Lehr- und Lernmaterial: Zwangsaussiedlungen und weitere Repressalien im Grenzgebiet - Leitprojekt Grenzgeschichten - Modul 1 bis 6
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Leitprojekt Grenzgeschichten Lehr- und Lernmaterial: Zwangsaussiedlungen und weitere Repressalien im Grenzgebiet Die „Gedenkpyramide Vockfey“, Foto: IDD Modul 1 bis 6 METROPOLREGION HAMBURG
Inhalt 1 Zur Einführung: Worum geht es in diesem Lernpaket? 3 2 Module 4 Modul 1: Annäherung an den Begriff „Heimat“ 4 Modul 2: Grenzerfahrungen – Leben im Sperrgebiet 9 Modul 3: Streng geheim – Grenzsicherung und Zwangsaussiedlung 14 Modul 4: „Die bringen uns von Haus und Hof!“ – Schicksale 22 Modul 5: Zwischen Angst und Misstrauen – Das Leben nach der 31 Zwangsaussiedlung Modul 6: Aufarbeitung, Erinnerung und Gedenken 37 3 Zusätzliche Materialien 44 3.1 Historischer Kontext 44 3.2 Orte 46 3.3 Exkursionsvorschläge 53 3.4 Literatur- und Quellenverzeichnis 57 3.5 as bedeutet eigentlich…?“ – Weitere W 62 Informationsmöglichkeiten im Internet
[GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] 1 Zur Einführung: Worum geht es in diesem Lernpaket? Das Lernpaket „Zwangsaussiedlungen und weitere Repressalien im Grenzgebiet“ dient der Aufbereitung des Themas Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze für die schulische und außerschulische Bildung. Sechs Module ermöglichen eine umfängliche und intensive Beschäftigung mit dem Thema Zwangs- aussiedlungen von einer grundlegenden Einordnung in den geschichtlichen Kontext bis zu Fragen nach der persönlichen und rechtlichen Aufarbeitung sowie dem Umgang mit Erinnerung und Gedenken an die Zwangsaussiedlungen. Die Module stehen in einem regionalen Kontext und fördern die Auseinandersetzung mit historischen Orten und Orten der Erinnerung. Gleichzeitig wird das Thema in die aktuelle Lebenswelt und in den aktuellen globalen Kontext eingebettet. Die Lernpakete sind als Angebot zu verstehen, den Besuch von Ausstellungen und Erinnerungsorten vor- und/oder nachzubereiten und damit für einen nachhaltigen Transfer der Inhalte in die breite Öffentlichkeit zu sorgen. Sie richten sich an eine weit gefächerte Zielgruppe, insbesondere jedoch an Schulklassen (ab Sekundarstufe I) und diverse Erwachsenengruppen die im Rahmen von (Geschichts-/Politik-) Unterricht und „lebenslangem Lernen“ die Grenzmuseen besuchen. Die Module eignen sich für den regulären Unterricht, aber auch für die Anwendung in den jeweiligen Museen im Sinne außerschulischer Lernorte. Die Übungen können einzeln genutzt oder frei miteinander kombiniert eingesetzt werden. Die Materialien jedes Moduls umfassen ein Informationsblatt zum Überblick, ein Übungsblatt und die dazugehörige Quellensammlung. Die übergreifenden Ziele dieses Lernpaketes umfassen: • Das empathische Auseinandersetzen mit der dt.–dt. Geschichte bis 1989/90, insbesondere der deutschen Teilung; • die Vermittlung der Geschichte der innerdeutschen Grenze als perfides Instrument zur Macht- sicherung anhand von konkreten Beispielen (Personen, Situationen, Orte …); • die Sensibilisierung für Einflüsse des politischen und alltäglichen Lebensumfeldes (z.B. Leben an und mit der Grenze) auf Biographien von Menschen; • das Wecken von Neugier und Verständnis für die Bedeutung des historischen Lernens für die Gegen- wart; • die Befähigung zur Selbstreflexion (Übertragung historischer Inhalte auf die eigene Lebenswelt); • Erwerb fachlicher Kompetenzen in Auseinandersetzung mit historischen Inhalten; • Entwicklung narrativer Kompetenzen und Erreichen eines reflektierten Geschichtsbewusstseins. Essentiell für die Ausgestaltung der Lernpakete ist ein multiperspektivischer Ansatz, um der Komplexität des Themas Rechnung zu tragen. Wesentlich ist in diesem Zusammenhang zum Beispiel das Aufbrechen der Begriffsgrenzen von verschiedenen Akteuren an der Grenze (Täter*innen, Opfer, Mitläufer*innen), um Handlungsmotivationen und damit einhergehende Sichtweisen auf die Grenze herausarbeiten zu können. Ziel ist es, das Demokratiebewusstsein zu stärken und gleichsam den Blick über den historischen Gegen- stand hinaus in Richtung Gegenwart zu lenken („Grenzen weltweit“). 3
MODUL 1 | ÜBERSICHTSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] 2 Module Modul 1: Annäherung an den Begriff „Heimat“ Das Modul dient als Einstieg in das Leitthema „Zwangsaussiedlung“ an der innerdeutschen Grenze. Die Lernenden erarbeiten die Bedeutung der Begriffe „Heimat“ und „Zuhause“ und untersuchen, was es für einen Menschen bedeutet, die eigene „Heimat“ ungewollt verlassen zu müssen und in der „Fremde“ neu anzufangen. Übung 2 behandelt das Schicksal eines aus Bosnien geflüchteten Jugendlichen, der von seinen Erlebnissen und Gefühlen in einem Dokumentarfilm berichtet. Alternativ wird eine Übung angeboten, in der das Schick- sal von Zwangsausgesiedelten behandelt wird. Ziel/e • Auseinandersetzung mit und Sensibilisierung für das Thema Flucht und Vertreibung anhand einer realen Lebensgeschichte (Dokumentation über einen Geflüchteten Jungen aus Bosnien) Dieses Modul beinhaltet die folgenden Übungen • Übung 1 [Einzelarbeit/ Plenum]: Was bedeutet eigentlich Heimat? (40 min.) • Übung 2 [Einzelarbeit/ Plenum]: Wo bin ich Zuhause? (40 min.) ◦ Zusatzaufgabe [Einzelarbeit/Partnerarbeit] Alternativ: • Übung 2 [Einzelarbeit/ Plenum]: Wo bin ich Zuhause? (45 min.) Benötigtes Material • Stifte, ggf. Notizpapier • Folie/Flipchart-Papier mit zugehörigen Stiften • Internetzugang (alternativ: Vorbereitender Download der Materialien) • Arbeitsblatt Übung 1 „Was bedeutet Heimat?“ Quellenmaterial Übung 2 • Dokumentarfilm „Heimweh“ von Ervin Tahirovic, AT 2017 Q1 [Onlineressource] • Zitat aus „Heimweh“Q2 • Schicksal der Familie Hesse aus Vockfey Q3 4
