Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0

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Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
Gr Interakt Org (2021) 52:203–225
https://doi.org/10.1007/s11612-021-00579-5

 HAUPTBEITRÄGE - THEMENTEIL

Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der
Industrie 4.0
Verena Simone Lore Blumberg1               · Simone Kauffeld1

Angenommen: 22. April 2021 / Online publiziert: 12. Mai 2021
© Der/die Autor(en) 2021

Zusammenfassung
Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Arbeitswelt auch in der industriellen Fertigung nachhaltig. Digitale Wer-
kerassistenzsysteme wie Datenbrillen und Smartwatches unterstützen Mitarbeitende mit kontextsensitiven Informationen.
Die Einführung dieser Technologien und die Veränderung von Arbeitsabläufen stellen neue Kompetenzanforderungen an
Beschäftigte, ermöglichen aber auch veränderte Wege des Lernens. Ziel dieses Beitrags der Zeitschrift Gruppe. Interak-
tion. Organisation. (GIO) ist es, zukünftig benötigte Kompetenzen für Beschäftigte in der Produktion sowie mögliche
Wege der Kompetenzentwicklung zu identifizieren. Dazu wurden 76 halbstrukturierte Interviews mit Teilnehmenden aus
den Expertenclustern Wissenschaft, Politik und betriebliche Praxis durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Als
Ergebnisse der Studie ist ein Kompetenzmodell für Beschäftigte in der Produktion entstanden, das auf der etablierten
Unterscheidung in die Kompetenzfacetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz aufbaut. Zusätzlich wurde die
digitale Kompetenz als Querschnittskompetenz ergänzt. Besonders relevant wird über alle Expertengruppen hinweg die
IT-Anwendungskompetenz eingeschätzt. Bei den identifizierten Wegen der Kompetenzentwicklung werden zunehmend
selbstinitiierte Lernformate bedeutsam, die die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Die vorliegenden Ergebnisse
können als Ausgangspunkt für die Entwicklung betrieblicher Kompetenzmodelle und -entwicklungsprogramme genutzt
werden.

Schlüsselwörter Digitalisierung · Industrie 4.0 · Kompetenzen · Qualifizierung · Produktion

Competencies and competence development in industry 4.0

Abstract
The advance in digitization is also changing the way of working in the field of industrial manufacturing. Smart wearables
and mobile smart devices e.g. smart glasses and smartwatches, support employees with context-sensitive information.
The introduction of these technologies and the changes in work processes lead to new competence requirements for
employees and new paths for competence development. This article in the journal Gruppe. Interaktion. Organisation.
(GIO) aims to identify future competence requirements and ways of competence development for industrial workers.
Therefore, 76 semi-structured interviews with participants from five expert groups were conducted. As a result, our study
presents a competence model which builds on the well-established structure of professional, methodological, social and
personal competences. Digital competences were added as cross-sectional competence. General IT application skills were
identified as a core competence for employees in the industry 4.0. For competence development digital and self-initiated
ways of learning are getting more important. The results of this study can be used to develop an operational competence
management.

Keywords Digitization · Smart wearables · Industry 4.0 · Competencies · Qualifications · Manufacturing

 Verena Simone Lore Blumberg, M.Sc.
     v.blumberg@tu-braunschweig.de
     Prof. Dr. Simone Kauffeld                                  1
                                                                    Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und
     s.kauffeld@tu-braunschweig.de                                  Sozialpsychologie, Technische Universität Braunschweig,
                                                                    Spielmannstr. 19, 38106 Braunschweig, Deutschland

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1 Einleitung                                                    2 Kompetenzen und ihre systematische
                                                                  Entwicklung
Neue Technologien durchdringen die Arbeitswelt in einem
immer erheblicheren Maße und werden zu allgegenwärti-           Obwohl die Veränderung von Kompetenzen seit längerer
gen Begleitern der Beschäftigten (Cascio und Montealeg-         Zeit ein relevantes Thema in der Gesellschaft und un-
re 2016). Dies betrifft nicht mehr nur die Wissensberufe        terschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ist, gibt es
oder hochautomatisierte Produktionsabläufe, sondern trifft      nach wie vor keinen Konsens über eine einheitliche De-
in einem erheblichen Maße auch Berufsbereiche, die bis-         finition des Konstruktes (Brown 1993; Erpenbeck et al.
her noch nicht direkt von der Anwendung der Informa-            2017; Le Deist und Winterton 2005; Kauffeld und Paul-
tions- und Kommunikationstechnologien betroffen waren,          sen 2018; Moore et al. 2002; Mulder 2017). International
wie beispielsweise die industrielle Fertigung. In der indus-    kann zwischen einer eher spezifisch verhaltensorientier-
triellen Fertigung wird die neue Durchdringung und All-         ten und einer ganzheitlich integrativen Betrachtung von
gegenwärtigkeit von Digitalisierung mit dem Schlagwort          Kompetenzen unterschieden werden (Bornewasser et al.
Industrie 4.0 beschrieben (Lasi et al. 2014; Promotoren-        2018; Brockmann et al. 2008; Misbah et al. 2019). Ein
gruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft –           spezifisch verhaltensorientiertes Verständnis von Kompe-
Wissenschaft 2013). Ein zentrales Element dieser zuneh-         tenz stellt vor allem die erfolgreiche Leistung in einer
menden Vernetzung sind digitale Werkerassistenzsysteme          konkreten Arbeitssituation in den Mittelpunkt der Betrach-
(DWAS), beispielsweise Datenbrillen, Tablets oder Smart-        tung. Dies ist auch in der nachfolgenden Definition des
watches (Evers et al. 2019). DWAS werden definiert als mo-      Kompetenzbegriffs durch die International Organization
bile digitale Endgeräte, die körpernah getragen werden und      for Standardization (ISO) erkennbar. Hier heißt es: „[com-
Mitarbeitende bei der Ausführung der Tätigkeit durch Infor-     petences are] the ability to apply knowledge and skills to
mationsdarbietung unterstützen (Niehaus 2017). Mit DWAS         achieve intended results“ (ISO 2015). Zentral ist also die
können Mitarbeitende in die neue, vernetzte Arbeitsumge-        praktische Fähigkeit, Wissen und Fähigkeiten anzuwen-
bung eingebunden werden. Die Anwendungsmöglichkeiten            den („ability to apply“, ISO 2015), um bestimmte Ziele
für DWAS in der industriellen Fertigung sind vielfältig. Bei-   zu erreichen. Bei der eher ganzheitlich und integrativen
spielsweise können DWAS zum Arbeitsschutz, zur tempo-           Betrachtung des Kompetenzbegriffs stehen vor allem die
rären oder dauerhaften Unterstützung der Arbeitstätigkeit,      kognitiven Ressourcen im Fokus, die zielorientiertes Han-
zur Kommunikation, zur Qualitätssicherung oder zur Quali-       deln im Arbeitskontext ermöglichen (Bornewasser et al.
fizierung eingesetzt werden (Blumberg und Kauffeld 2020).       2018). Dies zeigt auch die nachfolgende Definition: Unter
Damit die Potenziale der neuen Technologien ausgeschöpft        Kompetenzen werden sowohl das Wissen als auch alle
werden können, kommt den Produktionsbeschäftigten als           Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person verstanden, die
Anwendenden dieser Technologien eine hohe Bedeutung             diese bei der Bewältigung bekannter und neuartiger Situa-
zu (Güth et al. 2018).                                          tionen handlungs- und reaktionsfähig machen (Kauffeld
    Die zunehmende Digitalisierung ist dabei sowohl Aus-        2006). Beide Definitionen eint, dass nicht nur das Wissen
löser für die Veränderung benötigter Kompetenzen als auch       (vgl. Fachkompetenz), sondern ebenso weitere Fähigkeiten
anwendbares Mittel, um die Kompetenzentwicklung zu ge-          und Fertigkeiten (vgl. Methoden-, Sozial- und Selbstkom-
stalten (Bornewasser et al. 2018). Neben der zunehmen-          petenz) für das erfolgreiche Handeln als relevant angenom-
den Digitalisierung machen auch sich verändernde Arbeits-       men werden. Die besondere Bedeutung und Relevanz von
bedingungen neue bzw. andere Kompetenzen bei den Be-            Kompetenzen im betrieblichen Kontext ergibt sich daraus,
schäftigten erforderlich (Acatech 2016; Botthof 2015). Be-      dass Kompetenzen zu einer höheren Arbeitsqualität führen,
schäftigte werden stärker als bisher damit konfrontiert, sich   systematisch und aufwendig entwickelt werden müssen
kontinuierlich weiterzubilden, um sowohl das fachliche als      und nur schwer imitiert werden können, wenn sie einmal
auch das methodische Wissen aktuell zu halten (Leimeis-         aufgebaut sind. Kompetenzen stellen somit einen besonde-
ter und David 2019a; Metternich et al. 2018). Dies wird         ren Wettbewerbsvorteil dar (Kauffeld 2006; Kauffeld und
ohne den zeitgleichen Aufbau von Sozial- und Selbstkom-         Paulsen 2018).
petenzen nicht leistbar sein. Um den neuen Anforderun-             Wie Kompetenzanforderungen, Kompetenzmodelle und
gen gerecht zu werden und die notwendigen Kompetenzen           Kompetenzentwicklung zusammenspielen können, ist in
frühzeitig aufzubauen, ist es erforderlich, die notwendigen     Abb. 1 dargestellt. Um Kompetenzanforderungen an Be-
Kompetenzanforderungen an Beschäftigte in der Produkti-         schäftigte zu erfassen, kommt dem strategischen Kom-
on zu erfassen und Wege der Kompetenzentwicklung auf-           petenzmanagement eine besondere Bedeutung zu. Dabei
zuzeigen.                                                       werden Kompetenzentwicklungsbedarfe aus Trends im Un-
                                                                ternehmensumfeld, den Zielen des Unternehmens und der
                                                                Anpassung der Unternehmensstrukturen und Geschäftspro-

