Jugendhilfe aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften - ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt - Landschaftsverband Westfalen-Lippe
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LWL-Landesjugendamt Westfalen Jugendhilfe Ausgabe 3.2015 ISSN 1614-3027 aktuell Schwerpunkt: Beistandschaften – ein Leistungsangebot der Jugendämter neu entdeckt www.lwl-landesjugendamt.de
Eigenwerbung Gesamtprogramm und das Spezialheft für Kindertageseinrichtungen für 2016 Die neuen Fortbildungsprogramme sind da! Anfang Dezember wurden unsere neuen Fortbildungsprogrammhefte versendet. Auf 180 Seiten wurde ein umfangreiches Qualifizierungsangebot unserer vier Fortbildungsanbieter für Sie zusammengestellt, um Sie für die Arbeitsfelder und Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken. Hier finden Sie zahlreiche Fachtagungen zu aktuellen und bewährten Themen sowie eine Vielzahl an Semi- naren, Kursen, Workshops und Informationsveranstaltungen, die die große Palette des gesamten Bereichs der Jugendhilfe abdeckt. Ausnahme ist der Bereich Tageseinrichtungen für Kinder. Alle Angebote zu diesem Aufgabenfeld finden Sie im 120 Seiten starken KITA-Spezial Programm (Abbildung rechts). Unsere Fortbildungen online: www.lwl.org/fortbildung Die Programmhefte bestellen: www.lwl-landesjugendamt-shop.de Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) steht für erstklassige Fortbildungen im Bereich Kinder- und Jugendhilfe sowie im Fachgebiet Suchthilfe. Durch die Kombination bewährter und innovativer Methoden bieten wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Möglichkeit, beruflich und persönlich zu wachsen. Mit unseren praxisorientierten Angeboten fördern wir den Erfahrungsaustausch in unserer Region. Was uns auszeichnet? Hochwertige Wissensvermittlung zu fairen Konditionen.
Vorwort 3 Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, im August habe ich die Nachfolge von Hans Meyer als Leiterin des De- zernates LWL-Landesjugendamt, Schulen und Koordinationsstelle Sucht angetreten. Ich freue mich, dass ich Ihnen mit diesem Heft die für mich erste Ausgabe der Jugendhilfe-aktuell vorlegen kann, die im Schwerpunkt den Fachdienst Beistandschaften der Jugendämter in den Blick nimmt. In unserem Projekt „Beistandschaften 2020“ stellte sich unter anderem heraus, dass dieser Fachdienst und seine Aufgaben noch nicht ausreichend bekannt sind. Dabei sind die Aufgabenstellungen der Beistandschaften für Alleinerzie- hende, für getrennte oder geschiedene Elternpaare und auch für junge Volljährige von großer Bedeutung: Hier erhalten sie Beratung, Unterstüt- zung und gegebenenfalls einen Beistand, für die Sicherung von Unterhalt und die Klärung der gesetzlichen Voraussetzungen hierfür. Aus den Beiträgen dieses Heftes wird deutlich, dass sich der Fachdienst Beistandschaften im Wandel befindet. Er hat in den letzten Jahren – nicht zuletzt auch durch die Bündelungsfunktion der Landesjugendämter – ein deutlich geschärftes Profil entwickelt. Nun muss er sich noch weiter eman- zipieren und zu einer echten Anlaufstelle im Jugendamt weiterentwickeln. Dazu gehört auch, dass eigenständige Strategien und Konzepte entwickelt werden, sich Leitung hinter ihren Fachdienst stellt und die Beistandschaf- ten auch ihre Leistungen offensiv kommunizieren. Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre und freue mich auf eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihnen. Birgit Westers Landesrätin
16. Deutscher KinDer- unD JugenDhilfetag 22 mio. junge chancen gemeinsam. gesellschaft. gerecht. gestalten. 28.– 30. März 2017 DüsselDorf www.twitter.com/djht2017 Der 16. Deutsche Kinder- und Jugendhilfetag wird gefördert aus Mitteln des Kinder- und Jugendplans des Bundes sowie www.facebook.com/jugendhilfetag aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans des landes nordrhein-Westfalen und der landeshauptstadt Düsseldorf.
