Zur Schutzwirkung des Waldes gegen Hochwasser

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Zur Schutzwirkung des Waldes gegen Hochwasser
Forum für Wissen 2004: 15–20                                                                                                15

Zur Schutzwirkung des Waldes gegen Hochwasser
Christoph Hegg, Alexandre Badoux, Peter Lüscher, Jonas Witzig
Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf
christoph.hegg@wsl.ch, alexandre.badoux@wsl.ch, peter.luescher@wsl.ch, jonas.witzig@wsl.ch

Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Schweiz von mehreren schweren Hochwas-               lich nur halb so gross als der des
serereignissen heimgesucht. Sowohl die Fachwelt als auch die Öffentlichkeit sa-           letztern…»
hen dabei einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem schlechten Zustand              b) «…Bei Landregen ist das Retenti-
des Gebirgswaldes und dem Ausmass der Hochwasser. Diese Feststellung war ein              onsvermögen des Waldes je nach
wichtiger Anstoss für das Forstgesetz von 1876. In seiner wegweisenden Publikati-         der vorangegangenen Witterung,
on von 1919 belegte Engler diese Feststellung teilweise indem er aufzeigte, dass          bezw. je nach dem Wassergehalt des
Wälder vor allem bei kurzen und intensiven Starkniederschlägen eine massgeben-            Bodens und dem Verlauf des Re-
de Dämpfung einer Hochwasserwelle bewirken. Engler zeigte allerdings auch,                gens, sehr verschieden. Ist der Was-
dass diese dämpfende Wirkung mit zunehmendem Niederschlagsvolumen mehr                    sergehalt des Bodens gross, so ist
und mehr abnimmt, weil dann der Bodenspeicher sowohl in Gebieten mit als auch             der Wald wirkungslos, und es fliesst
ohne Wald gefüllt ist. In den letzten Jahren haben verschiedene Untersuchungen            im Wald dieselbe Wassermenge ab
gezeigt, dass nicht jeder Wald in der Lage ist, Hochwasserspitzen massgeblich zu          wie im Freien…»
dämpfen. Nachfolgend werden diese Ergebnisse kurz erläutert und auf ein mögli-
ches Vorgehen zur differenzierten Beurteilung der Schutzwirkung eines Waldes           Seine Nachfolger (BURGER 1934, 1943,
gegen Hochwasser hingewiesen.                                                          1954; CASPARIS 1959) vertieften diese
                                                                                       Untersuchungen und ergänzten sie ins-
                                                                                       besondere mit Untersuchungen zur
1 Die Anfänge                               Nach einigen vorbereitenden Arbei-         Wasserbilanz der beiden Einzugsgebie-
                                          ten begannen die eigentlichen forsthy-       te. Während Engler für seine Arbeiten
Als die Schweiz im 19. Jahrhundert von    drologischen Untersuchungen am 8.            keine Wintermessungen zur Verfügung
einer Vielzahl von grossen Hochwas-       April 1903, als gleichzeitig im Sperbel-     standen und seine Analysen vorwie-
serereignissen (u. a. 1834 und 1868)      und Rappengraben im Emmental die             gend aus dem Vergleich von Einzel-
heimgesucht wurde, war sowohl für         kontinuierliche Messung von Nieder-          ereignissen bestand, werteten seine
grosse Teile der Fachwelt als auch für    schlag und Abfluss aufgenommen wur-          Nachfolger ganzjährige Messreihen
die Öffentlichkeit rasch klar, dass der   de. Der Sperbelgraben ist praktisch          aus. Sie zeigten damit, dass im Sperbel-
