Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...

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Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
25.–27. Februar 2022
                             04.–06. März 2022

Il pomo d’oro
Accademia del Piacere
Ensemble Jupiter
Freiburger Barockorchester
Collegium 1704
Berliner Barock Solisten
Les Arts Florissants

                                              Festival
Jean Rondeau

                     Barock-
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
Barock-Festival
                                                                                 Il pomo d’oro
                                                                                 Accademia del Piacere
                                                                                 Ensemble Jupiter
                                                                                 Freiburger Barockorchester
                                                                                 Collegium 1704
                                                                                 Berliner Barock Solisten
                                                                                 Les Arts Florissants
                                                                                 Jean Rondeau
                                                                                 25.– 27. Februar 2022
                                                                                 04.–06. März 2022

AUSSERGEWÖHNLICHER KLANG –
   EINZIGARTIGES ERLEBNIS                                                        
                                                                                 Kirill Petrenko
Tauchen Sie ein in die C. Bechstein Welt und begeben Sie sich                    Chefdirigent und künstlerischer
                                                                                 Leiter der Berliner ­Philharmoniker
  auf eine Klangreise in unser C. Bechstein Centrum Berlin.
                                                                                 Andrea Zietzschmann
                                                                                 Intendantin der
                                                                                 Stiftung Berliner P­ hilharmoniker

            C. Bechstein Centrum Berlin · Kantstraße 17 · 10623 Berlin
    Telefon +49 (0)30 2260 559 100 · berlin@bechstein.de · bechstein-berlin.de
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Inhalt

Begrüßung4

Pracht und Ausdruck6
  Welt und Musik des Barock
Die Kunst der Selbstbestimmung14
  Johann Sebastian Bach und seine Söhne
Die Konzerte
Il pomo d’oro                                                                     23
Accademia del Piacere                                                             39
Ensemble Jupiter                                                                  45
Freiburger Barockorchester                                                        59
Collegium 1704                                                                    67
Berliner Barock Solisten                                                          77
Les Arts Florissants                                                              91
Jean Rondeau                                                                     103
Konzerttipps110

Fotoaufnahmen, Bild- und Tonaufzeich­       Die Stiftung Berliner ­Philharmoniker wird
nungen sind nicht g  ­ estattet.            gefördert durch:
Bitte schalten Sie vor den Konzerten Ihre
Mobiltelefone aus.

      3                Inhalt
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
Liebes Publikum,

die musikalische Sprache des Barock ist so prägnant und unver­
wechselbar, dass ihr Facettenreichtum leicht übersehen und
überhört werden kann. Das wollen wir mit unserem Barock-Fes­
tival ändern und die Ohren für die vielfältigen Ausdruckswelten
dieser Epoche öffnen: von der empfindsamen Gläubigkeit geist­
licher Werke über das brillante Konzertieren in der Instrumen­
talmusik bis hin zur konzeptionellen und klanglichen Vir­tuosität
der Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach, dem wir
innerhalb des Festivals einen Schwerpunkt widmen.

Darüber hinaus möchten wir den Sinn für die unterschied­
lichen Idiome der Barockmusik schärfen. Diese durch und durch
europäische Kunst hat über die Kulturräume hinweg zahllose
Färbungen angenommen, die immer neue Perspektiven er­
öffnen. Entsprechend haben wir Ensembles eingeladen, die
gleichermaßen durch Herkunft wie Musizierhaltung die ganze
Vielfalt des Barock verkörpern. Da gibt es Il pomo d’oro aus Ita­
lien, die spanische Accademia del Piacere, aus Frankreich ist das
­Ensemble ­Jupiter dabei und aus Tschechien das Collegium 1704:
 junge Ensembles mit spannenden Repertoire-Entdeckungen im
Programm. Aber auch große, etablierte Namen sind v­ ertreten,
die wir schon oft in der Philharmonie erleben durften: die
aus den Reihen der Berliner Philharmoniker entstammenden
Berliner Barock Solisten, das Freiburger Barockorchester und
die schon legendären Les Arts Florissants mit William Christie.
Mit allen diesen Ensembles sowie mit hochkarätigen Solistinnen
und S­ olisten bietet unser Festival nicht zuletzt ein Panorama der
Spitzenkräfte der europäischen Alte-Musik-Szene.

Wir freuen uns sehr, dass Sie uns auf dieser Reise begleiten
und mit uns die reiche, überraschende Musikwelt des Barock
erkunden.

Andrea Zietzschmann
Intendantin der Stiftung Berliner Philharmoniker

       4               Saison 2021/22
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
Pracht und Ausdruck         Barock: Das Wort allein lässt Musik in unseren
                            Ohren erklingen, man denkt an höfische Szenen,
Welt und Musik des Barock   glanzvoll und gravitätisch. Dabei war dies vor
                            allem eine Epoche des Fortschritts. Erfindungen
                            wie Oper und Generalbass eröffneten vielfältige
                            Wege des Musizierens – und damit neue
                            Möglichkeiten, menschliche Emotionen zum
                            Ausdruck zu bringen.

                            Kommt uns das in gewisser Hinsicht      wältigung bedarf aber zugleich
                            bekannt vor? In der Barockzeit gab      der Planung. Die Vermischung von
                            es ein ungeheures Bedürfnis nach        Kunstbegriffen, von Garten und
                            Genuss, nach Prunk und Luxus.           Theater, ist für den Barock typisch.
                            Dieses Bedürfnis kompensierte die       Sie prägt zugleich jene künst­
                            reale und existenzielle Angst vor       lerische Gattung, die den wider­
                            Krieg, Krankheit und Katastrophen,      sprüchlichen und im Widerspruch
                            die das 17. und 18. Jahrhundert         produktiven Geist der Barockzeit
                            prägten. Die Zeit war zerrissen         wohl am ehesten auf den Punkt
                            zwischen der Hingabe ans Gefühl,        bringt: die Oper.
                            der rationalen Philosophie eines
                            Descartes oder Leibniz und der
                            mathematisch basierten Naturwis­
                                                                          Die Barockzeit
                            senschaft eines Isaac Newton. Und             war zerrissen
                            doch waren Affekt und Ratio keine
                            Gegensätze. Der Barockgarten
                                                                          ­zwischen der Hin-
                            zum Beispiel ist die Übersteigerung            gabe ans Gefühl
                            des Renaissancegartens ins Mo­
                            numentale und Theatralische. Die
                                                                           und rationaler
                            elementaren Gestaltungselemen­                 Weltsicht.
                            te des Renaissancegartens wurden
                            durch Sichtachsen für den Betrach­
     Symbol vom             ter förmlich inszeniert und sollten     Entstanden war die Oper aus der
    ­Sonnenkönig            ihm einen Eindruck vom Herr­            ganz der Renaissance verpflichte­
     Ludwig XIV.
     an einem Tor           schaftsgebiet und der Allmacht          ten Idee eines Florentiner Intellek­
     in Versailles          des Königs geben – solche Über­         tuellen-Zirkels, das antike Drama

                                 7            Welt und Musik des Barock
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
wiederzubeleben. Daran sollten        botenen »Haltung« des Menschen        Kirchenarchitektur des Barock:
neben Schauspielern auch Musiker      und der Dezenz künstlerischer Ge­     Santa Maria della Salute in Venedig
beteiligt werden. Möglich wurde       staltung verborgen, brechen sie in
die Oper durch eine komposi­          barocken Menschendarstellungen
tionstechnische Revolution: den       hervor – und so ist es auch in der
Generalbass. Die aus praktischen      Musik: Während im täglichen Le­
Erwägungen entwickelte Idee,          ben noch immer die Affektkontrolle
dem Tastenspieler mit Zahlen über     empfohlen wurde, entwickelte sich
der Bassstimme die Akkorde vor­       die Oper zu einer Kunst, in der die
zuschreiben, löste die horizontale    Figuren ihren extremen Gefühlen –
Renaissance-Polyphonie in eine        Liebe, Hass, Trauer, Freude, Rach­
Folge von vertikalen Akkorden         sucht – ausgeliefert sind, während
auf und stellte das musikalische      die Hörenden diese Gefühle ohne
Denken grundlegend um – bis tief      Gefahr in voller Stärke erleben
ins 20. Jahrhundert. Nun konnte       können.
mit nur einem Sänger und einem
akkordfähigen Instrument mehr­        Die Kirchenmusik konnte sich der
stimmige Musik erklingen.             Pracht und Ausdruckskraft der
                                      Oper nicht entziehen. Die Gegen­
Die Oper brachte erstmals bür­        reformation wollte es auch nicht,
gerliches Musikleben hervor: In       ging es doch darum, den Ka­
Venedig gab es im 17. Jahrhundert     tholizismus im schönsten Licht zu
bis zu 20 Opernhäuser, gegen Ein­     präsentieren. Der Protestantismus
tritt waren sie jedem zugänglich,     stand der Oper eher zwiespältig
der die Werke Claudio Monte­          gegenüber. Der Geistlichkeit war
verdis, Francesco Cavallis oder       Vergnügen per se verdächtig: So
Antonio Cestis hören wollte. Durch    wurde Johann Sebastian Bach
die Verbindung mit der Sprache        von der Leitung der Thomasschule
prägte die Oper länderspezifische     dazu angehalten, seine Kantaten
Konzepte aus, die gerade diese        nicht zu opernhaft zu kompo­
Gattung besonders wichtig für         nieren. Aber die von der Oper
das nationale, kulturelle Selbstbe­   angebotenen Formen eigneten
wusstsein machte.                     sich auch vortrefflich zum Ausdruck
                                      religiöser Gefühle: Die Zerknir­
                                      schung des Sünders, die Angst vor
     Die Oper ent­                    dem Strafgericht, das Mitgefühl
     wickelte sich zu                 mit dem Gekreuzigten oder die
                                      Freude über die Erlösung spiegeln
     einer Kunst, in der              sich in den Arien und Rezitativen
     die Figuren ext-                 von Kantaten und Oratorien nicht
                                      weniger intensiv als die Affekte in
     remen Gefühlen                   der Oper. Dass man sich von sol­
    ­ausgesetzt sind.                 chen opernhaften Mitteln auch be­
                                      wusst abwenden konnte, zeigt die
                                      Vokalmusik in Norddeutschland:
Blieben menschliche Gefühle in        Dieterich Buxtehude entwickelte in
der Renaissance-Malerei noch          Lübeck eine betont bescheidene
immer weitgehend hinter der ge­       und introvertierte Kantatenkunst.

