Antimuslimischer Rassismus: Eine Arbeitsdefinition - Farid Hafez - Stiftung ...

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Farid Hafez

Antimuslimischer
Rassismus: Eine
Arbeitsdefinition
Inhaltsverzeichnis

1.   Einleitung                                                                                   3

2.   Islamophobie/Islamfeindlichkeit/Antimuslimischer Rassismus                                   7

     2.1. Kurze Geschichte eines Konzeptes                                                        7

     2.2. Herausforderungen in deutschsprachigen Ländern                                         8

     2.3. Die Forschungslandschaft                                                               9

     2.4. Existierende Arbeitsdefinitionen – Antisemitismus und Antiziganismus                   11

     2.5. Existierende Arbeitsdefinitionen – Islamophobie/Antimuslimischer Rassismus             11

     2.6. Definitionen in Deutschland und Österreich                                             12

3.   Gesetzgebende Voraussetzungen/Rahmenbedingungen im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus   16

     3.1. Europäischer Rahmen                                                                    16

     3.2. Nationale Aktionspläne gegen Rassismus                                                 16

     3.3. Hasskriminalität                                                                       19

     3.4. Gesetzgebung und Rahmenbedingungen in der Ausübung
          von Religionsfreiheit                                                                  22

4.   Eine Arbeitsdefinition von antimuslimischem Rassismus                                       24

5.   Zum Autor                                                                                   25

6.   Endnoten                                                                                    26

2
1. Einleitung
Unterhält man sich heute über das Thema antimuslimischer          men des von der Europäischen Kommission und der Stiftung
Rassismus, so stößt man bald auf den international weitaus        Mercator geförderten Projektes I Report erstellt wurde, reiht
üblicheren Begriff der Islamophobie. Im deutschsprachigen         sich in diese Bemühungen ein, eine Arbeitsdefinition zu an-
Raum wurde dabei schon recht früh der Begriff der Islamfein-      timuslimischem Rassismus auf europäischer Ebene zu find-
dlichkeit bzw. Islamfeindschaft verwendet. Da sich in der an-     en, und will für die Länder Deutschland und Österreich eine
gloamerikanischen Literatur der Begriff der Islamophobie vor      Arbeitsdefinition anbieten, die zu Beginn von den beiden
allem im akademischen Bereich durchgesetzt hat und dieser         antirassistischen Projekten CLAIM in Deutschland und der
theoretisch als antimuslimischer Rassismus gefasst wird, werde    Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und
ich beide Begriff in weiten Teilen synonym verwenden. Der         antimuslimischer Rassismus in Österreich getragen wird.
Begriff der Islamophobie ist international auch im politischen
Vokabular angekommen, wie unzählige Beispiele zeigen. Vom         Im Rahmen des am 19. Dezember 2019 in Brüssel6 stattge-
damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi An-        fundenen Treffens mit dem Titel Towards a working defini-
nan, der im Jahre 2004 im Rahmen einer Konferenz seiner In-       tion of Islamophobia wurden folgende Gründe vorgebracht,
stitution mit dem Titel Confronting Islamophobia die zune-        warum eine Arbeitsdefinition wichtig sei:
hmend fanatische Abneigung gegenüber dem Islam ansprach1,
bis zur ehemaligen Außenministerin der Vereinigten Staaten        → Um die offizielle Anerkennung von Islamophobie zu
von Amerika, Madeleine Albright, die in ihrem 2018 veröf-             stärken,
fentlichten Buch Faschismus. Eine Warnung vor „islamo-            →   Um das öffentliches Bewusstsein und Verständnis von
phoben und antisemitischen Äußerungen, die in der öffentli-           Islamophobie zu stärken,
chen Debatte immer öfter als legitime Meinungsbekundungen         →   Um das Leugnen des Phänomens zu thematisieren,
hingenommen werden“, warnt.2                                      →   Um eine Grundlage zu schaffen, von der ausgehend
                                                                      Islamophobie auf eine informierte Art und Weise effizient
Auf europäischer Ebene gibt es den European Day Against               bekämpft werden kann,
Islamophobia am 21. September, an dem auch regelmäßig             →   Um den Schutz der Opfer von Islamophobie im Hinblick
Veranstaltungen zu antimuslimischem Rassismus, wie etwa               auf Diskriminierung und Feindseligkeit zu erhöhen,
zuletzt im Europäischen Parlament, abgehalten werden. Seit        →   Um einen Raum der Ermächtigung (Empowerment)
dem 1. Dezember 2015 gibt es einen Coordinator on Com-                für die Opfer von Islamophobie zu ermöglichen,
bating Anti-Muslim Hatred. Seither wurden verschiedene            →   Um anti-rassistische Arbeit durch Mobilisierung und
Treffen abgehalten, um sich mit dem Thema Islamophobie                informierte advocacy zu stärken,
auseinanderzusetzen. So hat die Europäische Kommission            →   Um ein Dokument zu haben, das als Ausgangspunkt
zuletzt am 3. Dezember 2018 ein Treffen organisiert, an dem           dafür dient, Mechanismen von Islamophobie zu erklären,
100 Vertreter*innen nationaler Behörden, der Zivilgesellschaft,   →   Um den schädlichen Einfluss von Islamophobie anzuer-
der Wissenschaft, religiöser Einrichtungen sowie europäischer         kennen, zu identifizieren und zu messen.7
und internationaler Organisationen teilgenommen haben,
um „gegen Intoleranz, Rassismus und Diskriminierung von           Dem sei noch die allgemeine Anmerkung hinzugefügt, dass
Muslim*innen in den nächsten Jahren vorzugehen“.3 Am sel-         der Einsatz gegen jede Form von Rassismus, so auch gegen
ben Tag hat auch die Europäische Grundrechteagentur FRA           antimuslimischen Rassismus, letztendlich nichts weniger ist
(Fundamental Rights Agency, vormals EUMC), die auch               als eine Verteidigung des zentralen Wertes der Gleichheit und
an diesem Treffen teilgenommen hat, eine Datenbank zu             Gleichberechtigung aller Menschen und den Schutz ihrer
Rechtsurteilen im Zusammenhang mit antimuslimischen               Würde und Unversehrtheit bedeutet, die Teil der Verfassungen
Fällen erstellt.4 Vom 24. bis 25. Juni 2019 fand in Madrid ein    von Ländern wie Deutschland und Österreich sind.
Workshop statt, den die Europäische Kommission gemeinsam
mit dem Spanischen Ministerium für Arbeit, Migration und          Nun gibt es zwar einige Initiativen auf zivilgesellschaftlicher
Soziale Sicherheit abhielt, um den Kampf gegen Islamopho-         Ebene, die sich mit der Problematik des antimuslimischen
bie weiterzuführen. Der letzte Schritt dieses Prozesses war ein   Rassismus auseinandersetzen, was gleichzeitig veranschaulicht,
Treffen am 19. Dezember 2019 mit dem Titel Towards a work-        dass es einen großen Informations- und Handlungsbedarf gibt,
ing definition of Islamophobia in Brüssel, an dem ebenso die      sei dies nun von zivilgesellschaftlicher wie auch von staatlicher
FRA teilgenommen hat.5 Auf der europäischen Ebene lässt sich      und wissenschaftlicher Seite.
insofern erkennen, dass es Bemühungen gibt, die Einführung
von Mechanismen im Kampf gegen antimuslimischen Ras-              Insofern ist es auch wichtig, das erkannte und definierte Pro-
sismus zu institutionalisieren. Dieser Bericht, der im Rah-       blem des antimuslimischen Rassismus wissenschaftlich fun-

