Jobcenter: Optionskommunen vermitteln Arbeitslose seltener in Beschäftigung
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FORSCHUNGSERGEBNISSE Lukas Mergele und Michael Weber Jobcenter: Optionskommunen vermitteln Arbeitslose seltener in Beschäftigung Die Jobcenter in Deutschland verantworten die Betreuung und Arbeitsvermittlung von Arbeitsuchenden in der Grundsicherung (»Hartz IV«). Sie werden entweder als »gemein- same Einrichtungen« von Kommunen und der lokalen Agentur für Arbeit oder in »Options- kommunen« allein von den Kommunen geführt. Die Umwandlung von 41 gemeinsamen Einrichtungen in Optionskommunen im Jahr 2012 erlaubt es, den Erfolg der Vermittlungs- arbeit der beiden Trägerformen in einem Differenz-von-Differenzen-Ansatz zu evaluieren. Unsere Analysen zeigen, dass Optionskommunen gegenüber gemeinsamen Einrichtungen bei ansonsten gleichen Voraussetzungen 10% weniger Arbeitslose in den ersten Arbeits- markt vermitteln. Hingegen weisen sie mehr Personen »Ein-Euro-Jobs« zu, die jedoch wenig geeignet sind, die Übergangschancen in den ersten Arbeitsmarkt zu erhöhen. Für weitere potenzielle Erklärungsansätze – etwa eine mehr auf Qualität als auf Quantität aus- gerichtete Vermittlungsarbeit oder eine laxere Sanktionspraxis – finden sich keine belast- baren Ergebnisse. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende – umgangs- die quantitative Dimension der Vermittlungsarbeit sprachlich »Hartz IV« – ist auch 15 Jahre nach ihrer (Zahl der Vermittlungen je 1 000 Arbeitslosen), die Einführung noch immer Gegenstand heftiger Debat- qualitative Dimension (Dauer und Einkommen der ten. Die Diskussionen um Leistungskürzungen (»Sank- folgenden Beschäftigung) und mögliche Ursachen tionen«) oder Hinzuverdienstregeln sind nur zwei für Unterschiede zwischen gemeinsamen Einrich- aktuelle Beispiele. Ein grundlegender Aspekt kommt tungen und Optionskommunen. Im Kern zeigt sich jedoch selten vor: Die Effektivität der Vermittlungs- bei den Optionskommunen ein Rückgang der Vermitt- arbeit in den Jobcentern. Hier bestehen je nach Trä- lungen in den ersten Arbeitsmarkt, der von einem gerform der Jobcenter große regionale Unterschiede, Anstieg von Zuweisungen in Ein-Euro-Jobs begleitet wie dieser Beitrag zeigt. Dadurch wird die Arbeitslo- wird.1 sigkeit in manchen Regionen möglicherweise unnötig verlängert. HINTERGRUND UND FORSCHUNGSANSATZ Die Jobcenter wurden 2005 im Zuge der Hartz- Reformen als zentrale Anlaufstelle für Arbeit- Die Grundsicherung für Arbeitsuchende zielt dar- suchende in der Grundsicherung eingeführt. Sie auf ab, die Eigenverantwortung von erwerbsfäh- bündeln Arbeitsvermittlung, Sozialberatung und igen Leistungsberechtigten zu stärken und dazu Leistungsgewährung in einer Institution. Im Regel- beizutragen, dass diese ihren Lebensunterhalt unab- fall sind Jobcenter als sogenannte »gemeinsame hängig von der Grundsicherung bestreiten können Einrichtungen« von Kommunen und Arbeitsagen- (§ 1 Abs. 2 SGB II). Dazu soll z. B. Hilfebedürftigkeit turen organisiert. Ein Teil der Kommunen führt die durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beseitigt Jobcenter jedoch selbständig, als sogenannte »Opti- werden. Sofern nötig, ist zunächst die Erwerbsfähig- onskommunen« oder »zugelassene kommunale Trä- keit durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zu ger« (§ 6a SGB II n.F.). verbessern. Wir nutzen die Zulassung von 41 Optionskom- Für die Arbeitsvermittlung und die Zuweisung