SUN - UNIVERSITÄT MÜNSTER
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SuN Ausgabe 03/2018 Soziologie und Nachhaltigkeit - Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Melanie Castello / Michael Böcher Soziale Kälte bei der Wärmewende? Eine Untersuchung sozialer Nebenwirkungen politischer Steuerung im Wohnsektor Zusammenfassung: Um die Ziele der Abstract: In order to achieve the goals of the Energie- und Wärmewende zu erreichen, stehen po- energy transition (“Energie- und Wärmewende”), litischen Entscheider*innen verschiedene politische political-decision makers have various political in- Instrumente zur Verfügung. Auf Basis eines Litera- struments at their disposal. In the area of housing turreviews prüfen wir in einer Fallanalyse für den policies, we examine within a case study on the Bereich Wohnen, inwieweit diese auf ökologische basis of a literature review the extent to which these Nachhaltigkeit konzentrierten Instrumente im Span- ecologically-focused instruments are in conflict nungsverhältnis zur sozialen Nachhaltigkeit stehen. with social criteria of the concept of sustainability. Dafür werden die Energieeinsparverordnung, For this purpose, the regulation for energy savings, Förderprogramme der Kreditanstalt für Wieder- funding programs of the government-owned de- aufbau sowie die Modernisierungsumlage auf ihre velopment bank as well as the sharing of costs for sozialen Verteilungswirkungen hin überprüft. Als modernization between landlords and tenants will konzeptioneller Rahmen dient die von Kraemer be examined. Therefore, Kraemers (2007, 2008) (2007, 2008) ausgearbeitete Typologie zu sozialen typology of social distributional dimensions of the Verteilungsdimensionen von Umwelt. Um zu unter- environment serves as a conceptual framework. In suchen, inwieweit mögliche Verteilungswirkungen order to investigate to what extent possible negative an anderer Stelle durch sozialstaatliche Transfers effects are eliminated by welfare state transfers, we abgefedert werden, wird der Blick abschließend will finally focus on the so-called accompanying auf die sogenannten flankierenden Maßnahmen in measures. As a conclusion, a wide range of policy der Mindestsicherung und im Wohngeld gelenkt. instruments is used in the field, concurrently iden- Im Ergebnis zeigt sich, dass zur Erreichung der tifying a focus on economic instruments. Negative Wärmewende ein breites Spektrum an politischen social effects have been detected especially in the Instrumenten abgedeckt wird, wobei der Schwer- field of environmental burden and environmental punkt auf ökonomischen Instrumenten liegt. relief, even taking into account the transfer systems Insbesondere bei Umweltbelastungen und -ent- of the welfare state. lastungen sind, auch unter Berücksichtigung der sozialstaatlichen Transfersysteme, negative soziale Verteilungswirkungen nachzuweisen.
Autor*innen: Melanie Castello ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Ot- to-von-Guericke Universität Magdeburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen methodisch in der Politikfeldanalyse und der empirischen Sozialforschung, inhaltlich aktuell in der Wohnungs- und Kommunalpolitik. Melanie.Castello@ovgu.de Michael Böcher ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwick- lung am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind politikwissenschaftliche Umwelt- und Nachhaltigkeitsfor- schung, Regional Governance im ländlichen Raum sowie wissenschaftliche Politikberatung und Wissenstransfer in den Umweltwissenschaften. Michael.Boecher@ovgu.de Soziologie und Nachhaltigkeit Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Ausgabe 3/2018, 4. Jahrgang ISSN 2364-1282 Creative Commons-Lizenz Herausgeber: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Dieter Hoffmeister, Björn Wendt Redaktion: Niklas Haarbusch Layout/ Satz: Frank Osterloh Anschrift: WWU Münster, Institut für Soziologie Scharnhorststraße 121, 48151 Münster Telefon: (0251) 83-25303 E-Mail: sun.redaktion@wwu.de Website: www.ifs.wwu.de/sun
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? Einleitung Was sind die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen dieser neuen Fragen zum Im Diskurs über Nachhaltigkeit insgesamt und Verhältnis von Nachhaltigkeit und sozialer über die Energie- und Wärmewende im Speziellen Ungleichheit? Das 2010 von der damaligen Bun- SuN 03/2018 spielen individuelle Kosten eine entscheidende desregierung verabschiedete Energiekonzept Rolle. Das Individuum ist mit einem bunten Strauß schreibt vor, bis zum Jahr 2050 einen „nahezu an Entscheidungszwängen konfrontiert, begin- klimaneutralen Gebäudebestand“ erreichen zu nend beim alltäglichen Einkauf nach Kriterien wollen und ergänzt: „Wir wollen dabei Anreize wie Preis, Bio oder Regionalität. Während diese setzen, aber keine Zwangssanierungen anordnen. Entscheidungen vorwiegend entlang eigener Res- Wir stellen wirtschaftliche Anreize in den Mittel- sourcen und Wertvorstellungen gefällt werden, punkt unserer Politik“ (Bundesregierung 2010: sind andere Kostenfragen explizit politisch. Dies 27 f.).1 Zu diesen sogenannten ökonomischen In- ist der Fall, sobald politische Entscheidungen strumenten zählen Steuern und andere Abgaben, auf Preise einwirken: Wer profitiert von der Subventionen und Prämien. Somit sind einige der Förderung für Solaranlagen, wen stimuliert eine im Rahmen der Energie- und Wärmewende ent- Kaufprämie zum Erwerb eines Elektroautos? Hier stehenden Kosten politisch beeinflusst, indem sie besitzen Verbraucher*innen eine Wahlmöglich- dazu beitragen sollen, ein meritorisches Gut (hier: keit, Förderanreizen zu folgen oder (wenn es die die ökologische Nachhaltigkeit) zu erreichen. Bei individuellen Ressourcen nicht zulassen) nicht zu einem solchen Gut ist die gesellschaftliche Nach- folgen. Allerdings gibt es staatliche Eingriffe auch frage geringer als es politisch erwünscht ist (vgl. dort, wo die Konsument*innen sich nicht zwischen Musgrave 1956). Allerdings zeigt der Akzeptanz- Nutzen und Nichtnutzen entscheiden können. Die survey des Jahres 2015, dass lediglich ein Drittel Umlage aus dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz der Befragten die Vor- und Nachteile der Ener- (EEG) ist ein naheliegendes Beispiel, da jede*r giewende als „fair verteilt“ ansieht (Sonnberger/ Stromverbraucher*in diese zu entrichten hat Ruddat 2016: 21). Mit 24 Prozent ist der Anteil (Bundesnetzagentur 