Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe

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Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe
LWL-Landesjugendamt Westfalen

Jugendhilfe
                                                                  Ausgabe 3.2015
                                                                  ISSN 1614-3027

      aktuell
Schwerpunkt:
Beistandschaften – ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt

www.lwl-landesjugendamt.de
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Eigenwerbung

Gesamtprogramm und das Spezialheft für Kindertageseinrichtungen für 2016

Die neuen Fortbildungsprogramme sind da!
Anfang Dezember wurden unsere neuen Fortbildungsprogrammhefte versendet. Auf 180 Seiten wurde ein
umfangreiches Qualifizierungsangebot unserer vier Fortbildungsanbieter für Sie zusammengestellt, um Sie
für die Arbeitsfelder und Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken.

Hier finden Sie zahlreiche Fachtagungen zu aktuellen und bewährten Themen sowie eine Vielzahl an Semi-
naren, Kursen, Workshops und Informationsveranstaltungen, die die große Palette des gesamten Bereichs
der Jugendhilfe abdeckt. Ausnahme ist der Bereich Tageseinrichtungen für Kinder. Alle Angebote zu diesem
Aufgabenfeld finden Sie im 120 Seiten starken KITA-Spezial Programm (Abbildung rechts).

Unsere Fortbildungen online:          www.lwl.org/fortbildung

Die Programmhefte bestellen:          www.lwl-landesjugendamt-shop.de

Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) steht für erstklassige Fortbildungen im Bereich Kinder- und
Jugendhilfe sowie im Fachgebiet Suchthilfe. Durch die Kombination bewährter und innovativer Methoden
bieten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit, beruflich und persönlich zu wachsen.
Mit unseren praxisorientierten Angeboten fördern wir den Erfahrungsaustausch in unserer Region. Was uns
auszeichnet? Hochwertige Wissensvermittlung zu fairen Konditionen.
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Vorwort   3

Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

im August habe ich die Nachfolge von Hans Meyer als Leiterin des De-
zernates LWL-Landesjugendamt, Schulen und Koordinationsstelle Sucht
angetreten. Ich freue mich, dass ich Ihnen mit diesem Heft die für mich
erste Ausgabe der Jugendhilfe-aktuell vorlegen kann, die im Schwerpunkt
den Fachdienst Beistandschaften der Jugendämter in den Blick nimmt.
In unserem Projekt „Beistandschaften 2020“ stellte sich unter anderem
heraus, dass dieser Fachdienst und seine Aufgaben noch nicht ausreichend
bekannt sind.

Dabei sind die Aufgabenstellungen der Beistandschaften für Alleinerzie-
hende, für getrennte oder geschiedene Elternpaare und auch für junge
Volljährige von großer Bedeutung: Hier erhalten sie Beratung, Unterstüt-
zung und gegebenenfalls einen Beistand, für die Sicherung von Unterhalt
und die Klärung der gesetzlichen Voraussetzungen hierfür.

Aus den Beiträgen dieses Heftes wird deutlich, dass sich der Fachdienst
Beistandschaften im Wandel befindet. Er hat in den letzten Jahren – nicht
zuletzt auch durch die Bündelungsfunktion der Landesjugendämter – ein
deutlich geschärftes Profil entwickelt. Nun muss er sich noch weiter eman-
zipieren und zu einer echten Anlaufstelle im Jugendamt weiterentwickeln.
Dazu gehört auch, dass eigenständige Strategien und Konzepte entwickelt
werden, sich Leitung hinter ihren Fachdienst stellt und die Beistandschaf-
ten auch ihre Leistungen offensiv kommunizieren.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre und freue mich auf eine
gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihnen.

Birgit Westers
Landesrätin
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16. Deutscher
                                                                                                  KinDer- unD
                                                                                                  JugenDhilfetag

                                                 22 mio. junge
                                                 chancen
                                                                                                   gemeinsam. gesellschaft.
                                                                                                   gerecht. gestalten.

                                                                                                   28.– 30. März 2017
                                                                                                   DüsselDorf

www.twitter.com/djht2017          Der 16. Deutsche Kinder- und Jugendhilfetag wird gefördert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes sowie
www.facebook.com/jugendhilfetag   aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans des landes nordrhein-Westfalen und der landeshauptstadt Düsseldorf.
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Inhalt        5

Schwerpunktthema                                     Aktuelles

Beistandschaften
                                                S.                                                    S.

Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des    6    Aus dem Landesjugendhilfeausschuss (LJHA)        38
Gesetzgebers zur gelebten Praxis
                                                     Verabschiedung Hans Meyer                        39
Auf dem richtigen Weg? Aktuelle Entwick-        9
lungen der Beistandschaften                          Auftakt der Aktionswochen „Das Jugend-           40
                                                     amt. Unterstützung, die ankommt.“
Offene Rechtsfragen                             11
                                                     Praxisnutzen „Aushandlung ambulanter             42
Wie geht Praxisentwicklung? Projektdesign       14   Erziehungshilfen mit freien Trägern“
und Veränderungsziele des Praxisentwick-
lungsprojektes                                       Hilfeplanung gem. § 36 SGB VIII                  43
                                                     Empfehlungen, Flyer und Tischvorlage
Empirische Hinweise zu Beistandschaften in      16
Nordrhein-Westfalen                                  „Gehört werden!“ Beteiligungsstrukturen          44

Gewinnbringende Zusammenarbeit - Bei-           20   Suchtmittelkonsum und suchtbezogene Pro-         45
standschaften und Frühe Hilfen                       blemlagen in stationärer Jugendhilfe

Raus aus der Nische – Öffentlichkeitsarbeit:    24   Heimerziehung-DVD: Gruppengespräche              51
ein Muss für die Beistandschaft
                                                     Jugendtrophy LWL-Jugendhilfezentrum Marl         52
Eine lernende Organisation entwickelt sich      26
                                                     Jugendmarke: Interview mit Thomas Thomer 54
Beistandschaft stärken! Erwartungen und         28
Erfahrungen von Alleinerziehenden                    Jugendsozialarbeit: neuer Arbeitsausschuss       56

Die Betroffenen entscheiden: Beistandschaft     30   Inklusion in Kinder- und Jugendförderung         58
oder „Beratung und Unterstützung“
                                                     Beteiligung in der Ganztagsschule                62
Ein Fachdienst stellt sich auf: Die Bedeutung   32
der Arbeit mit Zielen und Kennzahlen                 Kita-Regionalkonferenz & Fröbel Jubiläum         66

Gestärkt durch neues Handwerkszeug – Fort- 35        Partizipation in Kindertageseinrichtungen        67
bildungsangebote für Beistände
                                                     Motopädie im LWL-Berufskolleg Hamm               68

                                                     Fortbildungen / Impressum                        70
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Vertrauensvoll nach vorne blicken (Foto: Jugendämter)

Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des
Gesetzgebers zur gelebten Praxis
Bisherige Entwicklung und aktuelle Potentiale der Beistandschaft

Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner

Die Abschaffung der Zwangspflegschaft                   Bevormundung der Mutter und damit als Zwangs-
                                                        pflegschaft empfunden worden ist, so wurden
Im Rahmen des Beistandschaftsgesetzes (G. vom 4.        doch verschiedene Modelle für die Nachfolgerege-
12. 1997 - BGBl. I S. 2846), das zeitgleich mit dem     lung erörtert. Der Gesetzgeber entschied sich für
Kindschaftsrechtsreformgesetz am 1. Juli 1998 in        das sog „Antragsmodell“, das Anfang und Ende
Kraft trat, wurde die gesetzliche Amtspflegschaft       der staatlichen Hilfe völlig vom Willen des berech-
durch die „neue“ Beistandschaft ersetzt. Diese          tigten Elternteils abhängig macht. Damit blieb
Rechtsänderung ist als ein Schritt in der langen his-   auch die Vaterschaftsfeststellung in der Eigenver-
torischen Entwicklung der Rechtsstellung nichte-        antwortung der Mutter, was rechtspolitisch im Hin-
helicher Kinder und des Unterstützungsbedarfs für       blick auf das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner
die alleinstehende Mutter zu sehen. Gleichzeitig        Abstammung bis heute kontrovers diskutiert wird.
sollte damit die Rechtslage in Gesamtdeutschland
vereinheitlicht werden, nachdem in den neuen            Diskutiert wurde auch über den Standort der
Bundesländern nach der Wiedervereinigung die            neuen gesetzlichen Regelung. So standen neben
gesetzliche Amtspflegschaft nicht eingeführt wor-       verschiedenen anderen Modellen auch das so
den war.                                                genannte SGB-VIII-Modell zur Debatte, das insbe-
                                                        sondere von Seiten der Obersten Landesjugend-
Wenngleich weithin Einigkeit bestand, die Amts-         behörden und der Jugend- und Familienminister-
pflegschaft abzuschaffen, da sie inzwischen als         konferenz favorisiert worden war. Der Gesetzgeber
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Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des Gesetzgebers zur gelebten Praxis   7