munen im Jahr 2012, um den Einfluss der Organisa- arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen ist in den tionsform auf die Vermittlungstätigkeit der Job- gemeinsamen Einrichtungen die Agentur für Arbeit center zu evaluieren. Unsere Analyse ergänzt ähn- zuständig, in den Optionskommunen jedoch die liche Untersuchungen zu den Optionskommunen 1 In diesem Beitrag stellen wir die wesentlichen Ergebnisse unserer des Jahres 2005 (vgl. z.B. ZEW, IAQ und TNS Emnid Untersuchung vor, weitere Einzelheiten finden sich bei Mergele und 2008; Boockmann et al. 2015). Wir untersuchen Weber (2020). ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020 39
FORSCHUNGSERGEBNISSE Abb. 1 – genauer an seiner Stimmen- Gemeinsame Einrichtungen und Optionskommunen in den 402 Landkreisen und zahl im Bundesrat. kreisfreien Städten (2012) Für eine Evaluation ist diese Konstellation beson- Gemeinsame Einrichtung ders vorteilhaft. Erstens un- Optionskommune terliegt nur eine Teilgruppe seit 2005 der Kommunen einer Ände- Optionskommune Schwerin seit 2012 rung in der Jobcenter-Träger- Hamburg Gemischt form. Eine andere Teilgruppe Bremen steht daher als potenzieller Maßstab zur Verfügung. Zwei- Berlin tens unterscheiden sich die Hannover neu zugelassenen Options- Magdeburg kommunen als Gruppe nicht systematisch von den beste- hen gebliebenen gemeinsa- Dresden men Einrichtungen hinsicht- Köln Erfurt lich einer Vielzahl von Indi- katoren in den Bereichen Arbeitsmarkt, Wirtschafts- Frankfurt kraft oder Siedlungsstruktur. Die Rahmenbedingungen für Nürnberg die Vermittlung waren damit weitgehend gleich. In unse- Stuttgart rer Studie können wir zudem durch die Verwendung des München Differenz-von-Differenzen-An- satzes sowie durch Kontroll- variablen auch verbleibende Strukturunterschiede berück- Quelle: Bundesagentur für Arbeit. Geodaten: GeoBasis-DE / BKG 2020. © ifo Institut sichtigten (siehe Box Daten und Methoden). Dies erlaubt es uns die Vermittlungstätig- Kommune. Teilnehmende Kommunen erhoffen sich keit der Optionskommunen ohne systematische Ver- davon mehr Flexibilität, um lokal zugeschnittene Ver- zerrungen zu evaluieren. mittlungsstrategien zu entwickeln. Die Optionskommunen wurden 2005 zunächst OPTIONSKOMMUNEN VERMITTELN SELTENER IN befristet im Rahmen einer »Experimentierklausel« DEN ERSTEN ARBEITSMARKT (§ 6a SGB II a.F.) als Folge eines Kompromisses zwi- schen Bundestag und Bundesrat zugelassen. Nach Im ersten Schritt untersuchen wir die Zahl der Ver- einer Evaluierung2 wurden die bestehenden 67 Opti- mittlungen in den ersten Arbeitsmarkt. Abbildung 2 onskommunen 2010 entfristet. Zudem wechselten im zeigt für Optionskommunen und gemeinsame Jahr 2012 weitere 41 der damals 402 deutschen Land- Einrichtungen die durchschnittlichen monatlichen kreise und kreisfreien Städte in den Status einer Opti- Übergänge in den ersten Arbeitsmarkt je 1 000 Ar- onskommune. In den übrigen Kommunen blieben die beitslosen in der Grundsicherung. Vor 2012, als Jobcenter als gemeinsame Einrichtungen organisiert auch die hier betrachteten Optionskommunen noch (vgl. Abb. 1).3 als gemeinsame Einrichtungen organisiert waren, Dem Wechsel im Jahr 2012 ging ein komplexer gab es nur geringe Unterschiede zwischen bei- Bewerbungs- und Auswahlprozess voraus, der eine den Gruppen. Die Jobcenter vermittelten im Durch- räumlich weitgehend gleichmäßige Verteilung der schnitt pro Monat jeweils ungefähr 40 von 1 000 Ar- neuen Optionskommunen sicherstellte. Unter ande- beitslosen in den ersten Arbeitsmarkt, wobei die rem orientierte sich die Zahl der möglichen neuen Zahl während der Finanz- und Wirtschaftskrise Optionskommunen je Bundesland an dessen Größe auf unter 35 sank und in der anschließenden ge- samtwirtschaftlichen Erholung knapp 50 Vermitt- 2 Kurzfassungen der Evaluierungsergebnisse finden sich in ifo lungen betrug. Seit der Einrichtung der 41 Options- Schnelldienst 1/2009. 