IMPFSTOFF-NATIONALISMUS ODER GLOBALE SOLIDARITÄT - ZU DEN AUSEINANDERSETZUNGEN ÜBER DEN ZUGANG ZU COVID-19-VAKZINEN - SPW
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spw 1 | 2021 Meinung Impfstoff-Nationalismus oder globale Solidarität Zu den Auseinandersetzungen über den Zugang zu COVID-19-Vakzinen von Andreas Wulf Lösung. Ebenso unterzeichneten Indien, Bra- silien und Ägypten mit Russland Verträge für û Dr. Andreas Wulf ist Arzt und die Lieferung. Der Sputnik Moment hätte sich arbeitet seit 22 Jahren bei medico auch in ein „Challenger Desaster“ verwandeln international, als langjähriger Re- ferent für Globale Gesundheit und können. Inzwischen sieht es aber ganz so aus, seit 2019 als Berlin-Repräsentant. dass sich Sputnik V auch in den klinischen Er ist seit 2007 im Vorstand des Vereins Demokratischer Ärz- Studien, die Anfang Februar 2021 vorliegen, tinnen und Ärzte aktiv. bewährt hat, und selbst der deutsche Gesund- heitsminister fordert die Hersteller auf, eine Foto: medico international Zulassung in der EU zu beantragen. „Niemand ist sicher vor COVID-19, be- Zeitgleich fanden schon die Verhandlungen vor nicht alle davor sicher sind. Selbst wer das der wohlhabenden Staaten mit den großen Virus in seinen eigenen nationalen Grenzen transnationalen Pharmaunternehmen statt, besiegt, bleibt Gefangener dieser Grenzen, so- die ihre Impfstoffe ebenfalls meistbietend an- lange es nicht überall besiegt ist.“ So drama- boten. tisch beschrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Herausforderung der Pande- Dieser Impfstoff-Nationalismus war ein mie zum Auftakt des World Health Summit Kontrapunkt zum kurzen „Frühling der Soli- in Berlin Ende Oktober 2020: Die Befreiung darität“, als am 4. Mai mit großer Fanfare die vom Virus bedarf eines globalen solidarischen Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die Handelns. Europäische Kommission zum gemeinsamen globalen Fundraising für den Kampf gegen das Der Praxistest zeigt: Solche Anrufungen Coronavirus aufriefen. Beeindruckende 15,9 funktionieren nur, solange sie Konzept bleiben; Milliarden Euro sind 2020 eingesammelt wor- gibt es tatsächlich etwas zu verteilen, schlägt den, fast die Hälfte hatte das „Team Europa“ die Stunde des Eigennutzes. Und der strate- beigesteuert – die Europäische Kommission, gischen Bündnisse. die EU-Mitgliedsländer und die Europäische Investitionsbank. Erinnerungswürdig war das Die russische Regierung spielte im August Event auch deshalb, weil Emmanuel Macron 2020 auf volles Risiko. Der erste national zu- und Angela Merkel einen Coronavirus-Impf- gelassene Impfstoff gegen das Coronavirus, stoff als „globales öffentliches Gut“ beschworen, Sputnik V, erntete sofort heftige internationale das allen Menschen zugutekommen sollte. Und Kritik, da keinerlei transparente Daten öffent- EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der lich gemacht wurden und die relevante Phase 3 Leyen betonte, dass „Regierungen und globale der Entwicklung gerade erst angefangen hatte. Gesundheitsorganisationen im Kampf gegen Zugleich standen schon Länder Schlange, die das Coronavirus an einem Strang ziehen“. den Impfstoff testen und einsetzen wollten, der philippinische Präsident Duterte wollte ihn gleich als Erster persönlich ausprobieren. Mary Ilyushina / Frederik Pleitgen: Reality bites for Putin’s much-hyped Co- vid-19 vaccine, as concerns over efficacy and safety linger. In: CNN Health Wenn er bei ihm wirke, dann sei er gut fürs News, 27.10.2020 (online). ganze Land. Auch er setzte auf eine nationale Vijay Shankar Balakrishnan: The arrival of Sputnik V. In: The Lancet, 1.10.2020 (online). https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(21)00191-4/. https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/EN/Frank-Walter- fulltext. Steinmeier/Reden/2020/10/201025-World-Health-Summit.html. Coronavirus Global Response, https://global-response.europa.eu/index_en.