hat sich dann für das Modell der „Fürsorge im              Ausgestaltung der „Drei-Stufen-Hilfe“:
zivilrechtlichen Gewand“ (Bundestagsdrucksache
13/892 Seite 32) entschieden. Da mit der Wahr-             Die Beistandschaft entfaltet ihre Wirkung im Kon-
nehmung der Aufgabe das Jugendamt betraut                  text von zwei anderen gesetzlichen Regelungen,
wird, war aber, wie bei der Regelung zur Amtsvor-          die gewissermaßen die Vorstufen im Rahmen einer
mundschaft und Amtspflegschaft, gleichzeitig eine          „Drei-Stufen-Hilfe“ darstellen.
korrespondierende Regelung im SGB VIII erforder-
lich. Hier hat sich der Gesetzgeber für einen Stand-       • Nach § 52 a SGB VIII wird der Mutter des
ort im Kontext der Vorschriften zur Pflegschaft und          nichtehelichen Kindes zunächst Beratung und
Vormundschaft entschieden und damit das An-                  Unterstützung angeboten. Nimmt sie dieses
tragsmodell den so genannten anderen Aufgaben                Angebot an, so hat sie einen Anspruch auf
der Jugendhilfe (§ 2 Abs. 3 SGB VIII) zugewiesen,            Beratung und Unterstützung.
was ebenfalls rechtliche Bedenken aufwirft. Er-
gänzt wurde die Regelung über die Beistandschaft           • Auf der zweiten Stufe kann sie außerdem Bera-
des Jugendamts durch die Hinweispflicht in § 52 a            tung und Unterstützung bei der Ausübung der
SGB VIII, die schließlich auch noch im Zusammen-             Personensorge einschließlich der Geltendma-
hang mit dem Beratungsanspruch nach § 18 SGB                 chung von Unterhalts- oder Unterhaltsersatzan-
VIII zu sehen ist, woraus sich insgesamt das Modell          sprüchen des Kindes oder Jugendlichen sowie
einer „Drei-Stufen-Hilfe“ ableitet.                          über die Abgabe einer Sorgeerklärung und die
                                                             Möglichkeit der gerichtlichen Übertragung der
Im Rahmen des Kinderrechteverbesserungsgeset-                gemeinsamen elterlichen Sorge beanspruchen
zes (G.vom 9.4.2002 - BGBl. I S.1239) wurde das              (§ 18 Abs. 1 und 2 SGB VIII - sog. kleine Bei-
Antragsrecht auch auf Elternteile erweitert, denen           standschaft).
die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam zu-
steht, wenn das Kind sich in ihrer Obhut befindet          • Reicht ihr die Unterstützung bei der Vater-
(§ 1713 Absatz 1 Satz 2 BGB). Damit wurde die                schaftsfeststellung und der Geltendmachung
Beistandschaft auch für alleinerziehende Väter und           von Unterhaltsansprüchen nach § 18 nicht aus,
Mütter nach der Trennung oder Scheidung geöff-               so kann sie auf der dritten Stufe die Beistand-
net.                                                         schaft beim Jugendamt nach § 1712 BGB
                                                             beantragen.
Inhaltlich konzentriert sich die Beistandschaft auf
die beiden Aufgabenkreise Feststellung der Vater-          Das Modell des § 52 a SGB VIII stand inzwischen
schaft und Geltendmachung von Unterhaltsan-                auch Pate für die Ausgestaltung des § 2 KKG, der
sprüchen. Der Regierungsentwurf begründete die-            die Information der Eltern über Unterstützungsan-
se Begrenzung mit dem besonderen Eigeninteresse            gebote in Fragen der Kindesentwicklung regelt.
des Staates an der Durchsetzung dieser Rechte
sowie mit dem nicht nachvollziehbaren Argument,            Umsetzung des gesetzlichen Auftrags
die Begrenzung geschehe zur Vermeidung von
Misstrauen gegenüber alleinsorgeberechtigten               Die Beistandschaft wird einerseits als Aufwertung
Elternteilen. Die mit der Aufgabenkonzentrati-             der Funktion des Jugendamts verstanden (Rüting
on verbundenen Nachteile werden in der Praxis              Jugendamt 2004, 223) und erfreut sich durchaus
durch das weite Verständnis der Beistandschaft             hoher Akzeptanz, zumal sie von den entsprechend
als „dienstleistungsorientiertes Angebot“ (Rüting,         beratenen betroffenen Personen als eine kosten-
Jugendamt 2004) ausgeglichen.                              günstige Alternative zur Beratung durch einen
                                                           Rechtsanwalt zum Zweck der Vaterschaftsfeststel-
Obwohl das Landesrecht auch die Möglichkeit er-            lung und Unterhaltstitulierung verstanden wird,
öffnet, die Beistandschaft freien Trägern zuzuwei-         wobei die Nutzung zur Unterhaltsdurchsetzung
sen (Art.144 EGBGB), haben davon bisher nur die            ersichtlich überwiegt. Kritisch wird aber auch
Länder Berlin und Bayern Gebrauch gemacht.                 angemerkt, dass die Beratungs- und Unterstüt-
Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe
8     Jugendhilfe-aktuell 3.2015

zungsleistungen keine offizielle statistische Größe   Leistungsprofil des Beistands – Orientie-
für die örtliche Personalbemessung darstellt (Joos,   rungshilfe der Landschaftsverbände
Jugendamt 2004) und deshalb häufig die zeitli-
chen Ressourcen fehlen oder nur zulasten anderer      Angesichts der gegenüber der früheren Amts-
Aufgaben zum Einsatz kommen können (Joos,             pflegschaft veränderten und komplex gewordenen
Jugendamt 2004).                                      Aufgabenstellung war es notwendig, ein Leis-
                                                      tungsprofil zu entwickeln, das die Wahrnehmung
In jedem Fall haben sich die Fachkräfte im Jugend-    der Aufgaben in den Jugendämtern erleichtert und
amt im Kontext der Beistandschaft einem vielfälti-    gewährleistet. Gefragt waren damit die Landesju-
gen Anforderungsprofil zu stellen (Rüting, Jugend-    gendämter im Hinblick auf ihre Aufgabe zur Ent-
amt 2004; Roos DAVorm 2000). Der Beistand ist,        wicklung von Empfehlungen für die kommunale
wie es Roos formuliert, „eine Art Anwalt, Notar,      Praxis (nach § 85 Abs. 2 Nr.1 SGB VIII)
Finanzberater und Sozialarbeiter in einer Person“
(Roos, DAVorm 2000).                                  Dieser Aufgabe haben sich die Landesjugendämter
                                                      in NRW mit der Einrichtung eines überregionalen
Die Situation der (außerehelichen) Geburt stellt      Arbeitskreises gestellt, der das am 13. Juni 2006
alleinstehenden Müttern nicht nur unmittelbar mit     von den Landesjugendhilfeausschüssen beschlosse-
der Geburt zusammenhängende Fragen, sondern           ne Leistungsprofil für die Beistände erarbeitet hat.
kann Anlass für die Aufdeckung bisher verdräng-       Mit der 4. Auflage vom November 2013 haben
ter oder gerade noch bewältigter Sozialprobleme       die Landesjugendämter die vom überregionalen
sein (Rüting, Jugendamt 2004). Gleichwohl wird        Arbeitskreis erarbeitete Sammelmappe auf den
bemängelt, die Fortbildung bleibe zu stark an den     neusten Stand gebracht. Sie haben damit einen
tradierten (juristischen) Aufgaben im Rahmen der      wichtigen Beitrag zur Qualitätsentwicklung geleis-
Führung der Beistandschaft orientiert, als an der     tet, wie er seit der Änderung des SGB VIII durch
Befähigung zur Beratung (Joos, Jugendamt 2004).       das Bundeskinderschutzgesetz expliziter Auftrag
                                                      der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist (§§ 79,
Hinzukommt das nicht unerhebliche Haftungsrisiko      79a SGB VIII).
der Jugendämter, das sich in den letzten Jahren in
der Rechtsprechung vor allem zu Unterhaltsbei-        Trotz dieses substantiellen Beitrags des Arbeits-
standschaften manifestiert. Die mit der komplexen     kreises und der Landesjugendämter für die Qualifi-
Aufgabenwahrnehmung verbundenen Anforde-              zierung des Arbeitsgebiets der Beistandschaft hat
rungen werden auch in den häufigen Anfragen an        sich jedoch gezeigt, dass vielen allein erziehenden
das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Famili-     Elternteilen nicht bekannt ist, dass es im Jugend-
enrecht und deren Beantwortung in der Zeitschrift     amt eine Stelle gibt, die die Unterhaltsansprüche
„Das Jugendamt“ deutlich.                             der Kinder kostenlos geltend macht.