3 In einigen Landkreisen bestehen durch Kreisgebietsreformen kommunen im Jahr 2012 zeigt sich allerdings eine gemeinsame Einrichtungen und kommunale Träger nebeneinander. beträchtliche Lücke zwischen den Vermittlungs- Deren territoriale Zuständigkeitsgrenzen sind nicht deckungsgleich mit den Kreisgebietsgrenzen; die entsprechenden Kreise wurden in zahlen beider Gruppen. Während die gemeinsamen die Untersuchung nicht einbezogen. Einrichtungen monatlich weiterhin rund 40 Vermitt- 40 ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE DATEN UND METHODEN Je nach Fragestellung nutzen wir aggregierte Statis- tungen hinsichtlich Vermittlungswahrscheinlichkeit tiken der Bundesagentur für Arbeit (»Arbeitsmarkt usw. schon vor dem Jahr 2012 Unterschiede bestan- in Zahlen«) sowie Individualdaten des Instituts für den, werden diese Differenzen von allen Ergebnis- Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) (SIAB 7514 sen nach 2012 abgezogen. Wir gehen dabei davon und PASS-ADIAB 7515).1 Auf aggregierter Ebene rei- aus, dass diese strukturellen Unterschiede auch nach chen die Daten von Anfang 2007 bis Ende 2016, auf 2012 unverändert fortbestanden, unabhängig von der individueller Ebene von Anfang 2007 bis Ende 2014. Organisationsform der Jobcenter. Als durchschnitt- Aus methodischen Gründen konzentriert sich licher Effekt einer Optionskommune gilt somit nur, die Untersuchung auf 40 Optionskommunen des inwieweit sich vor 2012 bestehende Unterschiede Jahres 2012 (»Behandlungsgruppe« oder »Treat- nach 2012 vergrößert oder verkleinert haben ment-Gruppe«) sowie 294 Kreise mit gemeinsamen Darüber hinaus relevante, über die Zeit variie- Einrichtungen (»Kontrollgruppe«). Für diese 334 Land- rende Einflüsse auf Kreis- und Personenebene rech- kreise und kreisfreien Städte stehen uns im SIAB die nen wir in Regressionen mit geeigneten Kontrollva- Einzeldaten zu 120 000 Arbeitslosen und 88 000 Ver- riablen heraus. Zu den wichtigsten Kontrollvariablen mittlungen zur Verfügung. auf Kreisebene zählen die Zahl der Arbeitslosen und Strukturelle Unterschiede zwischen Treatment- die Zahl der freien Stellen. Auf individueller Ebene und Kontrollgruppe rechnen wir mit Hilfe des Diffe- kontrollieren wir für Alter, Geschlecht, ausländische renz-von-Differenzen-Verfahrens heraus: Sofern zwi- Staatsbürgerschaft, Schulabschluss, Berufsabschluss, schen Optionskommunen und gemeinsamen Einrich- Berufsgruppe und Erwerbshistorie der Arbeitsuchen- 1 Die Datengrundlage dieses Beitrags bilden die faktisch anonymi- den. Des Weiteren berücksichtigen wir fixe Effekte auf sierten Daten der Stichprobe der Integrierten Arbeitsmarktbiografien Kreis- und Monatsebene, um regionale Besonderhei- des IAB (Version 1975–2014) sowie die faktisch anonymisierten Daten des Panels »Arbeitsmarkt und soziale Sicherung«, die mit Registerda- ten sowie saisonale und Konjunkturschwankungen ten verknüpft wurden (PASS-ADIAB). Der Datenzugang erfolgte über abzubilden. Alternative methodische Ansätze aus der einen Gastaufenthalt am