Inhalt 5 Schwerpunktthema Aktuelles Beistandschaften S. S. Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des 6 Aus dem Landesjugendhilfeausschuss (LJHA) 38 Gesetzgebers zur gelebten Praxis Verabschiedung Hans Meyer 39 Auf dem richtigen Weg? Aktuelle Entwick- 9 lungen der Beistandschaften Auftakt der Aktionswochen „Das Jugend- 40 amt. Unterstützung, die ankommt.“ Offene Rechtsfragen 11 Praxisnutzen „Aushandlung ambulanter 42 Wie geht Praxisentwicklung? Projektdesign 14 Erziehungshilfen mit freien Trägern“ und Veränderungsziele des Praxisentwick- lungsprojektes Hilfeplanung gem. § 36 SGB VIII 43 Empfehlungen, Flyer und Tischvorlage Empirische Hinweise zu Beistandschaften in 16 Nordrhein-Westfalen „Gehört werden!“ Beteiligungsstrukturen 44 Gewinnbringende Zusammenarbeit - Bei- 20 Suchtmittelkonsum und suchtbezogene Pro- 45 standschaften und Frühe Hilfen blemlagen in stationärer Jugendhilfe Raus aus der Nische – Öffentlichkeitsarbeit: 24 Heimerziehung-DVD: Gruppengespräche 51 ein Muss für die Beistandschaft Jugendtrophy LWL-Jugendhilfezentrum Marl 52 Eine lernende Organisation entwickelt sich 26 Jugendmarke: Interview mit Thomas Thomer 54 Beistandschaft stärken! Erwartungen und 28 Erfahrungen von Alleinerziehenden Jugendsozialarbeit: neuer Arbeitsausschuss 56 Die Betroffenen entscheiden: Beistandschaft 30 Inklusion in Kinder- und Jugendförderung 58 oder „Beratung und Unterstützung“ Beteiligung in der Ganztagsschule 62 Ein Fachdienst stellt sich auf: Die Bedeutung 32 der Arbeit mit Zielen und Kennzahlen Kita-Regionalkonferenz & Fröbel Jubiläum 66 Gestärkt durch neues Handwerkszeug – Fort- 35 Partizipation in Kindertageseinrichtungen 67 bildungsangebote für Beistände Motopädie im LWL-Berufskolleg Hamm 68 Fortbildungen / Impressum 70
6 Vertrauensvoll nach vorne blicken (Foto: Jugendämter) Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des Gesetzgebers zur gelebten Praxis Bisherige Entwicklung und aktuelle Potentiale der Beistandschaft Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner Die Abschaffung der Zwangspflegschaft Bevormundung der Mutter und damit als Zwangs- pflegschaft empfunden worden ist, so wurden Im Rahmen des Beistandschaftsgesetzes (G. vom 4. doch verschiedene Modelle für die Nachfolgerege- 12. 1997 - BGBl. I S. 2846), das zeitgleich mit dem lung erörtert. Der Gesetzgeber entschied sich für Kindschaftsrechtsreformgesetz am 1. Juli 1998 in das sog „Antragsmodell“, das Anfang und Ende Kraft trat, wurde die gesetzliche Amtspflegschaft der staatlichen Hilfe völlig vom Willen des berech- durch die „neue“ Beistandschaft ersetzt. Diese tigten Elternteils abhängig macht. Damit blieb Rechtsänderung ist als ein Schritt in der langen his- auch die Vaterschaftsfeststellung in der Eigenver- torischen Entwicklung der Rechtsstellung nichte- antwortung der Mutter, was rechtspolitisch im Hin- helicher Kinder und des Unterstützungsbedarfs für blick auf das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner die alleinstehende Mutter zu sehen. Gleichzeitig Abstammung bis heute kontrovers diskutiert wird. sollte damit die Rechtslage in Gesamtdeutschland vereinheitlicht werden, nachdem in den neuen Diskutiert wurde auch über den Standort der Bundesländern nach der Wiedervereinigung die neuen gesetzlichen Regelung. So standen neben gesetzliche Amtspflegschaft nicht eingeführt wor- verschiedenen anderen Modellen auch das so den war. genannte SGB-VIII-Modell zur Debatte, das insbe- sondere von Seiten der Obersten Landesjugend- Wenngleich weithin Einigkeit bestand, die Amts- behörden und der Jugend- und Familienminister- pflegschaft abzuschaffen, da sie inzwischen als konferenz favorisiert worden war. Der Gesetzgeber
Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des Gesetzgebers zur gelebten Praxis 7 hat sich dann für das Modell der „Fürsorge im Ausgestaltung der „Drei-Stufen-Hilfe“: zivilrechtlichen Gewand“ (Bundestagsdrucksache 13/892 Seite 32) entschieden. Da mit der Wahr- Die Beistandschaft entfaltet ihre Wirkung im Kon- nehmung der Aufgabe das Jugendamt betraut text von zwei anderen gesetzlichen Regelungen, wird, war aber, wie bei der Regelung zur Amtsvor- die gewissermaßen die Vorstufen im Rahmen einer mundschaft und Amtspflegschaft, gleichzeitig eine „Drei-Stufen-Hilfe“ darstellen. korrespondierende Regelung im SGB VIII erforder- lich. Hier hat sich der Gesetzgeber für einen Stand- • Nach § 52 a SGB VIII wird der Mutter des ort im Kontext der Vorschriften zur Pflegschaft und nichtehelichen Kindes zunächst Beratung und Vormundschaft entschieden und damit das An- Unterstützung angeboten. Nimmt sie dieses tragsmodell den so genannten anderen Aufgaben Angebot an, so hat sie einen Anspruch auf der Jugendhilfe (§ 2 Abs. 3 SGB VIII) zugewiesen, Beratung und Unterstützung. was ebenfalls rechtliche Bedenken aufwirft. Er- gänzt wurde die Regelung über die Beistandschaft • Auf der zweiten Stufe kann sie außerdem Bera- des Jugendamts durch die Hinweispflicht in § 52 a tung und Unterstützung bei der Ausübung der SGB VIII, die schließlich auch noch im Zusammen- Personensorge einschließlich der Geltendma- hang mit dem Beratungsanspruch nach § 18 SGB chung von Unterhalts- oder Unterhaltsersatzan- VIII zu sehen ist, woraus sich insgesamt das Modell sprüchen des Kindes oder Jugendlichen sowie einer „Drei-Stufen-Hilfe“ ableitet. über die Abgabe einer Sorgeerklärung und die Möglichkeit der gerichtlichen Übertragung der Im Rahmen des Kinderrechteverbesserungsgeset- gemeinsamen elterlichen Sorge beanspruchen zes (G.vom 9.4.2002 - BGBl. I S.1239) wurde das (§ 18 Abs. 1 und 2 SGB VIII - sog. kleine Bei- Antragsrecht auch auf Elternteile erweitert, denen standschaft). die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam zu- steht, wenn das Kind sich in ihrer Obhut befindet • Reicht ihr die Unterstützung bei der Vater- (§ 1713 Absatz 1 Satz 2 BGB). Damit wurde die schaftsfeststellung und der Geltendmachung Beistandschaft auch für alleinerziehende Väter und von Unterhaltsansprüchen nach § 18 nicht aus, Mütter nach der Trennung oder Scheidung geöff- so kann sie auf der dritten Stufe die Beistand- net. schaft beim Jugendamt nach § 1712 BGB beantragen. Inhaltlich konzentriert sich die Beistandschaft auf die beiden Aufgabenkreise Feststellung der Vater- Das Modell des § 52 a SGB VIII stand inzwischen schaft und Geltendmachung von Unterhaltsan- auch Pate für die Ausgestaltung des § 2 KKG, der sprüchen. Der Regierungsentwurf begründete die- die Information der Eltern über Unterstützungsan- se Begrenzung mit dem besonderen Eigeninteresse gebote in Fragen der Kindesentwicklung regelt. des Staates an der Durchsetzung dieser Rechte sowie mit dem nicht nachvollziehbaren Argument, Umsetzung des gesetzlichen Auftrags die Begrenzung geschehe zur Vermeidung von Misstrauen gegenüber alleinsorgeberechtigten Die Beistandschaft wird einerseits als Aufwertung Elternteilen. Die mit der Aufgabenkonzentrati- der Funktion des Jugendamts verstanden (Rüting on verbundenen Nachteile werden in der Praxis Jugendamt 2004, 223) und erfreut sich durchaus durch das weite Verständnis der Beistandschaft hoher Akzeptanz, zumal sie von den entsprechend als „dienstleistungsorientiertes Angebot“ (Rüting, beratenen betroffenen Personen als eine kosten- Jugendamt 2004) ausgeglichen. günstige Alternative zur Beratung durch einen Rechtsanwalt zum Zweck der Vaterschaftsfeststel- Obwohl das Landesrecht auch die Möglichkeit er- lung und Unterhaltstitulierung verstanden wird, öffnet, die Beistandschaft freien Trägern zuzuwei- wobei die Nutzung zur Unterhaltsdurchsetzung sen (Art.144 EGBGB), haben davon bisher nur die ersichtlich überwiegt. Kritisch wird aber auch Länder Berlin und Bayern Gebrauch gemacht. angemerkt, dass die Beratungs- und Unterstüt-
