontrolle über Kriegsgefangene um eine originär                       legal aspects, Leyden 1977, S. 288.

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict                                                    7
Thema

auch die feindlichen Milizangehörigen treffen würde, stellt     noch immer politischer Einflussnahme und Steuerung unter-
sich möglicherweise bereits als Mittel der Kriegführung dar.    worfen. Mit der Annäherung an die militärische Entschei-
                                                                dungsebene wird jedoch gleichermaßen den Erfordernissen
„(c) Die Verwendung von RCA bei Operationen in abgele-          des konkreten Einsatzes Rechnung getragen.
genen Gebieten zur Rettung von abgestürzten Flugzeug-
besatzungen und fliehenden Gefangenen.“                         2.2.       Welche RCA dürfen eingesetzt werden?

Auch bei dieser Gruppe lässt sich eine klare Abgrenzung nur     Spätestens wenn feststeht, dass RCA eingesetzt werden dür-
am Einzelfall treffen. Im Kontext eines bewaffneten Konflik-    fen, ist zu überlegen, welche Substanzen hierfür in Frage
tes haben solche Operationen einen militärischen Zweck,         kommen. In diesem Fall liefert das CWÜ eine genaue Defi-
können aber unter Art. II Nr. 9 lit. c CWÜ erlaubt sein, wenn   nition. Gemäß in Art. II Nr. 7 CWÜ sind Mittel zur Bekämp-
RCA nicht gegen Kombattanten eingesetzt werden.43 Nach          fung von Unruhen: „jede nicht in einer der Listen genannte
amerikanischer Lesart handelt es sich um sogenannte inci-       Chemikalie, die beim Menschen spontan sensorische Irrita-
dental operations.44 Da die Rettung von Leben im Vorder-        tionen oder handlungsunfähig machende Wirkungen hervor-
grund vor militärischen Handlungen steht, tritt ein militä-     rufen kann, welche innerhalb kurzer Zeit nach Beendigung
rischer Vorteil durch die RCA nur als „Nebeneffekt“ der Ret-    der Exposition verschwinden.“
tungshandlung ein. Er ist somit nach US-Ansicht nicht als
Kriegshandlung zu betrachten. Eine solche Begründung von        In der Einzelbegründung zu Art. 1 CWÜAGÄndG werden als
RCA-Einsätzen bietet jedoch ein beachtliches Missbrauchs-       mögliche Einsatzmittel der Bundeswehr Reizstoffe und Pfef-
potential.45                                                    ferspray genannt.47