2017). derjenigen, die sich selbst als Nutznießer*innen Während es in der Umwelt- und Nachhaltigkeits- der Energiewende betrachten, noch geringer forschung eine breite Debatte über ökologische (Sonnberger/Ruddat 2016: 21). und ökonomische Wirkungen des Einsatzes ver- Brisant erscheint uns deshalb die Frage nach den schiedener politischer Instrumente gibt (Böcher sozialen Verteilungswirkungen der eingesetzten 2007, Böcher/Töller 2012: 74 ff.), sind soziale Instrumente. Wir überprüfen in einer Fallanalyse, Effekte des umweltpolitischen Instrumenten- inwieweit die soziale Nachhaltigkeitsdimension einsatzes bislang eher nachrangig behandelte in der politischen Steuerung des Wohnsektors Forschungsthemen. In diesem Zusammenhang Berücksichtigung findet.2 Die Hypothese lautet: sollen einige klima- und umweltpolitische Ziele der Wärmewende geprüft werden. Die Relevanz sozialer Ungleichheiten offenbart sich dort, wo 1 Die Energieeffizienzstrategie Gebäude (2015) definiert: Wohnkosten (Kaltmiete, Nebenkosten) pro- „Klimaneutral heißt, dass Gebäude nur noch einen sehr geringen Energiebedarf aufweisen und der verbleibende zentual einen großen Anteil des verfügbaren Energiebedarf überwiegend durch erneuerbare Energien Haushaltseinkommens aufzehren. Dies betrifft gedeckt wird“ (BMWI 2015: 9). sozial schwächere Haushalte oder kinderreiche 2 Folgt man Kraemer (2008: 36), so lassen sich mit dem Be- Familien besonders (Schaffrin et al. 2017: 2). griff der sozialen Nachhaltigkeit Aussagen über „anzu- strebende oder zu gewährleistende Lebensbedingungen“ treffen, bspw. in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Be- schäftigung oder eben in Verteilungsfragen. 53
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Bestehende politische Instrumente zur Förderung Ausgangspunkt der Analyse ist das Paradigma der Wärmewende belasten Einkommensschwache der Umweltgerechtigkeit. Kapitel 2 präsentiert in überdurchschnittlich stark.3 Dies soll entlang von diesem Sinne zunächst den gegenwärtigen For- zwei Fällen zur energetischen Sanierung und zum schungsstand zum Themenkomplex „Umwelt und SuN 03/2018 energetischen Bau untersucht werden. Der erste soziale Ungleichheit“. Daran anschließend werden Fall fragt nach der Perspektive der Wohngebäude die von Kraemer (2008) ausgearbeiteten sozialen selbstnutzender Eigentümer*innen, wobei sowohl Verteilungsdimensionen von Umwelt (Umweltbe- der Energieeinsparverordnung (EnEV) als auch lastungen, -entlastungen und -nutzen) skizziert. der finanziellen Förderung durch die Kreditan- Diese bilden den zentralen Analyserahmen für stalt für Wiederaufbau (KfW) Aufmerksamkeit die Prüfung der vorab formulierten Hypothesen. zukommt. Der zweite Fall widmet sich der Mo- Kapitel 3 erläutert dann, da die Analyse Vertei- dernisierungsumlage nach § 559 Bürgerliches lungswirkungen umweltpolitischer Instrumente Gesetzbuch (BGB). Durch diese Umlage können untersucht, die den politischen Akteuren zur Ver- Vermieter*innen derzeit bis zu elf Prozent der an- fügung stehenden politischen Instrumente. Das fallenden energetischen Modernisierungskosten Kernstück der Analyse bildet schließlich Kapitel auf ihre Mieter*innen umlegen (Stand: August 4: Für die Bereiche energetische Sanierung und 2018). Entsprechend der beiden Fälle untersu- energetischer Bau werden die sozialen Vertei- chen wir zwei Unterhypothesen: H1 betrifft die lungswirkungen der o.g. Instrumente geprüft. Wirkung auf selbstnutzende Eigentümer*innen Diese Beurteilung erfolgt auf der Basis von aus und lautet: Die finanzielle Förderung für vorhandenen Studien abgeleiteten Kriterien. energetischen Bau und energetische Sanierung be- Kraemers Typologie soll dazu dienen, die bishe- vorzugt aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung rigen Diskurse zu sozialen Verteilungswirkungen tendenziell Einkommensstarke. Schwächerver- der Energie- und Wärmewende konzeptionell zu diener*innen indessen verzichten aufgrund der strukturieren. Da die unerwünschten (Neben) punktuell aufzubringenden Finanzmittel eher auf Wirkungen politischer Instrumente in einem derartige Aktivitäten, was wiederum mittel- und Politikfeld häufig über sozialstaatliche Systeme langfristig mit höheren Kosten verbunden sein abgefedert werden, bedarf es anschließend in kann. H2 nimmt die Zielgruppe der Mieter*innen Kapitel 5 eines Blickes auf diese sog. „flanki- in den Blick und besagt: Die Modernisierungsum- erenden“ Maßnahmen. Kapitel 6 schließt mit lage zwingt Einkommensschwache zum Fortzug einem Fazit. aus bewohnten Wohnungen und verhindert eine Mit diesem Beitrag an der Schnittstelle zwischen Ansiedlung in begehrten Wohngegenden. Soziologie und Politikwissenschaft ist das Ziel verbunden, die weitläufige These der „sozial un- gerechten Energie- und Wärmewende“ in einem spezifischen Bereich zu operationalisieren und 3 Nach EU-Definition gilt eine Person als arm oder von sozi- aufgrund der bislang noch unbefriedigenden aler Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens ein von drei Kriterien zutrifft: „Ihr Einkommen liegt unter der Armutsge- Datenlage genauer in einer explorativen Form zu fährdungsgrenze, ihr Haushalt ist von erheblicher materi- untersuchen. Trifft der Vorwurf zu und inwiefern eller Entbehrung betroffen oder sie lebt in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung“ (Statistisches Bun- werden derartige Wirkungen durch sozialstaat- desamt 2017; zur Berechnung der Armutsgrenze siehe liche flankierende Maßnahmen abgefedert? Damit Statistisches Bundesamt 2018). Diese Definition gilt hier lediglich als Orientierung, da für die zu untersuchenden soll dem oft bescheinigten Zielkonflikt zwischen Fallbeispiele keine statistisch signifikanten Werte mit Rück- ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit Rech- schlüssen auf die konkreten Einkommen ausgewertet werden. nung getragen werden, da laut Umweltbundesamt 54
