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                                                                                                                  Ausgabe 03/2018
Soziologie und Nachhaltigkeit -
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

   Melanie Castello / Michael Böcher

   Soziale Kälte bei der Wärmewende?
   Eine Untersuchung sozialer Nebenwirkungen politischer Steuerung
   im Wohnsektor

   Zusammenfassung: Um die Ziele der                     Abstract: In order to achieve the goals of the
   Energie- und Wärmewende zu erreichen, stehen po-      energy transition (“Energie- und Wärmewende”),
   litischen Entscheider*innen verschiedene politische   political-decision makers have various political in-
   Instrumente zur Verfügung. Auf Basis eines Litera-    struments at their disposal. In the area of housing
   turreviews prüfen wir in einer Fallanalyse für den    policies, we examine within a case study on the
   Bereich Wohnen, inwieweit diese auf ökologische       basis of a literature review the extent to which these
   Nachhaltigkeit konzentrierten Instrumente im Span-    ecologically-focused instruments are in conflict
   nungsverhältnis zur sozialen Nachhaltigkeit stehen.   with social criteria of the concept of sustainability.
   Dafür werden die Energieeinsparverordnung,            For this purpose, the regulation for energy savings,
   Förderprogramme der Kreditanstalt für Wieder-         funding programs of the government-owned de-
   aufbau sowie die Modernisierungsumlage auf ihre       velopment bank as well as the sharing of costs for
   sozialen Verteilungswirkungen hin überprüft. Als      modernization between landlords and tenants will
   konzeptioneller Rahmen dient die von Kraemer          be examined. Therefore, Kraemers (2007, 2008)
   (2007, 2008) ausgearbeitete Typologie zu sozialen     typology of social distributional dimensions of the
   Verteilungsdimensionen von Umwelt. Um zu unter-       environment serves as a conceptual framework. In
   suchen, inwieweit mögliche Verteilungswirkungen       order to investigate to what extent possible negative
   an anderer Stelle durch sozialstaatliche Transfers    effects are eliminated by welfare state transfers, we
   abgefedert werden, wird der Blick abschließend        will finally focus on the so-called accompanying
   auf die sogenannten flankierenden Maßnahmen in        measures. As a conclusion, a wide range of policy
   der Mindestsicherung und im Wohngeld gelenkt.         instruments is used in the field, concurrently iden-
   Im Ergebnis zeigt sich, dass zur Erreichung der       tifying a focus on economic instruments. Negative
   Wärmewende ein breites Spektrum an politischen        social effects have been detected especially in the
   Instrumenten abgedeckt wird, wobei der Schwer-        field of environmental burden and environmental
   punkt auf ökonomischen Instrumenten liegt.            relief, even taking into account the transfer systems
   Insbesondere bei Umweltbelastungen und -ent-          of the welfare state.
   lastungen sind, auch unter Berücksichtigung der
   sozialstaatlichen Transfersysteme, negative soziale
   Verteilungswirkungen nachzuweisen.
Autor*innen:

Melanie Castello ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Politikwissenschaft mit
dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwicklung am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Ot-
to-von-Guericke Universität Magdeburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen methodisch in der
Politikfeldanalyse und der empirischen Sozialforschung, inhaltlich aktuell in der Wohnungs- und
Kommunalpolitik.

Melanie.Castello@ovgu.de

Michael Böcher ist Professor für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Entwick-
lung am Institut für Gesellschaftswissenschaften der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.
Seine Forschungsschwerpunkte sind politikwissenschaftliche Umwelt- und Nachhaltigkeitsfor-
schung, Regional Governance im ländlichen Raum sowie wissenschaftliche Politikberatung und
Wissenstransfer in den Umweltwissenschaften.

Michael.Boecher@ovgu.de

Soziologie und Nachhaltigkeit
Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Ausgabe 3/2018, 4. Jahrgang
ISSN 2364-1282

                  Creative Commons-Lizenz

Herausgeber: Benjamin Görgen, Matthias Grundmann, Dieter Hoffmeister, Björn Wendt
Redaktion:    Niklas Haarbusch
Layout/ Satz: Frank Osterloh

Anschrift: WWU Münster, Institut für Soziologie
		         Scharnhorststraße 121, 48151 Münster
		         Telefon: (0251) 83-25303
		E-Mail: sun.redaktion@wwu.de
		Website: www.ifs.wwu.de/sun
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              Einleitung                                                  Was sind die politischen und institutionellen
                                                                          Rahmenbedingungen dieser neuen Fragen zum
              Im Diskurs über Nachhaltigkeit insgesamt und
                                                                          Verhältnis von Nachhaltigkeit und sozialer
              über die Energie- und Wärmewende im Speziellen
                                                                          Ungleichheit? Das 2010 von der damaligen Bun-
SuN 03/2018

              spielen individuelle Kosten eine entscheidende
                                                                          desregierung verabschiedete Energiekonzept
              Rolle. Das Individuum ist mit einem bunten Strauß
                                                                          schreibt vor, bis zum Jahr 2050 einen „nahezu
              an Entscheidungszwängen konfrontiert, begin-
                                                                          klimaneutralen Gebäudebestand“ erreichen zu
              nend beim alltäglichen Einkauf nach Kriterien
                                                                          wollen und ergänzt: „Wir wollen dabei Anreize
              wie Preis, Bio oder Regionalität. Während diese
                                                                          setzen, aber keine Zwangssanierungen anordnen.
              Entscheidungen vorwiegend entlang eigener Res-
                                                                          Wir stellen wirtschaftliche Anreize in den Mittel-
              sourcen und Wertvorstellungen gefällt werden,
                                                                          punkt unserer Politik“ (Bundesregierung 2010:
              sind andere Kostenfragen explizit politisch. Dies
                                                                          27 f.).1 Zu diesen sogenannten ökonomischen In-
              ist der Fall, sobald politische Entscheidungen
                                                                          strumenten zählen Steuern und andere Abgaben,
              auf Preise einwirken: Wer profitiert von der
                                                                          Subventionen und Prämien. Somit sind einige der
              Förderung für Solaranlagen, wen stimuliert eine
                                                                          im Rahmen der Energie- und Wärmewende ent-
              Kaufprämie zum Erwerb eines Elektroautos? Hier
                                                                          stehenden Kosten politisch beeinflusst, indem sie
              besitzen Verbraucher*innen eine Wahlmöglich-
                                                                          dazu beitragen sollen, ein meritorisches Gut (hier:
              keit, Förderanreizen zu folgen oder (wenn es die
                                                                          die ökologische Nachhaltigkeit) zu erreichen. Bei
              individuellen Ressourcen nicht zulassen) nicht zu
                                                                          einem solchen Gut ist die gesellschaftliche Nach-
              folgen. Allerdings gibt es staatliche Eingriffe auch
                                                                          frage geringer als es politisch erwünscht ist (vgl.
              dort, wo die Konsument*innen sich nicht zwischen
                                                                          Musgrave 1956). Allerdings zeigt der Akzeptanz-
              Nutzen und Nichtnutzen entscheiden können. Die
                                                                          survey des Jahres 2015, dass lediglich ein Drittel
              Umlage aus dem Erneuerbaren-Energie-Gesetz
                                                                          der Befragten die Vor- und Nachteile der Ener-
              (EEG) ist ein naheliegendes Beispiel, da jede*r
                                                                          giewende als „fair verteilt“ ansieht (Sonnberger/
              Stromverbraucher*in diese zu entrichten hat
                                                                          Ruddat 2016: 21). Mit 24 Prozent ist der Anteil
              (Bundesnetzagentur 2017).
                                                                          derjenigen, die sich selbst als Nutznießer*innen
              Während es in der Umwelt- und Nachhaltigkeits-              der Energiewende betrachten, noch geringer
              forschung eine breite Debatte über ökologische              (Sonnberger/Ruddat 2016: 21).
              und ökonomische Wirkungen des Einsatzes ver-
                                                                          Brisant erscheint uns deshalb die Frage nach den
              schiedener politischer Instrumente gibt (Böcher
                                                                          sozialen Verteilungswirkungen der eingesetzten
              2007, Böcher/Töller 2012: 74 ff.), sind soziale
                                                                          Instrumente. Wir überprüfen in einer Fallanalyse,
              Effekte des umweltpolitischen Instrumenten-
                                                                          inwieweit die soziale Nachhaltigkeitsdimension
              einsatzes bislang eher nachrangig behandelte
                                                                          in der politischen Steuerung des Wohnsektors
              Forschungsthemen. In diesem Zusammenhang
                                                                          Berücksichtigung findet.2 Die Hypothese lautet:
              sollen einige klima- und umweltpolitische Ziele
              der Wärmewende geprüft werden. Die Relevanz
              sozialer Ungleichheiten offenbart sich dort, wo             1   Die Energieeffizienzstrategie Gebäude (2015) definiert:
              Wohnkosten (Kaltmiete, Nebenkosten) pro-                        „Klimaneutral heißt, dass Gebäude nur noch einen sehr
                                                                              geringen Energiebedarf aufweisen und der verbleibende
              zentual einen großen Anteil des verfügbaren
                                                                              Energiebedarf überwiegend durch erneuerbare Energien
              Haushaltseinkommens aufzehren. Dies betrifft                    gedeckt wird“ (BMWI 2015: 9).
              sozial schwächere Haushalte oder kinderreiche               2   Folgt man Kraemer (2008: 36), so lassen sich mit dem Be-
              Familien besonders (Schaffrin et al. 2017: 2).                  griff der sozialen Nachhaltigkeit Aussagen über „anzu-
                                                                              strebende oder zu gewährleistende Lebensbedingungen“
                                                                              treffen, bspw. in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Be-
                                                                              schäftigung oder eben in Verteilungsfragen.

