jamais les premiers - auf ewig die ersten! - Faszination ...

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jamais les premiers - auf ewig die ersten! - Faszination ...
Fan-Szene

„On y met le feu!“: „Wir tragen das Feuer in die Kurve…“                                                                                      Foto: Stadionwelt

À jamais les premiers –
auf ewig die ersten!
Olympique Marseille gewann als erster französischer Club den Europapokal der Landes-
meister. Die Ultras Marseille trugen als erste die italienische Art Stimmung zu machen in
die französischen Stadien. In Marseille ist immer alles ein bisschen größer als anderswo
in Frankreich – dementsprechend selbstbewusst präsentiert sich die Fanszene.

O
         M ist nicht nur – nach Titeln ge-                 gastfreundlich, sind, gut feiern können              tor dabei ist der Club. Er repräsentiert die
         rechnet – der sportlich erfolg-                   und immer ein wenig übertreiben. Mar-                Stadt nicht nur, er eint sie: OM ist Marseil-
         reichste Verein in Frankreich, er                 seille selbst sieht sich dagegen als typi-           le, Marseille ist OM. Vom Jugendlichen
ist auch der größte und populärste. Mar-                   sche Hafenmetropole des Mittelmeers:                 aus den sozialen Brennpunkten über den
seille, das ist aber auch der Skandalclub,                 weltoffen, handelstüchtig und im Laufe               Handwerker bis zum Lokalpolitiker und
der als amtierender Europapokalsieger                      der Jahrhunderte in der Lage, viele hun-             der Oberschicht: alle stehen hinter dem
zwangsweise in die zweite Liga zurück-                     derttausend Neuankömmlinge in die                    Verein, alle nden sich im Stadion wie-
gestuft wurde, dem Manipulationen aller                    Stadt zu integrieren. Hier ist man zuerst            der. Christian Bromberger, ehemaliger
Art von Doping bis Bestechung immer                        Marseiller, und dann Franzose oder was               Professor für Volkskunde an der Univer-
wieder unterstellt und in einem Fall auch                  auch immer der Pass besagt.                          sität der Provence, spricht gar von einem
nachgewiesen wurden. Der Leidenschaft                                                                           „stabilisierenden Faktor für den sozialen
seiner Anhänger hat das keinen Abbruch                     „Fiers d’être marseillais“                           Frieden in der Stadt, einem Symbol des
getan – im Gegenteil.                                              Stolz, Marseiller zu sein – Commando Ultra   starken Gemeinschaftsgefühls, das die
     Es passt ja auch zu gut ins Bild, dass                                                                     Gegensätze überdeckt.“
das übrige Frankreich von der Stadt hat:                      „Die Stadt ist wie ein Schwamm, sie                   Die Zahlen sprechen Bände: 49.900
dreckig, heruntergekommen, eine Haupt-                     saugt alle auf“, schreibt der Historiker             Zuschauer besuchten diese Saison im
stadt des Verbrechens, oder aber zumin-                    Jean Contrucci, „und sie produziert im-              Schnitt die Spiele im Stade Vélodrome
dest der „Maggeleien“, wo die Menschen                     mer neue Marseiller.“ Ein wichtiger Fak-             – der mit Abstand höchste Zuschauer-

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Olympique Marseille – Racing Straßburg (2005/2006)                                                                                  Foto: Nicolas Deltort

schnitt in Frankreich. 41.000 Dauerkar-              rebellische, überbordende, laute Stadt,              Umzüge von der Süd- in die Nordkurve
tenbesitzer vermeldet der Club, auch das             drückt sich am schönsten im Stade Vélo-              über den Eckblock – letzteres damals eine
ein Rekord auf nationaler Ebene.                     drome aus: OM ist der Motor der Stadt                strategische Entscheidung, da der Block
   Bei soviel Leidenschaft verwundert es             und umgekehrt!“, heißt es im Buch zum                der Führungskamera des Fernsehens
nicht, dass die Geburtsstunde der fran-              15-jährigen Jubiläum der Gruppe.                     genau gegenüberlag und so TV-Präsenz
zösischen Ultrabewegung auf den Stu-                                                                      garantierte.
fen des alten „Stade Vél“ schlug – und               „Fierté, ferveur, fidelité!“                              Heute sind die Territorien in beiden
Marseille heute nicht nur zahlenmäßig                             Stolz, Leidenschaft, Treue – Dodger‘s   Kurven fest abgesteckt, jede Gruppe hat
die größten Gruppen stellt. Weit über die                                                                 ihre festen Plätze; Gruppenlogos und
Hälfte der Dauerkarten, etwa 28.000, wer-               Es war ein kleines Häuein Fans,                  Grafti markieren die Blockeingänge.
den über die „Associations des Suppor-               ein Freundeskreis eher, das sich in der              Man bleibt unter sich – in der Regel ver-
ters“ verkauft, die registrierten Fanclubs.          Saison 1983/84 – OM stieg gerade aus                 irrt sich kein Mitglied in den Bereich ei-
Ein Teil davon ist traditionell orientiert,          der zweiten Liga wieder auf – um den                 ner anderen Gruppe. Obwohl man nach
wie der „Club Central des Supporters“,               italienischstämmigen Marco Valora zu-                außen hin, zum Beispiel bei Auswärts-
der älteste Fanzusammenschluss in Mar-               sammenfand, um den Kurven des meist                  spielen oder gegenüber dem Verein weit-
seille, oder die „Amis de l’OM“, und be-             halbleeren und wenig stimmungsvollen                 gehend als geschlossene Szene auftritt
schränken sich weitgehend auf Fahrten-               Stadions neues Leben einzuhauchen.                   und auf Führungsebene auch Kontakt
organisation und Kartenweitergabe.                   Vorbild: die Ultras von Juventus Turin,              hält, unterscheidet sich die Mentalität der
   Den überwiegenden Teil jedoch, mit                die Valora bei zahlreichen Spielbesuchen             einzelnen Gruppen doch deutlich und je-
insgesamt gut 20.000 eingetragenen Mit-              beeindruckt hatten. Trommeln, Fahnen                 der „macht sein eigenes Ding“.
gliedern, stellen die fünf Ultragruppie-             und Dauersupport waren in den franzö-
rungen von Winners bis Fanatics. Der                 sischen Stadien der 80er ein unbekanntes             „Y a pas d’arrangement“
Name „Ultras“ gebührt dabei allerdings               Phänomen, und sie stießen auch in Mar-                                    Keine Kompromisse – MTP
ausschließlich der Gruppe, mit der 1984              seille nicht überall auf Gegenliebe. Zahl-
alles begann: dem „Commando Ultra                    reiche Zuschauer beschwerten sich beim                  Ein entsprechendes Bild bietet sich am
’84“ bzw. „Ultras Marseille“. Sie bestä-             Verein über den Lärm (!), vor allem aber             Spieltag. Fünf Stunden vor Anpff dürfen
tigen die Einschätzung von Christian                 auch über die Sichtbehinderungen, denn               die Supporter ins Stadion, um ihren Teil
Bromberger: „Wenn man bei uns etwas                  für die Ultras war klar: Wir stehen! Das             des Spiel vorzubereiten, etwa 50 Mitglie-
liebt, dann übertreibt man dabei immer,              Stade Vélodrome war allerdings damals                der pro Gruppe erhalten Einlass. Zielstre-
aber vielleicht ist es gerade das, was OM            schon ein reines Sitzplatzstadion, und               big suchen sie ihren Sektor auf, als ers-
so weit gebracht hat. Marseille, diese               so folgten im Laufe der Jahre zahlreiche             tes werden die Anlagen aufgebaut �

Stadionwelt Juni /Juli 2006                                                                                                                        113
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– und zwar bei jeder Gruppe. So grenzt                                                                     Das „Local“, das gruppeneigene Fan-
man sich zunächst musikalisch ab: Dröh-                                                                haus im Viertel Belle de Mai, ist mehr als
nen beim Commando Ultra härtere Töne                                                                   Materiallagerraum und Anlaufstelle: Bei
à la „Los Fastidios“ aus den Boxen, eröff-                                                             den Winners lebt man den Gruppenge-
nen die Winners jeden Arbeitseinsatz mit                                                               danken nicht nur am Spieltag, sondern
„Comandante Che Guevara“ und „Bella                                                                    sieben Tage die Woche 24 Stunden am
Ciao“, während bei den MTP der Hip-                                                                    Tag. Zwei Jahre lang wandelten sie in
Hop Marseiller Prägung vorherrscht.                                                                    Eigenarbeit eine ehemalige Lagerhalle in
    Derweil werden die mitgebrachten                                                                   ihr Wohn-, Spiel- und Arbeitshaus um.
Utensilien ausgeladen, überprüft und ver-                                                                  Im bunt ausgemalten Obergeschoss
teilt; darüber hinaus verfügt jede Gruppe        Auch die Kleinen packen an…        Foto: N. Deltort   trifft man sich an der Bar, es gibt eine In-
am Eingang ihres Blocks über einen Ma-                                                                 ternetecke und eine Großleinwand, auf
terialcontainer. „Aber da wird nur Klein-        wer vorbeikommt…“, erklärt Yves, Grün-                der die Spiele im Bezahlfernsehen über-
kram gelagert, die wichtigen Sachen las-         dungsmitglied der Winners und heute                   tragen werden – Service für Gruppenmit-
sen wir nicht im Stadion. Man weiß ja nie,       eine Art Alterspräsident. Er organisiert              glieder, die nicht auswärts fahren oder
                                                 den Aufbau, weist die Jüngeren ein und
                                                 wacht darüber, dass alle sich beteiligen.
                                                 „Guck mal nach drüben in die andere
                                                 Kurve, die sind noch nicht mal halbfertig,
                                                 aber da sitzt schon die Hälfte rum – das
                                                 passiert bei uns nicht“, bemerkt er.
                                                    Die Disziplin ist strikt bei den Win-
                                                 ners, wer sich nicht genügend einbringt,
                                                 dem wird nahegelegt, die Gruppe zu
                                                 verlassen. „Die Gruppe ist alles, und
                                                 wir wollen Werte vermitteln: Respekt,
                                                 Freundschaft, Gruppengefühl – wir ha-
                                                 ben auch eine erzieherische Funktion“,
                                                 fährt Yves fort. „Wenn die Kleinen ins
                                                 ,Local‘ kommen, dann bringen wir ihnen
                                                 erst mal bei, alle zu grüßen – das gehört
                                                 sich einfach so. Aber wenn sie gut mit-
                                                 arbeiten, dann dürfen sie auch während
                                                 des Spiels mal ans Mikro. So binden wir
Anlagenaufbau beim CU’84     Foto: Stadionwelt   sie nach und nach in die Gruppe ein.“                 Ultra-familiär bei den Dodger’s   Foto: Stadionwelt

