Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0
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Gr Interakt Org (2021) 52:203–225 https://doi.org/10.1007/s11612-021-00579-5 HAUPTBEITRÄGE - THEMENTEIL Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 Verena Simone Lore Blumberg1 · Simone Kauffeld1 Angenommen: 22. April 2021 / Online publiziert: 12. Mai 2021 © Der/die Autor(en) 2021 Zusammenfassung Die fortschreitende Digitalisierung verändert die Arbeitswelt auch in der industriellen Fertigung nachhaltig. Digitale Wer- kerassistenzsysteme wie Datenbrillen und Smartwatches unterstützen Mitarbeitende mit kontextsensitiven Informationen. Die Einführung dieser Technologien und die Veränderung von Arbeitsabläufen stellen neue Kompetenzanforderungen an Beschäftigte, ermöglichen aber auch veränderte Wege des Lernens. Ziel dieses Beitrags der Zeitschrift Gruppe. Interak- tion. Organisation. (GIO) ist es, zukünftig benötigte Kompetenzen für Beschäftigte in der Produktion sowie mögliche Wege der Kompetenzentwicklung zu identifizieren. Dazu wurden 76 halbstrukturierte Interviews mit Teilnehmenden aus den Expertenclustern Wissenschaft, Politik und betriebliche Praxis durchgeführt und inhaltsanalytisch ausgewertet. Als Ergebnisse der Studie ist ein Kompetenzmodell für Beschäftigte in der Produktion entstanden, das auf der etablierten Unterscheidung in die Kompetenzfacetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz aufbaut. Zusätzlich wurde die digitale Kompetenz als Querschnittskompetenz ergänzt. Besonders relevant wird über alle Expertengruppen hinweg die IT-Anwendungskompetenz eingeschätzt. Bei den identifizierten Wegen der Kompetenzentwicklung werden zunehmend selbstinitiierte Lernformate bedeutsam, die die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Die vorliegenden Ergebnisse können als Ausgangspunkt für die Entwicklung betrieblicher Kompetenzmodelle und -entwicklungsprogramme genutzt werden. Schlüsselwörter Digitalisierung · Industrie 4.0 · Kompetenzen · Qualifizierung · Produktion Competencies and competence development in industry 4.0 Abstract The advance in digitization is also changing the way of working in the field of industrial manufacturing. Smart wearables and mobile smart devices e.g. smart glasses and smartwatches, support employees with context-sensitive information. The introduction of these technologies and the changes in work processes lead to new competence requirements for employees and new paths for competence development. This article in the journal Gruppe. Interaktion. Organisation. (GIO) aims to identify future competence requirements and ways of competence development for industrial workers. Therefore, 76 semi-structured interviews with participants from five expert groups were conducted. As a result, our study presents a competence model which builds on the well-established structure of professional, methodological, social and personal competences. Digital competences were added as cross-sectional competence. General IT application skills were identified as a core competence for employees in the industry 4.0. For competence development digital and self-initiated ways of learning are getting more important. The results of this study can be used to develop an operational competence management. Keywords Digitization · Smart wearables · Industry 4.0 · Competencies · Qualifications · Manufacturing Verena Simone Lore Blumberg, M.Sc. v.blumberg@tu-braunschweig.de Prof. Dr. Simone Kauffeld 1 Lehrstuhl für Arbeits-, Organisations- und s.kauffeld@tu-braunschweig.de Sozialpsychologie, Technische Universität Braunschweig, Spielmannstr. 19, 38106 Braunschweig, Deutschland K
204 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld 1 Einleitung 2 Kompetenzen und ihre systematische Entwicklung Neue Technologien durchdringen die Arbeitswelt in einem immer erheblicheren Maße und werden zu allgegenwärti- Obwohl die Veränderung von Kompetenzen seit längerer gen Begleitern der Beschäftigten (Cascio und Montealeg- Zeit ein relevantes Thema in der Gesellschaft und un- re 2016). Dies betrifft nicht mehr nur die Wissensberufe terschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen ist, gibt es oder hochautomatisierte Produktionsabläufe, sondern trifft nach wie vor keinen Konsens über eine einheitliche De- in einem erheblichen Maße auch Berufsbereiche, die bis- finition des Konstruktes (Brown 1993; Erpenbeck et al. her noch nicht direkt von der Anwendung der Informa- 2017; Le Deist und Winterton 2005; Kauffeld und Paul- tions- und Kommunikationstechnologien betroffen waren, sen 2018; Moore et al. 2002; Mulder 2017). International wie beispielsweise die industrielle Fertigung. In der indus- kann zwischen einer eher spezifisch verhaltensorientier- triellen Fertigung wird die neue Durchdringung und All- ten und einer ganzheitlich integrativen Betrachtung von gegenwärtigkeit von Digitalisierung mit dem Schlagwort Kompetenzen unterschieden werden (Bornewasser et al. Industrie 4.0 beschrieben (Lasi et al. 2014; Promotoren- 2018; Brockmann et al. 2008; Misbah et al. 2019). Ein gruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – spezifisch verhaltensorientiertes Verständnis von Kompe- Wissenschaft 2013). Ein zentrales Element dieser zuneh- tenz stellt vor allem die erfolgreiche Leistung in einer menden Vernetzung sind digitale Werkerassistenzsysteme konkreten Arbeitssituation in den Mittelpunkt der Betrach- (DWAS), beispielsweise Datenbrillen, Tablets oder Smart- tung. Dies ist auch in der nachfolgenden Definition des watches (Evers et al. 2019). DWAS werden definiert als mo- Kompetenzbegriffs durch die International Organization bile digitale Endgeräte, die körpernah getragen werden und for Standardization (ISO) erkennbar. Hier heißt es: „[com- Mitarbeitende bei der Ausführung der Tätigkeit durch Infor- petences are] the ability to apply knowledge and skills to mationsdarbietung unterstützen (Niehaus 2017). Mit DWAS achieve intended results“ (ISO 2015). Zentral ist also die können Mitarbeitende in die neue, vernetzte Arbeitsumge- praktische Fähigkeit, Wissen und Fähigkeiten anzuwen- bung eingebunden werden. Die Anwendungsmöglichkeiten den („ability to apply“, ISO 2015), um bestimmte Ziele für DWAS in der industriellen Fertigung sind vielfältig. Bei- zu erreichen. Bei der eher ganzheitlich und integrativen spielsweise können DWAS zum Arbeitsschutz, zur tempo- Betrachtung des Kompetenzbegriffs stehen vor allem die rären oder dauerhaften Unterstützung der Arbeitstätigkeit, kognitiven Ressourcen im Fokus, die zielorientiertes Han- zur Kommunikation, zur Qualitätssicherung oder zur Quali- deln im Arbeitskontext ermöglichen (Bornewasser et al. fizierung eingesetzt werden (Blumberg und Kauffeld 2020). 