Inklusion in Archiven - Möglichkeiten und Grenzen in der Archivbenutzung

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Inklusion in Archiven - Möglichkeiten und Grenzen in der Archivbenutzung
Inklusion in Archiven – Möglichkeiten und
      Grenzen in der Archivbenutzung

              Bachelorarbeit am Fachbereich
     Informationswissenschaft im Studiengang Archiv

         Zur Erlangung des akademischen Grades eines
                        Bachelor of Arts

Name: Lukas Heck
Matrikelnummer: 15358

Studiengang: Archiv
Erstgutachter: Prof. Dr. Michael Scholz
Zweitgutachterin: Sabine Stropp M.A.
Eingereicht am 07.02.2020
Inklusion in Archiven - Möglichkeiten und Grenzen in der Archivbenutzung
Inhaltsverzeichnis
1.     Einleitung ............................................................................................................. 3
2.     Begrifflichkeiten ................................................................................................... 4
     2.1     Inklusion ........................................................................................................ 4
     2.2     Barrierefreiheit ............................................................................................... 6
     2.3     Behinderung .................................................................................................. 7
3.     Rechtliche Grundlage der Menschen mit Behinderung ...................................... 10
     3.1     UN-Behindertenrechtskonvention ................................................................ 10
     3.2     Gesetzliche Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland ................. 12
     3.3     Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung ............................................. 14
     3.4     Archivspezifische Gesetze und Richtlinien .................................................. 15
4.     Anforderungen an Archive ................................................................................. 16
     4.1     Praktische Anforderungen aus Nutzersicht .................................................. 16
5.     Grundlagen der Behinderten- und Sonderpädagogik mit dem Blick auf die
       Vermittlung von Geschichte ............................................................................... 22
     5.1     Bildung für Menschen mit geistigen Behinderungen .................................... 22
6.     Leichte & Einfache Sprache ............................................................................... 25
     6.1     Leichte Sprache .......................................................................................... 25
     6.2     Einfache Sprache ........................................................................................ 28
     6.3     Anwendung von Leichter und Einfacher Sprache in Archiven ...................... 30
7.     Angebote von Kulturinstitutionen ....................................................................... 32
     7.1     Kulturelle Angebote und Projekte von Archiven ........................................... 32
     7.2     Kulturelle Angebote und Projekte von Museen, Bibliotheken und
             Gedenkstätten ............................................................................................. 36
8.     Konzeptideen und Projekte für Menschen mit Behinderungen ........................... 39
     8.1     Persönliche Projekte ................................................................................... 40
     8.2     Gruppenprojekte ......................................................................................... 42
     8.3     Zeitzeugen .................................................................................................. 44
     8.4     Tag der offenen Tür..................................................................................... 46
9.     Fazit ................................................................................................................... 48
Anhang..................................................................................................................... 50
Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................. 52
Eidesstattliche Erklärung .......................................................................................... 55

                                                                                                                                 2
Inklusion in Archiven - Möglichkeiten und Grenzen in der Archivbenutzung
1. Einleitung
Inklusion – einer der meist diskutierten Begriffe der letzten Jahre. Obwohl sich das
Schlagwort     Inklusion    an   zentralen    Stellen    in   öffentlichen,   politischen    und
fachwissenschaftlichen Debatten findet, stellt sich auch zehn Jahre nach der
Veröffentlichung der UN-Behindertenrechtskonvention noch immer die Frage nach
ihrer Umsetzung. Menschen mit Behinderungen zählen auch heute noch zu
Randgruppen der Gesellschaft. Vorurteile gegenüber behinderten Menschen
abbauen, die Ziele der Inklusion in den Vordergrund stellen und die Möglichkeiten und
Grenzen der Inklusion in Archiven zu konkretisieren ist im Archivkosmos
unterrepräsentiert.

Menschen mit Behinderung sind als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft
wahrzunehmen und somit auch als potenzielle Archivbenutzer! Ihnen muss ohne
Einschränkungen, wie jeder anderen Nutzergruppe, ein Zugang zum Archiv
gewährleistet werden.
Archive müssen sich mit der Anforderung auseinandersetzen, dass Menschen mit
einer geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderung eine weitere Klientel sind.
Die Gleichheit aller Menschen und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit
sind elementare Grundpfeiler unserer Gesellschaft und im Grundgesetz verankert.
In Deutschland leben 83 Millionen Menschen, davon haben ca. 7,8 Millionen eine
Behinderung. 1 Sollen diese 7,8 Millionen Bevölkerungsmitglieder als potenzielle
Nutzer von der archivischen Forschung ausgeschlossen werden? Das Grundgesetz
sagt dazu: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und niemand darf wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden“.2
Archive haben sich mit dem Thema der Inklusion bisher wenig beschäftigt, denn
Menschen mit Behinderung sind nur einen Bruchteil der Nutzer. Andere
Kultureinrichtungen wie Museen, Gedenkstätten oder Bibliotheken sind Archiven in
dieser Beziehung deutlich voraus. Barrierefreiheit und Inklusion ist dort ein seit vielen
Jahren zentraler und häufig schon umgesetzter Themenkomplex. Archive müssen sich

1
  Statistisches Bundesamt: „Pressemitteilung Nr. 228 Anzahl der Menschen mit Behinderungen in
Deutschland 2018“ verfügbar unter:
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2018/06/PD18_228_227.html [Letzter Zugriff
am 06.02.2020]
2
  Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG
                                                                                                  3
Inklusion in Archiven - Möglichkeiten und Grenzen in der Archivbenutzung
ebenso die Frage stellen lassen: Welche Möglichkeiten haben ihre Institutionen und
wo liegen die Grenzen in der Umsetzung von Inklusion?

Eines steht außer Frage: Archive müssen die Bereitschaft haben, sich mit der
Umsetzung von Inklusion auseinanderzusetzen. Denn auch wenn es nur wenige
Menschen mit Behinderungen sind, die Archive in Anspruch nehmen wollen, ist es
Pflicht der Archive, diesen Menschen den Zugang zu ermöglichen. Archive sollen
bürgernah sein und haben eine einzigartige Aufgabe des Wissenstransfers in unserer
heutigen Gesellschaft und Demokratie. Der Beauftragte der Bundesregierung für die
Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, fordert dazu: „Demokratie
braucht Inklusion.“3 Konkret heißt das für ihn, dass es in einer offenen und liberalen
Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr zeitgemäß ist, Menschen mit
Behinderung die Teilhabe an Bildungsmöglichkeiten, zu denen die Archive gehören,
zu verschließen. Archive müssen sich dem dynamischen Wandel stellen und neue
Wege gehen.

Dennoch muss in der Gesellschaft ein Konsens darüber herrschen, dass es keine
„allgemeine Welt, an der alle mit Ausnahme der Menschen mit geistigen, körperlichen
oder seelischen Behinderungen teilhaben“4 gibt. Die Realität zeigt - ein Mensch, ob
behindert oder nicht behindert, kann nicht an allem teilhaben.
Ferner besteht darüber hinaus Einigkeit, dass es „private Bereiche, exklusive Bereiche
(wie z.B. Vereine oder die Kantine des Bundestags), Subkulturen, die sich voreinander
abschotten“   5   gibt. Freilich gibt es Zugangsbeschränkungen auf verschiedenen
Ebenen, welche aber im Einklang mit Grundgesetz und Menschenrechten stehen und
von der Gesellschaft akzeptiert sind.