8 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 zungsleistungen keine offizielle statistische Größe Leistungsprofil des Beistands – Orientie- für die örtliche Personalbemessung darstellt (Joos, rungshilfe der Landschaftsverbände Jugendamt 2004) und deshalb häufig die zeitli- chen Ressourcen fehlen oder nur zulasten anderer Angesichts der gegenüber der früheren Amts- Aufgaben zum Einsatz kommen können (Joos, pflegschaft veränderten und komplex gewordenen Jugendamt 2004). Aufgabenstellung war es notwendig, ein Leis- tungsprofil zu entwickeln, das die Wahrnehmung In jedem Fall haben sich die Fachkräfte im Jugend- der Aufgaben in den Jugendämtern erleichtert und amt im Kontext der Beistandschaft einem vielfälti- gewährleistet. Gefragt waren damit die Landesju- gen Anforderungsprofil zu stellen (Rüting, Jugend- gendämter im Hinblick auf ihre Aufgabe zur Ent- amt 2004; Roos DAVorm 2000). Der Beistand ist, wicklung von Empfehlungen für die kommunale wie es Roos formuliert, „eine Art Anwalt, Notar, Praxis (nach § 85 Abs. 2 Nr.1 SGB VIII) Finanzberater und Sozialarbeiter in einer Person“ (Roos, DAVorm 2000). Dieser Aufgabe haben sich die Landesjugendämter in NRW mit der Einrichtung eines überregionalen Die Situation der (außerehelichen) Geburt stellt Arbeitskreises gestellt, der das am 13. Juni 2006 alleinstehenden Müttern nicht nur unmittelbar mit von den Landesjugendhilfeausschüssen beschlosse- der Geburt zusammenhängende Fragen, sondern ne Leistungsprofil für die Beistände erarbeitet hat. kann Anlass für die Aufdeckung bisher verdräng- Mit der 4. Auflage vom November 2013 haben ter oder gerade noch bewältigter Sozialprobleme die Landesjugendämter die vom überregionalen sein (Rüting, Jugendamt 2004). Gleichwohl wird Arbeitskreis erarbeitete Sammelmappe auf den bemängelt, die Fortbildung bleibe zu stark an den neusten Stand gebracht. Sie haben damit einen tradierten (juristischen) Aufgaben im Rahmen der wichtigen Beitrag zur Qualitätsentwicklung geleis- Führung der Beistandschaft orientiert, als an der tet, wie er seit der Änderung des SGB VIII durch Befähigung zur Beratung (Joos, Jugendamt 2004). das Bundeskinderschutzgesetz expliziter Auftrag der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist (§§ 79, Hinzukommt das nicht unerhebliche Haftungsrisiko 79a SGB VIII). der Jugendämter, das sich in den letzten Jahren in der Rechtsprechung vor allem zu Unterhaltsbei- Trotz dieses substantiellen Beitrags des Arbeits- standschaften manifestiert. Die mit der komplexen kreises und der Landesjugendämter für die Qualifi- Aufgabenwahrnehmung verbundenen Anforde- zierung des Arbeitsgebiets der Beistandschaft hat rungen werden auch in den häufigen Anfragen an sich jedoch gezeigt, dass vielen allein erziehenden das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Famili- Elternteilen nicht bekannt ist, dass es im Jugend- enrecht und deren Beantwortung in der Zeitschrift amt eine Stelle gibt, die die Unterhaltsansprüche „Das Jugendamt“ deutlich. der Kinder kostenlos geltend macht. Die zentrale Herausforderung wird also darin bestehen, die Potentiale der Beistandschaft in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und im Einzelfall wirkungsvoll im Interesse von Kindern und Jugend- lichen zum Einsatz zu bringen. Prof.Dr.Dr.h.c.Reinhard Wiesner ist ein deutscher Rechtswissenschaftler und gilt als „Vater“ des SGB VIII. (Foto: Joker, Wikimedia, cc-by)
Die Beistandschaft – Von der Zielsetzung des Gesetzgebers zur gelebten Praxis 9 Projektbeteiligte auf der Transferveranstaltung des Projektes in Köln (Foto: LVR) Auf dem richtigen Weg? Entwickeln sich Beistandschaften von einem freiwilligen Beratungs- und Unterstüt- zungsangebot zu einer Dienstleistung für Unterhaltsvorschusskassen und Jobcenter? von Antje Krebs Die Angebote des Fachdienstes Beistandschaft des. Gemeinsame elterliche Verantwortung für die sind vor allem wichtig für alleinerziehende Eltern, Klärung finanzieller Belange bewirkt ferner, dass Mütter und Väter, die, unabhängig von noch die Eltern-Kind-Beziehungen nach einer Trennung ungeklärten Unterhaltsleistungen, weitere