2018). Dies zeigt auch die nachfolgende Definition: Unter Damit die Potenziale der neuen Technologien ausgeschöpft Kompetenzen werden sowohl das Wissen als auch alle werden können, kommt den Produktionsbeschäftigten als Fähigkeiten und Fertigkeiten einer Person verstanden, die Anwendenden dieser Technologien eine hohe Bedeutung diese bei der Bewältigung bekannter und neuartiger Situa- zu (Güth et al. 2018). tionen handlungs- und reaktionsfähig machen (Kauffeld Die zunehmende Digitalisierung ist dabei sowohl Aus- 2006). Beide Definitionen eint, dass nicht nur das Wissen löser für die Veränderung benötigter Kompetenzen als auch (vgl. Fachkompetenz), sondern ebenso weitere Fähigkeiten anwendbares Mittel, um die Kompetenzentwicklung zu ge- und Fertigkeiten (vgl. Methoden-, Sozial- und Selbstkom- stalten (Bornewasser et al. 2018). Neben der zunehmen- petenz) für das erfolgreiche Handeln als relevant angenom- den Digitalisierung machen auch sich verändernde Arbeits- men werden. Die besondere Bedeutung und Relevanz von bedingungen neue bzw. andere Kompetenzen bei den Be- Kompetenzen im betrieblichen Kontext ergibt sich daraus, schäftigten erforderlich (Acatech 2016; Botthof 2015). Be- dass Kompetenzen zu einer höheren Arbeitsqualität führen, schäftigte werden stärker als bisher damit konfrontiert, sich systematisch und aufwendig entwickelt werden müssen kontinuierlich weiterzubilden, um sowohl das fachliche als und nur schwer imitiert werden können, wenn sie einmal auch das methodische Wissen aktuell zu halten (Leimeis- aufgebaut sind. Kompetenzen stellen somit einen besonde- ter und David 2019a; Metternich et al. 2018). Dies wird ren Wettbewerbsvorteil dar (Kauffeld 2006; Kauffeld und ohne den zeitgleichen Aufbau von Sozial- und Selbstkom- Paulsen 2018). petenzen nicht leistbar sein. Um den neuen Anforderun- Wie Kompetenzanforderungen, Kompetenzmodelle und gen gerecht zu werden und die notwendigen Kompetenzen Kompetenzentwicklung zusammenspielen können, ist in frühzeitig aufzubauen, ist es erforderlich, die notwendigen Abb. 1 dargestellt. Um Kompetenzanforderungen an Be- Kompetenzanforderungen an Beschäftigte in der Produkti- schäftigte zu erfassen, kommt dem strategischen Kom- on zu erfassen und Wege der Kompetenzentwicklung auf- petenzmanagement eine besondere Bedeutung zu. Dabei zuzeigen. werden Kompetenzentwicklungsbedarfe aus Trends im Un- ternehmensumfeld, den Zielen des Unternehmens und der Anpassung der Unternehmensstrukturen und Geschäftspro- K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 205 Abb. 1 Vereinfachte Ablauf- darstellung des betrieblichen Kompetenzmanagements zesse abgeleitet. Zusätzlich werden konkrete Tätigkeits- disierungsgrad gekennzeichnet (Bouville und Alis 2014), anforderungen berücksichtigt, die aus den Verantwortlich- dennoch sind für die Ausführung der Tätigkeiten bestimm- keiten der Beschäftigten sowie erwarteter Veränderungen te Kompetenzen und Qualifikationen unabdingbar (Bell- der Arbeitsabläufe und Aufgabeninhalte abgeleitet werden mann et al. 2015; Schöpper-Grabe und Vahlhaus 2019). Bei (Güth et al. 2018). Dabei ist im Unterschied zur klassi- Untersuchungen zum strategischen Kompetenzmanagement schen Arbeits- und Anforderungsanalyse nicht der Inhalt konnte gezeigt werden, dass in klein- und mittelständischen der einzelnen Aufgaben relevant (Das „Was“), sondern Unternehmen nur bei knapp 50 % der befragten Unterneh- wie diese zielführend und erfolgreich bewältigt werden men Aktivitäten zum strategischen Kompetenzmanagement können (Das „Wie“) (Kauffeld und Paulsen 2018; Shipp- für an- und ungelernte Beschäftigte stattfinden. Diese Akti- mann et al. 2000). Die zukünftig stärkere Nutzung von vitäten umfassen die Erstellung von Anforderungsprofilen, DWAS in der industriellen Produktion ist ein sichtbares die systematische Erfassung bestehender Kompetenzen und Zeichen der zunehmenden Digitalisierung und ein aktueller die Verfügbarkeit von Programmen zur Kompetenzentwick- Trend, der zu neuen und veränderten Kompetenzbedarfen lung. Für die Zielgruppe der Fachkräfte werden hingegen in bei Produktionsbeschäftigten führen kann. knapp 90 % der Unternehmen Aktivitäten zum strategischen Zur Systematisierung der abgeleiteten Kompetenzan- Kompetenzmanagement unternommen (Güth et al. 2018). forderungen werden Kompetenzmodelle genutzt (Kauffeld Dies zeigt, dass es für die Zielgruppe der an- und ungelern- und Paulsen 2018). In Kompetenzmodellen werden sowohl ten Beschäftigten einen erheblichen Bedarf und ein hohes aktuell bedeutsame als auch zukünftig relevante Kompe- Potenzial für die Verbesserung des strategischen Kompe- tenzen berücksichtigt (Kauffeld und Paulsen 2018). Damit tenzmanagements gibt. werden Anforderungen an Beschäftigte einer bestimmten Wie in Abb. 1 dargestellt, schließt an die Identifikati- Zielgruppe sichtbar und transparent gemacht. Eine Ord- on der relevanten Kompetenzen die Kompetenzentwicklung nungsstruktur für die identifizierten Kompetenzen bietet mit den dazugehörigen Prozessen an, die den systemati- beispielsweise die etablierte Unterteilung in die vier Kom- schen Aufbau der benötigten Kompetenzen für die jeweili- petenzfacetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkom- ge Arbeitstätigkeit fördert (Melzer et al. 2019). Kompeten- petenz (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018; zentwicklungsmaßnahmen lassen sich anhand des Organi- Sonntag und Schaper 1999). Kompetenzmodelle stellen oft sationsgrades (Ist die Aktivität als Lernaktivität geplant?) ein Bindeglied zwischen verschiedenen Human-Resource- und der Lernintention (Ist Lernen intendiert?) in formale, Prozessen dar und tragen zu einer effektiven Personal- non-formale und informelle Kompetenzentwicklung unter- arbeit bei. Ausgehend von Kompetenzmodellen werden scheiden (OECD 2007; Kauffeld und Paulsen 2018). Diese weiterführende Maßnahmen des betrieblichen Kompetenz- Unterscheidung ist in Abb. 2 dargestellt. managements angestoßen, beispielsweise Maßnahmen des Personalmarketings, der Personalauswahl und der Kompe- 2.1 Kompetenzen in der digitalisierten Arbeitswelt tenzentwicklung (Kauffeld und Grote 2019; Kauffeld und Paulsen 2018). In einer digitalisierten Arbeitswelt verändern sich die An- In der industriellen Produktion werden für einfache Tä- forderungen, die an Beschäftigte gestellt werden. So ver- tigkeiten (z. B. Montagetätigkeiten, Logistik) an vielen Stel- weisen beispielsweise Windelband und Dworschak (2015) len an- und ungelernte Beschäftigte eingesetzt. Viele dieser darauf, dass die Industrie 4.0 Fachkräfte braucht, die in der Tätigkeiten werden manuell durchgeführt und sind daher Lage sind, in hochkomplexen, wandlungsfähigen und fle- sehr personalintensiv (Hinrichsen et al. 2016). In unserem xiblen Produktionssystemen Entscheidungen zu treffen und Beitrag fokussieren wir auf Beschäftigte in den Gewerken zu steuern, die Systeme instand zu halten und als Experten Montage und Logistik, die einfache Tätigkeiten ausführen. zu agieren. Dies zieht die Frage nach sich, welche Kompe- Einfache Tätigkeiten sind meist durch einen hohen Standar- tenzen dafür erforderlich sind. K