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? (2016) ein „dringender Bedarf an Strategien, um wende ebenfalls in diesem normativ geprägten die Umweltpolitik noch sozialer zu gestalten und Rahmen abspielt. Wir verfolgen hier indessen ein für mehr ökologische Gerechtigkeit zu sorgen“ stärker analytisches Vorgehen; mit Rückgriff auf besteht. Cutter (1995: 112) lässt sich von einer Perspek- SuN 03/2018 tive der „environmental equity“ sprechen: „For many, the phrase ‚environmental equity‘ implies 1. Umwelt und soziale Ungleichheit an equal sharing of risk burdens, not an overall reduction in the burdens themselves […]. Envi- Einbettung: Das Paradigma der Umweltge- ronmental justice is a more politically charged rechtigkeit und der Forschungsstand term, one that connotes some remedial action to correct an injustice imposed on a specific group of Die vorliegende Fragestellung knüpft an den people […].“ Das Aufzeigen von Umweltungleich- Diskurs zur Umweltgerechtigkeit an. Anders als heit ist ein erster Schritt, aus dem politische, aber bei Klimagerechtigkeit wird hier nicht nach global auch moralische Schlussfolgerungen gezogen ungleich verteilten Möglichkeiten zu Klimaschutz werden können. Letzteres ist indessen nicht Ziel und Klimawandelanpassung gefragt, sondern und Absicht des vorliegenden Beitrags.5 Zudem ist nach Verteilungswirkungen innerhalb von Indust- unserer Meinung nach eine inhaltliche Erweite- riestaaten. Der Ursprung der normativ-moralisch rung notwendig, um die „Zentrierung des Begriffs geprägten Umweltgerechtigkeitsdebatte liegt als auf Fragen der sozialen (Ungleich-)Verteilung von soziale Bewegung afro-amerikanischer Minder- ‚environmental bads‘“ aufzubrechen (Elkins 2008: heiten in den 1980er Jahren. Während Ulrich 3744). Somit lässt sich für uns zusammenfassen: Beck etwa zeitgleich für moderne Industriestaaten Generell beschreibt Umweltgerechtigkeit einen eine sozial ausgewogene Verteilung von Umwelt- vom gegenwärtigen Ist-Zustand abweichenden risiken attestiert („Not ist hierarchisch, Smog ist „gewünschten Zustand, der in der Regel Hand- demokratisch“, in Emunds/Merkle 2016: 6), kri- lungsbedarf impliziert“ und traditionell liegt ihr tisieren Vertreter*innen der Umweltgerechtigkeit Fokus auf Umweltbelastungen, manchmal auch ungleich verteilte Umweltrisiken bspw. bezüglich auf der ungleichen Verteilung von Umweltnut- Mülldeponien oder Industrieabgasen.4 Seit ihren zungen, selten hingegen bei den sogenannten Anfängen konzentriert sich diese Debatte auf Um- Umweltschutzkosten (Umweltbundesamt 2015: weltbelastungen und in diesem Kontext auf sozial 15). Gerade die letztgenannten Umweltschutz- ungleich verteilte Gesundheitsrisiken (vgl. Čapek kosten und ihre sozial (un)gleiche Verteilung sind 1993, Cutter 1995 oder Taylor 2000). In den für uns interessant. 2000er Jahren erweitert insbesondere Agyeman diesen Diskurs, indem er Umweltgerechtigkeit Ein Blick in die gegenwärtige Literatur zu Ver- stärker im Kontext von nachhaltiger Entwicklung teilungswirkungen im Themenfeld zeichnet denkt (vgl. bspw. Agyeman et al. 2003). folgendes Bild: Die Preisentwicklungen im Rahmen der Energie- und Wärmewende haben Für unser Vorhaben ist dieser Blick „in die Ver- in den letzten Jahren eine intensive Publikations- gangenheit“ relevant, da sich der gegenwärtige aktivität hervorgerufen. Viele Veröffentlichungen Diskurs zur „ungerechten“ Energie- und Wärme- finden sich zu gestiegenen Stromkosten und ihren sozialen Verteilungswirkungen, überwie- 4 Zur Verbindung von environmental justice und environ- mental racism, sowie zur Vertiefung in die historischen Ur- sprünge der Debatte zur Umweltgerechtigkeit empfehlen 5 Zur Unterscheidung von Umweltgerechtigkeit und Um- sich Elvers (2005) und Elvers (2011). weltgleichheit siehe bspw. Elvers (2005: 11). 55
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung gend im Zusammenhang mit dem EEG (Heindl litikfeld überführt und trägt gleichzeitig zu einer 2014, Borchers/Hrach 2018, Scholz/Scholz Ausweitung des herkömmlichen Verständnisses 2015, Bontrup/Marquardt 2014). Ebenfalls an von Umweltgerechtigkeit bei. der Schnittstelle von Energiewende und sozialer SuN 03/2018 Nach Elkins (2008: 3746) ist diese relativ neue Ungleichheit stark diskutiert ist die Förderung Gerechtigkeitsproblematik nämlich „dort ange- von Photovoltaikanlagen und dem Kreis ihrer legt, wo durch Umweltpolitik Veränderungen potentiellen Nutzer*innen (Frondel et al. 2014, in den Kostenstrukturen von Lebenspraxen Andor et al. 2015, Simpson/Clifton 2016, Nelson angestoßen werden.“ In diesem Fall hat das In- et al. 2012). Eng damit verbunden ist außerdem dividuum zwei Möglichkeiten: Entweder mehr die Debatte zur Energiearmut, also zu gestiegenen zahlen oder weniger konsumieren. Allerdings Energiekosten und den dadurch hervorgerufenen müssten Personen mit weniger verfügbarem sozial ungleich verteilten finanziellen Lasten. Im Einkommen tendenziell „weniger konsumieren“, deutschsprachigen Raum ist diesbezüglich auf weil die Option „mehr zahlen“ für sie häufig nicht den Sammelband von Großmann et al. (2017) gangbar ist. Für Elkins (2008: 3749) ist das in- „Energie und soziale Ungleichheit“ zu verweisen. sofern problematisch, als dass das gewünschte Einen stärker gerechtigkeitstheoretisch eingebet- Lenkungsprinzip somit nicht vom Umfang der teten Ansatz wählt der Sammelband von Emunds/ individuell verursachten Beeinträchtigung des Merkle (2016a). Hier fragen Hennicke (2016), Schutzgutes „Umwelt“ abhängt, sondern viel- Heindl (2016) und Kanschik (2016) nach sozialen mehr von der jeweiligen Zahlungsfähigkeit: Verteilungswirkungen im Rahmen der Ener- „Ganz offensichtlich steht hier nicht das Problem giewende, aber auch grundlegende theoretische der Verteilung von ‚environmental bads‘ im Annahmen zu Gerechtigkeit und Umwelt werden Mittelpunkt; das Thema ist vielmehr die soziale etwa bei Leist (2016) oder Reder (2016) diskutiert. Verteilung der Lasten für die Herstellung von Und schließlich sei eine eng an der vorliegenden ‚environmental goods‘“. Forschungsfrage angesiedelte Studie vom Um- weltbundesamt benannt: Jacob et al. (2016: 22, Soziale Verteilungsdimensionen von Umwelt 105 ff.) untersuchen Verteilungswirkungen um- nach Kraemer weltpolitischer Maßnahmen und denken bei der klassischen Instrumententypologie interessanter- Etwa zeitgleich mit Elkins befasst sich auch weise auch soziale Ausgleichsmaßnahmen mit. Kraemer mit sozialen Verteilungsfragen rund um das Thema Umwelt. So kritisiert er bereits im Als Zusammenschau des gegenwärtigen For- Jahr 2007 eine mangelnde soziologische Ausein- schungsstands lässt sich indes festhalten: andersetzung mit dem Zusammenhang zwischen Während sich die Bereiche Strom und Energie „Umwelt und soziale Ungleichheit“ (Kraemer hinsichtlich sozialer Verteilungswirkungen 2007: 348) und erklärt diese unter anderem mit inzwischen einer intensiven Debatte erfreuen der Tatsache, dass potentielle Gewinner*innen (also der Bereich der Energiewende), sind die und Verlierer*innen in diesem Feld diffus und Kaltmiete bzw. Wohnkostensteigerungen bei Ei- folglich unscharf zu fassen sind (Kraemer 2008: gentümer*innen weniger stark im Gespräch (ein 180).6 Um dies umfassend zu beleuchten, ist Teilbereich der Wärmewende). Der Stand der Literatur bestätigt damit das Vorhaben, energeti- sches Sanieren und Bauen ins Zentrum zu rücken. 6 Was hingegen durchaus in der Beziehung von Ökologie Damit wird die Debatte um Umweltschutzkosten und Soziologie untersucht wurde, sind sozial ungleich verteilte Wahrnehmungen zu Umweltrisiken und Umwelt- und ihre Verteilungswirkungen in ein neues Po- chancen. Kraemer (2008: 47; 177) verweist hier auf die 56