schlechte Zustand der Gebirgswälder       vollständig bewaldet, der Rappengra-         graben im Mittel 10 % weniger des in
ursächlich damit verbunden war            ben dagegen war damals nur zu knapp          einem Jahr gefallenen Niederschlages
(SCHMID 2001). Die Waldfläche in der      einem Drittel mit Wald bedeckt und           zum Abfluss kommen als im wenig be-
Schweiz hatte stark abgenommen, zu-       wurde sonst landwirtschaftlich genutzt.      waldeten Rappengraben, weil der
sätzlich waren viele Wälder übernutzt.    ENGLER (1919) publizierte auf über           Wald mehr Wasser verbraucht als eine
Allerdings fehlten trotz der verbreite-   600 Seiten die erste umfassende, auf         Freilandvegetation.
ten Einigkeit die wissenschaftlichen      Messungen beruhende wissenschaftli-            Allerdings haben sowohl Burger wie
Grundlagen dieser These. Diese waren      che Untersuchung zum Einfluss des            auch Casparis die klare Unterschei-
aber nötig, um das einsetzende Sub-       Waldes auf den Stand der Gewässer.           dung zwischen kurzen und lang anhal-
ventionswesen auf eine fundierte            In Bezug auf die Schutzwirkung des         tenden Niederschlägen mehr und mehr
Grundlage zu stellen. Deshalb wurde       Waldes gegen Hochwasser äussert sich         zu Gunsten einer generellen Hochwas-
die 1885 gegründete damalige Central-     ENGLER (1919, S. 614) dabei klar:            serschutzwirkung des Waldes aufgege-
anstalt für das forstliche Versuchswe-    a) «Bei allen intensiven Niederschlä-        ben. Deshalb wird z. B. in der umfas-
sen, die heutige WSL, im Parlaments-         gen von kürzerer Dauer (Gewitter-         senden Geschichte der Forsthydrologie
beschluss zu ihrer Gründung unter an-        regen, Wolkenbrüche) erweist sich         von MCCULLOCH und ROBINSON
derem damit beauftragt, «… und zur           das Retentionsvermögen des Wal-           (1993) nicht darauf hingewiesen, dass
Lösung wichtiger forstlich-meteorolo-        des als sehr gross. Die maximalen         schon Engler Grenzen der Waldwir-
gischer Fragen beizutragen» (WULL-           sekundlichen Abflussmengen des            kung aufzeigte.
SCHLEGER 1985, S. 50). Unter forstlich-      Sperbelgrabens betragen bei gleicher        Generell war sich Engler der Gren-
meteorologischen Fragen wurde in der         Intensität und Menge des Nieder-          zen der möglichen Aussagen anhand
damaligen Zeit etwa das verstanden,          schlages nur 1/3 bis 1/2 von denjenigen   seiner Grundlagen sehr wohl bewusst.
was heute unter den Begriff Forsthy-         des Rappengrabens und der Ge-             So beschliesst er seine wissenschaftli-
drologie fällt.                              samtabfluss des erstern ist gewöhn-       che Zusammenfassung mit dem drin-
Zur Schutzwirkung des Waldes gegen Hochwasser
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genden Wunsch, ähnliche Parallelver-         Vogelbach, Lümpenenbach und Erlen-
                                                                                                               10          A3
suche wie im Emmental auch in Regio-         bach sind in Tabelle 1 angegeben. Ei-
                                                                                                                           A4
nen mit anderen geologischen und kli-        nen vollständigen Überblick über die                                          A10
matologischen Verhältnissen durchzu-         Untersuchungsgebiete im Alptal ver-