MODUL 1 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 1 [Einzelarbeit/ Plenum]: Was bedeutet Heimat? 40 min 5 min a. [Einzelarbeit] Notiere spontane Assoziationen zu dem Begriff „Heimat“ auf dem Arbeits- blatt „Was bedeutet Heimat?“. Nutze nur die Hälfte der Kreise. 15 min b. [Einzelarbeit] Recherchiere den Begriff „Heimat“ im Internet und ergänze mit den Ergebnis- sen die mindmap auf dem Arbeitsblatt „Was bedeutet Heimat?“. Beginn deine Recherche im „Jungen Politik-Lexikon“ der Bundeszentrale für politische Bildung. 20 min c. [Plenum] Formuliert eure persönliche Definition von „Heimat“ und diskutiert die Ergebnisse im Plenum. Übung 2 [Einzelarbeit/ Plenum]: Wo bin ich Zuhause? 40 min 10 min a. [Plenum] Beschreibt anhand der ersten sechs minuten des Dokumentarfilms „Heimweh“ Q1 von Ervin Tahirovic wie Ervin den Verlust der Heimat empfindet. 10 min b. [Einzelarbeit] Am Ende seiner Reise nach Foča besucht Ervin Verwandte, die nicht geflohen sind. Seine Großeltern sind schon vor einiger Zeit gestorben. Auch sein altes Zuhause, das Haus der Familie, kann er finden. Allerdings stehen nur noch Reste der Hauswand. Die ganze Stadt hat sich sehr verändert. Es sieht nicht mehr so aus wie in Ervins Träumen. Lies in Q2 was Ervin am Ende seiner Reise resümiert und beziehe in Stichpunkten Stellung zu seinem Wunsch, an die Geflüchteten und Vertriebenen zu erinnern. 20 min c. [Plenum] Diskutiert die Unterschiede zwischen „Heimat“ und „Zuhause“. Nutzt dazu eure vorherigen Aufzeichnungen und präsentiert eure Ergebnisse im Plenum. Zusatzaufgabe [Einzel- oder Partnerarbeit] [Einzelarbeit- oder Partnerarbeit] Versucht euch mit Hilfe des folgenden Textes in Ervin hineinzuversetzen. Offen über die eigenen Gefühle und Gedanken zu sprechen, fällt Ervin schwer. Einem Brieffreund kann er sich jedoch anvertrauen. Schreibt einen Brief aus Ervins Perspektive an seinen Freund oder formuliert alternativ einen Brief an Ervin von dessen Brieffreund. Im Alter von 10 Jahren wirst du aus deiner Heimat vertrieben. Ohne dich verabschieden zu können verlässt du deine Freundinnen und Freunde, deine Großeltern und deine gewohnte Umgebung. Mitnehmen kannst du nur, was in deinen Rucksack passt. In Wien angekommen, ist alles neu für dich. Du verstehst in der Schule weder den Lehrer noch deine Mitschülerinnen und Mitschüler, keiner beschäftigt sich mit dir. Doch mit der Zeit lernst du die Sprache und findest auch neue Freundinnen und Freunde. Doch deine Eltern sagen, dass ihr bald wieder zurück nach Bosnien gehen werdet. 5
MODUL 1 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Alternativ: Übung 3 [Einzelarbeit/ Plenum]: Wo bin ich Zuhause? 45 min Familie Hesse wird am 7. Juni 1952 aus ihrer Heimat in Vockfey vertrieben. Das Ehepaar Hesse wird gemeinsam mit ihren vier Kindern aus dem Sperrgebiet der DDR an der innerdeutschen Grenze zwangsausgesiedelt. Zu diesem Zeitpunkt sind die beiden Söhne Hennig und Friedrich 19 und 14 Jahre alt, ihre Schwestern Elisabeth und Adelheit 9 und 6 Jahre. Während Mutter Helene erst noch an eine Rückkehr in die Heimat glaubt, wird ihre Welt erschüttert, als sie 1977 den Abriss ihres Hofes in Vockfey aus der Ferne, auf der anderen Seite der Elbe, miterlebt. In- zwischen waren ihre Söhne und auch sie selbst in den Westen übergesiedelt. Nun war der letzte Funken Hoffnung auf Rückkehr erloschen. Doch alle vier Kinder bleiben Vockfey, dem Ort ihrer Kindheit, verbunden. a. [Einzelarbeit] Versucht euch mit Hilfe des folgenden Textes in eines der Kinder hineinzuver- 20 min setzen. Offen über die eigenen Gefühle und Gedanken zu sprechen, fällt dir schwer, deshalb schreibst du regelmäßig Tagebuch. Schreibt einen Eintrag, der Gedanken, Hoffnungen und Wünsche einige Monate nach der Zwangsaussiedlung erfasst. Im Alter von 14 Jahren wirst du aus deiner Heimat vertrieben. Ohne dich verabschieden zu können verlässt du deine Freundinnen und Freunde sowie deine gewohnte Umgebung. In der neuen „Heimat“ angekommen, ist alles neu für dich. Du kennst in der Schule weder den Lehrer noch die Mitschülerinnen und Mitschüler, keiner beschäf- tigt sich mit dir. Doch mit der Zeit findest auch neue Freundinnen und Freunde. Doch deine Eltern sagen, dass ihr bald wieder zurück nach Vockfey gehen werdet. b. [Einzelarbeit] Nach der Wende kehren die Kinder der Familie Hesse nach Vockfey zurück. 15 min Arbeitet heraus, welche Bedeutung Vockfey heute für die Geschwister hat Q3. c. [Plenum] Nehmt das in Übung 1 ausgefüllte Arbeitsblatt zum Thema „Heimat“ zur Hand 10 min und stellt es euren Ergebnissen aus 3b. gegenüber. Diskutiert, wo für euch die Unterschiede zwischen „Heimat“ und „Zuhause“ liegen. 6
MODUL 1 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quellenmaterial zu Modul 1 Quelle 1 Dokumentarfilm „Heimweh“ von Ervin Tahirovic, AT 2017 ( minuten 1 - 6) https://www.youtube.com/watch?v=oKDO6LD59RE Quelle 2 Zitat aus dem Dokumentarfilm „Heimweh“ von Ervin Tahirovic, AT 2017, min. 75 - 76 „Ich hätte gerne an allen Häusern in Foča, in denen früher Bosniaken gelebt haben, Gedenktafeln, die daran erin- nern, dass diese Menschen mal ein Teil dieser Stadt waren. Auf einer von ihnen steht dann sowas wie: Hier lebte mal Ervin Tahirović, er wurde wie ein Hund vertrieben. Aus seiner Stadt und seinem Leben ins Exil in der Fremde. Alles, was von seinem Leben zurückblieb, wurde auf irgendeinem Flohmarkt in Montenegro verkauft. Man versuchte, alle Spuren zu entfernen, dass er mal ein Teil dieser Stadt war, aber sie konnten die [Spuren] in seinem Herzen niemals entfernen. Foča blieb für immer ein Teil von ihm und er wird immer ein Teil von Foča bleiben.“ Quelle 3 Schicksal der Familie Hesse aus Vockfey, in: Karin Toben: „Heimatsehnen, Zwangsaussiedlungen an der Elbe zwischen 1952 und 1975“ – Ein Erinnerungsbuch, Neuhaus 2008, S. 57-62, zitiert: S. 58-60. „Erst 2008 haben die Kinder die Ländereien in Vockfey verkauft, Friedrich auch die in Neu Sührkow. In Vockfey behielten alle Kinder das Hofgrundstück am Deich. Darauf steht seit sechs Jahren ein weißer Wohnwagen, die „Notheimat“, wenn z.B. Hennig aus seinem heutigen Wohnort Pommoissel über die Elb-Fähre „nach Hause“ kommt. Gleich Heiligabend 1989 hat es den groß gewachsenen Jäger und einstigen Bauern hierher getrieben. „Als ich den Schlagbaum bei Stapel passierte und das Kopfsteinpflaster sah, da hatte ich das Gefühl, es habe sich nichts verän- dert. Das war, als wenn ich mal eben vier Wochen weggewesen. Wenn, ja wenn mich der Weg nach drei Kilometern nicht nach Vockfey geführt hätte. Ich wollte mir so gern einreden, dass die Zeit stehengeblieben war, aber die vielen verschwundenen Häuser, die leeren Hofflächen, die rissen mich aus meinen Träumen.“ […] Friedrich Hesse, bei der Ausweisung erst vierzehn Jahre alt, […] ist bis heute dort, in der Region Unterelbe ge- blieben. Auch er hat zu DDR-Zeiten am Westufer gestanden und sich die Augen ausgeguckt, hat den Schmerz des endgültigen Verlustes erlebt, und er kommt immer wieder nach Vockfey, „nur, um einfach da zu sein. Vockfeyer bleibt man sein Leben lang“, sagt Friedrich Hesse. Elisabeth Hesse heiratete 1963 den aus dem Land Wursten bei Cuxhaven stammenden Landwirt Helmut Hey, wirtschaftete mit ihm in Sukow-Levitzow in der Region Teterow-Gnoien. […] „Ich bin ein Kind der Elbe geblieben, stehe einmal im Jahr auf dem Deich in Vockfey. Das ist gut für die Seele.“ Aber zurückkehren, dieser Gedanke war nur Theorie. Irgendwann, sagt Elisabeth Hey, müsse man auch seinen Frieden mit der Geschichte machen. Heidi [Adelheit] Hesse war 20 Jahre alt, als sie im Westen ankam – da lebte ihre Mutter schon seit Monaten bei Bruder Hennig in Niedersachen. 1976 heiratet sie den Junglehrer Hartmut Mohr, arbeitet in einer Bank, zog mit ihm nach Holtland in Ostfriesland und bekam drei Kinder. […] Heidi Mohr ist seit über zwanzig Jahren ver- witwet, aber sie ist nicht allein, wenn sie an Vockfey denkt. „Ich weiß, dass auch meine Geschwister diesen Ort nie vergessen werden.“ 7