                                                                                                                                 3
diert und praxisbezogen zu erforschen, empirie- und theo-           Periodika wie das Islamophobia Studies Journal (seit 2012)
riegeleitete Maßnahmen zu entwickeln und diese in den re-           und das Jahrbuch für Islamophobieforschung (seit 2010)
levanten Politikfeldern umzusetzen. Auf diesem Weg soll eine        ebenso wie die jährlich seit 2010 stattfindende Islamophobia
Arbeitsdefinition von antimuslimischem Rassismus, wie sie           Studies Conference an der University of California, Berkeley,
hier präsentiert wird, hilfreich sein.                              und seit 2014 zweijährlich stattfindende Konferenzen19 (2014
                                                                    an der Universität Salzburg, 2016 an der Universität Fribourg
So wurde auf nationalstaatlicher Ebene mit unterschiedlicher        und 2018 von einem Kollektiv der Humboldt-Universität
Intensität in Ländern wie Deutschland und Österreich die Do-        Berlin, der Alice Salomon Hochschule sowie dem Jüdischen
kumentation von antimuslimischer Hasskriminalität imple-            Museum und dem Rat für Migration) wie auch andere Zentren
mentiert. Die Anerkennung von antimuslimischem Rassismus            wie The Bridge Initiative an der Georgetown University20 und
als gesellschaftliche Herausforderung hinkt jedoch in vielen        Forschungsprojekte, die sich mit antimuslimischem Rassismus
Bereichen hinterher. Das zeigt sich sowohl am Beispiel von          aus akademischer Perspektive auseinandersetzen.
politischen Debatten8 über mediale Repräsentation9 bis hin zu
legislativen Einschränkungen muslimischer Religionspraxis10         Neben dem verstärkten akademischen Fokus arbeiten poli-
und diskriminierenden Erfahrungen im sozialen und im Bil-           tische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zunehmend
dungsbereich.11 Umso wichtiger sind Aktivitäten im akademi-         an einer Arbeitsdefinition von antimuslimischem Rassismus.
schen, zivilgesellschaftlichen und politischen Bereich, die einen   Im Rahmen des bereits erwähnten Seminars Towards a
Beitrag zur Problematisierung und letztendlich Überwindung          working definition of Islamophobia in Brüssel einigten sich
von antimuslimischem Rassismus leisten. Ein Beispiel für eine       die Beteiligten auf mehrere Eckpunkte. Unter anderem solle
Sichtbarmachung von antimuslimischem Rassismus sind In-             das Treffen als Grundlage zur Ausarbeitung einer Definition
itiativen wie jene der Studierendenverbindung RAMSA, dem            genommen werden, wobei weitere Beratungen vorgenommen
Rat akademischer muslimischer Studierender, der den Tag ge-         werden sollen, um dem Prozess Legitimität und Unterstützung
gen antimuslimischen Rassismus initiiert hat, der seit dem Jahr     von unten zu geben. Ins Auge gefasst wurde ebenso, diese Defi-
2015 in Deutschland jährlich begangen wird und den derzeit          nition zu nutzen, um advocacy im Hinblick auf die Arbeit
CLAIM koordiniert.12                                                der Vereinten Nationen, einer Resolution des Europäischen
                                                                    Parlaments sowie des Europarats/ECRI herzustellen.21 Der
Antimuslimischer Rassismus ist heute kaum mehr zu leugnen,          vorliegende Bericht sieht sich als Unterstützung dieses brei-
nicht zuletzt aufgrund der vorhandenen Daten aus Umfragen13,        ten Unternehmens auf europäischer Ebene, an dem nicht nur
jährlichen Berichten14, akademischen Fachzeitschriften15 sowie      Wissenschaftler*innen teilgenommen haben, sondern auch
wissenschaftlichen Publikationen.16 Auch die sich häufenden         zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die auf lokaler, nationaler
offen islamfeindlichen bis terroristischen Handlungen mit           wie auch europäischer Ebene arbeiten, sowie Vertreter*innen
deutlichen antimuslimischen Motiven – von Thilo Sarraz-             von internationalen Organisationen.
in über Pegida und AfD hin zu Anders Behring Breivik und
Brenton Tarrant – haben zur Erkenntnis beigetragen, dass            Der vorliegende Beitrag präsentiert im nächsten Unterkapitel
antimuslimischer Rassismus ein nicht unbedeutendes Pro-             verschiedene Konzepte von Islamfeindlichkeit, Islamopho-
blem weiß-christlich-sozialisierter Gesellschaften darstellt. In    bie und antimuslimischem Rassismus und zeigt, wie diese
Deutschland wurde dies gerade in den letzten Jahren offen-          Konzepte in akademischen Debatten wie auch in politischen
sichtlich. Am 19. Februar 2020 wurden bei einem rassistisch         Institutionen verwendet werden. Das darauffolgende Kapi-
motivierten Terrorschlag in Hanau zehn Menschen ermor-              tel beschäftigt sich mit gesetzlichen Rahmenbedingungen
det. Ein paar Tage zuvor war eine Gruppe von Rechtsextre-           zur Bekämpfung von Rassismus, antimuslimischer Hasskri-
misten festgenommen worden, die Anschläge auf Moscheen in           minalität sowie dem Schutz von Religionsfreiheit und Be-
zehn Bundesländern plante. Ihr Ziel war die Herbeiführung           reichen, die allesamt an der Schnittstelle von antimuslimischem
„bürgerkriegsähnlicher Zustände“, ihr Netzwerk reicht auch          Rassismus von Relevanz sind. Zuletzt zeigt er unterschiedliche
nach Österreich.                                                    Handlungsfelder auf, in denen antimuslimischer Rassismus
                                                                    anzutreffen ist und endet mit einer Empfehlung für eine
Die Beschäftigung mit antimuslimischem Rassismus ist in-            Arbeitsdefinition.
zwischen in der akademischen Landschaft verankert, wenn
auch noch nicht durch Lehrstühle und Studienschwerpunkte
etabliert, wo sich nicht nur unterschiedliche theoretische
Zugänge wie jener der Vorurteilsforschung, der Rassismus-
forschung sowie der dekolonialen Analyse ausmachen lassen17,
sondern auch die Herausbildung der Islamophobiestudien.
Es gibt kommentierte Bibliographien zu Islamophobie18 sowie