              53
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Bestehende politische Instrumente zur Förderung                     Ausgangspunkt der Analyse ist das Paradigma
der Wärmewende belasten Einkommensschwache                          der Umweltgerechtigkeit. Kapitel 2 präsentiert in
überdurchschnittlich stark.3 Dies soll entlang von                  diesem Sinne zunächst den gegenwärtigen For-
zwei Fällen zur energetischen Sanierung und zum                     schungsstand zum Themenkomplex „Umwelt und

                                                                                                                          SuN 03/2018
energetischen Bau untersucht werden. Der erste                      soziale Ungleichheit“. Daran anschließend werden
Fall fragt nach der Perspektive der Wohngebäude                     die von Kraemer (2008) ausgearbeiteten sozialen
selbstnutzender Eigentümer*innen, wobei sowohl                      Verteilungsdimensionen von Umwelt (Umweltbe-
der Energieeinsparverordnung (EnEV) als auch                        lastungen, -entlastungen und -nutzen) skizziert.
der finanziellen Förderung durch die Kreditan-                      Diese bilden den zentralen Analyserahmen für
stalt für Wiederaufbau (KfW) Aufmerksamkeit                         die Prüfung der vorab formulierten Hypothesen.
zukommt. Der zweite Fall widmet sich der Mo-                        Kapitel 3 erläutert dann, da die Analyse Vertei-
dernisierungsumlage nach § 559 Bürgerliches                         lungswirkungen umweltpolitischer Instrumente
Gesetzbuch (BGB). Durch diese Umlage können                         untersucht, die den politischen Akteuren zur Ver-
Vermieter*innen derzeit bis zu elf Prozent der an-                  fügung stehenden politischen Instrumente. Das
fallenden energetischen Modernisierungskosten                       Kernstück der Analyse bildet schließlich Kapitel
auf ihre Mieter*innen umlegen (Stand: August                        4: Für die Bereiche energetische Sanierung und
2018). Entsprechend der beiden Fälle untersu-                       energetischer Bau werden die sozialen Vertei-
chen wir zwei Unterhypothesen: H1 betrifft die                      lungswirkungen der o.g. Instrumente geprüft.
Wirkung auf selbstnutzende Eigentümer*innen                         Diese Beurteilung erfolgt auf der Basis von aus
und lautet: Die finanzielle Förderung für                           vorhandenen Studien abgeleiteten Kriterien.
energetischen Bau und energetische Sanierung be-                    Kraemers Typologie soll dazu dienen, die bishe-
vorzugt aufgrund ihrer konkreten Ausgestaltung                      rigen Diskurse zu sozialen Verteilungswirkungen
tendenziell Einkommensstarke. Schwächerver-                         der Energie- und Wärmewende konzeptionell zu
diener*innen indessen verzichten aufgrund der                       strukturieren. Da die unerwünschten (Neben)
punktuell aufzubringenden Finanzmittel eher auf                     Wirkungen politischer Instrumente in einem
derartige Aktivitäten, was wiederum mittel- und                     Politikfeld häufig über sozialstaatliche Systeme
langfristig mit höheren Kosten verbunden sein                       abgefedert werden, bedarf es anschließend in
kann. H2 nimmt die Zielgruppe der Mieter*innen                      Kapitel 5 eines Blickes auf diese sog. „flanki-
in den Blick und besagt: Die Modernisierungsum-                     erenden“ Maßnahmen. Kapitel 6 schließt mit
lage zwingt Einkommensschwache zum Fortzug                          einem Fazit.
aus bewohnten Wohnungen und verhindert eine
                                                                    Mit diesem Beitrag an der Schnittstelle zwischen
Ansiedlung in begehrten Wohngegenden.
                                                                    Soziologie und Politikwissenschaft ist das Ziel
                                                                    verbunden, die weitläufige These der „sozial un-
                                                                    gerechten Energie- und Wärmewende“ in einem
                                                                    spezifischen Bereich zu operationalisieren und
3   Nach EU-Definition gilt eine Person als arm oder von sozi-      aufgrund der bislang noch unbefriedigenden
    aler Ausgrenzung bedroht, wenn mindestens ein von drei
    Kriterien zutrifft: „Ihr Einkommen liegt unter der Armutsge-    Datenlage genauer in einer explorativen Form zu
    fährdungsgrenze, ihr Haushalt ist von erheblicher materi-       untersuchen. Trifft der Vorwurf zu und inwiefern
    eller Entbehrung betroffen oder sie lebt in einem Haushalt
    mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung“ (Statistisches Bun-       werden derartige Wirkungen durch sozialstaat-
    desamt 2017; zur Berechnung der Armutsgrenze siehe              liche flankierende Maßnahmen abgefedert? Damit
    Statistisches Bundesamt 2018). Diese Definition gilt hier
    lediglich als Orientierung, da für die zu untersuchenden        soll dem oft bescheinigten Zielkonflikt zwischen
    Fallbeispiele keine statistisch signifikanten Werte mit Rück-   ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit Rech-
    schlüssen auf die konkreten Einkommen ausgewertet
    werden.                                                         nung getragen werden, da laut Umweltbundesamt

                                                                                                                    54
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              (2016) ein „dringender Bedarf an Strategien, um                    wende ebenfalls in diesem normativ geprägten
              die Umweltpolitik noch sozialer zu gestalten und                   Rahmen abspielt. Wir verfolgen hier indessen ein
              für mehr ökologische Gerechtigkeit zu sorgen“                      stärker analytisches Vorgehen; mit Rückgriff auf
              besteht.                                                           Cutter (1995: 112) lässt sich von einer Perspek-
SuN 03/2018