     8             Saison 2021/22
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
tiger Rhythmik und eingängiger
    Gesangs- und                      Melodik. Johann Sebastian Bach
    Instrumental­                     schließlich entwickelte hieraus ein
                                      nahezu alle Gattungen durchdrin­
    virtuosen wurden                  gendes Formprinzip.
    zu hochverehrten
                                      Dabei wird der Solist – wie der
    Stars.                            Gesangsstar in der Oper – zum
                                      umjubelten Akteur auf der Büh­
Die Affektdarstellung in der Oper     ne. Das Virtuosentum beginnt
prägte musikalische Typologien        in der Barockzeit und hängt mit
aus, die auch ohne Worte ver­         dem bürgerlichen Musikleben
ständlich wurden. Instrumente         eng zusammen: Hohe oder lang
konnten nun mehr, als allein zum      ausgehaltene Töne, schnelle und
Tanz aufzuspielen oder Sänger         bewegliche Finger kann auch der
und Sängerinnen zu begleiten. Vor     Bürger als virtuose Kunst wert­
allem Violinisten beeindruckten mit   schätzen, der mangels musikali­
Stücken, die »Sonata« oder »Sinfo­    scher Bildung eine komplizierte
nia« hießen und die in ihrer bunten   Komposition nicht beurteilen kann.
Folge kontrastierender Abschnitte     Instrumentalisten treten in Wettbe­
nichts mit jenen Großformen zu        werb miteinander, Sänger können
tun hatten, die wir heute darunter    sich jede Art der Eitelkeit leisten,
verstehen. Das Ergebnis war eine      und die unmenschliche Praxis der
Tonsprache, die nicht mehr nur        Kastration zum Erhalt der hohen
vom Gesang, sondern auch von          Knabenstimme zeigt an, wie weit
spielerischen Figurationen ausgeht    man damals für die Kunst zu gehen
und das von der Oper gesteckte        bereit war.                                     Medea ist eine der typischen starken Frauenfiguren
                                                                                      der barocken Oper. Kostümbild zu Jean-Baptiste Lullys
Ausdrucksterrain mit eigenen Mit­                                                     Oper Thésée
teln besetzt und erweitert. Instru­
mentale Virtuosität offenbarte sich
                                          Die Kommerziali-
vor allem im Concerto. In dieser          sierung des Musik-
Form wurde erstmals Tonalität zum
Ordnungsfaktor: Erklangen die ers­
                                          betriebs führte zu                 oder tausende Kantaten (nicht nur           allmählich auf. Entweder verlor er
ten Sonaten noch in archaischen           einer kaum vor-                    bei Telemann) findet. Der Noten­            in den Verzierungen des galan­
Kirchentonarten, so etablierte                                               druck wurde zu einer weiteren               ten Stils oder des Rokoko seine
sich im Concerto die Form als ein
                                          stellbaren Massen-                 Einnahmequelle neben Ämtern                 Schwere, transformierte sich durch
Weg, der von der Grundtonart              produktion.                        und Honoraren und tat dabei                 den immer vorhandenen klassizis­
ausgeht und über Modulationen                                                sein Übriges, den Musikbetrieb              tischen Unterstrom zur Klassik, oder
in verwandte Tonarten wieder                                                 immer schneller mit immer neuem             ersuchte subjektive Authentizität
zurück zur Grundtonart führt. Was     Die Kommerzialisierung des Musik­      Material zu versorgen. Nur wenige           in der Empfindsamkeit. Die musi­
von Arcangelo Corelli in einem        betriebs nahm im Barock richtig        Wochen etwa nach der Londoner               kalischen Gattungen jedoch, die
schmalen Œuvre aus Concerti           an Fahrt auf und führte in allen       Uraufführung von Händels erster             der Barock entwickelt hat, sind bis
grossi und Sonaten verbindlich        Bereichen zu einer kaum vorstell­      Oper erschienen die schönsten               heute aus dem Musikleben nicht
formuliert wurde, wurde bei den       baren Massenproduktion: Es gibt        Arien aus Rinaldo bereits gedruckt          wegzudenken.
Brüdern Alessandro und Benedet­       zahlreiche Werkkataloge, in denen      für die Hausmusik.
to Marcello sowie Tomaso Albinoni     man an die 80 Opern (etwa bei                                                                            Peter Uehling
und vor allem bei Antonio Vivaldi     Alessandro Scarlatti), 500 Con­        Der musikalische Barock löste sich
zum Solokonzert mit schlagkräf­       certi (zum Beispiel bei Vivaldi)       um die Mitte des 18. Jahrhunderts

    10             Saison 2021/22                                                11              Welt und Musik des Barock
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
Markgräfliches Opernhaus Bayreuth
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
Die Kunst der               Ein komponierender Sohn Johann Sebastian
                             Bachs zu sein: Das war sicher eine ambivalente
­Selbstbestimmung            Situation. Zweifellos konnte man vom unermess-
 Johann Sebastian Bach und   lichen Können des Vaters lernen und profitieren.
 seine Söhne                 Aber da war auch noch ein eigener Weg zu
                             finden, zumal neue Zeiten neue musikalische
                             Herausforderungen mit sich brachten. Die
                             Angehörigen der jüngeren Bach-Generation
                             meisterten diese Aufgabe auf ganz unterschied-
                             liche Weise.

                             Johann Sebastian Bach steht im          Lehrbuchmusik schrieb. Wenn es
                             Zentrum der wohl einflussreichsten      um Kunst ging, um Musik zum An­
                             Musikerfamilie des Abendlandes,         hören, waren seine Söhne Carl Phi­
                             der von der zweiten Hälfte des          lipp Emanuel und der international
                             16. Jahrhunderts bis zur Mitte des      tätige Johann Christian diejenigen,
                             19. Jahrhunderts in Mitteldeutsch­      die in aller Munde waren.
                             land zahlreiche Stadtmusiker,
                             Organisten und Komponisten ent­
                             stammten. Bachs frühester Vorfahr
                                                                          Wer in der zweiten
                             und Stammvater der weit ver­                 Hälfte des 18. Jahr-
                             zweigten Familie, Veit Bach, wurde
                             130 Jahre vor ihm, sein letzter
                                                                          hunderts »Bach«
                             namhafter Nachfahre, der Berliner            sagte, meinte
                             Organist Wilhelm Friedrich Ernst
                             Bach, wurde 74 Jahre nach ihm ge­
                                                                          damit Johann
                             boren. Dass Johann Sebastian ein­            Sebastian Bachs
                             mal als bedeutendster Bach in die
                             Musikgeschichte eingehen würde,
                                                                          zweiten Sohn Carl
                             war dabei zunächst keineswegs                Philipp Emanuel.
 Bachdenk­                   ausgemacht. Wer in der zweiten
 mal vor der                 Hälfte des 18. Jahrhunderts »Bach«
­Leipziger
­Thomaskirche                sagte, meinte damit Bachs zweiten       Dabei war Johann Sebastian im
                             Sohn Carl Philipp Emanuel. Johann       eigentlichen Sinn nicht »aus der
                             Sebastian galt bereits zu seinen        Mode« gekommen. Modern zu
                             Lebzeiten als altmodischer Meister      sein hatte ihn schlicht nie inter­
                             des Kontrapunkts, der vor allem         essiert. Sein Wirken fiel in eine