10 Meinung spw 1 | 2021 Internationale Solidarität? schenden Modus der machtvollen Allianzen aus staatlichen und privaten Akteuren in der glo- Es klang, als würde Solidarität großgeschrie- balen Gesundheitspolitik und den Konzepten ben. So hatte auch die WHO wenige Tage zu- einer tatsächlich solidarischen Bewältigung der vor mit ihrem Access to COVID-19 Tools (ACT) Krise aufzeigt. Accelerator eine ambitionierte Struktur mit den wichtigsten globalen öffentlich-privaten Ge- Überschattet wurden diese Debatten aller- sundheitspartnerschaften vorgestellt, in deren dings zusätzlich von den medial enorm auf- Rahmen die Impfstoff-, Medikamenten- und geladenen Aktionen des alten Hegemons der Diagnostikentwicklung ebenso wie ihre Be- Weltpolitik: schaffung und Verteilung beschleunigt und koordiniert werden sollten. Damit sollte auch Nicht nur in seinem weitgehend einsamen verhindert werden, dass sich die Erfahrungen Kampf gegen die „Gefahr aus dem Osten“ China aus dem Jahr 2009 bei der H1N1-Grippe-Pan- schlug der (inzwischen Geschichte gewordene) demie wiederholen: Nicht noch einmal sollte US-Präsident Trump über die Stränge, in sei- es zu einem Wettrennen beim Zugang zu dem nem isolationistischen Kurs im Kampf gegen das Impfstoff kommen, bei dem sich die zahlungs- Virus scherte er auch aus der im Frühjahr noch kräftigen Länder durchsetzen, während die är- scheinbar bestehenden globalen Allianz aus. meren Länder von der WHO mit den „humani- tären Resten“ versorgt werden. Die US-Regierung warf öffentlichkeitswirk- sam ein nationales Impfstoffprogramm für die Und zeitgleich hob die WHO auch auf Ini- einheimischen Pharmaunternehmen an. Die tiative des costa-ricanischen Präsidenten den 10 Milliarden US-Dollar schwere Operation Covid19 Technology Access Pool (CTAP) aus Warp Speed sollte spätestens bis zum Januar der Taufe. Sein Vorbild ist der 2010 für AIDS- 2021 Hunderte Millionen Impfdosen entwi- Medikamente geschaffene Medicines Patent ckeln und produzieren, primär für den eigenen Pool (MPP), der mit den Patenthaltern freie Bedarf, dann gerne auch für den Rest der Welt. Lizenzen für Generika-Produzenten verhan- Neben den USA beschritt auch Russland seinen delt. Mit solchen generischen Alternativen zu Sonderweg, wie schon beschrieben. den teuren Originalpräparaten gelingt – nach großem öffentlichem Druck und intensiven Wer sich selbst am nächsten ist Verhandlungen – die noch vor zehn Jahren kaum vorstellbare Versorgung von heute über Die vollmundig beschworene globale So- 25 Millionen HIV-infizierten oder an AIDS er- lidarität im Frühjahr 2020 währte also nur krankten Menschen in den Ländern des globa- kurz. Und mit jeder weiteren Ankündigung len Südens, dreimal so viele wie 2010. eines erfolgversprechenden Impfstoff-Kandi- daten bröckelte die Fassade weiter. Denn im- Mit diesem CTAP sollen nicht nur Lizenzen, mer klarer wurde, dass auch die globalen Pro- sondern auch das notwendige Wissen für einen duktionskapazitäten begrenzt sind und sich in schnellen Technologietransfer verfügbar sein, einem „jeder kämpft für sich“ Modell nicht so Studienergebnisse, Zulassungsdaten, die not- schnell aufstocken lassen wie bei einem koordi- wendig sind, um der globalen Herausforderung nierteren Vorgehen. So passierte genau das, was einer Pandemie zu begegnen. Beide Initiativen die WHO-Initiativen verhindern wollten. haben allerdings eine sehr unterschiedliche Aufnahme und Unterstützung gefunden, was Nicht nur die US- Regierung, auch zunächst sehr gut den Unterschied zwischen dem herr- die „Inklusive Impfstoff Allianz aus Deutsch- land, Frankreich, Italien und den Niederlanden“, https://medicinespatentpool.org ; Ellen ‘t Hoen: The Medicines Patent Pool, dann die EU für ihre Mitgliedsländer schlossen https://haiweb.org, 2020. ihre eigenen Deals mit Pharmaunternehmen Global Aids Update 2019: Communities at the Centre. Defending Rights, Breaking Barriers, Reaching People with HIV Services, www.unaidsorg, um Abnahmegarantien und Liefermengen bei 2019. erfolgreichen Impfstoffkandidaten ab. Ebenso
