Ja zur Gewässerrevitalisierung - (k)eine Frage der Fruchtfolgeflächenverluste (Essay) - SRF
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Ja zur Gewässerrevitalisierung – (k)eine Frage der Fruchtfolgeflächenverluste (Essay) Norbert Kräuchi Kanton Aargau, Abteilung Landschaft und Gewässer (CH)* Martin Tschannen Kanton Aargau, Abteilung Landschaft und Gewässer (CH) Ja zur Gewässerrevitalisierung – (k)eine Frage der Fruchtfolgeflächenverluste (Essay) Die beschränkte Verfügbarkeit der Ressource Boden führt dazu, dass Hochwasserschutzprojekte, Renaturierun- gen oder Revitalisierungen mit dem Argument des übermässigen Verbrauchs an Landfläche im Allgemeinen und Fruchtfolgefläche im Speziellen hinterfragt werden. Mit dem revidierten und 2011 in Kraft getretenen Gewäs- serschutzgesetz verlangt der Bund von den Kantonen eine strategische Planung der Revitalisierung der Gewäs- ser. Für die geplante Revitalisierung der 152 km Gewässerabschnitte in der Planungsperiode 2015–2035 werden im Kanton Aargau etwa 32 ha Fruchtfolgefläche benötigt. Dies entspricht einem Bedarf von 1.5 ha pro Jahr oder rund 6% des jährlichen Verbrauchs an Fruchtfolgefläche. Dieser liegt bei rund 24 ha pro Jahr. Hiervon gehen drei Viertel zulasten des Siedlungsgebiets. Betrachtet man den Bodenverlust, welcher für Bauten ausserhalb der Bauzone ermittelt wird, so sind im Jahr 2014 mehr als 50% derselben auf landwirtschaftliche Aktivitäten zurück- zuführen. Mithilfe der Siegfriedkarten von 1880 kann gezeigt werden, dass im Kanton Aargau rund 1000 ha frü- herer Sumpfgebiete und Wasserläufe heute Fruchtfolgeflächen sind. Die geplante Revitalisierung der aargau- ischen Gewässer in den nächsten 20 Jahren entspricht rund 3% der in den letzten 135 Jahren korrigierten Gewässer- und Feuchtflächen. Revitalisierung ist eine Verpflichtung, und die angedachte Kompensationspflicht für die dabei beanspruchte Fruchtfolgeflächen verkennt die Faktenlage: Grossverbraucher der Ressource Boden sind die Siedlungsgebiete und ausserhalb der Bauzonen die Landwirtschaft. Keywords: revitalisation, water protection, land use conflicts, historical maps doi: 10.3188/szf.2015.0213 * Departement Bau, Verkehr und Umwelt, Entfelderstrasse 22, CH-5001 Aarau, E-Mail norbert.kraeuchi@ag.ch U nsere Fliessgewässer sind ökologisch wert- künstlich. Auch die wichtige Funktion von Gewäs- volle Lebensräume und erbringen vielfäl- sern als Wanderkorridore ist stark eingeschränkt, tige Leistungen wie die Erneuerung von denn mehr als 3000 Wanderhindernisse versperren Grund- und Trinkwasser, das Abführen von Hoch- den Weg (Blank et al 2014); die Längsvernetzung der wasser oder das Beherbergen einer grossen Biodiver- Aargauer Bäche und Flüsse ist nicht gewährleis- sität. In den vergangenen Jahrzehnten wurden die tet – ein Spiegelbild der restlichen Schweiz. Der Gewässer durch Verbauungen, Eindolungen oder die Bund hat mit der Inkraftsetzung des revidierten intensive Nutzung durch den Menschen so sehr de- Bundesgesetzes über den Schutz der Gewässer (Ge- gradiert, dass sie heute in der Erfüllung dieser Leis- wässerschutzgesetz, GSchG; SR 814.20) und der tungen stark eingeschränkt sind. Die Folgen sind of- zugehörigen Gewässerschutzverordnung (GSchV; fensichtlich: Die Hochwassergefährdung hat sich SR 814.201) im Jahr 2011 auf diese unbefriedigende verschärft, die Wasserqualität ist beeinträchtigt, und Situation reagiert. Er verlangt in Art. 38a des GSchG die Artenvielfalt hat gelitten. von den Kantonen, dass sie die Revitalisierung der Der als Wasserschloss geltende Kanton Aargau Gewässer planen, den Zeitplan für die Umsetzung verfügt heute über ein Gewässernetz von rund festlegen