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? Kraemer zufolge zunächst eine Klärung der rele- belasteten Wohngebieten, ist dabei aufgrund von vanten Verteilungsobjekte notwendig: In welchen Miet- und Kaufpreisniveau vordergründig ein- Bereichen von Umwelt finden sich ungleiche Ver- kommensstarken Bevölkerungsgruppen möglich teilungen? Kraemer (2007, 2008) arbeitet dafür (Kraemer 2007: 352). SuN 03/2018 die folgenden Dimensionen aus: naturräumliche Die nächste Verteilungsdimension der Um- Verteilungsdimensionen, Umweltbelastungen, weltentlastungen ist in zwei Unterkategorien -entlastungen und -nutzungen. Diese Typologie aufzuteilen, wobei beide einen Zusammenhang beinhält sowohl die typischen Aspekte der „klassi- zwischen Umweltpolitik und sozialen Verteilungs- schen“ Umweltgerechtigkeit (Umweltbelastungen wirkungen postulieren: Profitieren alle gleich und -entlastungen), aber ebenfalls die im Steu- stark von der verbesserten Umweltqualität (Um- erungshandeln der Energie- und Wärmewende weltqualitätsverbesserungen) und sind die dafür nicht zu vernachlässigenden Umweltschutz- aufzubringen Kosten gleichmäßig verteilt (Um- kosten. Im Folgenden skizzieren wir Kraemers weltschutzkosten) (Kraemer 2007: 353, Kraemer Typologie, um sie anschließend auf die eigenen 2008: 204 f.)? Die erste Frage wird meist aus analytischen Ausführungen anzuwenden.7 verteilungspolitischer Perspektive positiv beant- Der Terminus „soziale Ungleichheit“ wird in wortet: Reduzierte Lärm- und Luftbelastungen dieser Arbeit in Anlehnung an Hradil (2006: kommen prinzipiell stärker denjenigen zugute, die 248) definiert und bezeichnet „bestimmte vorteil- davon zuvor besonders belastet waren. Die zweite hafte und nachhaltige Lebensbedingungen von Frage zur Kostenverteilung ist zentral für die Menschen, die ihnen aufgrund ihrer Positionen vorliegende Forschungsfrage, methodisch aber in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen zu- in ihrer Klärung anspruchsvoll. Meist wird dafür kommen“. Dabei sind zwei einander bedingende der prozentuale Anteil vom Haushaltseinkommen Aspekte zentral: Erstens die individuell zur Ver- berechnet, der für entsprechende Maßnahmen fügung stehenden Ressourcen und zweitens die aufgewendet werden muss. Hier gilt grundsätzlich Zugangschancen zu (begehrten) Gütern. die Annahme einer geringen Preiselastizität der Nachfrage nach den mit Abgaben belegten um- Die erste dementsprechend von Kraemer identifi- weltrelevanten Gütern wie Energie, Wasser oder zierte Verteilungswirkung von Umwelt beschreibt auch Benzin. Der Konsum dieser Basisgüter ist Umweltbelastungen. Diese bezeichnen das, was wenig flexibel und zu einem nicht geringen Anteil bereits die klassische Umweltgerechtigkeitsde- unabhängig vom Preis. Daher fällt er bei einem batte thematisiert: die ungleiche Verteilung von geringen Einkommen anteilig stärker ins Gewicht „environmental goods“ bzw. „environmental bads“, (Kraemer 2007: 355, Kraemer 2008: 206). also bspw. Lärm oder Schadstoffbelastungen. Die Exit-Option, konkret etwa der Fortzug aus stark Bei Umweltnutzungen weist Kraemer zunächst auf die statistische Notwendigkeit der Aggre- gatsebene „Haushalt“ hin; hier bilden sich der wegweisenden Gedanken von Ulrich Beck zur Risikoge- sellschaft und auf die von ihm postulierte „Nivellierung der finanzielle Handlungsspielraum und der Konsum Gefährdung“. alltäglicher Güter ab (Kraemer 2007: 356). Entlang 7 Die naturräumliche Primär- und Sekundärverteilung wird der Kategorien Emissionsgrößen (etwa Abwasser nicht tiefer verfolgt. Zwar gibt es unbestreitbar regional oder Abfall), Bestandsgrößen (etwa Wohnfläche unterschiedliche Klimazonen und Verteilungen von Roh- stoffen (Primärverteilung); diese sind aber gesellschaftlich oder Haushaltsgeräte) und Verbrauchsgrößen kaum zu beeinflussen. Und auch die Sekundärverteilung (etwa Heizenergie oder Strom) weisen Haushalte bezeichnet eher großflächige Umweltqualitäten, die als „sozial zufällig“ gelten und damit für die vorliegende Fra- je nach verfügbaren Finanzmitteln unterschied- gestellung nicht relevant erscheinen (Kraemer 2008: 199). 57
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung liche Potentiale der Umweltnutzung auf. Kraemer weltbelastung? Umgekehrt ist kaum eindeutig zu (2007: 359) befindet hierzu: „Es ist zu erwarten, klären, inwieweit eine Umweltqualitätsverbes- dass in dem Maße, in dem die Handlungsres- serung den individuellen Nutzwert steigert. Die sourcen sozial ungleich verfügbar sind, auch die dritte Herausforderung besteht schließlich im SuN 03/2018 Chancen der direkten und indirekten Stoff- bzw. Vergleich der unterschiedlichen Verteilungsdi- Umweltnutzung ungleich verteilt sind.“ mensionen: In welchem Verhältnis stehen etwa Umweltschutzkosten zu den erwarteten Umwelt- Dieses Zitat mit Verweis auf „Handlungsres- qualitätsverbesserungen? Diese methodischen sourcen“ leitet direkt weiter zu den sogenannten Herausforderungen von Kraemers Typologie ungleichheitsrelevanten Handlungskapazitäten. werden im Laufe der empirischen Überprüfung Kraemer (2007: 359 ff.) formuliert diese in relevant. Anlehnung an Reinhardt Kreckel und betont ihre Verbindung zur sozialen Ungleichheit: So seien ungleiche Nutzungschancen in den oben 2. Politische Instrumente genannten Dimensionen maßgeblich durch Reichtum, Wissen und selektive Assoziation zu Mit der Energieeinsparverordnung und den erklären. Während auch Kraemer (2008: 199) KfW-Förderprogrammen sind bereits typische selbst als zentrale Kategorie die ökonomische politische Instrumente der Wärmewende zur („Reichtum“) benennt, dürfen die anderen beiden Sprache gekommen. Grundsätzlich dienen poli- Kapazitäten nicht übergangen werden: „Die tische Instrumente dazu, „politische Ziele durch Mobilisierbarkeit marktfähiger Ressourcen in