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Abb. 1 Vereinfachte Ablauf-
darstellung des betrieblichen
Kompetenzmanagements

zesse abgeleitet. Zusätzlich werden konkrete Tätigkeits-             disierungsgrad gekennzeichnet (Bouville und Alis 2014),
anforderungen berücksichtigt, die aus den Verantwortlich-            dennoch sind für die Ausführung der Tätigkeiten bestimm-
keiten der Beschäftigten sowie erwarteter Veränderungen              te Kompetenzen und Qualifikationen unabdingbar (Bell-
der Arbeitsabläufe und Aufgabeninhalte abgeleitet werden             mann et al. 2015; Schöpper-Grabe und Vahlhaus 2019). Bei
(Güth et al. 2018). Dabei ist im Unterschied zur klassi-             Untersuchungen zum strategischen Kompetenzmanagement
schen Arbeits- und Anforderungsanalyse nicht der Inhalt              konnte gezeigt werden, dass in klein- und mittelständischen
der einzelnen Aufgaben relevant (Das „Was“), sondern                 Unternehmen nur bei knapp 50 % der befragten Unterneh-
wie diese zielführend und erfolgreich bewältigt werden               men Aktivitäten zum strategischen Kompetenzmanagement
können (Das „Wie“) (Kauffeld und Paulsen 2018; Shipp-                für an- und ungelernte Beschäftigte stattfinden. Diese Akti-
mann et al. 2000). Die zukünftig stärkere Nutzung von                vitäten umfassen die Erstellung von Anforderungsprofilen,
DWAS in der industriellen Produktion ist ein sichtbares              die systematische Erfassung bestehender Kompetenzen und
Zeichen der zunehmenden Digitalisierung und ein aktueller            die Verfügbarkeit von Programmen zur Kompetenzentwick-
Trend, der zu neuen und veränderten Kompetenzbedarfen                lung. Für die Zielgruppe der Fachkräfte werden hingegen in
bei Produktionsbeschäftigten führen kann.                            knapp 90 % der Unternehmen Aktivitäten zum strategischen
   Zur Systematisierung der abgeleiteten Kompetenzan-                Kompetenzmanagement unternommen (Güth et al. 2018).
forderungen werden Kompetenzmodelle genutzt (Kauffeld                Dies zeigt, dass es für die Zielgruppe der an- und ungelern-
und Paulsen 2018). In Kompetenzmodellen werden sowohl                ten Beschäftigten einen erheblichen Bedarf und ein hohes
aktuell bedeutsame als auch zukünftig relevante Kompe-               Potenzial für die Verbesserung des strategischen Kompe-
tenzen berücksichtigt (Kauffeld und Paulsen 2018). Damit             tenzmanagements gibt.
werden Anforderungen an Beschäftigte einer bestimmten                   Wie in Abb. 1 dargestellt, schließt an die Identifikati-
Zielgruppe sichtbar und transparent gemacht. Eine Ord-               on der relevanten Kompetenzen die Kompetenzentwicklung
nungsstruktur für die identifizierten Kompetenzen bietet             mit den dazugehörigen Prozessen an, die den systemati-
beispielsweise die etablierte Unterteilung in die vier Kom-          schen Aufbau der benötigten Kompetenzen für die jeweili-
petenzfacetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkom-              ge Arbeitstätigkeit fördert (Melzer et al. 2019). Kompeten-
petenz (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018;               zentwicklungsmaßnahmen lassen sich anhand des Organi-
Sonntag und Schaper 1999). Kompetenzmodelle stellen oft              sationsgrades (Ist die Aktivität als Lernaktivität geplant?)
ein Bindeglied zwischen verschiedenen Human-Resource-                und der Lernintention (Ist Lernen intendiert?) in formale,
Prozessen dar und tragen zu einer effektiven Personal-               non-formale und informelle Kompetenzentwicklung unter-
arbeit bei. Ausgehend von Kompetenzmodellen werden                   scheiden (OECD 2007; Kauffeld und Paulsen 2018). Diese
weiterführende Maßnahmen des betrieblichen Kompetenz-                Unterscheidung ist in Abb. 2 dargestellt.
managements angestoßen, beispielsweise Maßnahmen des
Personalmarketings, der Personalauswahl und der Kompe-               2.1 Kompetenzen in der digitalisierten Arbeitswelt
tenzentwicklung (Kauffeld und Grote 2019; Kauffeld und
Paulsen 2018).                                                       In einer digitalisierten Arbeitswelt verändern sich die An-
   In der industriellen Produktion werden für einfache Tä-           forderungen, die an Beschäftigte gestellt werden. So ver-
tigkeiten (z. B. Montagetätigkeiten, Logistik) an vielen Stel-       weisen beispielsweise Windelband und Dworschak (2015)
len an- und ungelernte Beschäftigte eingesetzt. Viele dieser         darauf, dass die Industrie 4.0 Fachkräfte braucht, die in der
Tätigkeiten werden manuell durchgeführt und sind daher               Lage sind, in hochkomplexen, wandlungsfähigen und fle-
sehr personalintensiv (Hinrichsen et al. 2016). In unserem           xiblen Produktionssystemen Entscheidungen zu treffen und
Beitrag fokussieren wir auf Beschäftigte in den Gewerken             zu steuern, die Systeme instand zu halten und als Experten
Montage und Logistik, die einfache Tätigkeiten ausführen.            zu agieren. Dies zieht die Frage nach sich, welche Kompe-
Einfache Tätigkeiten sind meist durch einen hohen Standar-           tenzen dafür erforderlich sind.