und die Gemeinden verpflichten, diese Re- 3000 km Länge. Davon ist etwa die Hälfte in einem vitalisierungsplanung bei der Nutzungsplanung zu ökomorphologisch schlechten Zustand. So verlau- berücksichtigen. Die Aargauer Kantonsregierung hat fen rund ein Drittel aller Bäche in Dolungen, ein diese Planung (Blank et al 2014) im Dezember 2014 Fünftel ist stark beeinträchtigt oder sogar gänzlich verabschiedet und beim Bundesamt für Umwelt ein- Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 PERSPECTIVES 213 150890_Forstverein_04_(213_218) 213 25.06.2015 08:09:04
pensation von Fruchtfolgeflächen (FFF) bei Revita- lisierungen und zum anderen darauf, ob der ausge- schiedene Gewässerraum als sogenannt potenzielle Fruchtfolgefläche separat ausgewiesen und weiter- hin den kantonalen FFF-Kontingenten angerechnet werden dürfe, wie dies im Merkblatt «Gewässerraum und Landwirtschaft» (BAFU et al 2014) dargelegt ist. Gemäss geltendem Artikel 36a Absatz 3 GSchG gilt der ausgeschiedene Gewässerraum nicht als FFF und für einen Verlust an FFF ist Ersatz zu leisten. Entspre- chend argumentieren Landwirtschaftskreise, dass durch die sehr grossen Gewässerabstände die Aar- gauer Landwirtschaft rund 500 ha an Fruchtfolge- flächen verlieren würde.1 Die FFF, das qualitativ beste ackerfähige Kul- turland, machen rund 40% der gesamten landwirt- schaftlichen Nutzfläche der Schweiz aus und liegen zur Hälfte in den vier Mittellandkantonen Bern, Waadt, Zürich und Aargau. Die FFF sollen vor Über- bauung geschützt werden und der langfristigen Ver- Massstab 1:200000 N sorgungssicherung erhalten bleiben. Zu diesem ➢ 0 5 10 km Zweck wurde im Sachplan Fruchtfolgeflächen (EJPD 2015–2021 2022–2028 2029–2035 nach 2035 Auen 1992) für die gesamte Schweiz ein Mindestumfang an FFF festgelegt und dieser auf die Kantone aufge- Abb 1 Zeitliche Prioritäten für die Revitalisierung der Fliessgewässer im Kanton Aargau teilt. Die Kantone haben mit Massnahmen der Raum- (Blank et al 2014). planung diesen Bestand zu sichern. Der Druck auf den Boden wird weiter zuneh- gereicht. Mit dieser übergeordneten strategischen men, denn bis ins Jahr 2040 rechnet allein der Kan- Planung will der Kanton seine langfristigen Ziele der ton Aargau mit einem Bevölkerungswachstum von Revitalisierungen erreichen. Die Planung bezieht rund 190 000 Personen auf insgesamt 816 000 Ein- sich auf den Zeitraum bis 2035 und priorisiert die wohner (Statistik Aargau 2013). Es braucht Landflä- Revitalisierungen auf der Zeitachse (Abbildung 1), che für Siedlungen, für die landwirtschaftliche Pro- um mit begrenzten Mitteln eine möglichst grosse duktion, für Verkehrsanlagen, die Industrie und für Wirkung in der Entwicklung der Fliessgewässer nach Aushubdeponien. Gleichzeitig braucht es Flächen dem Leitbild Fliessgewässer Schweiz (BUWAL 2003) für den Naturschutz, den Gewässerschutz und die zu erzielen. Erholung, aber auch für Erzeugung erneuerbarer Energien. Diese unterschiedlichen Bedürfnisse nach Landfläche stehen in grosser Konkurrenz zueinan- Herausforderung der. Haber (2007) hat diese Flächenkonkurenz als «ökologische Falle» bezeichnet, welche die Mensch- Die vom Bund mit dem neuen GSchG gefor- heit wahrscheinlich stärker bedrohe als jedes andere derte Revitalisierung der Gewässer beziehungsweise Umweltproblem. die Ausscheidung der Gewässerräume entlang von Mit dem Postulat 13.3921 «Kulturlandverlust Fliessgewässern benötigt in erster Linie Land. Betrof- durch Gewässerschutz und Zersiedelung» wollte Na- fen davon sind vor allem die Landwirtschaftsflä- tionalrat Beat Jans vom Bundesrat in Erfahrung brin- chen, die insbesondere durch das Siedlungswachs- gen, wie gross der