Musikstunde Partitur des Lichts - Tiepolos Bilderwelten (2) - Von Doris Blaich

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Musikstunde
Partitur des Lichts – Tiepolos Bilderwelten (2)

Von Doris Blaich

Sendung:    29. Juni 2021 (Erstsendung: 15. Oktober 2019)
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: SWR2 2019
… mit Doris Blaich, guten Morgen. Die Bilderwelten von Giovanni Battista Tiepolo sind unser
Thema in dieser Woche. [Demnächst ist sein 250. Todestag, die Staatsgalerie Stuttgart
widmet ihm gerade eine Ausstellung.]

Hier geht’s los in Venedig, mit einer Regatta am Canale Grande.

Schöner feiern in Venedig – seine Spitzenposition als See- und Handelsmacht hat Venedig
im 18. Jahrhundert längst eingebüßt. Aber dafür ist und bleibt es eine Hauptstadt der Kultur
und der prunkvollen Feste. Die Stadtrepublik Venedig mit dem selbstbewussten Beinamen
„La Serenissima“, die Allerdurchlauchtigste, feiert mit diesen perfekt durchgestylten Events
zuallererst sich selbst. Und sie hat dafür ja auch die schönste Kulisse, die man sich nur
denken kann: jedes Fest wird gleich doppelt so prächtig, wenn abends die Lichter der
Lampions und Feuerwerke im Wasser reflektieren.

Auch hohen Besuch versucht man mit solchen Reizen zu überwältigen: Für Könige und hohe
Adlige veranstaltet man gerne eine Regatta auf dem Canale Grande. Stufe eins: Die Palazzi
am Ufer werden mit kostbaren bunten Stoffen geschmückt, sodass das Wasser in allen
Farben glänzt und glitzert. Dann lässt man große Prunkboote durchs Wasser stolzieren, die
wie ein fahrendes Kino ganze Szenen aus der Mythologie und Geschichte darstellen. Mit
eigens angefertigten Statuen und Kulissen, inklusive Drachen, Seepferdchen und
Meeresungeheuern. Und zuletzt fahren kleine Ruderboote um die Wette so geschickt und
wendig, dass Zuschauern der Atem stockt. Zum Schluss: Pompöse Siegerehrung auf einer
schwimmenden Bühne; Flaggengewirbel, Fanfaren und großer Jubel für die vier Schnellsten.
Eine Mischung aus Olympiade und großem Theater.

Und es gibt Dessert: manche der Prachtskulpturen sind aus Zucker hergestellt. Sie werden
nach der Show zertrümmert und ans Volk verteilt; das hat natürlich direkte Auswirkungen auf
den Beliebtheitsgrad dessen, der sich hier feiern lässt.
Mit der Inszenierung dieser Shows beauftragt man Profis vom Theater, Bildhauer und Maler.
Und einer von ihnen (jetzt sind wir beim Thema) ist Giovanni Battista Tiepolo.

Natürlich gibt es bei diesen Festen auch Musik – leider sind die meisten zeitgenössischen
Quellen wenig konkret; und wenn, dann gibt es von den entsprechenden Stücken entweder
keine Noten mehr oder keine Aufnahmen. Immer dabei aber: mindestens zwei Trompeten.
Deshalb jetzt hier zum Einstieg das Allegro aus dem Doppelkonzert für zwei Trompeten und
Orchester D-Dur von Antonio Vivaldi.
M0041231-012                                                                            2‘29
Antonio Vivaldi:
1. Satz aus Konzert für 2 Trompeten D-Dur RV 781
Crispian Steele-Perkins und James Ghigi (Trompeten)
The King’s Consort
Leitung: Robert King

Antonio Vivaldi: der erste Satz aus dem Doppelkonzert für zwei Trompeten und Orchester D-
Dur RV 781, gespielt von Crispian Steele-Perkins und James Ghigi an den Trompeten und
dem King’s Consort; Leitung: Robert King.