                                                      Die zentrale Herausforderung wird also darin
                                                      bestehen, die Potentiale der Beistandschaft in der
                                                      Öffentlichkeit bekannt zu machen und im Einzelfall
                                                      wirkungsvoll im Interesse von Kindern und Jugend-
                                                      lichen zum Einsatz zu bringen.

                                                                      Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner ist
                                                                      ein deutscher Rechtswissenschaftler
                                                                      und gilt als „Vater“ des SGB VIII.
                                                                      (Foto: Joker, Wikimedia, cc-by)
Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe
Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des Gesetzgebers zur gelebten Praxis   9

Projektbeteiligte auf der Transferveranstaltung des Projektes in Köln (Foto: LVR)

Auf dem richtigen Weg?
Entwickeln sich Beistandschaften von einem freiwilligen Beratungs- und Unterstüt-
zungsangebot zu einer Dienstleistung für Unterhaltsvorschusskassen und Jobcenter?

von Antje Krebs

Die Angebote des Fachdienstes Beistandschaft                 des. Gemeinsame elterliche Verantwortung für die
sind vor allem wichtig für alleinerziehende Eltern,          Klärung finanzieller Belange bewirkt ferner, dass
Mütter und Väter, die, unabhängig von noch                   die Eltern-Kind-Beziehungen nach einer Trennung
ungeklärten Unterhaltsleistungen, weitere grund-             weitaus bessere Perspektiven erhalten: Der Zusam-
sätzliche finanzielle Existenzsorgen haben können.           menhang von regelmäßigen Umgangsbeziehungen
Alleinerziehend sein erschwert die Vereinbarkeit             zwischen getrennten Elternteilen und Kindern mit
von Erwerbstätigkeit und Familie. Es bringt hohe             regelmäßigen Unterhaltsleistungen ist belegt.
physische und psychische Belastungen mit sich. Die
Anzahl der Alleinerziehenden bei den von Armuts-             Die Klärung und Leistung von Kindesunterhalt
risiken bedrohten Bevölkerungsgruppen ist daher              sind bei Trennungen und Scheidungen somit
besonders hoch: „Trennungen, Scheidungen,                    maßgebliche Schutzfaktoren für den allein(ver-)
alleinerziehend sein, gefährden Ihren Wohlstand“             sorgenden Elternteil und das Kind. Eine frühzeitige
- wäre der schwarz umrandete Warnhinweis, gäbe               professionelle Beratung und Unterstützung des
es Elternschaft in Packungen an der Ladentheke.              Fachdienstes Beistandschaft und gegebenenfalls
                                                             die Einrichtung einer formalen Beistandschaft des
Die Bereitschaft zur Klärung und Leistung von                Jugendamtes ist hierbei von großer Bedeutung.
Unterhaltszahlungen bei einer Trennung ermög-                Dies bestätigt auch die große Nachfrage nach die-
licht gemeinsame elterliche Verantwortung für die            sem Angebot im Jugendamt.
weitere gute Entwicklung des gemeinsamen Kin-
Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe
10   Jugendhilfe-aktuell 3.2015

Das Potential der Dienstleistungen im Fachdienst      Weitaus geringer ist der Anteil an aufsuchenden
Beistandschaft für die möglichst frühzeitige Bera-    Müttern/Vätern die nicht im Leistungsbezug ste-
tung und Klärung der finanziellen Absicherung von     hen, berichten Fachkräfte aus der Beistandschaft.
Kindern, ist daher ungemein hoch. Dieser Umstand      Die Anteile bei den „Fällen“ wurden übereinstim-
war ein maßgeblicher Beweggrund des Ministeri-        mend von vielen Fachdiensten als Verhältnis von
ums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport     etwa 70 zu 30 angegeben. Dieses Verhältnis gibt
des Landes NRW im Jahr 2013, eine Förderung des       entsprechend auch die Quote der „Nichtzahler“
Praxisentwicklungsprojektes „Beistandschaften         zu den „Zahlfällen“ wieder. Deutlich geringer sind
2020“ zuzusagen. Das Projekt wird vorgestellt auf     damit Fälle, in denen das Jugendamt durch seine
Seite 14 ff. dieses Heftes.                           Angebote im Fachdienst Beistandschaften primäre
                                                      Unterhaltszahlungen für Kinder oder Jugendliche
Jugendamt als Dienstleister für Jobcen-               erreichen kann.
ter und Unterhaltsvorschusskasse?
                                                      Aufgabenempfänger wider Willen oder
Es erscheint zunächst folgerichtig, dass der Anteil   Ausgestalter von Vereinbarungen?
von Eltern, die soziale Transferleistungen beziehen
und die den Fachdienst Beistandschaft aufsuchen,      Mit der Zunahme der Fälle in den Fachdiensten
hoch ist. Fraglich ist jedoch, welche Aufgaben        Beistandschaft, in denen Sozialleistungsgewäh-
vom Fachdienst Beistandschaft in diesen Konstel-      rung und Unterhaltsansprüche von Minderjähri-
lationen übernommen werden und - wenn diese           gen gleichermaßen zu beachten sind, geht eine
„Fälle“ weitgehend die Arbeitsweise bestimmen         Beschreibung über eine Zunahme von Aufgaben-
- welche Tätigkeiten dem gesetzlichen Auftrag und     wahrnehmung für Jobcenter oder Unterhaltsvor-
den Zielsetzungen des SGB VIII entsprechen?           schusskassen (UVK) einher: Hierbei werden die
                                                      Beistände nicht mehr für die Realisierung von
Eine Erkenntnis der Praxisberatung im Rahmen des      primären Unterhaltsleistungen an Kinder und
Projektes Beistandschaften 2020 war, dass in den      Jugendliche tätig. Nach der in der Praxis üblichen
letzten Jahren insgesamt eine deutliche Zunahme       Vereinbarung der Rückübertragung der gesetzlich
der „Fälle“ verzeichnet wurde, bei denen Eltern       übergegangenen Ansprüche (§ 7Abs. 1 UVG, § 33
soziale Transferleistungen beziehen. Ferner, dass     Abs. 2 SGB II, § 94 SGB XII) nebst Abtretungserklä-
ein erheblicher Anteil der geführten formalen Bei-    rung gegenüber Sozialbehörden werden Beistände
standsschaften Fallkonstellationen betreffen, bei     zu Beauftragten der UVK oder Jobcenter. Dabei ist
denen ein Elternteil oder beide im Leistungsbezug     offenbar vielen Beschäftigten nicht bewusst, dass
sind und bei denen primäre Unterhaltszahlungen        es sich bei der Rückübertragung nicht um einen
daher, zumindest zeitweise, wenn nicht dauernd,       einseitigen Gestaltungsakt, sondern um eine frei-
durch den Beistand auch nicht zu realisieren sind.    willige „Vereinbarung“ zwischen den Fachstellen
                                                      handelt.
                                                                                       Fortsetzung auf Seite 12
Auf dem richtigen Weg? | Offene Rechtsfragen   11

Offene Rechtsfragen

                       §
(ak) Neben den dargestellten fachlichen Fragen, die die Aufgabenwahrnehmung für die Beschäftigten
der Fachdienste Beistandschaft aufwirft, sind auch rechtliche Fragen zum Teil ungeklärt. Eine Darstellung
findet sich in der „Fachlichen Stellungnahme des überregionalen Arbeitskreises der Beistände in NRW:
Beistandschaften im Kontext sozialer Transferleistungen“ vom 28.11.2014, die hier auszugsweise wieder
gegeben wird:

• für die Verjährung von Ansprüchen bei Rückübertragung unklar: Die Hemmung der Verjährung nach
  § 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB greift nicht mehr, wenn die Ansprüche auf Dritte übergegangen sind. Es ist
  umstritten, ob die Hemmungswirkung wieder eintritt, wenn die Forderung treuhänderisch rücküber-
  tragen wird.