                                                                                           q max (m3/s/km2)
führen. Dass es in der Schweiz beinahe       mittelt BURCH (1994).                                              1
bis zum Ende des Jahrhunderts dauern            An der Ausstattung der Stationen
würde, bis sein Wunsch in Erfüllung          zeigt sich auch, dass sich die forsthydro-
ging, und dass bei diesen Untersuchun-       logische Forschung längst nicht mehr
                                                                                                               0.1
gen im Alptal seine Annahme wider-           nur auf den Einfluss des Waldes auf
legt würde, Aufforstungen auf tonrei-        den Abfluss konzentriert. Alle Statio-
chen und schlecht durchlässigen Böden        nen erlauben Untersuchungen zur Was-
seien besonders wirksam, konnte er           serqualität. Die drei Alptaler Gebiete                           0.01
                                                                                                                     1                 10                 100
sich wahrscheinlich kaum vorstellen.         sind deshalb seit kurzem Teil des NA-                                       Niederschlagsintensität (mm/h)
                                             DUF («Nationale Daueruntersuchung
                                             der schweizerischen Fliessgewässer»)           Abb. 1. Abflussspitzen qmax in Abhängigkeit
2 Die Untersuchungen im                      Messnetzes, das von BUWAL, BWG,                der Niederschlagsintensität über eine Dauer
                                             EAWAG und WSL gemeinsam betrie-                von 30 min in den drei Einzugsgebieten
  Alptal
                                             ben wird. Des Weiteren erlauben die            Vogelbach (A3), Lümpenenbach (A4) und
                                                                                            Erlenbach (A10) im Alptal in den Jahren
Nach mehreren fehlgeschlagenen,              Stationen Erlenbach und neuerdings
                                                                                            1987–1995 (BURCH et al. 1996: 166)
unvollständigen oder an den geologi-         auch Vogelbach die zeitlich hoch auf-
schen Rahmenbedingungen geschei-             gelöste Messung des Geschiebetrans-
terten Versuchen (z. B. in der Melera        ports (HEGG und RICKENMANN 2002).
TI oder im Roten- und Schwändlibach          Sie liefern damit die Grundlage für ein         oder CALDER et al. 2004) der mittlere
FR), ein ähnliches Untersuchungsge-          vertieftes Verständnis dieses Prozesses.        Jahresabfluss aus einem mehrheitlich
biet unter anderen geologischen Be-          Ebenfalls im Einzugsgebiet des Erlen-           bewaldeten Einzugsgebiet kleiner als
dingungen zu installieren (KELLER            bachs wurden an drei künstlich abge-            aus einem wenig bewaldeten. Ein ähn-
1985), wendete sich die Forsthydrolo-        grenzten Kleineinzugsgebieten von je            licher Zusammenhang ist aber sowohl
gie dem Alptal zu. Hier wurden in ei-        knapp 2 ha Fläche detaillierte Analysen         bei lang anhaltenden als auch bei kur-
nem ersten Anlauf ab 1967 über zehn          zu den Auswirkungen erhöhter Stick-             zen intensiven Niederschlägen nicht
Einzugsgebiete mit einfachen Messsta-        stoffeinträge durchgeführt (SCHLEPPI et         gegeben (vgl. Abb. 1). Ihre Analyse der
tionen ausgerüstet, welche allerdings        al. 2004). Diese drei Gebiete N1, N2            Messungen aus den je drei Einzugsge-
beim ersten grösseren Hochwasser zer-        und N3 sind ebenfalls in Tabelle 1 be-          bieten und Kleineinzugsgebieten zeigen
stört wurden. Aufgrund der vorliegen-        schrieben.                                      eindeutig, dass kein statistisch signifi-
den Messungen wurden drei besonders             BURCH et al. (1996) stellten die Er-         kanter Zusammenhang zwischen Be-
geeignete Einzugsgebiete ausgewählt          gebnisse zur Frage der Waldwirkung              waldungsgrad und Hochwasserabfluss-
und mit teilweise aufwendig konstru-         auf den Abfluss unter den im Alptal             spitzen besteht. Als Hauptgrund für
ierten Stationen ausgestattet, welche        herrschenden Bedingungen dar. Auch              diesen Unterschied zu den Beobach-
auch grosse Hochwasser schadlos und          hier ist wie in den meisten Gebieten            tungen von Engler vermuten BURCH et
zuverlässig erfassen können. Die wich-       der Welt (vgl. z. B. BOSCH und HEWLETT          al. (1996) die wenig speicherfähigen
tigsten Kennzahlen dieser drei Gebiete       1982; MCCULLOCH und ROBINSON 1993               Böden im Alptal.