„(d) Die Verwendung von RCA in der Etappe, außerhalb des        Die üblichsten, vor allem im polizeitaktischen Einsatz ge-
unmittelbaren Kampfgebietes, zum Schutz von Konvois vor zi-     bräuchlichen Reizstoffe sind die Tränenreizstoffe. Sie waren
vilen Unruhen, Terroristen und paramilitärischen Gruppen.“      schon im Ersten Weltkrieg bekannt und wurden nach der
                                                                deutschen Farbkreuzeinteilung als Weißkreuzkampfstoffe be-
Zumindest das Vorgehen gegen paramilitärische Einheiten         zeichnet. Am bekanntesten sind heute die Tränenreizstoffe
kann schon deutlich die Züge von kriegerischen Maßnahmen        Chloracetophenon (CN) und Chlorbenzylidenmalononitril
tragen. Der RCA-Einsatz würde somit möglicherweise gegen        (CS). Beide Substanzen verursachen je nach Konzentration
Art. I Nr. 5 CWÜ verstoßen.                                     eine starke Reizung der Augen und der Atemwege, die nach
                                                                Ende der Exposition innerhalb von Minuten oder wenigen
Die aufgezeigten Szenarien eröffnen sämtlich einen Grenz-       Stunden abklingt.48 In Listen des CWÜ sind die Stoffe nicht
bereich zwischen Kampfeinsatz und Aufrechterhaltung der         aufgeführt. Damit erfüllen CS- und CN-Gas die Kriterien der
öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Da auch der Anwen-         RCA-Definition.
dungsbereich des CWÜAG Maßnahmen zur Aufrechterhal-
tung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit umfasst, stellt    2.2.1. Pfefferspray als RCA
sich künftig auch für die Bundesrepublik die Frage der Aus-
legung und Abgrenzung dieses Begriffes. Eine möglichst          Gleiches gilt auch für das Pfefferspray. Pfefferspray basiert
konkrete Definition ist dabei nicht zuletzt im Interesse der    auf dem Scharfstoff der Paprikapflanze Capsaicin (Oleoresin
Rechtssicherheit bei möglichen Einsätzen geboten. Wie oben      Capsicum – OC). Der Wirkstoff wurde in den USA bereits in
gezeigt wurde, kann selbst die Aufzählung von einzelnen         den sechziger Jahren als Abwehrspray gegen Tiere auf den
Fallgruppen der Realität nur ungenügend gerecht werden.         Markt gebracht. In vielen Staaten hat OC bei Polizei und
Trotzdem muss der weite Interpretationsrahmen, den das          Militär die traditionellen Lakrimatoren CS und CN zumindest
CWÜAG bietet, nicht notwendigerweise zur Aufweichung            teilweise verdrängt. Die US-Armee hat Pfefferspray als fes-
des CWÜ führen. Praktisch liefert das CWÜAG nur einen           ten Bestandteil ihres nichtletalen Waffenprogramms in die
rechtlichen Rahmen und die Grundlage für eine RCA-Ver-          reguläre Ausstattung übernommen.49 OC löst einen starken
wendung im Ausland, die konkreten Grundregeln leitet der        Reiz auf bestimmte Sinneszellen der Haut aus und kann in
im Einsatz stehende Bundeswehrsoldat jedoch jeweils aus         höheren Dosen Reizungen bis hin zu verbrennungsähnlichen
den sogenannten Rules of Engagement ab.46 Diese einsatz-        Blasenbildungen und Nekrosen hervorrufen.50 Im Normalfall
rechtlichen Regelungen werden als Teil des jeweiligen Ope-      verschwindet die Wirkung von Capsaicin nach dem Ende der
rationsplanes durch die entsprechenden Gremien der NATO         Exposition in relativ kurzer Zeit.
oder VN festgelegt. Sie widerspiegeln die militärischen,
rechtlichen, aber auch politischen Vorgaben der jeweiligen      43   Vgl. A. Chayes/M. Meselson, a.a.O. (Fn. 18), S. 17.
Operation. Insbesondere beinhalten sie konkrete Bestimmun-      44   E. Harper, a.a.O. (Fn. 21), S.155 f.
gen darüber, wann und unter welchen Voraussetzungen be-         45   A. Chayes/M.Meselson, a.a.O. (Fn. 18), S. 16.
stimmte Waffen eingesetzt werden dürfen. Jeder Einsatz von      46   Zu Rules of Engagement: St. Weber, Rules of Engagement: Ein Paradig-
RCA durch Bundeswehrsoldaten im Ausland wird also letzt-             menwechsel für Einsatz und Ausbildung, in: HuV-I 2001, S. 76–83.
                                                                47   Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode Drucksache 15/3447.
lich auf diesen Rules of Engagement basieren. Die Entschei-     48   A. Th. Schäfer, Lexikon biologischer und chemischer Kampfstoffe, Berlin
dung über die Ausdehnung des Begriffes der Aufrechterhal-            2003, S. 26 f.
tung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung wird also prak-    49   Siehe US Army, FM 3-22.40, A-8 bis A-19.
tisch auf diesen Einsatzrichtlinien begründet. Sie ist damit    50   A. Th. Schäfer, a.a.O. (Fn. 48), S. 23.