• Beachtung der unterschiedlichen materiell rechtlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Forderungs-
  übergang nach UVG und SGB II: Im UVG geht der Unterhaltsanspruch zusammen mit dem Auskunfts-
  anspruch des Kindes nach § 7 UVG auf das Land über und unterliegt hinsichtlich seiner Geltendma-
  chung keinen materiell-rechtlichen Beschränkungen.

Im SGB II geht der Anspruch nach § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II nur über, soweit das Einkommen und Vermö-
gen (§§ 11 und 12 SGB II) der unterhaltspflichtigen Person deren Bedarf(-sgemeinschaft !!, vgl. BGH v.
23.10.2013, FamRZ 2013, 1962 ff.) nach der vorgeschriebenen grundsicherungsrechtlichen Vergleichs-
berechnung übersteigt. In vielen Fällen wird von einem gesetzlichen Forderungsübergang ausgegangen,
ohne dass diese Voraussetzungen ausreichend dargelegt wurden.

• Anspruchsübergang auf Bedarfsgemeinschaft: § 33 Abs. 1 S. 2 SGB II erweitert den Anspruchsüber-
  gang auf den Sozialleistungsträger über die Aufwendungen für das unterhaltsberechtigte Kind hinaus
  auf die Aufwendungen, die für die gesamte Bedarfsgemeinschaft, in der das Kind lebt, erbracht wur-
  den (seit 01.01.2009). Dieses führt bei einer Rückübertragung dazu, dass durch den Beistand Forde-
  rungen gegenüber dem Unterhaltsschuldner geltend gemacht werden, die nicht dem Kindesunterhalt
  entsprechen.

• Mögliche „treuwidrige“ Geltendmachung/Durchsetzung rückständiger primärer Unterhaltsansprü-
  che des Kindes bei gewährten SGB II Leistungen: Hat wegen der festgestellten Leistungsunfähigkeit
  hingegen kein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II stattgefunden, könnte
  die Realisierung rückständiger Unterhaltsansprüchen durch den Beistand bei späterer Zahlungsfähig-
  keit des bürgerlich-rechtlich unterhaltspflichtigen Elternteils treuwidrig sein (vgl. LL 2.2 OLG Hamm),
  soweit der Unterhaltsbedarf des Kindes in der Vergangenheit bereits durch laufende Leistungen des
  SGB II-Trägers gedeckt worden ist.

• für die gerichtliche Geltendmachung rückübertragener Ansprüche: Nach der Entscheidung des BGH v.
  02.04.2008 (FamRZ 2008, 1159 ff, JAmt 2008, 393 ff) ist ein Unterhaltsberechtigter für die gericht-
  liche Geltendmachung rückübertragener Unterhaltsansprüche grundsätzlich nicht bedürftig, so dass
  ihm ein Anspruch auf Übernahme der Verfahrenskosten gegen den öffentlich-rechtlichen Leistungs-
  träger zusteht. Diese müssten vom Beistand ebenfalls geltend gemacht werden.

• Gefahr von (Mehrfach-) Titulierungen und Vollstreckungen: Fehlende Abstimmung führt ggf. zu
  Mehrfachtitulierungen (Unterhaltsrückstand und laufender Unterhalt), die zu Kollisionen mit der lau-
  fenden Unterhaltszahlung führen können.
12      Jugendhilfe-aktuell 3.2015

Fortsetzung von Seite 10

Für viele Fachkräfte in den Beistandschaften            UVK/Jobcenter auf den Fachdienst Beistandschaft
nehmen die Verfahren, in denen sie für die UVK          aufeinander und kollidieren mit den gesetzlichen
oder Jobcenter Rückforderungen geltend machen,          Aufträgen des Jugendamtes: zur Beratung, Unter-
inzwischen einen erheblichen Teil ihrer Tätigkei-       stützung, der Gewinnung beider Elternteile für die
ten ein. Insbesondere in den Fallkonstellationen,       verantwortliche Wahrnehmung der Elternschaft,
in denen der Unterhaltsverpflichtete (erkennbar)        deren Bereitschaft, Angebote des Jugendamtes in
dauerhaft leistungsunfähig ist, fragt sich, warum       Anspruch zu nehmen und das Jugendamt als „Un-
eine Aufgabenverlagerung stattfindet - und ob           terstützung, die ankommt“ zu erfahren.
sie mit den fachlichen Paradigmen des SGB VIII
einhergeht.                                             Nicht unüblich:
                                                        Verdichtung zur Pflichtbeantragung
Passt die Praxis zum Auftrag
der Jugendhilfe?                                        Mütter (oder Väter), die Leistungen nach dem
                                                        UVG beantragen, werden durch die UVK auf ihre
Zum einen können die UVK wie auch Jobcenter             gesetzlichen Mitwirkungspflichten bei der Vater-
aufgrund der gesetzlich geregelten Voraussetzun-        schaftsfeststellung und für die Feststellung zur
gen sowie Mitwirkungs- und Auskunftspflichten           Leistungsfähigkeit primär Unterhaltsverpflichteter
der Beteiligten den Umfang von Unterhaltsver-           hingewiesen. In einigen UVK wird dabei jedoch
pflichtungen selbst überprüfen und Rückforderun-        diese Mitwirkungspflicht der Mütter (oder Vä-
gen geltend machen. Es gelten hierbei, wie darge-       ter) auf die Verpflichtung zur Beantragung einer
stellt, auch spezielle sozialgesetzliche Vorschriften   Beistandschaft verdichtet. In den „Richtlinien zur
für die Leistungsgewährung, die von diesen Stellen      Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des
anzuwenden sind. Die Regelungen im SGB VIII             Bundesfamilienministeriums für Familie, Senio-
verfolgen jedoch gänzlich andere Zielsetzungen,         ren, Frauen und Jugend“ finden sich unter Ziff.
welche sich auf die Ausgestaltung der Ansprüche,        1.10. ff. Ausführungen zu den „gesteigerten“
Möglichkeiten der Entscheidungen, Mitwirkung            Mitwirkungspflichten des anspruchsstellenden
und Verpflichtungen der Anspruchsteller und             Elternteils nach § 1 Abs. 3 UVG, die entsprechend
entsprechend auf die Ausgestaltung des Dienst-          strikt sind.1 Diese sind für die Inanspruchnahme
leistungsangebotes durch die Jugendämter auswir-        von Sozialleistungen, die Unterhaltsleistungen
ken. Ferner ist das Handeln eines Beistandes bei        von Eltern substituieren ausgelegt, nicht aber für
der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen             Mitwirkungspflichten nachdem SGB VIII. Weder die
kein rein hoheitliches Verwaltungsverfahren - er        Regelungen des UVG noch die hierzu erlassenen
wird hierbei auf dem Gebiet des Privatrechts tätig,     Richtlinien bestimmen aber eine Verpflichtung zur
wenn er auch Stelle der öffentlichen Verwaltung         Einrichtung einer Beistandschaft.
ist.