MODUL 1 | ARBEITSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Arbeitsblatt: Übung 1 „Was bedeutet Heimat?“ Heimat Meine Definition von Heimat: 8
MODUL 2 | ÜBERSICHTSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Modul 2: Grenzerfahrungen – Leben im Sperrgebiet Unterstützt durch den kurzen Computeranimationsfilm „Eingemauert!“ erarbeiten sich die Schülerinnen und Schüler den historischen Hintergrund der deutschen Teilung und Informationen über Aufbau und Funktion der innerdeutschen Grenze. Im weiteren Verlauf setzen sich die Lernenden anhand von Zeit- zeug*innenberichten mit dem von Repressalien geprägten Alltag der im Grenz- bzw. Sperrgebiet lebenden Bevölkerung auseinander. Ziel/e • Veranschaulichen des Systems der innerdeutschen Grenze • Sensibilisierung für die Bedeutung der Grenze und der Mauer im Alltagsleben der Bevölkerung im Grenzgebiet Dieses Modul beinhaltet die folgenden Übungen • Übung 1 [Plenum]: Eingemauert (45 min.) • Übung 2 [Kleingruppen]: Grenzerfahrungen (40 min.) ◦ Zusatzaufgabe [Kleingruppen] • Übung 3 [Kleingruppen]: Normal? (40 min.) Benötigtes Material • Flipchartbögen, Stifte • Internetzugang (alternativ: Vorbereitender Download der Materialien) • Arbeitsblatt Übung 3 „Sperrgebiet“ Quellenmaterial Übung 1 • Animationsfilm „Eingemauert! - Die innerdeutsche Grenze“ Q1 [Onlineressource] • Tabelle: „Fluchtbewegung aus der DDR und dem Ostsektor von Berlin - 1949-1961“ Q2 [Onlineressource] • Tabelle: „Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR 1961-1990“ Q3 [Onlineressource] Übung 2 • Zeitzeugenbericht von Berthold Dücker: „Leben im Sperrgebiet“ Q4 [Onlineressource] • Zeitzeugenbericht von Fritz Ewald: „Leben im Sperrgebiet“ Q5 [Onlineressource] Übung 3 • Franz-Jürgen Lehmkuhl in: Krämer, Elmar: „Zerrissen zwischen Ost und West. Amt Neuhaus am Ostufer der Elbe“, Deutschlandfunk Kultur Radio-Feature, 17.3.2019 Q6 9
MODUL 2 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 1 [Plenum]: Eingemauert 45 min a. [Plenum] Versucht mittels eines Wortes aufzuzeigen, welches Gefühl ihr beim Ansehen des 15 min Computeranimationsfilms „Eingemauert! – Die innerdeutsche Grenze“ Q1 hattet. Notiert das Wort ohne Kommentar an der Tafel/auf dem Flipchart. b. [Plenum] Setzt Q2 und Q3 in Bezug zum Schlusssatz des Kurzfilms: „Das Regime hat die 15 min Bevölkerung der DDR eingemauert.“ c. [Plenum] Arbeitet aus den Quellen die verschiedenen Funktionen der innerdeutschen 15 min Grenze heraus und prüft diese. 40 min Übung 2 [Kleingruppen]: Grenzerfahrungen Berthold Dücker wuchs in der DDR im Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze auf und er- lebte in den 1950er Jahren als Kind die zunehmende Absicherung der Grenze. Er beschreibt, welchen Schikanen die Menschen im Sperrgebiet ausgesetzt waren. Fritz Ewald zog in den 1980er Jahren als Pfarrer in den thüringischen Ort Dankmarshausen, der im Sperrgebiet an der Grenze zu Hessen lag. Er schildert das Leben im Schutzstreifen und welche Einschränkungen er hinnehmen musste. 25 min a. [Kleingruppen] Ordnet die Zeitzeugenberichte von Berthold Dücker Q4 und Fritz Ewald Q5 mit einer mindmap nach den folgenden Kategorien: Grenzanlagen, Alltag, Besuche, Geräu- sche, Besonderheiten. Gegebenenfalls könnt ihr weitere Kategorien ergänzen. 15 min b. [Kleingruppen] Arbeitet anhand der erstellten Kategorien Gemeinsamkeiten und Unter- schiede der beiden Zeitzeugenberichte heraus und notiert auch diese auf dem Flipchart- bogen. 20 min Zusatzaufgabe [Kleingruppen] [Kleingruppen] Verfasst auf Basis eurer Ergebnisse aus 2a. und 2b. einen kurzen Ausstel- lungstext zum Thema „Leben im Sperrgebiet“. Der Text sollte höchstens 20 Zeilen umfassen und kann durch ein Objekt oder eine Zeichnung veranschaulicht werden. Stellt euch die Er- 10
MODUL 2 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 3 [Kleingruppen]: Normal? 40 min Franz-Jürgen Lehmkuhl wurde 1951 in Konau (Gemeinde Amt Neuhaus) auf der Ostseite der Elbe geboren und wuchs im Sperrgebiet, genauer gesagt innerhalb des 500m Schutzstreifens direkt an der Grenze, auf. Mit Anfang 20 lernt er seine Frau kennen, die 1971 zu ihm ins Sperrge- biet zieht. 1972 wird hier die gemeinsame Tochter geboren. Lehmkuhls Frau stammt eigentlich aus einem nur wenige Kilometer entfernten Ort und doch ist hier alles ganz anders. a. [Kleingruppen] Notiert in dem Arbeitsblatt „Sperrgebiet“ Argumente für und gegen das 20 min Leben im Sperrgebiet. Nutzt dafür die Aussagen von Franz-Jürgen Lehmkuhl Q6, Berthold Dücker Q4 und Fritz Ewald Q5. b. [Kleingruppen] Notiert in der mittleren Spalte des Arbeitsblattes „Sperrgebiet“, welche Ge- 20 min fühle der Bewohner das Leben im Sperrgebiet do miniert haben könnten. 11
MODUL 2 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quellenmaterial zu Modul 2 Quelle 1 Animationsfilm „Eingemauert! - Die innerdeutsche Grenze“ (Deutsche Welle) https://www.youtube.com/watch?v=jlbAUFvh04k Quelle 2 Fluchtbewegung aus der DDR und dem Ostsektor von Berlin - 1949-1961, Quelle: Monatsmeldungen des Bundes Ministeriums für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, in: Jürgen Rühle/Gunter Holzwei- ßig: „Der 13. August. Die Mauer von Berlin“, 3. Aufl., Köln 1988, S. 154. Diese und weitere Statistiken unter: https://www.chronik-der-mauer.de/material/164693/statistiken Quelle 3 Übersiedler und Flüchtlinge aus der DDR 1961-1990, Quelle: Jürgen Ritter/Peter Joachim Lapp „Die Gren- ze. Ein deutsches Bauwerk“, Berlin 1997, S. 167. Diese und weitere Statistiken unter: https://www.chronik-der-mauer.de/material/164693/statistiken Quelle 4 Zeitzeugenbericht von Berthold Dücker: „Leben im Sperrgebiet“: https://www.zeitzeugen-portal.de/personen/zeitzeuge/berthold_d%C3%BCcker/videos/99yC_lxBsXU Quelle 5 Zeitzeugenbericht von Fritz Ewald: „Leben im Sperrgebiet“: https://www.zeitzeugen-portal.de/personen/zeitzeuge/fritz_ewald/videos/t9uLYl4M5gQ Quelle 6 Franz-Jürgen