Tab. 1. Kennwerte der hydrologischen Untersuchungsgebiete im Alptal, welche BURCH et al. (1996) für ihre Analysen verwendet haben.

Gebiets-Nummer                                A3               A4              A10                             N1                N2              N3
Gebiets-Name                                  Vogelbach        Lümpenen-       Erlenbach                       Nitrex-1          Nitrex-2        Nitrex-3
                                                               bach                                            (Wald)            (Wald)          (Wiese)
Fläche                           ha           155              93              70                              0,167             0,145           0,168
Exposition                                    ESE              ESE             W                               W                 W               W
Drainagedichte                   km/km2       ca. 8            15              27                              26                28              28
Waldanteil                       %            63               19              39                              100               100             0
Nassflächen                      %            25               24              61                                                                100
Weideanteil                      %            12               57              0                               0                 0               0
Auswertung von                                1.01.87          1.01.87         1.01.87                         1.02.94           1.02.94         1.07.94
Auswertung bis                                31.12.95         31.12.95        31.12.95                        31.12.95          31.12.95        31.12.95
Messintervall                    min          10               10              10                              10                10              10
Niederschlag/Jahr (1987–95)      mm           2200             2340            2317                            –                 –               –
Abflusskoeffizient (1987–95)                  0,73             0,87            0,79                            –                 –               –
Abflusskoeffizient (1994/95)                  0,73             0,94            0,83                            0,76              0,76            0,87
Zur Schutzwirkung des Waldes gegen Hochwasser
Forum für Wissen 2004                                                                                                                                                      17