 Freunde & Feinde
 Es gibt keine generellen Fanfreundschaf-        Ähnlich äußert sich Lionel Tonini, Präsident          man mag sich nicht. Spiele in Saint-Étienne
 ten, Kontakte sind eher gruppenspezi-           der Yankees: „Wir hatten lose Kontakte nach           gelten als Risikospiele, es kam in den letz-
 fisch. Commando Ultra pflegt sehr enge            Neapel, aber uns ist die ganze Szene in Itali-        ten Jahren wiederholt zu Scharmützeln.
 Beziehungen zu den Ultras Tito Cucchiaro-       en zu gewalttätig geworden. Also bleiben wir
 ni von Sampdoria; Banner und Fahnen bei-        lieber für uns – Marseille und sonst nichts.“         Girondins de Bordeaux: Ende der 80er der
 der Gruppen sind häufig in beiden Kurven                                                               sportliche Hauptrivale, verschärfte sich der
 zu sehen, es gibt einen regen Austausch         Die Feindschaften sind dafür ausgeprägt               Konflikt durch die persönliche Feindschaft
 mit vielen Besuchen. Daneben waren im           und zum Teil Jahrzehnte alt:                          zwischen den Clubpräsidenten Bez und
 CU’84-Sektor auch schon Fahnen zahlrei-                                                               Tapie in den 90ern beträchtlich. Trotz Bor-
 cher anderer Gruppen zu sehen, u.a. Nürn-       AS Saint-Étienne: Eine in den 60er- und 70er-         deaux’ Weigerung, das Gäste-Kartenkontin-
 berg und St. Pauli, was den Ultras Marseil-     Jahren sportlich begründete Rivalität, respek-        gent zur Verfügung zu stellen, gelangten im
 le in Frankreich den Ruf eingetragen hat,       tiert man sich heute als Gegner. Die Marseiller       Oktober 1989 200 Ultras ins Stadion. Zehn
 „es mit jedem zu treiben“.                      Gruppen erkennen die Leistungen der „Sté-             Jahre später stören die Marseiller Anhänger
 Winners und Dodgers hegen Sympathien            phanois“, insbesondere ihre Choreos, an, aber         die Gedenkminute für Claude Bez mit einem
 für den „Club des Volkes“ Genoa 1893                                                                  Spottlied auf den „Duc de Bordeaux“ – „es
 und seine Fans. In Frankreich versteht                                                                gibt eben Hass, der unvergänglich ist“, kom-
 man sich gut mit den Fans aus Lens, die                                                               mentiert das Commando Ultra. Spiele in
 als gastfreundlich und feierfreudig gelten.                                                           Bordeaux sind Hochrisikospiele, bei denen
 Grundsätzlich heißt es bei den Winners                                                                geschlossene Anreise Pflicht ist.
 allerdings: „Wir suchen nicht nach Freund-
 schaften (Ausnahme: Argentinien, Kon-                                                                 Toulon: In den 80ern das Hassderby
 takte zu Newell’s Old Boys werden gerade                                                              schlechthin hat sich die Feindschaft durch
 aufgebaut, Verbindungen zu Boca Juniors                                                               den Abstieg Toulons in die 3. Liga überlebt.
 gesucht) – aber die Leute kommen ständig                                                              Den Derbyplatz übernommen hat OGC Nizza,
 bei uns gucken. Dann sind wir gastfreund-                                                             dessen teilweise rechts orientierte Ultras
 lich, und das war’s“.                           Auswärts in Bordeaux      Foto: curva-massilia.com    häufig die Auseinandersetzung suchen.

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 Pokalfinale 2006 gegen Paris Saint-Germain: Geschlossener Auftritt beider Marseiller Kurven im Stade de France                                       Foto: Schorre

 Eine ganz besondere Feindschaft: Paris Saint-Germain
 Was den Anhängern beider Lager heute als „ewige Feindschaft“                       des Volkes, Hauptstadt contra Provinzmetropole, Norden versus
 gilt, ist auf den Rängen zunächst ein harmloses Duell. Man sucht                   Süden, bürgerlich & schick gegen proletarisch & arm.
 ein Gegengewicht zum sportlich allzu dominanten Marseille jener                    Die Beziehungen verschlechtern sich rapide, gewalttätige Zwi-
 Jahre, und PSG wird von Canal+ (der Sender verkaufte erst kürzlich                 schenfälle häufen sich. 1997 setzt der Kop of Boulogne ein Kopf-
 seine Anteile am Club) und der Liga gezielt dazu aufgebaut.                        geld auf Rashid Zeroual, Capo der Winners, aus; im Jahr 2000 ver-
 Mitte der 80er Jahre gibt es erstmals Spannungen zwischen den                      letzt ein PSG-Anhänger im Prinzenpark Yankees-Mitglied Geoffroy
 mehr dem englischen Stil verpflichteten Pariser Supportern und                      Dilly schwer, als er eine herausgerissene Sitzschale vom Oberrang
 den italienisch geprägten Marseillern; die politischen Differenzen                 in den Gästeblock wirft. Die Sicherheitsmaßnahmen verschärfen
 zwischen den rechtsextremen Teilen des Kop of Boulogne und dem                     sich Jahr um Jahr, bis hin zu Auswärtsfahrverboten.
 links orientierten Commando Ultra tun ein Übriges.                                 Es gibt heute kein Spiel, das Frankreich mehr in Atem hält, die
 Während die sportliche Rivalität sich verschärft, kochen beide                     neutralen Zuschauer, ebenso wie die Sicherheitskräfte, ganz zu
 Clubführungen, vor allem aber Tapie, der inzwischen in die Politik                 schweigen von den Fans beider Vereine, die sich jedes mal aufs
 gegangen ist, die Emotionen hoch. In der Folge werden die Be-                      Neue zu Höchstleistungen herausgefordert fühlen – nicht nur auf
 gegnungen zu einem Kulturkampf stilisiert: Plastikclub gegen Club                  den Rängen.

