Jahresprogramm 2021 - Lenbachhaus

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Jahresprogramm 2021
Gruppendynamik. Der Blaue Reiter und Kollektive der Moderne
Im Rahmen des Programms "Museum Global. Sammlungen des 20. Jahrhunderts in globaler
Perspektive" der Kulturstiftung des Bundes
2018 bis 2022
Nach einer erregten, beinahe in Handgreiflichkeiten ausartenden Diskussion erklärten Wassily Kandinsky,
Franz Marc und Gabriele Münter am 2. Dezember 1911 ihren Austritt aus der Neuen Künstlervereinigung
München. Nur zwei Wochen nach dem Eklat richteten sie mit ihren Mitstreiter*innen in der Münchner
Galerie Thannhauser eine Gegenausstellung ein. Sie zeigten neben eigenen Arbeiten Werke von August
Macke, Robert Delaunay, Elisabeth Epstein, Albert Bloch, David und Wladimir Burljuk, Arnold Schönberg
und Henri Rousseau. Der Titel "Die Erste Ausstellung der Redaktion Der Blaue Reiter" nahm explizit Bezug
auf das Vorhaben des Almanach: Dieses programmatische Jahrbuch etablierte den Blauen Reiter als einen
der ersten transnationalen Künstler*innenkreise.
In zwei ineinandergreifenden Ausstellungsprojekten zeigt die Städtische Galerie im Lenbachhaus und
Kunstbau München ihre bedeutende Sammlung zur Kunst des Blauen Reiter im Dialog mit künstlerischen
Kollektiven der Moderne weltweit. Tatsächlich lässt sich ab etwa 1900 eine überraschende Fülle an
kollektiven Prozessen und Gruppenbildungen unter Künstler*innen feststellen. In Ausstellungen und
Schriften formulierten sie gemeinsame ästhetische Haltungen und ihre Absicht, geistige und gesellschaftliche
Veränderungen herbeizuführen. Die Auseinandersetzung mit den Phänomenen Kollektiv und
Gruppendynamik ermöglicht, Kategorien wie Autorschaft und künstlerische Autonomie zu diskutieren.
Kunst rückt so als Gemeinschaftsprozess und intensiv geführte Debatte ins Zentrum.
Den Künstler*innen aus dem Kreis des Blauen Reiter galt Kunst als universelle Sprache. Ihr Credo lautete:
"Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit." Gefangen in
der Zeit der kolonialen Weltordnung vor dem Ersten Weltkrieg gelang es jedoch auch ihnen nicht, eine
emanzipatorische Praxis von Kunst jenseits nationaler Zugehörigkeit sowie tradierter Hierarchien und
Gattungen umzusetzen. Trotzdem ist für das Vorhaben des Lenbachhauses der darin intendierte Gedanke
einer Gleichberechtigung jedweder Kulturproduktion grundlegend. Statt Stilgeschichte oder Ästhetiken in
einen Wettstreit der Erscheinungsformen treten zu lassen, werden in unseren Ausstellungen die
Entwicklungen von Kollektiven, ihre historischen Kontexte, ihre politischen Intentionen und konkreten
sowie zuweilen utopischen Ideen beleuchtet. Spuren kollektiver Arbeit finden sich in Manifesten,
Ausstellungen, Zeitschriften, Gemeinschaftswerken, neu gegründeten Schulen und Agitation. Der gewählte
Zeitraum von etwa 1900 bis 1970 schließt den Beginn verschiedener Modernisierungsbewegungen ein und
umfasst am Ende dieser Periode zugleich Dekolonisierungsprozesse und die Bildung neuer Nationen.
Die Gruppe lebt von Zusammenschluss und Bruch, ihre Dynamik ist unberechenbar: Gemeinsames
Arbeiten, Gespräche, Geselligkeit, Rivalität, Freundschaft, Offenheit, Inklusion, Abgrenzung, Ermüdung,
Streit, Liebe, Polemik und Enthusiasmus zeichnen sie aus. Gruppen bieten uns ein mögliches Modell, Kunst
überindividuell zu denken: Kunst entsteht nicht im luftleeren Raum, sie basiert auf Austausch und
gesellschaftlichem Leben.