3 Grundsätzliche Überlegun-                                           derschlag zuerst der gesamte Nieder-                            weniger Niederschlag, damit eine all-
  gen zum Einfluss des Waldes                                         schlag gespeichert wird, dann aber ein                          fällige Waldwirkung nicht mehr fest-
  auf die Abflussbildung                                              immer grösserer Teil des gesamten Nie-                          stellbar ist, als wenn die Kapazität
                                                                      derschlags zum Abfluss kommt. Darge-                            gross ist. So hat der Wald z. B. im Be-
Diese auf den ersten Blick wider-                                     stellt ist der sogenannte Abflusskoeffi-                        reich von Buchstabe «A» im linken
sprüchlichen Ergebnisse aus dem Em-                                   zient, welcher das Verhältnis zwischen                          Bild in Abbildung 2 eine beträchtliche
mental und dem Alptal sind die Folge                                  gefallenem Niederschlag und dem Ab-                             Wirkung auf den Abfluss. In diesem
der Art und Weise, wie der Wald und                                   fluss angibt. Für einen unbewaldeten                            Diagramm werden schematisch die
dabei vor allem der Waldboden die Ab-                                 Standort folgt er unter den für diese                           Verhältnisse dargestellt, die in einem
flussbildung beeinflusst. Welcher Anteil                              Figur angenommenen Bedingungen mit                              Wald erwartet werden können, der auf
eines Niederschlags während einem                                     zunehmendem Niederschlag der punk-                              einem Boden mit einem erheblichen
Hochwasser zum Abfluss kommt,                                         tierten Linie. Für einen bewaldeten                             Speichervolumen stockt. Erst bei einer
hängt vor allem davon ab, wie viel Was-                               Standort, der im Vergleich zum unbe-                            Niederschlagsmenge im Bereich des
ser im Boden gespeichert werden kann.                                 waldeten Standort aus den erwähnten                             Buchstabens «B» wird die Waldwir-
Grundsätzlich ähnlich, allerdings in viel                             Gründen über zusätzliche Speicher-                              kung tendenziell unbedeutend. Im Ge-
kleinerem Ausmass, wirkt die Interzep-                                kapazität verfügt, folgt der Abfluss-                           gensatz dazu ist bei einem Wald auf
tion. Waldböden weisen in der Regel                                   koeffizient den ausgezogenen Kurven.                            Böden mit geringen Speicherkapazitä-
bei einem einsetzenden Niederschlag-                                     Der Abflusskoeffizient des bewalde-                          ten (Abb. 2, rechts) schon im Bereich
sereignis eine grössere Wasseraufnah-                                 ten Standorts liegt bei gleichem Nie-                           von Buchstabe «C» keine massgeben-
mekapazität auf als Freilandböden.                                    derschlag stets unterhalb jenem des                             de Waldwirkung mehr vorhanden. Bei
Dies einerseits, weil sie in der Regel                                unbewaldeten Standorts. Allerdings                              gleichen     Niederschlagsverhältnissen
eine grössere Speicherkapazität aufwei-                               nimmt die Differenz mit zunehmendem                             kann somit der Wald, je nach Bodenbe-
sen (generell besserer Bodenaufbau,                                   Niederschlag immer mehr ab. Die ge-                             dingungen, eine Schutzwirkung haben
wenig Verdichtung aufgrund geringerer                                 strichelten Linien zeigen, um welchen                           oder nicht.
Bewirtschaftungsintensität). Anderer-                                 Faktor die angenommene zusätzliche                                 Da der Wald auf den Hochwasserab-
seits auch, weil die Waldvegetation                                   Speicherkapazität des Waldbodens den                            fluss je nach Ausgangsbedingungen
mehr Wasser verdunstet und damit                                      Abfluss reduziert. Der Faktor nimmt                             sehr unterschiedlich wirkt, muss dies
dem Boden rascher und aufgrund der                                    rasch ab und nähert sich asymptotisch                           differenziert und standortspezifisch be-
oft tiefreichenden Wurzeln bis in grös-                               dem Wert Null an.                                               urteilt werden. Als Grundlage für diese
sere Tiefen Wasser entzieht.                                             Wie gross der Abfluss bei einem ge-                          Betrachtung war es daher naheliegend,
   Wie in BADOUX et al. (2004a) im De-                                gebenen Niederschlag ist, hängt von                             die Waldstandortskarten einzusetzen
tail erläutert, lässt sich die Wirkung des                            der generellen Speicherkapazität des                            (vgl. BURGER et al. 1996), wobei der
Waldes auf den Abfluss stark verein-                                  Bodens inklusive einer allfälligen                              dort verwendete Schlüssel zur Anspra-
facht und schematisch anhand der Ab-                                  Waldwirkung ab (zusätzliche Speicher-                           che der hydrologischen Eigenschaften
bildung 2 erläutern. Die punktierten Li-                              kapazität des Bodens und Interzepti-                            ursprünglich gutachterlich festgelegt
nien zeigen für einen unbewaldeten                                    onsspeicher). Ist die Speicherkapazität                         und nicht mit Messungen im Feld über-
Standort, wie mit zunehmendem Nie-                                    des Bodens klein, braucht es deutlich                           prüft wurde.

                             1,0                                                                                            1,0
 Abflusskoeffizient/Faktor

                                                                                                Abflusskoeffizient/Faktor

                             0,8                                                                                            0,8

                             0,6                                                                                            0,6

                             0,4              A                             B                                               0,4   C

                             0,2                                                                                            0,2

                                                  Niederschlagsmenge                                                                      Niederschlagsmenge

                             Abflusskoeffizient ohne zusätzliche Speicherkapazität durch Wald
                             Abflusskoeffizient mit zusätzlicher Speicherkapazität durch Wald
                             Faktor um den der Abflusskoeffizient durch die zusätzliche Speicherkapazität reduziert wird

Abb. 2. Schematische Darstellung der Waldwirkung auf den Abfluss. In beiden Grafiken wird angenommen, dass der Wald zu einer Verdop-
pelung der Speicherkapazität führe. Rechts ist die Speicherkapazität des Bodens (ohne Berücksichtigung des Waldeinflusses) fünf Mal
kleiner als links. Weitere Erläuterungen vgl. Text.
18                                                                                                      Forum für Wissen 2004