Kulturland- und FFF-Verlust durch tum bereits heute unter Druck stehen. So hat die Gewässerrevitalisierungen, Umsetzung des GSchG, Landwirtschaftsfläche in der Schweiz zwischen 1985 durch Umzonung und Überbauung sowie durch und 2009 um 5.4% abgenommen (BFS 2015). Die landwirtschaftliche Bauten bislang war und wie sich mit der Ausscheidung der Gewässerräume einherge- dieser künftig entwickeln dürfte. Im Jahr 2013 hat hende Nutzungseinschränkung (Extensivierung) der Bundesrat die Erarbeitung eines Berichtes in dem und die grundsätzlich begrenzte Verfügbarkeit der vom Postulanten gewünschten Sinn weder für mög- Ressource Boden führt in der politischen Diskussion lich noch für notwendig erachtet. Angesichts der zu heftigen Debatten sowohl auf kommunaler wie auf kantonaler Ebene und beschäftigt gegenwärtig 1 Stellungnahme des Bauernverbands Aargau vom 23. Juni 2014 – mit dem Mittel der Standesinitiative – auch das zur Teilrevision des Baugesetzes, Umsetzung des Gewässer- Bundesparlament. Die Debatte fokussiert dabei auf raums gemäss Bundesrecht. www.bvaargau.ch/Portals/0/Stel- zwei Fragen: zum einen auf die Frage nach der Kom- lungnahme_BVA-Gew%C3%A4sserraum_def.pdf (21.5.2015) 214 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 150890_Forstverein_04_(213_218) 214 25.06.2015 08:09:10
von Haber (2007) genannten ökologischen Falle, in schen Atlas» der Schweiz im Massstab 1 : 25 000, auch der wir uns befinden, und der Notwendigkeit, uns bekannt als Siegfriedkarte, die im Kanton Aargau für Grundlageninformationen zu verschaffen, um uns das Jahr 1880 als erster Zeitstand verfügbar sind, auf aus dieser befreien zu können, stellen wir im Folgen- Sumpf- und Gewässersignaturen hin ausgewertet. den den vergangenen und aktuellen Verbrauch der Dazu wurden die Rasterzellen mit Blausignaturen, Ressource Boden im Kanton Aargau in einem ganz- die für Bäche, Flüsse und Sümpfe stehen, in Polygon- heitlichen Kontext dar. flächen umgewandelt. Für die weitere Bearbeitung wurden die extrahierten Sumpfsignaturen mit 15 m gepuffert, um geschlossene Polygonflächen zu erhal- Analyse der Bodennutzungs- ten. Für Kleinstgewässer, die auf der Karte als Haar- veränderungen im Kanton Aargau linie von circa 1/5 mm Breite dargestellt sind, wurde eine Breite von 5 m angenommen. Dies entspricht Material und Methoden einer Sohlenbreite von 1 m und Uferbreiten von je Umwidmung von Sumpf- und Gewässerflächen 2 m. Die Bach- und Fluss-Polygonflächen sowie die in Fruchtfolgeflächen zwischen 1880 und 2014 gepufferten Sumpfflächen wurden mit den heutigen Momentaufnahmen einer zeitlichen Entwick- Fruchtfolgeflächen verschnitten. Damit konnten lung sind geprägt vom Problem der «unsichtbaren diejenigen Fruchtfolgeflächen bestimmt werden, die Gegenwart», indem sie uns zwar den genauen Blick im Jahr 1880 von Gewässer- und Sumpfflächen be- auf das Jetzt gewähren, sie dieses Jetzt jedoch nicht legt waren und in der Zwischenzeit in hochwertiges im Gesamtkontext zu verankern vermögen. Wir kön- Landwirtschaftsland umgewidmet worden sind. nen Gegenwartsprobleme nicht begreifen ohne die systematische Untersuchung früherer Ereignisse, Fruchtfolgeflächenverluste 2001 bis 2011 welche die Gegenwart beeinflussen (Kräuchi 2009). Die einzige Statistik im Kanton Aargau zur Be- Eine Langzeitperspektive ist dementsprechend wich- anspruchung von landwirtschaftlichen Flächen be- tig. Sie soll insbesondere verhindern, dass Entschei- steht bezüglich der FFF. Diese Flächen wurden von dungsträger ihre Strategien aus dem Jetzt kurzfristi- 1986 bis 1990 flächendeckend erhoben und werden ger Entwicklungen zu erkennen versuchen, welche seither jährlich nachgeführt. Dabei