Jodmangel in Schwangerschaft und Stillzeit
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Merkblatt für Frauenärzte und Hebammen Jodmangel in Schwangerschaft und Stillzeit Altes Problem Nabelschnurblut-Untersuchun- im neuen Jahrtausend gen Neugeborener zeigen, dass ca. zehn Prozent der Neu- Die Jodversorgung in Deutsch- geborenen aufgrund unzurei- land hat sich in den letzten chender mütterlicher Jod- Jahren erfreulich verbessert. versorgung eine latente Schild- Trotzdem ist der Jodmangel drüsenunterfunktion aufwei- noch nicht hinreichend kom- sen. Andere Studien gehen pensiert. Schwangere, Stillende hinsichtlich transienter konge- und folglich auch gestillte nitaler Hypothyreosen und Säuglinge sind hinsichtlich der Hyperthyreotropinämien von gesundheitlichen Folgen des einer Prävalenz von bis zu 25 Jodmangels die „Risikogruppe Prozent aus. Nr.1“. So geht etwa ein Fünftel bis zu einem Drittel der Schwangeren mit einer Struma in die Schwangerschaft. Etwa jede fünfte Schwangere hat eine gestörte Schilddrüsen- funktion im Sinne einer latenten oder manifesten Hypothyreose bzw. Hypothyroxinämie.
Prophylaxe mit Gegenwärtig entfällt auf jeden Jodtabletten 29. Bundesbürger eine Jod- tabletten-Verordnung. Aber nur Zur Sicherstellung des Jodbe- sechs Prozent aller Jodtablet- darfs von Mutter und Kind wird ten-Verordnungen betreffen Schwangeren und Stillenden Schwangere. Regionale Studien nach wie vor eine Supplemen- mit Schwangeren ergaben, dass tierung in Tablettenform mit nur zwischen 20 bis maximal 50 100 bis 150 µg Jod/Tag emp- Prozent der Frauen eine konse- fohlen. Die früher empfohlene quente Strumaprophylaxe mit ergänzende Zufuhr von 200 µg Jodtabletten durchführen. Ver- Jod/Tag ist nur noch in gleichbares gilt für Wöchnerin- Einzelfällen notwendig. nen. Von einer konsequenten Jodsupplementierung kann also derzeit nicht ausgegangen werden. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Schwan- gere zunehmend häufiger Kombinationspräparate mit Derzeitige Regelungen Folsäure und Jodid verwenden. zu Verordnung und Die in diesen Präparten enthal- Erstattungsfähigkeit tenen 150 µg Jodid sind ausrei- von Jodtabletten chend. Jodtabletten sind nicht rezept- pflichtig und brauchen daher nicht verordnet zu werden. Die Jodbedarf in Schwan- Verordnungshäufigkeit von Jod- gerschaft und Stillzeit tabletten hat in den letzten Jahren erheblich abgenommen. Für eine normale Schilddrüsen- Seit 2004 werden Jodtabletten funktion und zur Strumavor- zur Prophylaxe generell nicht beugung benötigen Erwachse- mehr von der Krankenkasse ne 200 µg Jod/Tag. In Schwan- erstattet. Ausgenommen sind gerschaft und Stillzeit beträgt Verordnungen zur Therapie von der Jodbedarf 230 bzw. 260 µg/ Schilddrüsenpatienten. Tag. Die mittlere Aufnahme 2
liegt derzeit jedoch nur bei ca. die für Jod ist unverändert. Der 120 µg Jod/Tag (inkl. Jodsalz- kindliche Jodbedarf bis zur verwendung und Verzehr aller Geburt wird mit ca. 50 µg/Tag mit Jodsalz hergestellten Le- veranschlagt. bensmittel). Entsprechend ist die Versorgungslücke bei Der erhöhte Mehrbedarf in Schwangeren und Stillenden der Stillzeit erklärt sich durch erheblich, sofern nicht eine die Jodabgabe mit der Mutter- Supplementierung mit Jodta- milch. Als Mindestmenge für bletten erfolgt. eine ausreichende Versorgung des Säuglings gelten 5 µg Jod/ Der erhöhte Jodbedarf in der 100 ml Muttermilch. Schwangerschaft ergibt sich durch den intensiveren mütter- lichen Stoffwechsel (Grundum- satzerhöhung), durch