grund- weitaus bessere Perspektiven erhalten: Der Zusam- sätzliche finanzielle Existenzsorgen haben können. menhang von regelmäßigen Umgangsbeziehungen Alleinerziehend sein erschwert die Vereinbarkeit zwischen getrennten Elternteilen und Kindern mit von Erwerbstätigkeit und Familie. Es bringt hohe regelmäßigen Unterhaltsleistungen ist belegt. physische und psychische Belastungen mit sich. Die Anzahl der Alleinerziehenden bei den von Armuts- Die Klärung und Leistung von Kindesunterhalt risiken bedrohten Bevölkerungsgruppen ist daher sind bei Trennungen und Scheidungen somit besonders hoch: „Trennungen, Scheidungen, maßgebliche Schutzfaktoren für den allein(ver-) alleinerziehend sein, gefährden Ihren Wohlstand“ sorgenden Elternteil und das Kind. Eine frühzeitige - wäre der schwarz umrandete Warnhinweis, gäbe professionelle Beratung und Unterstützung des es Elternschaft in Packungen an der Ladentheke. Fachdienstes Beistandschaft und gegebenenfalls die Einrichtung einer formalen Beistandschaft des Die Bereitschaft zur Klärung und Leistung von Jugendamtes ist hierbei von großer Bedeutung. Unterhaltszahlungen bei einer Trennung ermög- Dies bestätigt auch die große Nachfrage nach die- licht gemeinsame elterliche Verantwortung für die sem Angebot im Jugendamt. weitere gute Entwicklung des gemeinsamen Kin-
10 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Das Potential der Dienstleistungen im Fachdienst Weitaus geringer ist der Anteil an aufsuchenden Beistandschaft für die möglichst frühzeitige Bera- Müttern/Vätern die nicht im Leistungsbezug ste- tung und Klärung der finanziellen Absicherung von hen, berichten Fachkräfte aus der Beistandschaft. Kindern, ist daher ungemein hoch. Dieser Umstand Die Anteile bei den „Fällen“ wurden übereinstim- war ein maßgeblicher Beweggrund des Ministeri- mend von vielen Fachdiensten als Verhältnis von ums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport etwa 70 zu 30 angegeben. Dieses Verhältnis gibt des Landes NRW im Jahr 2013, eine Förderung des entsprechend auch die Quote der „Nichtzahler“ Praxisentwicklungsprojektes „Beistandschaften zu den „Zahlfällen“ wieder. Deutlich geringer sind 2020“ zuzusagen. Das Projekt wird vorgestellt auf damit Fälle, in denen das Jugendamt durch seine Seite 14 ff. dieses Heftes. Angebote im Fachdienst Beistandschaften primäre Unterhaltszahlungen für Kinder oder Jugendliche Jugendamt als Dienstleister für Jobcen- erreichen kann. ter und Unterhaltsvorschusskasse? Aufgabenempfänger wider Willen oder Es erscheint zunächst folgerichtig, dass der Anteil Ausgestalter von Vereinbarungen? von Eltern, die soziale Transferleistungen beziehen und die den Fachdienst Beistandschaft aufsuchen, Mit der Zunahme der Fälle in den Fachdiensten hoch ist. Fraglich ist jedoch, welche Aufgaben Beistandschaft, in denen Sozialleistungsgewäh- vom Fachdienst Beistandschaft in diesen Konstel- rung und Unterhaltsansprüche von Minderjähri- lationen übernommen werden und - wenn diese gen gleichermaßen zu beachten sind, geht eine „Fälle“ weitgehend die Arbeitsweise bestimmen Beschreibung über eine Zunahme von Aufgaben- - welche Tätigkeiten dem gesetzlichen Auftrag und wahrnehmung für Jobcenter oder Unterhaltsvor- den Zielsetzungen des SGB VIII entsprechen? schusskassen (UVK) einher: Hierbei werden die Beistände nicht mehr für die Realisierung von Eine Erkenntnis der Praxisberatung im Rahmen des primären Unterhaltsleistungen an Kinder und Projektes Beistandschaften 2020 war, dass in den Jugendliche tätig. Nach der in der Praxis üblichen letzten Jahren insgesamt eine deutliche Zunahme Vereinbarung der Rückübertragung der gesetzlich der „Fälle“ verzeichnet wurde, bei denen Eltern übergegangenen Ansprüche (§ 7Abs. 1 UVG, § 33 soziale Transferleistungen beziehen. Ferner, dass Abs. 2 SGB II, § 94 SGB XII) nebst Abtretungserklä- ein erheblicher Anteil der geführten formalen Bei- rung gegenüber Sozialbehörden werden Beistände standsschaften Fallkonstellationen betreffen, bei zu Beauftragten der UVK oder Jobcenter. Dabei ist denen ein Elternteil oder beide im Leistungsbezug offenbar vielen Beschäftigten nicht bewusst, dass sind und bei denen primäre Unterhaltszahlungen es sich bei der Rückübertragung nicht um einen daher, zumindest zeitweise, wenn nicht dauernd, einseitigen Gestaltungsakt, sondern um eine frei- durch den Beistand auch nicht zu realisieren sind. willige „Vereinbarung“ zwischen den Fachstellen handelt. Fortsetzung auf Seite 12