                                 15            Johann Sebastian Bach und seine Söhne
Il pomo d'oro Accademia del Piacere Ensemble Jupiter Freiburger Barockorchester Collegium 1704 Berliner Barock Solisten Les Arts Florissants Jean ...
musikalische Umbruchzeit, von der      Formen hindurch, je nach Bedarf
er sich möglichst distanzierte. Die    seiner Anstellung und je nach Lust.
Anfänge dessen, was man heute          So schrieb er die meisten Orgel­
Barock nennt, lagen um 1600 in Ita­    werke als jugendlicher Organist,
lien und begannen mit der Entde­       die Kammermusik während seiner
ckung des Akkords: Was sich zuvor      Zeit als Kapellmeister in Köthen, die
in der Renaissance-Polyphonie aus      Kantaten und Oratorien in seiner
dem Zusammenwirken mehrerer            Zeit als Thomaskantor in Leipzig.
einzelner Stimmen ergab, wurde         Dabei ist offensichtlich, dass Bach
im barocken Generalbass auf den        Werkreihen dann abbrach, wenn
Tasteninstrumenten buchstäb­           sich ihre kompositorische Problem­
lich mit zwei Händen »greifbar«        stellung für ihn erschöpft hatte.
und in direkten Zusammenklang          Das eindrücklichste Beispiel ist
umsetzbar. Die Komponisten des         sein Orgel­büchlein: In einem ge­
Früh­barock wie Claudio Monte­         bundenen Notenbuch hatte Bach
verdi oder Heinrich Schütz waren       die Titel von 164 Kirchenliedern
noch am Opus perfectum et ab­          eingetragen, die er alle bearbei­
solutum (am vollkommenen und           ten wollte – aber nach 46 Stücken
vollendeten Werk) interessiert, das    war die von ihm selbst gestellte
mithilfe des sich entwickelnden        Aufgabe ausgereizt. Aus dem
Drucks nicht nur weite Verbreitung     gleichen Grund ist der Jahrgang
fand, sondern auch für die Nach­       der Choralkantaten unvollständig.
welt aufbewahrt werden sollte. Im      Bach hatte kein Interesse, einen
Hoch- und Spätbarock dagegen           durchaus vorhandenen Bedarf
herrschte eine Massenproduktion,       an weiteren Werken zu bedienen,
die kaum unter dem Zeichen über­       und so könnte man sein Kantaten­
zeitlicher Gültigkeit stehen konnte.   schaffen – hypothetische Verluste
                                       eingerechnet – mit höchstens
                                       300 Werken gemessen an den
    Wenn eine Werk-                    1750 Kantaten von Telemann oder
    reihe für Bach                     den 1400 Kantaten von Christoph
                                       Graupner als konzentriert bezeich­
    keine Heraus­                      nen. Der sich im Barock entwickeln­
    forderung mehr                     den Gattung der Oper wandte
                                       sich Bach mit eigenen Kompositio­
    bedeutete, brach                   nen nie zu. Dennoch nahm Bach
                                                                               Oben links: Wilhelm Friedemann Bach. Anonyme Zeichnung
                                                                               rechts: Carl Philipp Emanuel Bach. Zeichnung von H. E. von Wintter, 1816
    er sie ab.                         die Musikentwicklungen seiner Zeit
                                                                               Unten links: Johann Christoph Friedrich Bach. Gemälde von Georg David Matthieu, 1774
                                       wahr, und Wendungen des neuen           rechts: Johann Christian Bach. Gemälde von Thomas Gainsborough, 1776
                                       galanten Stils finden sind hier und
Johann Sebastian Bach stand der        da in seinem Schaffen. Zugleich
Sinn nicht nach der Herstellung        gibt es Anklänge von Renaissance-
von solcher Verbrauchsware. Für        Kompositionen wie denen eines
barocke Verhältnisse ist sein Werk­    Palestrina. So entstand Bachs
katalog eher schmal. Statt eine        ureigener Stil, der wunderbar zeit­
Gattung seriell zu bedienen – wie      los ist.
etwa Vivaldi mit seinen 500 Kon­
zerten und 50 Opern –, arbeitete
sich Bach durch verschiedene

    16             Saison 2021/22                                                    17                Johann Sebastian Bach und seine Söhne
sonderbaren Charakter« nach­
                                                             Wilhelm Friede­                     sagte – während er in seiner Musik
                                                             mann im­­pro­vi­                    nach einem leichteren, helleren Stil
                                                                                                 strebte.
                                                             sierte gerne am
                                                             Cembalo und an                            Carl Philipp ­Ema-
                                                             der Orgel und                             nuel h
                                                                                                            ­ atte großen
                                                             komponierte mit                          ­Einfluss sowohl
                                                             die schwierigsten                         auf die Meister
                                                             Werke für Tasten-                         der Wiener Klassik
                                                             instrumente seiner                        als auch auf ein­
                                                             Zeit.                                     zelne romantische
                                                         Bach war neben seiner Tätigkeit als
                                                                                                      ­Gattungen.
                                                         Komponist und Kantor ein gefrag­
                                                         ter Lehrer, aber bei seinen eigenen     Carl Philipp Emanuel war von den
                                                         Söhnen unterliefen ihm – musik­         väterlichen Erwartungen wesent­
                                                         geschichtlich betrachtet – Fehlein­     lich weniger belastet. Auch er ent­
                                                         schätzungen. Seinen ersten Sohn         ledigte sich der kontrapunktischen
                                                         Wilhelm Friedemann hielt er für ein     Ansprüche aus dem väterlichen
                                                         begnadetes Talent, Carl Philipp         Unterricht, aber er wagte mit den
 Erklärung der Notenschlüssel in Johann Sebastian        Emanuel dagegen unterschätz­            so befreiten Sprachmitteln subjek­
 Bachs Handschrift aus dem Klavierbüchlein für Wilhelm
­Friedemann Bach                                         te er. Für Wilhelm Friedemann           tivere Aussagen als sein Bruder: In
                                                         legte er ein Klavierbüchlein an und     seinen Sinfonien stehen Themen
                                                         schrieb für ihn sowohl die Inven­       schroff nebeneinander, brechen
                                                         tionen als auch die Triosonaten für     Verläufe plötzlich ab, finden sich
                                                         Orgel. Wilhelm Friedemann wurde         harmonisch interessante Schnit­
                                                         zunächst Organist in Dresden und        te. Seine im Druck erschienenen
                                                         schrieb auf dieser Stelle für seine     Freien Fantasien machten ihn zum
                                                         Zeit äußerst schwierige und virtu­      Protagonisten der Empfindsamkeit.
                                                         ose Klaviermusik. Als Organist an       Mit dieser ästhetischen Ausrich­
                                                         der Marktkirche in Halle seit 1746      tung hatte Carl Philipp Emanuel
                                                         lebte er während der letzten Le­        über die musikalische Szene hinaus
                                                         bensjahre seines Vaters in dessen       Kontakt zu bedeutenden Geistes­
                                                         Nähe – ob ihm dies gutgetan hat,        größen seiner Zeit: Er war bekannt
                                                         sei dahingestellt. Der Umstand,         mit Lessing, Klopstock, Matthias
                                                         dass er ein Jahr nach dem Tod des       Claudius und dem Homer-Überset­
                                                         Vaters heiratete, muss nichts be­       zer Johann Heinrich Voß.
                                                         deuten, könnte aber dafür stehen,
                                                         dass Johann Sebastian Ansprüche
                                                         an ihn stellte, die Wilhelm Friede­
                                                         mann in seiner Entfaltung lähmten.
                                                         Dafür spricht auch, dass man
                                                         ihm einen »finstern, harten und

      18                Saison 2021/22                       19            Johann Sebastian Bach und seine Söhne
Dieser schien ein Lieblingssohn des
    Johann Christoph                  Vaters gewesen zu sein. Als Johann
    Friedrich stand                   Sebastian starb, war er noch nicht
                                      15 Jahre alt und wurde zu Carl
    zu Lebzeiten im                   ­Philipp Emanuel nach Berlin ge­
    Schatten seiner                    schickt. Dort kam Johann Christian
                                       mit der Oper in Berührung, die ihn
    drei komponieren-                  nicht mehr losließ. Er ging nach
    den Brüder.                        Italien, konvertierte zum Katholizis­

                                                                                Klassik
                                       mus, wurde Organist am Mai­
                                       länder Dom, komponierte aber
Rund 20 Jahre nach diesen Brü­         gleichzeitig Opern. Dank seiner
dern kamen zwei weitere kom­           leichten, flüssigen Schreibweise
ponierende Bach-Söhne aus der          wurde er europaweit bekannt und
zweiten Ehe des Vaters zur Welt.       siedelte schließlich nach London

                                                                                erleben
Johann Christoph Friedrich war         über, wo er sich mit dem jungen
von allen der sesshafteste: Er wur­    Wolfgang Amadeus Mozart an­
de mit 18 Jahren Hofmusiker in Bü­     freundete. Sein Einfluss auf Mozart
ckeburg und blieb dort sein Leben      ist nicht zu überhören – und so ist es
lang. Als Konzertmeister machte er     eine schöne Pointe, dass Wolfgang
die Hofkapelle zu einer der besten     Amadeus auf diese Weise fast ein
Deutschlands. Er war befreundet        Enkelschüler des großen Johann
mit Johann Gottfried Herder und        Sebastian Bach geworden ist.
schrieb mit ihm zusammen Orato­
rien. Sein Werk, das zu Lebzeiten                             Peter Uehling
aus Bückeburg nicht herausdrang,
harrt noch der Entdeckung. Die
Kämpfe seiner Brüder um künst­
lerische und stilistische Selbstbe­
stimmung jenseits des väterlichen
Vorbilds focht er so wenig aus wie
sein drei Jahre jüngerer Bruder
Johann Christian Bach.