4
2. Islamophobie/Islamfeindlichkeit/Antimuslimischer
   Rassismus
2.1. Kurze Geschichte eines Konzeptes                            Auch ein überparteilicher Zusammenschluss von britischen
Global und insbesondere im anglophonen Sprachraum erhielt        Parlamentarier*innen, die All-Party Parliamentary Group
der Begriff Islamophobie mit der Studie der antirassistischen    (APPG) on British Muslims, definiert in seiner Publikation Is-
britischen Denkfabrik Runnymede Trust aus dem Jahre 1997         lamophobia Defined – The inquiry into a working definition
seinen Durchbruch. Tatsächlich ist der Begriff jedoch um eini-   of Islamophobia27 von 2018 Islamophobie im Wesentlichen
ges älter, worauf auch immer wieder hingewiesen wurde. Eine      als antimuslimischen Rassismus: „Islamophobia is rooted in
der frühesten Verwendungen geht auf den französischsprach-       racism and is a type of racism that targets expressions of Mus-
igen Raum zurück, wo der Begriff 1910 im Zusammenhang            limness or perceived Muslimness”28, heißt es darin. An diesem
mit der französischen Kolonisierung zur Beschreibung der         Bericht hatten zahlreiche führende Akademiker*innen aus der
vorurteilsbeladenen Einstellung der Kolonisatoren gegenüber      Islamophobieforschung in Großbritannien mitgewirkt.
der algerischen Bevölkerung und ihrer Religion verwendet
wurde.22 Der Soziologe und Bildungswissenschaftler Armin         2.2. Herausforderungen in deutschsprachigen Ländern
Muftić hat kürzlich aufgezeigt, dass die Verwendung des Be-     Im Gegensatz zum anglophonen Sprachraum sind Debatten
griffs im Italienischen sogar noch älteren Datums ist.23 Ivan    um Rassismus und insbesondere um den antimuslimischen
Aguéli hat 1904 eine Artikelserie unter dem Titel I nemici      Rassismus mit bestimmten Herausforderungen verbunden.
dell’Islam veröffentlicht, in der Islamophobie mit Rassismus     So ist der Umgang mit Kolonialismus und Rassismus in Län-
deutsch-arischer Prägung vermengt wird. Darin vertrat er die     dern wie Deutschland und Österreich generell schwierig. Fa-
Auffassung, dass es zwei unterschiedliche Formen der Islamo-     tima El-Tayeb argumentiert, dass es seit langer Zeit sowohl
phobie gäbe, einmal eine klerikale Islamophobie und einmal       eine akademische als auch eine historische Nichtbeachtung
eine rassistische Islamophobie.24 Die heutige Prägung des Be-    von Rassismus in Deutschland gibt, von der Kolonialzeit bis
griffs sowie die Konjunktur in der Debatte ist jedoch auf die    in unsere Zeit hinein.29 Generell imaginiere sich Europa dabei
Publikation des Runnymede Trust zurückzuführen.                  als farbenblinder und damit nicht rassistischer Kontinent.30
                                                                 Und wie Astrid Messerschmidt ausführt, hat vor allem in
Mit der Veröffentlichung des Berichts von 1997 durch den         Deutschland (und Gleiches gilt noch stärker für Österreich)
Runnymede Trust wurde eine Theoriediskussion in der aka-         der post-nationalsozialistische Zustand der Schuldabwehr
demischen Landschaft angestoßen. In einer Literaturbespre-       unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine
chung 15 Jahre nach dem Runnymede Trust-Bericht spricht          Gedenkkultur etabliert, in der der völkische Antisemitismus
der britische Historiker Brian Klug vom „Mündigwerden eines      als singuläres Phänomen, abgeschnitten von globalen Folgen
Konzeptes“, das zu Beginn noch wenig theoretisch fundiert        des Rassismus sowie zeitgenössischer Formen des Rassismus,
war.25 Islamophobie wird heute in der akademischen Literatur     betrachtet wird.31
im Wesentlichen als antimuslimischer Rassismus konzeptua-
lisiert, wobei auch im Zusammenhang mit einigen akademi-         Im Zuge eines Aufbrechens von öffentlichen Debatten und
schen Arbeiten nuancierte Unterschiede wie auch Paradoxien       insbesondere der Thematisierung postkolonialer Verhältnisse
zu verzeichnen sind. Dass diese Hinwendung eines Verständ-       mit Blick auf koloniale Vermächtnisse Deutschlands sowie der
nisses von Islamophobie – oder Islamfeindlichkeit, wie es im     Thematisierung der Verstrickung von Sicherheitsapparaten
Deutschsprachigen üblicherweise heißt – als antimuslimischer     mit Rassismus (etwa die NSU-Morde) erhalten in den letz-
Rassismus jedoch Breitenwirkung erfahren hat, zeigt nicht zu-    ten Jahren auch die zwei letzteren Ansätze mehr Beachtung
letzt der Folgebericht des Runnymede Trust von 2017, in dem      in der öffentlichen Thematisierung von antimuslimischem
es heißt: „Islamophobia is anti-Muslim racism“. In den Aus-      Rassismus im deutschsprachigen Raum. Nicht zuletzt die der-
führungen heißt es weiter:                                       zeit anhaltenden Proteste in den USA der Black-Lives-Matter-
                                                                 Bewegung infolge der Ermordung von George Floyd haben
         Islamophobia is any distinction, exclusion, or re-      global (in Deutschland mehr als in Österreich) Fragen post-
         striction towards, or preference against, Muslims       kolonialer Verhältnisse aufgeworfen. Akademisch gab es aber
         (or those perceived to be Muslims) that has the         bereits in den 1990er-Jahren Autor*innen wie Iman Attia,
         purpose or effect of nullifying or impairing the        die einen rassismustheoretisch informierten Ansatz in der
         recognition, enjoyment or exercise, on an equal         Erforschung von antimuslimischem Rassismus verfolgten.32
         footing, of human rights and fundamental free-          Zuletzt haben Iman Attia und Mariam Popal eine dekoloniale
         doms in the political, economic, social, cultural or    Perspektive auf antimuslimischen Rassismus eingenommen.33
         any other field of public life.26                       In Österreich hat diese theoretische Auseinandersetzung

                                                                                                                              5
etwas später begonnen. In den letzten Jahren haben vor allem        Islamfeindlichkeit primär auf individueller Ebene lokalisiert
Fanny Müller-Uri34 und mit ihr Benjamin Opratko35 hier Ak-          und problematisiert. Akademisch repräsentativ für diesen Zu-
zente gesetzt. Letzterer präsentierte in seiner Dissertation das    gang sind vor allem die Forschungen rund um das Bielefelder
Konzept des historizistischen antimuslimischen Rassismus            Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung,
als gesellschaftliches Hegemonieverhältnis im Rahmen ei-            die das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlich-
ner Konjunkturanalyse, um vor allem jene Segmente in der            keit (GMF) eingeführt haben, um damit Vorurteile im Sinne
Gesellschaft zu analysieren, „die sich selbst als (links-)liberal   „abwertende(r) und ausgrenzende(r) Einstellungen gegenüber
und antirassistisch verstehen und rechtspopulistische Parteien      Menschen aufgrund ihrer zugewiesenen Zugehörigkeit zu ei-
ablehnen, aber zugleich durch ihr diskursives und affektives In-    ner sozialen Gruppe“42 zu benennen. Wie Anne Schönfeld in
vestment in die historizistische Variante des antimuslimischen      ihrer Bestandsaufnahme zum Forschungsfeld in Deutschland
Rassismus an der Konstruktion des/der muslimischen Anderen          darlegt, ergeben sich aus den Daten zur Erforschung von GMF,
beteiligt waren und sind”.36                                        „dass islam- und muslimfeindliche Ressentiments scheinbar
                                                                    zu einem Charakteristikum der politischen Kultur der sog.
Unabhängig von der akademischen Debatte ist gleichzeitig            bürgerlichen Mitte geworden sind, [...] dass sie weitgehend
zu beobachten, dass es in Österreich wie auch in Deutschland        isoliert von sonstigen politischen Einstellungen stehen, denn
einige Vorbehalte gibt, antimuslimischen Rassismus oder             sie kommen im gesamten politischen Meinungsspektrum in
Islamophobie als solche anzuerkennen. Inhaltlich geht es im         nur geringfügigen Abstufungen vor“.43 Vertreter*innen aus der
Zusammenhang mit Islamophobie um den Verweis auf die Se-            Vorurteilsforschung blenden die strukturelle Dimensionen
mantik des Begriffs, der eine Pathologisierung des Phänomens        von Rassismus zwar nicht aus44, jedoch liegt die Aufmerksam-
befürchtet, wobei manche Autor*innen gleichzeitig die Stärke        keit bei individuellem Verhalten, wodurch weniger nicht-in-
des Begriffs im advocacy-Bereich honorieren, um dessen              tentionale und strukturelle Dimensionen von Rassismus, die
politische Kraft zur Veränderung ungerechter Verhältnisse           die Aufrechterhaltung asymmetrischer Machtverhältnisse
zu verwenden.37 Im Zusammenhang mit antimuslimischem                problematisieren, beleuchtet werden.
Rassismus wird dabei insbesondere auf die Annahme von
Rasse als ontologische Kategorie im Rassismus verwiesen. In         Im Folgenden sollen kurz Beispiele für diese drei Ansätze in
Deutschland und Österreich ist die Ablehnung des Begriffs           der Islamophobieforschung angeführt werden. So hat Wolf-
und des Konzeptes von antimuslimischem Rassismus und                gang Benz in seiner Definition lange Zeit den Strang der Vor-
Islamophobie weitaus stärker zu vernehmen, als dies in ander-       urteilsforschung verfolgt. Er sprach von Islamfeindschaft als
en Regionen der Welt der Fall ist. Aus meiner Sicht hat das         einem „gefährlichen Ressentiment“45. Benz zufolge beginne
weniger mit der Debatte über die Semantik zu tun als mit der        sie als Vorurteil und kulminiere im Hass gegenüber stigma-
wenig aufgearbeiteten Geschichte des Rassismus in diesen bei-       tisierten Individuen sowie ethnischen, religiösen und natio-
den Ländern im Zusammenhang mit der mystifizierten Selbst-          nalen Gemeinschaften. Benz konzeptualisiert Islamfeindschaft
idealisierung post-rassi(sti)scher Gesellschaften infolge der       explizit in der Vorurteilsforschung und Sozialpsychologie.46
Ermordung von sechs Millionen Jüdinnen und Juden und                Dabei steht auch das Verhältnis von Minderheit und Mehrheit
500.000 Roma und Sinti während der Zeit des Nationalso-             im Zentrum seiner Auseinandersetzungen.47
zialistischen Regimes. Ob man antimuslimischen Rassismus
nun global als eine expansive Erweiterung bestehender Denk-         Im Jahrbuch für Islamophobieforschung habe ich eine ras-
strukturen kolonialen Denkens versteht, wie dies aufseiten          sismustheoretisch informierte Arbeitsdefinition von Islamo-
des dekolonialen Autors Achille Mbembe (er spricht von Is-          phobie vorgeschlagen, die Islamophobie im Wesentlichen als
lamophobie) geschieht38, oder aber als Projektionsfläche des        antimuslimischen Rassismus definiert:
unsagbaren Antisemitismus im deutschsprachigen Raum, wie
Moshe Zuckermann es nannte39 – er ist zweifelsohne eine der                  Islamophobie bedeutet, dass eine dominante
akzeptiertesten Formen von Rassismus, wie nicht zuletzt viele                Gruppe von Menschen Macht erstrebt, stabili-
Umfragen zeigen.40                                                           siert und ausweitet, indem sie einen Sündenbock
                                                                             imaginiert, der real existiert oder auch nicht, und
2.3. Die Forschungslandschaft                                                diesen Sündenbock von den Ressourcen, Recht-
In der akademischen Debatte identifiziere ich drei unterschied-              en und der Definition eines kollektiven ‚Wir‘
liche theoretische Zugänge in der Islamophobieforschung:                     ausschließt. Islamophobie arbeitet mit der Figur
die Perspektive der Vorurteilsforschung, einen rassismustheo-                einer statischen islamischen Identität, die negativ
retisch informierten Zugang und zuletzt eine dekoloniale                     konnotiert ist und auf die Masse der imaginierten
Lesart von Islamophobie.41 Im deutschsprachigen Raum                         MuslimInnen generalisiert ausgeweitet wird.
dominierte lange Zeit insbesondere in der öffentlichen Debatte
der Zugang der Vorurteilsforschung, der das Phänomen der