206 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld Abb. 2 Wege der Kompetenzentwicklung Nachfolgend werden bestehende Befunde zur Verände- Weiterhin steigt die Anforderung an Beschäftigte, die ei- rung der Kompetenzanforderungen in der digitalisierten Ar- genen Prozesse und Ergebnisse in die digitalisierte und au- beitswelt entlang der vier Facetten Fach-, Methoden-, So- tomatisierte Arbeitsumgebung einordnen zu können (Ham- zial- und Selbstkompetenz vorgestellt und Hypothesen ab- mermann und Stettes 2016). Die Beschreibung dieser An- geleitet. Die Anforderungen an digitale Kompetenzen wer- forderungen wird in der Literatur unter der Kompetenz Pro- den anschließend separat betrachtet. Wir gehen davon aus, zessdenken zusammengefasst. Prozessdenken beschreibt ein dass die etablierte Unterscheidung in Fach-, Methoden-, So- fachliches Verständnis für vor- und nachgelagerte Schritte zial- und Selbstkompetenz auch für die Systematisierung im Arbeitsprozess. Dazu gehört auch, die Folgen des eige- der Kompetenzanforderungen an Produktionsbeschäftigte nen Handelns auf diese abschätzen zu können (Hillebrand in der Industrie 4.0 ein geeignetes Rahmenmodell bietet 2018). Da bei dieser Anforderung das Fachwissen über den und die identifizierten Kompetenzanforderungen diesen Fa- gesamten Arbeitsprozess (eigene Tätigkeit inkl. vor- und cetten zugeordnet werden können (Hypothese 1). nachgelagerter Prozessschritte) und das fachliche Verständ- nis zum Ineinandergreifen der unterschiedlichen Arbeits- 2.1.1 Fachkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt schritte im Fokus stehen, wird diese Kompetenz der Facette Fachkompetenz zugeordnet. Der Fachkompetenz werden aufgaben- und arbeitsplatzspe- Aufbauend auf den dargestellten Untersuchungsergeb- zifische Fertigkeiten, Fähigkeiten und Kenntnisse zugeord- nissen gehen wir davon aus, dass als relevante Kompetenzen net (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Diese in der Facette Fachkompetenz mindestens die Kompetenzen sind meist disziplinspezifisch und somit auf eine bestimm- Fachwissen, handwerkliche Fähigkeiten und Prozessdenken te berufliche Tätigkeit ausgerichtet. Veränderte Arbeitspro- benannt werden (Hypothese 2). zesse und -abläufe haben daher häufig die Anpassung der Fachkompetenz zur Folge. Ebenso können daraus auch Ver- 2.1.2 Methodenkompetenz in der digitalisierten änderungen der überfachlichen Kompetenzen resultieren. Arbeitswelt In der industriellen Produktionsarbeit werden Materiali- en und Güter verarbeitet, montiert, erstellt und das Ergebnis Die Methodenkompetenz enthält Fähigkeiten und Fertigkei- kontrolliert (Elkmann et al. 2015). Diese grundsätzliche An- ten, die situationsübergreifend eingesetzt werden können. forderung wird auch bei der Einführung von DWAS, die den Diese Kompetenzen dienen der Strukturierung von Sach- Beschäftigten mit der Bereitstellung von Informationen as- verhalten (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). sistieren, als elementarer Bestandteil der Arbeitsaufgabe er- In einer immer komplexer und digitaler werdenden Ar- halten bleiben (Baethge-Kinsky 2020). Erste Untersuchun- beitsumgebung gewinnt die Fähigkeit, komplexe Probleme gen zeigen zwar, dass in Unternehmen mit einem hohen Di- zu lösen, immer mehr an Bedeutung (Baethge-Kinsky 2020; gitalisierungsgrad handwerkliche Fähigkeiten und techni- Levy 2010; Promotorengruppe Kommunikation der For- sches Fachwissen insgesamt als weniger bedeutsam einge- schungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013). Problem- schätzt werden (Hammermann und Stettes 2016), dennoch lösefähigkeit beschreibt alle Aktivitäten der Suche nach ei- wird den Kompetenzen für bestimmte Mitarbeitergruppen, ner Lösung für ein Problem und ist ein mehrdimensionales wie Produktionsmitarbeitenden, eine weiterhin hohe Bedeu- Konstrukt (Schoppek und Fischer 2015). Es umfasst ein Set tung zugesprochen (Baethge-Kinsky 2020; Hammermann unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, die genutzt und Stettes 2016). werden, um nicht-routine Situationen erfolgreich zu bewäl- K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 207 tigen (Fischer und Neubert 2015). Ein Kernaspekt dabei 2.1.4 Selbstkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt ist die Problemanalyse, bei der das Problem erfasst und Aufgaben und Zwischenziele für die Lösung des Problems Die Selbstkompetenz beschreibt Fähigkeiten und Fertigkei- entwickelt werden (Hesse et al. 2015). Erste Befunde zei- ten, die zur Selbstorganisation und -steuerung genutzt wer- gen, dass in digitalisierten Arbeitsumgebungen stärker als den (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Dies bisher eine theoriebasierte Herangehensweise bei der Pro- umfasst in besonderem Maße Fähigkeiten, um den eige- blemlösung im Sinne einer strukturierten Problemanalyse nen Arbeitsplatz konstruktiv mitzugestalten, zu organisieren und Datenanalyse notwendig wird (Baethge-Kinsky 2020). und Verantwortung zu übernehmen (Kauffeld 2006). Diese Außerdem gewinnt die sog. kollaborative Problemlösung Detaillierung zeigt, dass sowohl Aspekte der Motivation als an Bedeutung (Hesse et al. 2015), da komplexe Probleme auch der Verantwortung in dieser Facette verortet werden häufig nicht mehr von einer Person allein bewältigt wer- können. den können, sondern das Zusammenarbeiten unterschiedli- Die gerade benannten Inhaltspunkte der Selbstkompe- cher Personen erforderlich macht (Zeller et al. 2010). An tenz finden sich in ähnlicher Form in der aktuellen Dis- dieser Stelle wird deutlich, dass die Methodenkompetenz kussion um veränderte Kompetenzanforderungen in der In- Problemanalyse nicht nur eine Verknüpfung zur digitalen dustrie 4.0 wieder. Hier wurde vor allem eine zunehmende Kompetenz im Sinne einer Datenanalysekompetenz, son- Bedeutung von selbstgesteuertem Handeln und Selbstorga- dern auch zur Sozialkompetenz aufweist. nisation prognostiziert (Promotorengruppe Kommunikati- Basierend auf den vorgestellten Befunden gehen wir da- on der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013) von aus, dass in der Facette Methodenkompetenz mindes- sowie eine höhere Bereitschaft, die eigenen Arbeitstätig- tens Analysefähigkeit als relevante Kompetenz benannt wird keiten eigenständig und eigenverantwortlich zu organisie- (Hypothese 3). ren (Hammermann und Stettes 2016). Diese Ausführungen sprechen für einen höheren Bedarf, eigeninitiativ Verant- 2.1.3 Sozialkompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt wortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und für die Konsequenzen des eigenen Handelns einzustehen. Die Sozialkompetenz umfasst Fähigkeiten und Fertigkei- Dass Beschäftigte in ihrem Berufsleben immer häufiger ten für die erfolgreiche Gestaltung und Bewältigung sozia- mit Veränderungen konfrontiert sind, ergibt sich nicht nur ler Interaktions- und Kooperationssituationen (vgl. Kauffeld aus der zunehmenden und neuen Art der Digitalisierung, 2006; Kauffeld und Paulsen 2018). Elementare Dimensio- sondern liegt auch in bereits bekannten und weiter anhalten- nen dabei sind beispielsweise die Kommunikations-, Ko- den Trends wie veränderten Produktionstechniken, immer operations- und Koordinationsfähigkeit (Schaper 2004). kürzeren Produktlebenszyklen und einer stärkeren Indivi- In der Diskussion um veränderte Kompetenzanforderun- dualisierung der Produkte begründet (Abele et al. 2017; Dil- gen in der Industrie 4.0 wurde vor allem eine zunehmende lerup et al. 2019). Damit Beschäftigte bei diesen Verände- Bedeutung der kommunikativen Kompetenz prognostiziert rungen Schritt halten und sich immer wieder auf sich verän- (Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion dernde Rahmenbedingungen einstellen können, benötigen Wirtschaft – Wissenschaft 2013). Wie im vorherigen Ab- sie ein hohes Maß an Veränderungsbereitschaft (Leimeis- schnitt beschrieben, sind aufgrund digital-verketteter Pro- ter und David 2019a). Veränderungsbereitschaft wird dabei zesse viele der auftretenden Probleme nur in Zusammenar- verstanden als Neugier und Offenheit gegenüber Neuem so- beit mit anderen Personen lösbar. Dadurch gewinnt die er- wie einer daraus resultierenden Eigeninitiative und Lernmo- folgreiche Gestaltung dieser Interaktionssituationen an Be- tivation zur Aktualisierung und Veränderung eigener Hand- deutung. In Unternehmensfallstudien konnte der steigende lungsweisen und Wissensbestände (Hillebrand 2018). Bedarf für Kommunikation und gegenseitige Unterstützung Aufbauend auf den vorgestellten Erkenntnissen gehen in der digitalen Arbeitswelt belegt werden (Baethge-Kinsky wir davon aus, dass für die Facette Selbstkompetenz min- 2020). Weiterhin weisen erste Untersuchungen darauf hin, destens die Dimensionen Eigenverantwortung und Verän- dass Mitarbeitende aufgrund von flexiblen Arbeitsorganisa- derungsbereitschaft benannt werden (Hypothese 5). tionen und dezentralen Entscheidungsstrukturen zukünftig mehr Kooperationsbereitschaft und eine stärkere Kommu- 2.1.5 Digitale Kompetenz in der digitalisierten Arbeitswelt nikationskompetenz benötigen (Hammermann und Stettes 2016). Während die Begrifflichkeiten der zuvor beschriebenen Aufbauend auf der vorgestellten Literatur gehen wir da- Kompetenzfacetten einheitlich definiert sind, besteht bei di- von aus, dass als relevante Kompetenzen in der Facette gitalen Kompetenzen eine große Diversität von Begrifflich- Sozialkompetenz mindestens Kommunikationsfähigkeit und keiten und Definitionen (Oberländer et al. 2020). Im engli- Kooperationsfähigkeit benannt werden (Hypothese 4). schen Sprachraum dominieren die Begriffe digital literacy und digital competence die wissenschaftliche Diskussion. K
208 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld Unter digital literacy wird dabei die grundsätzliche Fähig- Auch die Kompetenz zur Informations- und Datenver- keit verstanden, Informationen aus unterschiedlichen digi- arbeitung im Sinne einer gezielten und kritischen Nutzung talen Quellen zu lesen, zu verstehen und zu nutzen (Baw- des Internets zur Suche nach relevanten Inhalten wird in den 2008; Gilster 1997). Damit handelt es sich um eine unterschiedlichen Studien als relevant identifiziert. Dazu Weiterentwicklung des Alphabetisierungsgedankens (li- gehören auch das Wissen und das Bewusstsein für Daten- teracy), der grundsätzlich die Fähigkeiten zusammenfasst, schutz und Datensicherheit im betrieblichen Kontext (Ham- relevante Informationen unabhängig von einem bestimmten mermann und Stettes 2016; Oberländer et al. 2020). Format oder Medium zu lesen, zu schreiben, zu verstehen Bereits bei den Sozialkompetenzen wurde darauf hinge- und entsprechend zu nutzen. Diese Betrachtung geht über wiesen, dass durch eine flexible Arbeitsorganisation kom- eine reduzierte Sichtweise von Fähigkeiten zum erfolgrei- munikative und kooperative Kompetenzen zukünftig an Be- chen Umgang mit digitalen Informationen hinaus (Bawden deutung gewinnen. Unter Einbezug der digitalen Möglich- 2008). Digital competence wird definiert als „confident, keiten, wie DWAS zur Abstimmung innerhalb des Teams critical and creative use of ICT [Information and Com- oder über Teamgrenzen hinweg, kann es zusätzlich erfor- munication Technology] to achieve goals“ (Ferrari 2012, derlich werden, räumlich flexibel oder virtuell mit anderen S. 1). Die Ziele, die durch den Einsatz von Informations- Personen zusammenzuarbeiten oder die Arbeit zu organi- und Kommunikationstechnologien erreicht werden sollen, sieren (Kauffeld et al. 2016; Kauffeld und Maier 2020). In können dabei in unterschiedlichen Arbeits- und Lebens- diesem Zusammenhang können neue Kompetenzen bei der bereichen liegen. Bei dieser Definition steht die konkrete digitalen Kommunikation und Kooperation, beispielsweise Anwendung der Informations- und Kommunikationstech- Kenntnisse zur guten und effektiven Gestaltung von Text- nologien stärker im Fokus als bei der Definition der digital und Sprachnachrichten, notwendig werden (Hammermann literarcy. Im deutschsprachigen Raum finden sich neben und Stettes 2016; Kauffeld et al. 2016; Oberländer et al. dem Begriff digitale Kompetenzen auch die Begrifflich- 2020). keiten Digitalkompetenz (im Sinne einer Problemlösekom- Aufbauend auf den vorgestellten Erkenntnissen gehen petenz im Zusammenhang mit digitalen Technologien; wir davon aus, dass als relevante digitale Kompetenzen z. B. Wicht et al. 2018) oder IT-Kompetenz (im Sinne ei- mindestens die Dimensionen IT-Anwendungskompetenz, nes kompetenten Umgangs mit Informationstechnologien Informations- und Datenverarbeitungskompetenz, Daten- sowie Kenntnissen über die Technologien, den Umgang schutz und Datensicherheit sowie digitale Kommunikation mit Daten, IT-Sicherheit und Datenschutz, z. B. Ulber und und Kooperation benannt werden (Hypothese 6). Remmers 2019). Wir betrachten in unserem Kompetenzmodell digitale 2.2 Wege der Kompetenzentwicklung im Kompetenzen im Arbeitskontext und orientieren uns im betrieblichen Kontext Folgenden an der Definition von Oberländer et al.: „Di- gital competencies at work are a set of basic knowledge, Durch digitalisierte und automatisierte Prozessabläufe so- skills, abilities, and other characteristics that enable people wie die verstärkte Nutzung und Anwendung von DWAS at work to efficiently and successfully accomplish their job verändern sich Arbeitsprozesse in der Produktion. Beschäf- tasks regarding digital media at work.