2. Begrifflichkeiten
2.1 Inklusion
Inklusion, eine Ableitung des Verbes „includere“, zu Deutsch „einschließen“ oder
„einbeziehen“, ist nicht nur eine gutgemeinte Idee, sondern ein Menschenrecht. Es
bedeutet, dass kein Mensch aus der Gesellschaft ausgegrenzt oder an dessen Rand

3
  Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderung: „Pressemitteilung
Behindertenbeauftragter 100 Tage im Amt“, verfügbar unter:
https://www.behindertenbeauftragter.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2018/PM9_100_Tage_im
_Amt.html [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
4
  Erhardt/Grüber (2011): S. 36
5
  Erhardt/Grüber (2011): Ebda.
                                                                                            4
gedrängt werden darf. Als Menschenrecht ist Inklusion unmittelbar mit dem Anrecht
auf Freiheit, Gleichheit, Selbstbestimmung und Solidarität verbunden. Inklusion
versteht sich als eigenständiges Recht, welches aber ohne die Anwendung dessen ein
fehlender Teil in den Menschenrechten bleibt.
Die Begrifflichkeit „Inklusion“ stellt einen Paradigmenwechsel im Umgang mit
Menschen mit Behinderung dar. Die Betitelung der Inklusion soll vom Denken der
Zwei-Klassen-Gesellschaft abwenden, in der eine Gruppe in eine andere integriert
                  6
werden muss.          Inklusion hat demnach die Bedeutung, dass alle Menschen
gleichberechtigt am Leben teilnehmen können. Um es eindeutig zu definieren:
Inklusion ist nicht allein ein Thema für Menschen mit Behinderungen. Für alle
Menschen in der Gesellschaft, die aufgrund von Alter, Behinderung, ihrer sexuellen
Orientierung, Hautfarbe, Herkunft oder der Geschlechtsidentität nicht gänzlich und
gleichberechtigt an der Gesellschaft partizipieren, ist Inklusion ein Menschenrecht 7
und dieses muss sich im gesamtgesellschaftlichen Kontext verstehen.
In diversen Veröffentlichungen wird die Begrifflichkeit Inklusion durch folgende
Abbildung veranschaulicht:

Abb. 1 Aktion Mensch e. V., Was ist Inklusion?8

Die Abbildung zeigt drei unterschiedliche Bereiche – Exklusion, Integration und
Inklusion. Exklusion (Kreis 1) umfasst die Ausgrenzung einzelner Personen oder von
Gruppen aus der Gesamtgesellschaft. Ein Beispiel dafür sind Heime am Stadtrand, in
denen Menschen mit Behinderungen lebten und somit nicht am gesellschaftlichen

6
  Antor/Bleidick (2001): S. 76-79
7
  Deutsches Institut für Menschenrechte: Online-Handbuch „Inklusion als Menschenrecht“ verfügbar
unter: https://www.inklusion-als-menschenrecht.de/#c395 [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
8
  Grafik: Aktion Mensch e. V., Was ist Inklusion? verfügbar unter: https://www.aktion-
mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion.html [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
                                                                                                   5
Leben teilnehmen konnten.9
Integration (Kreis 2) wird häufig mit Inklusion gleichgesetzt. Doch dabei wird nur die
Eingliederung von Personen oder Gruppen in die Gesamtheit vollzogen, ohne dass
sich grundlegende Rahmenbedingungen ändern. Die farbigen Punkte im Kreis der
Integration zeigen, dass diese Personen als separate Gruppe im Kreis der Gesamtheit
verbleiben.
Meistens bezieht sich Integration auf Schüler mit Förderbedarf. Im Falle der Inklusion
(Kreis 3) werden alle farbigen Punkte miteinander und nebeneinander vereint, sodass
die dargestellten Punkte (=Personen) auf einer gleichberechtigten Stufe stehen. Durch
diese symbolische Darstellung wird eine selbstbestimmte und gleichberechtigte
Teilhabe geschaffen und die Aufhebung der Segregation in die Wege geleitet.
Legitimiert wird Inklusion durch diverse rechtliche Grundlagen. Die zentralste
Grundlage der Inklusion ist die verbindliche UN-Behindertenrechtskonvention 10 , in
welcher erstmals formuliert wird, dass Inklusion ein Menschenrecht ist.

Verena Bentele, ehemalige Behindertenbeauftragte der Bundesregierung (2014-
2018), führte im Vorwort der UN-Behindertenrechtskonvention aus, dass das Leitbild
dieser Konvention „Inklusion“ sei. Weiterhin schreibt sie: „Es geht also nicht darum,
dass sich der oder die Einzelne anpassen muss, um teilhaben und selbst gestalten zu
können. Es geht darum, dass sich unsere Gesellschaft öffnet, dass Vielfalt unser
selbstverständliches Leitbild wird. Es geht um eine tolerante Gesellschaft, in der alle
mit ihren jeweiligen Fähigkeiten und Voraussetzungen wertvoll sind.“11

2.2 Barrierefreiheit
Der Begriff der Barrierefreiheit wird oft im Kontext der Inklusion verwendet. Die
Verbindung beider Aspekte ist wichtig, aber ohne bestehende Barrieren für Menschen
mit Behinderungen zu überwinden, ist dieser Gedanke wertlos.
Wo in der Gesellschaft Hürden bestehen, ist eine gleichberechtigte Teilhabe aller
Menschen an kulturellen, bildungs- oder politischen Prozessen nicht gegeben. Damit
dies in der Gesellschaft nicht passieren kann, ist Barrierefreiheit wie folgt nach §4 im

9
  Stadt Leipzig: „Exklusion erklärt“, unter: https://www.leipzig.de/jugend-familie-und-
soziales/menschen-mit-behinderungen/teilhabeplan-stadt-leipzig/inklusion-integration-exklusion/
[Letzter Zugriff am 06.02.2020]
10
   Vgl. Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Behinderten Menschen [Hrsg.]: UN-
Behindertenrechtskonvention, Stand 2017, verfügbar unter:
https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konvention_deutsch.pdf?__bl
ob=publicationFile&v=2 [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
11
   UN-BRK: S. 2
                                                                                                  6
Gesetz        zur    Gleichstellung       von      Menschen        mit      Behinderungen
(Behindertengleichstellungsgesetz [BGG]) definiert:

„Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische
Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und
visuelle Informationsquellen und         Kommunikationseinrichtungen sowie             andere
gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der
allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne
fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung
behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig“.12

Dieser Paragraf zeigt auf, dass Barrierefreiheit weiter zu verstehen ist, als nur in Bezug
auf den Neu- und Umbau öffentlicher Bauten. Dennoch sind die Baumaßnahmen ein
wichtiger Teil des Paragrafen. Mit Hilfe der DIN 18040-1 „Barrierefreies Bauen -
Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich zugängliche Gebäude 13 “ werden diese zu
einem standardisierten Planungselement bei einem Bau oder Umbau eines
öffentlichen Gebäudes wie z. B. Archive oder Bibliotheken. Neben dieser allgemeinen
Richtlinie wurde 2017 die DIN-Norm 67700:2017-05 „Bau von Bibliotheken und
Archiven - Anforderungen und Empfehlungen für die Planung“ in Umlauf gebracht. Mit
dieser Norm wird Barrierefreiheit vorangebracht, da spezielle Anforderungen in der
Richtlinie aufgeführt werden die als Fortsetzung des BGG und der DIN 18040-1 zu
sehen sind.