Wir sind im Jahr 1736: Lorenzo Tiepolo kommt zur Welt, der zweite Sohn von Giovanni
Battista Tiepolo und seiner Frau Cecilia. Lorenzo wächst auf zwischen Pinseln, Farbtöpfen
und Staffeleien und wird wie sein großer Bruder Giandomenico beim Vater das
Malerhandwerk lernen. Sie mischen Farben, bauen Rahmen, spannen Leinwände und malen
selbst mit – vorerst noch nicht die wichtigen Szenen, die macht immer noch der Vater, aber
den Hintergrund und das eine oder andere Detail.

Tiepolo ist inzwischen ein Künstler von europäischem Rang. Es hat sich herumgesprochen,
dass seine Bilder und Fresken das gewisse Etwas haben: einen Überraschungseffekt; eine
Perspektive zum Staunen oder ein Detail zum Schmunzeln. Die reichen Auftraggeber stehen
Schlange vor seiner Werkstatt. Der schwedische König schickt als Kunstbotschafter den
Grafen Carl Gustav von Tessin. Er will Tiepolo für ein Deckenfresko im Königspalast von
Stockholm gewinnen. In einem Brief schwärmt Tessin: Tiepolo ist „sehr geistreich (…), von
grenzenlosem Einfallsreichtum, blendendem Farbgespür, und er arbeitet in unglaublich
kurzer Zeit“. Trotzdem scheitert der Auftrag – Tiepolos Preis ist dem schwedischen König zu
happig. Immerhin einige venezianische Bilder nimmt Tessin mit nach Schweden. Zwei davon
von Tiepolo: die blutrünstige Skizze der Enthauptung von Johannes dem Täufer (die haben
wir gestern hier angeschaut), und ein kleines Leinwandbild, ungefähr so groß wie ein
Backblech, mit einer Szene aus der griechischen Mythologie: Jupiter und Danae.
Der römische Dichter Ovid erzählt die Geschichte in seinen Metamorphosen: Danaes Vater
hat von einem Orakel erfahren, dass sein eigener Enkel ihn einmal töten werde. Danae ist
sein einziges Kind ¬ und zum Glück noch Jungfrau. Also sperrt er sie in einen Turm, striktes
Männerverbot. Was Göttervater Jupiter, den alten Lüstling, natürlich erst recht anstachelt. Er
nähert sich Danae in Form eines Goldregens, schwängert sie und das Unglück nimmt seinen
Lauf.

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Tiepolos Jupiter ist ein ziemlich verwahrloster, faltiger alter Mann – hakennasig, mit
graubraun verfilztem Bart, kauernd auf einer noch graueren Wolke, die eher nach Regen
aussieht als nach Gold. Seine Hockstellung lässt einen lädierten Rücken assoziieren, und
bestimmt hat er Mundgeruch. Danae, eine dunkelgelockte Schönheit mit üppigen
Rundungen und makellos straffer Haut, wendet sich gelangweilt ab. Sie scheint sich auch
nicht zu interessieren für die paar Goldmünzen, die ihr Jupiter wie Konfetti zwischen die
Beine wirft. Stattdessen blinzelt Danae aus dem halb geöffneten Augenlid dem Betrachter zu
und sie scheint ihn mit einer winzigen Geste ihres kleinen Fingers herzuwinken. Diese Hand
ist überraschend groß und bräunlich im Vergleich zum sonstigen perlmuttfarbenen Körper.
Eher die Hand eines hart arbeitenden Mannes als die einer untätigen Prinzessin. Womöglich
hat Tiepolo hier seine eigene Hand gemalt?
In den Gesichtszügen der Danae wollen Kunsthistoriker jedenfalls Ähnlichkeiten mit Tiepolos
eigenem Gesicht erkennen. Und dann hätte dieses Gemälde vielleicht sogar einen direkten
Bezug auf die Situation mit dem Schwedischen König: auch der flirtet mit der Schönheit
(nämlich mit Tiepolos Malerei), zeigt sich aber in der Bezahlung viel zu knickrig, sodass die
Schönheit sich eben nach besseren Gelegenheiten umschaut.
In der Musikgeschichte ist der Danae-Mythos nicht ganz so beliebt wie in der bildenden
Kunst. Einer der wenigen, die den Stoff vertont haben, ist Jacques Ibert. Hier ist die Danae-
Szene aus seiner Ballettmusik „Die Liebschaften des Jupiter“, 1945 komponiert.