“ (Oberländer et al. tigte sehen sich mit veränderten und teilweise höheren An- 2020, S. 5). Dabei handelt es sich um eine relativ breite De- forderungen konfrontiert. Die veränderten Anforderungen finition, die die Anwendung sämtlicher Informations- und und der Wunsch von Unternehmen, die Beschäftigten fle- Kommunikationstechnologien im Arbeitskontext beinhal- xibler und an unterschiedlichen Arbeitsstationen einsetzen tet. zu können, führen dazu, dass zunehmend Weiterbildungen In der Industrie 4.0 gewinnen durch die vermehrte Nut- auch für an- und ungelernte Beschäftigte angeboten werden zung und Einbindung digitaler Technologien wie beispiels- (Schöpper-Grabe und Vahlhaus 2019). weise DWAS, vor allem Kompetenzen zur Anwendung und Der Aufbau der benötigten Kompetenzen kann, wie in effektiven Nutzung dieser Technologien an Bedeutung. Dies Abb. 2 dargestellt, mit formalen, non-formalen oder infor- betrifft den Umgang mit Hardware- und Softwarekompo- mellen Lernprozessen erfolgen. Bisherige Erkenntnisse zu nenten (Acatech 2016; Hammermann und Stettes 2016; Kompetenzentwicklungsmaßnahmen für den Aufbau rele- Oberländer et al. 2020). Dazu gehört auch ein generelles vanter Kompetenzen in der Industrie 4.0 zeigen, dass Un- Verständnis über den Aufbau, die Funktionalitäten und die ternehmen vor allem formale Weiterbildungsformate ein- Funktionsprinzipien digitaler Systeme (Ostermeier et al. setzen. Besonders relevant sind unternehmensinterne und 2018). Die allgemeine Zunahme der Bedeutung dieser unternehmensexterne Weiterbildungen (Acatech 2016). Bei Kompetenzen ist in allen Fachbereichen und unabhängig der Zielgruppe der an- und ungelernten Beschäftigten findet von der Unternehmensgröße spürbar (Hammermann und Lernen vor allem non-formal als Unterweisung durch Kol- Stettes 2016). legen oder Vorgesetzte statt. Lehrveranstaltungen oder das K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 209 selbstgesteuerte Lernen mit Medien (z. B. Wikis oder inter- Welche Kompetenzen sind für Mitarbeitende in der Pro- aktive Online-Lernprogramme) werden in der industriellen duktion im Jahr 2025 besonders wichtig? Praxis für an- und ungelernte Beschäftigte nur selten ein- Wie erfolgt die Kompetenzentwicklung/Qualifizierung gesetzt (Acatech 2016; Kortsch et al. 2019; Schöpper-Gra- von Produktionsmitarbeitenden im Jahr 2025? be und Vahlhaus 2019). Dennoch legen Studien nahe, dass die zunehmende Digitalisierung neue Chancen für betrieb- Die Interviewfragen wurden offen gestellt, ohne dass den liches Lernen entstehen lässt (Dehnbostel 2019) und digi- Teilnehmenden Antwortmöglichkeiten vorgegeben wurden. tale Formate zur Kompetenzentwicklung relevanter werden Ziel war es, die Annahmen der einzelnen Interviewten (Kortsch et al. 2019; mbb Institut 2019). Mitarbeitende er- möglichst breit zu erfassen und Einschränkungen oder halten durch Digitalisierung und DWAS neue Möglichkei- Meinungsbildung durch präsentierte Antwortmöglichkeiten ten, um selbstständig neues Wissen aufzubauen (Kortsch auszuschließen. et al. 2019; Leimeister und David 2019b). Dadurch könnte das selbstgesteuerte Lernen mit Medien als ein Weg non- 3.2 Beschreibung der Stichprobe formaler Kompetenzentwicklung in der Produktionsarbeit zukünftig an Bedeutung gewinnen. In den Interviews wurden die Sichtweisen unterschiedli- Den vorgestellten Befunden folgend gehen wir davon cher Expert/innen aus der Wissenschaft, der Politik und aus, dass als Wege der formalen Kompetenzentwicklung der betrieblichen Praxis (Planer/innen, Betriebsrat, Mitar- mindestens interne und externe Kurse benannt werden (Hy- beitende in der Produktion aus einem fertigenden Unterneh- pothese 7). Bei non-formalen Wegen der Kompetenzent- men mit variantenreicher Produktion) aufgenommen. Der wicklung werden mindestens das Anlernen durch Kollegen Einbezug unterschiedlicher Blickwinkel bei der Ermittlung und Vorgesetzte und das selbstgesteuerte Lernen mit digita- der notwendigen Kompetenzen führt bei der Ableitung zu- len Medien benannt (Hypothese 8). künftig relevanter Kompetenzen zu einem realistischeren Gesamtbild (Klug 2011). Die Identifikation und Rekrutie- rung der relevanten Expertengruppen erfolgte anhand einer 3 Methode kriteriengeleiteten Auswahlstrategie (Akremi 2019; Okoli und Pawlowski 2004). Dem lag die Annahme zugrunde, In diesem Abschnitt werden die Datengewinnung und die dass die fünf Expertengruppen in unterschiedlicher Weise Stichprobe vorgestellt. Weiterhin werden das Vorgehen bei Einfluss auf die Verbreitung und Nutzung von DWAS im der Datenaufbereitung und bei der Auswertung der qualita- betrieblichen Kontext nehmen und damit Einfluss auf die tiven Daten beschrieben. Veränderung der Arbeitsgestaltung und die damit verbun- denen Arbeitsanforderungen haben. So können Politische 3.1 Beschreibung des Interviewleitfadens Akteure rechtliche Rahmenbedingungen für die betriebli- che Nutzung von DWAS festlegen. Planer/innen können Um zukünftig bedeutsame Kompetenzen für Mitarbeitende durch die Auswahl der jeweiligen Technologie, das Festle- in der Produktion sowie Wege der Kompetenzentwicklung gen der Einsatzszenarien und die Einführung der DWAS in zu erfassen, wurden halbstrukturierte Interviews durchge- den Arbeitsprozess Einfluss auf die Gestaltung von Arbeit führt. Die Interviews beinhalteten fünf thematische Schwer- nehmen und dadurch veränderte Kompetenzanforderungen punkte: (1) Anwendungsmöglichkeiten von DWAS, (2) Ver- für Beschäftigte in der Produktion schaffen. Zur Bedeutung änderungen der Arbeitsaufgaben und -inhalte, (3) Zusam- der einzelnen Expertengruppen sowie für eine Beschrei- menarbeit und Führung, (4) Kompetenzen und Qualifizie- bung zur Vorgehensweise bei der Identifikation und Rekru- rung, (5) SWOT-Analyse. Der Interviewleitfaden bestand tierung siehe auch Blumberg und Kauffeld (2020). aus vorab formulierten Fragen, die im Rahmen des Inter- In Summe wurden 76 Interviews von der Erstautorin des views gestellt wurden. Die über alle Interviews festgelegte Artikels durchgeführt. Die Interviews waren Teil einer Del- Struktur ermöglichte eine vergleichende Auswertung der phi-Studie und dienten als qualitative Vorrunde. Bei der Interviewdaten (Renner und Jacob 2020). Zusätzlich war es Konzeption der qualitativen Vorrunde wurde den Empfeh- durch die Nutzung halbstrukturierter Interviews möglich, lungen von Okoli und Pawlowski (2004) gefolgt, die beim individuell auf den jeweiligen Interviewverlauf zu reagie- Einbezug unterschiedlicher Expertengruppen zwischen 10 ren, die Reihenfolge von Fragen anzupassen und optional und 18 Interviews je Gruppe empfehlen. vertiefende Nachfragen zu stellen (Qu und Dumay 2011; Als demografische Variablen wurden das Alter der Be- Renner und Jacob 2020). fragten und die Berufserfahrung in Jahren erhoben. Bei- Für die vorliegende Studie waren die folgenden Leitfra- de Variablen wurden den datenschutzrechtlichen Bestim- gen aus dem Themengebiet (4) Kompetenzen und Qualifi- mungen des Unternehmens folgend kategorial erhoben. Die zierung relevant: Verteilung der demografischen Variablen ist in Tab. 1 dar- K