wurde die FFF- unter Umständen ein verzerrtes Bild des tatsächli- Bruttoflächen erfasst und für darin enthaltene Bau- chen Problems darstellen. ten, Flurwege, Bäche, Spezialkulturen und Ähnliches Um diese unsichtbare Gegenwart sichtbar zu gemeindeweise ein Pauschalabzug gemacht. Dieser machen, wurden die Einzelkarten des «Topographi- beträgt im kantonalen Durchschnitt 15.7% (Grosser Abb 2 Karten als unersetzliche Hüter räumlichen Landschaftswissens: Siegfriedkarte 1880 (oben links), Landeskarte 1 : 25 000 heute (oben rechts), Orthofoto 2014 mit Gewässer- und Sumpfflächen 1880 (unten links), Orthofoto 2014 mit Fruchtfolgeflächen 2014 (unten rechts). Für die beiden Karten oben: reproduziert mit Bewilligung von swisstopo (BAT150081) Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 PERSPECTIVES 215 150890_Forstverein_04_(213_218) 215 25.06.2015 08:09:11
Baugesuche mittels Code einer Baukategorie zuge- wiesen, zum Beispiel Stall, Remise, Silo, Wohnhaus, Speziallandwirtschaftszonen Siedlung. Es findet jedoch keine Zuweisung zu einer 3% Spezialzonen Art. 18 RPG bestimmten Bodenkategorie (FFF oder landwirt- 3% schaftliche Nutzfläche) statt. Strassen- und Bahnprojekte 4% Resultate Siedlungsgebiet Naturschutzprojekte Umwidmung von Sumpf- und Gewässerflächen in 75% und -zonen Fruchtfolgeflächen zwischen 1880 und 2014 6% Die kartografische Auswertung zeigt, dass seit Auenschutzprojekte 1880 aus Gewässerflächen 520 ha FFF gewonnen wur- 5% den. Die Sumpfflächen von 1880 wurden ebenfalls Gewässerrenaturierung und grossmehrheitlich zu FFF. Total 535 ha heutige FFF Hochwasserschutz befinden sich auf ehemaligen Sumpfflächen. Insge- 4% samt dürften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts für die Schaffung von FFF rund 1000 ha Sumpf- und Ge- Abb 3 Effektive FFF-Verluste zwischen 2001 und 2011 im Kanton Aargau (nach Grossem wässerflächen drainiert worden sein (Abbildung 2). Rat 2012). Die Analysen fügen sich natlos in die Erkenntnisse früherer Auswertungen ein, wonach im Mittelland bis zu 90% der Feuchtgebiete seit Ende des 19. Jahr- hunderts drainiert worden sind (Grünig 1994, Weiss 2008). Weitere Bauten Fruchtfolgeflächenverluste 2001–2011 und Anlagen Zwischen 2001 und 2011 ist im Kanton Aar- Landwirtschaft gau die FFF um 236 ha zurückgegangen. Dies sind im Durchschnitt 24 ha pro Jahr. Abbildung 3 ver- deutlicht, dass die Ausdehnung des Siedlungsgebie- Terrainver. Strassen tes mit rund 75% zu den Verlusten beiträgt. Die rest- Biotope und ökologische lichen Verluste sind auf eine Umwidmung der FFF in Massnahmen Entwässerung Naturschutzflächen (15%), auf Strassen- und Bahn- Material- abbau Kanalisation projekte (4%) sowie die Zuweisung von FFF in Spe- ziallandwirtschaftszonen (3%) sowie in RPG-Spe- Abb 4 Bodenverbrauch im Kanton Aargau im Jahr 2014 ausserhalb der Bauzone nach zialzonen (Golfplätze, Deponie- und Abbauzonen; Hauptkategorie (im Baugesuchsverfahren erfasste und bewilligte Fläche, exklusive 8 ha 3%) zurückzuführen. Tunnelaushub Bözberg). Die Rechteckgrösse entspricht anteilsmässig der verbrauchten Fläche. Bodenverlust 2014 ausserhalb Bauzonen Ohne den Tunnelaushub Bözberg (8 ha) wur- Rat 2014). In der FFF-Statistik werden folgende den im Kanton Aargau im Jahr 2014 21.93 ha Boden Verlustkategorien ausgewiesen: a) Siedlungsgebiet, ausserhalb der Bauzone für Bauten und Anlagen ver- b) Spezialzone nach Art. 18 des Raumplanungsgeset- braucht. Rund 60% der Bodenverluste ausserhalb der zes (RPG), c) Strassen- und Bahnprojekte, d) Natur- Bauzone sind durch die Landwirtschaft selbst ver- schutzprojekte und -zonen, e) Auenschutzprojekte, ursacht (Abbildung 4). Hierzu gehören der Bau