Forschungsdatenzentrum der Bundesagen- tur für Arbeit im IAB (FDZ) und anschließend mittels kontrollierter Kausalanalyse wie Matching führen zu vergleichbaren Datenfernverarbeitung beim FDZ (Projektnummern fdz1537 und Ergebnissen wie das hier präsentierte Vorgehen. fdz1538). Für Datenbeschreibungen vgl. Antoni et al. (2016; 2017). lungen je 1 000 Arbeitslosen meldeten, waren es in Zieht man von der monatlichen »Vermittlungslü- den neuen Optionskommunen im Jahr 2012 nicht cke« nach der Reform – durchschnittlich etwa 7,5 Per- einmal 30. Ein Teil dieses Unterschieds dürfte nur sonen – die entsprechende Lücke aus der Zeit vor der temporär und den organisatorischen Herausforde- Reform – etwa 3,5 Personen – ab, verbleibt ein Rück- rungen durch die Umstellung geschuldet sein. Doch gang der Vermittlungszahl um drei bis vier Personen selbst im Jahr 2016 blieben die Optionskommunen je 1 000 Arbeitslosen. Dieser Rückgang kann kausal mit etwa 31 Vermittlungen je 1 000 Arbeitslosen hin- auf die Einrichtung der Optionskommunen im Jahr ter den gemeinsamen Einrichtungen zurück, die im 2012 zurückgeführt werden. Gemessen an der durch- gleichen Jahr monatlich etwa 38 Vermittlungen je schnittlichen Zahl von 30 bis 40 Vermittlungen je 1 000 Arbeitslosen verbuchen konnten. Diese Lücke 1 000 Arbeitslosen und Monat entspricht dies einem war vor der Reform so nicht zu beobachten. Rückgang des Vermittlungserfolgs in den Options- kommunen um 10%. Abb. 2 Dieses Ergebnis wird auch Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt durch unsere statistischen Saisonbereinigt; Jobcenter-Durchschnitte Modelle bestätigt (vgl. Tab. 1). Gemeinsame Einrichtungen Dabei ist es unerheblich, ob Vermittlungen je 1 000 Arbeitslosen 60 Optionskommunen man zusätzlich die Zahl der verfügbaren Stellen und die 50 Zahl der Arbeitslosen, die lokale Arbeitslosenstruktur 40 oder Vermittlungen aus Maß- nahmen heraus berücksichtigt 30 oder die Effekte gar auf indi- vidueller Ebene der Arbeits- losen schätzt (zu Details vgl. 20 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Mergele und Weber 2020). Quelle: Arbeitsmarkt in Zahlen 2007–2016, Berechnungen der Autoren. © ifo Institut Unseren Ergebnissen zu Folge ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020 41
FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 1 Tab. 1 Effekt von Optionskommunen auf Vermittlungen in den ersten Arbeitsmarkt (1) (2) (3) Modell Basismodell Basismodell + Basismodell + Kontrollvariablen »Differenzen-von-Differenzen« Kontrollvariablen »Arbeitsmarktstruktur« & »Arbeitsmarktstruktur« »Arbeitslosenstruktur« Optionskommune – 0,119*** – 0,096*** – 0,100*** Kreise 334 334 334 Beobachtungen 39 018 39 018 39 018 Anmerkungen: Die Symbole *, **, und *** repräsentieren jeweils ein statistisches Signifikanzniveau von 10%, 5% und 1%. Modellschätzung mittels linearer Regression. Abhängige Variable: Logarithmierte aggregierte Abgänge von arbeitslosen SGBII-Empfängern in den ersten Arbeitsmarkt. Modell (2) entspricht dem klassischem Stock- Flow Modell: Quelle: Arbeitsmarkt in Zahlen 2007–2016; Berechnungen der Autoren. hat sich die Vermittlungswahrscheinlichkeit in den OPTIONSKOMMUNEN NUTZEN HÄUFIGER neuen Optionskommunen systematisch und dauer- »EIN-EURO-JOBS« haft um 10% verschlechtert. Dies deckt sich qualitativ mit früheren Untersuchungen (vgl. ZEW, IAQ und TNS Damit stellt sich die Frage, wie die Unterschiede in den Emnid 2008). Vermittlungszahlen zu erklären sind. In Mergele