erhöhte renale Clearance und den Transfer von Schilddrüsenhor- Folgen des Jodmangels monen an die Frucht. Ab der 12. Woche nimmt die kindliche Wird der Jodmangel in Schilddrüse die Hormonbildung Schwangerschaft und Stillzeit auf. Die Plazentadurchgängig- nicht hinreichend ausgeglichen, keit für maternale Schilddrüsen- ist die mütterliche Schilddrüse hormone nimmt allmählich ab, nicht mehr in der Lage, den Mehrbedarf an Schilddrüsen- hormonen sicherzustellen. Mög- Empfohlene Jodzufuhr* (µg/Tag) liche Folgen für die Schwangere Säuglinge Jugendliche/Erwachsene sind: Entwicklung bzw. Vergrö- 0 - 4 Monate 40 15 - 19 Jahre 200 ßerung einer Struma und/oder 4 - 12 Monate 80 19 - 25 Jahre 200 25 - 51 Jahre 200 Auftreten einer Hypothyreose Kinder 51 - 65 Jahre 180 1 - 4 Jahre 100 65 Jahre u. älter 180 mit vielfältigen Auswirkungen. 4 - 7 Jahre 120 7 - 10 Jahre 140 Schwangere 230 10 - 13 Jahre 180 Stillende 260 Auch auf das Kind im Mutter- 13 - 15 Jahre 200 leib wirkt sich der Jodmangel *Quelle: „Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr“ (D-A-CH-Referenzwerte), Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung, Schweizer aus. Erfolgt die fetale Schilddrü- Gesellschaft für Ernährung, Schweizerische Vereinigung für Ernährung (Hrsg.), 1. Aufl., Umschau/Braus Verlag Frankfurt/M. 2000 senhormonbildung nicht ent- 3
wicklungskonform, kann die Jodmangel bzw. Hypothyreose kindliche Schilddrüse hyper- bei Schwangeren und Stillenden throphieren und hyperplasieren und mögliche Folgen und zur konnatalen Struma füh- N Verdopplung der Fehlgeburtenrate ren (=Geburtshindernis). Die N Erhöhte Frühgeburtlichkeit Prävalenz der Struma connata N Entwicklung einer Struma / Verschlechterung des Schilddrüsenstatus ist in Deutschland erfreulicher- N Ferritinmangel bzw. eisenmangelresistente weise deutlich zurückgegangen Anämien (< ein Prozent). Zu bedenken ist N Hartnäckige Obstipation N Depression, insb. post partum aber das Problem kongenitaler Hypothyreosen (ohne Struma) Unfruchtbarkeit der Frau kann durch Hypothy- reose und indirekt durch Jodmangel bedingt sein mit entsprechenden Risiken für Entwicklung und Reifung des Kindes (Häufigkeit latenter Hy- Jodmangel beim Feten und pothyreosen: ca. zehn Prozent). mögliche Folgen N Wachstumsstörungen und verzögerte Knochenreifung (bedingt durch herabgesetzte Aus Untersuchungen in Jod- Sekretion des Wachstumshormons) mangelgebieten ist bekannt, N Verzögerte Lungenreifung, insbesondere bei dass bereits milde, meist sym- Frühgeburten N Erhöhtes Risiko für spätere Hördefekte ptomfreie (und dadurch viel- N Gestörte Hirnentwicklung und damit verbun- fach nicht erkannte/ behandel- dene geistige zentralnervöse Entwicklungs- te) Hypothyreosen der Schwan- defizite (Minderung der Intelligenz; Lern- und Merkschwierigkeiten); belegt ist, dass psycho- geren ausreichen, die geistige motorische Störungen mit erniedrigten fT4- Entwicklung des Kindes negativ Werten der Mutter einhergehen N Entwicklung einer Struma und/oder zu beeinträchtigen (niedrige- Hypothyreose rer IQ). Wird der mütterliche Jod- Für ein hypothyreotes Neu- mangel in der Stillzeit nicht geborenes ist entscheidend, kompensiert, ist auch die Frau- wann die Levothyroxin-Substi- enmilch jodarm. Dies kann zu tution einsetzt und ob die Dosis Manifestation von Schilddrü- adäquat ist. Eine frühzeitige senfunktionsstörungen und Diagnostik ist daher sinnvoll. nachfolgend zu Entwicklungs- Aufgrund verkürzter Liegezei- rückständen des Säuglings ten der Wöchnerinnen und führen. zunehmender Zahl ambulanter 4