Auf dem richtigen Weg? | Offene Rechtsfragen 11 Offene Rechtsfragen § (ak) Neben den dargestellten fachlichen Fragen, die die Aufgabenwahrnehmung für die Beschäftigten der Fachdienste Beistandschaft aufwirft, sind auch rechtliche Fragen zum Teil ungeklärt. Eine Darstellung findet sich in der „Fachlichen Stellungnahme des überregionalen Arbeitskreises der Beistände in NRW: Beistandschaften im Kontext sozialer Transferleistungen“ vom 28.11.2014, die hier auszugsweise wieder gegeben wird: • für die Verjährung von Ansprüchen bei Rückübertragung unklar: Die Hemmung der Verjährung nach § 207 Abs. 1 Nr. 2 BGB greift nicht mehr, wenn die Ansprüche auf Dritte übergegangen sind. Es ist umstritten, ob die Hemmungswirkung wieder eintritt, wenn die Forderung treuhänderisch rücküber- tragen wird. • Beachtung der unterschiedlichen materiell rechtlichen Voraussetzungen des gesetzlichen Forderungs- übergang nach UVG und SGB II: Im UVG geht der Unterhaltsanspruch zusammen mit dem Auskunfts- anspruch des Kindes nach § 7 UVG auf das Land über und unterliegt hinsichtlich seiner Geltendma- chung keinen materiell-rechtlichen Beschränkungen. Im SGB II geht der Anspruch nach § 33 Abs. 2 S. 3 SGB II nur über, soweit das Einkommen und Vermö- gen (§§ 11 und 12 SGB II) der unterhaltspflichtigen Person deren Bedarf(-sgemeinschaft !!, vgl. BGH v. 23.10.2013, FamRZ 2013, 1962 ff.) nach der vorgeschriebenen grundsicherungsrechtlichen Vergleichs- berechnung übersteigt. In vielen Fällen wird von einem gesetzlichen Forderungsübergang ausgegangen, ohne dass diese Voraussetzungen ausreichend dargelegt wurden. • Anspruchsübergang auf Bedarfsgemeinschaft: § 33 Abs. 1 S. 2 SGB II erweitert den Anspruchsüber- gang auf den Sozialleistungsträger über die Aufwendungen für das unterhaltsberechtigte Kind hinaus auf die Aufwendungen, die für die gesamte Bedarfsgemeinschaft, in der das Kind lebt, erbracht wur- den (seit 01.01.2009). Dieses führt bei einer Rückübertragung dazu, dass durch den Beistand Forde- rungen gegenüber dem Unterhaltsschuldner geltend gemacht werden, die nicht dem Kindesunterhalt entsprechen. • Mögliche „treuwidrige“ Geltendmachung/Durchsetzung rückständiger primärer Unterhaltsansprü- che des Kindes bei gewährten SGB II Leistungen: Hat wegen der festgestellten Leistungsunfähigkeit hingegen kein gesetzlicher Forderungsübergang nach § 33 Abs. 2 Satz 3 SGB II stattgefunden, könnte die Realisierung rückständiger Unterhaltsansprüchen durch den Beistand bei späterer Zahlungsfähig- keit des bürgerlich-rechtlich unterhaltspflichtigen Elternteils treuwidrig sein (vgl. LL 2.2 OLG Hamm), soweit der Unterhaltsbedarf des Kindes in der Vergangenheit bereits durch laufende Leistungen des SGB II-Trägers gedeckt worden ist. • für die gerichtliche Geltendmachung rückübertragener Ansprüche: Nach der Entscheidung des BGH v. 02.04.2008 (FamRZ 2008, 1159 ff, JAmt 2008, 393 ff) ist ein Unterhaltsberechtigter für die gericht- liche Geltendmachung rückübertragener Unterhaltsansprüche grundsätzlich nicht bedürftig, so dass ihm ein Anspruch auf Übernahme der Verfahrenskosten gegen den öffentlich-rechtlichen Leistungs- träger zusteht. Diese müssten vom Beistand ebenfalls geltend gemacht werden. • Gefahr von (Mehrfach-) Titulierungen und Vollstreckungen: Fehlende Abstimmung führt ggf. zu Mehrfachtitulierungen (Unterhaltsrückstand und laufender Unterhalt), die zu Kollisionen mit der lau- fenden Unterhaltszahlung führen können.