Beeinflussung des Handelns gesellschaftlicher Form von Geld, Besitz und Vermögen ist aller- Akteure zu erreichen“ (Böcher/Töller 2012: 74). dings nur eine notwendige, keineswegs aber Dabei stehen den Entscheidungsfinder*innen eine hinreichende Rahmenbedingung, um Um- verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, wobei weltpotentiale inwertzusetzen“ (Kraemer 2008: Böcher/Töller (2012: 75), an deren Instrumen- 359). Damit beugt Kraemer dem Vorwurf des tentypologie wir uns orientieren, fünf zentrale finanziellen Determinismus vor. Für die Hypo- Kategorien benennen: regulative, ökonomische, thesenprüfung zur Steuerung im Wohnsektor ist prozedurale, kooperative und informationelle dennoch eine Engführung auf die ökonomische Instrumente. Komponente angestrebt, wenn auch bei informa- Diese Instrumentenkategorien lassen sich nicht tionellen Instrumenten die Handlungsressource nur entlang ihrer jeweiligen Charakteristika, „Wissen“ stets mitgedacht wird. also durch welche Koordinationsform sie das Hinsichtlich der empirischen Anwendung dieser Verhalten der Adressat*innen steuern, unter- Verteilungsdimensionen verweist Kraemer scheiden, sondern auch anhand des ihnen jeweils (2008: 216 ff.) bereits selbst auf drei methodi- innewohnenden Grades staatlicher Intervention sche Herausforderungen: So seien die einzelnen (Böcher/Töller 2012: 75). Während regulative Verteilungsobjekte erstens schwierig voneinander Instrumente (z.B. Gebote und Verbote) durch abzugrenzen. Ein zweites Problem zeigt sich bei hierarchische, direkte Steuerung Handlungen der Bewertung ebendieser Objekte und kenn- der Adressat*innen beeinflussen, wirken Steuern, zeichnet die grundsätzliche Herausforderung Abgaben oder Prämien als ökonomische Inst- mit „Unwissen“ im Nachhaltigkeitsdiskurs: Ab rumente über das Steuerungsmedium „Preis“. wann greift ein Schwellenwert sinnvollerweise, Obwohl den Steuerungsadressat*innen bei letz- sprich: ab wann handelt es sich um eine Um- terem mehr Wahlfreiheit eingeräumt werden, 58
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? zeichnen sich beide Instrumentenkategorien werden muss, ist die Unterscheidung in Intention durch einen verhältnismäßig hohen Grad staat- und Wirkung. Mayntz (1997: 192) betont, dass licher Intervention aus (Böcher/Töller 2012: 76 „systematisch zwischen Steuerungshandeln und ff.). Die EnEV als regulatives Instrument schreibt Steuerungswirkung getrennt werden muss“. SuN 03/2018 bspw. verbindliche Standards für den Gebäu- Während mit einem konkreten Instrument also debereich fest, wohingegen die Programme der ein bestimmtes Ziel verbunden ist, ist in der nationalen Förderbank KfW als ökonomische In- Praxis weder gesichert, dass dieses Ziel erreicht strumente lediglich eine Anreizwirkung besitzen wird, noch, dass nicht beabsichtigte Nebenfolgen und freiwillig in Anspruch genommen werden eintreten. Dies ist genau die Argumentation, auf können. der der vorliegende Beitrag fußt: Negative soziale Verteilungswirkungen als unbeabsichtigte Ne- Da die vorliegende Forschungsfrage auf Haushalte benwirkung politischer Steuerung. als Steuerungsadressat*innen abzielt (nämlich die betroffenen Mieter*innen oder Eigentü- Die einzelnen Instrumentenkategorien ent- mer*innen), sind prozedurale und kooperative wickelten sich im Zeitverlauf und hatten je Instrumente weniger bedeutsam. Relevanter sind unterschiedliche Konjunkturphasen. Das klas- hingegen informationelle Instrumente. Diese sischste Instrument der Politik ist dabei wohl das werden wegen ihrer geringen Verpflichtungs- Verbot. Hierbei zeigen sich allerdings in großen wirkung als „weich“ bezeichnet und greifen Gemeinschaften wie modernen Staaten einige of- auf das Steuerungsmedium „Kommunikation“ fensichtliche Nachteile: neben Effizienzproblemen zurück (Böcher/Töller 2012: 81 ff.). Energie- und haben regulative Instrumente häufig eine inno- Stromsparberatungen, aber auch Label für ver- vationshemmende Wirkung und zudem ist ihre brauchsarme Heizungen und Elektrogeräte fallen Kontrolle schwierig, außerdem müssten Fehltritte in diese Instrumentenkategorie. wiederum mit Sanktionen geahndet werden. Dies führt zu einem aufwändigen bürokratischen Letztlich finden sich in einem spezifischen Apparat (Böcher/Töller 2012: 78 f.). Insbesondere Politikfeld meist Mischformen verschiedener in der Umweltpolitik ergänzen deshalb seit Ende Instrumente: Verbote, Anreize und Informations- der 1980er Jahre verstärkt ökonomische Instru- angebote bestehen parallel, um gemeinsam ein mente das regulative Instrumentarium (Böcher/ gesetztes politisches Ziel zu erreichen (Böcher/ Töller 2012: 83).8 Die bis heute anhaltende Kon- Töller 2012: 83). Jedes einzelne wiederum kann junktur ökonomischer Instrumente lässt sich mit mittels verschiedener Kriterien beurteilt werden: den diagnostizierten Steuerungsschwierigkeiten Böcher/Töller (2012: 75 f.) nennen Effekti- regulativer und informationeller Instrumente vität, Effizienz und politische Durchsetzbarkeit. erklären. Trotzdem sollten ihre Schwachstellen Wurster (2013: 355) ergänzt die Kompatibilität nicht unausgesprochen bleiben. Insbesondere und Praktikabilität (bspw. Aufwand bei der angesichts sozialer Wirkungen kann argumentiert Implementation), Kohärenz und Konsistenz (in werden, dass ökonomische Instrumente sozial Bezug auf andere Instrumente im Politikfeld), Schwächere oft härter treffen, weil diese weniger Nachhaltigkeit und Demokratieverträglichkeit. Ressourcen für Ausweichhandlungen besitzen und Unter „Nachhaltigkeit“ versteht er allerdings die aufzubringenden Kosten einen höheren Anteil weder explizit die ökologische noch die soziale Dimension, sondern langfristige Wirkungen und die Höhe der Folgekosten. Was bei der Be- 8 Auch diese sind wiederum, wie alle Instrumententypen, wertung von Instrumenten ebenfalls mitgedacht mit einigen Vor- und Nachteilen verbunden. Zur Vertiefung empfehlen sich Böcher/Töller (2012: 74 ff.). 59