spw 1 | 2021 Meinung 11 machten und machen Großbritannien, Japan, edness Innovations (CEPI) organisiert wird, nur Australien und Kanada, aber auch Länder mitt- langsam voran. Der globalen „Einkaufs- und leren Einkommens aus Asien, Lateinamerika Verteilungsgemeinschaft“ für COVID-19-Impf- oder Afrika eigene nationale Vereinbarungen stoffe sind zwar die meisten Länder beigetreten, mit den Herstellern und verlassen sich nicht auf und auch die USA wollen unter dem neuen die ACT-A COVAX Initiative zur Impfstoffbe- Präsidenten Biden ihre Abwesenheit beenden, schaffung. Denn wenn es darum geht, möglichst aber die reichen Länder sehen es eher als einen rasch aus der sozialen und wirtschaftlichen Kri- humanitären Ablasshandel, in dem sie Mittel se herauszukommen, stehen den Regierungen zur Beschaffung von Impfstoffen für die armen die eigenen Bürger*innen – und Wähler*innen Länder bereitstellen, während sie selbst ihre – dann doch etwas näher als die Weltgemein- eigene Versorgung bilateral gesichert haben. schaft. Drastisch deutlich wurde das beim er- Weiterhin sind auch Anfang Februar 2021 noch folgversprechenden „deutschen“ Impfstoff von keine Impfdosen über die Covax Facilität ausge- Biontech, dessen Produktionsanlagen in Mainz liefert, und vom selbst gesetzten Ziel, bis Ende stehen. Der Kampf um die Aufteilung von Mil- 2021 zwei Milliarden Impfdosen für die ärms- lionen Impfdosen zwischen den USA, Großb- ten 92 Länder verfügbar zu machen, fehlt wei- ritannien und der EU ist noch längst nicht terhin Finanzierungssicherheit, auch wenn die entschieden, wie die aktuelle Eskalation um Ex- EU Länder sich ihre Globale „Solidarität“ 800 portgenehmigungen zeigt, aber vom Rest der Millionen Euro kosten lassen, was beeindru- Welt ist schon gar keine Rede mehr. ckend klingt, aber angesichts einer kalkulierten Finanzierungslücke für 6 Milliarden Dollar sich Währenddessen kam die COVAX Facility, immer noch bescheiden ausnimmt. Echte Zu- der Impfstoffbereich innerhalb des ACT-Accel- sagen von den potenziellen Herstellern waren erators, der von der WHO zusammen mit der Global Alliance for Vaccines and Immunisation https://www.reuters.com/article/us-health-coronavirus-who-covax-idUSK- (GAVI) und der Coalition for Epidemic Prepar- BN29R1Q3. VERLAG WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT Neuerscheinung VON KARL MARX Thomas Sablowski / Judith Dellheim / Thomas Sablowski Judith Dellheim Alex Demirović / Katharina Pühl / Alex Demirović Ingar Solty (Hrsg.) Katharina Pühl AUF Ingar Solty (Hrsg.) Auf den Schultern von Karl Marx 2021 – 552 Seiten – 40,00 € – ISBN 978-3-89691-259-6 DEN SCHULTERN VON KARL MARX Der Band will die fruchtbaren Impulse der Marx’schen Theorie im Lichte späterer gesell- WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT schaftlicher Entwicklungen diskutieren. Mit Beiträgen von Michel Brie, Helmut Dahmer, Alex Demirović, Susanne Heeg, Nicole Mayer-Ahuja, Stefan Schmalz, Frieder Otto Wolf u.v.a. WWW . DAMPFBOOT - VERLAG . DE