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Gleichzeitig sind islamophobe Bilder fließend und         muslimischen Rassismus in Verbindung zu Fragen der Reli-
         verändern sich in unterschiedlichen Kontexten,            gionsfreiheit und damit einhergehend der Menschenrechte zu
         denn Islamophobie sagt uns mehr über die Islamo-          diskutieren.
         phoben aus, als sie uns etwas über ‚den Islam‘ oder
         ‚die MuslimInnen‘ sagen würde.48                          2.4. Existierende Arbeitsdefinitionen –
                                                                         Antisemitismus und Antiziganismus
Ein dekolonialer Ansatz zu Islamophobie findet sich etwa           Die Tatsache, dass in den letzten Jahren eine umstrittene50 An-
beim Islamophobia Research and Documentation Project               tisemitismusdefinition – wie sie von der International Holo-
der University of California, Berkeley:                            caust Remembrance Alliance vorgeschlagen wurde und der
                                                                   die Jerusalem Declaration On Antisemitism entgegengesetzt
         Islamophobie ist eine erfundene Angst oder ein            wurde51 – von unterschiedlichen Behörden aufgenommen
         Vorurteil, welches durch existierende eurozen-            wurde, zeigt, dass wo ein Wille ist, auch ein Weg ist. Auf EU-
         trische und orientalistische globale Herrschafts-         Ebene wurde diese Arbeitsdefinition von der Antisemitismus-
         strukturen geschürt wird. Sie richtet sich                beauftragten der Europäischen Kommission, Katharina von
         mittels Aufrechterhaltung und Ausweitung existie-         Schnurbein, angenommen. Auch nationale Parlamente wie in
         render Disparitäten in ökonomischen, politischen,         Deutschland und Österreich haben diese Arbeitsdefinition im
         sozialen und kulturellen Beziehungen gegen eine           Jahr 2017 angenommen. Es scheint daher besonders wichtig,
         vermeintliche oder reale muslimische Gefahr.              dass einer politischen Anerkennung – aufseiten der EU sowie
         Dabei rationalisiert sie die Notwendigkeit von            nationaler Parlamente – als erster Schritt nachzukommen ist.
         Gewaltanwendung als Mittel zur Herstellung ei-            Auf Ebene der Europäischen Kommission gibt es zwar einen
         ner ‚zivilisatorischen Rehabilitation‘ der anvisierten    Beauftragten für die Bekämpfung von antimuslimischem Hass,
         Gemeinschaft (muslimisch oder nicht). Isla-               doch verkennt bereits die Namensgebung die Tragweite des
         mophobie schreibt eine globale rassistische               Phänomens des antimuslimischen Rassismus. Insofern wäre
         Struktur fort und bestätigt diese zum Erhalt und          nicht zuletzt mit der Annahme einer umfassenden Arbeitsbe-
         zum Ausbau ungleicher Ressourcenverteilung.49             griffsdefinition von antimuslimischem Rassismus, wie sie der-
                                                                   zeit auf europäischer Ebene verfolgt wird, geholfen.
Diese drei Ansätze bringen drei unterschiedliche Annahmen,
Voraussetzungen und Implikationen im Umgang mit antimus-           Ebenso hat die Erarbeitung einer Arbeitsdefinition von An-
limischem Rassismus mit sich. Die Kritik am Ansatz aus der         tiziganismus, die wiederum zu grundsätzlichen Vorbehalten
Vorurteilsforschung besteht darin, dass einerseits der Islam       seitens kritischer Wissenschaftler*innen führte52, eine ent-
bzw. Muslim*innen hier als ontologische Kategorien verhan-         sprechende politische Schlagkraft auf europäischer Ebene
delt werden, andererseits Fragen des Machtverhältnisses nicht      mit sich gebracht. So ist – wie auch im Falle von Antisemitis-
im Zentrum stehen. Diese zwei Gedanken inkludiert vor allem        mus – eine Resolution zur Bekämpfung des Antiziganismus
der Ansatz der Rassismusforschung, der insbesondere die Frage      (2017/2038(INI)) vom Europäischen Parlament angenommen
von Machtasymmetrien thematisiert und sich damit nicht             worden.53 In einem entsprechenden Grundlagenpapier zur
auf das vorurteilsbeladene Individuum, sondern auf struktur-       Ausarbeitung einer Arbeitsdefinition von Antiziganismus
elle gesellschaftliche Verhältnisse fokussiert. Dabei wird Rasse   wird davon ausgegangen, dass Antiziganismus eine „Form des
nicht als Voraussetzung von, sondern als Ergebnis von Rassi-       Rassismus, die sich gegen Roma, Sinti, Fahrende und andere
fizierungsprozessen verstanden. Der Begriff des Rassismus          Personen richtet, die von der Mehrheitsgesellschaft als ‚Zige-
wird damit auf Gruppen ausgeweitet, die auch durch andere          uner‘ stigmatisiert werden“54, sei. Weitere Merkmale wie eine
Fremdmarkierungen wie etwa Religion als ‚anders‘ imaginiert        homogenisierende und essentialisierende Wahrnehmung
werden. Zwar blenden manche rassismustheoretischen Ansätze         und Darstellung dieser Gruppen sowie eine Zuschreibung
Religion aus, indem davon ausgegangen wird, dass es sich beim      spezifischer Eigenschaften an diese sind etwas vage formu-
als muslimisch markierten verAnderten nicht um eine onto-          liert. Spezifischer ist das dritte Merkmal der Arbeitsdefinition,
logische Kategorie, sondern um eine Imagination handelt. Je-       wonach Antiziganismus diskriminierende soziale Strukturen
doch geht die Kritik oft nicht so weit wie im Falle des deko-      und gewalttätige Praxen, die herabsetzend und ausschließend
lonialen Ansatzes, der Muslim*innen eine agency zuspricht          wirken und strukturelle Ungleichheit reproduzieren55, umfasst.
und anti-rassistisches Denken und Handeln auch als Wider-
stand gegen aus einem eurozentrischen Westen stammende
Universalien wie etwa Säkularismus betrachtet. Insofern eröff-
net der dekoloniale Ansatz mitunter auch selbstmarkierten
muslimischen Subjekten die Möglichkeit, ihr Leben religiös
zu definieren, und stellt die Bedingungen, das Feld des anti-