von f) Gewässerrenaturierung und Hochwasserschutz, Remisen, Weideställen, Silos oder die innere Aufsto- g) Speziallandwirtschaftszonen – jedoch ohne die ckung für die Tierhaltung. Verluste durch die Anlage Verluste im Bereich des Pauschalabzugs (Grosser Rat von Biotopen und andere ökologische Massnahmen 2012). Veränderungen, die die mit dem Pauschalab- sind mit einem Anteil von rund 6% im Vergleich zug erfassten Objektkategorien betreffen (also auch dazu vernachlässigbar. sämtliche neuen, zonenkonformen Bauten und An- lagen oder kleinere Renaturierungen), wurden des- Flächenbedarf für Gewässerrevitalisierungen halb nie separat erhoben. Für die geplante Revitalisierung der Gewässer im Kanton Aargau werden für die 152 km Gewässer- Bodenverlust 2014 ausserhalb der Bauzonen abschnitte in der Planungsperiode 2015–2035 etwa Seit Anfang 2014 wird im Rahmen des Baube- 32 ha FFF benötigt (Blank et al 2014). Dies entspricht willigungsverfahrens in generalisierter Form der an- einem Bedarf von 1.5 ha pro Jahr oder rund 6% des genäherte Flächenverbrauch für Bauten und Anla- jährlichen Verbrauchs an Fruchtfolgefläche oder 3% gen ausserhalb der Bauzonen pro Baugesuch und der in den letzten 135 Jahren korrigierten Gewässer- Kategorie erhoben. Dabei werden alle eingehenden und Feuchtflächen. 216 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 pp1354_Kraeuchi.indd 216 25.06.15 13:57
Abb 5 Auenrenaturierung in Rietheim (Kanton Aargau) 2015 – nomen est omen. Beanspruchung von rund 5 ha Fruchtfolgefläche. Revitalisierung der Gewässer und zerstörten Naturwerte. Daher kann es nicht ange- Schutz der FFF sind gleichwertige hen, dass für die bundesrechtlich vorgeschriebene nationale Interessen Wiederherstellung und Sicherung der korrigierten Gewässerräume und der ökologischen Infrastruktur Massnahmen für den Hochwasserschutz, die FFF zu kompensieren sind. Im Kanton Aargau, wo Gewässer- und Auenrevitalisierungen, die Sanierung die Mehrheit von ackerfähigen Flächen zugleich FFF von Wildtierkorridoren und andere Vernetzungspro- sind, ist die Schaffung von neuen FFF fast unmög- jekte finden mehrheitlich ausserhalb der Bauzonen lich und würde künftige Bachöffnungen und Revi- statt. Hier soll gemäss vorliegendem Vernehmlas- talisierungen (gemäss Art. 38a GSchG gefordert) ver- sungsentwurf zur zweiten Etappe der Revision des unmöglichen. Der weitaus grösste Verbraucher von RPG die FFF geschützt beziehungsweise der Verlust FFF ausserhalb der Bauzone, die Landwirtschaft, ist von FFF kompensiert werden. von der Kompensationspflicht ganz ausgenommen. Wasserbauliche Massnahmen, Revitalisierun- gen und Biotopschutz sind in der Bundesgesetzge- bung verankert und können von übergeordnetem öf- Gewässerrevitalisierung darf keine fentlichem Interesse sein und nationale Bedeutung Frage der Fruchtfolgeflächenverluste haben. Sie tragen zum ökologischen Mehrwert be- sein ziehungsweise zum Schutz von Leben sowie Hab und Gut bei. Aus diesem Grund ist solchen Massnahmen Revitalisierung und Auenschutzprojekte benötigen dieselbe Bedeutung wie dem Schutz der FFF zuzusi- viel Kulturland – entsprechend seien die Budget mittel chern. Mit einer Pflichtkompensation von FFF wird für Gewässerrevitalisierung und Auenschutzprojekte den FFF allerdings automatisch ein höheres Gewicht zu kürzen – so die Argumentation des Bauernverban- zugestanden. Der Handlungsbedarf bezüglich des des.2 Die differenzierte Analyse des historischen und Schutzes respektive der Schonung der FFF ist unbe- aktuellen (Fruchtfolge-)Flächenverbrauchs zeigt ein stritten. Es ist daher folgerichtig, dass der Bund neue anderes Bild. Es sind nicht die ökologischen Aufwer- Bestimmungen