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Abb. 2 Wege der Kompetenzentwicklung

   Nachfolgend werden bestehende Befunde zur Verände-              Weiterhin steigt die Anforderung an Beschäftigte, die ei-
rung der Kompetenzanforderungen in der digitalisierten Ar-      genen Prozesse und Ergebnisse in die digitalisierte und au-
beitswelt entlang der vier Facetten Fach-, Methoden-, So-       tomatisierte Arbeitsumgebung einordnen zu können (Ham-
zial- und Selbstkompetenz vorgestellt und Hypothesen ab-        mermann und Stettes 2016). Die Beschreibung dieser An-
geleitet. Die Anforderungen an digitale Kompetenzen wer-        forderungen wird in der Literatur unter der Kompetenz Pro-
den anschließend separat betrachtet. Wir gehen davon aus,       zessdenken zusammengefasst. Prozessdenken beschreibt ein
dass die etablierte Unterscheidung in Fach-, Methoden-, So-     fachliches Verständnis für vor- und nachgelagerte Schritte
zial- und Selbstkompetenz auch für die Systematisierung         im Arbeitsprozess. Dazu gehört auch, die Folgen des eige-
der Kompetenzanforderungen an Produktionsbeschäftigte           nen Handelns auf diese abschätzen zu können (Hillebrand
in der Industrie 4.0 ein geeignetes Rahmenmodell bietet         2018). Da bei dieser Anforderung das Fachwissen über den
und die identifizierten Kompetenzanforderungen diesen Fa-       gesamten Arbeitsprozess (eigene Tätigkeit inkl. vor- und
cetten zugeordnet werden können (Hypothese 1).                  nachgelagerter Prozessschritte) und das fachliche Verständ-
                                                                nis zum Ineinandergreifen der unterschiedlichen Arbeits-
2.1.1 Fachkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt          schritte im Fokus stehen, wird diese Kompetenz der Facette
                                                                Fachkompetenz zugeordnet.
Der Fachkompetenz werden aufgaben- und arbeitsplatzspe-            Aufbauend auf den dargestellten Untersuchungsergeb-
zifische Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse zugeord-      nissen gehen wir davon aus, dass als relevante Kompetenzen
net (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Diese      in der Facette Fachkompetenz mindestens die Kompetenzen
sind meist disziplinspezifisch und somit auf eine bestimm-      Fachwissen, handwerkliche Fähigkeiten und Prozessdenken
te berufliche Tätigkeit ausgerichtet. Veränderte Arbeitspro-    benannt werden (Hypothese 2).
zesse und -abläufe haben daher häufig die Anpassung der
Fachkompetenz zur Folge. Ebenso können daraus auch Ver-         2.1.2 Methodenkompetenz in der digitalisierten
änderungen der überfachlichen Kompetenzen resultieren.                Arbeitswelt
    In der industriellen Produktionsarbeit werden Materiali-
en und Güter verarbeitet, montiert, erstellt und das Ergebnis   Die Methodenkompetenz enthält Fähigkeiten und Fertigkei-
kontrolliert (Elkmann et al. 2015). Diese grundsätzliche An-    ten, die situationsübergreifend eingesetzt werden können.
forderung wird auch bei der Einführung von DWAS, die den        Diese Kompetenzen dienen der Strukturierung von Sach-
Beschäftigten mit der Bereitstellung von Informationen as-      verhalten (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018).
sistieren, als elementarer Bestandteil der Arbeitsaufgabe er-      In einer immer komplexer und digitaler werdenden Ar-
halten bleiben (Baethge-Kinsky 2020). Erste Untersuchun-        beitsumgebung gewinnt die Fähigkeit, komplexe Probleme
gen zeigen zwar, dass in Unternehmen mit einem hohen Di-        zu lösen, immer mehr an Bedeutung (Baethge-Kinsky 2020;
gitalisierungsgrad handwerkliche Fähigkeiten und techni-        Levy 2010; Promotorengruppe Kommunikation der For-
sches Fachwissen insgesamt als weniger bedeutsam einge-         schungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013). Problem-
schätzt werden (Hammermann und Stettes 2016), dennoch           lösefähigkeit beschreibt alle Aktivitäten der Suche nach ei-
wird den Kompetenzen für bestimmte Mitarbeitergruppen,          ner Lösung für ein Problem und ist ein mehrdimensionales
wie Produktionsmitarbeitenden, eine weiterhin hohe Bedeu-       Konstrukt (Schoppek und Fischer 2015). Es umfasst ein Set
tung zugesprochen (Baethge-Kinsky 2020; Hammermann              unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, die genutzt
und Stettes 2016).                                              werden, um nicht-routine Situationen erfolgreich zu bewäl-

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tigen (Fischer und Neubert 2015). Ein Kernaspekt dabei               2.1.4 Selbstkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt
ist die Problemanalyse, bei der das Problem erfasst und
Aufgaben und Zwischenziele für die Lösung des Problems               Die Selbstkompetenz beschreibt Fähigkeiten und Fertigkei-
entwickelt werden (Hesse et al. 2015). Erste Befunde zei-            ten, die zur Selbstorganisation und -steuerung genutzt wer-
gen, dass in digitalisierten Arbeitsumgebungen stärker als           den (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Dies
bisher eine theoriebasierte Herangehensweise bei der Pro-            umfasst in besonderem Maße Fähigkeiten, um den eige-
blemlösung im Sinne einer strukturierten Problemanalyse              nen Arbeitsplatz konstruktiv mitzugestalten, zu organisieren
und Datenanalyse notwendig wird (Baethge-Kinsky 2020).               und Verantwortung zu übernehmen (Kauffeld 2006). Diese
Außerdem gewinnt die sog. kollaborative Problemlösung                Detaillierung zeigt, dass sowohl Aspekte der Motivation als
an Bedeutung (Hesse et al. 2015), da komplexe Probleme               auch der Verantwortung in dieser Facette verortet werden
häufig nicht mehr von einer Person allein bewältigt wer-             können.
den können, sondern das Zusammenarbeiten unterschiedli-                 Die gerade benannten Inhaltspunkte der Selbstkompe-
cher Personen erforderlich macht (Zeller et al. 2010). An            tenz finden sich in ähnlicher Form in der aktuellen Dis-
dieser Stelle wird deutlich, dass die Methodenkompetenz              kussion um veränderte Kompetenzanforderungen in der In-
Problemanalyse nicht nur eine Verknüpfung zur digitalen              dustrie 4.0 wieder. Hier wurde vor allem eine zunehmende
Kompetenz im Sinne einer Datenanalysekompetenz, son-                 Bedeutung von selbstgesteuertem Handeln und Selbstorga-
dern auch zur Sozialkompetenz aufweist.                              nisation prognostiziert (Promotorengruppe Kommunikati-
   Basierend auf den vorgestellten Befunden gehen wir da-            on der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013)
von aus, dass in der Facette Methodenkompetenz mindes-               sowie eine höhere Bereitschaft, die eigenen Arbeitstätig-
tens Analysefähigkeit als relevante Kompetenz benannt wird           keiten eigenständig und eigenverantwortlich zu organisie-
(Hypothese 3).                                                       ren (Hammermann und Stettes 2016). Diese Ausführungen
                                                                     sprechen für einen höheren Bedarf, eigeninitiativ Verant-
2.1.3 Sozialkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt             wortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und für
                                                                     die Konsequenzen des eigenen Handelns einzustehen.
Die Sozialkompetenz umfasst Fähigkeiten und Fertigkei-                  Dass Beschäftigte in ihrem Berufsleben immer häufiger
ten für die erfolgreiche Gestaltung und Bewältigung sozia-           mit Veränderungen konfrontiert sind, ergibt sich nicht nur
ler Interaktions- und Kooperationssituationen (vgl. Kauffeld         aus der zunehmenden und neuen Art der Digitalisierung,
2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Elementare Dimensio-               sondern liegt auch in bereits bekannten und weiter anhalten-
nen dabei sind beispielsweise die Kommunikations-, Ko-               den Trends wie veränderten Produktionstechniken, immer
operations- und Koordinationsfähigkeit (Schaper 2004).               kürzeren Produktlebenszyklen und einer stärkeren Indivi-
   In der Diskussion um veränderte Kompetenzanforderun-              dualisierung der Produkte begründet (Abele et al. 2017; Dil-
gen in der Industrie 4.0 wurde vor allem eine zunehmende             lerup et al. 2019). Damit Beschäftigte bei diesen Verände-
Bedeutung der kommunikativen Kompetenz prognostiziert                rungen Schritt halten und sich immer wieder auf sich verän-
(Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion                  dernde Rahmenbedingungen einstellen können, benötigen
Wirtschaft – Wissenschaft 2013). Wie im vorherigen Ab-               sie ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft (Leimeis-
schnitt beschrieben, sind aufgrund digital-verketteter Pro-          ter und David 2019a). Veränderungsbereitschaft wird dabei
zesse viele der auftretenden Probleme nur in Zusammenar-             verstanden als Neugier und Offenheit gegenüber Neuem so-
beit mit anderen Personen lösbar. Dadurch gewinnt die er-            wie einer daraus resultierenden Eigeninitiative und Lernmo-
folgreiche Gestaltung dieser Interaktionssituationen an Be-          tivation zur Aktualisierung und Veränderung eigener Hand-
deutung. In Unternehmensfallstudien konnte der steigende             lungsweisen und Wissensbestände (Hillebrand 2018).
Bedarf für Kommunikation und gegenseitige Unterstützung                 Aufbauend auf den vorgestellten Erkenntnissen gehen
in der digitalen Arbeitswelt belegt werden (Baethge-Kinsky           wir davon aus, dass für die Facette Selbstkompetenz min-
2020). Weiterhin weisen erste Untersuchungen darauf hin,             destens die Dimensionen Eigenverantwortung und Verän-
dass Mitarbeitende aufgrund von flexiblen Arbeitsorganisa-           derungsbereitschaft benannt werden (Hypothese 5).
tionen und dezentralen Entscheidungsstrukturen zukünftig
mehr Kooperationsbereitschaft und eine stärkere Kommu-               2.1.5 Digitale Kompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt
nikationskompetenz benötigen (Hammermann und Stettes
2016).                                                               Während die Begrifflichkeiten der zuvor beschriebenen
   Aufbauend auf der vorgestellten Literatur gehen wir da-           Kompetenzfacetten einheitlich definiert sind, besteht bei di-
von aus, dass als relevante Kompetenzen in der Facette               gitalen Kompetenzen eine große Diversität von Begrifflich-
Sozialkompetenz mindestens Kommunikationsfähigkeit und               keiten und Definitionen (Oberländer et al. 2020). Im engli-
Kooperationsfähigkeit benannt werden (Hypothese 4).                  schen Sprachraum dominieren die Begriffe digital literacy
                                                                     und digital competence die wissenschaftliche Diskussion.