2.3 Behinderung
Der Begriff der Behinderung ist komplex und in der Gesamtheit schwierig zu
bestimmen. In unserer sich stetig wandelnden und vielfältigen Gesellschaft unterliegt
dieser Begriff immer wieder Veränderungen. Oftmals wird dieser Begriff als
Vereinfachung zur Bezeichnung einer Zielgruppe genutzt. Die gesetzliche Definition
dazu selbst ist im Sozialgesetzbuch 9. Buch §2 (SGB IX) geregelt und sagt: „Menschen
gelten   als    behindert,    wenn      sie   „körperliche,   seelische,    geistige     oder
Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und
umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit
hoher Wahrscheinlichkeit       länger    als sechs     Monate hindern können.            Eine

12
  §4 BGG
13
  Vgl. DIN 18040-1:2010-4, verfügbar unter: https://www.ift-
rosenheim.de/documents/10180/114265/DIN_18040-1_Entwurf_2010-04-23.pdf [Letzter Zugriff am
06.02.2020]
                                                                                             7
Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von
dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von
Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist“.14
Die im SGB IX aufgeführte geminderte Teilhabe bzw. die gesellschaftliche
Beeinträchtigung von Menschen mit Behinderung muss nicht immer offensichtlich sein.
Eine Schädigung der geistigen oder seelischen Funktionen ist schwer nachzuweisen
oder kann gar nicht nachgewiesen werden, trotzdem kann eine Beeinträchtigung
vorliegen (z. B. Lernbehinderte).15

Die Ursachen, wie es zu einer Behinderung kam, sind in angeborene und erworbene
Behinderungen zu unterscheiden. Zu angeborenen Behinderungen kommt es vor
allem durch Vererbung (z. B. Down-Syndrom) oder pränatale Schädigungen16 (vor der
Geburt entstandene bedingte Schäden). Erworbene Behinderungen können durch
Schädigung während der Geburt entstehen, weiterhin durch Krankheiten, körperliche
Schädigungen wie z. B. Unfall oder verschiedenste Gewalteinwirkung und durch den
natürlichen Alterungsprozess einschließlich allgemeiner Krankheiten.17
Im deutschsprachigen Raum werden die Arten der Behinderung in Kategorien
aufgeteilt. Dazu zählen18:

     •   Körperbehinderung
     •   Geistige Behinderung
     •   Sinnesbehinderungen
            o Hörschädigung (Gehörlosigkeit & Schwerhörigkeit)
            o Sehschädigung (Blindheit & Sehbehinderung)
            o Taubblindheit
     •   Sprachbehinderung
     •   Lernbehinderung
     •   Verhaltensstörung

14
   §2 Abs. 1 SGB IX
15
   Bleidick (1977): S.9
16
   Pränatal: Bedeutung „vor der Geburt“
17
   Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, verfügbar unter: http://www.gbe-
bund.de/gbe10/abrechnung.prc_abr_test_logon?p_uid=gast&p_aid=0&p_knoten=FID&p_sprache=D&
p_suchstring=25426#m8* s. auch: DESTATIS Statistik der Schwerbehinderten Menschen (2017),
verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Behinderte-
Menschen/Publikationen/Downloads-Behinderte-Menschen/sozial-schwerbehinderte-kb-
5227101179004.pdf?__blob=publicationFile [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
18
   Aufteilung in Gruppen, verfügbar unter: https://behinderung.org/gesetze/definition-behinderung.htm
[Letzter Zugriff am 06.02.2020]]
                                                                                                      8
•   Mehrfachbehinderung

Das dabei die Behinderung des betroffenen Menschen subjektiv anders aufgefasst
werden kann, ist ein gesellschaftlicher Kontext. Damit bleibt festzuhalten, dass die
Einordnung in die verschiedenen Untergruppen nicht vollkommen sein kann.
Um zum Beispiel die Gruppe der Menschen mit einer geistigen Behinderung oder
reinen Intelligenzminderung medizinisch richtig einzuordnen, muss differenziert
werden. Die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter
Gesundheitsprobleme“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verwendet in dieser
rein den Intelligenzquotienten der Betroffenen. Diese Klassifikation gliedert
Intelligenzminderung in mehrere Stufen:19

     •   Leichte Intelligenzminderung:
         Die Betroffenen haben einen durchschnittlichen IQ von 50-69, was einem
         Intelligenzalter von 9 bis 12 Jahren entspricht. Diese Personen haben
         überwiegend Lernschwierigkeiten in der Schule. Im Erwachsenendasein
         können sie arbeiten, gute soziale Beziehungen unterhalten und somit einen
         Beitrag zur Gesellschaft leisten.
     •   Mittelgradige Intelligenzminderung:
         Eine mittelgradige Intelligenzminderung mit einem durchschnittlichen IQ von 35-
         49 drückt sich durch deutliche Entwicklungsverzögerungen in der Kindheit aus,
         was einem Intelligenzalter von 6 bis 9 Jahren entspricht. Betroffene haben die
         Möglichkeit,      eine      gewisse        Unabhängigkeit         und       ausreichende
         Kommunikationsfähigkeit zu erlangen. Im Alltag und bei der Arbeit benötigen
         sie in unterschiedlicher Ausprägung Unterstützung.
     •   Schwere Intelligenzminderung:
         Die Betroffenen brauchen dauerhafte Unterstützung. Der durchschnittliche IQ
         ist zwischen 20 bis 34. Dies entspricht bei Erwachsenen einem Intelligenzalter
         von drei bis sechs Jahren.
     •   Andere Intelligenzminderung:
         Die Kategorie der anderen Intelligenzminderung wird nur dann verwendet, wenn
         die Beurteilung der Intelligenzminderung nicht möglich ist. Dies ist besonders

19
   Klassifikation ICD-10-WHO: Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und
verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, Version 2019, verfügbar unter:
https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-who/kode-suche/htmlamtl2019/block-f70-
f79.htm [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
                                                                                                    9
bei Blinden, Taubstummen, schwer Verhaltensgestörten oder körperlich
       behinderten Menschen der Fall.

Die Auslegung des Begriffes erfolgte in Übereinstimmung mit Art. 1 Satz 2 der UN-
Behindertenrechtskonvention und schafft durch das SGB IX die gesetzliche
Grundlage.

3. Rechtliche Grundlage der Menschen mit Behinderung
3.1 UN-Behindertenrechtskonvention
Ein grundlegender Meilenstein in der Förderung von Menschen mit Behinderung ist
die von den Vereinten Nationen am 13. Dezember 2006 beschlossene „Convention on
the Rights of Persons with Disabilities“, zu Deutsch „Übereinkommen über die Rechte
von Menschen mit Behinderungen“ oder kurz UN-Behindertenrechtskonvention (UN-
BRK).20 Diese durch 163 Staaten unterzeichnete Konvention ist im März 2009 durch
die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert worden.
Das Übereinkommen hat den Zweck, Inklusion in der Gesellschaft zu verankern. Dabei
dient es „den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und
Grundfreiheiten durch alle Menschen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten“.21
Dieses Übereinkommen definiert in einem ausführlichen Kontext die Rechte und
Pflichten von Menschen mit Behinderung. Dabei stechen vor allem Selbstbestimmung
und Teilhabe in allen Lebensbereichen der Gemeinschaft hervor.22
Die Konvention macht deutlich, dass die Einforderung von Teilhabe von Menschen mit
Behinderung an der Gesellschaft der erste Schritt ist, die Segregation zu beenden.
Menschen mit Behinderung sollen dort sein, wo auch gesunde Menschen sind und
nicht mehr in gesonderten Einrichtungen.23 Ebenso fügt die Konvention hinzu, dass
jeder Mensch die gleichen Rechte und die gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere
Menschen in der Gemeinschaft haben soll. Zielsetzung ist, Menschen mit
Behinderungen das Recht und ihre volle Einbeziehung in die Gemeinschaft und
Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern.24