210 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld Tab. 1 Beschreibung der Stichprobe Demografische Wissenschaft Politische Akteure Planer/in Betriebsrat Anwendende Gesamt Variablen (n = 16) (n = 14) (n = 17) (n = 14) (n = 15) (n = 76) Alter (in 21–30 2 2 7 – 6 17 Jahren) 31–40 2 4 5 1 7 19 41–50 4 4 4 6 – 18 51–60 5 3 1 6 2 17 > 60 3 1 – – – 4 Berufs- 0–4 1 – 6 – – 7 erfahrung 5–9 – 3 2 1 4 10 (in Jahren) 10–14 3 3 2 – 3 11 15–19 2 – 3 – 5 10 > 19 10 8 4 12 3 37 Eine Person machte keine Angaben zum Alter und der Berufserfahrung gestellt. Es fällt auf, dass die Altersverteilung der Teilneh- und Paulsen 2018; OECD 2007). Die aus der Literatur ab- menden über vier der fünf Altersgruppen relativ ähnlich ist. geleiteten Subkategorien dienten als erstes Grundgerüst bei Einzig die Altersgruppe > 60 Jahre weist eine eher gerin- der Kodierung. Auch bei der Entwicklung dieses Kategori- ge Teilnehmerzahl auf (n = 4). In dieser Altersgruppe sind ensystems wurden relevante Textabschnitte, die keiner be- nur Teilnehmende der Gruppen Wissenschaft und Politische stehenden Kategorie zugeordnet werden konnten, zunächst Akteure vorhanden. Ein Großteil der Interviewteilnehmen- der Kategorie Sonstiges zugeordnet. Vor einem zweiten Ko- den gibt zudem an, über eine langjährige Berufserfahrung diervorgang wurde diese Kategorie gesondert betrachtet und (> 19 Jahre) zu verfügen. unter Einbezug von Erkenntnissen aus der Literatur weitere Kategorien erstellt. 3.3 Datenaufbereitung und Vorgehen bei der Zur Ermittlung der Güte des Kodierprozesses mit den Erstellung der Kategoriensysteme vorliegenden Kategoriensystemen wurde die Intercoder-Re- liabilität (Kappa, κn Brennan und Prediger 1981) ermit- Die Aufbereitung der Interviewdaten erfolgte mit der Soft- telt. Nach einer ersten Kodierschulung wurden sechs zu- ware MAXQDA (VERBI Software 2017). Die Transkrip- fällig ausgewählte Interviews von zwei Kodierern bearbei- tion der Interviews erfolgte anhand der inhaltlich-semanti- tet und für die kodierten Textstellen Kappa ermittelt. Für schen Transkriptionsregeln (Dresing und Pehl 2018). Zur die kodierten Interviews wurde ein Kappa von κ = 0,83 er- Aufbereitung und Strukturierung des Datenmaterials wur- reicht. Eine Übereinstimmung von κ > 0,80 kann als starke de die qualitative strukturierende Inhaltsanalyse (Steigleder Übereinstimmung bewertet werden (Rädiker und Kuckartz 2008) angewendet. 2019). Als Grundlage für die Entwicklung des Kategoriensys- tems zu Kompetenzen in der Industrie 4.0 dienten die vier Facetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz 4 Ergebnisse (vgl. Kauffeld 2006; Kauffeld und Paulsen 2018; Sonntag und Schaper 1999). Aufgrund der besonderen Betrachtung In diesem Abschnitt werden die Ergebnisse der Befragung digitaler Technologien im Produktionskontext wurde zu- vorgestellt. Dazu wird zunächst das Kategoriensystem zu sätzlich die Kategorie digitale Kompetenz als Querschnitts- relevanten Kompetenzen für Produktionsbeschäftigte vor- kompetenz zu den vier bestehenden Kompetenzfacetten er- gestellt. Anschließend werden Unterschiede und Gemein- gänzt. Die aus der Literatur abgeleiteten Kompetenzen wur- samkeiten bei den Antworten der befragten Expertengrup- den als erstes Grundgerüst für die Kodierung genutzt. Iden- pen deskriptiv beschrieben. Abschließend werden die iden- tifizierte Textabschnitte, die keiner dieser Kategorien zuge- tifizierten Kategorien für Wege der Kompetenzentwicklung ordnet werden konnten, wurden je Kompetenzfacette einer dargestellt und Unterschiede und Gemeinsamkeiten der be- Kategorie Sonstiges zugeordnet. Vor einem zweiten Kodier- fragen Expertengruppen vorgestellt. vorgang wurden diese gesichtet, neue Kategorien herausge- arbeitet und mit Erkenntnissen aus der Literatur ergänzt. 4.1 Kompetenzen für die Produktionsarbeit in der Für die Entwicklung des Kategoriensystems zu Wegen Industrie 4.0 mit DWAS der Kompetenzentwicklung wurde, wie in Abb. 2 darge- stellt, auf die Einteilung in formale, non-formale und in- Nachfolgend wird das erstellte Kompetenzmodell beschrie- formelle Kompetenzentwicklung zurückgegriffen (Kauffeld ben und die formulierten Hypothesen überprüft. K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 211 4.1.1 Kompetenzmodell keit im Vordergrund, sich auf unterschiedliche nicht-routi- ne Situationen einstellen zu können und unterschiedliche Als Ergebnis der Kodiervorgänge entstand ein positionss- Strategien für deren Bewältigung zu entwickeln. Die er- pezifisches Kompetenzmodell (vgl. Klug 2011), das spezi- folgreiche Bewältigung der nicht-routine Situationen macht fische Anforderungen an Produktionsbeschäftigte der Ge- es erforderlich, dass Beschäftigte unterschiedliches Wissen werke Montage und Logistik in der Industrie 4.0 und beim verknüpfen, reflektieren und auf die aktuelle Situation an- Umgang mit DWAS umfasst. Das Kompetenzmodell ist in passen. Diese Anforderung wird auch im folgenden Zitat Abb. 3 dargestellt. deutlich. In Summe wurden 18 Kompetenzen identifiziert. Da- Also man programmiert einen Standardablauf so wie von sind sieben Kompetenzen der Querschnittskompe- er sein sollte, das dauert so 5 % der Zeit, und die tenz digitale Kompetenzen zugeordnet. Die identifizierten restlichen 95 % programmiert man Ausnahmen. Al- Kompetenzen konnten den etablierten Facetten der Fach-, so was passiert, wenn etwas vorkommt, was eigent- Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz zugeordnet wer- lich nicht vorgesehen war. [...] Und diese Liste dieser den. Damit zeigt sich, dass auch im Zuge veränderter Ausnahmen [...] wird niemals vollständig sein. Und Anforderungen und einer zunehmenden Bedeutung digi- damit umzugehenlernen, erfordert ganz klar wesent- taler Kompetenzen die Unterteilung in Fach-, Methoden-, lich mehr Kompetenz. Man muss ein bisschen Ah- Sozial- und Selbstkompetenz als Systematisierung für nung von Informatik haben, man muss den Herstel- Kompetenzmodelle genutzt werden kann. Hypothese 1 lungsprozess begreifen, aber in erster Linie muss man kann damit nicht abgelehnt werden. das tun, was Menschen am besten können oder was Für die Facette Fachkompetenz wurden Fachwissen, sie besser können als Computer und das ist reflektiert handwerkliche Fähigkeiten und Prozessdenken als relevan- zu handeln. Nicht Knöpfe drücken, sondern verstehen. te Kompetenzen identifiziert. Die gefundenen Kompetenzen (Interview 21, Planer/in) stimmen mit den aus der Literatur abgeleiteten, bedeutsa- men Kompetenzen für Produktionsbeschäftigte überein. Hypothese 3 kann daher nicht abgelehnt werden. Die aus Daher kann Hypothese 2 nicht abgelehnt werden. der Literatur abgeleitete Kompetenz Analysefähigkeit kann Für die Facette Methodenkompetenz wurde, wie aus der um die Dimension Strategienflexibilität ergänzt werden. Literatur abgeleitet, die Kompetenz Analysefähigkeit be- Für die Facette Sozialkompetenz wurden die Kompeten- nannt. Zusätzlich wurde die Kompetenz Strategienflexibi- zen Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsfähigkeit lität identifiziert. Bei Strategienflexibilität steht die Fähig- benannt. Dies entspricht den aus der Literatur abgeleiteten Abb. 3 Kategoriensystem Kompetenzen K