                                                                                 tive der „environmental equity“ sprechen: „For
                                                                                 many, the phrase ‚environmental equity‘ implies
              1. Umwelt und soziale Ungleichheit                                 an equal sharing of risk burdens, not an overall
                                                                                 reduction in the burdens themselves […]. Envi-
              Einbettung: Das Paradigma der Umweltge-                            ronmental justice is a more politically charged
                 rechtigkeit und der Forschungsstand                             term, one that connotes some remedial action to
                                                                                 correct an injustice imposed on a specific group of
              Die vorliegende Fragestellung knüpft an den
                                                                                 people […].“ Das Aufzeigen von Umweltungleich-
              Diskurs zur Umweltgerechtigkeit an. Anders als
                                                                                 heit ist ein erster Schritt, aus dem politische, aber
              bei Klimagerechtigkeit wird hier nicht nach global
                                                                                 auch moralische Schlussfolgerungen gezogen
              ungleich verteilten Möglichkeiten zu Klimaschutz
                                                                                 werden können. Letzteres ist indessen nicht Ziel
              und Klimawandelanpassung gefragt, sondern
                                                                                 und Absicht des vorliegenden Beitrags.5 Zudem ist
              nach Verteilungswirkungen innerhalb von Indust-
                                                                                 unserer Meinung nach eine inhaltliche Erweite-
              riestaaten. Der Ursprung der normativ-moralisch
                                                                                 rung notwendig, um die „Zentrierung des Begriffs
              geprägten Umweltgerechtigkeitsdebatte liegt als
                                                                                 auf Fragen der sozialen (Ungleich-)Verteilung von
              soziale Bewegung afro-amerikanischer Minder-
                                                                                 ‚environmental bads‘“ aufzubrechen (Elkins 2008:
              heiten in den 1980er Jahren. Während Ulrich
                                                                                 3744). Somit lässt sich für uns zusammenfassen:
              Beck etwa zeitgleich für moderne Industriestaaten
                                                                                 Generell beschreibt Umweltgerechtigkeit einen
              eine sozial ausgewogene Verteilung von Umwelt-
                                                                                 vom gegenwärtigen Ist-Zustand abweichenden
              risiken attestiert („Not ist hierarchisch, Smog ist
                                                                                 „gewünschten Zustand, der in der Regel Hand-
              demokratisch“, in Emunds/Merkle 2016: 6), kri-
                                                                                 lungsbedarf impliziert“ und traditionell liegt ihr
              tisieren Vertreter*innen der Umweltgerechtigkeit
                                                                                 Fokus auf Umweltbelastungen, manchmal auch
              ungleich verteilte Umweltrisiken bspw. bezüglich
                                                                                 auf der ungleichen Verteilung von Umweltnut-
              Mülldeponien oder Industrieabgasen.4 Seit ihren
                                                                                 zungen, selten hingegen bei den sogenannten
              Anfängen konzentriert sich diese Debatte auf Um-
                                                                                 Umweltschutzkosten (Umweltbundesamt 2015:
              weltbelastungen und in diesem Kontext auf sozial
                                                                                 15). Gerade die letztgenannten Umweltschutz-
              ungleich verteilte Gesundheitsrisiken (vgl. Čapek
                                                                                 kosten und ihre sozial (un)gleiche Verteilung sind
              1993, Cutter 1995 oder Taylor 2000). In den
                                                                                 für uns interessant.
              2000er Jahren erweitert insbesondere Agyeman
              diesen Diskurs, indem er Umweltgerechtigkeit                       Ein Blick in die gegenwärtige Literatur zu Ver-
              stärker im Kontext von nachhaltiger Entwicklung                    teilungswirkungen im Themenfeld zeichnet
              denkt (vgl. bspw. Agyeman et al. 2003).                            folgendes Bild: Die Preisentwicklungen im
                                                                                 Rahmen der Energie- und Wärmewende haben
              Für unser Vorhaben ist dieser Blick „in die Ver-
                                                                                 in den letzten Jahren eine intensive Publikations-
              gangenheit“ relevant, da sich der gegenwärtige
                                                                                 aktivität hervorgerufen. Viele Veröffentlichungen
              Diskurs zur „ungerechten“ Energie- und Wärme-
                                                                                 finden sich zu gestiegenen Stromkosten und
                                                                                 ihren sozialen Verteilungswirkungen, überwie-
              4    Zur Verbindung von environmental justice und environ-
                   mental racism, sowie zur Vertiefung in die historischen Ur-
                   sprünge der Debatte zur Umweltgerechtigkeit empfehlen         5   Zur Unterscheidung von Umweltgerechtigkeit und Um-
                   sich Elvers (2005) und Elvers (2011).                             weltgleichheit siehe bspw. Elvers (2005: 11).

              55
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

gend im Zusammenhang mit dem EEG (Heindl                  litikfeld überführt und trägt gleichzeitig zu einer
2014, Borchers/Hrach 2018, Scholz/Scholz                  Ausweitung des herkömmlichen Verständnisses
2015, Bontrup/Marquardt 2014). Ebenfalls an               von Umweltgerechtigkeit bei.
der Schnittstelle von Energiewende und sozialer

                                                                                                                       SuN 03/2018
                                                          Nach Elkins (2008: 3746) ist diese relativ neue
Ungleichheit stark diskutiert ist die Förderung
                                                          Gerechtigkeitsproblematik nämlich „dort ange-
von Photovoltaikanlagen und dem Kreis ihrer
                                                          legt, wo durch Umweltpolitik Veränderungen
potentiellen Nutzer*innen (Frondel et al. 2014,
                                                          in den Kostenstrukturen von Lebenspraxen
Andor et al. 2015, Simpson/Clifton 2016, Nelson
                                                          angestoßen werden.“ In diesem Fall hat das In-
et al. 2012). Eng damit verbunden ist außerdem
                                                          dividuum zwei Möglichkeiten: Entweder mehr
die Debatte zur Energiearmut, also zu gestiegenen
                                                          zahlen oder weniger konsumieren. Allerdings
Energiekosten und den dadurch hervorgerufenen
                                                          müssten Personen mit weniger verfügbarem
sozial ungleich verteilten finanziellen Lasten. Im
                                                          Einkommen tendenziell „weniger konsumieren“,
deutschsprachigen Raum ist diesbezüglich auf
                                                          weil die Option „mehr zahlen“ für sie häufig nicht
den Sammelband von Großmann et al. (2017)
                                                          gangbar ist. Für Elkins (2008: 3749) ist das in-
„Energie und soziale Ungleichheit“ zu verweisen.
                                                          sofern problematisch, als dass das gewünschte
Einen stärker gerechtigkeitstheoretisch eingebet-
                                                          Lenkungsprinzip somit nicht vom Umfang der
teten Ansatz wählt der Sammelband von Emunds/
                                                          individuell verursachten Beeinträchtigung des
Merkle (2016a). Hier fragen Hennicke (2016),
                                                          Schutzgutes „Umwelt“ abhängt, sondern viel-
Heindl (2016) und Kanschik (2016) nach sozialen
                                                          mehr von der jeweiligen Zahlungsfähigkeit:
Verteilungswirkungen im Rahmen der Ener-
                                                          „Ganz offensichtlich steht hier nicht das Problem
giewende, aber auch grundlegende theoretische
                                                          der Verteilung von ‚environmental bads‘ im
Annahmen zu Gerechtigkeit und Umwelt werden
                                                          Mittelpunkt; das Thema ist vielmehr die soziale
etwa bei Leist (2016) oder Reder (2016) diskutiert.
                                                          Verteilung der Lasten für die Herstellung von
Und schließlich sei eine eng an der vorliegenden
                                                          ‚environmental goods‘“.
Forschungsfrage angesiedelte Studie vom Um-
weltbundesamt benannt: Jacob et al. (2016: 22,
                                                          Soziale Verteilungsdimensionen von Umwelt
105 ff.) untersuchen Verteilungswirkungen um-
                                                                          nach Kraemer
weltpolitischer Maßnahmen und denken bei der
klassischen Instrumententypologie interessanter-          Etwa zeitgleich mit Elkins befasst sich auch
weise auch soziale Ausgleichsmaßnahmen mit.               Kraemer mit sozialen Verteilungsfragen rund
                                                          um das Thema Umwelt. So kritisiert er bereits im
Als Zusammenschau des gegenwärtigen For-
                                                          Jahr 2007 eine mangelnde soziologische Ausein-
schungsstands lässt sich indes festhalten:
                                                          andersetzung mit dem Zusammenhang zwischen
Während sich die Bereiche Strom und Energie
                                                          „Umwelt und soziale Ungleichheit“ (Kraemer
hinsichtlich    sozialer    Verteilungswirkungen
                                                          2007: 348) und erklärt diese unter anderem mit
inzwischen einer intensiven Debatte erfreuen
                                                          der Tatsache, dass potentielle Gewinner*innen
(also der Bereich der Energiewende), sind die
                                                          und Verlierer*innen in diesem Feld diffus und
Kaltmiete bzw. Wohnkostensteigerungen bei Ei-
                                                          folglich unscharf zu fassen sind (Kraemer 2008:
gentümer*innen weniger stark im Gespräch (ein
                                                          180).6 Um dies umfassend zu beleuchten, ist
Teilbereich der Wärmewende). Der Stand der
Literatur bestätigt damit das Vorhaben, energeti-
sches Sanieren und Bauen ins Zentrum zu rücken.           6   Was hingegen durchaus in der Beziehung von Ökologie
Damit wird die Debatte um Umweltschutzkosten                  und Soziologie untersucht wurde, sind sozial ungleich
                                                              verteilte Wahrnehmungen zu Umweltrisiken und Umwelt-
und ihre Verteilungswirkungen in ein neues Po-                chancen. Kraemer (2008: 47; 177) verweist hier auf die