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung am Gesamteinkommen ausmachen als bei sozial turreview der einschlägigen Literatur.9 Ziel dieses besser Gestellten. Dies gilt umso mehr, weil sich Vorgehens ist es, mithilfe der vorab formulierten durch den erweiterten Instrumentenbaukasten Hypothesen die bisherigen, häufig ohne konzepti- „die ‚Reichweite‘ von Umweltpolitik erhöht, ihre onellen Unterbau auskommenden aber empirisch SuN 03/2018 Gestaltungsintensität und Gestaltungstiefe ver- dennoch sehr gehaltvollen, Studien strukturiert stärkt hat“ (Umweltbundesamt 2014b: 12). In zusammenzutragen. Anschließend untersucht diesem Sinne gilt die Annahme, dass mit umwelt- die Fallanalyse mithilfe von Kraemers Typologie politischen Maßnahmen einhergehende soziale die sozialen Verteilungswirkungen im konkreten Verteilungswirkungen ebenfalls – sofern nicht an empirischen Bereich. anderer Stelle gegengesteuert wird – zunehmen. Fall 1: Energetisches Bauen und Sanieren Das 2010 von der damaligen Bundesregierung 3. Soziale Nachhaltigkeit in verabschiedete Energiekonzept strebt bis zum der Wohnungspolitik? Jahr 2050 einen annähernd klimaneutralen Gebäudebestand an. Dafür soll u.a. die jährliche Die konzeptionellen Überlegungen zu sozialen Sanierungsrate von ca. einem Prozent auf zwei Verteilungswirkungen umweltpolitischer In- Prozent des Gebäudestands erhöht werden (Bun- strumente werden im Folgenden auf einzelne desregierung 2010: 5, 27; DIW Berlin 2015: 471). Bereiche der Steuerung in der Wohnungspolitik Um diese Ziele zu erreichen, werden auf Bun- angewendet. Ganz allgemein bezeichnet Woh- desebene verschiedene regulative, ökonomische nungspolitik „alle politischen und verbandlichen und informationelle Instrumente eingesetzt. Dies Aktivitäten sowie die staatlichen Maßnahmen, betrifft sowohl das energetische Nachrüsten als die sich mit der Wohnraumversorgung der Be- auch Vorgaben für den Neubau. völkerung, dem Neubau, der Modernisierung und der Erhaltung von Wohnungen befassen“ Politische Instrumente: EnEV, KfW-Förderpro- (Egner 2014). Dazu zählen das Mietrecht und die gramme, Information Eigentumsförderung genauso wie die im Zuge der Wärmewende anvisierte Förderung von energeti- Die Energieeinsparverordnung (EnEV), basie- scher Sanierung und Effizienz im Gebäudesektor. rend auf dem Energieeinsparungsgesetz, setzt den regulativen Rahmen für die Wärmewende im Ge- In zwei Unterkapiteln werden einzelne bundespo- bäudebereich. Erstmals in Kraft getreten im Jahr litische Instrumente zur Wärmewende hinsichtlich 2002 ist sie über die Jahre fortgeschrieben und ihrer sozialen Verteilungswirkungen hinterfragt. erweitert worden. Zuletzt wurden für den Neubau Die Analyse folgt dabei der vorab formulierten für die Jahre 2014 und 2016 steigende Effizienz- Hypothese „Bestehende politische Instrumente zur Förderung der Wärmewende belasten Ein- kommensschwache überdurchschnittlich stark“. Fall 1 untersucht beim energetischen Bau und der energetischen Sanierung sowohl die EnEV 9 Ein systematischer Review erschien zum gegenwärtigen Forschungsstand nicht realisierbar: Die Studienlage ist als auch die finanzielle Förderung durch die sehr heterogen (von theoriegeleiteten Arbeiten über Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Fall 2 angewandte Forschungsprojekte bis hin zur Auftrags- forschung durch einzelne Interessengruppen) und es be- wiederum widmet sich der Modernisierungs- stehen je nach eingesetztem Instrumentarium im Bereich umlage. Es erfolgt je in einem ersten Schritt „Wärmewende“ diverse Querbezüge zu unterschiedlichen Politikfeldern (Klima- und Umweltpolitik, aber auch Woh- eine Erläuterung der gegenwärtig verwendeten nungs- und Sozialpolitik). politischen Instrumente, gefolgt von einer Litera- 60
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? standards festgelegt (Henger 2014a: 237).10 Im Einzelmaßnahmen können bspw. Heizungs- aktuellen Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2018 und Lüftungsanlagen betreffen, aber auch neue wurde indessen auf eine strengere Auslegung der Fenster oder Außendämmungen (KfW 2017). gegenwärtigen Standards verzichtet: „[…] Dabei Insgesamt gilt bei der Förderung: Je höher die SuN 03/2018 gelten die aktuellen energetischen Anforderungen energetischen Standards, desto höher das Förder- für Bestand und Neubau fort. Wir wollen dadurch volumen (BMWI 2018). Beide Förderprogramme insbesondere den weiteren Kostenauftrieb für die zusammen haben seit 2006 zu energetischen Mietpreise vermeiden“ (Bundesregierung 2018: Anstrengungen im Bestand und Neubau von über 115). Letztlich müssen allerdings laut EnEV ab viereinhalb Millionen Wohnungen beigetragen dem Jahr 2021 alle Neubauten im sogenannten (BMWI 2018). Darüber hinaus finden sich noch europäischen Niedrigstenergiegebäudestandard weitere ökonomische Instrumente im Bereich, die erbaut werden und es besteht für Heizkessel, meist spezifische Einzelleistungen fördern und die älter als 30 Jahre sind, eine Austauschpflicht hier nicht weiter betrachtet werden. (BMUB 2016). Der bisherige Instrumentenmix wird durch Zur Umsetzung dieses regulativen Rahmens bietet eine Reihe informationeller Instrumente ver- die Bundesgesetzgebung finanzielle Anreize, vollständigt. Diese als „weich“ bezeichnete wobei die KfW-Förderprogramme „Energieeffi- Instrumentenkategorie hat zwar weniger verbind- zient Bauen“ und „Energieeffizient Sanieren“ am liche und kaum direkte finanzielle Auswirkungen, bedeutsamsten sind. Beide richten sich sowohl aber bei zielgruppenspezifischer Kommunikation an Privatpersonen als auch an wirtschaftliche können derartige Angebote Informationsdefizite und öffentliche Akteure, die entweder im Neubau reduzieren. Beratungsangebote wie qualifizierte eine deutliche Unterschreitung des Energiebe- Energieberatungen, die zu 60 Prozent vom BMWI darfs erreichen oder hochwertige energetische gefördert werden, ergänzen sich bspw. mit der Nachrüstungen vornehmen. Letztere erhalten Kennzeichnung von energieeffizienten Elektro- bspw. zinsvergünstige Kredite oder Zuschüsse geräten wie einem neuen Heizungslabel (BMWI von 30 Prozent der Investitionskosten (bis zu 2018). max. 30.000€ je Wohneinheit) (BMUB 2014; Insgesamt wird im Bereich energetische Sa- BMWI 2017: 5).11 Wird eine Sanierung so um- nierung und energetischer Neubau mehr oder fassend durchgeführt, dass danach der Standard weniger das gesamte dem Gesetzgeber zur Verfü- eines KfW-Effizienzhauses erreicht wird, entfällt gung stehende Instrumentenspektrum eingesetzt. ein Teil der Kreditrückzahlung.12 Geförderte Hinsichtlich des Finanzvolumens und auch der Eingriffswirkung ist allerdings eine Dominanz 10 Einschränkend der Hinweis, dass aufgrund der Unterbrin- gung von Geflüchteten ein Maßnahmenpaket beschlossen der regulativen und ökonomischen Instrumente wurde, um (befristet bis Ende 2018) weniger strenge Re- erkennbar. Diese Kombination unterstreicht die gelungen bei den Aufnahmeeinrichtungen und Gemein- schaftsunterkünften im Rahmen des Asylgesetzes zu eingangs zitierte politische Absicht: „Wir wollen erlauben (BMUB 2016). dabei Anreize setzen, aber keine Zwangssanie- 11 Detaillierte Informationen zur den einzelnen Zinssätzen rungen anordnen. Wir stellen wirtschaftliche und Laufzeiten der Kredite sowie zu der Höhe der Investiti- Anreize in den Mittelpunkt unserer Politik“ (Bun- onszuschüsse entnehmen Interessierte direkt der einschlä- gigen Website: https://www.kfw.de/kfw.de.html. desregierung 2010: 28). 12 Das KfW-Effizienzhaus ist ein mehrstufiger Standard. Je kleiner die Kennzahl, desto geringer ist der Energiebedarf. Aktuell gibt es Effizienzhäuser zwischen 100 (entspricht den Vorgaben der EnEV) bis 40 (ein Haus in dieser Kategorie und 40 Plus (hier muss das Haus zusätzliche Anlagen bspw. benötigt 40 Prozent der Energie des Referenzgebäudes) zur eigenen Stromerzeugung aufweisen) (KfW 2017). 61