Gruppendynamik – Der Blaue Reiter
Lenbachhaus, 23. März 2021 – 5. März 2023
„Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit.“
So formulierten es Franz Marc und Wassily Kandinsky 1912 in ihrem Almanach Der Blaue Reiter. Das
programmatische Jahrbuch etablierte den Blauen Reiter (ca. 1911–1914) als einen der ersten transnationalen
Künstler*innenkreise. Und dieses Credo inspiriert das Lenbachhaus, das Werk der beteiligten Künstler*innen
– unter ihnen Gabriele Münter, August Macke, Alfred Kubin, Maria Franck-Marc und Elisabeth Epstein –
nicht nur ästhetisch und historisch, sondern in seinen geistigen, sozialen sowie politischen
Zusammenhängen zu betrachten. Denn nicht nur mit Worten, sondern auch mit Bildern und Taten setzte
sich der Kreis des Blauen Reiter für ein globales, gleichberechtigtes Kunstverständnis ein. Gefangen in der
Zeit der kolonialen Weltordnung vor dem Ersten Weltkrieg gelang es allerdings auch dieser Gruppe nicht,
eine emanzipatorische Praxis von Kunst jenseits nationaler Zugehörigkeit sowie tradierter Hierarchien und
Gattungen umzusetzen.
Für die Ausstellung ist der im Almanach verfolgte Gedanke einer Gleichberechtigung jedweder
Kulturproduktion grundlegend. Die praktische Umsetzung dieser Ideen finden wir in der Bildauswahl des
Almanachs: Kunst aus unterschiedlichen Weltgegenden und Epochen steht weitgehend gleichberechtigt
nebeneinander. Im Pluralismus der Formen und Ideen liegt das moderne Moment des Blauen Reiter, das bis
heute aktuell ist. Für die Konzeption der Neupräsentation der Sammlung bedeutet dies, dass das Schaffen
der Künstler*innen des Blauen Reiter in eine möglichst weltumspannende kunst- und kulturhistorische
Erzählung eingebettet wird. Erstmals werden die vielfältigen Verbindungen, die der Blaue Reiter etwa zu
japanischen Holzschnitten, bayerischer und russischer Volkskunst, Kinderzeichnungen, zeitgenössischer
Musik sowie Kunst aus Bali, Gabun, Polynesien, Neukaledonien, Sri Lanka und Mexiko zog, in ihrer
Gesamtheit und mit präzise ausgewählten, hochkarätigen Leihgaben präsentiert. Darüber hinaus wird die
auch am Lenbachhaus bislang geläufige Rezeption des Blauen Reiter, in der „Hauptfiguren“ wie Münter,
Kandinsky, Macke und Marc weitere bedeutende Mitglieder der Gruppe (Elisabeth Epstein, Maria Franck-
Marc und viele andere) überschatten, neu gedacht und erzählt.
Das Projekt wird im Rahmen des Programms Museum Global. Sammlungen des 20. Jahrhunderts in globaler
Perspektive von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Der neuen Sammlungspräsentation des Blauen
Reiter folgt vom 19. Oktober 2021 bis 24. April 2022 eine zweite Ausstellung Gruppendynamik – Kollektive der
Moderne, die weltweit tätigen Künstler*innengruppen gewidmet ist.
Eine Ausstellung in Kooperation mit der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München
Kuratiert von Annegret Hoberg, Matthias Mühling, Anna Straetmans

Gruppendynamik – Kollektive der Moderne
Lenbachhaus, 19. Oktober 2021 – 24. April 2022
Im Rahmen des Themas Gruppendynamik finden im Lenbachhaus zwei Ausstellungen statt: Ab dem 23. März
2021 wird unsere neu eingerichtete Schausammlung zum Künstler*innenkreis des Blauen Reiter zu sehen
sein. Der Blaue Reiter mit seiner wegweisenden Utopie, die Kunst aller Völker und Zeiten gleichberechtigt
wertzuschätzen, bildet den konzeptuellen Ausgangspunkt unserer weiteren Untersuchung künstlerischer
Kollektive der Moderne.