    Johann ­Christian                                                              Unterstützen Sie uns beim Kauf
    war das k­ osmo-                                                               hochwertiger Instrumente, bei der
    politischste, viel-                                                            Verbesserung der Ausstattung in
    seitigste und im                                                               Philharmonie und Kammermusiksaal
    18. Jahrhundert                                                                oder bei der Förderung besonderer
                                                                                   musikalischer Projekte.
    international
    bekannteste Mit-
    glied der Bach-                                                                Wir freuen uns auf Sie!
    Familie.
                                                                                   Freunde der Berliner Philharmoniker e. V.
                                                                                   berliner-philharmoniker.de/freunde
    20             Saison 2021/22
Il pomo d’oro
Anna Prohaska Sopran
Florian Boesch Bariton
Freitag, 25.02.22, 20 Uhr
Kammermusiksaal
Programm                                                                  Dieterich Buxtehude (1637−1707)
                                                                          »Ich halte es dafür«, Kantate BuxWV 48
                                                                          Text 2. Arie: Römer 8, Vers 18

                                                                          1.   Sonata
                                                                          2.   Arie: »Ich halte es dafür« (Sopran, Bass)
                                                                          3.   Arie: »Was quälet mein Herz« (Sopran)
                                                                          4.   Arie: »Was ängstet mein Herz« (Bass)
                                                                          5.   Arie: »Ach wär ich bei dir« (Sopran)
Johann Sebastian Bach (1685–1750)                                         6.   Arie: »Du gibest mir Ruh« (Bass)
»Ach Gott, wie manches Herzeleid« BWV 58                                  7.   Arie: »Drum lass ich der Welt« (Sopran, Bass)
                                                                          Dauer: ca. 12 Min.
Kantate am Sonntag nach Neujahr nach der Beschneidung Christi
Texte: Martin Moller (1), Christoph Birkmann (2–4), Martin Behm (5)

1.   Duett: »Ach Gott, wie manches Herzeleid« (Sopran, Bass)              Johann Sebastian Bach
2.   Rezitativ: »Verfolgt dich gleich die arge Welt« (Bass)               »Selig ist der Mann« BWV 57
3.   Arie: »Ich bin vergnügt in meinem Leiden« (Sopran)
4.   Rezitativ und Arioso: »Kann es die Welt nicht lassen« (Sopran)       Kantate zum zweiten Weihnachtstag
5.   Duett: »Ich hab für mir ein schwere Reis« (Sopran, Bass)             Text: Jakobus 1,12 (1), Georg Christian Lehms (2–7), Ahasverus Fritsch (8)
Dauer: ca. 15 Min.
                                                                          1.   Arie: »Selig ist der Mann« (Bass)
                                                                          2.   Rezitativ: »Ach! dieser süße Trost« (Sopran)
                                                                          3.   Arie: »Ich wünschte mir den Tod« (Sopran)
»Liebster Jesu, mein Verlangen« BWV 32                                    4.   Rezitativ: »Ich reiche dir die Hand« (Sopran, Bass)
                                                                          5.   Arie: »Ja, ja, ich kann die Feinde schlagen« (Bass)
Kantate zum ersten Sonntag nach Epiphanias
                                                                          6.   Rezitativ: »In meiner Schoß liegt Ruh und Leben« (Sopran, Bass)
Text: Georg Christian Lehms (1–5), Paul Gerhardt (6)
                                                                          7.   Arie: »Ich ende behende mein irdisches Leben« (Sopran)
                                                                          8.   Choral: »Richte dich, Liebste, nach meinem Gefallen«
1.   Arie: »Liebster Jesu, mein Verlangen«. Adagio (Sopran, Oboe)
2.   Rezitativ: »Was ists, dass du mich gesuchet« (Bass)                  Dauer: ca. 23 Min.
3.   Arie: »Hier, in meines Vaters Stätte« (Bass, Violine solo)
4.   Rezitativ: »Ach! heiliger und großer Gott« (Sopran, Bass)
5.   Duett: »Nun verschwinden alle Plagen«. Vivace (Sopran, Bass, Oboe)
6.   Choral: »Mein Gott, öffne mir die Pforten«
Dauer: ca. 25 Min.

Pause

       24            Saison 2021/22                                             25             Programm
Anna Prohaska Sopran
                                                                 Suche nach Jesus
Florian Boesch Bariton
                                                                 Kantaten von Bach und
Il pomo d’oro:
                                                                 ­Buxtehude
Erste Violinen                         Kontrabass
• Evgeny Sviridov                      •Riccardo Coelati
• Dmitry Lepekhov
                                       Oboen
• Lina Manrique
                                       • Rodrigo Gutiérrez
                                                                 Der Tod ist in der barocken geistlichen Musik fast immer prä­
Zweite Violinen                        • Aviad Gershoni
                                                                 sent, sogar zu Weihnachten. »Ich wünschte mir den Tod« heißt
• Anna Dmitrieva                       • Roberto De Franceschi
                                                                 es beispielsweise in der Kantate »Selig ist der Mann« BWV 57,
• Jesús Merino
                                       Fagott                    die zum 2. Weihnachtsfeiertag gesungen wird. Oder »Ich bin
• Lucia Giraudo
                                       • Alejandro Perez         vergnügt in meinem Leiden« in der Kantate »Ach Gott, wie
Bratsche                                                         manches Herzeleid« BWV 58 zum Sonntag nach Neujahr oder
                                       Orgelpositiv              »Liebster Jesu, mein Verlangen […], soll ich dich so bald ver­
• Giulio D’Alessio
                                       • Andrea Buccarella
                                                                 lieren?« in gleichnamiger Kantate BWV 32, die am 1. Sonntag
Violoncelli                                                      nach Epiphanias traditionell aufgeführt wird. Die »Freude am
                                       Cembalo
• Ludovico Minasi
                                       • Francesco Corti         Leiden« ist auf den im Protestantismus immanenten Gedanken
• Natalia Timofeeva
                                                                 der Nachfolge zurückzuführen: Nur wer leidet, ist Christus wahr­
                                                                 haft nah und kann erlöst werden.

                                                                 Die Düsternis der Arie »Ich wünschte mir den Tod« scheint klang­
                                                                 lich den emotional expressiven Schluss der Matthäus-Passion
                                                                 vorwegzunehmen. Und die seufzende, steigende Chromatik
                                                                 der Eingangsarie von »Liebster Jesu, mein Verlangen« verleiht
                                                                 der Sehnsucht und Suche nach Jesus eine eindringliche Intensi­
                                                                 tät. In solchen als Dialog-Kantaten bezeichneten Troststücken
                                                                 antwortet der Bass der vom Sopran vorgetragenen Verzweif­
                                                                 lung – zuweilen sind die Stimmen sogar als »Seele« und »Jesus«
                                                                 bezeichnet. Im späteren Duett von Sopran und Bass hat Bach
                                                                 eine Formel für die Gleichzeitigkeit von Leid und Freud mit der
                                                                 unruhigen Chromatik des Basso continuos gefunden, über der
                                                                 sich die Oberstimmen in wohlklingendem C-Dur wiegen, um
                                                                 nicht in den Sog verwandter Moll-Tonarten zu geraten.

                                                                 Auch in Dieterich Buxtehudes »Ich halte es dafür« geht es um
                                                                 die »himmlische Freude nach dieser Zeit Leide« und die Suche
                                                                 nach Jesus. Die Stimmen formen ein Ensemble, keinen Dialog,
                                                                 und durch den liedhaften, sprachnahen Ausdruck bekommt
                                                                 Buxtehudes Musik einen ganz innigen Ausdruck.

      26              Saison 2021/22                                 27             Programm
Johann Sebastian Bach                                                          Johann Sebastian Bach
 »Ach Gott, wie ­manches Herzeleid«                                            »Liebster Jesu, mein Verlangen«