erlässt. Es gilt jedoch, zu berücksich- tungen, die zum grossen Verlust an wertvollem Bo- tigen, dass auch die wasserbaulichen und ökologi- den führen. Die effektiven FFF-Verluste sind zu drei schen Infrastrukturvorhaben an den Standort gebun- Vierteln durch die Siedlungsentwicklung bedingt den und oft flächenintensiv sind. Die Kompensation und ausserhalb des Siedlungsgebiets zu mehr als der der FFF im angedachten Sinne würde eine Mehrzahl Hälfte durch die Landwirtschaft. Eine Kompensa- dieser Vorhaben (Abbildung 5) verunmöglichen. tionspflicht für FFF bei Gewässerrevitalisierungen Wie gezeigt werden konnte, sind viele FFF in widerspricht der Gleichbehandlung nationaler Inte- den Tieflagen auf Kosten der ursprünglichen Lebens- ressen. Revitalisierungen und Biotopschutz sind in räume durch Korrektur und Eindolung von Ge- der Bundesgesetzgebung verankert. Ihnen ist daher wässern und Trockenlegen von Feuchtgebieten ge- wonnen worden – ohne jegliche Kompensation der 2 Aargauerzeitung vom 8. Februar 2014 Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 PERSPECTIVES 217 150890_Forstverein_04_(213_218) 217 25.06.2015 08:09:13
dieselbe Bedeutung zuzusichern wie dem Schutz der EJPD (1992) Sachplan Fruchtfolgeflächen (FFF). Bern: Eidgenöss FFF. Zum Schutz der wertvollen und beschränkten Justiz- Polizeidepartement. 230 p. GROSSER RAT (2012) Interpellation Walter Stierli-Popp, SVP, Fisch- Ressource Boden ist das Augenmerk entsprechend bach-Göslikon, und Christian Glur, SVP, Murgenthal (Spre- auf die wesentlichen Verursacher der Verluste zu cher), vom 17. Januar 2012 betreffend Fruchtfolgeflächen (FFF) richten, nämlich die Siedlungsentwicklung und die Verlust für Naturschutzmassnahmen (GR 12.21). Aarau: Landwirtschaft. ■ Grosser Rat. 5 p. www.ag.ch/grossrat/iga_grw_ges.php?Ges Eingereicht: 29. April 2015, akzeptiert (ohne Review): 20. Mai 2015 Nr=826438&AbfDetailNew=1 (13.5.2015). GROSSER RAT (2014) Interpellation Barbara Portmann-Müller, GLP, Lenzburg (Sprecherin), Hansjörg Wittwer, Grüne, Aarau, und Jürg Caflisch, SP, Baden, vom 7. Januar 2014 betreffend Dank Zunahme Bauvolumen ausserhalb Bauzonen und dadurch verursachten Fruchtfolgeflächenverlust (GR 14.11). Aarau: Die Autoren danken Rahel Fischer vom AGIS- Grosser Rat. 5 p. www.ag.ch/grossrat/iga_grw_ges.php? Service-Center und Eric Gasser für die Unterstützung GesNr=881562&AbfDetailNew=1 (13.5.2015). GRÜNIG A (1994) Mires and man: Mire conservation in a densely bei der GIS-Analyse. populated country – the Swiss experience: Excursion guide and symposium proceedings of the 5th Field Symposium of the International Mire Conservation Group (IMCG) to Swit- Literatur zerland 1992. Birmensdorf: Swiss Federal Institute for Forest, Snow and Landscape Research. 415 p. BAFU, BLW, ARE, BPUK, LDK (2014) Gewässerraum und Landwirt- HABER W (2007) Energy, food and land – the ecological traps of schaft. Bern: Bundesamt Umwelt. 13 p. humankind. Environ Sci Pollut Res 14: 359–365. BLANK N, BURGER S, RICHARD U (2014) Revitalisierung Fliessge- KRÄUCHI N (2009) Plädoyer für Langzeitforschung. Langzeitfor- wässer – strategische Planung. Schlussbericht zur Priorisierung schung für eine nachhaltige Waldnutzung. Birmensdorf: Eid- von Revitalisierungen an Fliessgewässern im Kanton Aargau ge- genöss Forsch.anstalt WSL, Forum Wissen 2009: 125–129. mäss eidgenössischer Gewässerschutzgesetzgebung (GSchG/ STATISTIK AARGAU (2013) Bevölkerungsprognose 2013. Aarau: GSchV). Aarau: Departement Bau Verkehr Umwelt. 72 p. Departement Finanzen Ressourcen. 28 p. BFS (2015) Die Bodennutzung in der Schweiz. Auswertungen und WEISS M (2008) Simulating historical locations of wetlands in Analysen. Neuenburg: Bundesamt Statistik. 