                                                                                                                       K
208                                                                                                V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld

Unter digital literacy wird dabei die grundsätzliche Fähig-          Auch die Kompetenz zur Informations- und Datenver-
keit verstanden, Informationen aus unterschiedlichen digi-        arbeitung im Sinne einer gezielten und kritischen Nutzung
talen Quellen zu lesen, zu verstehen und zu nutzen (Baw-          des Internets zur Suche nach relevanten Inhalten wird in
den 2008; Gilster 1997). Damit handelt es sich um eine            unterschiedlichen Studien als relevant identifiziert. Dazu
Weiterentwicklung des Alphabetisierungsgedankens (li-             gehören auch das Wissen und das Bewusstsein für Daten-
teracy), der grundsätzlich die Fähigkeiten zusammenfasst,         schutz und Datensicherheit im betrieblichen Kontext (Ham-
relevante Informationen unabhängig von einem bestimmten           mermann und Stettes 2016; Oberländer et al. 2020).
Format oder Medium zu lesen, zu schreiben, zu verstehen              Bereits bei den Sozialkompetenzen wurde darauf hinge-
und entsprechend zu nutzen. Diese Betrachtung geht über           wiesen, dass durch eine flexible Arbeitsorganisation kom-
eine reduzierte Sichtweise von Fähigkeiten zum erfolgrei-         munikative und kooperative Kompetenzen zukünftig an Be-
chen Umgang mit digitalen Informationen hinaus (Bawden            deutung gewinnen. Unter Einbezug der digitalen Möglich-
2008). Digital competence wird definiert als „confident,          keiten, wie DWAS zur Abstimmung innerhalb des Teams
critical and creative use of ICT [Information and Com-            oder über Teamgrenzen hinweg, kann es zusätzlich erfor-
munication Technology] to achieve goals“ (Ferrari 2012,           derlich werden, räumlich flexibel oder virtuell mit anderen
S. 1). Die Ziele, die durch den Einsatz von Informations-         Personen zusammenzuarbeiten oder die Arbeit zu organi-
und Kommunikationstechnologien erreicht werden sollen,            sieren (Kauffeld et al. 2016; Kauffeld und Maier 2020). In
können dabei in unterschiedlichen Arbeits- und Lebens-            diesem Zusammenhang können neue Kompetenzen bei der
bereichen liegen. Bei dieser Definition steht die konkrete        digitalen Kommunikation und Kooperation, beispielsweise
Anwendung der Informations- und Kommunikationstech-               Kenntnisse zur guten und effektiven Gestaltung von Text-
nologien stärker im Fokus als bei der Definition der digital      und Sprachnachrichten, notwendig werden (Hammermann
literarcy. Im deutschsprachigen Raum finden sich neben            und Stettes 2016; Kauffeld et al. 2016; Oberländer et al.
dem Begriff digitale Kompetenzen auch die Begrifflich-            2020).
keiten Digitalkompetenz (im Sinne einer Problemlösekom-              Aufbauend auf den vorgestellten Erkenntnissen gehen
petenz im Zusammenhang mit digitalen Technologien;                wir davon aus, dass als relevante digitale Kompetenzen
z. B. Wicht et al. 2018) oder IT-Kompetenz (im Sinne ei-          mindestens die Dimensionen IT-Anwendungskompetenz,
nes kompetenten Umgangs mit Informationstechnologien              Informations- und Datenverarbeitungskompetenz, Daten-
sowie Kenntnissen über die Technologien, den Umgang               schutz und Datensicherheit sowie digitale Kommunikation
mit Daten, IT-Sicherheit und Datenschutz, z. B. Ulber und         und Kooperation benannt werden (Hypothese 6).
Remmers 2019).
    Wir betrachten in unserem Kompetenzmodell digitale            2.2 Wege der Kompetenzentwicklung im
Kompetenzen im Arbeitskontext und orientieren uns im                  betrieblichen Kontext
Folgenden an der Definition von Oberländer et al.: „Di-
gital competencies at work are a set of basic knowledge,          Durch digitalisierte und automatisierte Prozessabläufe so-
skills, abilities, and other characteristics that enable people   wie die verstärkte Nutzung und Anwendung von DWAS
at work to efficiently and successfully accomplish their job      verändern sich Arbeitsprozesse in der Produktion. Beschäf-
tasks regarding digital media at work.“ (Oberländer et al.        tigte sehen sich mit veränderten und teilweise höheren An-
2020, S. 5). Dabei handelt es sich um eine relativ breite De-     forderungen konfrontiert. Die veränderten Anforderungen
finition, die die Anwendung sämtlicher Informations- und          und der Wunsch von Unternehmen, die Beschäftigten fle-
Kommunikationstechnologien im Arbeitskontext beinhal-             xibler und an unterschiedlichen Arbeitsstationen einsetzen
tet.                                                              zu können, führen dazu, dass zunehmend Weiterbildungen
    In der Industrie 4.0 gewinnen durch die vermehrte Nut-        auch für an- und ungelernte Beschäftigte angeboten werden
zung und Einbindung digitaler Technologien wie beispiels-         (Schöpper-Grabe und Vahlhaus 2019).
weise DWAS, vor allem Kompetenzen zur Anwendung und                  Der Aufbau der benötigten Kompetenzen kann, wie in
effektiven Nutzung dieser Technologien an Bedeutung. Dies         Abb. 2 dargestellt, mit formalen, non-formalen oder infor-
betrifft den Umgang mit Hardware- und Softwarekompo-              mellen Lernprozessen erfolgen. Bisherige Erkenntnisse zu
nenten (Acatech 2016; Hammermann und Stettes 2016;                Kompetenzentwicklungsmaßnahmen für den Aufbau rele-
Oberländer et al. 2020). Dazu gehört auch ein generelles          vanter Kompetenzen in der Industrie 4.0 zeigen, dass Un-
Verständnis über den Aufbau, die Funktionalitäten und die         ternehmen vor allem formale Weiterbildungsformate ein-
Funktionsprinzipien digitaler Systeme (Ostermeier et al.          setzen. Besonders relevant sind unternehmensinterne und
2018). Die allgemeine Zunahme der Bedeutung dieser                unternehmensexterne Weiterbildungen (Acatech 2016). Bei
Kompetenzen ist in allen Fachbereichen und unabhängig             der Zielgruppe der an- und ungelernten Beschäftigten findet
von der Unternehmensgröße spürbar (Hammermann und                 Lernen vor allem non-formal als Unterweisung durch Kol-
Stettes 2016).                                                    legen oder Vorgesetzte statt. Lehrveranstaltungen oder das