1. Duett (Sopran, Bass)               3. Arie (Sopran)                         1. Arie (Sopran)                      Seele
Sopran                                Ich bin vergnügt in meinem Leiden;       Liebster Jesu, mein Verlangen,        Wie lieblich ist doch deine
Ach Gott, wie manches Herzeleid       denn Gott ist meine Zuversicht.          sage mir, wo find ich dich?                ­Wohnung,
begegnet mir zu dieser Zeit,          Ich habe sichern Brief und Siegel,       Soll ich dich so bald verlieren       Herr, starker Zebaoth;
der schmale Weg ist trübsalsvoll,     und dieses ist der feste Riegel,         und nicht ferner bei mir spüren?      Mein Geist verlangt
den ich zum Himmel wandern soll.      den bricht auch selbst die Hölle         Ach! mein Hort, erfreue mich,         nach dem, was nur in deinem Hofe
                                           nicht.                              lass dich höchst vergnügt um­               prangt.
Bass
                                                                                     fangen.                         Mein Leib und Seele freuet sich
Nur Geduld, Geduld, mein Herze,
                                      4. Rezitativ und Arioso (Sopran)                                               in dem lebendgen Gott:
es ist eine böse Zeit;
                                      Kann es die Welt nicht lassen,           2. Rezitativ (Bass)                   Ach! Jesu, meine Brust liebt dich nur
doch der Gang zur Seligkeit
                                      mich zu verfolgen und zu hassen,         Was ists, dass du mich gesuchet?            ewiglich.
führt zur Freude nach dem
                                      so weist mir Gottes Hand                 Weißt du nicht, dass ich sein muss
      ­Schmerze,                                                                                                     Jesus
                                      ein andres Land,                         in dem, das meines Vaters ist?
nur Geduld, Geduld, mein Herze,                                                                                      So kannst du glücklich sein,
                                      ach, könnt es heute noch
es ist eine böse Zeit.                                                                                               wenn Herz und Geist
                                           ­geschehen,                         3. Arie (Bass)
                                                                                                                     aus Liebe gegen mich entzündet
                                      dass ich mein Eden möchte sehen.         Hier, in meines Vaters Stätte,
2. Rezitativ (Bass)                                                                                                       heißt.
                                                                               findt mich ein betrübter Geist.
Verfolgt dich gleich die arge Welt,
                                      5. Duett (Sopran, Bass)                  Da kannst du mich sicher finden       Seele
so hast du dennoch Gott zum
                                      Sopran                                   und dein Herz mit mir verbinden,      Ach! dieses Wort, das itzo schon
      Freunde,
                                      Ich hab für mir ein schwere Reis         weil dies meine Wohnung heißt.        mein Herz aus Babels Grenzen
der wider deine Feinde
                                      zu dir ins Himmels Paradeis,                                                         reißt,
dir stets den Rücken hält.
                                      da ist mein rechtes Vaterland,           4. Rezitativ (Sopran, Bass)           fass’ ich mir andachtsvoll in meiner
Und wenn der wütende Herodes
                                      daran du dein Blut hast gewandt.         Seele                                       Seele ein.
das Urteil eines schmähen Todes
                                                                               Ach! heiliger und großer Gott,
gleich über unsern Heiland fällt,     Bass
                                                                               so will ich mir
so kommt ein Engel in der Nacht,      Nur getrost, getrost, ihr Herzen,
                                                                               denn hier bei dir
der lässet Joseph träumen,            hier ist Angst, dort Herrlichkeit,
                                                                               beständig Trost und Hülfe suchen.
dass er dem Würger soll entfliehen    und die Freude jener Zeit
und nach Ägypten ziehen.              überwieget alle Schmerzen,               Jesus
Gott hat ein Wort, das dich ver­      nur getrost, getrost, ihr Herzen,        Wirst du den Erdentand verfluchen
      trauend macht,                  hier ist Angst, dort Herrlichkeit.       und nur in diese Wohnung gehn,
er spricht:                                                                    so kannst du hier und dort bestehn.
Wenn Berg und Hügel niedersinken,
wenn dich die Flut des Wassers will              Text: Satz 1: Martin Moller
      ertrinken,                        (1547–1606); Sätze 2–4: Christoph
so will ich dich doch nicht                        Birkmann (1703–1771);
      verlassen noch versäumen.          Satz 5: Martin Behm (1557–1622)

    28             Saison 2021/22                                                  29             Gesangstexte
5. Arie                                6. Choral
Jesus, Seele                           Mein Gott, öffne mir die Pforten
                                                                              Dieterich Buxtehude
Nun verschwinden alle Plagen,          solcher Gnad und Gütigkeit,            »Ich halte es ­dafür«
nun verschwindet Ach und               lass mich allzeit allerorten
     Schmerz.                          schmecken deine Süßigkeit!
                                       Liebe mich und treib mich an,
Seele
                                       dass ich dich, so gut ich kann,
Nun will ich nicht von dir lassen,
                                       wiederum umfang und liebe
Jesus                                  und ja nun nicht mehr betrübe.
und ich dich auch stets umfassen.
                                                                              2. Arie (Sopran, Bass)               6. Arie (Bass)
Seele
                                                                              Ich halte es dafür,                  Du gibest mir Ruh,
Nun vergnüget sich mein Herz
                                                                              dass dieser Zeit Leiden              den Himmel dazu.
Jesus                                                                         der Herrlichkeit nicht wert sei,     Wenn Leiden und Quälen
und kann voller Freude sagen:                                                 die an uns soll offenbaret werden.   mich wollen entseelen,
                                                                                                                   wenn Jammer und Plagen
Jesus, Seele
                                                                                               Römer 8, Vers 18    mich wollen abnagen,
Nun verschwinden alle Plagen,
                                                                                                                   so tröstet mich hier
nun verschwindet Ach und
                                                                              3. Arie (Sopran)                     die himmlische Zier.
    Schmerz!
                                                                              Was quälet mein Herz
                                                                              für Trauern und Schmerz,             7. Arie (Sopran, Bass)
                                                                              was ängstet mein Leben,              Drum lass ich der Welt
                                                                              mit Trauern umgeben,                 ihr Jammergezelt
                        Text: Sätze 1–5: Georg Christian Lehms (1684–1717);   was heißet mich trauern,             und suche mit Schmerzen
               Satz 6: Strophe 12 aus »Weg, mein Herz, mit den ­Gedanken«     die Welt zu bedauern?                die brennenden Kerzen;
                                            von Paul Gerhardt (1607–1676)     Die Liebe von hier                   die himmlischen Freuden
                                                                              heißt Himmels Begier.                nach dieser Zeit Leiden.
                                                                                                                   Nur Jesu zu dir
                                                                              4. Arie (Bass)                       steht meine Begier.
                                                                              Was ängstet mein Herz,
                                                                              die brennende Kerz?
                                                                              Die himmlische Wonne,
                                                                              die einzige Sonne
                                                                              erhitzet die Glüte
                                                                              in meinem Geblüte;
                                                                              nur Jesu zu dir
                                                                              steht meine Begier.

                                                                              5. Arie (Sopran)
                                                                              Ach wär ich bei dir,
                                                                              du meine Gier!
                                                                              O Jesu, mein Leben,
                                                                              wer kann mir sonst geben
                                                                              die himmlische Freude
                                                                              nach dieser Zeit Leide?
                                                                              Die Liebe von hier
                                                                              heißt Himmels Begier.

     30              Saison 2021/22                                               31            Gesangstexte
6. Rezitativ (Sopran, Bass)             7. Arie (Sopran)
Johann Sebastian Bach                                                          Jesus                                   Anima
 »Selig ist der Mann«                                                          In meiner Schoß liegt Ruh und           Ich ende behende mein irdisches
                                                                                    Leben,                                  Leben,
                                                                               dies will ich dir einst ewig geben.     mit Freuden zu scheiden verlang
                                                                                                                            ich itzt eben.
                                                                               Anima
                                                                                                                       Mein Heiland, ich sterbe mit höchs­
                                                                               Ach! Jesu, wär ich schon bei dir,
                                                                                                                            ter Begier,
                                                                               ach striche mir
                                                                                                                       hier hast du die Seele, was schen­
                                                                               der Wind schon über Gruft und
                                                                                                                            kest du mir?
                                                                                    Grab,
1. Arie (Bass)                        3. Arie (Sopran)
                                                                               so könnt ich alle Not besiegen.
Jesus                                 Anima                                                                            8. Choral
                                                                               Wohl denen, die im Sarge liegen
Selig ist der Mann, der die Anfech­   Ich wünschte mir den Tod,                                                        Richte dich, Liebste, nach meinem
                                                                               und auf den Schall der Engel
tung erduldet; denn, nachdem er       wenn du, mein Jesu, mich nicht                                                        Gefallen und gläube
                                                                                    hoffen!
bewähret ist, wird er die Krone des        liebtest.                                                                   dass ich dein Seelenfreund immer
                                                                               Ach! Jesu, mache mir doch nur, wie
Lebens empfahen.                      Ja wenn du mich annoch betrüb­                                                        und ewig verbleibe,
                                                                                    Stephano, den Himmel offen!
                                           test,                                                                       der dich ergötzt
                                                                               Mein Herz ist schon bereit,
2. Rezitativ (Sopran)                 so hätt ich mehr als Höllennot.                                                  und in den Himmel versetzt
                                                                               zu dir hinauf zu steigen.
Anima                                                                                                                  aus dem gemarterten Leibe.
                                                                               Komm, komm, vergnügte Zeit!
Ach! dieser süße Trost erquickt       4. Rezitativ (Sopran, Bass)
                                                                               Du magst mir Gruft und Grab
     auch mir mein Herz,              Jesus
                                                                               und meinen Jesum zeigen.
das sonst in Ach und Schmerz          Ich reiche dir die Hand
sein ewigs Leiden findet              und auch damit das Herze.
und sich als wie ein Wurm in
                                      Anima
     ­seinem Blute windet.
                                      Ach! süßes Liebespfand,
Ich muss als wie ein Schaf
                                      du kannst die Feinde stürzen               Text: Satz 1: Jakobus 1,12; Sätze 2–7: Georg Christian Lehms (1684–1717);
bei tausend rauhen Wölfen leben;
                                      und ihren Grimm verkürzen.                                              Satz 8: Strophe 6 aus »Hast du denn, Jesu, dein
Ich bin ein recht verlassnes Lamm
                                                                                         Angesicht gänzlich verborgen« von Ahasverus Fritsch (1629–1701)
      und muss mich ihrer Wut
                                      5. Arie (Bass)
und Grausamkeit ergeben.
                                      Jesus
Was Abeln dort betraf,
                                      Ja, ja, ich kann die Feinde ­schlagen,
erpresset mir auch diese Tränen­
                                      die dich nur stets bei mir verklagen,
     flut.
                                      drum fasse dich, bedrängter Geist.
Ach! Jesu, wüsst ich hier
                                      Bedrängter Geist, hör auf zu
nicht Trost von dir,
                                            weinen,
so müsste Mut und Herze brechen,
                                      die Sonne wird noch helle scheinen,
und voller Trauern sprechen:
                                      die dir itzt Kummerwolken weist.