                                                                                                                                  7
2.5. Existierende Arbeitsdefinitionen –                             antimuslimischer Rassismus zudem, dass Empfehlungen beru-
       Islamophobie/Antimuslimischer Rassismus                      hend auf den Daten und dem Austausch mit muslimischen
Betrachten wir nun einige Definitionen, die von Institu-            Communities erarbeitet werden.59 Eine Definition von anti-
tionen in Europa und in Deutschland und Österreich ent-             muslimischem Rassismus bietet die Dokustelle jedoch nicht
wickelt wurden, um das Phänomen des antimuslimischen                an.
Rassismus zu erfassen. Einen Meilenstein bildete sicherlich
der bereites erwähnte 1997 veröffentlichte Bericht der briti-       Ein zweiter jährlicher Bericht wird seit 2019 von SOS Mit-
schen Denkfabrik Runnymede Trust sowie der Folgebericht             mensch, einer Menschenrechtsorganisation, die sich als Pres-
von 2017, der Islamophobie als antimuslimischen Rassismus           sure Group versteht, herausgegeben. 2019 erschien erstmals
fasst.                                                              der Bericht Antimuslimischer Rassismus in der österreichis-
                                                                    chen Politik. Bericht 201860 und ein Jahr darauf der Bericht
Die politisch bedeutendste Arbeitsdefinition ist vermutlich         Antimuslimischer Rassismus in der österreichischen Politik.
jene der bereits erwähnten All-Party Parliamentary Group            Antimuslimische Abwertungs-, Ausgrenzungs-, Feindbild-,
(APPG) on British Muslims von 2018. Dort heißt es: „Isla-           Generalisierungs- und Hetzkampagnen im Jahr 2019.61
mophobia is rooted in racism and is a type of racism that           Interessant ist bei dem Bericht aus dem Jahr 2018 die Tatsa-
targets expressions of Muslimness or perceived Muslimness.“56       che, dass er lediglich Aussagen von FPÖ-Politiker*innen the-
Diese Definition schließt einerseits an der rassismustheoretisch    matisiert. Andere Parteien werden mit keinem Wort erwähnt.
informierten Konzeptualisierung von Islamophobie an, die            Erst im darauffolgenden Bericht für das Jahr 2019 werden auch
Rasse als Produkt und nicht als Voraussetzung von Rassismus         Aussagen von ÖVP-Politiker*innen aufgenommen.
betrachtet. Etwas inkonsistent verortet sie aber gleichzeitig die
Beziehung zwischen Rassismus und Islamfeindlichkeit, indem          Drittens gebe ich seit 2015 gemeinsam mit Enes Bayrakli den
auf der einen Seite beide gleichgesetzt werden, auf der anderen     European Islamophobia Report62 heraus, in dem jährlich
Seite Islamfeindlichkeit als eine Form von Rassismus begriffen      mehr als 30 Länderberichte im Hinblick auf die Entwick-
wird.                                                               lung von Islamophobie erstellt werden. Teil davon sind so-
                                                                    wohl der Österreichische als auch der Deutsche Islamopho-
2.6. Definitionen in Deutschland und Österreich                     biebericht. Der Österreichische Islamophobiebericht für die
Die Allianz CLAIM, welche 47 Organisationen vernetzt und            Jahre 201663, 201764 und 201865 ist auch in deutscher Sprache
unterstützt, die sich gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit und      verfügbar. Der Deutsche Islamophobiebericht wurde für die
antimuslimischen Rassismus engagieren, arbeitet mit unter-          Jahre 201666 und 201867 in deutscher Sprache veröffentlicht.
schiedlichen Definitionen von antimuslimischem Rassismus.           Autor*Innen waren Anna-Esther Younes, Aleksandra Lewicki
Mit ihren Publikationen57, insbesondere Islam-/Muslim-              und Enes Bayrakli. Zum einen wird in dem Bericht auf die
feindlichkeit und Antimuslimischer Rassismus. Eine Be-              Arbeit von Dokumentationsstellen verwiesen, zum anderen
standsaufnahme trägt sie zu einer differenzierten und in-           wird auch das gesprochene Wort von Politiker*innen in den
formierten Debatte der Diskussion über die Bedeutung(en)            Bericht aufgenommen. Zudem werden die Bereiche Bildung,
von antimuslimischem Rassismus und der Diskussion über              Wissenschaft, Medien, Justiz, soziale Medien, politische
unterschiedliche Konzepte bei. Gerade im Rahmen des vorlie-         Institutionen und wichtige Akteur*innen thematisiert sow-
genden Berichtes als Teilprojekt von I Report wird danach           ie Empfehlungen für Politik und Zivilgesellschaft gegeben.
getrachtet, eine Arbeitsdefinition von antimuslimischem Ras-        Anders als im Falle des Berichts von SOS Mitmensch werden
sismus zu erarbeiten.                                               hier alle politischen Parteien mit ihren Programmen, Wahl-
                                                                    kampagnen und Regierungspolitiken über das gesprochene
In Österreich gibt es drei regelmäßig erscheinende Publi-           Wort hinaus thematisiert.
kationen zu antimuslimischem Rassismus. Erstens veröffent-
licht die Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlich-       Die unterschiedlichen Herangehensweisen erschließen sich
keit und antimuslimischer Rassismus seit 2015 jährlich einen        jedoch nicht allein aus der Definition. SOS Mitmensch defi-
Bericht, der antimuslimischen Rassismus dokumentiert. Der           niert Rassismus als „eine gruppenbezogene Unrechts-, Un-
Fokus liegt hierbei auf der Dokumentation und beruht auf            terdrückungs- und Gewaltideologie, die Menschen aufgrund
der Kategorisierung von Handlungen in Hassverbrechen/Hate           einzelner Merkmale – wie tatsächlicher oder zugeschrieben-
Crime, Verhetzung/Hate Speech, Diskriminierung, verbale An-         er Herkunft, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit – her-
griffe, Beschmierung (halb-) öffentlicher Plätze, die an Institu-   abwürdigt, ihrer Sicherheit beraubt, Chancen zunichtemacht,
tionen gerichtete Islamfeindlichkeit und die Kategorie Sonstig-     Freiheiten einschränkt und im Extremfall in Vertreibung,
es.58 Außerdem wird eine Beobachtung von Nationalrats- und          Verfolgung und Mord mündet“68. SOS Mitmensch räumt zwar
Wiener Landtagsabgeordneten vorgenommen. Wichtig ist der            theoretisch ein, dass dieser Rassismusbegriff „in der Politik das
Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und          antimuslimisch-rassistische Handeln und die Agitation von