aus anderen Gründen nicht ins Stadion                  zum Pokalnale angefertigt; der Stoff                     Kleinartikeln sowie eigene Getränkestän-
können. Auswärtige Gruppenmitglieder,                  stammt vom größten Trikot der Welt,                       de in den Kurven aufgestockt werden.
die zum Heimspiel kommen, oder Gäste                   das wir vor einigen Jahren mal präsen-                    Tapie, der Geschäftsmann, brachte mit
können in einem Zimmer nebenan über-                   tiert haben“, führt Yves nicht ohne Stolz                 viel Geld den sportlichen Erfolg – aber als
nachten. Darüber hinaus gibt es Büros                  die Sammlung vor. Für solche Arbeiten                     machtbewusster Politiker verstand er es
für drei feste Mitarbeiter, zwei davon So-             werden Schneider oder Segelmacher be-                     auch, sich die Gunst der aktiven Fans zu
zialarbeiter, die der französische Staat im            auftragt, Material wird gern im großen                    sichern. Mit seiner volkstümlichen Art,
Rahmen von Gewaltpräventionsprojek-                    Stil gekauft: „Uns fehlten letztens noch                  einem stets offenen Ohr und Zuwendun-
ten und Maßnahmen für soziale Brenn-                   ein paar Bahnen Folie für Fähnchen, aber                  gen für die Fans scharte er die Szene hin-
punkte bezahlt.                                        wir haben dann gleich ein Großgebinde                     ter sich. „Es würde zu weit gehen zu be-
    Das Erdgeschoss dient als Arbeitsbe-               genommen – wir werden es schon ir-                        haupten, dass Tapie die Ultras ,erfunden‘
reich. Hier werden die Choreos vorberei-               gendwann brauchen.“                                       hat, wie manchmal zu hören war, aber
tet, gerade wurde eine neue Projektions-                  Geld spielt keine Rolle, „aber bei uns                 er hat den Aufstieg der verschiedenen
wand eingezogen – das Materiallager hat                wird alles in die Gruppe und den Sup-                     Gruppen sehr gefördert“, sagt Nicolas
die Ausmaße eines kleinen Baumarkts.                   port gesteckt“, betont Yves, implizierend,                Deltort, freier Sportjournalist. „ Die Fan-
„Hier sind unsere Blockfahnen, die größ-               dass das nicht bei allen Gruppen – fast                   szene hat ihm viel zu verdanken, weil er
te misst 120 x 40 m. Die haben wir jetzt               alle verfügen über ähnliche Einrichtun-                   großzügig war und den sportlichen �
                                                       gen – so sei.

                                                       „À la vie, à la mort
                                                       pour mon club!“
                                                       Auf Leben und Tod für meinen Club“ – MTP

                                                          Seit Bernard Tapie, damals Präsident
                                                       von Olympique, 1991 den Fanvereini-
                                                       gungen den Dauerkartenverkauf über-
                                                       trug, ist nicht nur deren Größe explodiert,
                                                       sie verfügen auch über vergleichsweise
                                                       großzügige Mittel, die durch das übliche
Bunte Mischung MTP                Foto: Stadionwelt    Merchandising mit Kleidung, Fotos und                     Choreovorbereitung bei den Yankees Foto: Stadionwelt

Stadionwelt Juni /Juli 2006                                                                                                                                    115
Fan-Szene

                                                                                                       Erfolg gebracht hat, und sie nennen ihn
                                                                                                       noch heute respektvoll den ,Boss‘.“
                                                                                                          Als OM im September 1993 wegen
                                                                                                       des gekauften Spiels in Valenciennes
                                                                                                       der Ausschluss aus dem Europapokal
                                                                                                       drohte, organisierten alle Gruppen ge-
                                                                                                       meinsam eine Demo auf der Canebière,
                                                                                                       der Hauptstraße und Herzschlagader
                                                                                                       Marseilles. Auch nach dem Zwangsab-
                                                                                                       stieg in der Folgesaison stellten sie sich
                                                                                                       bedingungslos hinter ihren Präsidenten
                                                                                                       und seine Version vom Komplott, das in
Olympique Marseille – Paris Saint-Germain (1996/97)                                     Foto: Archiv   Paris angezettelt worden sei: Marseille
                                                                                                       sei „denen da oben“ zu erfolgreich und
                                                                                                       zu mächtig geworden – der Club hatte
                                                                                                       1993 die fünfte Meisterschaft in Folge
                                                                                                       eingefahren, die der Verband OM jedoch
                                                                                                       niemals zuerkannte.

                                                                                                       „Marseillais avant tout“
                                                                                                                          Marseiller vor allem – Fanatics

                                                                                                           Die „Wir-gegen-den-Rest-der-Welt“-
                                                                                                       Haltung ist ein zentraler Bestandteil der
                                                                                                       Mentalität der Stadt und damit auch der
                                                                                                       Fanszene. Droht Ungemach von außen,
                                                                                                       insbesondere aus der Hauptstadt, machen
                                                                                                       alle Gruppen gemeinsam Front – auch
                                                                                                       wenn sonst Zusammenarbeit eher nicht
Olympique Marseille – Paris Saint-Germain (2004/2005)                          Foto: Fabian Schwab     stattndet. Bei Choreos spricht man sich
                                                                                                       zwar gelegentlich ab, zumindest zwischen
                                                                                                       dem jeweiligen Ober- und Unterrang,
                                                                                                       aber meist laufen die „Shows“ in den ein-
                                                                                                       zelnen Blöcken und Kurven unabhängig
                                                                                                       voneinander. So scheiterten auch diverse
                                                                                                       Versuche, eine übergreifende Fan-Organi-
                                                                                                       sation zu schaffen – mal an persönlichen
                                                                                                       Eitelkeiten, mal an der Einstellung zum
                                                                                                       Geld oder an der zur Politik.
                                                                                                           „Die gesamte Szene tendiert eher nach
                                                                                                       links“, sagt Nicolas Deltort, „aber unter-
                                                                                                       schiedlich ausgeprägt. Die Politik spielt
                                                                                                       nicht wirklich eine große Rolle in den Kur-
                                                                                                       ven, aber man identiziert sich mit Ikonen
                                                                                                       wie Che und grenzt sich deutlich von den
                                                                                                       rechtsorientierten Gruppen in Paris oder
Uefa-Cup 2005/2006, 1/16-Finale: Olympique Marseille – Bolton Wanderers   Foto: Gerhard Rudolf, Wien   Italien ab.“ Während für die Winners An-
                                                                                                       tifaschismus Programm ist und man im
Pokalhalbfinale 2006: Olympique Marseille – Stade Rennes                     Foto: South Winners ’87
                                                                                                       „Local“ auch gelegentlich politischen und
                                                                                                       sozialen Organisationen Raum für Ver-
                                                                                                       anstaltungen bietet, halten die Yankees
                                                                                                       die Politik komplett aus der Kurve her-
                                                                                                       aus. „Fußball soll ein Fest sein, und sonst
                                                                                                       nichts“, meint ihr Präsident, Lionel Tonini.
                                                                                                           MTP betont seine offene Haltung ge-
                                                                                                       genüber allen, gleich welcher Herkunft, die
                                                                                                       Gruppenfarben sind ebenso bunt wie die
                                                                                                       Mitglieder gemischt, die Stimmung und
                                                                                                       der Auftritt anarchischer. „Zu uns kön-
                                                                                                       nen alle kommen, wir gucken nicht nach
                                                                                                       Hautfarbe, Religion, Herkunft oder sonst
                                                                                                       irgendwas, Hauptsache, sie wollen Spaß
                                                                                                       haben und OM supporten – guck dich um,
                                                                                                       unsere Leute: alles durcheinander. Dafür
                                                                                                       stehen unsere Farben! Die anderen grenzen
                                                                                                       sicher auch keinen aus, aber deren Grup-