212 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld Kompetenzen. Hypothese 4 kann daher nicht abgelehnt werden als eine Kompetenz, die sich aus mehreren un- werden. terschiedlichen Kompetenzen zusammensetzt (Erpenbeck Für die Facette Selbstkompetenz wurden die Kompeten- 2012). Wie aus der Literatur abgeleitet, konnten die Kom- zen Veränderungsbereitschaft und Eigenverantwortung aus petenzen Informations- und Datenverarbeitungskompetenz, der Literatur abgeleitet. Diese konnten durch die Daten aus Datenschutz/Systemsicherheit, Allgemeine IT-Anwendungs- den Interviews bestätigt werden. Darüber hinaus wurden kompetenz und Digitale Kommunikation und Kooperation die Kompetenzen Belastbarkeit und Standpunkt vertreten identifiziert werden. Darüber hinaus wurden die Kompeten- identifiziert. zen Erstellung digitaler Inhalte, digitale Problembehebung Belastbarkeit ist die Fähigkeit, bei physischen und/oder und digitale Selbstachtsamkeit identifiziert. psychischen Anforderungen der Arbeitsumwelt zielorien- Die Kompetenz Erstellung digitaler Inhalte knüpft an tiert zu handeln und diese erfolgreich zu bewältigen. Anfor- die dargestellte Definition der digital literacy an. Hier wird derungen können aus den bestehenden Arbeitsbedingungen, explizit auf das Schreiben bzw. das Erstellen von Inhal- der Arbeitsumwelt oder den sozialen Interaktionen (Kon- ten in digitalen Arbeitskontexten eingegangen. Dies um- flikten) entstehen. Belastbarkeit beinhaltet auch einen posi- fasst sowohl das Aufschreiben und Bereitstellen von In- tiven Umgang mit Risiken, Unbestimmtheiten und Wider- formationen zum Arbeitsprozess oder -ablauf, wie es im sprüchen sowie die Fähigkeit, daraus Ansätze für die Selbst- nachfolgenden Zitat dargestellt wird, als auch rudimentäre entwicklung zu ziehen (Heyse 2007). Das nachfolgende Zi- Programmierkenntnisse. Damit kommt den Produktionsbe- tat zeigt, dass Effizienzsteigerung und Leistungsdruck neue schäftigten keinesfalls nur ein passiver Part im Umgang mit Anforderungen sein können, mit denen die Beschäftigten den dargestellten und bereitgestellten Informationen durch umgehen können müssen. DWAS zu. Vielmehr unterstreicht es die Anforderung an Beschäftigte, sich selbst aktiv in die Erstellung von Inhal- Und wenn [...] natürlich dieses Schnelllebige dazu- ten, das Teilen von Wissen und Informationen sowie die kommt, dann wird das wieder für die [Anmerkung: Gestaltung des Unternehmens einzubringen. für die Mitarbeitenden] auch zusätzlicher [...] Leis- tungsdruck [...]. Das ist der eine Punkt. Damit muss Und über solche zum Beispiel Unternehmenswikis man schauen, dass man damit umgehen kann. (Inter- oder Social Media-Formen im Unternehmen: Da sind view 15, Planer/in) natürlich nicht nur die Leitungsebenen gefordert, da was einzustellen, sondern in gleichem Maße stellen Die Kompetenz Standpunkt vertreten beschreibt, dass Be- auch die Mitarbeiter was ein, zum Beispiel was sie schäftigte zukünftig vermehrt in der Lage sein müssen, ih- gerade bemerken im Bereich der Montage oder was ren Standpunkt, ihre Meinung oder ihre Interessen in einem sie bemerken im Bereich der Produktion, der Quali- Diskurs mit anderen zu vertreten. Dies geht damit einher, tät der Werkzeuge, der Qualität der Vorprodukte oder dass Beschäftigte die Konsequenzen der Handlungen ande- des häufigen Wechsels oder den Ausfällen von Ma- rer erfassen, verstehen und reflektieren müssen sowie Aus- schinen oder die gute Laufzeit von einer bestimmten wirkungen daraus für die eigene Arbeitstätigkeit ableiten Maschine. (Interview 4, Politischer Akteur) und eine Position beziehen müssen (Hillebrand 2018). Das bewusste Positionieren ist im folgenden Zitat erkennbar: Bei der Kompetenz digitale Problembehebung wird die dar- gestellte Definition zur Digitalkompetenz aufgegriffen, in Dann entwickle ich meine eigenen Arbeitsprozesse der vor allem die Problemlösung im Zusammenhang mit weiter. Ich müsste auch ein Stück weit Politiker sein, digitalen Technologien betrachtet wird (Wicht et al. 2018). ich müsste dann auch Einfluss darauf nehmen, in wel- Zur digitalen Problembehebung zählen beispielswiese das che Richtung sich das entwickelt. (Interview 20, Po- Reparieren eines technischen Gerätes oder das Aufladen litischer Akteur) eines Akkus, aber auch die Fähigkeit mit angezeigten Feh- Hypothese 5 kann daher nicht abgelehnt werden. Neben lermeldungen umzugehen. den in der Literatur benannten Selbstkompetenzen Verän- Ich sage einfach mal, wir möchten was einführen und derungsbereitschaft und Eigenverantwortung konnten die du gehst zum Beispiel eine Woche auf eine Schu- Kompetenzen Belastbarkeit und Standpunkt vertreten iden- lung, wo du mit diesen Systemen Vor- und Nachtei- tifiziert werden. le und einwandfreies Arbeiten anwenden kannst, in- Für die digitale Kompetenz wurden sieben relevante klusive der verschiedensten Möglichkeiten, natürlich Kompetenzdimensionen ermittelt, die ebenfalls den vier auch Anwenderfehler oder Systemprobleme selbst be- Facetten Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz heben können. Ich sage mal, die Tendenz geht da hin zugeordnet werden konnten. Damit zeigt sich, dass digitale in Richtung Digitalisierung und Systeme und Rech- Kompetenz als Querschnittskompetenz beschrieben wer- ner [...]. Das heißt natürlich, wenn irgendwo dann Pro- den kann. Eine Querschnittskompetenz kann verstanden K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 213 bleme sein sollten, müsste der Mitarbeiter am besten Warum lerne ich nicht damit umzugehen, und zwar so diese auch selbst [...] lösen können. (Interview 43, in Maßen, dass es mir nicht schadet? (Interview 46, Anwendende) Betriebsrat) Weiterhin wurde die Kompetenz digitale Selbstachtsamkeit Neben den aus der Literatur abgeleiteten Kompetenzen aus den Interviews heraus identifiziert. Digitale Selbstacht- Informations- und Datenverarbeitungskompetenz, Daten- samkeit wird definiert als die Fähigkeit bei der Anwendung schutz/Systemsicherheit, allgemeine IT-Anwendungskompe- und Nutzung digitaler Technologien im Arbeitskontext Ri- tenz und digitale Kommunikation und Kooperation konnten siken zu erkennen und entsprechende Konsequenzen abzu- außerdem die Kompetenzen Erstellung digitaler Inhalte, leiten, um die eigene physische und psychische Gesundheit digitale Problembehebung und digitale Selbstachtsamkeit und das eigene Wohlbefinden zu schützen. Dies wird in den generiert werden. Hypothese 6 kann daher nicht abgelehnt folgenden Zitaten verdeutlicht. werden. Wenn die mobilen Endgeräte oder auch Wearables 4.1.2 Deskriptive Gruppenvergleiche für Kompetenzen in dann zum Einsatz kommen, dann müssen die Mit- der Industrie 4.0 arbeiter dafür auch sensibilisiert werden, wann sie das selbst [..] ausschalten. [...] Ja, also die müssen Bei der Nennung der einzelnen Kompetenzen sind Unter- eine Befähigung entwickeln, selber, und da kann der schiede zwischen den fünf befragten Expertengruppen er- Arbeitgeber dann tatsächlich auch unterstützen, dass kennbar. In Abb. 4 ist die Verteilung der Nennhäufigkeiten sie diese Entgrenzung zwischen Privatleben und Ar- für die Kompetenzen aus den Facetten Fach-, Methoden-, beitsleben selbst vornehmen können und dazu auch Sozial- und Selbstkompetenz dargestellt. Abgetragen ist die ermächtigt werden, das auch durchzusetzen. (Inter- prozentuale Häufigkeit der Nennungen einer bestimmten view 9, Politischer Akteur) Kompetenz je Expertengruppe. Mehrfachnennungen der- selben Kompetenz in einem Interview wurden nur einmal Abb. 4 Deskriptive Auswertung Nennungen je Expertengruppe für relevante Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz K