Lehmkuhl, zitiert in: Krämer, Elmar: „Zerrissen zwischen Ost und West. Amt Neuhaus am Ost- ufer der Elbe“, Deutschlandfunk Kultur Radio-Feature, 17.3.2019, https://www.deutschlandfunkkultur.de/amt-neuhaus-am-ostufer-der-elbe-pdf.media. dbb4b75b8fe08491cf867656b3a689e8.pdf „Wir haben hier den Fünfhundert-Meter-Schutzstreifen gehabt mit der hundertprozentigen Grenzsicherung, und diese besondere Lage hat uns das Leben hier natürlich im Grunde genommen zur Hölle gemacht, aber wir ha- ben es nicht gemerkt. […] Diese Sicherungsmaßnahmen, die uns das Leben so schwer gemacht haben, sind im Laufe von 20 Jahren immer ganz langsam, immer einen Schritt weiter an uns herangetragen worden, sodass wir uns daran gewöhnt haben. Und naja, das bisschen können wir noch mitmachen, so haben wir das einfach akzeptiert. […] Für mich war es so, die Grenze wurde so schrittweise eingeführt. Wir haben nicht von vornherein gewusst, was das alles bedeutet. Ich durfte nur nicht in der Elbe baden zuerst, dann durften wir noch in der Elbe angeln. Später durften wir nur noch an den Kuhlen angeln gehen. Irgendwann wurde uns das verboten. Alles so im Abstand von vier, fünf Jahren. Und da merkt man das gar nicht, den Schießbefehl gab es ja später.“ 12
MODUL 2 | ARBEITSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Arbeitsblatt: Übung 3 „Sperrgebiet“ Argumente FÜR ein Argumente GEGEN ein Leben im Sperrgebiet Gefühle Leben im Sperrgebiet Fazit: 13
MODUL 3 | ÜBERSICHTSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Modul 3: Streng geheim – Grenzsicherung und Zwangsaussiedlung Die Lernenden machen sich mit dem historischen Hintergrund der Zwangsaussiedlungen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze vertraut. Es werden die Rechtsgrundlagen, die beteiligten Staatsorgane, der Ablauf von Zwangsaussiedlungen und die Opfergruppen behandelt. Anhand von zeitgenössischem Quellenmate- rial wird zudem ein Blick auf die Berichterstattung über die Zwangsaussiedlungen und Verordnungen über die Maßnahmen an der Demarkationslinie geworfen und kritisch analysiert. Ziel/e • Veranschaulichen des Systems der innerdeutschen Grenze • Kritischer Umgang mit Presseberichterstattung und anderen Quellengattungen • Auseinandersetzung mit dem Menschenbild der DDR-Regierung Dieses Modul beinhaltet die folgenden Übungen • Übung 1 [Einzelarbeit/ Plenum]: Sperrgebiet und Zwangsaussiedlungen. (40 min.) • Übung 2 [Kleingruppen/ Plenum]: Verordnete Sicherheit!? (55 min.) • Übung 3 [Partnerarbeit]: Fake News? (40 min.) Benötigtes Material • Stifte und Zettel • Internetzugang (alternativ: Vorbereitender Download der Materialien) • Arbeitsblatt Übung 2: „Verordnete Sicherheit!?“ Quellenmaterial Übung 1 • Einführungstext „Leben im Sperrgebiet und Zwangsaussiedlungen“, (MDR „Eure Geschichte“) Q1 [Onlineressource] Übung 2 • Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26. Mai 1952 (GBl. der DDR, Nr. 65/1952, 27.5.1952). Q2 • Bericht der Mecklenburgischen Landesregierung an den DDR-Innenminister vom 13.6.1952. Q3 • Befehl des DDR-Innenministers Nr. 35/61 vom 1.9.1961. Q4 Übung 3 • Neuer Mainzer Anzeiger, 22./23.5.1952: „Sowjets schließen weitere Grenzübergänge“. Q5 • Das Volk, 28.5.1952: „Notwendige Maßnahmen“. Q6 • Neuer Mainzer Anzeiger, Pfingsten 1952: „‘Grenz’-Dörfer rücksichtslos geräumt“. Q7 • Auszug aus der Schweriner Volkszeitung vom 6.10.1961, ohne Titel. Q8 14
MODUL 3 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 1 [Einzelarbeit/ Plenum]: Sperrgebiet und Zwangsaussiedlungen 40 min a. [Einzelarbeit] Arbeite aus dem Text „Leben im Sperrgebiet und Zwangsaussiedlungen“ Q1 25 min heraus, auf welcher rechtlichen Grundlage die DDR-Behörden Zwangsaussiedlungen durch- führten; wann Zwangsaussiedlungen unter welchen Codenamen stattfanden; welche Minis- terien/Behörden die Zwangsaussiedlungen organisierten; wie viele Menschen bis zum Ende der DDR zwangsausgesiedelt wurden. b. [Plenum] Diskutiert, warum die Zwangsaussiedlungen Codenamen besaßen und wer sie 15 min ihnen gab. Was glaubt ihr, bedeuten die Codenamen? Übung 2 [Kleingruppen/ Plenum]: Verordnete Sicherheit!? 55 min a. [Kleingruppen] Teilt euch in Dreier-Gruppen auf. Jede*r bekommt eine der folgenden Quel- 25 min len zugeteilt Q2, Q3, Q4. Untersucht den Text auf Grundlage der Fragen auf dem Arbeits- blatt „Verordnete Sicherheit!?“. Vielleicht könnt ihr anhand eurer Quelle nicht alle Fragen beantworten! Stellt euch die Ergebnisse in der Kleingruppe vor und ergänzt eure Arbeits- blätter entsprechend. b. [Kleingruppen] Diskutiert auf Grundlage eurer Erkenntnisse, wie die DDR-Behörden die im 15 min Grenzgebiet lebenden Menschen einschätzten - welches Menschenbild lässt sich „zwischen den Zeilen“ aus den Dokumenten ablesen? c. [Plenum] Stellt eure Ergebnisse aus Aufgabe 2b. im Plenum vor. Übung 3 [Partnerarbeit]: Fake News? 40 min a. [Partnerarbeit] Analysiert, woher die jeweiligen Autorinnen der Zeitungsausschnitte Q5, Q6, 20 min Q7, Q8 eurer Ansicht nach stammen (DDR oder Bundesrepublik). Begründet eure Zuordnung. b. [Partnerarbeit] Verfasst aus Sicht kritischer Beobachter*innen ein kurzes Statement oder 20 min entwerft ein Plakat, mit dem ihr die Öffentlichkeit auf die Art und den Ablauf der Auswei- sungen aus dem Sperrgebiet aufmerksam machen würdet. Quellenmaterial zu Modul 3 Quelle 1 Einführungstext „Leben im Sperrgebiet und Zwangsaussiedlungen“ (MDR „Eure Geschichte“) https://www.mdr.de/zeitreise/schwerpunkte/eure-geschichte/themen/grenzerfahrungen/grenze/grenze124.html 15
MODUL 3 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 2 Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Repu- blik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands vom 26. Mai 1952 (GBl. der DDR, Nr. 65/1952, 27.5.1952) Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands. Vom 26. Mai 1952 Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat der Bonner Regierung und den Regierungen der Westmächte Vorschläge über die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen und den baldmöglichsten Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zugeleitet. Dabei ließ sich die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik von dem einmütigen Willen des Volkes leiten, der auf die Erhaltung des Friedens und die Einheit Deutschlands gerichtet ist. Diese Vorschläge wurden von der Bonner Adenauer-Re- gierung abgelehnt, die auf Weisung der amerikanischen, englischen und französischen Besatzungsmächte sich anschickt, den Gene- ralkriegsvertrag abzuschließen, der gegen den Friedensvertrag