und Weber (2020) untersuchen wir eine Vielzahl von mögli- OPTIONSKOMMUNEN VERMITTELN NICHT IN chen Kanälen. Hier konzentrieren wir uns auf drei tra- BESSERE JOBS gende Säulen im System des »Förderns und Forderns«: Die Beratungsintensität der Jobcenter, die Sanktions- In einem zweiten Schritt untersuchen wir, ob dem praxis und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Rückgang der Vermittlungszahlen eine höhere Ver- Die geringeren Vermittlungserfolge der Jobcen- mittlungsqualität gegenübersteht. Denkbar ist, dass ter könnten Ergebnis einer anderen Beratungs- und die Optionskommunen mehr Wert auf die Passge- Sanktionspraxis sein. Beispielsweise könnten weni- nauigkeit von Stellen legen und höhere Löhne für ger Kontakte zwischen Jobcenter und Arbeitslosen ihre Klienten anstreben, während in den gemeinsa- dazu führen, dass weniger Arbeitslose in Beschäf- men Einrichtungen viele Vermittlungen möglicher- tigung vermittelt werden. Gleichzeitig könnte eine weise nur von kurzer Dauer sind und die Betroffe- lockerere Sanktionspraxis bedeuten, dass Arbeits- nen häufiger zwischen Arbeitslosigkeit und Beschäfti- lose einen geringeren Anreiz zur Arbeitsaufnahme gung hin und her wechseln (Drehtüreffekt). haben. Allerdings zeigen Befragungsdaten des IAB Wir untersuchen dies anhand der administrati- (PASS-ADIAB 7515), dass sich Optionskommunen und ven Individualdaten von rund 88 000 Vermittlungen gemeinsame Einrichtungen weder hinsichtlich der aus dem SIAB 7510. Strukturelle Unterschiede filtern Zahl der jährlichen Kontakte zwischen Arbeitslosen wir wieder mit dem Differenz-von-Differenzen-Ansatz und Bearbeitern noch hinsichtlich Sanktionswahr- und Kontrollvariablen heraus. Tabelle 2 zeigt, dass scheinlichkeit und Sanktionsdauern unterscheiden sich Optionskommunen und gemeinsame Einrichtun- (vgl. Tab. 3). gen hinsichtlich der Qualität ihrer Vermittlungen in Möglicherweise weisen Optionskommunen den keiner der betrachteten Dimensionen statistisch sig- Arbeitslosen aber häufiger arbeitsmarktpolitische nifikant voneinander unterscheiden. Arbeitslose von Maßnahmen zu. Da Maßnahmeteilnehmende nur sel- Optionskommunen werden nicht häufiger in reguläre ten aus einer Maßnahme heraus in Beschäftigung ver- Vollzeitbeschäftigung, in höher bezahlte Beschäfti- mittelt werden (sogenannter Einsperreffekt), würde gung oder in länger andauernde Beschäftigungsver- dies die Zahl der Vermittlungen in den ersten Arbeits- hältnisse vermittelt. Die geringere Zahl der Vermitt- markt vorübergehend senken. Wir stellen insgesamt lungen lässt sich also nicht über eine höhere Qualität jedoch keine höheren Teilnehmerquoten fest, wie der Vermittlungen rechtfertigen. Tabelle 4 zeigt. Auch bezüglich der meisten Maßnah- Tab. 2 Tab. 2 Effekte von Optionskommunen auf die Charakteristika der vermittelten Stellen (1) (2) (3) Abhängige Variable Neue Stelle ist eine sozial- Lohnänderung relativ zu Beschäftigung dauert versicherungspflichtige vorheriger Beschäftigung mindestens sechs Monate Vollzeitstelle (Dummy-Variable) (logarithmiert) (Dummy-Variable) Optionskommune – 0,003 – 0,005 – 0,029 Kontrollvariablen ja ja ja Beobachtungen 88 148 88 148 88 148 Anmerkungen: Die Symbole *, **, und *** repräsentieren jeweils ein statistisches Signifikanzniveau von 10%, 5% und 1%. Modellschätzung mittels linearer Regression. Abhängige Variable siehe Spaltenkopf. Quelle: SIAB 7514; Berechnungen der Autoren. 