214 V. S. L. Blumberg, S. Kauffeld Abb. 5 Deskriptive Auswertung Nennungen je Expertengruppe für relevante digitale Kompetenzen (Hinweis: Bei der Kompetenzdimension Da- tenschutz/Systemsicherheit liegen die Datenpunkte für die Gruppen Politische Akteure und Betriebsrat aufeinander (mit jeweils 2 Nennungen)) gezählt. Somit bedeutet ein Wert von 100 %, dass eine be- und Eigenverantwortung benannt. Die Kompetenz eigenen stimmte Kompetenz von allen Interviewteilnehmenden ei- Standpunkt vertreten wird von den Expertengruppen Wis- ner bestimmten Expertengruppe benannt wurde, 0 % be- senschaft, Politische Akteure, Betriebsrat und Planer/in sel- deutet, dass die jeweilige Kompetenz von einer bestimmen ten und von Anwendenden gar nicht benannt. Expertengruppe gar nicht benannt wurde. In Abb. 5 sind die deskriptiven Vergleiche der prozen- In der Facette Fachkompetenz fällt auf, dass die Bedeu- tualen Nennhäufigkeiten je Expertengruppe für die identifi- tung des Fachwissens vor allem von Interviewteilnehmen- zierten digitalen Kompetenzen dargestellt. 100 % bedeutet, den der Expertengruppen Politische Akteure und Wissen- dass eine bestimmte Kompetenz von allen Interviewteilneh- schaft benannt wurde. In beiden Gruppen wurde das Fach- menden einer bestimmten Expertengruppe benannt wurde, wissen als relevante Kompetenz in mehr als 70 % der In- 0 % bedeutet, dass die jeweilige Kompetenz von einer be- terviews benannt (Wissenschaft: 75 %, Politische Akteure: stimmen Expertengruppe gar nicht benannt wurde. Mehr- 79 %). In allen drei Expertengruppen der betrieblichen Pra- fachnennungen derselben Kompetenz in einem Interview xis wird diese Kompetenz in weniger als 50 % der Inter- gingen nur einmal in die Nennhäufigkeit ein. views benannt. Beim Blick auf die Facette Methodenkom- Bei den digitalen Kompetenzen, die der Facette Fach- petenz wird deutlich, dass Kompetenzen aus dieser Facette kompetenz zugeordnet sind, fällt auf, dass vor allem die insgesamt weniger häufig und ausschließlich von den Ex- Informations- und Datenverarbeitungskompetenz über die pertengruppen Politische Akteure, Wissenschaft und Pla- Expertengruppen hinweg sehr unterschiedlich häufig be- ner/in genannt wurden. Teilnehmende der beiden Grup- nannt wird. Während diese Kompetenz von Anwendenden pen Betriebsrat und Anwendende benennen weder Strate- gar nicht benannt wird, wird die Kompetenz von der Grup- gienflexibilität noch Analysefähigkeit als relevante Kom- pe der Politischen Akteure in 9 Interviews (64 %) benannt. petenz. In der Facette Sozialkompetenz weisen die beiden Die allgemeine IT-Anwendungskompetenz, die der Facet- Dimensionen Kommunikationsfähigkeit und Kooperations- te der Methodenkompetenz zugeordnet wurde, wird über fähigkeit eine große Streuung auf. Die Dimension Kom- alle Kompetenzdimensionen hinweg am häufigsten als not- munikationsfähigkeit wurde von Betriebsräten gar nicht be- wendige Kompetenz benannt. Die digitale Kommunikation nannt, wohingegen Politische Akteure diese Kompetenz in und Kooperation wird nur von den Expertengruppen Wis- 5 Interviews (36 %) benannten. Die Dimension Kooperati- senschaft, Planer/in und Anwendende benannt. Die digitale onsfähigkeit wurde von der Gruppe der Anwendenden gar Selbstachtsamkeit wird insgesamt selten, jedoch von allen nicht genannt. In der Facette Selbstkompetenz werden vor Expertengruppen benannt. allem die Aspekte Veränderungsbereitschaft, Belastbarkeit K
Kompetenzen und Wege der Kompetenzentwicklung in der Industrie 4.0 215 4.2 Wege der Kompetenzentwicklung in der und den Lernort, der sich in unmittelbarer Nähe zum Ar- Industrie 4.0 beitsplatz befindet. Die Kategorie selbstgesteuertes Lernen mit Medien wurde ausschließlich dann vergeben, wenn die Wie können Kompetenzentwicklungswege beschrieben Interviewteilnehmenden herausstellten, dass die Mitarbei- werden? Im Folgenden werden unterschiedliche Zugän- tenden selbst entscheiden können, ob, wann und wo sie die ge anhand des erstellten Kategoriensystems beschrieben, Kompetenzentwicklung durchführen wollen. die von den Expertengruppen (Wissenschaft, Politische Weiterhin wurde die Lernfabrik als ein Weg non-forma- Akteure, Planer/in, Betriebsräte und Anwendende) unter- ler Kompetenzentwicklung benannt. Eine Lernfabrik wird schiedlich häufig benannt wurden. definiert als eine Lernumwelt, die authentische Arbeitspro- zesse nachstellt, unterschiedliche Arbeitsstationen beinhal- 4.2.1 Kategoriensystem für Wege der tet und dabei sowohl technische als auch organisationale Kompetenzentwicklung Aspekte der realen Arbeitssituation abbildet. Sie zeichnet sich durch ein veränderbares Setting aus, in dem physische Insgesamt konnten acht unterschiedliche Wege der Kompe- Produkte erstellt werden. Nicht nur reale physische Räu- tenzentwicklung identifiziert werden. Diese konnten anhand me, sondern auch virtuelle Abbildungen der realistischen des bestehenden Ordnungsrahmens in formale, non-formale Arbeitsprozesse können als Lernfabriken (im weiteren Sin- und informelle Kompetenzentwicklung unterschieden wer- ne) verstanden werden (Abele et al. 2017, 2016). Daher den (siehe Abb. 6). wurden dieser Kategorie sowohl Nennungen von Modellfa- Als Wege der formalen Kompetenzentwicklung wurden briken, Experimentier-Inseln und Musterarbeitsplätzen als in den Interviews, wie aus der Literatur abgeleitet, betriebs- auch virtuelle Simulationen der realen Arbeitsumgebung externe und betriebsinterne Kurse benannt. Damit kann Hy- zugeordnet. Das nachfolgende Zitat beschreibt eine solche pothese 7 nicht abgelehnt werden. virtuelle Lernfabrik. Als non-formale Kompetenzentwicklungsmaßnahmen Um mal ganz niederschwellig anzufangen, also könn- wurden sowohl das Anlernen durch Kollegen als auch das ten das so virtuelle Lerngelegenheiten sein, [...] so selbstgesteuerte Lernen mit Medien benannt. Weiterhin virtuelle Lernszenarien. Das heißt, man bildet einen wurden in den Interviews zusätzlich das digitale Anler- Produktionsprozess digital ab, zum Beispiel mittels nen, Unterweisen und Informieren sowie Lernfabriken als Virtual Reality, was nicht immer heißt, dass man so Möglichkeiten zur non-formalen Kompetenzentwicklung eine voll immersive Brille braucht, man kann sich das benannt. genauso gut auch am Desktop anschauen und kann da Die Kategorie digitales Anlernen, Unterweisen und In- eben aufgabenbezogen Aufgaben lösen. [...] Und die formieren beschreibt die Nutzung digitaler Endgeräte für Maschine, die virtuelle, verhält sich dann eben genau die Sensibilisierung von Mitarbeitenden zu bestimmten wie die reale. (Interview 59, Wissenschaft) Themen. Hierbei steht die Informationsvermittlung durch die digitalen Endgeräte im Fokus. Die Kategorie unter- Als non-formale Maßnahmen der Kompetenzentwicklung scheidet sich von der Kategorie selbstgesteuertes Lernen wurden, wie aus der Literatur abgleitet, Anlernen, Unter- mit Medien durch einen stärker verpflichtenden Charakter weisung und Information durch Kollegen und das selbst- Abb. 6 Kategoriensystem Wege der Kompetenzentwicklung K
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