                                                                                                                 56
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              Kraemer zufolge zunächst eine Klärung der rele-                     belasteten Wohngebieten, ist dabei aufgrund von
              vanten Verteilungsobjekte notwendig: In welchen                     Miet- und Kaufpreisniveau vordergründig ein-
              Bereichen von Umwelt finden sich ungleiche Ver-                     kommensstarken Bevölkerungsgruppen möglich
              teilungen? Kraemer (2007, 2008) arbeitet dafür                      (Kraemer 2007: 352).
SuN 03/2018

              die folgenden Dimensionen aus: naturräumliche
                                                                                  Die nächste Verteilungsdimension der Um-
              Verteilungsdimensionen,      Umweltbelastungen,
                                                                                  weltentlastungen ist in zwei Unterkategorien
              -entlastungen und -nutzungen. Diese Typologie
                                                                                  aufzuteilen, wobei beide einen Zusammenhang
              beinhält sowohl die typischen Aspekte der „klassi-
                                                                                  zwischen Umweltpolitik und sozialen Verteilungs-
              schen“ Umweltgerechtigkeit (Umweltbelastungen
                                                                                  wirkungen postulieren: Profitieren alle gleich
              und -entlastungen), aber ebenfalls die im Steu-
                                                                                  stark von der verbesserten Umweltqualität (Um-
              erungshandeln der Energie- und Wärmewende
                                                                                  weltqualitätsverbesserungen) und sind die dafür
              nicht zu vernachlässigenden Umweltschutz-
                                                                                  aufzubringen Kosten gleichmäßig verteilt (Um-
              kosten. Im Folgenden skizzieren wir Kraemers
                                                                                  weltschutzkosten) (Kraemer 2007: 353, Kraemer
              Typologie, um sie anschließend auf die eigenen
                                                                                  2008: 204 f.)? Die erste Frage wird meist aus
              analytischen Ausführungen anzuwenden.7
                                                                                  verteilungspolitischer Perspektive positiv beant-
              Der Terminus „soziale Ungleichheit“ wird in                         wortet: Reduzierte Lärm- und Luftbelastungen
              dieser Arbeit in Anlehnung an Hradil (2006:                         kommen prinzipiell stärker denjenigen zugute, die
              248) definiert und bezeichnet „bestimmte vorteil-                   davon zuvor besonders belastet waren. Die zweite
              hafte und nachhaltige Lebensbedingungen von                         Frage zur Kostenverteilung ist zentral für die
              Menschen, die ihnen aufgrund ihrer Positionen                       vorliegende Forschungsfrage, methodisch aber
              in gesellschaftlichen Beziehungsgefügen zu-                         in ihrer Klärung anspruchsvoll. Meist wird dafür
              kommen“. Dabei sind zwei einander bedingende                        der prozentuale Anteil vom Haushaltseinkommen
              Aspekte zentral: Erstens die individuell zur Ver-                   berechnet, der für entsprechende Maßnahmen
              fügung stehenden Ressourcen und zweitens die                        aufgewendet werden muss. Hier gilt grundsätzlich
              Zugangschancen zu (begehrten) Gütern.                               die Annahme einer geringen Preiselastizität der
                                                                                  Nachfrage nach den mit Abgaben belegten um-
              Die erste dementsprechend von Kraemer identifi-
                                                                                  weltrelevanten Gütern wie Energie, Wasser oder
              zierte Verteilungswirkung von Umwelt beschreibt
                                                                                  auch Benzin. Der Konsum dieser Basisgüter ist
              Umweltbelastungen. Diese bezeichnen das, was
                                                                                  wenig flexibel und zu einem nicht geringen Anteil
              bereits die klassische Umweltgerechtigkeitsde-
                                                                                  unabhängig vom Preis. Daher fällt er bei einem
              batte thematisiert: die ungleiche Verteilung von
                                                                                  geringen Einkommen anteilig stärker ins Gewicht
              „environmental goods“ bzw. „environmental bads“,
                                                                                  (Kraemer 2007: 355, Kraemer 2008: 206).
              also bspw. Lärm oder Schadstoffbelastungen. Die
              Exit-Option, konkret etwa der Fortzug aus stark                     Bei Umweltnutzungen weist Kraemer zunächst
                                                                                  auf die statistische Notwendigkeit der Aggre-
                                                                                  gatsebene „Haushalt“ hin; hier bilden sich der
                   wegweisenden Gedanken von Ulrich Beck zur Risikoge-
                   sellschaft und auf die von ihm postulierte „Nivellierung der
                                                                                  finanzielle Handlungsspielraum und der Konsum
                   Gefährdung“.                                                   alltäglicher Güter ab (Kraemer 2007: 356). Entlang
              7    Die naturräumliche Primär- und Sekundärverteilung wird         der Kategorien Emissionsgrößen (etwa Abwasser
                   nicht tiefer verfolgt. Zwar gibt es unbestreitbar regional
                                                                                  oder Abfall), Bestandsgrößen (etwa Wohnfläche
                   unterschiedliche Klimazonen und Verteilungen von Roh-
                   stoffen (Primärverteilung); diese sind aber gesellschaftlich   oder Haushaltsgeräte) und Verbrauchsgrößen
                   kaum zu beeinflussen. Und auch die Sekundärverteilung          (etwa Heizenergie oder Strom) weisen Haushalte
                   bezeichnet eher großflächige Umweltqualitäten, die als
                   „sozial zufällig“ gelten und damit für die vorliegende Fra-    je nach verfügbaren Finanzmitteln unterschied-
                   gestellung nicht relevant erscheinen (Kraemer 2008: 199).

              57
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

liche Potentiale der Umweltnutzung auf. Kraemer          weltbelastung? Umgekehrt ist kaum eindeutig zu
(2007: 359) befindet hierzu: „Es ist zu erwarten,        klären, inwieweit eine Umweltqualitätsverbes-
dass in dem Maße, in dem die Handlungsres-               serung den individuellen Nutzwert steigert. Die
sourcen sozial ungleich verfügbar sind, auch die         dritte Herausforderung besteht schließlich im