42 ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE Tab. 3 Tab. 3 Effekte von Optionskommunen auf Kontakte und Sanktionen (1) (2) (3) (4) Abhängige Variable Anzahl persönlicher Anzahl ausführlicher Anzahl Sanktionen Durchschnittliche Kontakte mit dem Beratungen mit dem pro Jahr Dauer der Sanktionen Jobcenter Jobcenter Optionskommune – 0,197 0,137 0,007 0,012 Kontrollvariablen ja ja ja ja Beobachtungen 13 201 8 050 16 143 844 Anmerkungen: Die Symbole *, **, und *** repräsentieren jeweils ein statistisches Signifikanzniveau von 10%, 5% und 1%. Modellschätzung mittels linearer Regression. Abhängige Variable siehe Spaltenkopf. Quelle: PASS-ADIAB 7515, Berechnungen der Autoren. metypen wie beispielsweise Programme zur Aktivie- kommunale Dienstleistungen erbringen können – rung und beruflicher Eingliederung stellen wir keine etwa Grünpflege im Stadtpark oder Hausmeisterar- Unterschiede fest. beiten im Kulturzentrum. So wird es möglich, dass Allerdings nutzen Optionskommunen im Ver- der Bund kommunal erbrachte Leistungen finanziert. gleich zu gemeinsamen Einrichtungen systematisch Allerdings lässt sich aus den zur Verfügung stehen- häufiger »Beschäftigung schaffende Maßnahmen«, den Daten nicht ermitteln, wie die Maßnahmeteilneh- also staatlich geförderte Tätigkeiten auf dem zweiten menden genau eingesetzt wurden. Arbeitsmarkt, zu welchen insbesondere Arbeitsgele- genheiten, umgangssprachlich »Ein-Euro-Jobs«, zäh- ZUWEISUNGEN IN EIN-EURO-JOBS REDUZIEREN len. Wissenschaftliche Evaluationen bewerten derar- tige Maßnahmen in vielen Fällen als wenig wirksam, Unsere umfassende Analyse der Vermittlungsaktivi- um die Vermittlungswahrscheinlichkeit von Arbeits- täten von Jobcentern zeigt: Die 2012 geschaffenen losen zu steigern (vgl. z.B. Kluve 2010). Für Ein-Euro- Optionskommunen haben gegenüber vergleichba- Jobs im Speziellen werden positive Beschäftigungsef- ren gemeinsamen Einrichtungen eine niedrigere Ver- fekte, wenn überhaupt, eher langfristig und vor allem mittlungswahrscheinlichkeit von Arbeitslosen. Dafür bei Maßnahmen in Feldern mit hoher Arbeitsnach- scheint vor allem die höhere Präferenz für Ein-Euro- frage sowie für arbeitsmarktferne Maßnahmeteilneh- Jobs und andere Beschäftigung schaffende Maßnah- mer beobachtet (vgl. z.B. Harrer und Stockinger 2019; men maßgeblich zu sein. In vielen anderen Belangen Kiesel und Wolff 2018). Die Maßnahmen befördern unterscheiden sich Optionskommunen und gemein- demzufolge eher die Stärkung der Erwerbsfähigkeit same Einrichtungen hingegen kaum – insbesondere, als die Vermittlung in Beschäftigung. was die Qualität der Vermittlung, die Beratungs- und Warum nutzen die Optionskommunen diese Maß- die Sanktionspraxis angeht. nahmen dann häufiger? Darüber können wir nur Ver- Dieser Befund lässt verschiedene Schlüsse zu. mutungen anstellen. Möglicherweise überschätzen Das schlechtere Abschneiden der Optionskommunen sie die Wirkungen der Ein-Euro-Jobs, oder sie schät- in der Vermittlungsarbeit spräche zunächst dafür, zen die Arbeitsmarktferne von Arbeitslosen anders die Vermittlungsaktivität wieder auf die Agenturen ein als gemeinsame Einrichtungen. Interessant ist in für Arbeit zu übertragen. Vermutlich könnte es aber diesem Zusammenhang aber auch, dass Ein-Euro- bereits ausreichen, dass die Optionskommunen die Jobs unter Umständen entlastend auf kommunale Zahl der – möglicherweise unnötigen – Zuweisun- Haushalte wirken können. Für die Kosten arbeits- gen in Ein-Euro-Jobs reduzieren. Dazu wäre eine noch marktpolitischer Maßnahmen