Tatsächlich lässt sich ab etwa 1900 eine überraschende Fülle an gemeinschaftlichen Prozessen sowie
Gruppenbildungen unter Künstler*innen feststellen. Kulturhistorisch ist dies ein bisher nur fragmentarisch
untersuchtes Feld. Die Ausstellung Gruppendynamik – Kollektive der Moderne nimmt den Einfluss von
Künstler*innengruppen auf die Kunstentwicklung in den Blick. Statt Ästhetiken in einen Wettstreit der
Erscheinungsformen treten zu lassen, beleuchten wir in unserer Ausstellung die historischen
Voraussetzungen von Kollektiven, ihre politischen Intentionen und ihre konkreten sowie zuweilen
utopischen Ideen. Die Allgegenwart ähnlicher geschichtlicher Strukturen und gemeinschaftlicher Strategien
an unterschiedlichen Orten unterstreicht die wichtige Funktion von Kollektiven bei der Konstituierung und
Kommunikation zentraler Ideen und Neuerungen – nicht nur innerhalb der künstlerischen Moderne.
Die Ausstellung widmet sich exemplarisch Gruppierungen an verschiedenen Orten der Welt, Bewegungen
und Diskursen, die innerhalb ihrer spezifischen kunsthistorischen Erzählungen längst etabliert, andernorts
jedoch weitgehend unbekannt sind. Herausgearbeitet werden die jeweiligen Motivationen dieser Kollektive,
ihre spezifischen Arbeits- und Ausdrucksformen, die sozialen und politischen Kontexte, innerhalb derer sie
sich formierten, sowie der Einfluss, den diese Bewegungen auf die weitere Entwicklung der Kunst in ihrer
Zeit und an ihrem jeweiligen Ort nahmen. Die Auseinandersetzung mit gruppendynamischen Prozessen
und kollektiven Arbeitsformen erlaubt auch eine kritische Beschäftigung mit herkömmlichen Kategorien wie
Autorschaft, Autonomie und kanonischer Ästhetik.
Der in der Ausstellung betrachtete Zeitraum – von etwa 1900 bis 1970 – erstreckt sich vom Beginn
verschiedener internationaler Modernisierungsbewegungen bis in eine Zeit der Dekolonisierungsprozesse
und der Bildung neuer Nationen. Diese wurden oft von der Herausbildung neuer Kunstschulen und -
gruppen begleitet. Wir richten einen genaueren Blick auf internationale Künstler*innengruppen unter
anderem aus Buenos Aires, Delhi, Tokio, Lahore, Casablanca, São Paulo, Khartum und Peking.
Ein internationales Symposium mit ausgewiesenen Expert*innen wie Samina Iqbal & Zehra Jumabhoy, Carol
Yinghua Lu, Morad Montazami, Harper Montgomery, Noriko Murai, Teresa Riccardi, Lena Naumann, Nada
Shabout und Aihe Wang – das wegen des Coronavirus 2020 im digitalen Raum stattfand – bereitete im
Vorfeld die Inhalte der Ausstellung mit vor.
Kuratiert von Karin Althaus, Susanne Böller, Elisabeth Giers, Sarah Louisa Henn, Eva Huttenlauch, Matthias
Mühling, Stephanie Weber

Michaela Eichwald
1. Dezember 2020 – 16. Mai 2021
Kunstbau
In ihrer ersten musealen Einzelausstellung in Deutschland präsentiert die in Berlin lebende Künstlerin und
Autorin Michaela Eichwald (*1967) neue Gemälde. Das Lenbachhaus hat in den vergangenen Jahren mehrere
Arbeiten Eichwalds erwerben können, die im Rahmen der Ausstellung erstmals zu sehen sein werden. Für
ihre Malereien verwendet Eichwald häufig unkonventionelles Trägermaterial wie Kunstleder oder
Autositzbezüge. Collagierte Fotos ihrer eigenen Werke sowie gefundenes Material tauchen neben kurzen
Texten, Aphorismen oder Kalauern auf. Das Ineinandergreifen ihres im Köln der 1980er und 1990er Jahre
geschulten Wortwitzes und einem breit gefächerten malerischen Vokabular machen Eichwalds Werke
unverkennbar.
Michaela Eichwald ist 1967 im Oberbergischen Kreis/NRW geboren und studierte ab 1987 in Köln
Philosophie, Geschichte, Kunstgeschichte und deutsche Philologie. Erste Textveröffentlichung 1989, erste
Einzelausstellung 1997 bei Daniel Buchholz, Köln. Ab 2006 Erzeugung des zur Zeit ruhenden Weblogs
Uhutrust: Beiträge zum Geschehen in Text und Bild. Seit 2008 arbeitet sie in Berlin, hauptsächlich an Malerei,
gelegentlich Skulptur, durchgängig Fotos.