                                                                                                                   SuN 03/2018
Chancen der direkten und indirekten Stoff- bzw.          Vergleich der unterschiedlichen Verteilungsdi-
Umweltnutzung ungleich verteilt sind.“                   mensionen: In welchem Verhältnis stehen etwa
                                                         Umweltschutzkosten zu den erwarteten Umwelt-
Dieses Zitat mit Verweis auf „Handlungsres-
                                                         qualitätsverbesserungen? Diese methodischen
sourcen“ leitet direkt weiter zu den sogenannten
                                                         Herausforderungen von Kraemers Typologie
ungleichheitsrelevanten Handlungskapazitäten.
                                                         werden im Laufe der empirischen Überprüfung
Kraemer (2007: 359 ff.) formuliert diese in
                                                         relevant.
Anlehnung an Reinhardt Kreckel und betont
ihre Verbindung zur sozialen Ungleichheit: So
seien ungleiche Nutzungschancen in den oben
                                                         2. Politische Instrumente
genannten Dimensionen maßgeblich durch
Reichtum, Wissen und selektive Assoziation zu            Mit der Energieeinsparverordnung und den
erklären. Während auch Kraemer (2008: 199)               KfW-Förderprogrammen sind bereits typische
selbst als zentrale Kategorie die ökonomische            politische Instrumente der Wärmewende zur
(„Reichtum“) benennt, dürfen die anderen beiden          Sprache gekommen. Grundsätzlich dienen poli-
Kapazitäten nicht übergangen werden: „Die                tische Instrumente dazu, „politische Ziele durch
Mobilisierbarkeit marktfähiger Ressourcen in             Beeinflussung des Handelns gesellschaftlicher
Form von Geld, Besitz und Vermögen ist aller-            Akteure zu erreichen“ (Böcher/Töller 2012: 74).
dings nur eine notwendige, keineswegs aber               Dabei stehen den Entscheidungsfinder*innen
eine hinreichende Rahmenbedingung, um Um-                verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, wobei
weltpotentiale inwertzusetzen“ (Kraemer 2008:            Böcher/Töller (2012: 75), an deren Instrumen-
359). Damit beugt Kraemer dem Vorwurf des                tentypologie wir uns orientieren, fünf zentrale
finanziellen Determinismus vor. Für die Hypo-            Kategorien benennen: regulative, ökonomische,
thesenprüfung zur Steuerung im Wohnsektor ist            prozedurale, kooperative und informationelle
dennoch eine Engführung auf die ökonomische              Instrumente.
Komponente angestrebt, wenn auch bei informa-
                                                         Diese Instrumentenkategorien lassen sich nicht
tionellen Instrumenten die Handlungsressource
                                                         nur entlang ihrer jeweiligen Charakteristika,
„Wissen“ stets mitgedacht wird.
                                                         also durch welche Koordinationsform sie das
Hinsichtlich der empirischen Anwendung dieser            Verhalten der Adressat*innen steuern, unter-
Verteilungsdimensionen       verweist   Kraemer          scheiden, sondern auch anhand des ihnen jeweils
(2008: 216 ff.) bereits selbst auf drei methodi-         innewohnenden Grades staatlicher Intervention
sche Herausforderungen: So seien die einzelnen           (Böcher/Töller 2012: 75). Während regulative
Verteilungsobjekte erstens schwierig voneinander         Instrumente (z.B. Gebote und Verbote) durch
abzugrenzen. Ein zweites Problem zeigt sich bei          hierarchische, direkte Steuerung Handlungen
der Bewertung ebendieser Objekte und kenn-               der Adressat*innen beeinflussen, wirken Steuern,
zeichnet die grundsätzliche Herausforderung              Abgaben oder Prämien als ökonomische Inst-
mit „Unwissen“ im Nachhaltigkeitsdiskurs: Ab             rumente über das Steuerungsmedium „Preis“.
wann greift ein Schwellenwert sinnvollerweise,           Obwohl den Steuerungsadressat*innen bei letz-
sprich: ab wann handelt es sich um eine Um-              terem mehr Wahlfreiheit eingeräumt werden,

                                                                                                             58
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              zeichnen sich beide Instrumentenkategorien                  werden muss, ist die Unterscheidung in Intention
              durch einen verhältnismäßig hohen Grad staat-               und Wirkung. Mayntz (1997: 192) betont, dass
              licher Intervention aus (Böcher/Töller 2012: 76             „systematisch zwischen Steuerungshandeln und
              ff.). Die EnEV als regulatives Instrument schreibt          Steuerungswirkung getrennt werden muss“.
SuN 03/2018

              bspw. verbindliche Standards für den Gebäu-                 Während mit einem konkreten Instrument also
              debereich fest, wohingegen die Programme der                ein bestimmtes Ziel verbunden ist, ist in der
              nationalen Förderbank KfW als ökonomische In-               Praxis weder gesichert, dass dieses Ziel erreicht
              strumente lediglich eine Anreizwirkung besitzen             wird, noch, dass nicht beabsichtigte Nebenfolgen
              und freiwillig in Anspruch genommen werden                  eintreten. Dies ist genau die Argumentation, auf
              können.                                                     der der vorliegende Beitrag fußt: Negative soziale
                                                                          Verteilungswirkungen als unbeabsichtigte Ne-
              Da die vorliegende Forschungsfrage auf Haushalte
                                                                          benwirkung politischer Steuerung.
              als Steuerungsadressat*innen abzielt (nämlich
              die betroffenen Mieter*innen oder Eigentü-                  Die einzelnen Instrumentenkategorien ent-
              mer*innen), sind prozedurale und kooperative                wickelten sich im Zeitverlauf und hatten je
              Instrumente weniger bedeutsam. Relevanter sind              unterschiedliche Konjunkturphasen. Das klas-
              hingegen informationelle Instrumente. Diese                 sischste Instrument der Politik ist dabei wohl das
              werden wegen ihrer geringen Verpflichtungs-                 Verbot. Hierbei zeigen sich allerdings in großen
              wirkung als „weich“ bezeichnet und greifen                  Gemeinschaften wie modernen Staaten einige of-
              auf das Steuerungsmedium „Kommunikation“                    fensichtliche Nachteile: neben Effizienzproblemen
              zurück (Böcher/Töller 2012: 81 ff.). Energie- und           haben regulative Instrumente häufig eine inno-
              Stromsparberatungen, aber auch Label für ver-               vationshemmende Wirkung und zudem ist ihre
              brauchsarme Heizungen und Elektrogeräte fallen              Kontrolle schwierig, außerdem müssten Fehltritte
              in diese Instrumentenkategorie.                             wiederum mit Sanktionen geahndet werden.
                                                                          Dies führt zu einem aufwändigen bürokratischen
              Letztlich finden sich in einem spezifischen
                                                                          Apparat (Böcher/Töller 2012: 78 f.). Insbesondere
              Politikfeld meist Mischformen verschiedener
                                                                          in der Umweltpolitik ergänzen deshalb seit Ende
              Instrumente: Verbote, Anreize und Informations-
                                                                          der 1980er Jahre verstärkt ökonomische Instru-
              angebote bestehen parallel, um gemeinsam ein
                                                                          mente das regulative Instrumentarium (Böcher/
              gesetztes politisches Ziel zu erreichen (Böcher/
                                                                          Töller 2012: 83).8 Die bis heute anhaltende Kon-
              Töller 2012: 83). Jedes einzelne wiederum kann
                                                                          junktur ökonomischer Instrumente lässt sich mit
              mittels verschiedener Kriterien beurteilt werden:
                                                                          den diagnostizierten Steuerungsschwierigkeiten
              Böcher/Töller (2012: 75 f.) nennen Effekti-
                                                                          regulativer und informationeller Instrumente
              vität, Effizienz und politische Durchsetzbarkeit.
                                                                          erklären. Trotzdem sollten ihre Schwachstellen
              Wurster (2013: 355) ergänzt die Kompatibilität
                                                                          nicht unausgesprochen bleiben. Insbesondere
              und Praktikabilität (bspw. Aufwand bei der
                                                                          angesichts sozialer Wirkungen kann argumentiert
              Implementation), Kohärenz und Konsistenz (in
                                                                          werden, dass ökonomische Instrumente sozial
              Bezug auf andere Instrumente im Politikfeld),
                                                                          Schwächere oft härter treffen, weil diese weniger
              Nachhaltigkeit und Demokratieverträglichkeit.
                                                                          Ressourcen für Ausweichhandlungen besitzen und
              Unter „Nachhaltigkeit“ versteht er allerdings
                                                                          die aufzubringenden Kosten einen höheren Anteil
              weder explizit die ökologische noch die soziale
              Dimension, sondern langfristige Wirkungen
              und die Höhe der Folgekosten. Was bei der Be-
                                                                          8   Auch diese sind wiederum, wie alle Instrumententypen,
              wertung von Instrumenten ebenfalls mitgedacht                   mit einigen Vor- und Nachteilen verbunden. Zur Vertiefung
                                                                              empfehlen sich Böcher/Töller (2012: 74 ff.).