20
   Bundesbeauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen: UN-
Behindertenrechtskonvention, verfügbar unter:
https://www.behindertenbeauftragte.de/SharedDocs/Publikationen/UN_Konvention_deutsch.pdf?__blo
b=publicationFile&v=2 [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
21
   Art. 1 UN-BRK
22
   Art. 19 UN-BRK
23
   Erhardt/Grüber (2011): S. 36
24
   Vgl. Art. 19 UN-BRK
                                                                                            10
Weiterhin erkennt das Übereinkommen an, dass eine Verpflichtung der Staaten darin
bestehen muss, den gleichberechtigten Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung,
Berufsbildung, Erwachsenenbildung und das existenzielle Recht auf lebenslanges
Lernen zu sicherzustellen. 25 Besonders das Recht auf Erwachsenenbildung und
lebenslanges Lernen fördert ein inklusives Bildungssystem.
Außerdem wird in Artikel 30 des Übereinkommens explizit die Teilhabe am kulturellen
Leben und das Recht auf Freizeit vorgebracht. Dabei heißt es, „Zugang zu Orten
kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen, wie Theatern, Museen, Kinos,
Bibliotheken und Tourismusdiensten, sowie, soweit wie möglich, zu Denkmälern und
Stätten von nationaler kultureller Bedeutung haben“                26   , ist für Menschen mit
Behinderung ein Grundrecht. Archive werden in dieser Auflistung nicht aufgeführt.
Dennoch sind Sie auch von nationaler kultureller Bedeutung und lassen sich neben
Bibliotheken und Museen in die Auflistung einreihen. Darüber hinaus wird für
Menschen mit Behinderung das Recht gewährt, Zugang zu kulturellem Material in
zugänglichen Formaten zu haben.27 Basierend auf der Grundaussage dieses Artikels
der „kulturellen Teilhabe am Leben“ ist es machbar, die Möglichkeiten der Verwendung
von leichter und einfacher Sprache in der Archivbenutzung zu diskutieren.
Natürlich werden in der Konvention nicht nur Selbstbestimmung und Teilhabe, sondern
auch das Thema der Barrierefreiheit erläutert. Dabei soll für die Betroffenen eine
Zugänglichkeit gewährleistet werden, um eine unabhängige Lebensführung und
gleichberechtigten Zugang in der physischen Umwelt zu erhalten. Dies bedeutet die
Sicherstellung der Mobilität und Barrierefreiheit. 28 Die Richtlinie umfasst nicht nur
öffentliche Einrichtungen, sondern auch private Rechtsträger die öffentlich zugänglich
sind, sodass auch hier die Aspekte der Zugänglichkeit für Menschen mit
Behinderungen berücksichtigt sein müssen.29
Seit die UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in Kraft getreten ist, ist eine Bewegung
in der Umsetzung erkennbar. Die öffentliche und private Hand setzt sich in ihren
Zuständigkeitsbereichen          jeweils     mit       unterschiedlicher     Stärke   für   die
Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung
ein.30 Besonders hervorzuheben ist das Engagement der Menschen mit Behinderung

25
   Vgl. Art. 24 UN-BRK
26
   Vgl. Art. 30 Abs. 1c UN-BRK
27
   Vgl. Art. 30 Abs. 1a UN-BRK
28
   Vgl. Art. 9 Abs. 1 & Art. 20 UN-BRK
29
   Vgl. Art. 9 Abs. 2b UN-BRK
30
   Deutsches Institut für Menschenrechte (2015): S.4
                                                                                             11
selbst und den nichtstaatlichen Stellen, welche den Auftrag der Umsetzung der
Konvention sehr ernst           nehmen.      Kritik   am Übereinkommen wird     von der
Zivilgesellschaft dabei meist in der Form geäußert, dass gerade in Bezug auf die
privaten Unternehmen viele Bereiche der Konvention in der Praxis und in der
rechtlichen Handhabe wirkungslos sind.31

3.2 Gesetzliche Bestimmungen in der Bundesrepublik Deutschland
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es diverse Gesetze, Initiativen und
Verordnungen, die sich mit der Durchsetzung und der Gewährleistung des Rechtes
von Menschen mit Behinderung beschäftigen. Diese geben die Richtung in der
Umsetzung vor und sind die rechtsverbindlichen Legitimationen.
Obwohl es das Grundgesetz seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949
gibt, wurde dieses erst 1994 in Artikel 3 um einen Satz ergänzt. Damit wurde endgültig
das Diskriminierungsverbot von Menschen mit Behinderung im Grundgesetz
verankert. Artikel 3 mit dem Inhalt „Niemand darf wegen seiner Behinderung
benachteiligt werden“32, zeigt seitdem die gesetzliche Gleichberechtigung auf.
Darüber hinaus existieren noch weitere Gesetze zur Gleichstellung, Selbstbestimmung
und Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Das Gesetz zur Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG) 33 soll zum
Beispiel die Benachteiligungen von Betroffenen beseitigen und eine gleichberechtigte
Teilhabe gewährleisten. Mit diesem Gesetz wurde ein weiterer wichtiger Grundstein
zur Erfüllung der Teilhabe in der Gesellschaft gelegt. Neben zentralen Aspekten der
„Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr 34 “, sowie von
Informationstechnik 35 , sind Regelungen für die Arbeit der Bundesfachstelle für
                   36
Barrierefreiheit        aufgenommen worden. Weiterhin werden Aufgaben an den
Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
erteilt.37
Ein weiteres zentrales Element ist das Recht auf Verwendung von Gebärdensprache

31
   Deutsches Institut für Menschenrechte (2015): S. 4
32
   §3 Abs. 3 GG
33
   Behindertengleichstellungsgesetz, verfügbar unter: https://www.gesetze-im-
internet.de/bgg/BJNR146800002.html [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
34
   §8 BGG
35
   §12a BGG
36
   §13 BGG
37
   §17-18 BGG
                                                                                     12
38
und    anderen     Kommunikationsmitteln.             Mit   diesem    haben     Menschen       mit
Hörbehinderungen        und     Menschen        mit    Sprachbehinderungen         das     Recht,
Verwaltungsverfahren in Deutscher Gebärdensprache, mit lautsprachbegleitenden
Gebärden oder über andere Kommunikationsmittel                  39   durchzuführen. Hilfsmittel
müssen dabei von „Trägern öffentlicher Gewalt“ zur Verfügung gestellt werden und die
dafür notwendigen Aufwendungen von diesen getragen werden.40
Des Weiteren wird unter §11 „Verständlichkeit und Leichte Sprache41“ für Träger von
öffentlicher Gewalt konkretisiert. In dem Paragrafen wird festgelegt, dass Behörden
mit Menschen mit geistigen Behinderungen und Menschen mit seelischen
Behinderungen in einfacher und verständlicher Sprache kommunizieren sollen 42. Zur
Unterstützung der Verwaltungsprozesse für diese Menschen stellen Behörden
Vordrucke in einfacher Weise aus. Leichte und Einfache Sprache in Behörden wird
ebenfalls von der Bundesregierung gefördert, sodass die wesentlichen Behörden
Kompetenzen für das Verfassen von Texten in diesen Formen erlangen.43
Ergänzend zum Behindertengleichstellungsgesetz des Bundes gibt es jeweils eigene
Gleichstellungsgesetze der Bundesländer. 44 Dabei ist zu berücksichtigen, dass von
dem Grundsatz Bundesrecht bricht Landesrecht auszugehen ist. Meistens orientieren
sich jedoch die einzelnen Gesetze am BGG des Bundes. Kritik am BGG kommt vor
allem von nichtstaatlichen Organisation und auch vom Behindertenbeauftragten der
Bundesregierung, Jürgen Dusel, welche kritisieren, dass dieses Gesetz die
Privatwirtschaft nicht mit einschließe und damit die potenzielle Gleichstellung von
Menschen mit Behinderung im Alltag verwehrt.45
Neben dem BGG ist noch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz zu erwähnen,
dass Benachteiligungen an personenbezogenen Merkmalen wie Rasse oder
ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Alter, sexueller Identität und Behinderung