Eine Kooperation mit der Kunsthalle Basel
Kuratiert von Matthias Mühling und Stephanie Weber

Unter freiem Himmel
Unterwegs mit Wassily Kandinsky und Gabriele Münter
13. Oktober 2020 bis 6. Juni 2021
Lenbachhaus
Wassily Kandinsky und Gabriele Münter – wir kennen sie als zentrale Figuren der Künstlerformation Der
Blaue Reiter. Bereits vor dieser Zeit verband die beiden eine enge künstlerische und private Beziehung. Die
Ausstellung widmet sich erstmals ihren gemeinsamen Wegen in den Jahren von 1902 bis 1908. Auf
zahlreichen Reisen schuf das Paar kleine Malereien und Fotografien: Unter freiem Himmel und mit leichtem
Gepäck. Etwa in Kallmünz, Rotterdam, Tunis, Rapallo und Paris entstanden Ölskizzen und Fotografien
direkt vor den Motiven.
Nachdem Münter sich 1901 in der Münchner Phalanx-Schule zum Kunststudium angemeldet hatte, nahm sie
auf Einladung des dort lehrenden Kandinsky am Sommeraufenthalt seiner Klasse 1902 in Kochel teil.
Unterwegs mit Kamera, Paletten, kleinen Malpappen, zusammengefalteter Staffelei und verschließbaren
Farbtuben, fuhren sie mit dem Fahrrad durch die Landschaften des Voralpenlandes. Nach den ersten
gemeinsamen Wochen in Kochel verbrachten sie auch den zweiten Malsommer der Klasse Kandinskys 1903
in Kallmünz, nun als Paar.
Hier entwickelten sie ein erkennbar aufeinander bezogenes künstlerisches Arbeiten, das sie auch in den
nächsten Jahren während ihrer gemeinsamen Reisen fortführen sollten. Sie näherten sich demselben Motiv,
nutzen dabei verschiedene Techniken, verwendeten unterwegs entstandene Fotografien als Vorlage für
Zeichnungen, Holzschnitte und Gemälde und diskutierten über individuelle künstlerische
Weiterentwicklungen.
Die Anfänge dieses partnerschaftlichen Vorgehens zeigt zum Beispiel Münters Ölskizze Kandinsky beim
Landschaftsmalen, die sie im Sommer 1903 in Kallmünz anfertigte. Ihr Kompagnon sitzt auf dem Burgberg
von Kallmünz und malt. Zeitgleich fotografiert sie dasselbe Motiv. Die Skizzenbücher Kandinskys wiederum
zeigen, welche Impressionen der Kallmünzer Landschaft sich ihm in diesem Augenblick boten.
Ab 1904 begab sich das Paar, unterbrochen von kurzen Aufenthalten in München (Kandinsky) oder dem
Rheinland (Münter), bis 1908 auf Reisen. Mobilität bestimmte ihr Privatleben sowie ihre künstlerische Arbeit.
Sie widmeten sich Landschaften und Architekturen der zumeist von Kandinsky ausgesuchten Zielorte. In
ihrer Arbeitsweise zeigt sich der Einfluss des Impressionismus: Der Pinsel wurde kaum genutzt und die
Farbe nahezu ungemischt mit dem Palettenmesser aufgetragen. Die Formate sind klein und intim, der
Einsatz der Farbe stand im Mittelpunkt ihres Interesses. Seltsam unberührt von der sozialen Realität der
Welt orientierten sich ihre Arbeiten an der Erscheinung der Oberflächen.
Neben den Ölskizzen entstanden viele Fotografien, die insbesondere Münter anfertigte, die ihre Kodak-
Rollfilmkamera stets bei sich trug. Hier zeigt sich der Gestaltungswille einer Malerin, deren Fotografien
heute für uns nicht mehr nur einen dokumentarischen und privaten Wert besitzen. Es sind Fotos, deren
künstlerischer Blick uns in Erstaunen versetzt. Die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der fotografischen
und gemalten Bilder zeigen uns die Fragestellungen eines modernen Künstlerpaares. Ihre Suche nach einer
zeitgenössischen Ästhetik in der Malerei ist antiakademisch und impressionistisch – ob in Kallmünz oder
Karthago. Nach vier Jahren endete diese Suche, nach einem ganzen Jahr in Paris 1906/1907 kehrten sie nach
Deutschland zurück, verbrachten den Winter in Berlin, das Frühjahr in Südtirol, bevor sie im Frühsommer
1908 den Entschluss fassten, das unstete und sozial reduzierte Wanderleben zu beenden und sich wieder
dauerhaft in München niederzulassen. Mit diesem Augenblick endet die Ausstellung, welche die besondere
künstlerische Nähe Kandinskys und Münters in den frühen gemeinsamen Jahren von 1902 bis 1908
herausstellt.