              59
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

am Gesamteinkommen ausmachen als bei sozial              turreview der einschlägigen Literatur.9 Ziel dieses
besser Gestellten. Dies gilt umso mehr, weil sich        Vorgehens ist es, mithilfe der vorab formulierten
durch den erweiterten Instrumentenbaukasten              Hypothesen die bisherigen, häufig ohne konzepti-
„die ‚Reichweite‘ von Umweltpolitik erhöht, ihre         onellen Unterbau auskommenden aber empirisch

                                                                                                                         SuN 03/2018
Gestaltungsintensität und Gestaltungstiefe ver-          dennoch sehr gehaltvollen, Studien strukturiert
stärkt hat“ (Umweltbundesamt 2014b: 12). In              zusammenzutragen. Anschließend untersucht
diesem Sinne gilt die Annahme, dass mit umwelt-          die Fallanalyse mithilfe von Kraemers Typologie
politischen Maßnahmen einhergehende soziale              die sozialen Verteilungswirkungen im konkreten
Verteilungswirkungen ebenfalls – sofern nicht an         empirischen Bereich.
anderer Stelle gegengesteuert wird – zunehmen.
                                                             Fall 1: Energetisches Bauen und Sanieren

                                                         Das 2010 von der damaligen Bundesregierung
3. Soziale Nachhaltigkeit in
                                                         verabschiedete Energiekonzept strebt bis zum
   der Wohnungspolitik?                                  Jahr 2050 einen annähernd klimaneutralen
                                                         Gebäudebestand an. Dafür soll u.a. die jährliche
Die konzeptionellen Überlegungen zu sozialen
                                                         Sanierungsrate von ca. einem Prozent auf zwei
Verteilungswirkungen umweltpolitischer In-
                                                         Prozent des Gebäudestands erhöht werden (Bun-
strumente werden im Folgenden auf einzelne
                                                         desregierung 2010: 5, 27; DIW Berlin 2015: 471).
Bereiche der Steuerung in der Wohnungspolitik
                                                         Um diese Ziele zu erreichen, werden auf Bun-
angewendet. Ganz allgemein bezeichnet Woh-
                                                         desebene verschiedene regulative, ökonomische
nungspolitik „alle politischen und verbandlichen
                                                         und informationelle Instrumente eingesetzt. Dies
Aktivitäten sowie die staatlichen Maßnahmen,
                                                         betrifft sowohl das energetische Nachrüsten als
die sich mit der Wohnraumversorgung der Be-
                                                         auch Vorgaben für den Neubau.
völkerung, dem Neubau, der Modernisierung
und der Erhaltung von Wohnungen befassen“
                                                         Politische Instrumente: EnEV, KfW-Förderpro-
(Egner 2014). Dazu zählen das Mietrecht und die
                                                         gramme, Information
Eigentumsförderung genauso wie die im Zuge der
Wärmewende anvisierte Förderung von energeti-            Die Energieeinsparverordnung (EnEV), basie-
scher Sanierung und Effizienz im Gebäudesektor.          rend auf dem Energieeinsparungsgesetz, setzt den
                                                         regulativen Rahmen für die Wärmewende im Ge-
In zwei Unterkapiteln werden einzelne bundespo-
                                                         bäudebereich. Erstmals in Kraft getreten im Jahr
litische Instrumente zur Wärmewende hinsichtlich
                                                         2002 ist sie über die Jahre fortgeschrieben und
ihrer sozialen Verteilungswirkungen hinterfragt.
                                                         erweitert worden. Zuletzt wurden für den Neubau
Die Analyse folgt dabei der vorab formulierten
                                                         für die Jahre 2014 und 2016 steigende Effizienz-
Hypothese „Bestehende politische Instrumente
zur Förderung der Wärmewende belasten Ein-
kommensschwache überdurchschnittlich stark“.
Fall 1 untersucht beim energetischen Bau und
der energetischen Sanierung sowohl die EnEV              9    Ein systematischer Review erschien zum gegenwärtigen
                                                              Forschungsstand nicht realisierbar: Die Studienlage ist
als auch die finanzielle Förderung durch die                  sehr heterogen (von theoriegeleiteten Arbeiten über
Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Fall 2                  angewandte Forschungsprojekte bis hin zur Auftrags-
                                                              forschung durch einzelne Interessengruppen) und es be-
wiederum widmet sich der Modernisierungs-                     stehen je nach eingesetztem Instrumentarium im Bereich
umlage. Es erfolgt je in einem ersten Schritt                 „Wärmewende“ diverse Querbezüge zu unterschiedlichen
                                                              Politikfeldern (Klima- und Umweltpolitik, aber auch Woh-
eine Erläuterung der gegenwärtig verwendeten                  nungs- und Sozialpolitik).
politischen Instrumente, gefolgt von einer Litera-

                                                                                                                   60
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              standards festgelegt (Henger 2014a: 237).10 Im                   Einzelmaßnahmen können bspw. Heizungs-
              aktuellen Koalitionsvertrag vom Frühjahr 2018                    und Lüftungsanlagen betreffen, aber auch neue
              wurde indessen auf eine strengere Auslegung der                  Fenster oder Außendämmungen (KfW 2017).
              gegenwärtigen Standards verzichtet: „[…] Dabei                   Insgesamt gilt bei der Förderung: Je höher die
SuN 03/2018

              gelten die aktuellen energetischen Anforderungen                 energetischen Standards, desto höher das Förder-
              für Bestand und Neubau fort. Wir wollen dadurch                  volumen (BMWI 2018). Beide Förderprogramme
              insbesondere den weiteren Kostenauftrieb für die                 zusammen haben seit 2006 zu energetischen
              Mietpreise vermeiden“ (Bundesregierung 2018:                     Anstrengungen im Bestand und Neubau von über
              115). Letztlich müssen allerdings laut EnEV ab                   viereinhalb Millionen Wohnungen beigetragen
              dem Jahr 2021 alle Neubauten im sogenannten                      (BMWI 2018). Darüber hinaus finden sich noch
              europäischen Niedrigstenergiegebäudestandard                     weitere ökonomische Instrumente im Bereich, die
              erbaut werden und es besteht für Heizkessel,                     meist spezifische Einzelleistungen fördern und
              die älter als 30 Jahre sind, eine Austauschpflicht               hier nicht weiter betrachtet werden.
              (BMUB 2016).
                                                                               Der bisherige Instrumentenmix wird durch
              Zur Umsetzung dieses regulativen Rahmens bietet                  eine Reihe informationeller Instrumente ver-
              die Bundesgesetzgebung finanzielle Anreize,                      vollständigt. Diese als „weich“ bezeichnete
              wobei die KfW-Förderprogramme „Energieeffi-                      Instrumentenkategorie hat zwar weniger verbind-
              zient Bauen“ und „Energieeffizient Sanieren“ am                  liche und kaum direkte finanzielle Auswirkungen,
              bedeutsamsten sind. Beide richten sich sowohl                    aber bei zielgruppenspezifischer Kommunikation
              an Privatpersonen als auch an wirtschaftliche                    können derartige Angebote Informationsdefizite
              und öffentliche Akteure, die entweder im Neubau                  reduzieren. Beratungsangebote wie qualifizierte
              eine deutliche Unterschreitung des Energiebe-                    Energieberatungen, die zu 60 Prozent vom BMWI
              darfs erreichen oder hochwertige energetische                    gefördert werden, ergänzen sich bspw. mit der
              Nachrüstungen vornehmen. Letztere erhalten                       Kennzeichnung von energieeffizienten Elektro-
              bspw. zinsvergünstige Kredite oder Zuschüsse                     geräten wie einem neuen Heizungslabel (BMWI
              von 30 Prozent der Investitionskosten (bis zu                    2018).
              max. 30.000€ je Wohneinheit) (BMUB 2014;
                                                                               Insgesamt wird im Bereich energetische Sa-
              BMWI 2017: 5).11 Wird eine Sanierung so um-
                                                                               nierung und energetischer Neubau mehr oder
              fassend durchgeführt, dass danach der Standard
                                                                               weniger das gesamte dem Gesetzgeber zur Verfü-
              eines KfW-Effizienzhauses erreicht wird, entfällt
                                                                               gung stehende Instrumentenspektrum eingesetzt.
              ein Teil der Kreditrückzahlung.12 Geförderte
                                                                               Hinsichtlich des Finanzvolumens und auch der
                                                                               Eingriffswirkung ist allerdings eine Dominanz
              10 Einschränkend der Hinweis, dass aufgrund der Unterbrin-
                 gung von Geflüchteten ein Maßnahmenpaket beschlossen          der regulativen und ökonomischen Instrumente
                 wurde, um (befristet bis Ende 2018) weniger strenge Re-       erkennbar. Diese Kombination unterstreicht die
                 gelungen bei den Aufnahmeeinrichtungen und Gemein-
                 schaftsunterkünften im Rahmen des Asylgesetzes zu
                                                                               eingangs zitierte politische Absicht: „Wir wollen
                 erlauben (BMUB 2016).                                         dabei Anreize setzen, aber keine Zwangssanie-
              11 Detaillierte Informationen zur den einzelnen Zinssätzen       rungen anordnen. Wir stellen wirtschaftliche
                 und Laufzeiten der Kredite sowie zu der Höhe der Investiti-
                                                                               Anreize in den Mittelpunkt unserer Politik“ (Bun-
                 onszuschüsse entnehmen Interessierte direkt der einschlä-
                 gigen Website: https://www.kfw.de/kfw.de.html.                desregierung 2010: 28).
              12 Das KfW-Effizienzhaus ist ein mehrstufiger Standard. Je
                 kleiner die Kennzahl, desto geringer ist der Energiebedarf.
                 Aktuell gibt es Effizienzhäuser zwischen 100 (entspricht
                 den Vorgaben der EnEV) bis 40 (ein Haus in dieser Kategorie      und 40 Plus (hier muss das Haus zusätzliche Anlagen bspw.
                 benötigt 40 Prozent der Energie des Referenzgebäudes)            zur eigenen Stromerzeugung aufweisen) (KfW 2017).