4 Nach 100 Jahren wieder im                 Während im stark beschädigten Klein-         als auch normal bis stark durchlässige
  Sperbelgraben                             einzugsgebiet über 60 % der Bäume            Braunerden vorkommen, konnte ein
                                            geworfen oder gebrochen waren, wie-          breites Spektrum an hydrologischen
Eine gute Gelegenheit, diese differen-      sen im wenig beschädigten Gebiet nur         Bodeneigenschaften untersucht werden
zierte Betrachtung im Feld zu überprü-      etwa 20 % der Bäume entsprechende            (vgl. Abb. 3).
fen, ergab sich nach dem Sturm «Lo-         Schäden auf. Der Vergleich der un-              Im Rahmen des Projektes «Lothar
thar» vom Dezember 1999. Der Sturm          mittelbar benachbarten weitgehend            und Wildbach» wurde deshalb der Sper-
hatte unter anderem im Sperbelgraben        bewaldeten bzw. stark entwaldeten            belgraben waldstandortlich im Mass-
seine Spuren hinterlassen und dabei         Flächen versprach sowohl Informa-            stab 1:5000 kartiert, die zwei erwähnten
neben den angerichteten Schäden auch        tionen über die Auswirkungen der             Kleineinzugsgebiete mit je einer Ab-
eine für die Forschung geeignete Aus-       Sturmschäden als auch einen vertieften       flussmessstation ausgestattet (vgl. Abb.
gangslage geschaffen. Zwei unmittel-        Einblick in die generelle Wirkung des        4) sowie 19 sogenannte Oberflächenab-
bar benachbarte Kleineinzugsgebiete         Waldes auf den Wasserkreislauf. Weil         flussplots installiert. Diese Plots umfas-
von je etwa 2 ha Fläche wiesen nach         gleichzeitig in beiden Kleineinzugsge-       sen eine Fläche zwischen 50 und 110 m2
dem 26. Dezember 1999 einen sehr un-        bieten sowohl stark vernässte gleyige        und messen den Abfluss an der Ober-
terschiedlichen Schädigungsgrad auf.        Böden mit gehemmter Durchlässigkeit          fläche und in den obersten etwa 10 cm

                                                                                         18aF Typischer Tannen-Buchen-
                                                                                              wald, mit Wald-Schwingel
                                                                                         18d Tannen-Buchenwald mit
                                                                                              Etagenmoos
                                                                                         19   Tannen-Buchenwald mit
                                                                                              Hainsimse
                                                                                         20aP Farnreicher Tannen-Buchen-
                                                                                              wald, Ausbildung mit Pestwurz
                                                                                         20g Farnreicher Tannen-Buchen-
                                                                                              wald, Ausbildung mit Bärlauch
                                                                                         26ho Ahorn-Eschenwald mit Alpen-
                                                                                              dost
                                                                                         46a Typischer Heidelbeer-Fichten-
                                                                                              Tannenwald
                                                                                         49f Schachtelhalm-Tannenmisch-
                                                                                              wald, Ausbildung mit Esche

Abb. 3. Übersicht der beiden Kleineinzugsgebiete und deren Waldstandorttypen sowie der
Oberflächenabflussplot- und Niederschlagsmessstandorte.

Abb. 4. Abflussmessstation im beschädigten Kleineinzugsgebiet     Abb. 5. Oberflächenabflussplot P9 im wenig beschädigten Kleinein-
KEG 1.                                                            zugsgebiet.
Forum für Wissen 2004                                                                                                        19