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung Soziale Verteilungswirkungen im Fallbeispiel schwache Eigentümerhaushalte drohen daher systematisch vom Nutzen solcher Effizienzpo- Einige Studien haben sich bereits mit den sozialen litik ausgeschlossen zu werden.“ Zudem sind Verteilungswirkungen im Bereich energetische ausschließlich intensive, über die gesetzlichen SuN 03/2018 Sanierung und energetischer Bau beschäftigt.13 Vorgaben hinausgehende Maßnahmen förde- Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden rungswürdig. Dies entspricht der ökologischen kurz skizziert. Angesichts des zweiten Fallbeispiels Zielsetzung des klimaneutralen Gebäudebestands zur Modernisierungsumlage mit Mieter*innen als bis 2050, führt aber zu einer sozialen Selektion Zielgruppe liegt der Fokus hier auf den selbstnut- bei der Fördermittelvergabe. Die vorzufinanzie- zenden Eigentümer*innen. Eine Betrachtung von renden Investitionen amortisieren sich zudem privat vermietenden Eigentümer*innen oder Ak- in der Regel erst in einem Zeithorizont von mehr teuren der Wohnungswirtschaft findet nicht statt. als zehn Jahren (Schachtschneider 2013: 10 f.). Die bisherige Forschung arbeitet häufig anwen- Die Eigentümer*innen können also langfristig dungsbezogen und wenig konzeptionell. So hat das mit einer Wertsteigerung ihrer Immobilien und Umweltbundesamt bereits 2014 Aspekte identifi- geringeren Nebenkosten rechnen, müssen diese ziert, die Eigentümer*innen an der energetischen aber kurz- und mittelfristig vorfinanzieren. Sanierung hindern. Neben Informationsdefiziten Aufgrund der Ausgestaltung der KfW-Förder- und einer verbreiteten Risikoaversion wurden programme ist ihre Nutzung also tendenziell speziell Motivationsdefizite und finanzielle einkommensstarken Haushalten möglich. Ein- Gründe benannt (Umweltbundesamt 2014a: 12). kommensschwache Ältere oder Alleinerziehende So können oder wollen zuvorderst Haushalte bspw. können punktuell keine großen Fi- mit „geringem oder mittlerem Einkommen“ nanzvolume aufbringen, um Förderungen die notwendigen Investitionen nicht aufbringen vorzufinanzieren oder die hohen zur Förderung (Umweltbundesamt 2014a: 12). Tews (2014: 447) notwendigen Standards zu erreichen. Die folglich stellt dazu fest: „Zunehmend zeigen sich infolge ausbleibenden Investitionen gehen wiederum der Art der Förderung und der energetischen mittelfristig mit höheren Energiekosten und Gebäudesanierungen soziale Auswirkungen einem relativen Wertverlust der Immobilien die zu politischen Forderungen […] nach einer einher. stärkeren Integration sozialer Belange in die energetische Gebäudesanierung führten.“ Zwar Fall 2: Modernisierungsumlage nach verfügen die gegenwärtigen Förderprogramme § 559 BGB über ein starkes Finanzvolumen, aber die In- anspruchnahme der Kredite oder Zuschüsse Das zweite Fallbeispiel widmet sich einem bedarf entsprechender Kreditwürdigkeit und konkreten Instrument des Mietrechts: der Moder- einem eigenen finanziellen Handlungsspielraum. nisierungsumlage. Hier stehen die Mieter*innen So schließt Tews (2014: 447): „Einkommens- im Zentrum der Analyse. Ursprung für die Modernisierungsumlage ist das sogenannte „Mie- ter-Vermieter-Dilemma“. Da Vermieter*innen 13 Wie betont ist eine Bewertung der ökologischen oder öko- (sowohl Privatpersonen, als auch Akteure der nomischen Wirksamkeit nicht das Ziel der Analyse. Für In- Wohnungswirtschaft) vor Einführung der Moder- teressierte empfiehlt sich etwa IER/ITZ 2014 IER/ITZ 2014, Diefenbach et al. 2014, Thomas et al. 2014 und Harthan nisierungsumlage keine Modernisierungskosten et al. 2017 sowie die jährliche KfW-Evaluation, abrufbar auf die Mieter*innen umlegen durften und ferner unter https://www.kfw.de/KfW-Konzern/Service/Down- load-Center/Konzernthemen-(D)/Research/Evaluationen/ nicht selbst von Energieeinsparungen profitieren, Evaluationen-Energieeffizient-Bauen-und-Sanieren/. 62
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende? war der Anreiz zur Sanierung ihrer Wohnungs- Kappungsgrenze oder eine Begrenzung wie bei bestände gering. Es mussten zunächst finanzielle der Mietpreisbremse gibt es bei der Modernisie- Ausgaben geleistet werden, die sich lediglich lang- rungsumlage nicht (Mieterschutzverein Frankfurt fristig in einer Wertsteigerung ihrer Immobilien am Main 2016: 2). SuN 03/2018 amortisieren. Mieter*innen auf der anderen Seite Angesichts des umfassenden Mietrechts ist profitieren von sinkenden Nebenkosten. Die die Umlage im Kontext von Mietpreisbremse, Umlage soll finanzielle Anreize für die Vermie- sozialem Wohnungsbau und der Förderung ener- ter*innen schaffen und damit das beschriebene getischer Modernisierung zu denken (Hentschel/ Dilemma auflösen (Kholodilin et al. 2016: 605). Hopfenmüller 2014: 7). So beschreibt sie die Ener- Auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit einem gieeffizienzstrategie Gebäude als „entscheidende im europäischen Vergleich hohen Anteil von wirtschaftliche Voraussetzung für das Ergreifen Mietwohnungen (ca. 57%), betrifft diese Umlage energetischer Modernisierungsmaßnahmen im potentiell viele Haushalte (Kholodilin et al. 2016: Mietwohnungsbestand. Bei einer Anpassung 606). der Modernisierungsmieterhöhung ist neben der Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens ins- Politisches Instrument gesamt darauf zu achten, dass die Anreize nicht Das deutsche Mietrecht ist im Bürgerlichen verringert werden“ (BMWI 2015: 68). An dieser Gesetzbuch (BGB) in den Paragraphen 535 bis Stelle werden also sowohl die Erreichbarkeit der 580 geregelt