                                                        1 Vgl.: Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend,
Diese unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzun-
                                                        Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes in der ab
gen stoßen bei den Aufgabenübertragungen von            Januar 2014 geltenden Fassung.
Auf dem richtigen Weg?   13

Es steht ferner sogar im Widerspruch zu den Para-      seiner Selbstkompetenz zu stärken. Diese wichti-
digmen des SGB VIII, wenn Antragstellern sug-          ge Erfahrung des eigenen Kompetenzzuwachses
geriert wird, sie müssten Leistungen des Jugend-       stärkt Mütter, Väter und damit Familien.
amtes in Anspruch nehmen, die ihrem Charakter
nach freiwillige Angebote sind. Die Entscheidung       Das durch die Landesjugendämter in NRW her-
über die Einrichtung einer Beistandschaft muss         ausgegebene „Leistungsprofil für den Beistand“
nach einem Beratungsgespräch im Jugendamt, mit         beschreibt daher den Auftrag des Fachdienstes
dem Fachdienst Beistandschaft, getroffen werden        Beistandschaft als Entwicklung (§ 79a SGB VIII)
– nicht aber durch Vorgaben einer anderen Stelle.      einer qualifizierten Beratung und Unterstützung
Diese Praxis ist jedoch offenbar keine Ausnahme,       neben dem Führen von Beistandschaften entspre-
sondern scheint sich etabliert zu haben. Auch bei      chend den gesetzlichen Regelungen als „Gesamt-
Jobcentern ist eine entsprechende Beratung bei         auftrag“ des Fachdienstes Beistandschaft im Sinne
der Beantragung von Leistungen offenbar nicht          der „Drei-Stufen-Hilfe“ (siehe dazu auch Seite 7 in
unüblich.                                              diesem Heft).

Die Zunahme von Aufgabenwahrnehmungen für              Die Chancen und Potentiale, die Beschäftigte
die Jobcenter oder UVK-Stellen führt zu einer          dieses Fachdienstes durch eine kontinuierliche
Praxis, in der Fachkräfte aus der Beistandschaft mit   Weiterentwicklung dieser Beratungs- und Unter-
diesen Aufgaben ausgelastet werden. Eine eigene        stützungskompetenzen haben könnten, werden im
fachliche Weiterentwicklung entsprechend den           kommenden Abschlussbericht des Praxisentwick-
Zielen des SGB VIII, zum Beispiel für Beratungs-       lungsprojektes „Beistandschaften 2020“ ausführ-
oder Unterstützungsleistungen, die die Einbe-          lich beschrieben (siehe S. 15 unten).
ziehung beider Eltern und eine gesamtfamiliäre
Betrachtung ermöglichen, können zeitlich oft nicht
mehr geleistet werden. Dazu kommt, dass der
Fachdienst Beistandschaft vorrangig personell mit
Verwaltungskräften besetzt ist, denen Beratungs-
kompetenzen nicht vorrangig fachlich abverlangt
werden und die sogar nicht selten selbst Aufgaben
als UV-Stelle mit wahrnehmen.

Rollen- und Aufgabenverständnis

Beratungs- und Unterstützungsaufgaben haben
eine andere Funktion und erfordern zum Teil ein
anderes Rollen- und Aufgabenverständnis, als das
Führen formaler Beistandschaften. Das Ziel einer                        Antje Krebs ist Fachberaterin im
kompetenten Beratung ist, das Gegenüber in                              LWL-Landesjugendamt
14      Jugendhilfe-aktuell 3.2015

Wie geht Praxisentwicklung?
Projektdesign und Veränderungsziele des
Praxisentwicklungsprojektes „Beistandschaften 2020“

von Antje Krebs

Struktur des Praxisentwicklungspojektes                                Das Praxisprojekt

Das Praxisentwicklungsprojekt „Beistandschaf-                          Die Bewerbung zur Teilnahme am Praxisprojekt
ten 2020“ wurde im Zeitraum von August 2013                            Beistandschaften 2020 wurde im September 2013
bis Dezember 2015 vom LWL-Landesjugendamt                              ausgeschrieben. Ausgewählt wurden aus den ein-
Westfalen und LVR-Landesjugendamt Rheinland                            gehenden Bewerbungen die Jugendämter Dort-
durchgeführt. Gefördert wurde es mit Mitteln des                       mund, Düren, Kamp-Lintfort, Krefeld, Kreis Borken
Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur                       und Kreis Olpe.
und Sport des Landes NRW. Intention war, die
Entwicklung der Aufgabenwahrnehmung im Fach-                           Mit der Durchführung des Forschungsprojektes
dienst, dessen (Un-)Bekanntheit, die Vernetzung                        wurde das Institut für Soziale Arbeit e.V. mit Sitz
der Leistungsangebote innerhalb des Jugendamtes                        in Münster beauftragt. Ausgewählte Ergebnisse
und die Schnittstellen mit externen Fachstellen                        finden sich auf S. 16 ff.
näher zu untersuchen. Hintergrund war (ist) der
landespolitische Auftrag der Bekämpfung von Kin-                       Während der gut 12-monatigen Praxisberatung in
derarmut / Sicherung von Teilhabechancen, ferner                       den sechs Standorten wurden die Fachkräfte aus
die Verpflichtung zur Qualitätsentwicklung aus §                       den Fachdiensten Beistandschaft sowie Leitungs-
79a SGB VIII.1                                                         kräfte im Jugendamt und angrenzende Fach-
                                                                       dienste beteiligt. Moderiert wurden die Sitzungen
Das Praxisentwicklungsprojekt war konzipiert als                       von den Fachberaterinnen und Fachberatern der
zwei parallel durchzuführende Teilprojekte:                            Landesjugendämter und einer externen Organisati-
                                                                       onsberaterin.
• Einem Praxisprojekt, in dem Beratungsprozesse
  zur Praxisentwicklung in sechs ausgewählten                          Der Verlauf der Praxisberatung lässt sich in drei
  Projektjugendämtern durchgeführt wurden und                          Phasen unterteilen:
  einem
                                                                       • Ist-Analyse und Entwicklung von Veränderungs-
• Forschungsprojekt, in dem in weiteren Jugend-                          ideen
  ämtern in NRW qualitative und quantitative
  Forschungen durchgeführt wurden.                                     • Formulierung der Veränderungsziele/Entwick-
                                                                         lung der Prozessstrukturplanung
     Praxisentwicklungsprojekt „Beistandschaften 2020“

                                                                       • Durchführung/Steuerung des Umsetzungspro-
     Praxisprojekt                    Forschungsprojekt
                                                                         zesses

                                                                       Phase 1: Ist-Analyse und Entwicklung von
                                                                       Veränderungsideen
1 Ausführlich dargestellt werden Projektdesign und Zielsetzungen im
veröffentlichten Abschlussbericht zum Praxisentwicklungsprojekt Bei-
standschaften 2020. Zu beziehen ist dieser auch als pdf-Fassung zum
                                                                       Bei der Ist-Analyse der derzeitigen Aufgabenwahr-
Download über die Internetseiten der Landesjugendämter in NRW.         nehmung in den Projektjugendämtern wurden
Wie geht Praxisentwicklung? Projektdesign und Veränderungsziele des Praxisentwicklungsprojektes   15