Eine Kooperation des Lenbachhauses mit der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung
Kuratiert von Matthias Mühling und Sarah Louisa Henn

Die Sonne um Mitternacht schauen
Gegenwartskunst aus dem Lenbachhaus und der KiCo Stiftung
29. September 2020 – 1. August 2021
Lenbachhaus
Mit Werken von Monica Bonvicini, Candice Breitz, AA Bronson, VALIE EXPORT, Isa Genzken, Flaka Haliti, Barbara
Hammann, Judith Hopf, General Idea, Annette Kelm, Barbara Klemm, Eva Kot'átková, Maria Lassnig, Michaela
Melián, Senga Nengudi, Helga Paris, Friederike Pezold, Tejal Shah, Cindy Sherman, Katharina Sieverding,
Rosemarie Trockel
Die Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München präsentiert Werke der Gegenwartskunst, die
seit 1958 bis heute entstanden sind. Das früheste Werk ist ein Gemälde von Maria Lassnig, die in den 1950er
Jahren eine gegenstandslose Malerei verfolgte. Mit ihrer körperbetonten Gestik nahm sie Entwicklungen des
Abstrakten Expressionismus vorweg. Später schrieb sie Kunstgeschichte durch die Einführung der
„Körperbewusstseinsmalerei“, mit der sie ihren eigenen Körper und Geschlechterfragen auf der Leinwand
thematisierte. Seit den 1960er Jahren sind VALIE EXPORT und Friederike Pezold im feministischen Kunst-
Diskurs aktiv und sind bekannt für ihre radikalen Performances, Videos und Fotografien. Meist stellten sie
sich selbst in den Fokus und bezogen die Öffentlichkeit in Debatten über den weiblichen Körper und den
männlichen Blick ein. Das Lenbachhaus hat früh feministische Positionen in Ausstellungen gezeigt und für
die Sammlung erworben. Fragen von Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und deren Verhältnis
zueinander beschäftigten in den 1970er Jahren die Künstler des kanadischen Kollektivs General Idea, zu dem
AA Bronson gehörte; später war die AIDS-Krise zentrales Thema ihrer Kunst. Die Fotografinnen Barbara
Klemm und Helga Paris dokumentieren seit den 1960er/70er Jahren die sich wandelnde politische und
soziale Wirklichkeit im geteilten Deutschland, deren Protagonisten persönliche und gesellschaftliche
Identitäten, Feminismus und Emanzipation sowie das Leben in Familien und Nachbarschaften sind. Sehr
persönlich und auf sich bezogen, aber immer das Gesellschaftliche im Blick, geht die Fotografin Cindy
Sherman mit dem Thema ihres Körpers, Geschlechterfragen, der Konstruktion von Identität und dem für sie
damit verbundenen Schrecken um. Eine junge Position zum Thema Identitätsbildung, Humanität und
Sexualität vertritt Tejal Shah, deren hier gezeigtes Werk erstmals bei der documenta 13 im Jahr 2012 zu sehen
war.
Der Titel „Die Sonne um Mitternacht schauen“ ist einem Werkzyklus von Katharina Sieverding entliehen.
Die Fotografin begann 1975 mit dem Großformat zu arbeiten und war damit als Frau im Kunstbetrieb lange
eine Ausnahmeerscheinung. Ihrer Zeit voraus war sie auch mit ihren Bildthemen, in denen sie das große
Ganze in den Blick nimmt: Politik, deutsche Geschichte, Geschlechteridentität und die Macht des Bildes in
der digitalen Zeit. Der Titel bleibt enigmatisch und ruft dennoch klar vor Augen, dass Dinge und Themen
aus der einen Sicht im Dunkeln verborgen liegen, aus der anderen hingegen hell und klar aufscheinen.