12 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Fortsetzung von Seite 10 Für viele Fachkräfte in den Beistandschaften UVK/Jobcenter auf den Fachdienst Beistandschaft nehmen die Verfahren, in denen sie für die UVK aufeinander und kollidieren mit den gesetzlichen oder Jobcenter Rückforderungen geltend machen, Aufträgen des Jugendamtes: zur Beratung, Unter- inzwischen einen erheblichen Teil ihrer Tätigkei- stützung, der Gewinnung beider Elternteile für die ten ein. Insbesondere in den Fallkonstellationen, verantwortliche Wahrnehmung der Elternschaft, in denen der Unterhaltsverpflichtete (erkennbar) deren Bereitschaft, Angebote des Jugendamtes in dauerhaft leistungsunfähig ist, fragt sich, warum Anspruch zu nehmen und das Jugendamt als „Un- eine Aufgabenverlagerung stattfindet - und ob terstützung, die ankommt“ zu erfahren. sie mit den fachlichen Paradigmen des SGB VIII einhergeht. Nicht unüblich: Verdichtung zur Pflichtbeantragung Passt die Praxis zum Auftrag der Jugendhilfe? Mütter (oder Väter), die Leistungen nach dem UVG beantragen, werden durch die UVK auf ihre Zum einen können die UVK wie auch Jobcenter gesetzlichen Mitwirkungspflichten bei der Vater- aufgrund der gesetzlich geregelten Voraussetzun- schaftsfeststellung und für die Feststellung zur gen sowie Mitwirkungs- und Auskunftspflichten Leistungsfähigkeit primär Unterhaltsverpflichteter der Beteiligten den Umfang von Unterhaltsver- hingewiesen. In einigen UVK wird dabei jedoch pflichtungen selbst überprüfen und Rückforderun- diese Mitwirkungspflicht der Mütter (oder Vä- gen geltend machen. Es gelten hierbei, wie darge- ter) auf die Verpflichtung zur Beantragung einer stellt, auch spezielle sozialgesetzliche Vorschriften Beistandschaft verdichtet. In den „Richtlinien zur für die Leistungsgewährung, die von diesen Stellen Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes des anzuwenden sind. Die Regelungen im SGB VIII Bundesfamilienministeriums für Familie, Senio- verfolgen jedoch gänzlich andere Zielsetzungen, ren, Frauen und Jugend“ finden sich unter Ziff. welche sich auf die Ausgestaltung der Ansprüche, 1.10. ff. Ausführungen zu den „gesteigerten“ Möglichkeiten der Entscheidungen, Mitwirkung Mitwirkungspflichten des anspruchsstellenden und Verpflichtungen der Anspruchsteller und Elternteils nach § 1 Abs. 3 UVG, die entsprechend entsprechend auf die Ausgestaltung des Dienst- strikt sind.1 Diese sind für die Inanspruchnahme leistungsangebotes durch die Jugendämter auswir- von Sozialleistungen, die Unterhaltsleistungen ken. Ferner ist das Handeln eines Beistandes bei von Eltern substituieren ausgelegt, nicht aber für der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen Mitwirkungspflichten nachdem SGB VIII. Weder die kein rein hoheitliches Verwaltungsverfahren - er Regelungen des UVG noch die hierzu erlassenen wird hierbei auf dem Gebiet des Privatrechts tätig, Richtlinien bestimmen aber eine Verpflichtung zur wenn er auch Stelle der öffentlichen Verwaltung Einrichtung einer Beistandschaft. ist. 1 Vgl.: Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend, Diese unterschiedlichen gesetzlichen Voraussetzun- Richtlinien zur Durchführung des Unterhaltsvorschussgesetzes in der ab gen stoßen bei den Aufgabenübertragungen von Januar 2014 geltenden Fassung.