38
   §9 BGG
39
   Vgl. §9 Abs. 1 BGG & §9 Abs. 2 Satz 1-4 BGG
40
   §9 Abs. 1 BGG
41
   §11 BGG
42
   §11 Abs. 1 & Abs. 2 BGG
43
   §11 Abs. 4 BGG
44
   Vgl. Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung und Gesetz des Landes
Brandenburg zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Brandenburgisches
Behindertengleichstellungsgesetz - BbgBGG), verfügbar unter:
https://bravors.brandenburg.de/gesetze/bbgbgg [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
45
  Evangelischer Presse Dienst: „Kritik an Reform des Behindertengleichstellungsgesetzes“, verfügbar
unter: https://www.domradio.de/themen/kirche-und-politik/2016-05-12/kritik-reform-des-
behindertengleichstellungsgesetzes [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
                                                                                                 13
verbietet. 46 Die Anwendungsbereiche dieses Gesetztes ähneln sich mit denen des
BGG und beziehen sich überwiegend auf den Zugang zur Gesellschaft und auf
Bildung.

3.3 Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung
Ebenso komplex wie die Umsetzung der analogen Barrierefreiheit ist auch die
Umsetzung der technischen Angebote von Kultureinrichtungen. Die dazu im Jahr 2002
verabschiedete „Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung“ in der aktualisierten
                                                            47
Fassung       von     Mai     2019      (BITV      2.0)            ist   als     Ergänzung      zum
Behindertengleichstellungsgesetz und verschiedenen europäischen Richtlinien und
Normen48 zu sehen. Diese Verordnung, welche sich an alle Bundesbehörden richtet,
soll an dieser Stelle erwähnt werden, ist aber eher nur für Bibliotheken vorrangig
wichtig. In der BITV 2.0 wird Leichter und Einfacher Sprache Rechtsverbindlichkeit
gegeben. Weiterhin werden              die   öffentlichen        Institutionen   dazu   verpflichtet,
Internetseiten von den öffentlichen Verwaltungsstellen barrierefrei zu gestalten, sowie
die Navigation in Leichter Sprache und Gebärdensprache 49 zu gewährleisten. In
diesem Zusammengang ist zu erwähnen, dass auch elektronische Verwaltungsabläufe
bis 2021 barrierefrei zu gestalten sind.
Für Webseiten und Apps von Kulturerbesammlungen sind die ausgenommenen
Inhalte unter §2 der Anwendungsbereich nochmals spezifiziert. Ausgenommen sind
„Reproduktionen von Stücken aus Kulturerbesammlungen, die nicht vollständig
barrierefrei zugänglich gemacht werden können“, wenn die Erhaltung des
Gegenstandes nicht gewährleistet ist, sowie die Authentizität nicht gegeben ist.50

46
   §1 AGG
47
   Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem
Behindertengleichstellungsgesetz, verfügbar unter: https://www.gesetze-im-
internet.de/bitv_2_0/BJNR184300011.html [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
48
   Vgl. Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates 2016/2102 über den barrierefreien
Zugang von Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen, verfügbar unter:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32016L2102 s. auch europäische
Norm 301 549 „Accessibility for ICT products and services“, verfügbar unter:
https://www.etsi.org/deliver/etsi_en/301500_301599/301549/02.01.02_60/en_301549v020102p.pdf
[Letzter Zugriff am 06.02.2020]
49
   §4 Abs. 4 BITV 2.0
50
   Vgl. §2 Abs. 2 Satz 1a BITV 2.0 & Bundefachstelle für Barrierefreiheit „Ausnahmefälle: Was muss
nicht barrierefrei gestaltet werden?“, verfügbar unter: https://www.bundesfachstelle-
barrierefreiheit.de/DE/Themen/EU-Webseitenrichtlinie/BGG-und-BITV-2-0/Die-neue-BITV-2-0/die-
neue-bitv-2-0_node.html#doc1018738bodyText3 [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
                                                                                                     14
3.4 Archivspezifische Gesetze und Richtlinien
Wer in Archiven aktiv Forschung betreiben möchte, kann auf gravierende Hindernisse
stoßen. Denn nicht in allen staatlichen Archiven ist das „Jedermann-Recht“ auf
Benutzung von Archivgut vorhanden, soweit es in anderen Rechtsvorschriften nicht
                               51
anders    bestimmt      ist.        Diese   gesetzliche    Grundlage      ist   bisher   nur    im
Bundesarchivgesetz und in den Archivgesetzen der Bundesländer Nordrhein-
Westfalen und Schleswig-Holstein vorhanden.
Der überwiegende Teil der Archivgesetze der Bundesländer stellt für die Benutzung
jedoch die Voraussetzung, dass ein „berechtigtes Interesse vorliegt“.52 Menschen mit
Behinderungen haben ein Recht darauf, mit Unterlagen aus ihrer eigenen Vita und mit
dem Umgang der Gesellschaft mit Behinderten konfrontiert zu werden. Dies ist für sie
ein unmittelbarer Zugang, Geschichte zu erleben. Wird dieser Zugang nicht
standardmäßig gewährt, ist der Schritt eines Archives in Richtung Inklusion und
Barrierefreiheit nicht gegeben.
So besagt das Archivgesetzt des Landes NRW in §6 (3): „Betroffenen ist auf Antrag
nach Maßgabe des Absatzes 2 aus dem Archivgut Auskunft zu erteilen oder Einsicht
in dieses zu gewähren, soweit es sich auf ihre Person bezieht“. 53 Denn nicht nur mit
diesem Gesetz, sondern auch mit der UN-BRK steht dieser Paragraf im Einklang. Mit
dem Verweis auf Art. 30 der UN-BRK, der besagt das alle geeigneten Maßnahmen
getroffen werden müssen, um Menschen mit Behinderungen Zugang zum kulturellen
Leben zu gewähren54 wird dieses noch einmal untermauert.
Neben den geltenden Archivgesetzen ist noch der „Kodex ethischer Grundsätze für
Archivarinnen und Archivare“55 als Richtlinie des ICA ein wichtiger Faktor im Umgang
mit Behinderten. Darin heißt es, dass Archivarinnen und Archivare sich gegenüber
Benutzern dazu verpflichten, sich für die weitest mögliche Benutzung von Archivalien
einzusetzen und allen Benutzern gegenüber einen unparteiischen Rat und eine
Dienstleistung zu gewähren. 56
Diese Richtlinien stellen einen richtungsweisenden Anfang zur Transformation zu

51
   Vgl. §6 ArchG NRW
52
   Vgl. u. a. §9 Abs. 2 BbgArchivG
53
   §6 Abs. 3 ArchG NRW
54
   Vgl. Art. 30 UN-BRK
55
   International Council on Archives (ICA): „Kodex ethischer Grundsätze von Archivarinnen und
Archivaren“, Angenommen von der Generalversammlung des ICA 1996, Stand Januar 1997:
https://www.ica.org/sites/default/files/ICA_1996-09-06_code%20of%20ethics_DE.pdf [Letzter Zugriff
am 28.01.2020]
56
   Worm/Gilhaus (2017): S. 2
                                                                                                    15
einem inklusiven und barrierefreien Archiv vor. Menschen mit Behinderung haben vor
allem durch das Jedermann-Recht die Möglichkeit Archive zu benutzen.