Geburten bzw. Hausgeburten Die Verwendung von Jodsalz ist nicht grundsätzlich von der (bzw. Jodsalz mit Fluorid und Durchführung eines TSH-Scree- Folsäure) im Haushalt und der nings am 5. Lebenstag des Neu- Kauf von mit Jodsalz hergestell- geborenen auszugehen. Patien- ten Lebensmitteln wie Brot, tinnen müssen deshalb auf die Backwaren, Wurst, Fertigpro- Notwendigkeit einer entspre- dukten (Produktdeklaration be- chenden Rücksprache mit dem achten). Pädiater hingewiesen werden. 2.2. Verschiedene Studien be- legen, dass der deutlich erhöhte Jodbedarf von 230 bzw. 260 µg Fahrplan zur optimalen bei Schwangeren und Stillen- Jodversorgung von den nur dann zuverlässig zu rea- Mutter und Kind lisieren ist, wenn ergänzend Jodtabletten eingenommen 1.1. Einer vielseitigen und aus- werden. Da heutige Schwanger- gewogenen Ernährung kommt schaften vielfach geplant sind, in Schwangerschaft und Stillzeit ist idealerweise präkonzeptio- besondere Bedeutung zu. Dazu nell für eine ausreichende Jod- gehören: und Folsäurezufuhr zu sorgen. Aufgrund der allgemein besse- Der tägliche Konsum von ren Jodversorgung (mittlere Zu- Milch und Milchprodukten, da fuhr: 120 µg/Tag) reicht in der sie wesentlich zur Jodversor- Regel eine ergänzende Zufuhr gung beitragen können und von 100 µg Jod/Tag (Zwillings- zudem für die Sicherstellung schwangere: 150-200 µg/Tag) des Kalziumbedarfs unentbehr- aus. lich sind. In einer Jod-Anamnese sollte allerdings vor einer Empfehlung Der regelmäßige Verzehr von geklärt werden, ob die Patientin Seefisch (ein- bis zweimal pro jodhaltige Nahrungsergänzungs- Woche), der zudem die für die mittel (NEM) oder so genannte frühkindliche Entwicklung wich- Schwangerschafts-/Frauen-Vi- tigen Omega-3-Fettsäuren und taminpräparate verwendet. Je Vitamin D liefert. nach Hersteller können solche 5
Produkte 50-200 µg Jod/ Tablet- Jodzufuhr (> 500 µg) ist über die te enthalten. Ernährung kaum zu erreichen, könnte aber durch sich addie- Eine Nahrungsergänzung mit rende Wirkungen von NEM, Vitaminen und die Jodsupple- durch Algen- und Tangpräpa- mentierung sollten aufeinander rate etc. zustande kommen. abgestimmt bzw. gegeneinan- der abgewogen werden. Wegen 4.4. Die prophylaktische Gabe der Zuverlässigkeit der Dosier- von Jodtabletten sollte nach der ung sollte der Jodtablettenpro- Geburt nicht abgesetzt, sondern phylaxe der Vorrang einge- über die Stillzeit fortgeführt räumt werden. werden (je nach Stillleistung täglich: 100 - 150 µg zusätzlich 3. 3. Eine Gefahr durch über- zur ausgewogenen Ernäh- reichliche Jodzufuhr besteht im rung). Nach dem Abstillen sollte Allgemeinen nicht. Sind der für den Säugling auf handels- Jodbedarf von Mutter und Kind übliche Säuglingsmilchnahrung gedeckt und die Jodspeicher und Breikost zurückgegriffen der Schilddrüse aufgefüllt, wird werden. Diese Produkte sind in überschüssiges Jod über die Deutschland gemäß Diät-Ver- ordnung einheitlich (d.h. pro- Nieren wieder ausgeschieden. duktunabhängig!) und altersge- recht mit Jod angereichert, Als sicher gilt für den Erwachse- sodass der Jodbedarf des Säug- nen nach der Bewertung des lings stets gedeckt wird. Bundesinstituts für Risikobe- wertung (BfR) und den Fachge- sellschaften eine durchschnitt- Checkliste für Frauen- liche tolerierbare Menge ärzte zu Diagnostik und (UL=upper intake level) von 500 µg Jod pro Tag. Aus vorbeugen- Behandlung von der Sicht, d. h. zur Schonung der Schwangeren mit Schild- noch unreifen Autoregulation drüsenerkrankungen der fetalen Schilddrüse, sollte die Jodzufuhr jedoch in physio- Obwohl das Jodmangelprob- logischer Höhe, d. h. bis 300 µg lem in Deutschland nach wie (s.o.) erfolgen. Eine überhöhte vor besteht und obwohl Schild- 6