116                                                                                                                   Stadionwelt Juni /Juli 2006
Fan-Szene

pen sind homogener“, meint Jamel, seit                    Mannschaft sich nicht genug reinhängt,
drei Jahren Präsident der Gruppe. Wo sich                 wird schnell Druck ausgeübt: Pfeifkonzer-
die Winners Che Guevara als Maskottchen                   ten und eindeutigen Bannern folgen dann
gewählt haben, als politisches Symbol und                 schon mal Streiks über komplette Spiele;
weil sie sich den argentinischen Support                  nützt alles nichts, scheut man auch vor ra-
zum Vorbild nehmen, ziert bei den MTP                     biateren Maßnahmen nicht zurück.
Bob Marley die Fahne; wo im Oberrang ge-                     Die Unzufriedenheit ist auch aktuell
genüber Disziplin und Respekt als zentra-                 zu spüren – das verlorene Pokalnale
le Werte vermittelt werden, herrscht hier                 steckt allen noch in Knochen. Die Stim-                                           Fotos: Stadionwelt
buntes, fröhliches Chaos.                                 mung beim Spiel gegen Straßburg, nach
   Bei den Dodgers geht es eher familiär                  deutschen Maßstäben knapp unterhalb                  Depé – eine Legende
zu. Die 67-jährige Colette, Mitgründerin                  von Hexenkessel anzusiedeln, beurteilen              „Wer Depé war? Depé war einfach Depé.
der Gruppe, bringt inzwischen schon                       die Marseiller einstimmig als mittelmä-              Eine Legende. So wie Depé wollten alle
ihren Enkel mit ins Stadion – Ultras als                  ßig. „Gegen einen Absteiger zwei Punkte              sein. Er ist unser Vorbild.“ Es fällt Jamel,
Drei-Generationen-Projekt. „Ich bin ein                   verschenkt, und damit wahrscheinlich                 dem heutigen Präsidenten der MTP nicht
bisschen ruhiger geworden“, meint sie,                    den Champions-League-Platz, das Finale               leicht, den Gründer der Gruppe zu be-
„beim Pogo bin ich nicht mehr mittendrin.                 gegen Paris verloren – wir sind einfach              schreiben. Der Respekt und die Ehrfurcht
Aber reizen tut’s mich schon manchmal                     alle angekotzt“, lautet der Tenor. Die               sind allerorten zu spüren, egal wen man
noch…“ „Dafür singst du doch immer                        Stimmung dürfte sich seither nicht ver-              fragt, egal in welcher Kurve oder Gruppe:
am lautesten“, fällt ihre zwei Jahre ältere               bessert haben, denn bei der letzten Partie           Depé ist das Idol. Der Held.
Kollegin Gilda ein, „du kannst doch gar                   in Bordeaux verspielte das Team noch                 1987/88, bei seinem ersten Spiel im Vélo-
nicht anders, als vorne mit dabei sein!“                  den sicher geglaubten Uefa-Cup-Platz.                drome findet sich Patrice de Péretti mitten
– auch auswärts natürlich. Ursprünglich                      Während man mit der Mannschaft                    im Winners-Block wieder und ist sofort von
bei den Yankees, verließen sie die Gruppe                 hadert, ist das Verhältnis zur Clubfüh-              der Leidenschaft infiziert. Schnell wird er
                                                          rung gespalten. Präsident Pape Diouf                 zu einem der Capos; sein Markenzeichen:
                                                          wird von den Fans geschätzt: Seit er vor             Oberkörper frei. Immer. Ob bei –5 Grad
                                                          kurzem Olympiques B-Mannschaft zum                   beim Europapokalspiel in Moskau oder in
                                                          Spiel nach Paris schickte, nachdem PSG               der Augustsonne im Vélodrome. Er ist im-
                                                          den OM-Anhängern das Kartenkontin-                   mer dabei. Immer. Von 1991 an verpasst
                                                          gent verweigert hatte (siehe Stadionwelt             er kein Spiel mehr, ob international, Liga,
                                                          Nr. 17), hat er bei ihnen einen besonders            Pokal oder Freundschaftsspiel.
                                                          dicken Stein im Brett. „Er macht klare               Seine Leidenschaft ist unbändig und anste-
                                                          Ansagen und versucht nicht, uns zu ma-               ckend, er gilt den anderen als Marseilles Fan