4. Anforderungen an Archive
4.1 Praktische Anforderungen aus Nutzersicht
Anforderungen an Archive für Menschen mit Behinderungen sind vielfältig. So haben
Menschen mit geistigen Behinderungen andere Anforderungen als Menschen mit
Sinnesbehinderungen            oder   körperbehinderte        Menschen.        Aufgrund      dieser
verschiedenen Ausgangslagen ist eine Standardisierung für Archive schwierig.

Dennoch       wurde      mit     verschiedenen       DIN-Normen         eine     Grundlage          für
Kultureinrichtungen in Deutschland festgelegt. Ein Meilenstein wurde durch die
Novellierung der DIN 18040-157 geschaffen, in welcher die Belange von Menschen mit
Behinderung zum ersten Mal wirklich beachtet wurden.
Eine barrierefreie Ausstattung und Infrastruktur wurde vor dieser Richtlinie bei der
Umnutzung von historischem Baubestand für Archivzwecke nicht erstrangig
berücksichtigt.58 Seit dieser Norm ist Barrierefreiheit ein wesentlicher Bestandteil bei
der Unterbringung eines Archives.

Es ist in Teilbereichen sehr einfach einen großen Effekt zu erzielen; für Menschen mit
Körperbehinderungen ist eine barrierefreie Infrastruktur die entscheidende Grundlage.
Ein ebenerdiger bzw. barrierefreier Zugang in das Gebäude, welcher schon vor dem
Zugang zum Gebäude beginnt, ist die Basis. Über die Eingangstür hinaus muss bis
zum Lesesaal durchgängig eine ausreichende Bewegungsfläche verfügbar sein. Mit
einer ausreichenden Breite von 150 cm wird für eine gradlinige Fortbewegung und
Mobilität während der Begegnung mit anderen Menschen dafür die Voraussetzung
geschaffen.59 Nach jeweils 15 m Flurlänge muss ein Gang mindestens an einer Stelle
die Größe von 180x180 cm aufweisen, um eine Begegnung mit anderen
Rollstuhlfahrern oder Gehhilfen (z.B. Rollatoren) zu ermöglichen. 60 Im Gebäude
vorhandene Türen müssen ergänzend eine ausreichende Breite von mind. 90 cm für

57
   Vgl. DIN 18040-1:2010-4 (2010) „Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 1: Öffentlich
zugängliche Gebäude“ ersetzte die veraltete DIN 18024-2 (1998), verfügbar unter: https://www.ift-
rosenheim.de/documents/10180/114265/DIN_18040-1_Entwurf_2010-04-23.pdf [Letzter Zugriff am
06.02.2020]]
58
   Vgl. Worm/Gilhaus (2017): S. 5
59
   Vgl. DIN 18040-1 – Allgemeines: S. 6
60
   DIN 18040-1 – 4.3.2 Flure und sonstige Verkehrsflächen: S. 8
                                                                                                    16
den Durchgang von Rollstühlen haben. Weiterhin ist eine einfache Bedienbarkeit
gefordert und eine ausreichende Bewegungsfläche vor den Durchgängen zu
gewährleisten.61

Für sehbehinderte Menschen müssen, bevor diese das Gebäude betreten, ebenfalls
besondere Vorkehrungen getroffen werden. Mit Hilfe von einem visuell kontrastreichen
Eingang (z. B. helle Türen und dunkle Umgebungsfläche) und einer guten
Beleuchtung, wird für diese Zielgruppe die Voraussetzung zur Nutzung (z.B. eine
leichte Auffindbarkeit) geschaffen.62

Blinde Menschen dagegen nutzen zur Orientierung einen Blindenstock. Um sich auch
im Archiv problemfrei bewegen zu können, muss es unterschiedliche Bodenstrukturen
geben, welche Begrenzungen erkennen lassen. Auf öffentlichen Wegen und
Verkehrsflächen und mittlerweile immer öfter in öffentlichen Gebäuden kommt dazu
ein Blindenleitsystem zum Einsatz, das mit Hilfe von Bodenindikatoren63 eine gezielte
Fortbewegung zulässt.
Gerade für Menschen mit Sinnesbehinderungen ist eine einfache Auffindbarkeit von
Türen (visuell abgegrenzt, eindeutig erkennbare Türschilder) 64 von entscheidender
Hilfe. Damit wird gewährleistet, Bewegung und Orientierung ohne eine Zusatzperson
zu ermöglichen.
Weiterhin ist für diese Menschen die Generierung von Informationen aus ihrer Umwelt
überlebenswichtig. Die Wahrnehmung dieser wird entweder visuell (=Sehen), auditiv
(=Hören) oder taktil (=Fühlen/Tasten) gestaltet. 65 Besonders Informationen, welche
taktil sind, werden von blinden Menschen auf verschiedene Art und Weise
wahrgenommen, das bedeutet, die Wahrnehmung erfolgt mit Händen und Fingern,
dem Langstock bzw. Blindenstock oder mit den Füßen.
Schriftlich erfassbare Informationen müssen sowohl durch „erhabene lateinische
Großbuchstaben und arabische Ziffern als auch durch Braillsche Blindenschrift“ 66
vermittelbar    sein.    Sie   werden      oftmals    in   verschiedenen       Lageplänen     und
Übersichtskarten mit Sonderzeichen und Piktogrammen ergänzt.

61
   Vgl. DIN 18040-1 – 4.3.3 Türen: S. 10-13
62
   DIN 18040-1 - 4.2.3 Zugangs- und Eingangsbereiche: S. 9
63
   Vgl. DIN 32984: "Bodenindikator: Bodenelement zur Information, Orientierung, Leitung und
Warnung für blinde und sehbehinderte Menschen mit einem hohen taktilen, visuellen und
gegebenenfalls akustischen Kontrast zum angrenzenden Bodenbelag."
64
   DIN 18040-1 – 4.3.3.5 Orientierungshilfe an Türen: S. 8
65
   DIN 18040-1 – 4.4 Warnen/Orientieren/Informieren/Leiten: S. 19
66
   DIN 18040-1 – 4.4.4 Taktil: S. 21
                                                                                               17
Abb. 3 & 4: Tastplan im Innenbereich der „Euthanasie-Anstalt Brandenburg“ 67 und
Türöffner mit Blindenschrift und erhabenen Großbuchstaben 68

Für die Benutzung des Lesesaals haben behinderte Nutzer ebenfalls spezielle
Anforderungen. Die in der DIN 67700 aufgeführten Maße für Standardnutzerplätze,
welche eine minimale Tischtiefe von 0,80 m und einer Tischlänge von 1,60 m haben
            69
müssen           ,   sind    nicht    für    alle    Menschen        kompatibel.       Menschen         mit
Mobilitätseinschränkungen benötigen für eine komfortable Arbeitsumgebung u. a.
höhenverstellbare Tische. Vor allem Rollstuhlfahrer haben somit die Möglichkeit im
Archivalltag zu partizipieren.
Weiterhin ist es unerlässlich, im Lesesaal für Sehbehinderte und Blinde einen extra
Sehbehindertenarbeitsplatz zu schaffen. Dieser ist, in Ergänzung zu einem normalen
Arbeitsplatz, mit einer extra Braillezeile versehen.