K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0                                                          209

selbstgesteuerte Lernen mit Medien (z. B. Wikis oder inter-             Welche Kompetenzen sind für Mitarbeitende in der Pro-
aktive Online-Lernprogramme) werden in der industriellen                 duktion im Jahr 2025 besonders wichtig?
Praxis für an- und ungelernte Beschäftigte nur selten ein-              Wie erfolgt die Kompetenzentwicklung/Qualifizierung
gesetzt (Acatech 2016; Kortsch et al. 2019; Schöpper-Gra-                von Produktionsmitarbeitenden im Jahr 2025?
be und Vahlhaus 2019). Dennoch legen Studien nahe, dass
die zunehmende Digitalisierung neue Chancen für betrieb-                Die Interviewfragen wurden offen gestellt, ohne dass den
liches Lernen entstehen lässt (Dehnbostel 2019) und digi-            Teilnehmenden Antwortmöglichkeiten vorgegeben wurden.
tale Formate zur Kompetenzentwicklung relevanter werden              Ziel war es, die Annahmen der einzelnen Interviewten
(Kortsch et al. 2019; mbb Institut 2019). Mitarbeitende er-          möglichst breit zu erfassen und Einschränkungen oder
halten durch Digitalisierung und DWAS neue Möglichkei-               Meinungsbildung durch präsentierte Antwortmöglichkeiten
ten, um selbstständig neues Wissen aufzubauen (Kortsch               auszuschließen.
et al. 2019; Leimeister und David 2019b). Dadurch könnte
das selbstgesteuerte Lernen mit Medien als ein Weg non-              3.2 Beschreibung der Stichprobe
formaler Kompetenzentwicklung in der Produktionsarbeit
zukünftig an Bedeutung gewinnen.                                     In den Interviews wurden die Sichtweisen unterschiedli-
   Den vorgestellten Befunden folgend gehen wir davon                cher Expert/innen aus der Wissenschaft, der Politik und
aus, dass als Wege der formalen Kompetenzentwicklung                 der betrieblichen Praxis (Planer/innen, Betriebsrat, Mitar-
mindestens interne und externe Kurse benannt werden (Hy-             beitende in der Produktion aus einem fertigenden Unterneh-
pothese 7). Bei non-formalen Wegen der Kompetenzent-                 men mit variantenreicher Produktion) aufgenommen. Der
wicklung werden mindestens das Anlernen durch Kollegen               Einbezug unterschiedlicher Blickwinkel bei der Ermittlung
und Vorgesetzte und das selbstgesteuerte Lernen mit digita-          der notwendigen Kompetenzen führt bei der Ableitung zu-
len Medien benannt (Hypothese 8).                                    künftig relevanter Kompetenzen zu einem realistischeren
                                                                     Gesamtbild (Klug 2011). Die Identifikation und Rekrutie-
                                                                     rung der relevanten Expertengruppen erfolgte anhand einer
3 Methode                                                            kriteriengeleiteten Auswahlstrategie (Akremi 2019; Okoli
                                                                     und Pawlowski 2004). Dem lag die Annahme zugrunde,
In diesem Abschnitt werden die Datengewinnung und die                dass die fünf Expertengruppen in unterschiedlicher Weise
Stichprobe vorgestellt. Weiterhin werden das Vorgehen bei            Einfluss auf die Verbreitung und Nutzung von DWAS im
der Datenaufbereitung und bei der Auswertung der qualita-            betrieblichen Kontext nehmen und damit Einfluss auf die
tiven Daten beschrieben.                                             Veränderung der Arbeitsgestaltung und die damit verbun-
                                                                     denen Arbeitsanforderungen haben. So können Politische
3.1 Beschreibung des Interviewleitfadens                             Akteure rechtliche Rahmenbedingungen für die betriebli-
                                                                     che Nutzung von DWAS festlegen. Planer/innen können
Um zukünftig bedeutsame Kompetenzen für Mitarbeitende                durch die Auswahl der jeweiligen Technologie, das Festle-
in der Produktion sowie Wege der Kompetenzentwicklung                gen der Einsatzszenarien und die Einführung der DWAS in
zu erfassen, wurden halbstrukturierte Interviews durchge-            den Arbeitsprozess Einfluss auf die Gestaltung von Arbeit
führt. Die Interviews beinhalteten fünf thematische Schwer-          nehmen und dadurch veränderte Kompetenzanforderungen
punkte: (1) Anwendungsmöglichkeiten von DWAS, (2) Ver-               für Beschäftigte in der Produktion schaffen. Zur Bedeutung
änderungen der Arbeitsaufgaben und -inhalte, (3) Zusam-              der einzelnen Expertengruppen sowie für eine Beschrei-
menarbeit und Führung, (4) Kompetenzen und Qualifizie-               bung zur Vorgehensweise bei der Identifikation und Rekru-
rung, (5) SWOT-Analyse. Der Interviewleitfaden bestand               tierung siehe auch Blumberg und Kauffeld (2020).
aus vorab formulierten Fragen, die im Rahmen des Inter-                 In Summe wurden 76 Interviews von der Erstautorin des
views gestellt wurden. Die über alle Interviews festgelegte          Artikels durchgeführt. Die Interviews waren Teil einer Del-
Struktur ermöglichte eine vergleichende Auswertung der               phi-Studie und dienten als qualitative Vorrunde. Bei der
Interviewdaten (Renner und Jacob 2020). Zusätzlich war es            Konzeption der qualitativen Vorrunde wurde den Empfeh-
durch die Nutzung halbstrukturierter Interviews möglich,             lungen von Okoli und Pawlowski (2004) gefolgt, die beim
individuell auf den jeweiligen Interviewverlauf zu reagie-           Einbezug unterschiedlicher Expertengruppen zwischen 10
ren, die Reihenfolge von Fragen anzupassen und optional              und 18 Interviews je Gruppe empfehlen.
vertiefende Nachfragen zu stellen (Qu und Dumay 2011;                   Als demografische Variablen wurden das Alter der Be-
Renner und Jacob 2020).                                              fragten und die Berufserfahrung in Jahren erhoben. Bei-
   Für die vorliegende Studie waren die folgenden Leitfra-           de Variablen wurden den datenschutzrechtlichen Bestim-
gen aus dem Themengebiet (4) Kompetenzen und Qualifi-                mungen des Unternehmens folgend kategorial erhoben. Die
zierung relevant:                                                    Verteilung der demografischen Variablen ist in Tab. 1 dar-

                                                                                                                      K
210                                                                                                   V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld

Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe
Demografische             Wissenschaft        Politische Akteure     Planer/in      Betriebsrat      Anwendende         Gesamt
Variablen                 (n = 16)            (n = 14)               (n = 17)       (n = 14)         (n = 15)           (n = 76)
Alter (in    21–30        2                   2                      7              –                6                  17
Jahren)      31–40        2                   4                      5              1                7                  19
             41–50        4                   4                      4              6                –                  18
             51–60        5                   3                      1              6                2                  17
             > 60         3                   1                      –              –                –                  4
Berufs-      0–4          1                   –                      6              –                –                  7
erfahrung    5–9          –                   3                      2              1                4                  10
(in
Jahren)      10–14        3                   3                      2              –                3                  11
             15–19        2                   –                      3              –                5                  10
             > 19         10                  8                      4              12               3                  37
Eine Person machte keine Angaben zum Alter und der Berufserfahrung