in der Grundsiche- passgenauere und noch stärker an den Bedürfnissen rung kommt weitgehend der Bund auf. Ein-Euro-Jobs von Arbeitslosen und Arbeitsnachfrage orientierte haben im Gegensatz zu anderen Maßnahmen für die Vermittlungspolitik erforderlich. Die Länder könnten Kommunen aber den Vorteil, dass Teilnehmende auf einen solchen Prozess in den von ihnen regelmä- Tab. 4 Tab. 4 Effekte von Optionskommunen auf Zuweisungen in arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (1) (2) (3) (4) (5) Abhängige Variable Maßnahmen Aktivierung Berufliche Aufnahme einer Beschäftigung insgesamt und berufl. Weiterbildung Erwerbstätigkeit schaffende Eingliederung (v.a. Lohn- Maßnahmen subventionen) (v.a. Ein-Euro-Jobs) Optionskommune 0,033 − 0,068 0,057 0,046 0,302*** Kontrollvariablen ja ja ja ja ja Beobachtungen 37 323 37 318 35 669 36 773 35 925 Anmerkungen: Die Symbole *, **, und *** repräsentieren jeweils ein statistisches Signifikanzniveau von 10%, 5% und 1%. Modellschätzung mittels linearer Regression. Abhängige Variable siehe Spaltenkopf. Alle abhängigen Variablen logarithmiert. Quelle: Arbeitsmarkt in Zahlen; Berechnungen der Autoren. ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020 43
FORSCHUNGSERGEBNISSE ßig geführten Zielvereinbarungsprozessen mit den Boockmann, B., S. Thomsen, T. Walter, C. Göbel und M. Huber (2015), »Should Welfare Administration be Centralized or Decentralized? Evidence Jobcentern hinwirken. Zudem würde der Anreiz zum from a Policy Experiment«, German Economic Review 16(1), 13–42. Einsatz von Ein-Euro-Jobs sinken, wenn sich die Kom- Harrer, T. und B. Stockinger (2019), »Ein-Euro-Jobs nach der Instrumen- munen an den Kosten der Maßnahmen etwa im Zuge tenreform 2012: Zielgruppe besser erreicht – erste Ergebnisse zur Wir- kung«, IAB-Kurzbericht, 22/2019, Nürnberg. einer Kofinanzierung beteiligen müssten. Kiesel, M. und J. Wolff (2018), »Langfristige Teilnahmewirkungen von Ein- Euro-Jobs: Das Einsatzfeld hat Einfluss auf die Integrationschancen«, IAB-Kurzbericht 8/2018, Nürnberg. LITERATUR Kluve, J. (2010), »The effectiveness of European active labor market pro- grams«, Labour Economics 17(6), 904–918. Alt, H. (2017), Gutachten zum Reformbedarf der Grundsicherung, Fried- rich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Potsdam-Babelsberg. Mergele, L. und M. Weber (2020), »Public employment services under decentralization: Evidence from a natural experiment«, Journal of Public Antoni, M., S. Dummert und S. Trenkle (2017), Pass-Befragungsdaten ver- Economics 182, im Erscheinen. https://www.sciencedirect.com/science/ knüpft mit administrativen Daten des IAB (PASS-ADIAB) 1975-2015, FDZ-Da- article/abs/pii/S0047272719301756. tenreport 06/2017, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg. ZEW, IAQ und TNS Emnid (2008), Evaluation der Experimentierklausel nach §6c SGB II – Vergleichende Evaluation des arbeitsmarktpolitischen Erfolgs Antoni, M., A. Ganzer und P. vom Berge (2016), Stichprobe der Integrieren der Modelle der Aufgabenwahrnehmung »Zugelassener kommunaler Trä- Arbeitsmarktbiographien (SIAB) 1975-2014, FDZ-Datenreport 04/2016, Insti- ger« und »Arbeitsgemeinschaft« Untersuchungsfeld 3: »Wirkungs- und Effizi- tut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Nürnberg. enzanalyse«, Abschlussbericht, Mannheim, Gelsenkirchen und Bielefeld. 44 ifo Schnelldienst 2 / 2020 73. Jahrgang 12. Februar 2020
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