67
   Abb. 3: Webseite „nullbarriere“: Tastplan der Gedenkstätte für die Opfer der Euthanasie-Morde,
verfügbar unter: https://nullbarriere.de/ilis-leitsysteme.htm [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
68
   Abb. 4: Webseite „nullbarriere“: Türöffner Beschilderung, verfügbar unter: https://nullbarriere.de/ilis-
leitsysteme.htm [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
69
   DIN 67700:2017-05 Bau von Bibliotheken und Archiven – Anforderungen und Empfehlungen für die
Planung, Tabelle 4 – Standardnutzerplätze: S. 21
                                                                                                          18
Abb. 2: Sehbehindertenarbeitsplatz mit Braillezeile TU Bergakademie Freiberg 70

Die Abbildung zeigt einen Sehbehindertenarbeitsplatz mit einer Braillezeile und einem
geräumigen Arbeitsplatz in der Bibliothek der Bergakademie TU Freiberg, welcher mit
einem großen Bildschirm mit Lupenfunktion ausgerüstet ist. Des Weiteren ist die
eigentliche Tastatur des Computers mit Großbuchstaben für Sehbehinderte versehen.
Für eine gute Arbeitsplatzausstattung ist es ebenfalls wünschenswert, wenn ein
Drucker am Arbeitsplatz steht und die Funktionstasten an diesem mit Brailleschrift zum
Fühlen bzw. Tasten versehen werden. Größten Komfort erhalten Sehbehinderte dann,
wenn in einem Archiv auch ein Drucker vorhanden ist, welcher das Druckerzeugnis
direkt in Brailleschrift ausgibt.

In Archiven ist diese Art von Sehbehindertenarbeitsplätzen bisher nur im Stadtarchiv
in Halle an der Saale71 zu finden. Die Ausstattung des Stadtarchivs weicht dabei stark
von der Ausstattung der TU Freiberg ab. Eingerichtet wurde dieser, um Archivgut
sichtbar zu machen. Die vorhandenen alten 15‘‘ Zoll Bildschirme waren für die Nutzung
ungeeignet und wurden mit entsprechender Scan- und Lesetechnik und Software
ausgerüstet. Zurückzuführen ist die Abweichung in der Ausstattung größtenteils auf

70
  TU Freiberg: „Inklusion - TU Bergakademie Freiberg gut aufgestellt“, November 2015, verfügbar
unter: https://tu-freiberg.de/presse/inklusion-tu-bergakademie-freiberg-gut-aufgestellt [Letzter Zugriff
am 06.02.2020]
71
   Vgl. Stadtarchiv Halle (Saale): „Sehbehindertenarbeitsplatz des Stadtarchivs in Zusammenarbeit mit
der Wilhelm-Herbert-Marx-Stiftung (Personenstiftung für Blinde in Halle) und dem Verein IDEAL e.V. –
Integration durch ein aktives Leben“, 2008, verfügbar unter:
https://www.augias.net/2008/12/03/anet6465/ [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
                                                                                                           19
die   teilweise enge finanzielle Situation von einer lokalen Stiftung oder einem
gemeinnützigen Verein.
Neben diesen speziellen Arbeitsplätzen sind Arbeitskabinen und Gruppenräume
besonders für Menschen mit Hörschädigungen und Menschen mit geistigen
Behinderungen, welche oftmals in Begleitung kommen aber dann anschließend allein
arbeiten möchten, notwendig. 72 Damit in diesen Räumen Aufsicht gewährleistet
werden kann, sind Kamerasysteme zur Überwachung mit einer Aufschaltung zum
Arbeitsplatz der Lesesaalaufsicht notwendig, worüber die Benutzer informiert werden
müssen.73

Andere technische und praktische Möglichkeiten, um die Arbeit von Menschen mit
Sinnesbehinderungen zu erleichtern, sind Lupen. Ob in analoger oder digitaler Form
als Software auf dem PC, lassen sich schnell adäquate Verbesserungen erzielen.
Außerdem müssen Sehgeschädigte die Chance haben, eine sehbehindertengerechte
Beleuchtung am Arbeitsplatz zu erhalten. Die Beleuchtung für diesen Arbeitsplatz
weicht von der in der Beleuchtungsnorm DIN EN 12464-1 in einigen Punkten ab, da
diese Norm für normal sehende Menschen ausgerichtet ist.74 Lichtoptimierung ist eine
Maßnahme, die „die Sehschärfe, die Kontrastwahrnehmung, die Lesegeschwindigkeit
und das physische Wohlbefinden optimieren“75.
Sehbehinderte brauchen, im Gegensatz zu den Beleuchtungsstufen der Norm,
mindestens 50% bis 100% mehr dieser Beleuchtungsstufen. Dabei ist zu beachten: Je
kleiner ein Objekt ist, desto größer ist der Lichtbedarf den sie benötigen, da sie für die
Adaption von hell und dunkel länger brauchen. 76 Wichtig ist ebenfalls, dass eine
gleichmäßige Beleuchtung geschaffen werden sollte.
Das Beispiel einer praktischen Anwendung dieser Norm ist die Bearbeitung bzw. das
Lesen von Akten an einem Arbeitsplatz im Lesesaal. Für die Tätigkeit an einem
Nutzerplatz benötigen nicht behinderte Menschen eine Beleuchtungsstärke von 500
Lumen77 um gut arbeiten zu können. Bei Menschen mit Sehschädigungen wird eine

72
   Worm/Gilhaus (2017): S. 9
73
   Worm/Gilhaus (2017): Ebda.
74
   Schweizer Zentralverein für das Blindenwesen: Allgemeines Merkblatt zur sehbehindertengerechten
Beleuchtung, 2013, verfügbar unter: S. 1 https://www.szb.ch/uploads/pics/1-SZB_Lichtblatt_neu-
Allgemein-BF_01.pdf s. auch: DIN 67700 Kap. 11 Licht und Beleuchtung S. 70-71 [Letzter Zugriff am
06.02.2020]
75
   Vgl. Schweizer Zentralverein für das Blindenwesen (2013): Ebda.
76
   Vgl. Schweizer Zentralverein für das Blindenwesen (2013). Ebda.
77
   Vgl. DIN 67700: S. 71, s. auch: DIN EN 12464 welche für Tätigkeiten in Räumen z. B. „Lesen“ eine
minimale Beleuchtungsstufe von 300 für Menschen ohne Behinderung empfiehlt.
                                                                                                  20
78
Beleuchtungsstufe von bis zu 1.000 als Empfehlung genannt.                         Weiterhin wird
empfohlen, daneben noch eine bewegliche Arbeitsplatzleuchte einzusetzen, welche
die Nutzer nach ihren Bedürfnissen verwenden können79.

Für die analoge Kommunikation von nicht behinderten Menschen mit Hörgeschädigten
bieten sich FM-Anlagen 80 an. Diese kommen bereits bei Führungen verschiedener
Kulturinstitutionen zum Einsatz und verbessern die Verständigung zwischen
Mitarbeiter bzw. Vortragendem und Nutzer. Neben diesen FM-Anlagen empfiehlt es
sich auch, über die Anschaffung einer induktiven Höranlage nachzudenken. Diese
erleichtern ein eventuelles Beratungsgespräch erheblich.81
Das Stadtarchiv Münster veranstaltet z.B. auch Führungen mit Hilfe dieser FM-
Anlagen.       Ergänzend         dazu       steht       bei        diesen     Führungen         ein
                                                              82
Gebärdensprachendolmetscher zur Verfügung.                         Diese Unterstützung in der
Kommunikation kann auch problemlos für die Verständigung im Lesesaal mit
einzelnen Nutzern oder für Gruppen verwandt werden.
Neben diesen analogen und digitalen Kommunikationsmitteln nutzen Hörgeschädigte
zur Kommunikation neben Mails oftmals das heute in der Verwaltung wenig benutze
Fax als Kontaktaufnahme. 83

Falls keine Hilfsmittel, Begleitpersonen oder Gebärdensprachendolmetscher im Archiv
greifbar sind, kann eine Verständigung auch über Apps auf den Smartphones
funktionieren. Zum Beispiel könnte die kostenlose marktführende Applikation
„Spreadthesign“    84   eingesetzt werden, welche ein Online-Wörterbuch ist und
eingegebene Wörter in Gesten der deutschen und anderen internationalen
Gebärdensprachen übersetzt.