Kernaussagen sowie Daten über Strukturen, Pro-                 eigenen Umsetzungsplan für das gewählte Ver-
zesse und Ergebnisse gewonnen, die über folgen-                änderungsziel erforderte. In einem Projektstruk-
de Aspekte Auskunft geben sollten:                             turplan wurden Umsetzungsschritte beschrieben,
                                                               in denen konkrete Teilziele, Meilensteine, Verant-
• Personelle / organisatorische Ausstattung                    wortliche und Termine aufgenommen wurden.
• Mischarbeitsplatz - weitere Aufgabenkreise und
  Anteile                                                      Die Veränderungsziele lassen sich zusammenfas-
• Schnittstellen/Kooperationen                                 send darstellen als:
• Haltung als Beistand
• Fallzahlen der Beistandschaft                                • (Weiter-)Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit
• Beratungs- und Unterstützungstätigkeiten                     • Vernetzung mit internen und externen Schnitt-
• Beurkundungstätigkeit                                          stellen
• Aktenführung                                                 • Entwicklung von Fachkonzepten für die Aufga-
• Vaterschaftsanerkenntnisse                                     benwahrnehmung
• Fallentwicklung in den letzten 5 Jahren                      • Erfassung der Aufwendungen für Beratungs-
• Qualifikation der Fachkräfte                                   und Unterstützungsleistungen
• Fortbildungen
• Besprechungsstrukturen
• Öffentlichkeitsarbeit - intern/extern                        Die konkreten Veränderungsziele der Praxisprojekt
• Zuweisung zum Fachdienst                                     Jugendämter waren u.a.:
• Selbständiges Arbeiten
• Einbindung der Beistandschaft im Jugendamt                   • Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit zur Ver-
                                                                 besserung der internen und externen Vernet-
Phase 2: Entwicklung von Veränderungszielen                      zung.
                                                               • Entwicklung von Fachkonzepten für Beratungs-
In der zweiten Phase der Praxisberatung wurden                   leistungen für junge Volljährige, für Sonder-
die Fachdienste der Projektjugendämter bei der                   und Mehrbedarfe, für die außergerichtliche
Entwicklung ihrer konkreten Veränderungsideen                    Beratung zur Vaterschaftsfeststellung und zur
unterstützt. Die Ergebnisse der Bestandsaufnah-                  Unterhaltsberatung.
men wurden ausgewertet und mögliche Verände-                   • Entwicklung von Strukturqualität durch Zent-
rungsideen gesammelt. In einem zweiten Schritt                   ralisierung des Fachdienstes mit dem Ziel der
wurden die zur Verfügung stehenden Ressourcen,                   Verbesserung der Erreichbarkeit, der Vertre-
die Optionen für die Veränderungsideen, die                      tungssituation und des regelmäßigen fachinter-
Chancen und damit verbundenen „Risiken“ ermit-                   nen Austauschs
telt und schließlich die Möglichkeiten der Erreich-            • Entwicklung der Prozessqualität durch Beschrei-
barkeit ermittelt. Im Ergebnis wurden einige Ver-                bung von Schnittstellen und Erarbeitung von
änderungsideen verworfen, andere konkretisiert                   Kooperationsvereinbarungen für die Zusam-
oder damit verbundene Ziele reduziert, um eine                   menarbeit bzw. Dienstvereinbarungen zwischen
Umsetzung realisierbar zu machen. Die Entschei-                  unterschiedlichen Fachstellen.
dung über die Wahl der konkreten Veränderungs-
ziele, die im Laufe des Praxisprojektes umgesetzt
werden sollten, wurde den Projektjugendämtern                  Ausführlich dargestellt werden Projektdesign, Ziel-
überlassen.                                                    setzungen und Ergebnisse im Ende 2015 veröffent-
                                                               lichten Abschlussbericht zum Praxisentwicklungs-
Phase 3: Durchführung bzw. Steuerung                           projekt Beistandschaften 2020. Zu beziehen ist
des Umsetzungsprozesses                                        dieser als Druck und PDF-Fassung zum Download
                                                               über die Internetseiten der Landesjugendämter.
Es zeigte sich, dass die strukturellen, organisato-
rischen und personellen Vorbedingungen jedes                   > www.lwl-landesjugendamt.de
teilnehmenden Fachdienstes grundsätzlich einen                 > www.jugend.lvr.de
16   Jugendhilfe-aktuell 3.2015

Empirische Hinweise
zu Beistandschaften in Nordrhein-Westfalen
Ergebnisse des Forschungsprojektes „Beistandschaften 2020“ zu
Ämtern, Fachkräften, Adressatinnen und Adressaten

von Wolfgang Rüting und Jens Pothmann

Das Forschungsprojekt „Beistandschaften 2020“        These 1:
wurde im Auftrag der Landesjugendämter im            Beistandschaften erweisen sich als Ele-
Rahmen des Gesamtprojektes durchgeführt. Es          ment der Dienstleistungsstruktur des
beinhaltete unterschiedliche empirische Zugänge      Jugendamtes mit frühzeitigen Unterstüt-
– auf den Aufgabenbereich der Beistandschaften       zungsangeboten
in den Jugendämtern. Diese umfassen zehn leit-
fadengestützte Interviews mit Fachkräften sowie      Auch wenn die Beistandschaften zu den hoheit-
zehn weitere mit Adressatinnen und Adressaten        lichen Kernaufgaben kommunaler Jugendämter
dieses Fachdienstes. Als diskursiver Resonanzraum    gehören, handelt es sich bei den Leistungen zu
wurde ergänzend ein Workshop                                            einem nicht unerheblichen Teil
mit Fachverbänden und relevan-                                          um personenbezogene Dienst-
ten Einrichtungen der Jugend-       „Mein Beistand ist wie ein          leistungen bzw. nach Meysen
hilfe durchgeführt. Neben den        Wirbelwind durch das Büro          (2013) um einen „integrativen
qualitativen Interviews und dem      gehuscht und hat mir gehol- Bestandteil der Kinder- und
Workshop ist im ersten Quartal       fen. Die ganze Last fiel von       Jugendhilfe“. Das heißt: Der
2015 bei den Jugendämtern            mir runter.“                       Anlass für eine Beistandschaft,
in NRW eine standardisierte          Betroffene                         mit der Feststellung der Vater-
Online-Erhebung durchgeführt                                            schaft sowie der Klärung und
worden. Nach Abschluss der Erhebung liegen die       Sicherstellung der Unterhaltsleistungen für das
Ergebnisse von 129 Jugendämtern vor. Bei einer       Kind, ist zwar stets ein formaler. Allerdings haben
Gesamtzahl von 188 Jugendämtern entspricht das       Fachdienste Beistandschaften nicht zuletzt auch
mit 68,6% einer hohen Rücklaufquote.                 einen begleitenden und unterstützenden Charak-
                                                     ter, der jedoch noch einige Entwicklungspotenziale
Die breite Datenbasis des Forschungsprojektes im     beinhaltet.
Rahmen des Praxisentwicklungsprojektes Bei-
standschaften 2020 erlaubt es, wissenschaftliche     Bei den von den Fachdiensten Beistandschaf-
Aussagen über Strukturen, Verfahren und Prozesse     ten bearbeiteten Fällen verbergen sich, bei einer
zu generieren. Es können hierauf aufbauend Bilan-    nicht unerheblichen Zahl, komplexe Problem- und
zierungen vorgenommen und Entwicklungspers-          Konfliktstrukturen sowie defizitäre Lebenslagen
pektiven herausgearbeitet werden. Hierzu werden      der betroffenen Familien und jungen Menschen.
im Folgenden vier Thesen formuliert und empirisch    Es geht für die Fachkräfte im Fachdienst Beistand-
begründet:                                           schaft darum, diese Situationen zu verstehen, um
                                                     Lösungswege entwickeln und Unterstützungsan-
                                                     gebote machen zu können.

                                                     Zusätzlich verstärkt wird dieser Auftrag durch die
                                                     gesetzlichen Grundlagen, wenn diese insbesonde-
                                                     re über den § 52a SGB VIII, aber auch über § 18
Empirische Hinweise – Ergebnisse des Forschungsprojektes   17