und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gerichtet ist. In Befolgung ihrer Kriegspolitik haben die Bonner Regierung und die westlichen Besatzungsmächte an der Demarkationslinie einen strengen Grenz- und Zolldienst eingeführt, um sich von der Deutschen Demokratischen Republik abzugrenzen und dadurch die Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Das Fehlen eines entsprechenden Schutzes der Demarkationslinie seitens der Deutschen Demokratischen Republik wird von den Westmächten dazu ausgenutzt, um in immer größerem Umfange Spione, Diversanten, Terroristen und Schmuggler über die De- markationslinie in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu schleusen. Diese haben nach Ausführung ihrer verbreche- rischen Aufgaben bislang leicht die Möglichkeit, ungehindert über die Demarkationslinie nach Westdeutschland zurückzukehren. Auf diese Art versuchen die feindlichen Agenten die Erfolge des friedlichen wirtschaftlichen und kulturellen Aufbaus der Deutschen Demokratischen Republik zu untergraben, die weitere Hebung des Wohlstandes der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik zu erschweren und die demokratische Ordnung und Gesetzlichkeit, die Stütze des deutschen Volkes im Kampf für Frieden, Einheit und friedlichen Aufbau, zu erschüttern. Durch diese Handlungen der amerikanischen, englischen und französischen Besatzungsmächte und der Bonner Regierung sieht sich die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, die die Verteidigung der Interessen der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik zum Ziele haben und die ein Eindringen von feindlichen Agenten in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik unmöglich machen. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik verordnet: §1 Das Ministerium für Staatssicherheit wird beauftragt, unverzüglich strenge Maßnahmen zu treffen für die Verstärkung der Be- wachung der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen, um ein weiteres Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Schädlingen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern. §2 Alle zur Durchführung dieser Maßnahmen getroffenen Anordnungen, Bestimmungen und Anweisungen sind unter dem Gesichts- punkt zu erlassen, daß sie bei einer Verständigung über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zur Herbeiführung der Einheit Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage sofort aufgehoben werden können. §3 Diese Verordnung tritt mit dem heutigen Tage in Kraft. Berlin, den 26. Mai 1952 Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Der Ministerpräsident Grotewohl 16
MODUL 3 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 3 Bericht der Mecklenburgischen Landesregierung an den DDR-Innenminister vom 13.6.1952. Landesregierung Mecklenburg Schwerin, den 13. Juni 1952 Ministerium des Innern An die Deutsche Demokratische Republik Ministerium des Innern, Herrn Staatssekretär Eggerath, Berlin Entsprechend unserer heutigen telefonischen Unterredung übermittle ich Ihnen die Abschlusszahlen über die unerwünschten Personen und Ausländer und Staatenlose. Die Auszuweisenden der beiden letzten Transporte aus den Kreisen Hagenow und Grevesmühlen wurden heute Morgen in der Zeit von 4 – 8 Uhr informiert. Im Laufe des Tages erfolgt die Inventuraufnahme. Der Abtransport erfolgt planmäßig morgen früh in die Kreise Güstrow, Waren, Grimmen, Dem min und Malchin. Mit diesen Transporten sind alle Entscheidungen der ope- rativen Kommissionen durchgeführt. Auch am heutigen Tage ergaben sich keine Besonderheiten. Nach den Meldungen, die mir vorliegen, sind auch keine weiteren Personen illegal nach dem Westen abgewandert. Der Landwirtschafts minister unseres Landes hat die namentlichen Listen aller landwirtschaftlichen Betriebe heute ebenfalls erhalten. Mit den Landräten dieser Kreise wird er persönlich eine Beratung durchführen, um die notwendigen Maßnahmen zur Fortführung und Entwicklung dieser Betriebe festzulegen. Morgen früh gebe ich Ihnen noch einen kurzen Bericht über die Abfahrt und Ankunft der beiden letzten Transporte. Falls Sie dann noch irgendwelche Auskunft wünschen, wollen Sie mir das mitteilen. Gez. Bick (Minister) 17
MODUL 3 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 4 Befehl des DDR-Innenministers Nr. 35/61 vom 1.9.19611 Abschrift REGIERUNG DER DEUTSCHEN DEMOKRATISCHEN REPUBLIK MINISTERIUM DES INNERN Geheime Verschlußsache! B 3/1 – 17/61 068 Ausf. 1 Blatt BEFEHL des Ministers des Innern Nr. 35/61 1. September 1961 Berlin Inhalt: Ausweisung von Personen aus dem Grenzgebiet der Westgrenze der DDR Auf Grund der Verordnung vom 26. Mai 1952 und vom 3. Mai 1956 über Maßnahmen an der Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Westzone sind folgende Maßnahmen durchzuführen: 1. Aus dem Bereich der 5 km-Sperrzone und des 500 m-Schutzstreifens sind auszuweisen: a) ehemalige Angehörige der SS, unverbesserliche Nazis, ehemalige Ortsbauernführer, Personen, die durch ihre reaktionäre Einstellung den Aufbau des Sozialismus hindern sowie Personen, die ihrer Einstellung nach und durch ihre Handlungen eine Gefährdung für die Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet darstellen; b) Erstzuziehende aus Westdeutschland und Westberlin; c) Rückkehrer aus Westdeutschland und Westberlin, die bisher noch nicht durch gute Arbeitsleistungen ihre Verbundenheit zur Deutschen Demokratischen Republik unter Beweis gestellt haben und die bei der Eingliederung in das gesellschaftliche Leben große Schwierigkeiten bereiten; d) Personen, die als Grenzgänger angefallen sind oder die Arbeit der Deutschen Grenzpolizei erschwerten oder behinderten, darunter fallen arbeitsscheue und asoziale Elemente, HwG-Personen usw.1 e) alle Personen, die der polizeilichen Meldepflicht nicht nachgekommen sind bzw. bewußt versucht haben, die Meldepflicht zu umgehen; f) Ausländer und Staatenlose. Die in enger Gemeinschaft lebenden Angehörigen der unter a – f genannten Personen sind mit auszuweisen. 2. Die Feststellung des obengenannten Personenkreises hat durch die VPKÄ in Zusammenarbeit mit den Kreisdienststellen des MfS und der Deutschen Grenzpolizei zu erfolgen. 3. Die Leiter der Volkspolizei-Kreisämter unterbreiten der Einsatzleitung des Kreises die Vorschläge der zur Ausweisung kommenden Personen. Die Einsatzleitungen der Kreise verfügen nach Bestätigung durch die Bezirkseinsatzleitungen die Ausweisung der betreffenden Personen. 