12 Meinung spw 1 | 2021 auch im November 2020 noch rar, und die Ver- Große Kritik gab und gibt es daran, dass im handlungen laufen wenig transparent ab. Vom Vorstand der Impfallianz auch die Hersteller mit erklärten Ziel, durch COVAX bis Ende 2021 Sitz und Stimme vertreten sind. Erfahrungen tatsächlich 2 Milliarden Impfstoffdosen verfüg- aus den Preis- und Lieferverhandlungen zu den bar zu machen, ist man noch weit entfernt. Die Pneumokokken-Impfstoffen – dem Flaggschiff- am 22. Januar 2021 mit großem Medienecho Projekt von GAVI – wecken Zweifel: Auch nach vorgestellte Vereinbarung von Pfizer/Biontech Jahren hat sich keine echte Preiskonkurrenz mit COVAX über den Kauf von 40 Millionen zwischen den wenigen Herstellern eingestellt, Impfdosen sichert dieser globalen Initiative die Profite sind enorm. gerade einmal 2 Prozent der angekündigten Jahresproduktion von 2 Milliarden Impfdosen Die erste erfolgreiche Vereinbarung von CO- – 98 Prozent sind also weiterhin für Bilaterale VAX mit AstraZeneca wurde entsprechend im Abkommen verplant. Juni 2020 medial gefeiert. Immerhin 500 Milli- onen Dosen ihres potenziellen Impfstoffes für Vorrangige Belieferung einen „Discount-Preis“ von 3 US-Dollar pro Dosis will die Firma der Initiative zur Verfü- Dabei wären auch in der COVAX Facility gung stellen; wie der Preis zustande kommt, nicht alle Länder gleich. Zwar sieht der von der bleibt ein Geschäftsgeheimnis, es ist aber genau WHO entwickelte Plan zur globalen Vertei- derjenige, den auch die EU in ihrer Vorkaufs- lung dieser Impfstoffe in einem ersten Schritt vereinbarung mit der Firma zugesagt hat, für eine zeitgleiche Versorgung von drei Prozent 300 Millionen Dosen. der Bevölkerungen vor, die vor allem „unent- behrliche Schlüsselpersonen“ umfassen soll, Wie genau der Zeitplan solcher Vereinba- also Gesundheits-, Pflege- und andere Fach- rungen ist, wann welche Mengen an wen gelie- kräfte. Anschließend sollen in weiteren Tran- fert werden können, bleibt genauso intranspa- chen 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerungen, rent wie die Kalkulationen für die Kosten der hier vor allem Risikogruppen wie ältere und Produktion. chronisch Kranke, versorgt werden. „Selbst- zahlenden Ländern“ wird allerdings bereits Im Grunde handelt es sich bei COVAX um eine vorrangige Belieferung zugebilligt, wäh- eine der vielen faktischen Wohltätigkeitsin- rend die auf Hilfsgelder angewiesenen 92 Län- itiativen, zu denen sich die globale Gesund- der warten müssen, bis entsprechende Mengen heitspolitik vor allem in den letzten 20 Jahren produziert und bezahlt werden können. So entwickelt hat. Globale Gesundheitsinitiativen taucht im ersten Verteilungsplan der COVAX wie GAVI und auch CEPI mit ihrem Public- initiative auch Kanada als (selbstzahlender) Private-Partnerschaftsmodell sind letztlich Fi- Empfänger auf, obwohl sich dieses Land genug nanzierungsmodelle für private Unternehmen Impfdosen in bilateralen Verträgen gesichert durch öffentliche Mittel, die das „Marktversa- hat, um jede*n Bewohner*in fünf Mal impfen gen“ eines vorrangig profit- und produktorien- zu können.10 Auf dem Weg zu einer globalen tierten „Gesundheitsmarktes“ notdürftig – und Versorgung mit Impfstoffen vergrößern sich im aktuellen Fall ad hoc – korrigieren wollen, die Unterschiede in den Verfügbarkeiten so ohne an den Grundstrukturen der Misere zu immer weiter. rühren. Unklar ist auch, ob GAVI tatsächlich die Das Schattendasein des CTAP Kompetenzen hat, erfolgreich und unabhängig mit den Pharmaunternehmen zu verhandeln. Dies zeigt sich an dem Schattendasein, den der perspektivisch deutlich über die COVID- 19-Pandemie hinausreichende Vorschlag des https://www.who.int/news/item/22-01-2021-covax-announces-new-agree- CTAP führt. Auch die WHO scheint ihm kaum ment-plans-for-first-deliveries. 10 https://www.who.int/docs/default-source/coronaviruse/act-accelerator/co- die Aufmerksamkeit zu geben, die er nötig hät- vax/covax-interim-distribution-forecast.pdf?sfvrsn=7889475d_5. te, der Generaldirektor Tedros erwähnte ihn bei