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Topic

2.2.1.1. Pfefferspray als Toxin im Sinne des BioWaffÜbk                       Um eine Ausnahme für Capsaicin zu konstruieren, könnte
                                                                              man daher argumentieren, dass zumindest der polizeiliche
Bei dem Wirkstoff des Pfeffersprays handelt es sich um ein                    Einsatz solcher Substanzen durch die Formulierung von
Neurotoxin.51 Inzwischen wird das natürliche Capsaicin der                    Art. I Abs. 1 „für sonstige friedliche Zwecke“ abgedeckt sei.
Paprikapflanzen zunehmend durch das synthetische PAVA                         Nach der ursprünglichen Auslegung des Vertrages bezog sich
(pelargonic acid vanillylamide) oder Nonivamide ersetzt.52                    diese Klausel auf Forschung und Wissenschaft und medizini-
Als Toxin erscheint OC beziehungsweise seine synthetischen                    sche Anwendungen.62 Dafür spricht auch der nachfolgende
Varianten jedoch problematisch unter der Biowaffenkonven-                     Absatz 2, der seinen Verbotsinhalt ausdrücklich auf feind-
tion (BioWaffÜbk).53                                                          selige Zwecke oder bewaffnete Konflikte bezieht. Feindselige
                                                                              Zwecke als jede gegen Menschen gerichtete Anwendung zu
In Artikel I Abs. 1 dieses 1983 für die Bundesrepublik in                     verstehen, ist hier sehr naheliegend.63 Als feindselige An-
Kraft getretenen Vertrages verpflichten sich die Parteien:                    wendung ist jeder waffenmäßige Einsatz zu verstehen, also
„mikrobiologische oder andere biologische Agenzien oder –                     auch der polizeiliche Gebrauch.64 Interpretiert man die fried-
ungeachtet ihres Ursprungs und ihrer Herstellungsmethode –                    lichen Zwecke dagegen auch im Sinne einer generellen Aus-
Toxine von Arten und in Mengen, die nicht durch Vorbeu-                       nahme für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung,
gungs-, Schutz- oder sonstige friedliche Zwecke gerechtfertigt                würde das BioWaffÜbk gravierenden Schaden nehmen. Ent-
sind, (...) niemals und unter keinen Umständen zu entwickeln,                 gegen dem CWÜ enthält das BioWaffÜbk weder eine Defi-
herzustellen, zu lagern oder in anderer Weise zu erwerben                     nition von RCA, noch einen entsprechenden Kontrollmecha-
oder zurückzubehalten.“ Zwar beinhaltet das BioWaffÜbk                        nismus. Unter dem Vorwand des Zweckes der Unruhebe-
kein ausdrückliches Verbot des Einsatzes biologischer Waf-                    kämpfung wäre das Übereinkommen letztlich ohne prakti-
fen, setzt ein solches jedoch durch die Bezugnahme auf das                    schen Effekt.65
Genfer Protokoll voraus.54 Diese Ansicht bekräftigten die
Vertragsparteien bei der 4. Review Conference 1996.55                         2.2.1.3. Einzelfallausnahme für Pfefferspray

Zunächst stellt sich die Frage, ob Capsaicin ein Toxin im Sin-                Näherliegend wäre daher eine auf Pfefferspray begrenzte ge-
ne des Übereinkommens darstellt. Das BioWaffÜbk beinhal-                      wohnheitsrechtliche Ausnahme vom BioWaffÜbk.
tet keine genaue Definition der verbotenen Substanzen und
lässt damit Raum zur Interpretation. Üblicherweise werden in
der Literatur in diesem Zusammenhang nur tödlich wirkende
Toxine bakteriellen Ursprungs, beispielsweise Botulinum dis-                  51   M. Dando, A New Form of Warfare: The Rise of Non-Lethal Weapons,
kutiert.56 Insofern wäre denkbar, dass nicht tödlich wirkende                      London 1996, S. 83.
                                                                              52   COT statement on the use of PAVA (nonivamide) as an incapacitant spray
Toxine einer impliziten Ausnahme unterliegen. Bekannt wa-
                                                                                   (COT/02/2 – April 2002), abrufbar unter www.advisorybodies.doh.gov.uk,
ren nichtletale Toxine aber durchaus auch schon bei Ab-                            in September 2004.
schluss des Übereinkommens.57 Die Vertragsparteien hätten                     53   Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung und
eine Beschränkung auf tödliche Agenzien also auch aus-                             Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und von Toxinwaffen