4. Nach Bestätigung wird dem Betreffenden die Ausweisung von den zuständigen Dienststellen der Volkspolizei mündlich mitgeteilt. Er ist aufzufordern, binnen 48 Stunden nach der mündlichen Mitteilung das Grenzgebiet zu verlassen und sich unverzüglich und auf kürzestem Wege an den Ort zu begeben, der als neuer Wohnort festgelegt wurde. Von den Einsatzleitungen der Bezirke werden die Kreise und Orte bestimmt, in welche die Ausgewiesenen ihren Wohnsitz zu verlegen haben. Der neue Wohnort muß außerhalb der Grenzkreise liegen. Nur in außergewöhnlichen Ausnahmefällen kann eine Fristverlängerung um 24 Stunden gewährt werden. Die Ausweisung erfolgt unter Aufsicht des zuständigen Volkspolizei-Kreisamtes. 5. Die Abmeldung der Personen ist durch die Abteilung Paß- und Meldewesen vorzunehmen und alle über die Person vorliegenden Unter- lagen sind sofort unter Beifügung einer abschließenden Einschätzung der Person dem VPKA mit ZKD zu übersenden, in dessen Bereich der neue Wohnsitz liegt. […] Minister des Innern gez. M a r o n 1 Als „HwG-Personen“ umschrieben die DDR-Behörden Menschen mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“. Gemeint waren damit u.a. Prostituierte; VPKÄ = Volkspolizei-Kreisämter, ZKD = Zentraler Kurierdienst (Postdienst des Innenministeriums der DDR) 18
MODUL 3 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 5 Zeitungsartikel: „Sowjets schließen weitere Grenzübergänge“. Donnerstag/Freitag, 22./23. Mai 1952, S. 1 Sowjets schließen weitere Grenzübergänge Grenzdörfer werden gegen Widerstand der Bevölkerung mit Volkspolizei belegt Verschiedene Einwohner zahlreicher ostzonaler Ortschaften in der Nähe der Zonengrenze haben in den letzten Tagen Räu- mungsbefehle für ihre Häuser bekommen. Die freiwerdenden Räume sollen durch Volkspolizeiverstärkung belegt werden, mit deren Eintreffen in den nächsten Tagen gerechnet wird. […] In verschiedenen Orten sollen sich die Einwohner zur Wehr gesetzt haben, ohne jedoch die Zwangsräumung verhindern zu können. Auch in den Ostzonen-Ortschaften an der 170 Kilometer langen Zonengrenze Niedersachsens sollen die größeren Gebäude und Schulhäuser für die Volkspolizei beschlagnahmt worden sein. Grenzgänger berichteten, daß die Gebäude noch bewohnt sind, man rechne aber jeden Tag mit dem Räumungsbefehl. […] Quelle 6 Zeitungsartikel: „Notwendige Maßnahmen“ Mittwoch, 28. Mai 1952, S. 1 Notwendige Maßnahmen […] Die Unterschrift Adenauers unter den Vertrag des Krieges bringt selbstverständlich eine verstärkte Tätigkeit der Spione und Terroristen auf unserem Gebiete mit sich. Es ist deshalb eine zwingende Notwendigkeit gewesen, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik durch ihre Verordnung vom 26. Mai 1952 unverzüglich strenge Maßnahmen der Staats- sicherheit für die Verstärkung der Bewachung an der Demarkationslinie getroffen hat. Diese Maßnahmen werden infolge ihrer umgehenden Durchführung in einigen Orten Schwierigkeiten mit sich bringen, aber sie werden auf den Wunsch der Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik getroffen, die nicht länger die Provoka- tionen an der Demarkationslinie dulden will. Die Bewohner der Grenzkreise begreifen, daß diese Maßnahmen nicht gegen sie gerichtet sind, sondern ihrem Schutz und der Sicherung des Friedens dienen. […] Jene Maßnahmen dienen dem Volke und die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die die Regierung des Volkes ist, wird den betroffenen Bevölkerungsteilen jede Hilfe angedeihen lassen und bemüht sein, alle eventuell entstehenden Härten auszugleichen. […] 19
MODUL 3 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 7 Zeitungsartikel: „Grenz-Dörfer rücksichtslos geräumt“ Pfingsten 1952, S. 1 Die Sperrzone an der Sowjetzonengrenze „Grenz“-Dörfer rücksichtslos geräumt Bauern verloren wertvolles Land / „Unzuverlässige“ mit unbekanntem Ziel abtransportiert Die Evakuierung der von der Sowjetzonen-Regierung errichteten fünf Kilometer breiten Sperrzone entlang der Zonengrenze wurde fortgesetzt. Mit der Errichtung der Sperrzone haben praktisch die Grenzbauern sowohl der Bundesrepublik als auch der Sowjetzone ihre Ländereien auf der jeweils anderen Seite der Zonengrenze verloren, da die Ausgabe von Grenzscheinen zur Be- arbeitung dieser Ländereien eingestellt wurde. Es ist noch unklar, wie dieses Land besitzrechtlich verteilt werden soll. Gegenüber der niedersächsischen Zonengrenze sind weitere Ortschaften geräumt worden. Die Gemeinden wurden von Volkspo- lizei umstellt und die Einwohner unter starker Bewachung mit unbekanntem Ziel abtransportiert. Ein Teil von ihnen floh, teilweise mit Vieh und Hausrat, auf Bundesgebiet. Wie Grenzgänger berichteten, sollen hauptsächlich „unzuverlässige Einwohner“, die früher im Bundesgebiet gearbeitet und nach dort Verbindung haben, ferner frühere Parteiangehörige und ehemalige Offiziere evakuiert werden. Die Umsiedlungsziele sollen Vorpommern, Thüringen und Torgau sein. Quelle 8 Zeitungsartikel: ohne Titel 6. Oktober 1961 Immer stärker wird die Forderung nach einem deutschen Friedensvertrag. Die Bonner Kriegsbrandstifter aber antworten auf die Friedens- und Verständigungsvorschläge der Sowjetunion und der DDR mit verstärkter Atomkriegsaufrüstung. Bonn hat schon mehr für Aggressionspläne ausgegeben als Hitler für die Finanzierung der Vorbereitung des Weltkrieges benötigte. Die- se Kriegspolitik der Bonner Ultras macht die Sicherung der Staatsgrenze West zur zwingenden Notwendigkeit; denn seitdem Westberlin als Agentenzentrum und Provokationsherd isoliert wurde, hat die Staatsgrenze West der DDR für die NATO-Kreise an Bedeutung gewonnen. Es gibt nicht wenige Beispiele dafür, wie gerade in der letzten Zeit die westdeutschen Militaristen und Revanchisten an der West- grenze der Deutschen Demokratischen Republik in verstärktem Maße Störversuche organisierten. Zur Sicherung des Friedens und zum Schutze des Lebens der Bürger an der Staatsgrenze West war es deshalb notwendig, daß einige Bürger, die bisher durch ihre Vergangenheit und durch ihr gegenwärtiges Auftreten Ansatzpunkte für feindliche Tätigkeit darstellten, ihren Wohn- ort wechselten. 20
MODUL 3 | ARBEITSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Arbeitsblatt: Übung 2 „Verordnete Sicherheit!?“ Titel der Quelle: 1. Wie begründete die DDR-Regierung die Maßnahmen zur Grenzsicherung? 2. Was erfolgte genau bei einer Zwangsaussiedlung? 3. Welche Personengruppen bestimmten die Behörden zur Ausweisung? Menschenbild der DDR: 21