              61
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

Soziale Verteilungswirkungen im Fallbeispiel                    schwache Eigentümerhaushalte drohen daher
                                                                systematisch vom Nutzen solcher Effizienzpo-
Einige Studien haben sich bereits mit den sozialen
                                                                litik ausgeschlossen zu werden.“ Zudem sind
Verteilungswirkungen im Bereich energetische
                                                                ausschließlich intensive, über die gesetzlichen

                                                                                                                         SuN 03/2018
Sanierung und energetischer Bau beschäftigt.13
                                                                Vorgaben hinausgehende Maßnahmen förde-
Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse werden
                                                                rungswürdig. Dies entspricht der ökologischen
kurz skizziert. Angesichts des zweiten Fallbeispiels
                                                                Zielsetzung des klimaneutralen Gebäudebestands
zur Modernisierungsumlage mit Mieter*innen als
                                                                bis 2050, führt aber zu einer sozialen Selektion
Zielgruppe liegt der Fokus hier auf den selbstnut-
                                                                bei der Fördermittelvergabe. Die vorzufinanzie-
zenden Eigentümer*innen. Eine Betrachtung von
                                                                renden Investitionen amortisieren sich zudem
privat vermietenden Eigentümer*innen oder Ak-
                                                                in der Regel erst in einem Zeithorizont von mehr
teuren der Wohnungswirtschaft findet nicht statt.
                                                                als zehn Jahren (Schachtschneider 2013: 10 f.).
Die bisherige Forschung arbeitet häufig anwen-                  Die Eigentümer*innen können also langfristig
dungsbezogen und wenig konzeptionell. So hat das                mit einer Wertsteigerung ihrer Immobilien und
Umweltbundesamt bereits 2014 Aspekte identifi-                  geringeren Nebenkosten rechnen, müssen diese
ziert, die Eigentümer*innen an der energetischen                aber kurz- und mittelfristig vorfinanzieren.
Sanierung hindern. Neben Informationsdefiziten
                                                                Aufgrund der Ausgestaltung der KfW-Förder-
und einer verbreiteten Risikoaversion wurden
                                                                programme ist ihre Nutzung also tendenziell
speziell Motivationsdefizite und finanzielle
                                                                einkommensstarken Haushalten möglich. Ein-
Gründe benannt (Umweltbundesamt 2014a: 12).
                                                                kommensschwache Ältere oder Alleinerziehende
So können oder wollen zuvorderst Haushalte
                                                                bspw. können punktuell keine großen Fi-
mit „geringem oder mittlerem Einkommen“
                                                                nanzvolume aufbringen, um Förderungen
die notwendigen Investitionen nicht aufbringen
                                                                vorzufinanzieren oder die hohen zur Förderung
(Umweltbundesamt 2014a: 12). Tews (2014: 447)
                                                                notwendigen Standards zu erreichen. Die folglich
stellt dazu fest: „Zunehmend zeigen sich infolge
                                                                ausbleibenden Investitionen gehen wiederum
der Art der Förderung und der energetischen
                                                                mittelfristig mit höheren Energiekosten und
Gebäudesanierungen soziale Auswirkungen
                                                                einem relativen Wertverlust der Immobilien
die zu politischen Forderungen […] nach einer
                                                                einher.
stärkeren Integration sozialer Belange in die
energetische Gebäudesanierung führten.“ Zwar
                                                                    Fall 2: Modernisierungsumlage nach
verfügen die gegenwärtigen Förderprogramme
                                                                                 § 559 BGB
über ein starkes Finanzvolumen, aber die In-
anspruchnahme der Kredite oder Zuschüsse                        Das zweite Fallbeispiel widmet sich einem
bedarf entsprechender Kreditwürdigkeit und                      konkreten Instrument des Mietrechts: der Moder-
einem eigenen finanziellen Handlungsspielraum.                  nisierungsumlage. Hier stehen die Mieter*innen
So schließt Tews (2014: 447): „Einkommens-                      im Zentrum der Analyse. Ursprung für die
                                                                Modernisierungsumlage ist das sogenannte „Mie-
                                                                ter-Vermieter-Dilemma“. Da Vermieter*innen
13 Wie betont ist eine Bewertung der ökologischen oder öko-     (sowohl Privatpersonen, als auch Akteure der
   nomischen Wirksamkeit nicht das Ziel der Analyse. Für In-
                                                                Wohnungswirtschaft) vor Einführung der Moder-
   teressierte empfiehlt sich etwa IER/ITZ 2014 IER/ITZ 2014,
   Diefenbach et al. 2014, Thomas et al. 2014 und Harthan       nisierungsumlage keine Modernisierungskosten
   et al. 2017 sowie die jährliche KfW-Evaluation, abrufbar     auf die Mieter*innen umlegen durften und ferner
   unter     https://www.kfw.de/KfW-Konzern/Service/Down-
   load-Center/Konzernthemen-(D)/Research/Evaluationen/         nicht selbst von Energieeinsparungen profitieren,
   Evaluationen-Energieeffizient-Bauen-und-Sanieren/.

                                                                                                                   62
Melanie Castello / Michael Böcher - Soziale Kälte bei der Wärmewende?

              war der Anreiz zur Sanierung ihrer Wohnungs-                    Kappungsgrenze oder eine Begrenzung wie bei
              bestände gering. Es mussten zunächst finanzielle                der Mietpreisbremse gibt es bei der Modernisie-
              Ausgaben geleistet werden, die sich lediglich lang-             rungsumlage nicht (Mieterschutzverein Frankfurt
              fristig in einer Wertsteigerung ihrer Immobilien                am Main 2016: 2).
SuN 03/2018