                                                          nipulieren. Er hat keine Angst vor uns,              Nr. 1. Bernard Tapie, der Clubpatron, schenkt
                                                          deswegen sagt er, was er denkt. Die Be-              ihm persönlich seine Europapokalsiegerme-
                                                          ziehungen sind klar und ehrlich, man                 daille und lädt ihn zum Weltpokalfinale nach
Politisch engagiert: Winners-Spruchbänder gegen die       respektiert sich gegenseitig“, bestätigt             Tokio ein – eine Fahrt, die aufgrund der Sank-
Aufhebung des Kündigungsschutzes für Berufsanfänger       Rashid Zeroual, Vizepräsident der Win-               tionen gegen den Club nie stattfand.
                               Foto: curva-massilia.com
                                                          ners. Robert Louis-Dreyfus, dem der                  Nach sechs Jahren bei den Winners und
im Streit um Ausrichtung und Mittelver-                   Club gehört, ist dagegen für die meisten             dem Zwangsabstieg von OM ist es für Depé
wendung und gründeten 1992 die Dod-                       Anhänger ein rotes Tuch. Sie werfen                  Zeit, Neuland zu erschließen: Er will das Feu-
gers; den Namen übernahmen sie von                        ihm zu wenig Präsenz und zu viele lee-               er in die Nordkurve tragen und gründet Mar-
einer Abspaltung der Yankee-Armee im                      re Versprechen vor, die Jahre ohne Titel             seille Trop Puissant, Marseille übermächtig.
amerikanischen Bürgerkrieg. Ihr Engage-                   und schlagkräftige Mannschaft werden                 Kein unpassender Name, denn als er kurz
ment gilt neben OM vor allem karitativen                  hauptsächlich ihm angelastet.                        vor einem Zweitligaspiel von der Polizei in
Zwecken: so sammeln sie u.a. jedes Jahr                                                                        Gewahrsam genommen wird, weigert sich
im Rahmen der Aktion „1 Kdo pour un                       „Un Mythe, une Foi, un Combat“                       OMs Mannschaft zum Spiel anzutreten. Ta-
minot“ Geschenke für Kinder, die sonst                             Ein Mythos, ein Glaube, ein Kampf – CU’84   pie erreicht schließlich seine Freilassung.
nichts zu Weihnachten bekommen.                                                                                Als er nach sieben Jahren an der Spitze der
                                                             Ihre eigene Schlagkraft – gelegentlich            MTP am 28. Juli 2000 stirbt, hinterlässt er
„Une volonté: vaincre.                                    auch im Wortsinne – beweist die Szene                eine Gruppe mit fast 3.000 Mitgliedern –
Une passion: l’OM“                                        nun schon seit über zwei Jahrzehnten                 und eine Lücke, die seitdem niemand füllen
     Ein Ziel: Siegen. Eine Leidenschaft: OM – Winners    auf den Rängen. Sie hat sich eine starke             konnte und wollte. Zu Ehren des „Fou torse
                                                          Stellung erarbeitet, wird landesweit (au-            nu“, des „Oberkörper-frei-Verrückten“ be-
    So sehr sich ihr Engagement und ihr                   ßer vielleicht in Paris), als größte und lei-        nannten die Supporter die Nordkurve in Vi-
Stil im Einzelnen unterscheiden, von den                  denschaftlichste respektiert; ihre Stimme            rage Depé um. Ein Gedenkstein erinnert an
Spielern und dem Club erwarten alle das                   wird nicht nur im Verein, sondern auch               die Legende der Marseiller Ultrabewegung.
Gleiche wie von sich selbst: Immer al-                    bei der Liga gehört (so meldete sich an-
les zu geben. „Ein Spieler kann schlecht                  lässlich der PSG-Kartenaffäre sogar der
sein, oder mal einen schlechten Tag ha-                   Ligavorsitzende persönlich bei Rachid
ben – kein Problem. Aber das Trikot muss                  Zeroual, dem Vize-Präsidenten der Win-
klatschnass sein, wenn er vom Platz geht.                 ners, um den Standpunkt der OM-Fans
Wer nicht kämpft, wird hier nicht akzep-                  in Erfahrung zu bringen) – gute Aussich-
tiert“, erklärt Yves von den Winners ka-                  ten also für weitere Gipfelstürme. Wenn
tegorisch. Die Szene hat bei jedem Skan-                  denn die Mannschaft mal mitspielen
dal zum Club gestanden, aber wenn die                     würde…���Helga Wolf