MODUL 4 | ÜBERSICHTSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Modul 4: „Die bringen uns von Haus und Hof!“ – Schicksale Im Mittelpunkt steht der Ablauf der Zwangsaussiedlungen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze. Die Auseinandersetzung erfolgt auf Grundlage von Zeitzeug*innenberichten, die u.a. illustrieren, wie die Zwangsaussiedlungen abliefen, welche Ängste und Sorgen die Betroffenen aber auch die Zurückgebliebe- nen hatten oder was die Opfer zurücklassen mussten. Verschiedene Akteur*innen der Zwangsaussiedlun- gen werden vorgestellt und ihre Einstellungen, Gefühle und Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Abschlie- ßend wird das Schleifen ganzer Ortschaften im Sperrgebiet und der Umgang mit der Erinnerung an diese heute „verschwundenen Orte“ thematisiert. Mögliche Exkursionen: „Gedenkstätte zur Erinnerung an die Zwangsaussiedlungen an der ehemaligen in- nerdeutschen Grenze“, „Gedenk- und Begegnungsstätte Stresow“, Ausstellung „Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze“. Für weitere Anregungen und Informationen siehe Kapitel 4.2 „Exkursionsvor- schläge“. Ziel/e • Auseinandersetzung mit Zwangsaussiedlungen anhand realer Lebensgeschichten • kritische Auseinandersetzung mit der Verletzung der Menschenrechte in der DDR • Veranschaulichen des Systems der innerdeutschen Grenze • Auseinandersetzung mit Erinnerungs- und Gedenkzeichen Dieses Modul beinhaltet die folgenden Übungen • Übung 1 [Partnerarbeit/ Plenum]: „Pass bloß auf, was du sagst!“ (45 min.) • Übung 2 [Partnerarbeit/ Plenum]: „Freizügigkeit als Menschenrecht?“ (75 min.) • Übung 3 [Kleingruppen]: „Verschiedene Akteure“ (45 min.) • Übung 4 [Plenum/ Partnerarbeit]: Ausgelöscht – Verschwundene Orte (40 min.) ◦ Zusatzaufgabe [Einzel- oder Partnerarbeit] Benötigtes Material • Stifte und Zettel, Fotokarton, Kleber, Schere • Internetzugang (alternativ das benötigte Material im Voraus runterladen) • Arbeitsblatt: Übung 2 „Freizügigkeit als Menschenrecht?“ Quellenmaterial Übung 1 • Zeitzeugenbericht von Berthold Dücker Q1 [Onlineressource] • Zeitzeugenbericht von Franz-Jürgen Lehmkuhl Q2 • Zeitzeuginnenbericht von Marie-Luise Busse, geb. Riecken Q3 • Zeitzeugenbericht von Franz-Jürgen Lehmkuhl Q4 22
MODUL 4 | ÜBERSICHTSBLATT [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 2 • Allgemeine Erklärung der Menschenrechte Q5 [Onlineressource] • DDR-Verfassung von 1949 Q6 [Onlineressource] • Zeitzeuginnenbericht von Brigitte Schmidt Q7 • Zeitzeuginnenbericht von Marianne Brusch Q8 Übung 3 • Dokumentarfilm „Geschleift [dem Erdboden gleichgemacht]“ Q9 [Onlineressource] 23
MODUL 4 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 1 [Partnerarbeit/ Plenum]: „Pass bloß auf, was du sagst!“ 45 min a. [Plenum] Berthold Dücker verbrachte seine Kindheit und Jugend im Sperrgebiet an der 20 min innerdeutschen Grenze der DDR Q1. Mit 16 Jahren flieht Dücker über die innerdeutsche Grenze in den Westen. Interpretiert, was sich hinter den Sätzen „Pass bloß auf, was du sagst“ und „Die bringen uns von Haus und Hof“ verbirgt und welche Bedeutung sie für Berthold Dücker hatten. b. [Partnerarbeit] Notiert, was laut der Zeitzeug*innen Q2, Q3, Q4 mit den Zwangsaussied- 25 min lungen erreicht werden sollte und prüft, inwiefern diese Gründe in einem Zusammenhang mit der Grenzsicherung stehen. Übung 2 [Partnerarbeit/ Plenum]: „Freizügigkeit als Menschenrecht?“ 75 min Am 10. Januar 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) durch die Vereinten Nationen verabschiedet. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und der Verbre- chen des Nationalsozialismus erhob die Resolution universell gültige Menschenrechte zu einem anzustrebenden Ideal. Die AEMR hat allerdings keine völkerrechtlich bindende Funktion. Auch in der im Oktober 1949 verabschiedeten Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik wurden umfassende Grundrechte verankert. In der Praxis wurden die in der Verfassung festge- schrieben Grundsätze rasch ausgehöhlt und gebrochen. a. [Partnerarbeit] Teilt die Quellen „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) Q5 30 min und die Verfassung der DDR Q6 untereinander auf. Arbeitet die quellenkritischen Aspekte mit Hilfe des Arbeitsblattes „Freizügigkeit als Menschenrecht?“ heraus. Stellt euch die Quel- len und eure Arbeitsergebnisse gegenseitig in einem Gespräch vor b. [Partnerarbeit] Arbeitet heraus, was die Quellen Q7 und Q8 über die Zwangsaussiedlungen 30 min an der innerdeutschen Grenze berichten. Überprüft, welche Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR) Q5 und der Artikel 1 – 18 der DDR-Verfassung von 1949 Q6 bei den Zwangsaussiedlungen in der DDR missachtet wurden. c. [Plenum] Diskutiert eure Ergebnisse im Plenum. 15 min 24
MODUL 4 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 3 [Kleingruppen]: „Verschiedene Akteure“ 45 min a. [Kleingruppen] Teilt euch in Fünfer-Gruppen auf. Jede*r erhält eine „Identitätskarte“ mit Informationen zu einer Person. Entwickelt auf Basis eures bisherigen Wissens zum Thema „Zwangsaussiedlungen“ an der innerdeutschen Grenze ein kurzes Rollenspiel im Umfang von 5 bis 10 minuten, das ihr im Anschluss vorspielt. Versucht dabei die Einstellungen, Gefühle und Handlungsmöglichkeiten der Personen darzustellen. Du bist ein Soldat der Nationalen Volksarmee (NVA) und zur Bewachung eines Abschnitts an der innerdeutschen Grenze eingeteilt. Du bist jetzt 19 Jahre alt, deine Eltern sind in der Partei (SED). Du hast eine*n Freund*in, der/die dem propagierten Sozialismus kritisch gegenübersteht und schon einmal Fluchtgedanken geäußert hat. Du bist Bürgermeister eines Dorfes im Sperrgebiet. Hier bist du geboren und aufgewachsen, hast eine Familie gegründet und en- gagierst dich seit Jahren für das Wohlergehen der Gemeinde. Du bist 1946 mit 36 Jahren aus Überzeugung in die SED eingetreten. Im Zuge der „Aktion Festigung“ soll 1961 eine mit dir befreundete Familie umgesiedelt werden. Du bist Tochter eines LPG-Bauern und 12 Jahre alt, Mitglied der Thälmann-Pioniere und eine strebsame Schülerin. Dein größter Traum ist es, später Tierärztin zu werden. Wiederholt beklagt sich dein Vater öffentlich über die Gängelei bei der LPG, sodass dich deine Lehrerin daraufhin zur Rede stellt. Du bist Volkspolizist, 48 Jahre alt und gerade zum Leiter eines Einsatzstabs zur Ausweisung von Personen aus dem Sperrgebiet be- nannt worden. Nicht nur bist du überzeugter DDR-Bürger, vom Gelingen des Einsatzes hängt außerdem die lang ersehnte Beförde- rung ab. Doch bevor es losgeht, äußert einer deiner besten Männer Skrupel. Du bist Wirtin der einzigen Dorfkneipe eines im Sperrgebiet liegenden Ortes. Jetzt bist du 38 Jahre alt und weil du die Sperrstunde ab 22 Uhr wiederholt nicht eingehalten hast, drohen dir die Behörden, die Kneipe zu schließen. Eines Abends beschwert sich ein angetrunkener Gast dir gegenüber lautstark über die Grenzsicherungsmaßnahmen. 25