8
politischen Akteurinnen und Akteuren, seien es politische          Diese hilfreiche Auflistung von Kriterien zur Beurteilung
Organisationen, parteipolitische Funktionärinnen und Funk-         von antimuslimisch-rassistischen Handlungen offenbart
tionäre oder politische Amtsträgerinnen und Amtsträger“69,         gleichzeitig einen starken Fokus auf Aussagen, Bebilderung
umfasse, thematisiert im Bericht aber keine Gesetze. Nach          und Darstellung von Muslim*innen. Weniger im Fokus steht
SOS Mitmensch wird von antimuslimischem Rassismus                  dabei die Bedeutung, die der Dominanzgesellschaft zukommt,
gesprochen, wenn                                                   und wie zentral die Variable Macht für Rassismus ist. Diese
                                                                   Dimension der Macht nimmt vor allem die – bereits zitierte
→ generalisierende Aussagen über Muslim*innen getätigt             – Arbeitsdefinition von Islamophobie in meinem Jahrbuch für
    werden, die diese pauschal herabwürdigen bzw. negativ ab-      Islamophobieforschung (und auch im European Islamopho-
    stempeln,                                                      bia Report) in den Blick:
→   eine Bebilderung bzw. Bildsprache zur Anwendung kommt,
    die Muslim*innen herabwürdigt und/oder pauschal nega-                   Islamophobie ist antimuslimischer Rassismus.
    tiv abstempelt,                                                         [...] Islamophobie bedeutet, dass eine dominante
→   Muslim*innen in entmenschlichender Weise dargestellt                    Gruppe von Menschen Macht erstrebt, stabili-
    werden,                                                                 siert und ausweitet, indem sie einen Sündenbock
→   das Vorhandensein von Muslim*innen in Österreich per se                 imaginiert, der real existiert oder auch nicht, und
    als etwas pauschal Negatives oder Bedrohliches dargestellt              diesen Sündenbock von den Ressourcen, Recht-
    wird,                                                                   en und der Definition eines kollektiven ‚Wir‘
→   Muslim*innen ohne sachlichen Zusammenhang in nega-                      ausschließt. Islamophobie arbeitet mit der Figur
    tiven Kontexten abgebildet werden,                                      einer statischen islamischen Identität, die negativ
→   Muslim*innen als homogenes problembehaftetes Kollek-                    konnotiert ist und auf die Masse der imaginier-
    tiv konstruiert und diskriminierende Zwangsmaßnahmen                    ten MuslimInnen generalisiert ausgeweitet wird.
    gegen dieses ‚homogene Kollektiv‘ gefordert werden,                     Gleichzeitig sind islamophobe Bilder fließend und
→   Muslim*innen kollektiv als privilegierte gesellschaftliche              verändern sich in unterschiedlichen Kontexten,
    Gruppe dargestellt werden,                                              denn Islamophobie sagt uns mehr über die Islamo-
→   Muslim*innen zu Sündenböcken für unpopuläre politi-                     phoben aus, als sie uns etwas über ‚den Islam‘ oder
    sche Entscheidungen gemacht werden,                                     ‚die MuslimInnen‘ sagen würde.71
→   Probleme oder negativ wahrgenommene Themen und
    Phänomene ohne sachliche Begründung alleine auf Mus-           Bei dieser Definition wird weniger auf die Mikroebene von
    lim*innen reduziert und damit antimuslimisch aufgeladen        zwischenmenschlichen Beziehungen abgezielt, wie sie sich in
    werden,                                                        direkter Diskriminierung oder Hate Speech zwischen einzel-
→   kollektiv entrechtende und diskriminierende Forderungen        nen Menschen manifestiert. Vielmehr wird auf die Macht(un-
    gegen Muslim*innen erhoben werden,                             gleich)verhältnisse in einer Gesellschaft abgezielt und wie
→   Muslim*innen die Möglichkeit, vollwertige Bürger*innen         diese mithilfe von Ausschließungsmechanismen immer wieder
    und Bürger Österreichs zu sein, pauschal abgesprochen          reproduziert werden. Damit werden Akteur*innen in den Blick
    wird,                                                          genommen, die einen verhältnismäßig großen Anteil an den
→   eine strikte und unauflösliche kollektive Trennlinie zwi-      Machtressourcen einer Gesellschaft haben, vor allem Politik-
    schen ‚den Österreichern‘ und ‚den Muslimen‘ gezogen           er*innen, Verwaltungsbehörden und Journalist*innen.
    wird bzw. Muslim*innen kollektiv zu ‚Ausländer*innen‘
    erklärt werden,                                                Gleichzeitig ist anzumerken, dass der Bericht von SOS Mit-
→   Rechte und Wünsche von Muslim*innen, die bei Angehö-           mensch für das Jahr 2019 erstmals auch die österreichische
    rigen anderer Religionen nicht kritisiert werden, ohne         Bundesregierung mit in den Blick genommen hat. So wird
    sachliche Begründung pauschal abgewertet und als Bedro-        zum einen davon ausgegangen, dass „es in Österreich bislang
    hung gebrandmarkt werden,                                      keine breite politische Ächtung von antimuslimischem Ras-
→   wertschätzendes und respektvolles Verhalten gegenüber          sismus gibt. Während der Kampf gegen Antisemitismus vom
    muslim*innen pauschal skandalisiert wird,                      Bundeskanzler und der Bundesregierung zurecht als wichtiges
→   Muslim*innen durch pauschale Abstempelung ihrer Re-            Thema kommuniziert wird, gibt es bislang kein Bekenntnis der
    ligion als ‚ewig fremd‘, selbst auch zu ‚ewigen Fremden‘       Regierung zum Kampf gegen antimuslimischen Rassismus.
    erklärt und aus der Gesellschaft ‚für ewig‘ ausgegrenzt wer-   Mitglieder der Bundesregierung sind [...] sogar maßgebliche
    den,                                                           Akteurinnen und Akteure antimuslimischer Agitation – ohne
→   die Existenz von antimuslimischer Hetze pauschal ge-           dabei im Regelfall auf nennenswerten Widerspruch und Pro-
    leugnet wird70.                                                test von Seiten anderer Regierungsmitglieder zu stoßen.“72

                                                                                                                             9
Erst wenn antimuslimischer Rassismus sichtbar gemacht wird,        einige wichtige Aspekte im Kampf um die Überwindung von
können auch Gegenstrategien entworfen werden. Wenn anti-           antimuslimischem Rassismus. Die Einführung von Quoten,
muslimischer Rassismus als Ausdruck einer epistemologischen        wie sie manche Politolog*innen schon länger fordern74, und
Kolonialität der Gewalt verstanden wird73 und seine struktur-      das Empowerment von als muslimisch markierten Personen
elle und intersektionale Dimension (insbesondere von Gender        sind eine Notwendigkeit in der Stärkung von Gruppen, die
und Klasse) problematisiert wird, folgen daraus vielzählige        seit Jahrzehnten strukturell kriminalisiert und benachteiligt
Implikationen: von der Überarbeitung von Lehrplänen und            werden. All dies und noch mehr kann als notwendig erachtet
der Beseitigung von Stereotypen, die im Bildungssystem fort-       werden, um eine Gesellschaft zu kreieren, in der Gleichheit
geschrieben werden, über ein rassismus-sensibles Denken und        auch einen materiellen Niederschlag findet und sich nicht nur
die Implementierung von anti-rassistischen, anti-diskriminier-     auf symbolische Anerkennung beschränkt.
enden und auf Hasskriminalität zielenden Gesetzen bis hin zur
Schaffung breiterer Allianzen im Kampf gegen ökonomische
Ausbeutung, ökologische Zerstörung sowie Marginalisierung
von als anders markierten Gruppen. All diese Bereiche sind nur