    32             Saison 2021/22                                                   33             Gesangstexte
Il pomo d’oro                                                        Anna Prohaska
                                                                     Sopran

 Aufsehenerregend, dynamisch und atemberaubend: Nicht                »Man könnte sich restlos verlieren im Klang ihres natürlich flie­
 ­zufällig hat sich Il pomo d’oro (Der goldene Apfel), eines         ßenden, lyrischen Soprans. Doch dessen Schönheit ist im besten
  »der brillantesten Ensembles auf der Alte-Musik-Bühne«             Sinne nur ein Nebenaspekt von Prohaskas bezwingender Dar­
 (BBC Music Magazine), nach der gleichnamigen »Festa tea­            stellung« (Hamburger Abendblatt). Anna Prohaska entstammt
 trale« des italienischen Barockkomponisten Antonio Cesti            einer alteingesessenen Wiener Musikerfamilie und wuchs in
 benannt. Das opulente Freiluftspektakel, bei dessen Auffüh­         Hietzing in jener Villa auf, in der Johann Strauss Die Fleder-
 rung 300 Pferde Ballett tanzten und 73.000 Feuerwerkskörper         maus komponierte. Die Sängerin studierte an der Hochschule
 gezündet wurden, war für die Kaiserhochzeit Leopolds I. mit         für Musik Hanns Eisler in Berlin und debütierte als 17-Jährige
 Margarita Teresa von Spanien im Jahr 1666 entstanden, erleb­        an der Komischen Oper Berlin. Mit 20 war sie erstmals an der
 te seine Uraufführung aber erst zwei Jahre später zum 17. Ge­       Staatsoper Unter den Linden zu hören, der sie trotz ihrer inter­
 burtstag Margaritas. Mit 24 Bühnenbildern und rund acht             nationalen Karriere als Ensemblemitglied verbunden bleibt. Die
 Stunden Aufführungsdauer stellte das Theaterfest alles bisher       Sopranistin »mit glasklarer Diktion« (Der Standard) und »silbrig
 Dagewesene in den Schatten. Ein Opern-Superlativ, an den            glitzernder, dabei immer menschlich berührender Koloratur­
  die Mitglieder des 2012 gegründeten italienischen Original­        artistik« (Salzburger Nachrichten) gastiert regelmäßig an den
  klang-Ensembles in einer »mächtig Pulverdampf verbreitenden        weltweit führenden Opern- und Konzerthäusern. Sie verfügt
  Gangart«, die ihrem »Ruf als das aktuell vielleicht aufregendste   über ein außergewöhnlich breit gefächertes Repertoire, wobei
  Barockteam« alle Ehre macht (Rondo), anknüpfen. Mit Tem­           ihr Werke der Barockzeit besonders liegen: »Mir gefällt diese
perament und hoher Spielkultur beeindruckt Il pomo d’oro             Musik, weil sie mir als Sängerin viel Raum für Kreativität lässt. Ich
weltweit mit Programmen wie In War and Peace oder My fa-             kann Verzierungen frei gestalten und auch sonst eigene Inter­
vorite things mit der amerikanischen Mezzosopranistin Joyce          pretationen einfließen lassen. Barockmusik ist sehr emotional
­DiDonato. Die jüngsten Einspielungen der Formation wurden           und hat eine besondere Dramatik, die ich mit meiner Stimme
 mit dem Opus Klassik, dem italienischen Abbiato del Disco           sehr gut ausschöpfen kann, ohne mich verbiegen zu müssen. So
 sowie mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausge­        ein breites Repertoire finde ich nicht in jeder Epoche.«
 zeichnet.

     34             Saison 2021/22                                        35             Biografien
Florian Boesch
Bariton

                                                                    Die Symphonien Gustav Mahlers
                                                                    Die Symphonien Gustav Mahlers spielen seit über einem Jahrhundert eine zentrale Rolle in den
                                                                    Konzerten der Berliner Philharmoniker. In jeder einzelnen von ihnen entfaltet sich eine eigene
                                                                    Welt. Dabei steht das Monumentale neben dem Zarten, das Spirituelle neben dem Profanen, das
                                                                    Tragische neben dem Humoristischen und die Verzweiflung neben der Hoffnung auf Erlösung. Die
                                                                    exklusive Hardcover-Edition vereint Einspielungen der neun Symphonien und des Adagios aus der
                                                                    Zehnten mit herausragenden Mahler-Interpreten.

Die Kritik feiert ihn für seine »wunderbar geführte, flexible,
klangschöne Stimme« (Süddeutsche Zeitung) und für ein »Pia­
nissimo, das saalfüllend wirkt und unter die Haut geht« (Die
Presse). Der Bassbariton Florian Boesch, derzeit Artist in Resi­
dence in der Hamburger Elbphilharmonie, zählt zu den großen
Liedinterpreten unserer Zeit – mit regelmäßigen Auftritten im
Wiener Musikverein, in der Londoner Wigmore Hall, dem Ams­
terdamer Concertgebouw und der New Yorker Carnegie Hall.
»Der Liederabend«, sagt er, »ist eine unbedingt moderne Form,
weil er etwas tut, was nie nicht-modern sein kann: Er erlaubt
etwas Echtes, etwas zu bekennen.« Mit einem historisch wie
stilistisch facettenreichen Konzertrepertoire ist der vielseitige
Sänger Gast international führender Orchester und als »Urge­
walt, die auf der Bühne die Aufmerksamkeit auf sich zieht wie
ein Schwarzes Loch« (Salzburger Nachrichten), an den großen                      Berliner Philharmoniker   Yannick Nézet-Séguin     Sir Simon Rattle
Opernhäusern zu erleben – in Werken von Purcell bis Mozart                       10 CD + 4 Blu-ray         Symphonie Nr. 4          Symphonie Nr. 8
und von Händel bis Berg. Florian Boesch, der aus einer Wiener                    Daniel Harding            Gustavo Dudamel          Bernard Haitink
Sängerfamilie stammt, unterrichtet heute Lied und Oratorium                      Symphonie Nr. 1           Symphonie Nr. 5          Symphonie Nr. 9
an der Universität für Musik und Darstellende Kunst seiner                       Andris Nelsons            Kirill Petrenko          Claudio Abbado
Heimat­stadt. Seine Einspielungen von Schubert-, Schumann-                       Symphonie Nr. 2           Symphonie Nr. 6          Symphonie Nr. 10 (Adagio)
und Mahler-Liedern wurden vielfach von der internationalen                       Gustavo Dudamel           Sir Simon Rattle
Presse ausgezeichnet.                                                            Symphonie Nr. 3           Symphonie Nr. 7

                                                                                 Jetzt erhältlich unter
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                                                                                 und im Shop der Philharmonie Berlin
    36             Saison 2021/22
Accademia del Piacere
Fahmi Alqhai Viola da Gamba
und Leitung
Samstag, 26.02.22, 20 Uhr
Kammermusiksaal
Serie Originalklang
Programm                                  Hernando de Cabezón (1541–1602)
                                          Susana un jur glossada

                                          Anonymus
                                          Xácaras & Folías

                                          Improvisation über einen Pasacalle

Rediscovering Spain
                                          Gaspar Sanz (1640−1710)
Anonymus (16. Jahrhundert)                Marionas & Canarios
Di, perra mora
                                          Fahmi Alqhai
                                          Arrangements
Antonio de Cabezón (1510−1566)
La dama le demanda
                                          Dauer: ca. 75 Min.
                                          Keine Pause
Heinrich Isaac (ca. 1450−1517)
La Spagna

Jacobus Arcadelt (1507−1568),
Diego Ortiz (ca. 1510−ca. 1570)
O felici occhi miei                       Accademia del Piacere:

                                          Viola da Gamba und Leitung      Barockgitarre
Fahmi Alqhai (geb. 1976)                  • Fahmi Alqhai                  •Miguel Rincón
Diferencias sobre Guárdame las vacas
                                          Viola da Gamba                  Cembalo
                                          • Rami Alqhai                   • Javier Núñez

Antonio de Cabezón                        • Johanna Rose
                                                                          Percussion
Tiento III del primer tono                                                • Agustín Diassera

Fahmi Alqhai
Glosa sobre el Mille regretz de Josquin

Santiago de Murcia (1673−1739)
Fandango

    40           Saison 2021/22               41               Programm
Spanische Entdeckungen                                                Accademia del Piacere
Tänze und Improvisationen

Der in Spanien geborene, syrisch-palästinensische Gambist
Fahmi Alqhai hat die alten Schriften der Renaissance- und
Barockzeit genau studiert und nimmt die darin enthaltenen
Aufforderungen zur Improvisation sehr ernst. Er setzt sie in einer
ebenso individuellen wie historisch informierten Verzierungs­
praxis um: Manche Intonationsschattierungen erinnern dabei
an seine Nähe zu einer Kultur, die kleinere Intervalle kennt als
Halbtöne.