MODUL 4 | ÜBUNGEN [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Übung 4 [Plenum/ Partnerarbeit]: Ausgelöscht – Verschwundene Orte 40 min In den 1970er Jahren wurden die Grenzanlagen erneuert und erweitert. Für die Schaffung „frei- en Sicht- und Schussfeldes“ wurden ganze Orte abgerissen („geschleift“) und die dort lebenden Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. a. [Plenum] Im Film „Geschleift [dem Erdboden gleichgemacht]“ besucht Erika Steding ihren 25 min Heimatort Lankow an der ehemaligen innerdeutschen Grenze Q9. Sammelt Meinungen dazu, was der unwiederbringliche Verlust der Heimat/das Verschwinden des Heimatortes für die Identität eines Menschen bedeutet? b. [Plenum] Zu Beginn des Films sieht man ein Ortsschild für den 1976 abgerissenen 15 min Ort Lankow. Diskutiert, warum das Schild dort steht und was es für eine Bedeutung haben könnte? Zusatzaufgabe [Einzel- oder Partnerarbeit] [Einzel- oder Partnerarbeit] Kennt ihr selbst einen „verschwundenen Ort“? Wie würdet ihr an diesen erinnern? Erarbeitet in Partnerarbeit ein Erinnerungs-/Gedenkzeichen (z.B. Pla- kette, Inschrift, Tafel, Skulptur…). Stellt dieses im Anschluss auf einem Gallery Walk oder in einer Poster-Session den anderen vor. Eine ähnliche Aufgabe wird auch in Modul 6 (Aufgabe 4 Zusatzaufgabe) gestellt. Hier soll ein Erinnerungsort an die Zwangsaussiedlungen entworfen werden ohne den Schwerpunkt „verschwundene Orte“. 26
MODUL 4 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quellenmaterial zu Modul 4 Quelle 1 Zeitzeugenbericht von Berthold Dücker (2:05 min.): https://www.zeitzeugen-portal.de/videos/RDYa9YtPqG8 Quelle 2 Franz-Jürgen Lehmkuhl, zitiert in: „Zwangsausweisung der Familie Hans Lehmkuhl aus dem Sperrgebiet in Popelau“, Teil der Ausstellung „Ausgegrenzt. Die Zwangsaussiedlungen 1952 und 1961“ in Konau. „Wir waren befreundet mit der Familie Sühr. Deren Tochter Ilse-Marie war ein Jahr älter als ich. Eines Morgens haben wir im Schulbus schon gehört, dass die Kinder aus dem Dorf sprachen: ‘Bei Sühren muss irgendwas passiert sein’. Natürlich waren wir aufgeregt, weil wir hier im Grenzgebiet schon immer so verängstigt erzogen worden wa- ren. Und dann kam die Kunde bei uns in der Schule an. Da hieß es morgens, so zwischen 9 und 10, ‘Sührs werden ausgewiesen’. Und da sind wir, weiß ich genau, sofort haben wir die Schule verlassen und sind zu Fuß nach Hause gelaufen. Und auf dem Weg durch Neuhaus sind Sührs an uns vorbeigefahren […] und Ilse-Marie hat uns noch ge- wunken. […] Wir wollten nichts weiter wie zu unseren Eltern. Wir hatten panische Angst, dass das Gleiche auch mit uns und unseren Eltern passieren würde. Ich weiß, wir haben wochenlang gebraucht, um uns an den Gedanken zu gewöhnen und wir haben ja auch nichts mehr gehört von denen. Da gab es keine Antworten auf unsere Fragen: ‘Warum sind die weg, wo ist Ilse-Marie geblieben?’. Die war einfach wie tot, aus unserer Mitte gerissen worden.“ (Die Zwangsaussiedlung der Familie Sühr erfolgte in Jahr 1961) Quelle 3 Marie-Luise Busse, geb. Riecken, zitiert in: „Zwangsausweisung der Familie Riecken aus Pom-mau/Vockfey 1952“, Teil der Ausstellung „Ausgegrenzt. Die Zwangsaussiedlungen 1952 und 1961“ in Konau. „Ich glaube, dass unsere Ausweisung ein Politikum war. Meine Mutter war im Ort eigentlich sehr angenommen. Sie hat sich auch sehr um die Flüchtlinge bemüht und ich nehme auch an, dass sie den Hof haben wollten, um eine LPG zu gründen und den sozialistischen Aufbau vorantreiben zu können.“ 27
MODUL 4 | QUELLENMATERIAL [GRENZGESCHICHTE(N) DER METROPOLREGION HAMBURG] Quelle 4 Franz-Jürgen Lehmkuhl, zitiert in: „Zwangsausweisung der Familie Hans Lehmkuhl aus dem Sperrgebiet in Popelau“, Teil der Ausstellung „Ausgegrenzt. Die Zwangsaussiedlungen 1952 und 1961“ in Konau. „Man wollte ja Beispiele schaffen, die Bevölkerung im Grenzgebiet gefügig zu machen. Und das hat man […] natür- lich unheimlich gut fertigbekommen. Man hat ja die Familien genommen, die im Mittelpunkt mit standen, die, die eine Bedeutung hatten, auf die man gehört hat. Jeder wusste, dass drei Personen, ortsansässige Personen, eine Unterschrift leisten mussten. Mit diesen drei Unterschriften hat sich die sozialistische Regierung abgesichert, dass sie aus ihrer Sicht rechtens getan hat.“ Quelle 5 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR): https://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf Quelle 6 Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 7. Oktober 1949: http://www.documentarchiv.de/ddr/verfddr1949.html#6 Quelle 7 Brigitte Schmidt in: NDR 1 Radio MV – Transkript zur Sendung „Aktion Kornblume: Zwangsumsiedlungen in der DDR“, 28.7.2009: https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Aktion-Kornblume-Zwangsumsiedlungen-in-der-DDR,aktionkornblu- me100.htl Am 3. Oktober 1961 rücken Lkw und Kampftruppen auf dem Hof von Familie Schmidt in Lankow an. Binnen weniger Stunden müssen sie ihr Hab und Gut auf Hänger verladen und den jahrhundertealten Familienwohn- sitz verlassen. Unmittelbar danach schreibt Brigitte Schmidt einen Brief an ihre Schwägerin Ilse. „Liebe Ilse, Heinrich und Kinder! Wie geht es euch? Uns geht es so leidlich, bis auf Papa, was ja wohl nie wieder gut wird. Ihr werdet wohl erstaunt sein, wenn ihr uns’re neue Anschrift lesen werdet, aber macht euch weiter keine Gedanken dadrüber, wir müssen unserm Schicksal entgegen gehn. Wir wurden ausgewiesen ... wir waren nicht die Ersten aus unserm Dorf und wer- den wohl auch nicht die Letzten sein. Mitbekommen haben wir alles, bis auf zwei Kühe und Hühner, was uns noch nachgebracht wird. Nur unsere Wohnung ist noch nicht dementsprechend. Eben gerade, vor vierundzwanzig Stun- den, kurz nach zwölf Uhr, haben wir unser schönes Haus und Hof verlassen müssen. Euern lieben Brief und Päck- chen recht herzlich und dankend erhalten. Ich werde für heute schließen. Ich will noch rasch an Irma, Lisa und meine Eltern die Adresse und ein Lebenszeichen schreiben. Entschuldigt die Handschrift. Ich bin noch sehr verstört und aufgeregt. Die kleine Sonja war sehr lieb bei dem ganzen Getobe. Unser lieber Herrgott möge uns sehr beschützen. Viele herzliche und liebe Grüße an euch alle von uns allen, Papa, Hans, Brigitte und Kinder.“ 28
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