              amortisieren. Mieter*innen auf der anderen Seite
                                                                              Angesichts des umfassenden Mietrechts ist
              profitieren von sinkenden Nebenkosten. Die
                                                                              die Umlage im Kontext von Mietpreisbremse,
              Umlage soll finanzielle Anreize für die Vermie-
                                                                              sozialem Wohnungsbau und der Förderung ener-
              ter*innen schaffen und damit das beschriebene
                                                                              getischer Modernisierung zu denken (Hentschel/
              Dilemma auflösen (Kholodilin et al. 2016: 605).
                                                                              Hopfenmüller 2014: 7). So beschreibt sie die Ener-
              Auf dem deutschen Wohnungsmarkt mit einem
                                                                              gieeffizienzstrategie Gebäude als „entscheidende
              im europäischen Vergleich hohen Anteil von
                                                                              wirtschaftliche Voraussetzung für das Ergreifen
              Mietwohnungen (ca. 57%), betrifft diese Umlage
                                                                              energetischer Modernisierungsmaßnahmen im
              potentiell viele Haushalte (Kholodilin et al. 2016:
                                                                              Mietwohnungsbestand. Bei einer Anpassung
              606).
                                                                              der Modernisierungsmieterhöhung ist neben der
                                                                              Sicherung der Bezahlbarkeit des Wohnens ins-
              Politisches Instrument
                                                                              gesamt darauf zu achten, dass die Anreize nicht
              Das deutsche Mietrecht ist im Bürgerlichen                      verringert werden“ (BMWI 2015: 68). An dieser
              Gesetzbuch (BGB) in den Paragraphen 535 bis                     Stelle werden also sowohl die Erreichbarkeit der
              580 geregelt und dient in erster Linie dem Inte-                umweltpolitischen Zielvorgabe durch finanzielle
              ressenausgleich zwischen Vermieter*innen und                    Anreize, als auch das sozialpolitische Ziel des be-
              Mieter*innen (Henger 2014b: 14). § 559 BGB                      zahlbaren Wohnraums formuliert.
              befasst sich konkret mit der Modernisierungsum-
              lage und definiert in Absatz 1: „Hat der Vermieter              Soziale Verteilungswirkungen im Fallbeispiel
              Modernisierungsmaßnahmen […] durchgeführt,
                                                                              Im Folgenden gilt es zu prüfen, ob die Modernisie-
              so kann er die jährliche Miete um 11 Prozent
                                                                              rungsumlage soziale Verteilungswirkungen nach
              der für die Wohnung aufgewendeten Kosten
                                                                              sich zieht bzw. inwieweit Einkommensschwache
              erhöhen“ (BMJV 2017: 140).14 Seit dem Jahr 2013
                                                                              durch die Regelung der Härte geschützt werden.
              gilt außerdem Absatz 4, der eine Mieterhöhung
                                                                              Da die wissenschaftliche Publikationslandschaft
              ausschließt, sofern sie „für den Mieter eine Härte
                                                                              hierzu dünn ist, werden auch Informationen von
              bedeuten würde“ und die Mieter*innen ihren
                                                                              Mieterschutzvereinen verwertet. Eine weitere
              Vermieter*innen diese Härte bis zum Ablauf des
                                                                              methodische Herausforderung ist: Beim Instru-
              Monats, der auf die Modernisierungsankündi-
                                                                              ment „Modernisierungsumlage“ vermischt sich
              gung folgt, mitgeteilt haben (BMJV 2017: 134).
                                                                              eine generelle Instrumentenkritik mit den zu
              Bei dieser Regelung muss immer im Einzelfall
                                                                              überprüfenden sozialen Verteilungswirkungen.
              geprüft werden, ob eine besondere Härte vorliegt
                                                                              So ist die Frage nach Verteilungswirkungen auch
              (Berliner Mieterverein e.V. 2013). Mit Ausnahme
                                                                              daran gekoppelt, ob durch Modernisierungen
              dieser besonderen Härte gilt für Mieter*innen bei
                                                                              tatsächlich Energie eingespart wird und wie diese
              Modernisierungsmaßnahmen eine „Duldungs-
                                                                              Einsparungen im Verhältnis zu den gesteigerten
              pflicht“ (nach § 555d BGB, BMJV 2017: 134). Eine
                                                                              Kaltmieten stehen.

              14 Dabei verbietet ein Verweis auf § 555b BGB, dass reine In-   Wie beschrieben, steht die Modernisierungsum-
                 standhaltungskosten umgelegt werden; es muss bspw. En-       lage bereits aus effizienzpolitischer Sicht in der
                 denergie nachhaltig eingespart oder der Wasserverbrauch
                 nachhaltig reduziert werden (BMJV 2017: 133).                Kritik. Vor allem bei zuvor sehr niedrigen Mieten

              63
Soziologie und Nachhaltigkeit – Beiträge zur sozial-ökologischen Transformationsforschung

können prozentual deutliche Mietpreissteige-              lich um 2,44€/m², was monatlich 186€ entspricht
rungen auftreten (Henger 2014b: 14), zudem wird           (Berliner Mieterverein e.V. 2017: 2, 7). Dabei ist die
die sogenannte Warmmietenneutralität, also dass           Relation zur vorherigen Kaltmiete wesentlich: Je
die Summe aus erhöhter Kaltmiete und energetisch          niedriger diese vor der Modernisierung war, desto

                                                                                                                           SuN 03/2018
bedingt gesunkenen Nebenkosten die vorherige              anteilig höher gestaltet sich die aufzubringende
Gesamtmiete nicht übersteigt, häufig nicht erreicht       finanzielle Last nach der Modernisierung (Ber-
(Kholodilin et al. 2016: 607; Tews 2014: 447).            liner Mieterverein e.V. 2017: 15). Der Annahme
Zwar muss inzwischen bei umlegbaren Moder-                folgend, dass vorwiegend Einkommensschwache
nisierungen tatsächlich „Endenergie nachhaltig            (auch: Studierende, ältere Menschen) in Woh-
eingespart“ werden (siehe § 555b BGB), aber Kri-          nungen mit geringer Miete pro m² wohnen, sind
tiker*innen vermissen in dieser Formulierung ein          diese von den Mietpreissteigerungen besonders
klares Verhältnis von eingesparten Nebenkosten            betroffen.
und erhöhter Kaltmiete. Zudem ist die Moderni-
                                                          Wichtig wären vor diesem Hintergrund Informati-
sierungsumlage nicht zeitlich begrenzt, weshalb
                                                          onen zur Anwendungshäufigkeit (Klagehäufigkeit
die Kaltmiete auch nach abgezahlter Investition
                                                          oder -erfolg) der besonderen Härte, welche die
auf dem erhöhten Niveau verbleibt (Hentschel/
                                                          Umlage der Modernisierungskosten untersagt.
Hopfenmüller 2014: 12). Die Heinrich-Böll-Stif-
                                                          Studien liegen dafür bislang aber nicht vor. Es
tung hat in vier deutschen Städten energetische
                                                          finden sich lediglich Auskünfte dazu, in welchen
Modernisierungen und ihre Kostenwirkungen
                                                          Fällen eine „Härte“ bei Mieterhöhungen bislang
verglichen. Als zentrales Problem formulieren die
                                                          gerichtlich zugestanden wurde.15 Hierbei gelten
Autoren, dass die Umlage nicht verhältnismäßig
                                                          keine festen Prozentsätze, ab wann eine Mieter-
zur eingesparten Energie, sondern anteilig an den
                                                          höhung eine unangemessene Belastung darstellt;
Modernisierungskosten berechnet wird: „Dies
                                                          dies wird nach individuellen Lebensumständen
begünstigt teure und energetisch ineffiziente
                                                          geprüft. Verschiedene Gerichte haben Härten
Strategien“ (Hentschel/Hopfenmüller 2014: 16).
                                                          anerkannt, sobald die Miete bspw. mehr als 25,
Zudem erschweren Preissteigerungen in ohnehin
                                                          30 oder 50 Prozent des Nettoeinkommens beträgt
angespannten Märkten die Wohnungssuche
                                                          (Mietrecht.org 2014; Schön 2016, Berliner Mie-
insbesondere einkommensschwacher Haushalte
                                                          terGemeinschaft 2018). Dabei wurde jedoch
zusätzlich; sozialräumliche Segregation in Form
                                                          auch entschieden, unverhältnismäßige finanzielle
von „energetischer Gentrifizierung“ wird be-
                                                          Belastungen wegen „übermäßig großen Wohn-
fürchtet (Hentschel/Hopfenmüller 2014: 17 f.;
                                                          raums“ ebenso wenig als Härte gelten zu lassen
Haug/Vernim 2014; Großmann et al. 2014).
                                                          als wenn die Mietpreiserhöhung durch sozial-
Einblicke in das Ausmaß der Modernisierungsum-            staatliche Leistungen aufgefangen werden kann
lage und die zielgruppenspezifische Betroffenheit         (Berliner MieterGemeinschaft 2018).
liegen bisher kaum vor. Eine Ausnahme stellt die
Studie „Mieterhöhungen nach Modernisierung
und Energieeinsparung“ vom Berliner Mieter-               15 In diesen Ausführungen wird lediglich auf den Härtefall bei
verein dar. Diese ist aufgrund der räumlichen                Mieterhöhungen referiert. Härtefälle bei Duldungspflicht
                                                             (bspw. durch gesundheitliche Beeinträchtigungen) sind
Einschränkung auf den Berliner Wohnungsmarkt                 bei Mietrecht.org (2014) oder Schön (2016) nachzulesen.
in ihrer Aussagekraft zwar begrenzt, liefert aber            Außerdem gilt die Härtefallregelung nicht, wenn die Woh-
                                                             nung in einen allgemein üblichen Zustand versetzt werden
dennoch interessante Einsichten in 198 Moder-                soll (was wiederum keiner spezifisch „energetischen“ Mo-
nisierungsvorhaben der Jahre 2012 bis 2016. Im               dernisierung entspricht) oder wenn verpflichtende Mo-
                                                             dernisierungen wie der Austausch von alten Heizkesseln
Durchschnitt steigt die Nettokaltmiete nachträg-             vorgenommen werden (Mietrecht.org 2014).

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