Stadionwelt Juni /Juli 2006                                                                                                                             117
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                                                                                                     SOUTH WINNERS ’87 – Kaotic Group
                                                                                                     Gegründet: 1987
                                                                                                     Mitglieder: 5.500, 1 Sektion in
                                                                                                     Nordfrankreich: „Winners 51“
                                                                                                     Logo: Che Guevara, Gremlins, Bull Dog
                                                                                                     Im Stadion: Oberrang Virage Sud
                                                                                                     Fanhaus: 100, rue Loubon, Marseille
                                                                                                     Internet: www.sw87.com
                                                                                                     Von Jugendlichen aus dem 2. und 3. Aron-
                                                                                                     dissement Marseilles gegründet, geht der
                                                                                                     Name auf ihr erstes Banner „Win for us!“ und
                                                                                                     den Wechsel vom Eckblock in die Südkurve
                                                                                                     zurück. 1989, beim Heimspiel gegen PSG,
                                                                                                     ziehen sie demonstrativ ihre Bomberjacken
                                                                                                     verkehrt herum an, um den Skinheads vom
                                                                                                     Pariser Kop of Boulogne ihre antifaschisti-
                                                                                                     sche Haltung zu demonstrieren. Aus dem
                                                                                                     Orange der umgedrehten Jacken wird nach
                                                                                                     und nach die offizielle Farbe der Gruppe, die
                                                                                                     nicht nur Schals, T-Shirts und Jacken prägt,
20 Jahre Commando Ultra: Jubiläumschoreo gegen Metz 2004                               Foto: CU’84   sondern auch Choreos und Banner. Sie sind
                                                                                                     damit die einzige Gruppe in Europa mit ei-
Die „Associations de                                des Vereins, dem Name und Totenkopflogo           ner eigenen, von den Vereinsfarben (Weiß
                                                    zu martialisch erschienen, offiziell in „Ultras   und Hellblau) abweichenden Farbe. Mehre-
Supporters“                                         Marseille“ um. 1984 mit 50 Mitgliedern ge-       re Jahre mit den Ultras und den Fanatics zu
Alle Gruppen sind gesetzlich eingetragene           startet, hatte die Gruppe 1990 bereits über      den „Supporters Phocéens“ zusammenge-
Vereine, die Vorsitzenden werden in der Re-         1.000 Mitglieder. Zum 15-jährigen Beste-         schlossen, scheitert die Zusammenarbeit
gel vom Vorstand und den aktiven Mitglie-           hen erschien die Chronik „Ultras Marseille       am Ende am Streit um den Standplatz im
dern gewählt.                                       – l’histoire depuis 1984“ mit zahlreichen        Stadion. Die Winners sind heute nicht nur
                                                    Fotos. Neben ihrem Fanhaus betreibt das          die größte Gruppe, sondern betrachten sich
CCS (Club Central Des Supporters)                   Commando die „Boutique Virage Sud“, in           auch als Motor der Marseiller Fanszene.
Gegründet: 1972                                     dem nicht nur die eigenen Merchandising-
Mitglieder : 2.000 in 18 Sektionen                  artikel verkauft werden (es gibt eine eigene     FANATICS
(inkl. 1 in den USA)                                Ultras-Marseille-Kollektion von adidas), son-    Gegründet: 6. April 1988
Im Stadion: Oberrang außen, beide Kurven            dern auch Fanartikel des Vereins. Lange Zeit     Mitglieder: 1.500
Treffpunkt: Brasserie des Allées,                   die führende Gruppe steht sie zurzeit vor ei-    Logo: Drache
45, allée Léon Gambetta, Marseille                  nem Generationenwechsel.                         Im Stadion: Oberrang rechts Virage Depé
Internet: www.ccs-marseille.com                                                                      Fanhaus: 98, rue Stanislas Torrents, Marseille
Der älteste Fanzusammenschluss über-                YANKEE NORD                                      Internet: www.fanatics-marseille.net
haupt wurde 1972 zunächst unter dem                 Gegründet: 1987                                  Die Fanatics sind eine „Kneipengründung“
Namen „Club des Supporters Marseillais“             Mitglieder: 5.000                                und treten 1988 beim Europapokalhalbfi-
ins Leben gerufen und bot als erster organi-        Im Stadion: Unterrang Virage Depé                nale gegen Ajax Amsterdam erstmals in Er-
sierte Auswärtsfahrten an. Gründer Jacques          Fanhaus: 11, rue venture, Marseille              scheinung. Von der Nordkurve wechseln sie
Pélissier, genannt „Pelo“ galt als eine Art         Internet: www.yankee-nord.com                    bald auf die Südtribüne, wo sie sich mit den
Original der Marseiller Fanszene, der schon         Vor 19 Jahren von einem Freundeskreis um         Winners und den Ultras zu den „Supporters
die goldenen Zeiten der 70er miterlebt hat-         die Brüder Lionel und Mikael Tonini gegrün-      Phocéens“ zusammenschließen. Nach inter-
te, alle Statistiken und Geschichten rund um        det, rekrutieren sich die Yankees anfangs        nen Konflikten droht die Gruppe fünf Jahre
OM im Kopf hatte. Für die Ultragruppen war          aus den Vierteln im Norden Marseilles. Aus       später zu zerfallen, die Beziehungen zur rest-
er „ein Fan aus einer anderen Generation“,          diesem Grund und weil ihr Standplatz im Sta-     lichen Fanszene sind gespannt. Nach der
was den Respekt nicht minderte. Nach sei-           dion ebenfalls im Norden ist, wählen sie ih-     Rückkehr in die Nordkurve stabilisieren sich
nem Tod am 5. Januar verabschiedeten ihn            ren Namen in Anlehnung an die Nordstaatler       die Fanatics wieder und eröffnen 1999 ihr
im darauffolgenden Heimspiel beide Kurven           im amerikanischen Bürgerkrieg. Gleichzeitig      eigenes Fanhaus. Heute ist in der kleinsten
mit zahlreichen Bannern.                            grenzen sie sich damit vom Commando Ultra        aller Marseiller Gruppen kaum noch jemand
                                                    ab, in dessen Reihen häufiger konföderier-        von den Gründungsmitgliedern aktiv.
COMMANDO ULTRA ’84 (Ultras Marseille)               te Flaggen zu sehen sind. Wie die meisten
Gegründet: 31. August 1984                          Gruppen überschreiten sie erstmals Anfang
Mitglieder: 4.500 in 20 Sektionen                   der 90er-Jahre die 1.000-Mitgliedermarke;
in Frankreich, 1 Sektion in der Schweiz             heute sind sie die zweitgrößte Gruppe. Ihre
Logo: Totenkopf, Blitze schleudernde                Mentalität orientiert sich eher an den franzö-
Faust des Zeus                                      sischen Rugbyfans: „Im Stadion gibt es 90
Im Stadion: Unterrang Virage Sud                    Minuten lang nur OM, aber nach dem Spiel
Fanhaus: 46, bd Michelet, Marseille                 muss man gemeinsam Party machen kön-
Internet: www.ultras-marseille.com                  nen“, sagt Lionel Tonnini. „Was den Support
Älteste Ultragruppierung, nicht nur in Mar-         angeht, betrachten wir uns auf jeden Fall als
seille, sondern in ganz Frankreich. 1985            Ultras, aber Fußball muss ein Fest bleiben.
benannte sich das Commando auf Druck                Das vergessen zu viele Leute heutzutage.“        Hommage für „Pélo“      Foto: curva-massilia.com