spw 1 | 2021 Meinung 13 seiner Eröffnungsrede zum World Health Sum- die geistigen Eigentumsrechte in der zuneh- mit im Oktober 2020 beispielsweise gar nicht mend globalen Güterproduktion harmonisie- und fokussierte allein auf die COVAX-Initiati- ren soll12. Die großen Tech-Konzerne und auch ve. Auch bei der Exekutivratssitzung der WHO Pharmaunternehmen hatten ein solches Ab- im Januar 2021 kritisierte Tedros den Impfstoff- kommen in den Freihandelsvereinbarungen Nationalismus der reichen Länder zwar heftig, zur Gründung der WTO 1994/95 massiv ein- nannte aber den CTAP wieder nicht, der sich gefordert. Die Barrieren, die dadurch bei der somit zu einem „elephant in the room“ entwi- Produktion und beim Zugang zu den AIDS- ckelt, wie die Mitgründerin des Medicines Pa- Medikamenten Anfang der 2000er Jahre ge- tent Pool, Ellen `t Hoen anmerkte.11 schaffen wurden, waren die Grundlage für den langjährigen und teils erfolgreichen Kampf um Nur 40 Länder, fast ausnahmslos aus dem die praktische Anwendung der Ausnahmere- globalen Süden (dazu wenige kleinere europä- gelungen, die dieses Abkommen vorsieht. ische Länder), unterstützen die CTAP-Initiati- ve. Die Länder indessen, in denen die wichtigen In der aktuellen Lage argumentieren In- Pharmaunternehmen ansässig sind, sind alle- dien und Südafrika, unterstützt von einer samt nicht dabei, auch nicht Indien, Russland Reihe weiterer Länder, dass die existierenden oder China. Und auch die Reaktion der Phar- Ausnahmeregelungen unzureichend sind maindustrie ließ nicht lange auf sich warten: und ein zeitweises komplettes Aussetzen der Das Unternehmen Pfizer hält den Vorschlag Schutzrechte für die notwendigen Produkte für „gefährlich“, ja für „Unsinn“, AstraZeneca notwendig sei, um die rasche Produktion von empfiehlt, die Pharmaindustrie sollte auf „frei- wirksamen Instrumenten in der Pandemie williger Basis einige ihrer Produkte ohne Pro- (nicht nur Impfstoffe, sondern auch Medika- fitinteresse abgeben“. Faktisch alle Industriena- mente, Beatmungsgeräte, Schutzmasken) zu tionen und, nicht überraschend, auch Brasilien dezentralisieren und allen Ländern verfügbar unter Bolsonaro haben sich dieser Haltung der zu machen.13 Pharmaindustrie angeschlossen. Die folgenden Debatten brachten, wie zu Mit dem CTAP könnte perspektivisch ge- erwarten war, keine Einigung; die Rückzugsli- nau die strukturelle Ungleichheit verringert nie der globalen Powerhäuser: In der aktuellen werden, die in Krisen immer wieder zu diesem Situation spielten die Patente gar keine Rolle, klassischen Mechanismus der wohltätigen Hil- es gebe ja COVAX, und Technologietransfer fe führt, die statt echter Gesundheitsrechte nur sei nur freiwillig zu bekommen, zudem ein wieder zupackende Geschäftigkeit der Helfer jahrelanger Prozess und in der aktuellen Phase und Dankbarkeit der Empfänger produziert. irrelevant.14 Schon Pestalozzi nannte diese Art von Wohl- tätigkeit das „Mistloch der Gnade, in der das Tatsächlich verweist aber gerade die aktu- Recht ersäuft wird“. Denn das Wissen und die elle Situation auf die Fehler der Konstruktion Technologien seiner Anwendung sind die neu- eines vermeintlich auf Patenten basierenden en Ressourcen einer Welt, um deren Verbleib Forschungs- und Entwicklungsmodells: Die und Verteilung heftig gerungen wird. wesentlichen finanziellen Impulse für die Impfstoffentwicklung sind öffentlich generiert, Der TRIPS-Aussetzungsantrag-Antrag von und deshalb gehören auch die Ergebnisse die- Indien und Südafrika ser Forschung nicht den Firmen allein, die die Produkte herstellen. Die Notwendigkeit alter- Dieser Konflikt wird seit Oktober 2020 auch nativer Modelle zur Förderung von Forschung vor dem TRIPS Council der Welthandelsorga- und Entwicklung von essentiellem Gesund- nisation ausgetragen, also dem Gremium, das 12 https://www.twn.my/title2/health.info/2020/hi201011.htm. 11 https://medicineslawandpolicy.org/2021/01/the-elephant-in-the-room-at- 13 https://phmovement.org/the-india-south-africa-waiver-proposal/. the-who-executive-board/. 14 https://www.keionline.org/34235.