64 p. Switzerland. Zürich: ETH Zürich, Departement Umweltwis- BUWAL (2003) Leitbild Fliessgewässer Schweiz. Für eine nachhal- senschaften, Masterthesis. 93 p. tige Gewässerpolitik. Bern: Bundesamt Umwelt Wald Land- schaft. 12 p. Oui à la revitalisation des cours d’eau – Yes to revitalisation of watercourses: (not) (auc)une question de perte de surface a question of loss of arable land (essay) d’assolement (essai) En raison de la disponibilité réduite du sol, les projets de pro- Because of the reduced availability of soil resources, projects tection contre les crues, de renaturation et de revitalisation for flood control, renaturation or revitalisation of watercourses de cours d’eau sont remis en cause avec l’argument de l’uti- have been opposed on the grounds of their excessive con- lisation démesurée de la surface en général et des surfaces sumption of land in general, and arable land in particular. By d’assolement en particulier. Par la révision et l’entrée en vi- the way of the Water Protection Act, which has been revised gueur, en 2011, de la loi fédérale sur la protection des eaux, and came into force in 2011, the Confederation obliges the la Confédération exige des cantons une planification straté- cantons to prepare strategic plans for revitalisation of water- gique de la revitalisation des cours d’eau. Pour la revitalisa- courses. In the Canton of Aargau, it is planned to revitalise tion planifiée de 152 km de tronçons de cours d’eau pour la 152 km of watercourses between 2015 and 2035, which will période de planification 2015–2035 dans le canton d’Argo- lead to the loss of 32 ha of arable land. This is about 1.5 ha vie, 32 ha de surfaces d’assolement seront nécessaires. Cela per year, or 6% of the annual loss of arable land, which is correspond à un besoin de 1.5 ha par an ou environ 6% de about 24 ha per year. Three quarters of this total is lost to set- la disparition annuelle de surfaces d’assolement. Cette der- tlements. If one only considers losses outside built-up areas, nière se monte à environ 24 ha par an. Les trois quarts sont in 2014, more than half was lost to buildings connected to consommés par les zones à bâtir. Si l’on considère la perte de agricultural activity. We can demonstrate, using the Siegfried sol pour des constructions en dehors des zones à bâtir, en maps of 1880, that more than 1,000 ha of former marsh and 2014 plus de 50% sont dues à des activités agricoles. A l’aide wetland are now arable land. The planned revitalisation of des cartes Siegfried de 1880, on peut démontrer qu’en Argo- watercourses in Aargau over the next 20 years is equivalent vie près de 1000 ha de surfaces marécageuses et de cours to about 3% of the marsh and wetlands converted over the d’eau sont devenus des surfaces d’assolement. La revitalisa- last 135 years. Revitalisation is compulsory, and the planned tion des cours d’eau argoviens de ces 20 prochaines années obligation to compensate the loss of arable land disregards correspond à environ 3% des surfaces gagnées sur les zones the true situation: the major consumers of soil resources are humides et cours d’eau pendant ces 135 dernières années. La settlements and, outside built-up areas, agriculture. revitalisation est une obligation, et le devoir présumé de com- pensation des surfaces d’assolement perdues méconnaît les faits: les grands consommateurs de sol sont les zones à bâtir et, en dehors de celle-ci, l’agriculture. 218 PERSPEKTIVEN Schweiz Z Forstwes 166 (2015) 4: 213–218 150890_Forstverein_04_(213_218) 218 25.06.2015 08:09:14
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