118                                                                                                                  Stadionwelt Juni /Juli 2006
Fan-Szene

DODGERS                                            CLUB DES AMIS DE L’OM                           seit letztem Jahr unter der Regie der Win-
Gegründet: 26. Mai 1992                            Mitglieder: 3.550                               ners, seitdem ins Heft integriert:
Mitglieder: 2.500 in 12 Sektionen                  Treffpunkt: Restaurant Chez Albert,             Massalia 2600, Supporters Magazin mit
Im Stadion: Unterrang Virage Depé                  Plan de Campagne, Cabriès                       Newsseiten aller Gruppen
Fanhaus: 3, place Joseph Étienne, Marseille        Traditioneller Fanclub, der sich auf Kar-
Internet: www.dodgers1992.com                      tenverkauf und Fahrtenorganisation be-
Gegründet von einem Teil der ehemaligen Füh-       schränkt. Der Kern steht im Außenblock des
rungscrew der Yankees mussten die Dodgers          Oberrangs in der Südkurve; seine Mitglieder
anfangs hart um ihre Anerkennung sowohl            verteilen sich aber auf alle Tribünen.
beim Verein als auch in der Kurve kämpfen
– nicht nur im übertragenen Sinne. Zahlrei-
che karitative Aktionen prägen vor allem auf       Zuschauerschnitt
Initiative ihres Vizepräsidenten mit dem hüb-      2000      D1       51.918
schen Spitznamen „XIII“ (die Nummer des            2001      D1       50.785
Départements Bouches-du-Rhône, in dem              2002      L1       50.072
Marseille liegt) das Gruppenleben. So sam-         2003      L1       50.813
melten sie in der Vergangenheit Geld für die       In den beiden Jahren nach dem                   Gruppenfanzines:
Renovierung der „Bonne-Mère“ (die Kathe-           Zwangsabstieg:                                  Le magazine des Ultras, Ultras Marseille
drale ist das Wahrzeichen von Marseille), und      1995      D2       18.794                       Fanatics Massilia, Fanatics
aktuell zu Gunsten hilfsbedürftiger Kinder im      1996      D2       17.959                       Révolution Orange, South Winners
Senegal und in Rosario (Argentinien). Beson-                                                       (auch online verfügbar)
derheit: Ihre Internetseite ist als einzige auch                                                   O.D.E.C (On doit être capable), MTP
in provenzalischer Sprache verfügbar.              Das Stadion
                                                   Stade Vélodrome, 60.000 Sitzplätze, zuletzt
                                                   umgebaut für die WM 1998. Die Supporter         Lieblingslieder
                                                   trauern noch heute der Stimmung im alten,       Hissez haut, les drapeaux
                                                   viel engeren Stade Vélodrome nach. Immer        (auf die Melodie von „Santiano“)
                                                   wieder ein Thema, besonders in Wahlkampf-       Allez l’OM, allez marseillais,
                                                   zeiten: eine Überdachung des Stadions. Ur-      allez OM, allez Marseiller
                                                   sprünglich vorgesehen, wird sie von den Fans    hissez haut, les drapeaux.
                                                   seit langem gefordert, bislang vergeblich.      Hisst die Fahnen hoch
                                                                                                   Tous unis sous les mêmes couleurs,

                                                   Kartenverkauf /                                 Alle vereint unter denselben Farben
                                                                                                   le virage reprendra en coeur,
                                                   Mitgliedschaft                                  stimmt die Kurve im Chor ein:
                                                                                                   Allez l’OM, allez marseillais,
                                                   „Es ist eure Kurve, also kümmert euch auch      Allez OM, allez Marseiller
                                                   drum!“, dekretierte Bernard Tapie, als er den   hissez haut, les drapeaux.
                                                   Fanvereinigungen den Verkauf der Dauerkar-      Hisst die Fahnen hoch
Auswärts in St. Étienne              Foto: Fabes   ten für die Kurven übertrug. Jede Gruppe        Tous unis sous les mêmes couleurs,
                                                   verkauft für ihren Sektor. Niedrige Dauer-      Alle vereint unter denselben Farben
MTP (Marseille Trop Puissant)                      kartenpreise sind eines der Hauptanliegen       le virage chante avec ferveur.
Gegründet: 1994                                    der Marseiller Fans, tatsächlich gehören sie    Singt die Kurve voller Leidenschaft
Mitglieder: 3.000                                  zu den günstigsten in ganz Frankreich. Ak-
Logo: Krake                                        tuell verkauft OM die Dauerkarten für 100       Aux armes!
Im Stadion: Oberrang links, Virage Depé            Euro an die Gruppen, die dann beim Wei-         (Wechselgesang zwischen den Kurven)
Fanhaus: 24–31, rue des Trois Mages,               terverkauf eigene Beiträge aufschlagen. So      Aux Armes, aux Armes
Marseille                                          zahlt man bei den Winners zusätzlich 15         Zu den Waffen, zu den Waffen! [die ersten
Als nach dem Zwangsabstieg der Glaube an           Euro Mitgliedsbeitrag und 15 Euro für das       Worte der Marseillaise, frz. Nationalhymne]
den Club und die Fanunterstützung bröckeln,        Abo des Fanmagazins. Wer eine Dauerkarte        Nous sommes les marseillais
gründet der legendäre Depé, ein ex-Winner,         über die Gruppen bezieht, ist automatisch       Wir sind die Marseiller
MTP, um ein Zeichen zu setzen – und um die         Mitglied; man kann jedoch auch ohne Kar-        Et nous allons gagner
leidenschaftliche Stimmung der Südkurve            tenkauf Mitglied werden.                        Und wir werden siegen
auch in den Norden zu tragen. Bei den Aus-         Die meist sehr limitierten Auswärtskarten       Allez l’OM, allez l’OM
wärtsfahrten in triste Zweitligastadien „am        werden anteilmäßig nach Größe an die Grup-      Allez l’OM, allez l’OM
Arsch der Welt“ macht die Gruppe schnell           pen verteilt und über diese verkauft; Rest-
auf sich aufmerksam, nach dem Wiederauf-           karten gehen über OM an den gastgebenden        Zahlreiche weitere Lieder, zum Teil auch als
stieg zwei Jahre später steigen die Mitglie-       Verein zurück.                                  mp3, auf www.om-passion.com/chants
derzahlen rasant an. In Zusammenarbeit mit
der „Caravane des Quartiers“ bemühen sie
sich, besonders Jugendliche aus sozialen           Fanzines                                        Internetseiten
Brennpunkten in die Gruppe zu integrieren.         Fanmagazine:                                    www.ohaime.com
Aus den 10 Mitgliedern sind heute 3.000            OM Plus, landesweit vertriebenes Fanma-         www.curva-massilia.com
geworden, die Basis der Gruppe ist aber im-        gazin, Auflage: 40.000, zwei feste Mitarbei-     www.om-passion.com
mer noch das Viertel La Plaine, wo sich auch       ter. Ehemals das Fanmagazin des Clubs,          www.supporters-de-marseille.com
das Fanhaus befindet.                               erscheint nach finanziellen Schwierigkeiten      www.opiom.net

Stadionwelt Juni /Juli 2006                                                                                                                119
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