Dass Tänze wie La Spagna von Heinrich Isaac oder der Fan-
dango von Santiago de Murcia der Improvisation offen stehen,
wundert nicht – ihre einfachen harmonischen Gerüste waren als
Ausgangsbasis für Interpretationen gedacht. Alqhai setzt in sei­
nem Programm auch die Tradition der im 16. und 17. Jahrhun­           Mit innovativen Konzepten, großer Spontaneität und technischer
dert in der spanischen Instrumentalmusik verbreiteten Glosas          Perfektion zählt die Accademia del Piacere zu den führenden
fort. Wie in diesen musikalischen »Glossen« präsentiert er eige­      ­Originalklang-Ensembles Europas. Denn egal, ob sich die Musike­
ne Interpretationen von bereits existierenden Werken – ent­            rinnen und Musiker dem Repertoire des italienischen und spani­
weder durch Verzierungen und Ornamente oder mithilfe von               schen 17. Jahrhunderts oder der Kammermusik aus der Zeit Lud­
Variationstechniken. Auf diese Weise bearbeitet er zum Beispiel        wigs XIV. widmen – immer begeistern sie mit einer lebendigen und
Josquin Desprez’ Chanson Mille regretz, das im 16. Jahrhundert         emotionsgeladenen Lesart, die zu vielen Auszeichnungen führte.
ein Hit gewesen ist. Diese Praxis ist gut in diversen Schriften der    2011 überraschte die Formation die Musikwelt zudem mit ihrem
Zeit belegt, so im Tratado de Glosas des Spaniers Diego Ortiz,         aufsehenerregenden Projekt zur Verbindung von Barock und
der darin unter anderem demonstriert, wie er Jacobus Arca­             Flamenco. Gegründet wurde die Accademia del Piacere 2002 von
delts Madrigal O felici occhi miei glossiert. So wird am heutigen      Fahmi Alqhai, einem der ­brillantesten Spieler der Viola da Gamba
Abend Fahmi Alqhais Glosa der Diego Ortiz’schen Glosa von              seiner Generation: »Am Anfang habe ich jeden Tag viele Stunden
Jacobus Arcadelts Madrigal zu hören sein.                              damit verbracht, ein Virtuose zu werden. Jetzt beginne ich damit,
                                                                       mich wirklich auf den Ausdruck zu konzentrieren, auf die pure Emo­
Mit einer abwechslungsreichen Folge von Tänzen und weiteren            tionalität der Musik«, so Fahmi Alqhai. Der spanische Musiker mit
Bearbeitungen von Gesangsstücken schaffen Fahmi Alqhai und             arabischen Wurzeln, der »seinem Instrument einen ganz neuen
seine Accademia del Piacere eine Aufführungssituation, die             Bereich beglückender Möglichkeiten« eröffnet (Gramo­phone),
der des 16. und 17. Jahrhunderts ähnelt. In ihren Arrangements         ist bei den führenden Alte-Musik-Ensembles regelmäßiger Gast.
und wechselnden Besetzungen nehmen sie die notierte Musik              Fahmi Alqhai leitet die Accademia del Piacere in den großen Kon­
zur Grundlage und entwickeln eigene, spontane, improvisierte           zertsälen Europas, Japans, der USA und Südamerikas. Seit 2009
Varianten des Notentexts.                                              ist er zudem künstlerischer Direktor des Festivals für Alte Musik von
                                                                       Sevilla, dem ältesten und bedeutendsten Festival für Alte Musik in
                                                                       Spanien. Die Accademia del Piacere wird unterstützt durch INAEM
                                                                       (Ministerio de Cultura de España) und Agencia Andaluza de Insti­
                                                                       tuciones Culturales (Junta de Andalucía).

     42            Saison 2021/22                                          43             Biografie
Ensemble Jupiter
Thomas Dunford Laute
und Leitung
Lea Desandre Mezzosopran
Sonntag, 27.02.22, 16 Uhr
Kammermusiksaal
Programm                                                               André Danican Philidor (1652–1730)
                                                                       Marsch – »Venez, troupe guerrière« Rezitativ der Thalestris – Marsch
                                                                       aus der Oper Les Amazones

                                                                       Marin Marais (1656–1728)
                                                                       L’Amériquaine Nr. 14 aus der Suitte d’un goût étranger

Francesco Provenzale (1624–1704)                                       André Cardinal Destouches (1672–1749)
»Non posso far«                                                        »Ô Mort ! Ô triste Mort !«
                                                                       Arie der Thalestris aus der Oper Marthésie, première reine
Arie des Lucillo aus der Oper Lo schiavo di sua moglie
                                                                       des ­amazones (Libretto: Antoine Houdar de La Motte)
(Libretto: Francesco Antonio Paolella)

Francesco Cavalli (1602–1676)                                          Marin Marais
Sinfonia aus der Oper Ercole amante                                    Plainte g-Moll Nr. 86 aus Pièces de viole, Livre 3

Francesco Provenzale                                                   André Cardinal Destouches
»Lasciatemi morir stelle crudeli«                                      »Quel coup me réservait la colère céleste ?«
                                                                       Arie der Marthésie aus der Oper Marthésie, première reine
Arie der Menalippa aus der Oper Lo schiavo di sua moglie
                                                                       des ­amazones

Giovanni Buonaventura Viviani (1638–ca. 1693)                          Pause
»Muove il piè, furia d’Averno«
Arie der Mitilene aus der Oper Mitilene, regina delle amazzoni
(Libretto: Conte Giulio Barbò)                                         Antonio Vivaldi (1678–1741)
                                                                       1. Satz der Sinfonia aus der Oper Ercole sul Termodonte
Georg Caspar Schürmann (1672/73–1751)                                  RV 710: Allegro
Sinfonia pour la tempête aus der Oper Die getreue Alceste
                                                                       Giuseppe de Bottis (1678–1753)
Carlo Pallavicino (ca. 1630–1688)                                      »Che farai misero core«
                                                                       Arie der Mitilene aus der Oper Mitilene, regina delle amazzoni
»Vieni, corri, volami in braccio«                                      (Libretto: Andrea Perrucci)
Arie der Antiope

»Sdegni, furori barbari«                                               Georg Caspar Schürmann
Arie der Celinda aus der Oper L’Antiope (vollendet von Nicolaus Adam
Strungk, Libretto: Stefano Benedetto Pallavicino)
                                                                       »Non ha fortuna il pianto mio«
                                                                       Arie der Hyppolite aus der Oper Die getreue Alceste

    46             Saison 2021/22                                          47            Programm
Antonio Vivaldi
2. Satz der Sinfonia aus der Oper Ercole sul Termodonte
                                                                      Bei den Amazonen
RV 710: Andante                                                       Starke Frauen in der Oper
Giuseppe de Bottis
»Lieti fiori, erbe odorose«
Arie der Mitilene aus der Oper Mitilene, regina delle amazzoni

                                                                      Wie klingen Amazonen? Im 19. Jahrhundert hätten Komponis­
Antonio Vivaldi                                                       ten auf eine Palette an Klangfarben zurückgegriffen, die das
3. Satz der Sinfonia: Allegro                                         Fremde problemlos, wenn auch vielleicht etwas klischeehaft
                                                                      dargestellt hätte. Im italienischen und französischen Barock
                                                                      kannte man derlei Klangmalereien erst in Ansätzen. Was bei­
»Onde chiare che sussurrate«                                          spielsweise Marin Marais, Gambist und Hofkomponist am Hof
Arie der Ippolita
                                                                      Ludwigs XIV. im Stück L’Amériquaine aus seiner Suitte d’un goût
                                                                      étranger notiert, klingt weder amerikanisch noch sonst irgend­
»Scenderò, volerò, griderò«                                           wie fremdländisch.
Arie der Antiope
aus der Oper Ercole sul Termodonte RV 710 (Libretto: Antonio Salvi)   Aber zurück zu den Amazonen: Bis heute ist nicht geklärt, ob
                                                                      es die wehrhaften Frauen, von denen Homer, Herodot und
                                                                      andere erzählen, wirklich gegeben hat. Vor abschließender Be­
Dauer: ca. 75 Min.
                                                                      antwortung dieser Frage ist weitere Forschung erforderlich. For­
                                                                      schungsarbeit war ebenfalls nötig, um die Amazonen-Opern
                                                                      zutage zu fördern, aus denen heute Nachmittag Arien und
                                                                      Instrumentalstücke erklingen. Die Amazonen wie auch generell
                                                                      starke Frauen auf der Opernbühne des Barock sind komplexe
                                                                      Figuren, deren Charaktere sich aus bis heute als typisch weib­
Lea Desandre Mezzosopran                                              lich und als typisch männlich geltenden Eigenschaften zusam­
                                                                      mensetzen. Ihre geschlechterspezifische Uneindeutigkeit ist der
Ensemble Jupiter:                                                     treibende Faktor für zahlreiche Opernhandlungen und bietet
                                                                      eine unerschöpfliche Quelle dramatischer und musikalischer
Laute und Leitung                      Kontrabass                     Inspiration für große lyrische Szenen, Lamenti, Kriegs- und Wut­
• Thomas Dunford                       •Hugo Abraham                  lieder, zarte Melodien und Instrumentalstücke.
Violinen                               Flöten
• Sophie Gent                          • Anne Parisot
                                                                      Gerade deswegen findet man in André Cardinal Destouches
• Théotime Langlois de Swarte          • Georgia Browne
                                                                      Oper eine Frauenfigur wie Marthésie, die erste Königin der
                                                                      Amazonen, die in der Schlussszene bei »Quel coup« vor einem
Bratsche                               Cembalo und Orgel              Abgrund steht, dort ihren erschlagenen Geliebten sieht und zu
• Jasper Snow                          • Violaine Cochard             ihm hinab in die Schatten steigt – mit mehr Haltung als Orpheus.
                                                                      Giuseppe de Bottis stellt eine andere Amazonenkönigin, Miti­
Violoncello                            Percussion
• Julien Barre                         • Marie-Ange Petit
                                                                      lene, in seiner gleichnamigen Oper als eine Frau vor, die von
                                                                      Liebesbanden frei sein will und dennoch unter ihrer unglück­
Viola da Gamba                                                        lichen Liebe leidet. Die Amazonen, damals wie heute – aktueller
• Salomé Gasselin                                                     denn je.