und dient in erster Linie dem Inte- umweltpolitischen Zielvorgabe durch finanzielle ressenausgleich zwischen Vermieter*innen und Anreize, als auch das sozialpolitische Ziel des be- Mieter*innen (Henger 2014b: 14). § 559 BGB zahlbaren Wohnraums formuliert. befasst sich konkret mit der Modernisierungsum- lage und definiert in Absatz 1: „Hat der Vermieter Soziale Verteilungswirkungen im Fallbeispiel Modernisierungsmaßnahmen […] durchgeführt, Im Folgenden gilt es zu prüfen, ob die Modernisie- so kann er die jährliche Miete um 11 Prozent rungsumlage soziale Verteilungswirkungen nach der für die Wohnung aufgewendeten Kosten sich zieht bzw. inwieweit Einkommensschwache erhöhen“ (BMJV 2017: 140).14 Seit dem Jahr 2013 durch die Regelung der Härte geschützt werden. gilt außerdem Absatz 4, der eine Mieterhöhung Da die wissenschaftliche Publikationslandschaft ausschließt, sofern sie „für den Mieter eine Härte hierzu dünn ist, werden auch Informationen von bedeuten würde“ und die Mieter*innen ihren Mieterschutzvereinen verwertet. Eine weitere Vermieter*innen diese Härte bis zum Ablauf des methodische Herausforderung ist: Beim Instru- Monats, der auf die Modernisierungsankündi- ment „Modernisierungsumlage“ vermischt sich gung folgt, mitgeteilt haben (BMJV 2017: 134). eine generelle Instrumentenkritik mit den zu Bei dieser Regelung muss immer im Einzelfall überprüfenden sozialen Verteilungswirkungen. geprüft werden, ob eine besondere Härte vorliegt So ist die Frage nach Verteilungswirkungen auch (Berliner Mieterverein e.V. 2013). Mit Ausnahme daran gekoppelt, ob durch Modernisierungen dieser besonderen Härte gilt für Mieter*innen bei tatsächlich Energie eingespart wird und wie diese Modernisierungsmaßnahmen eine „Duldungs- Einsparungen im Verhältnis zu den gesteigerten pflicht“ (nach § 555d BGB, BMJV 2017: 134). Eine Kaltmieten stehen. 14 Dabei verbietet ein Verweis auf § 555b BGB, dass reine In- Wie beschrieben, steht die Modernisierungsum- standhaltungskosten umgelegt werden; es muss bspw. En- lage bereits aus effizienzpolitischer Sicht in der denergie nachhaltig eingespart oder der Wasserverbrauch nachhaltig reduziert werden (BMJV 2017: 133). Kritik. Vor allem bei zuvor sehr niedrigen Mieten 63
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung können prozentual deutliche Mietpreissteige- lich um 2,44€/m², was monatlich 186€ entspricht rungen auftreten (Henger 2014b: 14), zudem wird (Berliner Mieterverein e.V. 2017: 2, 7). Dabei ist die die sogenannte Warmmietenneutralität, also dass Relation zur vorherigen Kaltmiete wesentlich: Je die Summe aus erhöhter Kaltmiete und energetisch niedriger diese vor der Modernisierung war, desto SuN 03/2018 bedingt gesunkenen Nebenkosten die vorherige anteilig höher gestaltet sich die aufzubringende Gesamtmiete nicht übersteigt, häufig nicht erreicht finanzielle Last nach der Modernisierung (Ber- (Kholodilin et al. 2016: 607; Tews 2014: 447). liner Mieterverein e.V. 2017: 15). Der Annahme Zwar muss inzwischen bei umlegbaren Moder- folgend, dass vorwiegend Einkommensschwache nisierungen tatsächlich „Endenergie nachhaltig (auch: Studierende, ältere Menschen) in Woh- eingespart“ werden (siehe § 555b BGB), aber Kri- nungen mit geringer Miete pro m² wohnen, sind tiker*innen vermissen in dieser Formulierung ein diese von den Mietpreissteigerungen besonders klares Verhältnis von eingesparten Nebenkosten betroffen. und erhöhter Kaltmiete. Zudem ist die Moderni- Wichtig wären vor diesem Hintergrund Informati- sierungsumlage nicht zeitlich begrenzt, weshalb onen zur Anwendungshäufigkeit (Klagehäufigkeit die Kaltmiete auch nach abgezahlter Investition oder -erfolg) der besonderen Härte, welche die auf dem erhöhten Niveau verbleibt (Hentschel/ Umlage der Modernisierungskosten untersagt. Hopfenmüller 2014: 12). Die Heinrich-Böll-Stif- Studien liegen dafür bislang aber nicht vor. Es tung hat in vier deutschen Städten energetische finden sich lediglich Auskünfte dazu, in welchen Modernisierungen und ihre Kostenwirkungen Fällen eine „Härte“ bei Mieterhöhungen bislang verglichen. Als zentrales Problem formulieren die gerichtlich zugestanden wurde.15 Hierbei gelten Autoren, dass die Umlage nicht verhältnismäßig keine festen Prozentsätze, ab wann eine Mieter- zur eingesparten Energie, sondern anteilig an den höhung eine unangemessene Belastung darstellt; Modernisierungskosten berechnet wird: „Dies dies wird nach individuellen Lebensumständen begünstigt teure und energetisch ineffiziente geprüft. Verschiedene Gerichte haben Härten Strategien“ (Hentschel/Hopfenmüller 2014: 16). anerkannt, sobald die Miete bspw. mehr als 25, Zudem erschweren Preissteigerungen in ohnehin 30 oder 50 Prozent des Nettoeinkommens beträgt angespannten Märkten die Wohnungssuche (Mietrecht.org 2014; Schön 2016, Berliner Mie- insbesondere einkommensschwacher Haushalte terGemeinschaft 2018). Dabei wurde jedoch zusätzlich; sozialräumliche Segregation in Form auch entschieden, unverhältnismäßige finanzielle von „energetischer Gentrifizierung“ wird be- Belastungen wegen „übermäßig großen Wohn- fürchtet (Hentschel/Hopfenmüller 2014: 17 f.; raums“ ebenso wenig als Härte gelten zu lassen Haug/Vernim 2014; Großmann et al. 2014). als wenn die Mietpreiserhöhung durch sozial- Einblicke in das Ausmaß der Modernisierungsum- staatliche Leistungen aufgefangen werden kann lage und die zielgruppenspezifische Betroffenheit (Berliner MieterGemeinschaft 2018). liegen bisher kaum vor. Eine Ausnahme stellt die Studie „Mieterhöhungen nach Modernisierung und Energieeinsparung“ vom Berliner Mieter- 15 In diesen Ausführungen wird lediglich auf den Härtefall bei verein dar. Diese ist aufgrund der räumlichen Mieterhöhungen referiert. Härtefälle bei Duldungspflicht (bspw. durch gesundheitliche Beeinträchtigungen) sind Einschränkung auf den Berliner Wohnungsmarkt bei Mietrecht.org (2014) oder Schön (2016) nachzulesen. in ihrer Aussagekraft zwar begrenzt, liefert aber Außerdem gilt die Härtefallregelung nicht, wenn die Woh- nung in einen allgemein üblichen Zustand versetzt werden dennoch interessante Einsichten in 198 Moder- soll (was wiederum keiner spezifisch „energetischen“ Mo- nisierungsvorhaben der Jahre 2012 bis 2016. Im dernisierung entspricht) oder wenn verpflichtende Mo- dernisierungen wie der Austausch von alten Heizkesseln Durchschnitt steigt die Nettokaltmiete nachträg- vorgenommen werden (Mietrecht.org 2014). 64
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