Scheint die Sonne auf der einen Erdhalbkugel, ist sie auf der anderen nicht zu sehen; und doch existiert sie
zu jeder Zeit und ist die Grundvoraussetzung allen Lebens auf der Erde. Zu diesem Leben gehören Fragen
und Konflikte, die die Bedingungen für das Zusammenleben einzelner Menschen, ganzer Gesellschaften
sowie das Bestehen globaler Zusammenhänge betreffen. Diesen Bedingungen liegen Ungleichgewichte in
Machtausübung, Sprachhoheit und Rollenwahrnehmung zugrunde, die in den hier ausgestellten
Kunstwerken behandelt werden.
Unsere Ausstellung versammelt unter anderem erstmals zu sehende Neuerwerbungen und Schenkungen der
letzten Jahre – vor allem auch Werke der KiCo Stiftung, die das Lenbachhaus seit über 20 Jahren im Bereich
der Gegenwartskunst unterstützt.
Kuratiert von Eva Huttenlauch und Matthias Mühling

Das Malerische
Die Kunst, die richtige Farbe auf den richtigen Fleck zu setzen
Bis Ende 2021
Lenbachhaus
„Der Satz, dass die gutgemalte Rübe besser sei, als die schlechtgemalte Madonna, gehört bereits zum eisernen Bestand
der modernen Ästhetik. Aber der Satz ist falsch; er müsste lauten: Die gutgemalte Rübe ist ebenso gut wie die
gutgemalte Madonna.“ Dieses Zitat Max Liebermanns (1916) ist Ausgangspunkt für eine Ausstellung im
Lenbachhaus, die untersucht, was und vor allem wie die Künstlerinnen und Künstler im 19. und frühen 20.
Jahrhundert gemalt haben. Die Präsentation widmet sich der Frage, was „gut gemalt“ bedeutet, und
untersucht verschiedene Aspekte des Malerischen.
Dazu gehören beispielsweise das Tempo beim Malen, das Glück des Anfängers, Zuschreibungsfragen,
Farbverbote und die Suche nach einer reinen Malerei: So schuf Lovis Corinth in nur drei Tagen einen riesigen
gemalten Blumenstrauß als Geburtstagsgeschenk für seine Frau. Als Franz von Stuck begann, mit Ölfarben
zu experimentieren, notierte er auf der Vorderseite des gelungenen Bildes stolz „mein erstes Ölgemälde“ –
für sich wie für die Nachwelt. Ein virtuos hingeworfenes, unsigniertes Frauenporträt könnte sowohl von
Wilhelm Busch wie von Franz von Lenbach stammen, die beide in jungen Jahren sehr ähnlich malten. Wer
denkt, dass Landschaftsmaler doch ein ganz besonderes Faible für die Farbe „Grün“ haben müssten, wird
sich darüber wundern, dass reines Grün aus der Tube als „Spinat“ verspottet wurde. Wilhelm Leibl
schließlich interessierte nur das „Wie“, nicht das „Was“; Leibls Streben nach dem „Reinmalerischen“
inspirierte seinen Kollegen Carl Schuch zu einem radikal vereinfachten Stillleben mit Lauch.
Kuratiert von Karin Althaus
Münter-Haus Murnau
Zu Gast bei Gabriele Münter
Das Münter-Haus als Ort der Begegnung
bis Sommer 2022
Das Münter-Haus in Murnau ist bekannt als ein Geburtsort der Klassischen Moderne. Zwischen 1909, dem
Jahr des Hauserwerbs, und 1914 hielten sich Gabriele Münter und Wassily Kandinsky wiederholt für längere
Zeitspannen dort auf. In Murnau fand Münter zu einer neuen Bildsprache und Kandinsky vollzog anhand
der Landschaftsmotive den Schritt zur Abstraktion.
Häufig waren auch Künstlerkolleg*innen zu Gast. Im Herbst 1911 fanden im Münter-Haus beispielsweise die
Redaktionssitzungen zum heute berühmten Almanach Der Blaue Reiter statt, zu denen Kandinsky Franz
Marc und Maria Franck-Marc sowie August und Elisabeth Macke einlud. Nach dem Ersten Weltkrieg, als
Münter 1920 aus Skandinavien zurückkehrte, wurde das Murnauer Haus für sie zu einem wichtigen
Rückzugsort, obwohl ihr Lebensmittelpunkt zunächst nicht dort lag. Erst ab 1931 lebte die Künstlerin
dauerhaft in ihrem Haus in Murnau. Ein paar Jahre später zog auch ihr Lebensgefährte Johannes Eichner
dort ein.