des Profils (vgl. Abb. 5). Zudem wurden     schaften aber unterschiedlichem Schä-      zes Einzugsgebiet getan. Wie erwähnt,
jeweils in unmittelbarer Nähe und re-       digungsgrad nur teilweise und wenn         kann nur ein Teil der Abflussreaktion
präsentativ für die Plots total 18 Boden-   dann nur schwach ausgeprägt festge-        der Kleineinzugsgebiete durch die
profile gegraben und angesprochen.          stellt. Ein Grund dafür ist, dass der      Abflussbildung auf den Plots erklärt
Die hydrologischen Eigenschaften die-       Sturm zwar oberflächlich grosse Schä-      werden. Offensichtlich sind hier, wie
ser Profile wurden mit Beregnungsver-       den verursacht hat, der Boden selber       BADOUX et al. (2004b) erläutern, noch
suchen auf einer 1 m2 grossen Fläche        aber nur punktuell betroffen wurde         andere Faktoren von Bedeutung. Die
unmittelbar oberhalb des Profils er-        und sich deshalb seine Eigenschaften       dabei entscheidende Frage, wie das
fasst. Eine umfassende Beschreibung         kurzfristig kaum änderten. Ausserdem       Wasser vom Hang ins Gerinne gelangt,
des Projektes «Lothar und Wildbach»         kam sehr rasch eine Sekundärvegetati-      ist erst ansatzweise verstanden.
findet sich in HEGG et al. (2004).          on auf, welche die weggefallene Inter-        Zu beantworten sind dabei sicher
   Sowohl die Analysen der Bereg-           zeption und Verdunstung der Bäume          auch die Fragen wann und wie stark
nungsversuche (WITZIG et al. 2004) als      teilweise ersetzen konnte.                 sich die generell hohe Infiltration in
auch die Messungen auf den Oberflä-                                                    bewaldeten Gebieten effektiv hoch-
chenabflussplots (BADOUX et al. 2004b)                                                 wasserdämpfend auswirkt. Aus heuti-
zeigten je zwei unterschiedliche Mu-        5 Der aktuelle Stand des                   ger Sicht ist einzig klar, dass dies vor
ster der Abflussbildung. Diese waren          Wissens und offene Fragen                allem bei kurzen und intensiven Nie-
auf beiden betrachteten Skalenniveaus                                                  derschlägen auf tiefgründig gut durch-
jeweils ähnlich und liessen sich mit Hil-   Die Untersuchungen im Sperbelgra-          lässigen Böden von Bedeutung ist. Auf
fe der Waldstandortskarte den verschie-     ben haben die Notwendigkeit bestätigt      grundnassen Böden ist die Infiltration
denen Standorttypen klar zuordnen.          und verstärkt, die Hochwasserschutz-       durch die rasch erreichte Sättigung des
Auf den gleyigen Böden des Ahorn-           wirkung des Waldes differenziert zu        Bodens und nicht durch dessen Infil-
Eschenwaldes (26ho) und des Schach-         betrachten. Gleichzeitig konnte gezeigt    trationskapazität beschränkt, und bei
telhalm-Tannenmischwaldes (49f) tritt       werden, dass, zumindest unter den im       lang anhaltenden Niederschlägen wird
relativ rasch Sättigung ein, und ein        Sperbelgraben angetroffenen Bedin-         irgendwann auch der langsamere un-
grosser Teil des Niederschlags bildet       gungen, eine Beurteilung der mögli-        terirdische Abfluss hochwasserwirk-
Oberflächenabfluss. Die Verhältnisse        chen Waldwirkung anhand einer              sam. Einzig jenes Wasser, das im Bo-
auf diesen Flächen sind grundsätzlich       Standortskarte gemacht werden kann.        den gespeichert wird und später wieder
mit jenen im Alptal vergleichbar.           Deshalb baut die Anleitung «NAIS»          verdunstet, oder das in grosse Tiefen
   Auf den Braunerden der Tannen-Bu-        (BUWAL 2005) auf diesem Konzept            infiltriert und erst nach langen Zeiträu-
chenwälder (Standorte 18af, 18d, 19)        auf und macht Vorschläge, wie unter-       men wieder an die Oberfläche gelangt,
und des Heidelbeer-Fichten-Tannen-          schiedliche Standorte in Bezug auf ihre    trägt unter keinen Umständen zu