drüsenerkrankungen bei Frau- nommen worden. Unabhängig en generell (bis zu vier Mal) häu- davon und wegen der mögli- figer sind als bei Männern, ist chen Schwere gesundheitlicher die Überprüfung der Schilddrü- Folgen sollte im Verdachtsfall senfunktion bislang nicht in die die Schilddrüsengesundheit Mutterschaftsrichtlinien aufge- überprüft werden. Diagnostik Behandlung Struma Struma Maternales SD-Volumen kann sich verdoppeln § 200 µg Jodid/Tag während der gesamten (oberster Toleranzwert: 18 ml) Schwangerschaft und Stillzeit § Bei bekannten autonomen Adenomen in einer Hypothyreose Struma mit latenter Hyperthyreose kein Jodid in TSH + f T4 = manifeste Hypothyreose der Schwangerschaft TSH + normales f T4 = latente Hypothyreose Isolierte Hypothyroxinämie = besondere Form der Hashimoto-Thyreoiditis Hypothyreose, besonders in der Schwangerschaft § Levothyroxin in einer Dosis um TSH im unteren Normbereich einzustellen (TSH 0,5-1,5 mU/L) Hashimoto-Thyreoiditis bereits bei Kinderwunsch Wie oben, zusätzlich Anti-TPO (bzw. MAK) positiv § Überprüfung der Substitutionsdosis mit Levo- (Nachweis von Anti-TPO auch bei Euthyreose mit thyroxin sobald Schwangerschaft gesichert und hoher Prädiktionskraft: bei 19 bis 50 Prozent der Überprüfung der Dosierung alle drei Monate, Frauen kommt es postpartal zu manifester TSH Zielbereich 05-1,5 mU/L und 100 µg Jodid Hypothyreose) spätestens ab der 12. Schwangerschaftswoche Schwangerschafts-Hyperthyreose bis zum Ende der Stillzeit HCG hat thyreotrope Wirkung, d.h. je höher HCG, Schwangerschafts-Hyperthyreose desto höher das Risiko einer Hyperthyreose, d. h. das TSH ist praktisch immer supprimiert, § Meist milde und transient, keine thyreostatische insbesondere bei Mehrlingsschwangerschaften Behandlung, 100 µg Jodid ab der Normalisierung fT3 + f T4 im oberen Normbereich = latente des TSH (meist ab dem 2. Trimester) Hyperthyreose Morbus Basedow fT3 + f T4 = manifeste Hyperthyreose § Verschlechterung im 1. Trimester, meist Hyperthyreose oft einhergehend mit Besserung ab dem 2. Trimester Hyperemesis gravidarum § Thiamazol oder Propycil in niedriger Dosierung, Morbus Basedow Kontrolle alle 3 bis 4 Wochen Wie oben, zusätzlich TRAK- (MAK)-Titer erhöht § Cave: Hypothyreose der Mutter § Gabe von ß-Blockern bei Tachykardie möglich § kein Jodid § Fetales Missbildungsrisiko bei adäquater Therapie nicht erhöht § Wenn TRAk erhöht, besteht die Gefahr der Hyperthyreose des Fötus: Risiko-Schwanger- schaft. Überprüfung der kindlichen Entwicklung alle vier Wochen durch Gynäkologen § Stillen auch unter Thiamazol oder Propycil mög- lich, Cave: Hypothyreose der Mutter 7
Für den Arbeitskreis Jodmangel: Prof. Dr. med. Roland Gärtner Klinikum Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. med. Heinz G. Bohnet Hamburger Institut für Fortpflanzungsmedizin und Endokrinologie Weiterführende Informationen im Internet: www.jodmangel.de www.forum-schilddruese.de www.schilddruese.net www.schilddruese.de www.jod-fuer-zwei.de Herausgeber: Arbeitskreis Jodmangel (AKJ), Organisationsstelle, Leimenrode 29, 60322 Frankfurt, Telefon (0 69) 24 70 67 96, Telefax (0 69) 70 76 87 53, E-Mail: ak@jodmangel.de, Internet: www.jodmangel.de
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