drücklich aufnehmen können. Der Wortlaut lässt eine Aus-                           sowie über die Vernichtung solcher Waffen vom 10. April 1972, BGBl. II
                                                                                   (1983), S. 436.
nahme für solche Substanzen nicht zu.58 Eine Reduktion auf                    54   M. Bothe, Das völkerrechtliche Verbot des Einsatzes chemischer und bio-
bakterielle Toxine aus dem Namen des BioWaffÜbk herzu-                             logischer Waffen: Kritische Würdigung und Dokumentation der Rechts-
leiten, ist ebenfalls abwegig.59 Ließe man Toxine pflanzlichen                     grundlagen, Köln/Bonn 1973, S. 36.
                                                                              55   UK Ministry of Defence: The Manual, a.a.O. (Fn. 28), S. 104, 6.5 Fn. 8.
Ursprungs nicht unter das Verbot fallen, würde beispielsweise
                                                                              56   W. D. Kischlat, Das Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung,
das als potentielles Terrorgift diskutierte Rizin nicht erfasst
                                                                                   Herstellung und Lagerung bakteriologischer (biologischer) Waffen und
werden. Dieses hochgiftige Toxin lässt sich aus der Rizinus-                       von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen, Heidelberg
bohne Ricinus communis gewinnen.60 Mangels einer generel-                          1976, S. 128 ff.
len Ausnahme, fällt Pfefferspray also grundsätzlich unter den                 57   K. Ipsen, Biologische und chemische Kampfmittel im Völkerrecht, Habil.,
Wortlaut des Toxinverbotes des BioWaffÜbk.61                                       Kiel 1972, S. 24.
                                                                              58   Vgl. S. Oeter, in: D. Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völker-
                                                                                   rechts in bewaffneten Konflikten, München 1994, Rn. 439.
2.2.1.2. Ausnahme für sonstige friedliche Zwecke                              59   Die Bezeichnung bakteriologisch geht auf die Verwendung dieses Be-
                                                                                   griffes auch in früheren Verträgen zurück. Allerdings ist allgemein an-
Durch das BioWaffÜbk sind die erfassten Agenzien verboten,                         erkannt, dass darunter sämtliche biologische Agenzien, also auch Viren,
soweit sie nicht durch einen erlaubten Zweck gerechtfertigt                        Rickettsien, Pilze etc. zu fassen sind. Vgl. auch WHO Report 2004, a.a.O.
                                                                                   (Fn. 7), S. 111.
erscheinen. Der Umstand, dass OC schon bei Vertragsschluss                    60   A. Th. Schäfer, a.a.O. (Fn. 47), S. 92 f. Bekannt wurde Rizin vor allem
bekannt war und der seitdem andauernde Umgang keine Pro-                           durch den Mord an dem bulgarischen Dissidenten Markov mittels einer
teste hervorrief, legt nahe, daß die Vertragsparteien von einer                    rizinvergifteten Regenschirmspitze 1978 in London.
rechtfertigenden Ausnahme ausgehen. Die weite Verbreitung                     61   WHO Report 2004, a.a.O. (Fn. 7), S. 216.
                                                                              62
von OC in zahlreichen Streitkräften und Sicherheitsorganen                         UK Ministry of Defence: The Manual, a.a.O. (Fn. 28), S. 104, Rn. 6.5.1.;
                                                                                   J. Goldblat, The Biological Weapons Convention – An Overview, in:
ist allgemein bekannt, dennoch ist es in den vergangenen
                                                                                   1997 International Review of the Red Cross, Nr. 318, S. 251–265.
dreißig Jahren zu keinem Beschwerdeverfahren nach Artikel                     63   Vgl. M. Bothe, a.a.O. (Fn. 54), S. 37.
6 Abs. 1 BioWaffÜbk vor dem Sicherheitsrat gekommen.                          64   W.D. Kischlat, a.a.O. (Fn. 56), S. 147 f.
Auch die fünf bisher abgehaltenen Konferenzen zur Über-                       65   Erste Tendenzen in dieser Richtung sind durch die Entwicklung von Malo-
prüfung des Abkommens thematisierten Pfefferspray nicht.                           doranzien (Stinkbomben) zur Unruhebekämpfung bereits zu erkennen.

Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften / Journal of International Law of Peace and Armed Conflict                                                9
Thema

Die Annahme einer Einzelfallausnahme ist dennoch nicht un-       wicklung solcher Substanzen eine schleichende Aufweichung
problematisch. Neben dem ursprünglichen pflanzlichen Wirk-       des Chemiewaffenverbotes nach sich zieht.70 Die Auflistung
stoff Capsaicin wird nun zumindest auch die wirkkraftge-         eines lähmenden Kampfstoffes in der Liste der verbotenen
steigerte synthetische Variante PAVA/Nonivamide verwendet.       toxischen Chemikalien des CWÜ (BZ: 3-Quinuclidinylben-
Vor einer Vermehrung der stillschweigend akzeptierten Toxi-      zilat) im Anhang 2 des CWÜ spricht ebenfalls dafür, in die-
ne sollte daher eine Klärung der Rechtslage stattfinden.         sem Zusammenhang Zurückhaltung zu üben. Gemäß der
                                                                 Leitlinien für die Chemikalienlisten des CWÜ sollen Chemi-
Nimmt man ein Verbot von Pfefferspray unter dem BioWaff-         kalien verboten werden, die ein erhebliches Risiko für Ziel
Übk an, wirkt dieses auch über Art. XIII CWÜ. Durch diese        und Zweck dieses Übereinkommens darstellen, weil sie eine
Bestimmung wird die Beziehung des Übereinkommens zu              tödliche oder handlungsunfähig machende Toxizität sowie
anderen internationalen Verträgen geregelt. Ausdrücklich         sonstige Eigenschaften besitzen, die sie zum Einsatz als che-
wird bestimmt, dass die CWÜ so auszulegen ist, dass keine        mische Waffe geeignet machen.71 Es gilt insofern, das durch-
Beschränkung der Verpflichtungen aus dem Biotoxin-Über-          aus nachvollziehbare Interesse an schnell wirkenden lähmen-
einkommen entsteht. Gänzlich abwegig ist insofern die An-        den Kampfstoffen für den polizeilichen Einsatz gegen Terro-
sicht, Pfefferspray unterliege wegen seiner natürlichen Her-     risten und die Vorteile eines möglichst umfassenden Bannes
kunft nicht dem Chemiewaffenabkommen, da es definitorisch        chemischer Kampfstoffe gegeneinander abzuwiegen.
nicht als Chemikalie anzusehen sei.66 Toxine stellen zwar
eine Schnittmenge zwischen CWÜ und BioWaffÜbk dar,               3.         Abschließende Wertung
eine beliebige Einordnung in die jeweils weniger restriktive
Kategorie lässt dies jedoch nicht zu.67                          Es überrascht, dass die Verabschiedung des CWÜAG in den
                                                                 Medien und der Öffentlichkeit auf so wenig Resonanz ge-
2.2.2. Lähmende Kampfstoffe                                      stoßen ist. Zwar stellt die Neuregelung sicher keinen Damm-
                                                                 bruch zur chemischen Kriegführung dar, doch hat sich die
Nicht nur im Hinblick auf die Verwendung von Capsaicin           Bundesrepublik nunmehr eine deutlich weitere Auslegung
bietet die Neuregelung Anlass zur Diskussion. Ein weiterer       des CWÜ zu eigen gemacht. Angesichts des veränderten Auf-
Problempunkt, der hier nur kurz angesprochen werden soll,        gabenprofils der Bundeswehr war die Änderung des CWÜ-
ist die Entwicklung lähmender Kampfstoffe. Auch die geän-        AG unumgänglich. Durch das Fehlen konkreter Definitionen
derte Fassung der CWÜAG nimmt Bezug auf die weite RCA-           schafft die Neuregelung ein gewisses Maß an rechtlicher Un-
Definition des Art. II Nr. 7 CWÜ. Dadurch sind neben den         sicherheit für den RCA-Einsatz. Die Auslegung des CWÜ
sensorisch irritierenden RCA (Tränengas) auch solche erfasst,    wird letztlich auf die Ebene der militärischen Einsatzregeln
die eine Handlungsunfähigkeit des Gegners herbeiführen           übertragen. Die Chance, anhand der Gesetzesänderung poli-
sollen. Lähmende Kampfstoffe sind in den Blickpunkt der          tisch richtungsweisend die Entwicklung nichttödlicher Ein-
Öffentlichkeit gerückt, als im Jahre 2002 russische Spezial-     satzmittel zu problematisieren und zu beeinflussen, wurde
einheiten unter Einsatz eines Narkosegases eine Geiselnahme      vertan.                                                   ■
in einem Moskauer Theater beendeten. Verwendung fand
dabei vermutlich das bisher nur aus der Medizin bekannte
Carfentanyl.68 Auch aus den USA sind schon seit den sech-
                                                                 66   Anderer Ansicht D. H. Göbel, Riot Control Agents im Kosovo: Zur völ-
ziger Jahren Versuche mit handlungsunfähig machenden
                                                                      kerrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes von Reizstoffen durch KFOR,
Kampfstoffen bekannt.69 Durch die langanhaltende Wir-                 in: HuV-I 1 (2001), S. 36.
kungsdauer der meisten bekanntgewordenen Substanzen er-          67   K. Ipsen, a.a.O. (Fn. 57), S. 27.
scheint eine Subsumtion unter die Gruppe der RCA zumin-          68   A. Th. Schäfer, a.a.O. (Fn. 48), S. 23 f.
dest zweifelhaft. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass ei-   69   M. Dando, a.a.O. (Fn. 51), S. 85 ff.
nige handlungsunfähig machende Wirkstoffe auch als RCA           70   L. Klotz/M. Furmanski/M. Wheelis, Beware the Siren’s Song: Why „Non-
qualifiziert werden können. Gerade mit Blick auf die Morta-           Lethal“ Incapacitating Chemical Agents are Lethal, Federation of Ameri-
                                                                      can Scientists, abrufbar unter http://fas.org/bwc/papers/sirens_song.pdf, in
litätsquote der bisher bekannten RCA und den sich daraus er-          Oktober 2004.
gebenden Abgrenzungsproblemen zu klassischen Chemie-             71   Anhang 1 CWÜ, A. Leitlinien für Chemiekalienlisten, Leitlinien für Liste
waffen wurde die berechtigte Sorge geäußert, dass die Ent-            2 lit. a.

10                                                                                                                                        1/2005
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