waldes (46a) dagegen infiltriert der        hydrologische Wirkung zu bewerten          einem Hochwasser bei.
grösste Teil des Wassers in den Boden.      sind. Ein Grossteil dieser Vorschläge         Zusammenfassend kann deshalb ge-
Einzig zu Beginn eines Niederschlages       basiert im Moment noch auf gutachter-      sagt werden, dass heute die Schutz-
wurde auf einigen Flächen teilweise         lichen Einschätzungen. Ein Mehr an         wirkung des Waldes vor Hochwasser
Oberflächenabfluss festgestellt. Dieser     Sicherheit in der Beurteilung lässt sich   grundsätzlich differenziert angegangen
wird durch die organische Auflage ver-      hier nur mittels zusätzlicher Feldunter-   werden muss. Insbesondere können je-
ursacht, welche wasserabstossend wirkt,     suchungen mit Plots und Profilen ana-      ne Waldstandorte ausgeschieden wer-
wenn sie trocken ist. Sobald sie ange-      log den Untersuchungen im Sperbel-         den, wo aufgrund der naturräumlichen
feuchtet ist, wird sie durchlässig und      graben erreichen. Für entsprechende        Voraussetzungen grundsätzlich eine
das Wasser kann in den Boden infiltrie-     Arbeiten stehen Standorte im Vorder-       Wirkung erwartet werden kann. Es ist
ren. Im Boden wird ein Teil des Was-        grund, welche einen Horizont mit           allerdings noch nicht möglich, diese in
sers gespeichert. Aufgrund der hohen        deutlich reduzierter Durchlässigkeit in    der Fläche eines Einzugsgebiets erziel-
Durchlässigkeit des Untergrundes ver-       einer Tiefe zwischen etwa 20 bis 60 cm     te Wirkung genau zu quantifizieren
sickert aber ein Grossteil des Wassers      aufweisen. Erst aufgrund derartiger        oder gar ihre Schutzwirkung für eine
rasch in grössere Tiefen, in der Regel      Untersuchungen wird es möglich sein,       Siedlung, z. B. auf dem Schwemmkegel
lange bevor Bodensättigung erreicht         quantitativ zu beurteilen, wie gross die   eines Wildbaches, zu bestimmen.
ist.                                        Hochwasserschutzwirkung ist, wenn
   Die Abflussreaktion auf der nächst-      ein derartiger Standort, auf dem nach
höheren Skalenebene, den Kleinein-          heutigem Kenntnisstand am ehesten
zugsgebieten, konnte mit den zwei           eine Wirkung des Waldes zu erwarten
erläuterten, im Hang festgestellten         ist, aufgeforstet oder ein ungünstiger
Mustern der Abflussbildung nur teil-        Waldzustand mittels gezielter Pflege-
weise erklärt werden (vgl. HEGG et al.      massnahmen in einen besseren über-
2004).                                      führt wird.
   Ein Einfluss der Sturmschäden auf           Mit dieser Beurteilung der Waldwir-
die Abflussbildung wurde in den Ver-        kung im Hang ist allerdings erst ein
gleichen von Oberflächenabflussplots        Schritt in Richtung einer korrekten Be-
mit gleichen bodenkundlichen Eigen-         wertung der Waldwirkung für ein gan-
20                                                                                                                 Forum für Wissen 2004

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  Zum Einfluss des Waldes auf die Hydrolo-         and Water Policies. The need to reconcile         – Anfänge des eidgenössischen Hochwas-
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  Rappengraben von 1915/16 bis 1926/27.           ENGLER, A., 1919: Untersuchungen über              Betrachtung. Forst und Holz. (Manu-
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  den Stand der Gewässer. Mitteilung 3:           HEGG, C.; RICKENMANN, D., 2002: Geschie-           suchswesen 1885–1985. Teil 1: Die Ge-
  Der Wasserhaushalt im Sperbel- und               betransport in Wildbächen – Erfahrungen           schichte der EAFV. Mitt. Schweiz. Anst.
  Rappengraben von 1927/28 bis 1941/42.            aus 15 Jahren zeitlich hochaufgelösten            forstl. Vers.wes. 61, 1: 3–630.
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