78
   Schweizer Zentralverein für das Blindenwesen (2013): S. 1 „Wartungswerte Beleuchtungsstärke“
79
   Vgl. Sehbehindertengerechte Arbeitsplatzbeleuchtung, TU Bergakademie Freiberg, 2019: https://tu-
freiberg.de/inklusion/studierende/gebaeudeausstattung/ausstattung-und-hilfsmittel/sehen [Letzter
Zugriff am 28.01.2020]
80
   FM-Anlagen sind drahtlose Signalübertragungsanlagen, die Signale mit frequenzmodulierten
Funksignalen (FM) übertragen. Die Konfiguration besteht aus einem Sender (z. B. Mikrofon) und
einem Empfänger. Empfänger ist die Person mit Hörschädigungen, Worte werden als Funksignal in
Schallwellen umgewandelt und über ein Kabel an das Hörgerät weitergeleitet.
81
   Baibl (2016): S. 25
82
   Wolf, Thomas: Stadtgeschichte für Hörbehinderte des Stadtarchivs Münster, 2010, verfügbar unter:
https://archiv.twoday.net/stories/6355761/main [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
83
   Baibl (2016): S. 25
84
   Spread Signs ein Projekt des “European Sign Language Center” in Schweden, veröffentlicht 2006,
verfügbar unter: https://www.spreadthesign.com/de.de/search/ [Letzter Zugriff am 06.02.2020]
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5. Grundlagen der Behinderten- und Sonderpädagogik mit
   dem Blick auf die Vermittlung von Geschichte
Menschen mit Behinderungen sind individuell. Pauschale Aussagen über den
Bildungsgrad dieser Menschen und die Vermittlung von Bildung in Schulen und im
Erwachsenenalter durch Lebenslanges Lernen haben keine vertretbare gemeinsame
Grundlage. Es ist nochmal wichtig zu erwähnen: Kein Mensch ist gleich!
Menschen mit Sinnesbehinderungen, z. B. mit leichten bis mittleren Hörschädigungen,
besuchen oftmals eine Regelschule und erlangen dort einen Abschluss wie z.B. die
Allgemeine Hochschulreife. Dieser Grad der Behinderung muss nicht offensichtlich
sein und ein Mensch mit einer Hörschädigung kann aktiv am sozialen Leben teilhaben.
Für Menschen mit anderen Sinnesbehinderungen wie Blinde und Sehbehinderte ist
die Partizipation im Alltag genauso möglich. Sie haben die Möglichkeit, durch
Regelschulen oder durch Blindenschulen, die für Menschen mit Sehschädigungen
ausgelegt sind, am Schulsystem teilzunehmen. Die Vermittlung von Bildung ist dabei
auf die Situation der Betroffenen ausgerichtet. Diese Menschen erreichen oftmals
einen allgemeinen Schulabschluss (z.B. Allgemeine Hochschulreife) oder einen
berufsorientierten Schulabschluss. Davon auszugehen, dass diese Menschen mit
Behinderungen pauschal weniger gebildet sind als Menschen ohne Behinderung, ist
eine Falschaussage.
Es gibt genug Beispiele für Menschen mit Behinderungen wie z.B. den derzeitigen
Bundesbeauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit
Behinderungen, Jürgen Dusel, der diese Tätigkeit als seit Geburt stark Sehbehinderter
ausübt.
Da für Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen schon vielfältige Maßnahmen
getroffen wurden, beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel hauptsächlich mit der
Vermittlung von Bildung an Menschen mit geistiger Behinderung. Für diese Personen
müssen andere Methoden angewandt werden um die erfolgsversprechenden
Ergebnisse in der Vermittlung von Bildung zu erzielen.

5.1 Bildung für Menschen mit geistigen Behinderungen
Das Verständnis von geistiger Behinderung ist im allgemeinen Verständnis die
kognitive Beeinträchtigung. Daneben muss Behinderung aber auch als sozialer
Prozess betrachtet werden, welcher charakterisiert ist durch Isolation und in Folge zu

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Abhängigkeit und Fremdbestimmung führen kann.85 Historische Bildungsarbeit kann
dabei eine grundlegende Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung sein. "Das Recht auf
Bildung steht im engen Zusammenhang mit der Menschenwürde und dem Grundrecht
auf eine freie Entfaltung der Persönlichkeit. Das verweist wiederum auf die Bedeutung
Historischen Lernens für die Enkulturation und die Entwicklung der Ich-Identität.“ 86
Dieser Ansatz zeigt, dass Historisches Lernen und die Entwicklung von
Geschichtsbewusstsein eine grundlegende Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung
sind.
Historische Bildungsarbeit bringt Archive der Gesellschaft näher. Sie leistet einen
bildungspolitischen Auftrag und schafft einen außerschulischen Lernort, in dem
Menschen mit Behinderungen anhand von authentischen Materialien lernen, einen
Bezug zwischen Gegenwart und Vergangenheit herzustellen. 87

Zielgruppe dieser Konzepte sind vor allem (Förder-)Schüler zwischen 13 und 16
Jahren. In der Phase der „Pubertät“ dieser Personen dreht sich wie angemerkt, viel
um die eigene Identitätsforschung, sodass man ein Wissen der eigenen Behinderung
erlangt. 88
Schüler dieser Altersstruktur sind in der Oberstufe 89 , in der die Kernthemen
Sachkunde, Politik, Geschichte und Erdkunde unterrichtet werden. Andere Fächer wie
Sprachen und Mathematik sowie Musik, Praktisches und Motorisches werden
stufenübergreifend gefördert, d.h. Schüler von der Eingangsstufe bis zur Oberstufe
nehmen gemeinsam am Unterricht teil. 90 In der Oberstufe werden die Schüler
außerdem für historische, geografische und politische Zusammenhänge geschärft und
sensibilisiert und können somit tagespolitische Ereignisse einordnen und bewerten. 91
Auf dieser Ebene kann jeder Schüler in Historisches Lernen einbezogen werden.
Dabei dürfen jedoch keine spezifischen Interessen oder ein tieferes Bewusstsein für
die Zusammenhänge vorausgesetzt werden. 92 Menschen mit Behinderungen können
durch Historisches Lernen ein elementares Verständnis dafür erhalten, was sich
verändert hat und somit den Status quo hinterfragen. Es fördert weiterhin das

85
   Vgl. Finke (2010): S. 11
86
   Springborn (2004): S 10
87
   Arand (1997): S. 196f.
88
   Ruppel (2010): S. 49
89
   In den meisten Förderschulen gibt es kein Klassenmodell, sondern ein Stufenkonzept. Diese sind
die Unterstufe, Mittelstufe, Oberstufe und der Abschlussstufe.
90
   Ruppel (2010): S. 49
91
   Ruppel (2010): S. 50
92
   Ruppel (2010): Ebda.
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