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Jacques Ibert:
Jupiter und Danae aus „Les amours de Jupiter“
Nationales Sinfonieorchester Estland
Leitung: Neeme Järvi
Bild: Danae (1736) Universitet Konsthistoriska Institutionen, Stockholm

Jupiter und Danae aus dem Ballett „Die Liebschaften des Jupiter“ von Jacques Ibert. Neeme
Järvi dirigierte das Nationale Sinfonieorchester Estland.

1736 hat Tiepolo das Sujet mit Witz und Ironie auf eine kleine Leinwand gemalt. Jetzt
kommen die großen Formate: 12 Meter auf 4,50 groß ist ein Fresko in der Jesuitenkirche
Santa Maria del Rosario in Venedig, das Maria und das Rosenkranzgebet zeigt. Tiepolos
erstes Deckenfresko für eine Kirche, etliche weitere Fresken folgen, und zwar in
Höchstgeschwindigkeit (was ja ein großer Vorteil ist für diese Maltechnik, bei der die Farbe
direkt auf den noch feuchten Putz aufgetragen wird – wer da zu lange zögert, hat schon
verloren!)

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1738 ist ein Rekord-Freskenjahr für Tiepolo: 40 Fresken unterschiedlicher Größe innerhalb
von 12 Monaten! Natürlich mit einem großen Mitarbeiterstab: mindestens 10 Maler sind in
seiner Werkstatt beschäftigt. Kurz darauf stattet er dann den Palazzo Clerici in Mailand mit
wunderbaren Fresken aus: Der Lauf des Sonnenwagens, den Apollon durch die Welt lenkt –
eines dieser Bilder, die man am liebsten stundenlang anschauen würde, weil man immer
wieder neue Details entdeckt und weil die Partitur des Lichts so meisterhaft aufgefächert ist.
Hier tauchen schon die wesentlichen Elemente auf, die uns dann rund 10 Jahre später im
Treppenhaus der Würzburger Residenz wiederbegegnen: Apollon im Lichtkranz, jede Menge
anderer Götter, die Kontinente. Aber dazu morgen mehr!

Jetzt schauen wir erst mal auf ein Ölgemälde, das auch die Tiepolo-Ausstellung der
Staatsgalerie Stuttgart zeigt: Rinaldo und Armida. Er: Kreuzritter, sie: Zauberin, grundböse
eigentlich, aber die Begegnung mit Rinaldo hat ihr Herz umgekrempelt; zum ersten Mal in
ihrem Leben kann sie aufrichtig lieben. Die Liebe währt nicht lang, Rinaldo verlässt Armida,
weil er ja im Kreuzzug kämpfen muss. Die beiden Figuren stammen aus Torquato Tassos
Epos „Das befreite Jerusalem“.

Tassos Episode von Rinaldo und Armida hat viele Komponisten inspiriert zu Opern und
Kantaten – darunter Sigismund Martin Gajarek. Ein Komponist, der praktisch völlig in
Vergessenheit geraten ist. Er stammt aus Dalmatien, gelangte 1716 als Organist an den
Markgräflichen Hof von Bayreuth und stieg dort fünf Jahre später zum Hofkapellmeister auf.
Bis zu seinem frühen Tod mit Anfang 30 blieb er in diesem Amt. Die Kantate „Armida
disperata“ (Die verzweifelte Armida), ist eines seiner wenigen erhaltenen Werke. Die Musik
malt das Psychogramm eines gebrochenen Herzens. Armida wurde gerade eben von
Rinaldo verlassen. Sie kann es kaum fassen, dass sie trotz dieses riesigen Schmerzes noch
lebt und atmet. Das Rezitativ zu Beginn zeichnet ihre emotionale Verwirrung ganz plastisch
nach – es ist harmonisch vollkommen labil, beim Hören wird man fast seekrank und verliert
ständig den Bezugspunkt. Es folgt eine Wut-Arie, Armida ruft die Furien zu Hilfe, um ihren
Hass auf den untreuen Rinaldo noch aufzuputschen. Diana Haller, die Mezzo-Sopranistin in
unserer Aufnahme hat im Da-Capo-Teil, wenn sich der Anfang nochmal wiederholt, noch ein
paar extra Registersprünge eingebaut; mit dem eindrucksvollen Ambitus ihrer Stimme wirkt
der seelische Abgrund Armidas umso krasser.