SGB VIII Beratungsansprüche und -leistungen im         Deutlich wird der Effekt der psychosozialen Entlas-
Aufgabenbereich der Beistandschaften verankern         tung der Betroffenen im Verlaufe der Beratungs-
bzw. Schnittstellen zu diesen vorsehen (vgl. Jordan/   prozesse im Fachdienst Beistandschaft. Hier wird
Maykus/Stuckstätte 2012).                              deutlich: Die Fachkraft im Fachdienst Beistand-
                                                       schaft ist immer auch Türöffner und Lotse für die
Die Fachkräfte in den Beistandschaften legen vor       Betroffenen im unübersichtlichen Geflecht sozialer
dem Hintergrund einer dienstleistungsorientierten      Dienstleistungen und Zuständigkeiten. Da sich hier
Ausrichtung des Aufgabenbereichs sehr viel Wert        zudem der erste Kontakt zur Kinder- und Jugend-
auf das Erstgespräch mit den Betroffenen. Das          hilfe eröffnet, kann hier von einer „frühen Hilfe“
haben sowohl die Interviews gezeigt als auch die       im Sinne einer frühzeitigen Unterstützung gespro-
Befragung der Jugendämter, wenn hier über 97%          chen werden, um auf Entwicklungsrisiken von
der Jugendbehörden die besondere Wichtigkeit           Kindern/Jugendlichen hinweisen zu können. Dies
des Erstgesprächs herausstreichen. Die Fachkräf-       ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Sensor für den
te gehen individuell auf die Betroffenen ein und       institutionellen Kinderschutz.
eröffnen wichtige Gesprächsräume. Oft finden
Betroffene hier erstmals die Möglichkeit, über ihre    These 2:
individuelle (Trennungs-)Situation sprechen zu         Zusammenwirken und Teamarbeit finden
können. So zumindest beobachten es Fachkräfte,         im Bereich Beistandschaften nur einge-
wenn es in einem Interview heißt:                      schränkt statt oder sind überhaupt nicht
                                                       möglich
„Wie es sich entwickelt (Erstgespräch) kommt
immer auf die einzelne, natürliche Situation an        Die empirischen Befunde aus den Interviews und
(…). Sie (die Mutter) hat dann die ganze Tren-         der standardisierten Befragung der Jugendämter
nungsgeschichte mitgeteilt (…) Sehr viel auch zum      zeigen: Grundsätzlich arbeiten Beschäftigte im
Vater erzählt und das dann auch ein großer Teil        Fachdienst Beistandschaft sehr autonom, individu-
des Wohlstandes wegbricht (...) und die Frage des      ell und so gut wie gar nicht in institutionalisierten
Besuchs der Kinder sich stellt“. (Beistand)            Teamstrukturen. Hierzu passt, dass die Aufgaben
                                                       und Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil
Das ist keineswegs selbstverständlich, zumal das       von Beschäftigten in Einzelbüros erledigt werden
Jugendamt in der öffentlichen Wahrnehmung              (75%). Immerhin finden sie laut Befragungsergeb-
insbesondere mit dem „staatlichen Wächteramt“          nissen Unterstützung insbesondere durch bilate-
in Verbindung gebracht wird (vgl. Prölß 2013). Es      rale Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen. Die
kann aber sogar gelingen - wie Interviews mit El-      Arbeit im Team ist in den Jugendämtern im Bereich
tern zeigen - mittels des Kontaktes zum Fachdienst     der Beistandschaften eine eher weniger verbreitete
Beistandschaft und einer hier angelegten Arbeits-      Arbeitsform. Zwar ist das in 56% der Jugend-
beziehung, die Skepsis (und Ängste) der Betroffe-      ämter gegeben, allerdings geben auch 30% der
nen gegenüber der „Eingriffsbehörde Jugendamt“         Verwaltungen an, dass es nur selten oder nie die
zu reduzieren und den Charakter eines Unterstüt-       Möglichkeit gibt, im Team zu arbeiten. Bei diesem
zungsangebots herauszuarbeiten.                        empirischen Befund muss sicherlich die Größe von
                                                       zahlreichen Jugendämtern in NRW berücksich-
„Ja, ich hatte sehr großen Respekt vor dem Ju-         tigt werden. In den „kleinen Jugendämtern“ ist
gendamt, also man hört ja mal: Jugendamt, hui,         Teamarbeit schon angesichts der Beschäftigtenzahl
buh!“ (..) „..wie sie dann erfahren hat (der Bei-      in diesem Aufgabengebiet nicht möglich. So zeigt
stand), um was es geht und wie viel der Vater          die Jugendamtsbefragung, dass in knapp einem
bereit ist zu zahlen, da ist sie wirklich wie so ein   Viertel der Jugendämter gerade einmal bis zu 1
kleiner Wirbelwind durch das Büro gehuscht und         Stelle für den Aufgabenbereich der Beistandschaf-
hat mir geholfen (..) ich habe auf einmal nur ge-      ten vorgesehen ist (n = 129).
dacht so: Gott sei Dank, die ganze Last fiel von mir
runter.“ (Betroffene)
18   Jugendhilfe-aktuell 3.2015

                                                                       Abb. 1: Bewertung eines eher bzw.
                                                                       sehr hohen Entwicklungsbedarfs
                                                                       aus Sicht der Jugendämter für aus-
                                                                       gewählte Aufgabenbereiche von
                                                                       Beiständen (Nordrhein-Westfalen;
                                                                       2015; Anteile in %, n = 127)
                                                                       Quelle: ISA-Befragung der Jugend-
                                                                       ämter in NRW im Forschungspro-
                                                                       jekt „Beistandschaften 2020“

                                                     wenig Nachvollziehbarkeit aus der Außensicht zu
These 3:                                             erfahren. Hieraus resultieren auch selbstkritische
Praxis(-entwickung) fehlt es an konzep-              Einschätzungen der Jugendämter. So antworten
tionellen Leitorientierungen - und zwar              die Jugendämter (n = 127) auf die Fragen nach
insbesondere im Bereich Beratung                     einer Verbesserung der Qualitätsentwicklung
                                                     sowohl für den Bereich der („kleinen Beistand-
Ausgearbeitete Konzeptionen für das Aufgaben-        schaft“) Beratung und Unterstützung als auch für
gebiet der Beistandschaften sind in der Jugend-      die klassischen Beistandschaften mehrheitlich mit
amtspraxis selten. Damit bleibt die Ausgestaltung    einem zumindest eher hohen Entwicklungsbedarf
des Aufgabenbereiches der Beistandschaften           (vgl. Abb. 1).
und die hiermit in Verbindung stehenden Tätig-
keitsmerkmalen lokalen Präferenzen vorbehalten.      Hier ist die „Dienstleistung Beistandschaft“ ge-
Die Befragung der Jugendämter lässt feststellen,     fordert, Rolle und Profil sowie Konzeptionen und
dass es nur wenige Leistungsbeschreibungen           Qualitätskriterien zu schärfen. Dies betrifft auch
zum Aufgabenbereich der Beistandschaften gibt.       das strukturell nicht geklärte Verhältnis von aus-
Lediglich 27% von den 129 antwortenden Ju-           schließlichen Beratungsleistungen und der formal
gendämtern können hierauf zurückgreifen. Noch        eingerichteten Beistandschaft. Laut den interview-
seltener vorhanden sind Einarbeitungskonzepte für    ten Beiständen sind Beratungsleistungen keines-
neue Fachkräfte, die bei Personalzuwächsen oder      wegs ein strukturell verankertes Regelangebot in
-wechseln eine wichtige Funktion für den Wis-        ihrem Aufgabengebiet. So zeigt auch die Befra-
senstransfer und damit auch für die Qualitätsent-    gung der Jugendämter, dass lediglich etwas mehr
wicklung innerhalb einer Organisation einnehmen      als 50% der befragten Jugendämter hierzu über-
können. Lediglich 6% der Jugendämter verfügen        haupt Fallzahlen erfasst oder dass beim Stichwort
über ein solches Einarbeitungskonzept. Auch          „Fort- und Weiterbildung“ Themen wie Beratung
Fort- und Weiterbildungen im Aufgabenbereich         oder Gesprächsführung eher eine untergeordne-
der Beistandschaften haben, laut Angaben der         te Rolle spielen - ein Befund, der sich im Übrigen
befragten Jugendämter, eine sehr unterschiedliche    gleichermaßen aus den Interviews ergibt.
Bedeutung. Zwar haben fast 95% der teilneh-
menden Jugendämter angegeben, dass Fachkräfte        Diese doch eher ernüchternde Relevanz der „Klei-
Angebote der Fort- und Weiterbildung zumindest       nen Beistandschaft“ hat Gründe. So ist laut den
gelegentlich wahrnehmen können, aber nur in          geführten Interviews diese zeit- und kommunika-
43% der antwortenden Behörden haben die Fach-        tionsintensive Arbeitsweise in Stellenbeschreibun-
kräfte häufig die Gelegenheit, an einer Fort- oder   gen nicht vorgesehen und erfährt somit auch keine
Weiterbildung teilzunehmen.                          Berücksichtigung bei der Stellenbemessung. Insge-
                                                     samt werden angesichts der empirischen Befunde
Diese Praxis muss allerdings in der Folge bezo-      ganz offensichtlich Potenziale eines niedrigschwel-
gen auf „Qualitätsentwicklung“ in Kauf nehmen,       ligen Beratungsangebotes im Aufgabengebiet der
durch Unübersichtlichkeit geprägt zu sein und nur    Beistandschaften nicht genutzt.
Empirische Hinweise – Ergebnisse des Forschungsprojektes            19