Die neue Präsentation, die alle Räumlichkeiten umfasst, stellt das Münter-Haus als lebendigen Treffpunkt
nicht nur vor dem Ersten Weltkrieg, sondern auch in den darauffolgenden Jahrzehnten vor. Eine Auswahl
von 13 neuen Gemälden – darunter acht erstmalig ausgestellt – und Fotografien Münters aus verschiedenen
Zeiten rückt das Haus als Ort des künstlerischen Schaffens, der Begegnung und des Austausches in den
Vordergrund.
Mit einer neuen Arbeit der Münchner Künstlerin Caro Jost findet erstmals auch die Gegenwartskunst
Eingang in das Münter-Haus. Ein Zeichen dafür, dass die vielschichtigen Begegnungen von Künstlerinnen
und Künstlern im Münter-Haus nicht mit der Lebensspanne von Gabriele Münter enden.
Kuratiert von Isabelle Jansen und Matthias Mühling

Mouse on Mars
11. Juni – 12. Oktober 2020
Kunstbau
9. September Konzert Ampere / Muffathalle
Mouse on Mars gilt als eines der eigenwilligsten und bemerkenswertesten Projekte für elektronische Musik
in Deutschland. Mit ihrer anarchischen Klangmischung, die zwischen unkontrolliertem Chaos und präzise
arrangierten Strukturen oszilliert, haben Jan Werner und Andi Toma eine unverwechselbare Musiksprache
geschaffen, die sich durch die Unvorhersehbarkeit unzähliger Veränderungen wiederum leicht zersetzen
lässt. Frei von Denkschulen, Genre-Konventionen und den Zwängen des Musik-Establishments arbeiten sie
seit 25 Jahren unter dem Namen Mouse on Mars und zeichnen ihre sehr spezifische Flugbahn durch ein
Niemandsland zwischen Pop, Kunst, Club und Musik-Avantgarde.
www.mouseonmars.com
Für den Kunstbau des Lenbachhauses entwickeln Mouse on Mars eigens eine Sound-Installation, die sich mit
dem Raum und seiner Architektur sowie der Wahrnehmung von Klang im Raum auseinandersetzt.
Kuratiert von Eva Huttenlauch

Jeppe Hein
Raum in Bewegung. Bewegung im Raum
17. Juli – 3. Oktober 2020
Vorplatz des Museums
Jeppe Heins Wasserpavillon reagiert sensorisch auf Passanten. Beim Herantreten an die runde Wasserwand
wird ein Teil des Wasserstroms unterbrochen, so dass man den Wasserpavillon betreten kann. Im Inneren
angelangt, schließt sich die Wand und der Besucher ist vom Geschehen des Platzes und der Straßen
abgeschirmt. Die individuelle Wahrnehmung des Ortes verändert sich in unerwarteter Weise.
Das Verhältnis des Individuums zu seiner Umwelt und die psychologische Reaktion auf räumliche
Veränderungen stehen im Zentrum künstlerischer Praxis des dänischen Künstlers Jeppe Hein (geb. 1974).
Mit interaktiven Konstruktionen, die den Bereich der Kunst hin zur Architektur erweitern, experimentiert er
mit den variablen Grenzen zwischen räumlichen und gesellschaftlichen Parametern wie Innen und Außen,
Privat und Öffentlich, Integration und Ausgrenzung. Obwohl Hein sich mit der formalen Ökonomie seiner
Installationen durchaus auf Aspekte minimalistischer Skulptur bezieht, geht es ihm nicht allein um formale
Repräsentation, sondern auch um das Herstellen eines umfassenden Environments, in dem Funktionalismus
und Design unmittelbar mit der räumlichen Erfahrung des Betrachters zusammenfließen.
Heins interaktiver Wasserpavillon „Raum in Bewegung / Bewegung im Raum“ wurde im Jahr 2002 mit Hilfe
der Jubiläumsstiftung der Deutschen Bank AG angekauft und wird nun 2020 im Rahmen der
Sammlungspräsentation wieder installiert.
Kuratiert von Elisabeth Giers und Matthias Mühling
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