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M0571632      01-004- 005                                                              6‘09
Sigismund Gajarek:
Armida disperata. Kantate für Sopran,
Streicher und Basso continuo
Diana Haller (Sopran)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler

Ein kurzer Zwischenstopp in der Kantate „Armida disperata“ von Sigismund Gajarek. Die
handschriftlichen Noten davon liegen in Schwerin, aber aufgeführt hat die Kantate noch
keiner. Warum? Weil sie unvollständig überliefert ist. Die zweite der beiden Arien bricht
mittendrin ab, nach 41 Takten. Unbekannter Komponist, torsohafte Noten, das ist
wahrscheinlich für viele Interpreten dann doch ein zu großes Wagnis. Wir haben die Kantate
für SWR2 zum ersten Mal aufgenommen, der Cembalist Philippe Grisvard hat die fehlenden
Takte dafür rekonstruiert. Sie ist grade auf CD erschienen in Kooperation mit der
Staatsgalerie Stuttgart, die die Musik auch für den Audioguide ihrer Tiepolo-Ausstellung
verwendet.

Hören wir die Kantate der verzweifelten Armida zu Ende: noch ein Rezitativ, in dem Armida
all ihre glücklichen Erinnerungen verbannt und nur noch ihren Hunger nach Rache füttern
will. Wutschnaubend schwört sie in der nächsten Arie, dass sie Rinaldos Brust, Herz und
Seele in Stücke reißen wird. Die prasselnden Sechzehntel-Wiederholungen im Orchester
schildern ihren Zorn: Armida meint es ernst!

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Sigismund Gajarek:
Armida disperata. Kantate für Sopran, Streicher und Basso continuo
Diana Haller (Sopran)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler
[Bild in der Ausstellung: Giovanni Battista Tiepolo, Rinaldo verlässt Armida, um 1752, Öl auf
Leinwand, 106 x 140 cm, Residenz Würzburg © Bayerische Schlösserverwaltung]

Sigismund Martin Gajarek: Armida Disperata. Diana Haller sang, Johannes Pramsohler
leitete von der ersten Geige aus das Ensemble Diderot. Giovanni Battista Tiepolo, unser
Maler der Woche hier in der SWR2 Musikstunde, hat Armidas unglückliche Liebesgeschichte
mehrmals auf Lein- und Zimmerwände gebannt. [Das Bild, das momentan in der

                                                                                              6
Staatsgalerie zu sehen ist, finden Sie übrigens auch auf unserer Website unter
swr2.de/tiepolo.]

Italien ist Mitte des 18. Jahrhundert der Tonangeber in Sachen Musik – und auch in der
Malerei. Notendrucker und professionelle Schreiber verbreiten z.B. die neuesten Werke von
in Windeseile über die Alpen; nordeuropäische Agenten und Händler suchen in Italien nach
dem neuen heißen Ding auf dem Kunstmarkt. Am kulturinteressierten Dresdner Hof zum
Beispiel engagiert Kurfürst Friedrich August der Zweite eigens einen italienischen
Kunstberater, der für seine Gemäldesammlung alte und neue Werke direkt in Italien
ankaufen soll: Francesco Algarotti, Kunstsammler, Philosoph, Aufklärer, Schriftsteller– und
eng befreundet mit Giovanni Battista Tiepolo.