3. Gesetzgebende Voraussetzungen/Rahmenbedingungen
   im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus
3.1. Europäischer Rahmen                                           hörigkeit etwa in einem Arbeitsverhältnis nicht verunmög-
Der Kampf gegen antimuslimischen Rassismus kann an bereits         licht wird.79 Dennoch zeigen diese Entwicklungen, dass einer
existierenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zur Bekämp-           Konzeptionalisierung von antimuslimischem Rassismus als
fung von Rassismus ansetzen. Während auf europäischer              Rassismus immer näher gekommen wird.
Ebene die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000
zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Un-            3.2. Nationale Aktionspläne gegen Rassismus
terschied der „Rasse“ oder der ethnischen Herkunft den Mark-       Basierend auf der 2001 von den Vereinten Nationen organi-
er Religion nicht inkludierte75, bietet der Rahmenbeschluss        sierten 3. Weltkonferenz gegen Rassismus, in deren Rahmen
2008/913/JI des Rates vom 28. November 2008 zur strafrechtli-      sich die Staaten dazu verpflichtet haben, in Konsultation mit
chen Bekämpfung bestimmter Formen und Ausdrucksweisen              Nationalen Menschenrechtsinstitutionen, Institutionen zur
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eine bessere Grund-         Bekämpfung von Rassismus und der Zivilgesellschaft Nation-
lage.76 In diesem Rahmenbeschluss wird explizit auf Religion       ale Aktionspläne (NAP) gegen Rassismus auszuarbeiten, hat
als Marker in der rassistischen Ausgrenzung Bezug genommen.        die deutsche Bundesregierung 2008 einen NAP gegen Ras-
Unter Artikel 1 heißt es, dass jeder Mitgliedstaat die erforder-   sismus vorgelegt.80 2017 wurde eine überarbeitete Version des
lichen Maßnahmen zu treffen hat, um sicherzustellen, dass          NAP gegen Rassismus präsentiert. In Österreich gibt es einen
z.B. „die öffentliche Aufstachelung zu Gewalt oder Hass gegen      solchen bis dato nicht. Mit dem Eintritt der Grünen in die
eine nach den Kriterien der Rasse, Hautfarbe, Religion, Ab-        Koalitionsregierung im Januar 2020 wurde im Regierungs-
stammung oder nationale oder ethnische Herkunft definierte         programm aber erstmals angekündigt, die „Erarbeitung eines
Gruppe von Personen oder gegen ein Mitglied einer solchen          Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus und Diskrimi-
Gruppe”77 unter Strafe gestellt wird.                              nierung“81 in Angriff zu nehmen. In Österreich ist noch auf
                                                                   eine Umsetzung zu warten (die vorhergehende Regierungs-
Gleichzeitig wird aber auch eine Hierarchisierung von Reli-        koalition ÖVP-FPÖ hatte das Wort Rassismus nicht einmal im
gion unter den Kategorien „Rasse“, Hautfarbe, Abstammung           Regierungsabkommen erwähnt).
oder nationale oder ethnische Herkunft definiert, indem ges-
agt wird, dass der „Verweis auf Religion mindestens Hand-          Ein Vergleich des deutschen NAP gegen Rassismus von 2008
lungsweisen erfassen [soll, FH], die als Vorwand für die Bege-     mit dem von 2017 zeigt verschiedenartige Wandlungen. Zum
hung von Handlungen gegen eine nach „Rasse“, Hautfarbe,            einen ist das Rassismusverständnis aus dem Jahr 2017 um
Abstammung oder nationale oder ethnische Herkunft defi-            einiges weiterentwickelt. Zum anderen wird im letzten Bericht
nierte Gruppe oder ein Mitglied einer solchen Gruppe               auch Islamfeindlichkeit thematisiert, während sie im Bericht
dienen.“78 Hinlänglich bekannt sind gleichzeitig die Schwach-      von 2008 nicht einmal Erwähnung fand.82
stellen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG),
wonach die Diskriminierung aufgrund von Religionszuge-

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Petra Follmar-Otto und Hendrik Cremer vom Deutschen               von Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland zu
Institut für Menschenrechte haben in einer Stellungnahme          nennen. Im Bericht der Bundesregierung zur 1. Sitzung des
zum NAP gegen Rassismus der deutschen Bundesregierung             Kabinettsausschusses widmet sich ein Aspekt der „Bekämp-
2008 einige Schwächen festgestellt, darunter die „unzu-           fung von Islam- und Muslimfeindlichkeit“. Darin heißt es, dass
reichende Analyse der Situation in Deutschland und die            die Bundesregierung die Einsetzung eines Unabhängigen Ex-
fehlende Handlungsorientierung“83. Sie „empf[ehlen], im           pertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) angekündigt hat,
nächsten Schritt einen konkreten Maßnahmenplan zur                der „Muslimfeindlichkeit in Deutschland analysieren und
Bekämpfung von Rassismus aufzustellen, diesem Ressourcen          Empfehlungen für den Kampf gegen antimuslimischen Hass
zuzuordnen und ein fortlaufendes Monitoringverfahren unter        und islamfeindliche Ausgrenzung erarbeiten“92 wird. Der UEM
Einbeziehung der Zivilgesellschaft für die Erreichung der         soll in seiner Arbeit auf mehrere Jahre angelegt sein und in
Ziele des Planes einzurichten“.84 Die beiden Autor*innen          einen Bericht münden, der „Empfehlungen für den Kampf
geben konkrete Handlungsempfehlungen im Hinblick auf              gegen antimuslimischen Hass und islamfeindliche Ausgrenz-
die Inhalte eines Maßnahmenpakets sowie auf das weitere           ung auf allen Feldern und Ebenen gibt“93. Abzuwarten bleibt,
Vorgehen.85 Eine Gemeinsame Erklärung der NGOs zum                welche Ressourcen für die Umsetzung dieser Empfehlungen
Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus hat zudem                  zur Verfügung gestellt werden.
die Nichteinbeziehung der Zivilgesellschaft kritisiert.86 Der
Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat in einer          Mit Verweis auf den britischen MacPherson-Bericht, der –
kurzen Stellungnahme insbesondere betont, dass Islamfeind-        neben anderem – institutionellen Rassismus thematisiert hat,
lichkeit als eine Form des am „schnellsten wachsenden Ras-        meinen die Autor*innen des NAP gegen Rassismus, dass es
sismus“ nicht einmal vorkommt. Die Diskriminierung von
Muslim*innen wird im Kapitel Religion angesprochen, ohne                   weder im ‚Internationalen Übereinkommen zur
dass jedoch auf die vielen islamfeindlichen Akteur*innen                   Beseitigung jeder Form von Rassendiskrimi-
im Netz eingegangen wird. Im Gegenteil wird die Deutsche                   nierung‘ vom 7. März 1966 (ICERD) noch in anderen
Islamkonferenz, die im Innenministerium angesiedelt ist, als               völkerrechtlichen Konventionen oder rechtlichen
Maßnahme angesprochen.87 Aus diesen Fehlern und den Ver-                   Instrumenten eine Legaldefinition des Begriffs
besserungen, die im nächsten Abschnitt besprochen werden,                  ‚institutioneller Rassismus‘ gibt. Die Abgrenzung
sollte eine entsprechende Initiative der österreichischen                  zu den Begriffen der ‚institutionellen Diskrimi-
Regierung lernen.                                                          nierung‘, des ‚institutionalisierten Rassismus‘, des
                                                                           ‚strukturellen Rassismus‘ und des ‚Alltagsrassis-
Knappe zehn Jahre nach dem ersten NAP gegen Rassismus                      mus‘ ist von konkreten Kontexten abhängig. Auch
in Deutschland sind einige Verbesserungen zu konstatieren.                 in der Forschung werden diese nicht einheitlich
„Islam- und Muslimfeindlichkeit“ wird im NAP gegen Ras-                    verwendet. In dem hier anstehenden Zusammen-
sismus aus dem Jahr 2017 ein ganzes Unterkapitel gewid-                    hang verweist der Begriff auf das Problem, dass
met. Strukturell betrachtet wurde der NAP gegen Rassismus                  in Institutionen, staatlicher wie nicht staatlicher
ressortübergreifend ausgearbeitet, geleitet vom Bundesminis-               Art, Prozesse der bewussten, unbewussten sowie
terium des Innern (BMI) und dem Bundesministerium für                      mittelbaren und unmittelbaren Diskriminierung
Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ).88                           Eingang finden können.94