14 Meinung spw 1 | 2021 heitswissen jenseits des herrschenden Patent len Menschen zu hundert Prozent wirksam ist. Paradigmas sind seit vielen Jahren anerkannt Auch deshalb läge es im „aufgeklärten Selbstin- und solche Konzepte sind jahrelang in WHO- teresse“ aller Akteure, konsequent auf Koope- Kommissionen verhandelt worden, allerdings ration zu setzen. Dies erweist sich nun Anfang mit geringem Erfolg.15 2021angesichts der mutierenden Viren als allzu wahre Prophezeiung. Mit der COVID-19-Pandemie entsteht nun aber ein neues Momentum, dies wieder ein- Dass die Bundesregierung sowohl beim Co- zufordern. Hier könnte der CTAP eine Brü- vid19 Technology Access Pool zum globalen Nut- ckenfunktion einnehmen, die zwar nicht das zen des Gesundheitswissens als auch bei dem Patentsystem komplett aus den Angeln hebt, temporären Aussetzen der WTO TRIPS regeln aber doch wie beim Medicines Patent Pool den weiterhin als Blockiererin auftritt, zeigt, wie Nachweis erbringt, dass geteiltes Wissen und fragwürdig die Rolle als selbsternannter Global solidarische Lösungen tatsächlich funktionie- Health Champion ist. ren können. Dagegen gilt es weiterhin zu mobilisieren. Die Stimmen werden lauter, dass nach der Zum Beispiel mit der „Patente Töten“ Kam- Krise nicht vor der Krise sein darf. Und CTAP pagne, die von Medico International und der könnte dabei eine wichtige Rolle spielen.16 Buko Pharmakampagne mit internationalen Partnern im letzten Sommer lanciert wurde: Der Egoismus schadet auch den https://www.patents-kill.org/deutsch/. ó reichen Ländern Aber die Hoffnungen, auf die „Deutschland first“- oder „America First“-Agenden setzen, könnten sich auch grundsätzlicher als falsch herausstellen. Denn es ist damit zu rechnen, dass das egoistische Vorgehen im Kampf ge- gen die Pandemie längerfristige Lösungen auch für die technologisch fortgeschrittenen Staaten behindert. Die Produktions- und Lieferketten sind auch in der Impfstoffherstellung längst globalisiert – auch Staaten wie die USA sind auf sichere Handels- und Lieferverträge ange- wiesen. Und selbst wenn ein Land sich selbst schützen könnte, bleibt es doch auf die Welt mit ihren Absatzmärkten und Lieferanten angewie- sen. Gäbe es eine „Insel der Seligen“ – unter der langdauernden globalen Rezession einer fortge- setzten Pandemie würde auch sie leiden. Schon Anfang August 2020 hatte WHO-Ge- neraldirektor Dr. Tedros betont, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach keine „silver bullet“ geben wird17, also einen Impfstoff, der bei al- 15 Consultative Expert Working Group on Research and Development: Financing and Coordination (CEWG), www.who.int/phi/implementation/research/cewg- consultation/en/. 16 Kaitlin Mara: Human Rights Watch: All governments should endorse the WHO C-TAP Solidarity Call to Action. Medicines Law & Policy, 30.10.2020 (online). 17 https://www.who.int/director-general/speeches/detail/who-director-general-s- opening-remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---3-august-2020.
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