Algarotti ist ein echter Kenner – er lässt sich nicht blenden von Hypes und großen Namen. In
einem Brief schildert er: „Bei der Erwerbung alter Gemälde bin ich immer mit größter Vorsicht
zu Werke gegangen. Es genügt nicht, dass ein Bild von Tizian ist, es muss auch gut erhalten
sein und aus der Blütezeit des Malers stammen; sonst läuft man Gefahr, nur Namen zu
bewundern und Götzen zu opfern. (…) Hinsichtlich der Echtheit eines Gemäldes (…) sollte
sich der Käufer in jedem Fall die genaue Vorgeschichte des Bildes nachweisen lassen, so
wie die Araber auf ihren Märkten den Stammbaum der Pferde fordern. Denn bei Pferden,
Edelsteinen und Gemälden hält es leider jeder für erlaubt, den Partner zu betrügen, und Sie
wissen selbst, dass unser Land (auch auf dem Gebiete der Malerei) an Padovaninos oder
besser gesagt Fälschern überreich ist.“ – sagt Francesco Algarotti.

Tiepolo schreibt für Algarotti Gutachten und lässt seine glänzenden Beziehungen zum Adel
und zu den Malerkollegen spielen. Sodass Algarotti 1744 diverse Bilder zu sehr guten
Preisen für die Dresdner Kunstsammlung kaufen kann: von Sebastiano Ricci, Giovanni
Battista Piazzetta und von der Malerin Rosalba Carriera. Und natürlich sind auch ein paar
Bilder von Tiepolo dabei – sonst wäre das Ganze ja keine win-win-Situation. Eines davon ist
„Das Bankett von Antonius und Cleopatra“.
Die beiden haben eine Wette abgeschlossen, wer das teurere Gastmahl ausrichten kann.
Das Bild zeigt Cleopatras gedeckten Tisch; der wirkt kaum wie ein Prunkmahl, eher wie ein
veganes Diätessen: Nur eine Schale mit ein paar Früchten steht auf dem Tisch. Den Cocktail
mischt Cleopatra selbst und das ist ihr Clou: sie nimmt einen ihrer unermesslich teuren
Perlenohrringe aus dem Ohr, löst ihn in ein bisschen Essigwasser auf und trinkt. Chemiker
haben herausgefunden, dass das funktioniert, wenn der Säuregehalt genau stimmt. Der
Genussfaktor ist wahrscheinlich minimal, aber Cleopatra hat gewonnen. Und Tiepolo hat

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ihren Triumphblick gleich mehrfach gemalt. Hier die Szene zum Hören: von Sergej Prokofjew
aus seiner Schauspielmusik „Ägyptische Nächte“. Michail Jurowski dirigiert das RSO Berlin.

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Sergej Prokofjew:
„Cleopatra und Antonius“ und „Festmahl“ aus „Ägyptische Nächte“
Chulpan Chamatowa (Sprechstimme (Kleopatra)
Jakob Küf (Sprechstimme (Enobarbus / Antonius)
Victor Sawaley (Tenor)
Arutjun Kotchinian (Bass)
RIAS Kammerchor
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Michail Jurowski
[Bild Melbourne (nicht in der Ausstellung)]

Cleopatra, Königin von Ägypten, veranstaltet ein Bankett für den römischen Feldherrn
Antonius. Sergej Prokofjew die Szene in seiner Schauspielmusik „Ägyptische Nächte“ in
Musik gesetzt.

Giovanni Battista Tiepolo hat dieses skurrile Festmahl mehrfach gemalt. Unter anderem als
außerordentlich prunkvolles und detailreiches Fresko im Ballsaal des Palazzo Labia, einem
der schönsten Venezianischen Palazzi, am Canale Grande gelegen. Bis vor kurzem waren in
diesem Palazzo übrigens die Studios der Kollegen von der RAI, der Radiotelevisione
Italiana. Die müssen demnächst aufs Festland umziehen, nach Mestre. Zur Zeit laufen die
Verkaufsverhandlungen für den Palazzo, deshalb kann man ihn nicht besichtigen. Schade!
Die Fresken gelten nämlich als Tiepolos schönste in ganz Venedig.
In der Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart sind dafür passend zum Thema ein paar
faszinierende Zeichnungen von Schmuckstücken, die Tiepolo ebenfalls in den 1740er Jahren
gemalt hat: Armbänder, Ohrringe, Kettenanhänger.
[Gehen wir weiter zum nächsten Bild der Ausstellung.]