These 4:                                              fenden Zusammenarbeit mit den Beiständen kann
Beistandschaften sollten sich emanzi-                 vor diesem Hintergrund an vielen Stellen noch gar
pieren und müssen strategisch neu in                  keine Rede sein. Selbst die kommunalen Arbeitge-
der (fach-)öffentlichen Kommunikation                 ber (Kommunale Spitzenverbände) haben sich mit
platziert werden                                      den Arbeits- und Wirkmöglichkeiten der Beistand-
                                                      schaft bisher kaum befasst.
Die Beistandschaft als Dienstleistungsbereich des
Jugendamtes hat in den zurückliegenden Jahren         Mit Blick auf aktuelle Debatten um die Lebens-
an Bekanntheit und Kontur gewonnen. Der Stel-         bedingungen von Alleinerziehenden und deren
lenwert einer kommunalen Anlaufstelle oder eines      Kinder (Armutsprävention, Teilhabe, frühe Hilfen,
Basisdienstes für die ausgewiesene Zielgruppe ist     Bildung etc.) verwundert es allerdings schon, dass
aber nicht erreicht. Die empirischen Befunde des      eine vorhandene Hilfe und Unterstützungsstruktur
Forschungsprojektes zeigen vielmehr, dass bei allen   wie die Beistandschaft in der Fachdiskussion nicht
Fortschritten nach wie vor die Bedeutung dieses       präsenter ist. Parallel zu einer fachlichen Weiter-
Leistungsbereiches des Jugendamtes und die hier       entwicklung scheint es daher fast so etwas wie
verorteten Potenziale und Möglichkeiten nicht zur     eine Art „Imagekampagne“ für die Fachdienste
Kenntnis, angemessen gewürdigt und praktisch          Beistandschaften zu benötigen. Diese müsste vor
genutzt werden.                                       allem die Kinder- und Jugendhilfe und die angren-
                                                      zenden Bereiche aus dem Bildungs-, Erziehungs-,
Die Beistandschaft als Dienstleistung des Jugend-     Gesundheits- und Sozialwesen erreichen. Dies
amtes folgt zudem in der Regel keinen eigenen         wäre notwendige Voraussetzung für die Beistand-
Strategien und Konzepten. Die Praxis „lebt“           schaften, um sich in den lokalen Hilfenetzwerken
weitestgehend von „zugewiesenen“ Fällen (u.a.         und Unterstützungsstrukturen besser platzieren
Jobcenter - SGB II). Bei Dritten kann der Eindruck    und aufstellen zu können.
entstehen, Beistandschaft sei ein „Unterstützungs-
und Inkassodienst“ für andere Leistungsträger.        Literatur
                                                      Jordan, E.; Maykus, S.; Stuckstätte, E. C. (2012): Kinder- und Jugend-
Dass potenziell Betroffene verminderte Kenntnisse     hilfe. Einführung in Geschichte und Handlungsfelder, Organisationsfor-
                                                      men und gesellschaftliche Problemlagen. 3. Aufl. Weinheim, Basel.
hierüber haben, ist noch nachvollziehbar, auch        [LVR/LWL] LVR-Landesjugend Rheinland/LWL-Landesjugendamt West-
wenn hier Jugendämter selbst erheblichen Ent-         falen (Hrsg.): Qualitätsstandards für Beistände. Arbeits- und Orientie-
                                                      rungshilfe (Stand 01.11.2013), Köln, Münster 2013.
wicklungsbedarf sehen, wie die die Befragung der      Meysen, T.: Beistandschaft, in: D. Kreft, I. Mielenz (Hrsg.) (2013), Wör-
Jugendämter zeigt. Bedenklich ist allerdings, dass,   terbuch Soziale Arbeit, 7. Aufl., Weinheim, Basel, S. 161-162.
                                                      Prölß, R.: Jugendamt, in: D. Kreft, I. Mielenz (Hrsg.) (2013), Wörter-
wie der mit Berufs- und Fachverbänden durchge-
                                                      buch Soziale Arbeit, 7. Aufl., Weinheim, Basel, S. 467-473.
führte Workshop verdeutlicht hat, potenzielle Ko-
operationspartner und Netzwerkpartner zwar das
Aufgabengebiet der Beistandschaften namentlich
kennen, oftmals aber nur über rudimentäre Kennt-
nisse zu diesem Bereich verfügen und dement-
sprechend Aufgabenbereiche, Leistungspotenziale
und Zuständigkeiten nur unzureichend einschätzen
können. Von einer fallbezogenen und fallübergrei-

                                                                             Wolfgang Rüting (links) ist Vorsit-
                                                                             zender des ISA e.V. und Leiter des
                                                                             Kreisjugendamtes Warendorf. Dr.
                                                                             Jens Pothmann ist wissenschaftli-
                                                                             cher Mitarbeiter in der Dortmunder
                                                                             Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhil-
                                                                             festatistik beim Forschungsverbund
                                                                             Deutsches Jugendinstitut + Techni-
                                                                             sche Universität Dortmund.
20    Jugendhilfe-aktuell 3.2015

Gewinnbringende Zusammenarbeit
Der Fachdienst Beistandschaften ist ein wichtiger Partner der Frühen Hilfen

von Silke Karsunky

                                                        ämter), Einrichtungen der Frühförderung sowie
                                                        weitere Sozialleistungsträger.

                                                        Die Forderung nach multiprofessioneller Koopera-
                                                        tion und Vernetzung, als Kernelement der Frü-
                                                        hen Hilfen, entspricht der Erkenntnis, dass eine
                                                        umfassende Unterstützung und Förderung von
                                                        Eltern und Familien bei der Bewältigung von He-
                                                        rausforderungen, die sich rund um die Phase der
                                                        Schwangerschaft und Geburt sowie in den ersten
                                                        Lebensjahren eines Kindes zeigen können, eine
                                                        ganzheitliche Betrachtung erfordern und nur im
                                                        vernetzten Miteinander der zuständigen Akteure
                                                        vor Ort adäquat zu beantworten sind.

                                                        Ziel des übergreifenden Zusammenwirkens dieser
                                                        verschiedenen Systeme ist es, (werdenden) Eltern
                                                        und Familien eine bedarfsgerechte Infrastruktur
                                                        sowie niedrigschwellige Unterstützungsangebo-
                                                        te zur Verfügung zu stellen, damit Bedingungen
                                                        geschaffen werden, die Kindern ein gelingendes
                                                        Aufwachsen ermöglichen und ihre Rechte auf
                                                        Schutz, Förderung und Teilhabe sichern.

                                                        Mit Blick auf die Bereitstellung von Angeboten
Das Kind ist stets im Mittelpunkt (Foto: Jugendämter)   fokussieren Frühe Hilfen neben alltagspraktischer
                                                        Unterstützung insbesondere Angebote, die der
                                                        Förderung der Beziehungs-, Erziehungs- und
Der Begriff „Frühe Hilfen“ kennzeichnet ein Un-         Versorgungskompetenz von (werdenden) Müttern
terstützungssystem auf kommunaler Ebene mit             und Vätern dienen. Hierzu zählen Angebote, die
koordinierten und multiprofessionellen Beratungs-,      sich grundlegend an alle (werdenden) Eltern rich-
Bildungs- und Unterstützungsangeboten für (wer-         ten, wie z.B. Geburtsvorbereitungskurse, Begrü-
dende) Eltern und Familien mit Kindern mit einem        ßungsbesuche bei Neugeborenen, Elterncafés und
Altersschwerpunkt von 0 bis 3 Jahren (vgl. NZFH         Ehrenamtsprojekte. Darüber hinaus wenden sich
2014). Als zentrale Akteure erweisen sich neben         Angebote Früher Hilfen auch gezielt an Eltern(teile)
öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und         und Familien in belasteten Lebenslagen (zum Bei-
Jugendhilfe insbesondere Schwangerschaftsbera-          spiel aufgrund von finanziellen, materiellen, sozia-
tungsstellen, Akteure des Gesundheitswesens (wie        len und/oder gesundheitlichen Einschränkungen),
z.B. Geburtskliniken, Hebammen, Gesundheits-            um zielgruppenspezifische Bedarfe aufzugreifen.
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