      48              Saison 2021/22                                      49             Programm
Francesco Provenzale                                                         Giovanni Buonaventura Viviani
»Non posso far«                                                              »Muove il piè, furia d’Averno«
Non posso far che non proromp’        Ich kann mir das Lachen nicht ver­     Muove il piè, furia d’Averno       Da schreitet sie, die Furie der Hölle,
      in ridere                             kneifen,                         con le serpi avvolte al seno.      die Schlangen um die Brust ge­
se son le donne trasformate in        wenn Frauen sich in Männer ver­        Spars’ al core all’interno,             schlungen.
      uomini                                wandeln                          ho di Cerbero il veleno.           Im Innersten meines Herzens
e dalla pugna non si san’ dividere.   und das Kämpfen nicht lassen                                              trage ich das Gift des Zerberus.
All’erta o zerbini                          können.
che quivi le donne                    Aufgepasst, ihr Pantoffelhelden,
lasciate han’ le gonne                denn hier haben die Frauen
e armate si sono.                     ihre Röcke abgelegt
S’offese voi le avete                 und haben sich bewaffnet.              Carlo Pallavicino
d’aggravi di monete                   Falls ihr sie gekränkt habt,
chiedetegli perdono;                  bittet sie                             »Vieni, corri, volami in braccio«
che se vi dan’ di piatto              mit ein paar Münzen um Vergebung;
siete perduti affatto,                denn wenn sie euch eins überbraten,    Vieni, corri, volami in braccio,   Komm, eile, flieg in meine Arme,
se gite sotto vi potran’ uccidere,    seid ihr wahrhaftig verloren,          che mercede donar ti vò.           ich möchte dich belohnen.
non posso far che non proromp’        wenn ihr unterliegt, könnten sie       Farò ben io che nel diletto        Ich werde machen, dass das Herz,
      in ridere.                            euch töten,                      goda quel petto,                   das dieser blinde Gott
                                      ich kann mir das Lachen nicht ver­     ch’il cieco Dio per me piagò.      für mich verwundet hat, in Wonne
                                            kneifen.                                                                 schwelgt.

»Lasciatemi ­morir, stelle c­ rudeli«                                        »Sdegni, furori barbari«
Lasciatemi morir stelle crudeli,      Grausame Sterne, lasst mich sterben,   Sdegni, furori barbari,            Empörung, ungestüme Wut,
ch’il viver fra nemici è schiavitù,   das Leben unter Feinden ist            dove siete?                        wo seid ihr?
se la caduta mia la sù ne’ cieli           ­Sklaverei.                       V’accendete,                       Entzündet euch!
fu stabilità non risorgo più.         Wenn der Himmel bestimmt hat,          perfida gelosia,                   Perfide Eifersucht,
L’armi non sono mai,                        dass ich untergehe,              a quest’acciar                     sei diesem Dolch
non sono mai d’amor fedeli            stehe ich nicht mehr auf.              d’ire ministra sia.                Vollstreckerin des Zorns.
lasciatemi morir stelle crudeli.      Die Waffen der Liebe sind niemals,
                                      niemals treu,
                                      grausame Sterne, lasst mich sterben.

     50              Saison 2021/22                                               51             Gesangstexte
Que d’éclairs menaçants s’allum­         Drohende Blitze entzünden sich
André Danican Philidor                                                               ent dans les airs !                       in der Luft!
»Venez, troupe guerrière«                                                     La foudre vient d’ouvrir la Terre,       Ein Blitzschlag hat die Erde
                                                                              elle offre à mes regards un passa­             ­geöffnet,
Venez, troupe guerrière,                Kommt, kriegerische Truppe,                  ge aux Enfers !                   sie zeigt mir einen Weg in die Hölle!
Amazones, venez dans ces lieux          Amazonen, kommt an diesen             Ô ciel ! De mon amant je vois            O Himmel! Ich sehe den blutigen
     plein d’appâts,                          ­reizenden Ort,                        ­l’ombre sanglante !                      Totengeist meines Liebsten!
vous de qui l’âme fière                 ihr, deren stolze Seelen              Je l’entends qui m’adresse une voix      Ich höre, wie er mich mit stöhnen­
ne respire toujours que les sang­       immerzu nach blutigen Schlachten              gémissante !                            der Stimme anspricht!
     lants combats.                            trachten.                      Attends ! Chère ombre, attends,          Warte! Geliebter Schatten, warte,
                                                                                      je vole te venger.                      ich eile, dich zu rächen.
                                                                              Où fuis tu, Thalestris ?                 Wohin fliehst du, Thalestris?
                                                                              Non, n’attends point de grâce.           Nein, erwarte keine Gnade.
                                                                              Tu fuis en vain le coup qui te           Du fliehst vergeblich vor dem
André Cardinal Destouches                                                           ­menace.                                  Schlag, der dich bedroht.
                                                                              Les Enfers t’ont vomi, il faut t’y       Die Hölle hat dich ausgespuckt,
»Ô Mort ! Ô triste Mort !«                                                            replonger.                              man muss dich zurück­
                                                                              Mais vous, Euménides cruelles,                  schicken.
Ô Mort ! Ô triste Mort ! Mon dés­       O Tod! O trauriger Tod! Meine         pourquoi me retenir ? Pourquoi me        Doch ihr, grausame Eumeniden,
     espoir t’appelle.                       ­Verzweiflung ruft dich.                 désarmer ?                       warum haltet ihr mich zurück?
Viens, termine à la fois mes mal­       Komm, mach meinem Unglück             Ah ! je vois Mars encore plus                   ­Warum entwaffnet ihr mich?
     heurs et mes jours.                      und meinem Leben                        ­affreux qu’elles !              Ah! Ich sehe Mars noch schreck­
Seule tu peux éteindre une flamme             ein Ende.                       Barbare, contre moi viens-tu les                 licher als sie!
     cruelle.                           Nur du kannst dieses grausame                  animer ?                        Grausamer, willst du sie gegen
Je n’attends de l’ingrat qu’une               Feuer löschen.                  Évitons tant d’horreurs, cherchons               mich aufhetzen?
     haine éternelle,                   Ich erwarte von dem Undank­                    ce que j’adore.                 Vermeiden wir so viel Entsetzen,
et tant que je vivrais, je l’aimerais         baren nichts anderes als        Chère ombre tu parais encore !                   ich will suchen, was ich liebe.
     toujours.                                ewigwährenden Hass              Trop heureuse à tes yeux de              Geliebter Schatten, du erscheinst
                                        und wenn ich weiterlebte, würde                ­terminer mes jours,                    mir noch einmal!
                                              ich ihn immer lieben.           c’en est fait, je descends dans le       Welch ein Glück, mein Leben vor
                                                                                        royaume sombre.                        deinen Augen zu beenden,
                                                                              Comme toi, cher amant, je ne suis        es ist getan, ich steige in das Reich
                                                                                        plus                                   der Finsternis hinab.
»Quel coup me réservait la c­ olère céleste ?«                                qu’une ombre,                            Wie du, Geliebter, bin ich nur noch
                                                                              je ne vis plus, et je t’aime toujours.           ein Schatten,
                                                                                                                       ich lebe nicht mehr und ich werde
Quel coup me réservait la colère        Welchen Schlag hat der Zorn des
                                                                                                                               dich immer lieben.
     céleste ?                                Himmels für mich ausersehen?
De quel sang ont rougi ces lieux ?      Wessen Blut ließ diesen Ort er­
Mais quel soudain transport !                 röten?
     Dieux !                            Woher kommt diese plötzliche
Quel trouble funeste !                       ­Erregung! Götter!
Je ne me connais plus, tout se          Welch unheilvoller Aufruhr!
     change à mes yeux.                 Ich kenne mich selbst nicht mehr,
Quels bruits ! Que d’éclats de                alles wandelt sich vor meinen
     tonnerre !                               Augen.
                                        Was für ein Lärm! Was für ein
                                              Donner­krachen!

     52             Saison 2021/22                                                 53             Gesangstexte
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