M0289540 011                                                                         1‘32
Modest Mussorgskij:
Promenade aus „Bilder einer Ausstellung“
Rieko Yoshizumi (Klavier)

                                                                                             8
Hier ist mal wieder Amor Schuld: Der Liebesgott schießt seine Pfeile blindlings durch die
Landschaft. Apoll, immerhin Gott der Künste, spottet über die schlechte Trefferquote – und
Amor rächt sich.
Einen besonders heftigen goldenen Liebespfeil jagt er Apollo ins Fleisch. Gleich danach trifft
er die schöne junge Daphne mit einem eisernen Anti-Liebespfeil und macht sie vollkommen
unempfänglich für jedes Werben. Apoll, sogleich entflammt, versucht Daphne zu erweichen
und jagt sie durchs Gelände – ein echter Stalking-Fall, den der antike Dichter Ovid hier
erzählt. Daphne lässt in ihrer Not ein Stoßgebet los und verwandelt sich in einen
Lorbeerbaum. Apoll ist bestürzt. Zum Trost bricht er ein paar Lorbeerzweige ab und flicht
sich einen Kranz daraus.

Tiepolo malt genau den Moment der Metamorphose: Daphne rast fast aus dem Bild heraus,
dramatisch umflattert von einem pastell-gelben Umhang. Wäre da nicht ihr Vater, ein
Flussgott, der uns seinen sonnengebräunten muskulösen Rücken zuwendet und ihr mit dem
Ruder den Weg versperrt, würde sie wahrscheinlich am Bildrand abstürzen. Apoll folgt ihr auf
den Versen und greift schon nach ihrem wehenden Gewand – Sie staucht ihm schwungvoll
rückwärts ins Gemächt. Apoll verzieht das Gesicht – ob vor Schmerz oder aus
Verwunderung lässt sich nicht sagen: Sein Blick trifft Daphnes Hand, aus der die ersten
grünen Blätter sprießen. Was auch sie selbst mit weit aufgerissenen Augen bestaunt.

Tiepolo liebt das Spiel mit dem Komischen. Die Körperhaltungen des Anti-Paars sind völlig
verzerrt, die Blicke hilflos und verdutzt. Sein Bild hat eine erstaunliche Dynamik: grell wie
Leuchtreklame heben sich die Hauptfiguren von dem tiefblauen Abendhimmel ab, und vor
dem statischen Hintergrund einer Berglandschaft wirkt die gemalte Vollbremsung umso
kraftvoller.

Mit musikalischen Mitteln und ähnlich eindrucksvoll hat Georg Friedrich Händel diese Szene
geschildert: in seiner Kantate „Apollo e Daphne“. Die Hetzjagd ist hier in die
Instrumentalpartien eingebaut: Daphne als Geige, die mit wilden Sechzehnteln davonrennt,
ein Fagott wirbelt in Basslage hinterher. Der Sänger Apoll (ebenfalls ein Bass) feuert sich
dazu selbst an, gerade hat er die schnöde Schöne zu fassen gekriegt, da bricht die Arie
abrupt ab: „Ma qual novitá? Che vidi?“ staunt Apoll: „Was passiert jetzt? Was sehe ich da?
Daphne, wo bist Du?“ – das Orchester kommentiert Apolls Schrecken über die plötzliche
Verwandlung mit donnernden Dissonanzen. Schluchzend schwört Apoll, den Lorbeerbaum
mit seinen Tränen zu gießen.