gestellt. Es fällt auf, dass die Altersverteilung der Teilneh-       und Paulsen 2018; OECD 2007). Die aus der Literatur ab-
menden über vier der fünf Altersgruppen relativ ähnlich ist.         geleiteten Subkategorien dienten als erstes Grundgerüst bei
Einzig die Altersgruppe > 60 Jahre weist eine eher gerin-            der Kodierung. Auch bei der Entwicklung dieses Kategori-
ge Teilnehmerzahl auf (n = 4). In dieser Altersgruppe sind           ensystems wurden relevante Textabschnitte, die keiner be-
nur Teilnehmende der Gruppen Wissenschaft und Politische             stehenden Kategorie zugeordnet werden konnten, zunächst
Akteure vorhanden. Ein Großteil der Interviewteilnehmen-             der Kategorie Sonstiges zugeordnet. Vor einem zweiten Ko-
den gibt zudem an, über eine langjährige Berufserfahrung             diervorgang wurde diese Kategorie gesondert betrachtet und
(> 19 Jahre) zu verfügen.                                            unter Einbezug von Erkenntnissen aus der Literatur weitere
                                                                     Kategorien erstellt.
3.3 Datenaufbereitung und Vorgehen bei der                               Zur Ermittlung der Güte des Kodierprozesses mit den
    Erstellung der Kategoriensysteme                                 vorliegenden Kategoriensystemen wurde die Intercoder-Re-
                                                                     liabilität (Kappa, κn Brennan und Prediger 1981) ermit-
Die Aufbereitung der Interviewdaten erfolgte mit der Soft-           telt. Nach einer ersten Kodierschulung wurden sechs zu-
ware MAXQDA (VERBI Software 2017). Die Transkrip-                    fällig ausgewählte Interviews von zwei Kodierern bearbei-
tion der Interviews erfolgte anhand der inhaltlich-semanti-          tet und für die kodierten Textstellen Kappa ermittelt. Für
schen Transkriptionsregeln (Dresing und Pehl 2018). Zur              die kodierten Interviews wurde ein Kappa von κ = 0,83 er-
Aufbereitung und Strukturierung des Datenmaterials wur-              reicht. Eine Übereinstimmung von κ > 0,80 kann als starke
de die qualitative strukturierende Inhaltsanalyse (Steigleder        Übereinstimmung bewertet werden (Rädiker und Kuckartz
2008) angewendet.                                                    2019).
    Als Grundlage für die Entwicklung des Kategoriensys-
tems zu Kompetenzen in der Industrie 4.0 dienten die vier
Facetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz               4 Ergebnisse
(vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018; Sonntag
und Schaper 1999). Aufgrund der besonderen Betrachtung               In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Befragung
digitaler Technologien im Produktionskontext wurde zu-               vorgestellt. Dazu wird zunächst das Kategoriensystem zu
sätzlich die Kategorie digitale Kompetenz als Querschnitts-          relevanten Kompetenzen für Produktionsbeschäftigte vor-
kompetenz zu den vier bestehenden Kompetenzfacetten er-              gestellt. Anschließend werden Unterschiede und Gemein-
gänzt. Die aus der Literatur abgeleiteten Kompetenzen wur-           samkeiten bei den Antworten der befragten Expertengrup-
den als erstes Grundgerüst für die Kodierung genutzt. Iden-          pen deskriptiv beschrieben. Abschließend werden die iden-
tifizierte Textabschnitte, die keiner dieser Kategorien zuge-        tifizierten Kategorien für Wege der Kompetenzentwicklung
ordnet werden konnten, wurden je Kompetenzfacette einer              dargestellt und Unterschiede und Gemeinsamkeiten der be-
Kategorie Sonstiges zugeordnet. Vor einem zweiten Kodier-            fragen Expertengruppen vorgestellt.
vorgang wurden diese gesichtet, neue Kategorien herausge-
arbeitet und mit Erkenntnissen aus der Literatur ergänzt.            4.1 Kompetenzen für die Produktionsarbeit in der
    Für die Entwicklung des Kategoriensystems zu Wegen                   Industrie 4.0 mit DWAS
der Kompetenzentwicklung wurde, wie in Abb. 2 darge-
stellt, auf die Einteilung in formale, non-formale und in-           Nachfolgend wird das erstellte Kompetenzmodell beschrie-
formelle Kompetenzentwicklung zurückgegriffen (Kauffeld              ben und die formulierten Hypothesen überprüft.

K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0                                                           211

4.1.1 Kompetenzmodell                                                keit im Vordergrund, sich auf unterschiedliche nicht-routi-
                                                                     ne Situationen einstellen zu können und unterschiedliche
Als Ergebnis der Kodiervorgänge entstand ein positionss-             Strategien für deren Bewältigung zu entwickeln. Die er-
pezifisches Kompetenzmodell (vgl. Klug 2011), das spezi-             folgreiche Bewältigung der nicht-routine Situationen macht
fische Anforderungen an Produktionsbeschäftigte der Ge-              es erforderlich, dass Beschäftigte unterschiedliches Wissen
werke Montage und Logistik in der Industrie 4.0 und beim             verknüpfen, reflektieren und auf die aktuelle Situation an-
Umgang mit DWAS umfasst. Das Kompetenzmodell ist in                  passen. Diese Anforderung wird auch im folgenden Zitat
Abb. 3 dargestellt.                                                  deutlich.
    In Summe wurden 18 Kompetenzen identifiziert. Da-
                                                                       Also man programmiert einen Standardablauf so wie
von sind sieben Kompetenzen der Querschnittskompe-
                                                                       er sein sollte, das dauert so 5 % der Zeit, und die
tenz digitale Kompetenzen zugeordnet. Die identifizierten
                                                                       restlichen 95 % programmiert man Ausnahmen. Al-
Kompetenzen konnten den etablierten Facetten der Fach-,
                                                                       so was passiert, wenn etwas vorkommt, was eigent-
Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz zugeordnet wer-
                                                                       lich nicht vorgesehen war. [...] Und diese Liste dieser
den. Damit zeigt sich, dass auch im Zuge veränderter
                                                                       Ausnahmen [...] wird niemals vollständig sein. Und
Anforderungen und einer zunehmenden Bedeutung digi-
                                                                       damit umzugehenlernen, erfordert ganz klar wesent-
taler Kompetenzen die Unterteilung in Fach-, Methoden-,
                                                                       lich mehr Kompetenz. Man muss ein bisschen Ah-
Sozial- und Selbstkompetenz als Systematisierung für
                                                                       nung von Informatik haben, man muss den Herstel-
Kompetenzmodelle genutzt werden kann. Hypothese 1
                                                                       lungsprozess begreifen, aber in erster Linie muss man
kann damit nicht abgelehnt werden.
                                                                       das tun, was Menschen am besten können oder was
    Für die Facette Fachkompetenz wurden Fachwissen,
                                                                       sie besser können als Computer und das ist reflektiert
handwerkliche Fähigkeiten und Prozessdenken als relevan-
                                                                       zu handeln. Nicht Knöpfe drücken, sondern verstehen.
te Kompetenzen identifiziert. Die gefundenen Kompetenzen
                                                                       (Interview 21, Planer/in)
stimmen mit den aus der Literatur abgeleiteten, bedeutsa-
men Kompetenzen für Produktionsbeschäftigte überein.                 Hypothese 3 kann daher nicht abgelehnt werden. Die aus
Daher kann Hypothese 2 nicht abgelehnt werden.                       der Literatur abgeleitete Kompetenz Analysefähigkeit kann
    Für die Facette Methodenkompetenz wurde, wie aus der             um die Dimension Strategienflexibilität ergänzt werden.
Literatur abgeleitet, die Kompetenz Analysefähigkeit be-                Für die Facette Sozialkompetenz wurden die Kompeten-
nannt. Zusätzlich wurde die Kompetenz Strategienflexibi-             zen Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit
lität identifiziert. Bei Strategienflexibilität steht die Fähig-     benannt. Dies entspricht den aus der Literatur abgeleiteten

Abb. 3 Kategoriensystem Kompetenzen

                                                                                                                      K
212                                                                                               V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld

Kompetenzen. Hypothese 4 kann daher nicht abgelehnt             werden als eine Kompetenz, die sich aus mehreren un-
werden.                                                         terschiedlichen Kompetenzen zusammensetzt (Erpenbeck
    Für die Facette Selbstkompetenz wurden die Kompeten-        2012). Wie aus der Literatur abgeleitet, konnten die Kom-
zen Veränderungsbereitschaft und Eigenverantwortung aus         petenzen Informations- und Datenverarbeitungskompetenz,
der Literatur abgeleitet. Diese konnten durch die Daten aus     Datenschutz/Systemsicherheit, Allgemeine IT-Anwendungs-
den Interviews bestätigt werden. Darüber hinaus wurden          kompetenz und Digitale Kommunikation und Kooperation
die Kompetenzen Belastbarkeit und Standpunkt vertreten          identifiziert werden. Darüber hinaus wurden die Kompeten-
identifiziert.                                                  zen Erstellung digitaler Inhalte, digitale Problembehebung
    Belastbarkeit ist die Fähigkeit, bei physischen und/oder    und digitale Selbstachtsamkeit identifiziert.
psychischen Anforderungen der Arbeitsumwelt zielorien-             Die Kompetenz Erstellung digitaler Inhalte knüpft an
tiert zu handeln und diese erfolgreich zu bewältigen. Anfor-    die dargestellte Definition der digital literacy an. Hier wird
derungen können aus den bestehenden Arbeitsbedingungen,         explizit auf das Schreiben bzw. das Erstellen von Inhal-
der Arbeitsumwelt oder den sozialen Interaktionen (Kon-         ten in digitalen Arbeitskontexten eingegangen. Dies um-
flikten) entstehen. Belastbarkeit beinhaltet auch einen posi-   fasst sowohl das Aufschreiben und Bereitstellen von In-
tiven Umgang mit Risiken, Unbestimmtheiten und Wider-           formationen zum Arbeitsprozess oder -ablauf, wie es im
sprüchen sowie die Fähigkeit, daraus Ansätze für die Selbst-    nachfolgenden Zitat dargestellt wird, als auch rudimentäre
entwicklung zu ziehen (Heyse 2007). Das nachfolgende Zi-        Programmierkenntnisse. Damit kommt den Produktionsbe-
tat zeigt, dass Effizienzsteigerung und Leistungsdruck neue     schäftigten keinesfalls nur ein passiver Part im Umgang mit
Anforderungen sein können, mit denen die Beschäftigten          den dargestellten und bereitgestellten Informationen durch
umgehen können müssen.                                          DWAS zu. Vielmehr unterstreicht es die Anforderung an
                                                                Beschäftigte, sich selbst aktiv in die Erstellung von Inhal-
  Und wenn [...] natürlich dieses Schnelllebige dazu-
                                                                ten, das Teilen von Wissen und Informationen sowie die
  kommt, dann wird das wieder für die [Anmerkung:
                                                                Gestaltung des Unternehmens einzubringen.
  für die Mitarbeitenden] auch zusätzlicher [...] Leis-
  tungsdruck [...]. Das ist der eine Punkt. Damit muss            Und über solche zum Beispiel Unternehmenswikis
  man schauen, dass man damit umgehen kann. (Inter-               oder Social Media-Formen im Unternehmen: Da sind
  view 15, Planer/in)                                             natürlich nicht nur die Leitungsebenen gefordert, da
                                                                  was einzustellen, sondern in gleichem Maße stellen
Die Kompetenz Standpunkt vertreten beschreibt, dass Be-
                                                                  auch die Mitarbeiter was ein, zum Beispiel was sie
schäftigte zukünftig vermehrt in der Lage sein müssen, ih-
                                                                  gerade bemerken im Bereich der Montage oder was
ren Standpunkt, ihre Meinung oder ihre Interessen in einem
                                                                  sie bemerken im Bereich der Produktion, der Quali-
Diskurs mit anderen zu vertreten. Dies geht damit einher,
                                                                  tät der Werkzeuge, der Qualität der Vorprodukte oder
dass Beschäftigte die Konsequenzen der Handlungen ande-
                                                                  des häufigen Wechsels oder den Ausfällen von Ma-
rer erfassen, verstehen und reflektieren müssen sowie Aus-
                                                                  schinen oder die gute Laufzeit von einer bestimmten
wirkungen daraus für die eigene Arbeitstätigkeit ableiten
                                                                  Maschine. (Interview 4, Politischer Akteur)
und eine Position beziehen müssen (Hillebrand 2018). Das
bewusste Positionieren ist im folgenden Zitat erkennbar:        Bei der Kompetenz digitale Problembehebung wird die dar-
                                                                gestellte Definition zur Digitalkompetenz aufgegriffen, in
  Dann entwickle ich meine eigenen Arbeitsprozesse
                                                                der vor allem die Problemlösung im Zusammenhang mit
  weiter. Ich müsste auch ein Stück weit Politiker sein,
                                                                digitalen Technologien betrachtet wird (Wicht et al. 2018).
  ich müsste dann auch Einfluss darauf nehmen, in wel-
                                                                Zur digitalen Problembehebung zählen beispielswiese das
  che Richtung sich das entwickelt. (Interview 20, Po-
                                                                Reparieren eines technischen Gerätes oder das Aufladen
  litischer Akteur)
                                                                eines Akkus, aber auch die Fähigkeit mit angezeigten Feh-
Hypothese 5 kann daher nicht abgelehnt werden. Neben            lermeldungen umzugehen.
den in der Literatur benannten Selbstkompetenzen Verän-
                                                                  Ich sage einfach mal, wir möchten was einführen und
derungsbereitschaft und Eigenverantwortung konnten die
                                                                  du gehst zum Beispiel eine Woche auf eine Schu-
Kompetenzen Belastbarkeit und Standpunkt vertreten iden-
                                                                  lung, wo du mit diesen Systemen Vor- und Nachtei-
tifiziert werden.
                                                                  le und einwandfreies Arbeiten anwenden kannst, in-
    Für die digitale Kompetenz wurden sieben relevante
                                                                  klusive der verschiedensten Möglichkeiten, natürlich
Kompetenzdimensionen ermittelt, die ebenfalls den vier
                                                                  auch Anwenderfehler oder Systemprobleme selbst be-
Facetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz
                                                                  heben können. Ich sage mal, die Tendenz geht da hin
zugeordnet werden konnten. Damit zeigt sich, dass digitale
                                                                  in Richtung Digitalisierung und Systeme und Rech-
Kompetenz als Querschnittskompetenz beschrieben wer-
                                                                  ner [...]. Das heißt natürlich, wenn irgendwo dann Pro-
den kann. Eine Querschnittskompetenz kann verstanden

K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0                                                           213

   bleme sein sollten, müsste der Mitarbeiter am besten                  Warum lerne ich nicht damit umzugehen, und zwar so
   diese auch selbst [...] lösen können. (Interview 43,                  in Maßen, dass es mir nicht schadet? (Interview 46,
   Anwendende)                                                           Betriebsrat)

Weiterhin wurde die Kompetenz digitale Selbstachtsamkeit              Neben den aus der Literatur abgeleiteten Kompetenzen
aus den Interviews heraus identifiziert. Digitale Selbstacht-         Informations- und Datenverarbeitungskompetenz, Daten-
samkeit wird definiert als die Fähigkeit bei der Anwendung            schutz/Systemsicherheit, allgemeine IT-Anwendungskompe-
und Nutzung digitaler Technologien im Arbeitskontext Ri-              tenz und digitale Kommunikation und Kooperation konnten
siken zu erkennen und entsprechende Konsequenzen abzu-                außerdem die Kompetenzen Erstellung digitaler Inhalte,
leiten, um die eigene physische und psychische Gesundheit             digitale Problembehebung und digitale Selbstachtsamkeit
und das eigene Wohlbefinden zu schützen. Dies wird in den             generiert werden. Hypothese 6 kann daher nicht abgelehnt
folgenden Zitaten verdeutlicht.                                       werden.
   Wenn die mobilen Endgeräte oder auch Wearables
                                                                      4.1.2 Deskriptive Gruppenvergleiche für Kompetenzen in
   dann zum Einsatz kommen, dann müssen die Mit-
                                                                            der Industrie 4.0
   arbeiter dafür auch sensibilisiert werden, wann sie
   das selbst [..] ausschalten. [...] Ja, also die müssen
                                                                      Bei der Nennung der einzelnen Kompetenzen sind Unter-
   eine Befähigung entwickeln, selber, und da kann der
                                                                      schiede zwischen den fünf befragten Expertengruppen er-
   Arbeitgeber dann tatsächlich auch unterstützen, dass
                                                                      kennbar. In Abb. 4 ist die Verteilung der Nennhäufigkeiten
   sie diese Entgrenzung zwischen Privatleben und Ar-
                                                                      für die Kompetenzen aus den Facetten Fach-, Methoden-,
   beitsleben selbst vornehmen können und dazu auch
                                                                      Sozial- und Selbstkompetenz dargestellt. Abgetragen ist die
   ermächtigt werden, das auch durchzusetzen. (Inter-
                                                                      prozentuale Häufigkeit der Nennungen einer bestimmten
   view 9, Politischer Akteur)
                                                                      Kompetenz je Expertengruppe. Mehrfachnennungen der-
                                                                      selben Kompetenz in einem Interview wurden nur einmal

Abb. 4 Deskriptive Auswertung Nennungen je Expertengruppe für relevante Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz

                                                                                                                        K
214                                                                                                          V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld

Abb. 5 Deskriptive Auswertung Nennungen je Expertengruppe für relevante digitale Kompetenzen (Hinweis: Bei der Kompetenzdimension Da-
tenschutz/Systemsicherheit liegen die Datenpunkte für die Gruppen Politische Akteure und Betriebsrat aufeinander (mit jeweils 2 Nennungen))

gezählt. Somit bedeutet ein Wert von 100 %, dass eine be-              und Eigenverantwortung benannt. Die Kompetenz eigenen
stimmte Kompetenz von allen Interviewteilnehmenden ei-                 Standpunkt vertreten wird von den Expertengruppen Wis-
ner bestimmten Expertengruppe benannt wurde, 0 % be-                   senschaft, Politische Akteure, Betriebsrat und Planer/in sel-
deutet, dass die jeweilige Kompetenz von einer bestimmen               ten und von Anwendenden gar nicht benannt.
Expertengruppe gar nicht benannt wurde.                                   In Abb. 5 sind die deskriptiven Vergleiche der prozen-
   In der Facette Fachkompetenz fällt auf, dass die Bedeu-             tualen Nennhäufigkeiten je Expertengruppe für die identifi-
tung des Fachwissens vor allem von Interviewteilnehmen-                zierten digitalen Kompetenzen dargestellt. 100 % bedeutet,
den der Expertengruppen Politische Akteure und Wissen-                 dass eine bestimmte Kompetenz von allen Interviewteilneh-
schaft benannt wurde. In beiden Gruppen wurde das Fach-                menden einer bestimmten Expertengruppe benannt wurde,
wissen als relevante Kompetenz in mehr als 70 % der In-                0 % bedeutet, dass die jeweilige Kompetenz von einer be-
terviews benannt (Wissenschaft: 75 %, Politische Akteure:              stimmen Expertengruppe gar nicht benannt wurde. Mehr-
79 %). In allen drei Expertengruppen der betrieblichen Pra-            fachnennungen derselben Kompetenz in einem Interview
xis wird diese Kompetenz in weniger als 50 % der Inter-                gingen nur einmal in die Nennhäufigkeit ein.
views benannt. Beim Blick auf die Facette Methodenkom-                    Bei den digitalen Kompetenzen, die der Facette Fach-
petenz wird deutlich, dass Kompetenzen aus dieser Facette              kompetenz zugeordnet sind, fällt auf, dass vor allem die
insgesamt weniger häufig und ausschließlich von den Ex-                Informations- und Datenverarbeitungskompetenz über die
pertengruppen Politische Akteure, Wissenschaft und Pla-                Expertengruppen hinweg sehr unterschiedlich häufig be-
ner/in genannt wurden. Teilnehmende der beiden Grup-                   nannt wird. Während diese Kompetenz von Anwendenden
pen Betriebsrat und Anwendende benennen weder Strate-                  gar nicht benannt wird, wird die Kompetenz von der Grup-
gienflexibilität noch Analysefähigkeit als relevante Kom-              pe der Politischen Akteure in 9 Interviews (64 %) benannt.
petenz. In der Facette Sozialkompetenz weisen die beiden               Die allgemeine IT-Anwendungskompetenz, die der Facet-
Dimensionen Kommunikationsfähigkeit und Kooperations-                  te der Methodenkompetenz zugeordnet wurde, wird über
fähigkeit eine große Streuung auf. Die Dimension Kom-                  alle Kompetenzdimensionen hinweg am häufigsten als not-
munikationsfähigkeit wurde von Betriebsräten gar nicht be-             wendige Kompetenz benannt. Die digitale Kommunikation
nannt, wohingegen Politische Akteure diese Kompetenz in                und Kooperation wird nur von den Expertengruppen Wis-
5 Interviews (36 %) benannten. Die Dimension Kooperati-                senschaft, Planer/in und Anwendende benannt. Die digitale
onsfähigkeit wurde von der Gruppe der Anwendenden gar                  Selbstachtsamkeit wird insgesamt selten, jedoch von allen
nicht genannt. In der Facette Selbstkompetenz werden vor               Expertengruppen benannt.
allem die Aspekte Veränderungsbereitschaft, Belastbarkeit

K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0                                                           215

4.2 Wege der Kompetenzentwicklung in der                             und den Lernort, der sich in unmittelbarer Nähe zum Ar-
    Industrie 4.0                                                    beitsplatz befindet. Die Kategorie selbstgesteuertes Lernen
                                                                     mit Medien wurde ausschließlich dann vergeben, wenn die
Wie können Kompetenzentwicklungswege beschrieben                     Interviewteilnehmenden herausstellten, dass die Mitarbei-
werden? Im Folgenden werden unterschiedliche Zugän-                  tenden selbst entscheiden können, ob, wann und wo sie die
ge anhand des erstellten Kategoriensystems beschrieben,              Kompetenzentwicklung durchführen wollen.
die von den Expertengruppen (Wissenschaft, Politische                   Weiterhin wurde die Lernfabrik als ein Weg non-forma-
Akteure, Planer/in, Betriebsräte und Anwendende) unter-              ler Kompetenzentwicklung benannt. Eine Lernfabrik wird
schiedlich häufig benannt wurden.                                    definiert als eine Lernumwelt, die authentische Arbeitspro-
                                                                     zesse nachstellt, unterschiedliche Arbeitsstationen beinhal-
4.2.1 Kategoriensystem für Wege der                                  tet und dabei sowohl technische als auch organisationale
      Kompetenzentwicklung                                           Aspekte der realen Arbeitssituation abbildet. Sie zeichnet
                                                                     sich durch ein veränderbares Setting aus, in dem physische
Insgesamt konnten acht unterschiedliche Wege der Kompe-              Produkte erstellt werden. Nicht nur reale physische Räu-
tenzentwicklung identifiziert werden. Diese konnten anhand           me, sondern auch virtuelle Abbildungen der realistischen
des bestehenden Ordnungsrahmens in formale, non-formale              Arbeitsprozesse können als Lernfabriken (im weiteren Sin-
und informelle Kompetenzentwicklung unterschieden wer-               ne) verstanden werden (Abele et al. 2017, 2016). Daher
den (siehe Abb. 6).                                                  wurden dieser Kategorie sowohl Nennungen von Modellfa-
   Als Wege der formalen Kompetenzentwicklung wurden                 briken, Experimentier-Inseln und Musterarbeitsplätzen als
in den Interviews, wie aus der Literatur abgeleitet, betriebs-       auch virtuelle Simulationen der realen Arbeitsumgebung
externe und betriebsinterne Kurse benannt. Damit kann Hy-            zugeordnet. Das nachfolgende Zitat beschreibt eine solche
pothese 7 nicht abgelehnt werden.                                    virtuelle Lernfabrik.
   Als non-formale Kompetenzentwicklungsmaßnahmen
                                                                       Um mal ganz niederschwellig anzufangen, also könn-
wurden sowohl das Anlernen durch Kollegen als auch das
                                                                       ten das so virtuelle Lerngelegenheiten sein, [...] so
selbstgesteuerte Lernen mit Medien benannt. Weiterhin
                                                                       virtuelle Lernszenarien. Das heißt, man bildet einen
wurden in den Interviews zusätzlich das digitale Anler-
                                                                       Produktionsprozess digital ab, zum Beispiel mittels
nen, Unterweisen und Informieren sowie Lernfabriken als
                                                                       Virtual Reality, was nicht immer heißt, dass man so
Möglichkeiten zur non-formalen Kompetenzentwicklung
                                                                       eine voll immersive Brille braucht, man kann sich das
benannt.
                                                                       genauso gut auch am Desktop anschauen und kann da
   Die Kategorie digitales Anlernen, Unterweisen und In-
                                                                       eben aufgabenbezogen Aufgaben lösen. [...] Und die
formieren beschreibt die Nutzung digitaler Endgeräte für
                                                                       Maschine, die virtuelle, verhält sich dann eben genau
die Sensibilisierung von Mitarbeitenden zu bestimmten
                                                                       wie die reale. (Interview 59, Wissenschaft)
Themen. Hierbei steht die Informationsvermittlung durch
die digitalen Endgeräte im Fokus. Die Kategorie unter-               Als non-formale Maßnahmen der Kompetenzentwicklung
scheidet sich von der Kategorie selbstgesteuertes Lernen             wurden, wie aus der Literatur abgleitet, Anlernen, Unter-
mit Medien durch einen stärker verpflichtenden Charakter             weisung und Information durch Kollegen und das selbst-

Abb. 6 Kategoriensystem Wege der Kompetenzentwicklung

                                                                                                                      K
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