Zunächst aber zum allgemeinen Rassismusbegriff im NAP             Die Thematisierung eines Problems von Rassismus in Institu-
gegen Rassismus, der auch umfassender diskutiert wird, als        tionen leiten die Autor*innen mit Verweis auf das Fehlen ju-
es im Bericht von 2008 noch der Fall war. Positiv hervorzu-       ristischer Definitionen ein. Die weitere Beschreibung spricht
heben ist, dass Rassismus explizit nicht nur im Zusammenhang      dann von „möglichen rassistischen Stereotypen und Einstel-
mit Rechtsextremismus thematisiert wird. Ganz im Gegenteil        lungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in staatlichen
wird mit Verweis auf die Forschungen zu Gruppenbezogener          Institutionen [...], die sich durch Verhaltensweisen direkt oder
Menschenfeindlichkeit darauf hingewiesen, dass „rassistische      indirekt auf Arbeitsprozesse und Verfahrensregelungen in
Einstellungen [...] sich in allen Teilen der Gesellschaft“89      diskriminierender Weise auswirken“.95 Es wird auch die Mög-
finden. Rassismus wird als „ein gesellschaftliches und soziales   lichkeit eingeräumt, dass „institutionelle Abläufe (Arbeits-
Phänomen“90 beschrieben, das „der vermeintlichen Legitima-        weisen, Verfahrensregelungen, Handlungsroutinen und Pro-
tion bestehender oder der Erzeugung neuer Ungleichheiten“91       zessabläufe) diskriminierend“ sein könnten. Vorurteilen auf-
diene. Gleichzeitig stößt der Bericht auch auf Grenzen, wie       seiten von Mitarbeiter*innen in staatlichen Institutionen solle
weit Rassismus gedacht wird und damit einhergehend, wo die        mithilfe von präventiven Handlungskonzepten entgegenge-
Manifestierung von Rassismus gesehen wird. In Ergänzung           wirkt werden.
zum NAP 2017 ist der Kabinettsausschuss zur Bekämpfung

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Dieser Aufriss zu Rassismus veranschaulicht das Potenzial        tragen. Sie werden aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Reli-
wie auch die Grenzen der Handlungsoptionen aufseiten des         gion, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer sozialen Schicht
NAP gegen Rassismus. Auf der einen Seite wird Rassismus als      und ihres Migrationshintergrunds mehrfach diskriminiert. In
ein weitverbreitetes Phänomen anerkannt, das bis zu Ange-        einigen Ländern verbieten Gesetze religiöse Kleidung, was
stellten in den Institutionen des Staates reichen und diese      sich überproportional auf Frauen auswirkt, die den Hijab
auch in ihrem Handeln beeinflussen kann. Andererseits wird       tragen. Diese Richtlinien sind diskriminierend; ein solches
mit dem Zurückweisen der Einräumung der Möglichkeit              Verbot negiert das Recht auf freie Meinungsäußerung derje-
von institutionellem Rassismus ein Hinterfragen von ganzen       nigen Frauen, die religiöse und kulturelle Kleidung tragen.
Institutionen ausgeschlossen, da er im Wesentlichen auf eine
subjektive Ebene reduziert wird, die sich in Einstellungen und   Zweitens sei im Hinblick auf Sicherheitspolitik zu beobacht-
Handlungen von Individuen manifestiert. Hier scheint die         en, dass sich die Politik zur Terrorismusbekämpfung überpro-
Perspektive der Vorurteilsforschung durch, die sich auf Indi-    portional auf Minderheitengemeinschaften auswirke, insbe-
viduen als vordergründige Akteur*innen rassistischer Verhält-    sondere auf Muslim*innen und Migrant*innen.101 Ethnische
nisse bezieht und strukturelle Dimensionen nicht gleicher-       Profilerstellung und willkürlicher Freiheitsentzug unschul-
maßen in den Fokus nimmt.96                                      diger Muslim*innen veranschaulichen sowohl die Unsicher-
                                                                 heit, in der sich manche Muslim*innen befinden wie auch die
Im Kapitel 3.1.3 mit dem Titel „Islam- und Muslimfeind-          Ungerechtigkeiten, denen sie ausgesetzt sind. Zudem hat sich
lichkeit“ wird über Diffamierung und Verschwörungs-              mithilfe der Sicherheitspolitik die stigmatisierende und diskri-
theorien gesprochen. Zudem wird darauf hingewiesen, dass         minierende Sprache vermehrt, die Muslim*innen zu inneren
diese oft im Gewand der „Islamkritik“ auftreten. Gleichzeitig    Feinden macht, die entsprechend der Versicherheitlichung von
wird auch darauf hingewiesen, dass „innerreligiös-kritische      Muslim*innen kontrolliert und überwacht werden müssen.102
sowie aufklärerisch-religionskritische Diskurse […] den Schutz
der grundgesetzlich garantierten Meinungs- und Weltanschau-      Während für Österreich gilt, dass mit dem Erstarken der FPÖ
ungsfreiheit genießen”.97 Als Ausdruck von Islamfeindlichkeit    und der Übernahme von gegen Muslim*innen gerichteten ras-
werden Übergriffe und Anschläge auf Moscheen, Schänd-            sistischen Positionen vonseiten anderer politischer Parteien,
ungen und Brandanschläge sowie „Skepsis bis hin zu offener       allen voran der Neuen ÖVP, antimuslimischer Rassismus
Ablehnung gegenüber Musliminnen und Muslimen“98 ge-              im Zentrum der Macht angekommen ist103 und damit auch
nannt. Als Beispiele dominieren im Zusammenhang mit Islam-       Gesetze Muslim*innen direkt diskriminieren104, ohne dass
feindlichkeit – was nicht synonym mit antimuslimischem Ras-      hierüber Unrechtsbewusstsein bestünde, gilt für Deutschland,
sismus verwendet wird (einmal wird der Begriff Islamophobie      dass institutioneller Rassismus in der Forschungsliteratur gut
gebraucht)99 – der Fokus auf inhaltliche Aspekte sowie Gewalt    dokumentiert ist. Das reicht von allgemeiner Integration-
vonseiten (rechter?) Akteur*innen wie auch Einstellungen der     spolitik105 über den Gesundheitsbereich106, den Religions-
Bevölkerung.                                                     bereich107 bis hin zum Sicherheitsbereich108, der wiederum
                                                                 mit anderen Bereichen wie Wissenschaft109 und Ausbildung110
Die größte Schwachstelle ist keine, die deutschlandspezifisch    zusammenhängt. Vermehrt wurde zuletzt auf die Verflechtung
wäre, sondern in vielen europäischen Staaten vorzufinden ist.    zeitgenössischer Verhältnisse mit kolonialen Islampolitiken
Unabhängig von den gesetzlichen Rahmenbedingungen auf            Deutschlands111 und Österreichs hingewiesen, womit in einem
europäischer wie auch auf nationalstaatlicher Ebene berühren     größeren Rahmen die Verflechtung von heutigem Rassismus
diese nicht die direkte und strukturelle Diskriminierung         mit kolonialen Verhältnissen Deutschlands und Österreichs in
von Muslim*innen in Bereichen wie Justiz, Polizei, Beschäf-      der Vergangenheit angesprochen wird.
tigung und Bildung. Daraus folgert etwa das paneuropäische
antirassistische Netzwerk ENAR, dass es weitere umfassende       3.3. Hasskriminalität
Bemühungen der politischen Entscheidungsträger*innen             Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
zur Bekämpfung von antimuslimischem Rassismus und zur            Europa (OSZE) definiert Hasskriminalität als „kriminelle
Förderung der vollständigen Gleichstellung und Inklusion         Handlungen mit einem Vorurteilsmotiv. Dieses Motiv ist das
bedarf. ENAR weist auf zwei Beobachtungen im Hinblick auf        Unterscheidungsmerkmal, das es von anderen Verbrechen
antimuslimischen Rassismus hin: Einmal sei im Falle von an-      abhebt“.112 Hasskriminalität (Hate Crime) ist ein Sammel-
timuslimischem Rassismus eine geschlechtsspezifische Form        begriff für alle Arten von Verbrechen, vom Mord bis hin zur
von Rassismus zu beobachten.100                                  Gewalt gegen Menschen oder Sachen, die stark mit Vorur-
                                                                 teilen zusammenhängen.113 Sie ist damit eine Dimension
Muslimische Frauen sind aufgrund mehrerer Diskriminie-           von mehreren, in denen sich antimuslimischer Rassismus
rungsgründe überproportional von antimuslimischem                äußern kann. Hasskriminelle Angriffe sind dabei nicht nur
Rassismus betroffen, insbesondere wenn sie religiöse Kleidung    als Angriffe auf das Individuum zu verstehen, sondern als

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