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In unserer Aufnahme ist Thomas Hampson Apoll:

M0074719, 017-018                                                                       6‘43
Georg Friedrich Händel:
„Mie piante correte“ und „Cara pianta” aus der Kantate „Apollo e Dafne“
Thomas Hampson (Bass)
Concentus musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
[Bild in der Ausstellung: Giovanni Battista Tiepolo, Apoll und Daphne, ca. 1743/45, Öl auf
Leinwand, 96 x 79 cm, Paris, Musée du Louvre, © bpk | RMN - Grand Palais | Franck Raux]

Thomas Hampson mit der Schluss-Szene aus Georg Friedrich Händels Kantate „Apollo e
Daphne“. Der Concentus musicus Wien spielte unter Leitung von Nikolaus Harnoncourt.

Wenn ein Gemälde sein Stamm-Museum verlässt – zum Beispiel für eine externe
Ausstellung –, dann braucht es für den Transport eine maßgeschneiderte Kiste: da darf
nichts ruckeln und reiben und vor allem: Luftfeuchtigkeit und Temperatur dürfen nicht
schwanken. Deshalb ist in solchen Klimakisten jede Menge Technik eingebaut – so ähnlich
wie in einem High-Tech-Geigenkasten für ein besonders kostbares Instrument. Nur dass so
eine Gemälde-Kiste wesentlich unhandlicher ist: Das größte Bild der Tiepolo-Ausstellung in
der Staatsgalerie Stuttgart ist über drei Meter hoch, braucht also eine XXL-Kiste: Es zeigt
den Heiligen Jakobus von Compostela, gehört dem Szépmüvészti Museum in Budapest und
ziert auch das Plakat der Ausstellung: Der Heilige Jakobus reitet in Siegerpose auf einem
eindrucksvollen Schimmel, in der einen Hand eine Flagge, in der anderen ein Schwert, mit
dem er einen Mohrenkönig im Nacken berührt – den wird er gleich in einem Tauf-Akt in einen
Christen verwandeln Im Hintergrund schlachten sich Spanier und Mauren ab. Jakobus‘
Seelenruhe scheint das nicht zu beeinträchtigen.
Jakobus ist der spanische Nationalheilige, und von Spanien aus ging auch der Auftrag an
Tiepolo – besser gesagt vom spanischen Botschafter am englischen Hof, Ricardo Wall. So
richtig gut gefallen hat ihm das fertige Werk aber nicht. Er beanstandete, dass das Pferd des
Heiligen imposanter wirke als Jakobus selbst. Und gab dann kurzerhand bekannt, die Maße
seien zu groß für die Kapelle in England, in der er das Bild den Altar zieren sollte.

Also hat man das Bild zunächst nach Madrid geschafft. Später kaufte es Fürst Esterhazy,
von dort ging es schließlich ins Museum nach Budapest. Ein imposanter, ein virtuoser
Schinken! Ein Bild, das den Betrachter überwältigen will mit seinem Glanz und seiner

                                                                                          10
Überlegenheitspose – genau wie dieses Koloraturen-Gewitter von Antonio Vivaldi, das das
Schreckensszenario des jüngsten Gerichts genussvoll in Klang verwandelt:

M0571632      01-012                                                                   4‘40
Antonio Vivaldi:
In furore iustissimae irae RV 626, Motette für Sopran, Streicher und Basso continuo
Diana Haller (Sopran)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler
[Bild in der Ausstellung: Giovanni Battista Tiepolo, Der heilige Jakobus der Ältere, 1749–50,
Öl auf Leinwand, 317 x 163 cm, Budapest, Szépművészeti Múzeum.]

Hier muss die Sängerin absolut schwindelfrei sein: Die Eröffnungsarie von Antonio Vivaldis
Motette „In furore iustissimae irae“, gesungen von Diana Haller. Das Ensemble Diderot
spielte unter Leitung von Johannes Pramsohler.

Damit ging die SWR2 Musikstunde zu Ende. Sie können sie nachhören unter swr2.de.
Dort finden Sie auch unsere anderen Sendungen, Beiträge und Bilder, mit denen wir die
große Tiepolo-Ausstellung der Staatsgalerie Stuttgart begleiten. Morgen reisen wir mit
Tiepolo nach Würzburg, wo er sein vielleicht eindrucksvollstes Deckengemälde schafft: im
Treppenhaus der Residenz.
Für heute verabschiedet sich Doris Blaich.

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