Auf dem richtigen Weg? 13 Es steht ferner sogar im Widerspruch zu den Para- seiner Selbstkompetenz zu stärken. Diese wichti- digmen des SGB VIII, wenn Antragstellern sug- ge Erfahrung des eigenen Kompetenzzuwachses geriert wird, sie müssten Leistungen des Jugend- stärkt Mütter, Väter und damit Familien. amtes in Anspruch nehmen, die ihrem Charakter nach freiwillige Angebote sind. Die Entscheidung Das durch die Landesjugendämter in NRW her- über die Einrichtung einer Beistandschaft muss ausgegebene „Leistungsprofil für den Beistand“ nach einem Beratungsgespräch im Jugendamt, mit beschreibt daher den Auftrag des Fachdienstes dem Fachdienst Beistandschaft, getroffen werden Beistandschaft als Entwicklung (§ 79a SGB VIII) – nicht aber durch Vorgaben einer anderen Stelle. einer qualifizierten Beratung und Unterstützung Diese Praxis ist jedoch offenbar keine Ausnahme, neben dem Führen von Beistandschaften entspre- sondern scheint sich etabliert zu haben. Auch bei chend den gesetzlichen Regelungen als „Gesamt- Jobcentern ist eine entsprechende Beratung bei auftrag“ des Fachdienstes Beistandschaft im Sinne der Beantragung von Leistungen offenbar nicht der „Drei-Stufen-Hilfe“ (siehe dazu auch Seite 7 in unüblich. diesem Heft). Die Zunahme von Aufgabenwahrnehmungen für Die Chancen und Potentiale, die Beschäftigte die Jobcenter oder UVK-Stellen führt zu einer dieses Fachdienstes durch eine kontinuierliche Praxis, in der Fachkräfte aus der Beistandschaft mit Weiterentwicklung dieser Beratungs- und Unter- diesen Aufgaben ausgelastet werden. Eine eigene stützungskompetenzen haben könnten, werden im fachliche Weiterentwicklung entsprechend den kommenden Abschlussbericht des Praxisentwick- Zielen des SGB VIII, zum Beispiel für Beratungs- lungsprojektes „Beistandschaften 2020“ ausführ- oder Unterstützungsleistungen, die die Einbe- lich beschrieben (siehe S. 15 unten). ziehung beider Eltern und eine gesamtfamiliäre Betrachtung ermöglichen, können zeitlich oft nicht mehr geleistet werden. Dazu kommt, dass der Fachdienst Beistandschaft vorrangig personell mit Verwaltungskräften besetzt ist, denen Beratungs- kompetenzen nicht vorrangig fachlich abverlangt werden und die sogar nicht selten selbst Aufgaben als UV-Stelle mit wahrnehmen. Rollen- und Aufgabenverständnis Beratungs- und Unterstützungsaufgaben haben eine andere Funktion und erfordern zum Teil ein anderes Rollen- und Aufgabenverständnis, als das Führen formaler Beistandschaften. Das Ziel einer Antje Krebs ist Fachberaterin im kompetenten Beratung ist, das Gegenüber in LWL-Landesjugendamt
14 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Wie geht Praxisentwicklung? Projektdesign und Veränderungsziele des Praxisentwicklungsprojektes „Beistandschaften 2020“ von Antje Krebs Struktur des Praxisentwicklungspojektes Das Praxisprojekt Das Praxisentwicklungsprojekt „Beistandschaf- Die Bewerbung zur Teilnahme am Praxisprojekt ten 2020“ wurde im Zeitraum von August 2013 Beistandschaften 2020 wurde im September 2013 bis Dezember 2015 vom LWL-Landesjugendamt ausgeschrieben. Ausgewählt wurden aus den ein- Westfalen und LVR-Landesjugendamt Rheinland gehenden Bewerbungen die Jugendämter Dort- durchgeführt. Gefördert wurde es mit Mitteln des mund, Düren, Kamp-Lintfort, Krefeld, Kreis Borken Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Kreis Olpe. und Sport des Landes NRW. Intention war, die Entwicklung der Aufgabenwahrnehmung im Fach- Mit der Durchführung des Forschungsprojektes dienst, dessen (Un-)Bekanntheit, die Vernetzung wurde das Institut für Soziale Arbeit e.V. mit Sitz der Leistungsangebote innerhalb des Jugendamtes in Münster beauftragt. Ausgewählte Ergebnisse und die Schnittstellen mit externen Fachstellen finden sich auf S. 16 ff. näher zu untersuchen. Hintergrund war (ist) der landespolitische Auftrag der Bekämpfung von Kin- Während der gut 12-monatigen Praxisberatung in derarmut / Sicherung von Teilhabechancen, ferner den sechs Standorten wurden die Fachkräfte aus die Verpflichtung zur Qualitätsentwicklung aus § den Fachdiensten Beistandschaft sowie Leitungs- 79a SGB VIII.1 kräfte im Jugendamt und angrenzende Fach- dienste beteiligt. Moderiert wurden die Sitzungen Das Praxisentwicklungsprojekt war konzipiert als von den Fachberaterinnen und Fachberatern der zwei parallel durchzuführende Teilprojekte: Landesjugendämter und einer externen Organisati- onsberaterin. • Einem Praxisprojekt, in dem Beratungsprozesse zur Praxisentwicklung in sechs ausgewählten Der Verlauf der Praxisberatung lässt sich in drei Projektjugendämtern durchgeführt wurden und Phasen unterteilen: einem • Ist-Analyse und Entwicklung von Veränderungs- • Forschungsprojekt, in dem in weiteren Jugend- ideen ämtern in NRW qualitative und quantitative Forschungen durchgeführt wurden. • Formulierung der Veränderungsziele/Entwick- lung der Prozessstrukturplanung Praxisentwicklungsprojekt „Beistandschaften 2020“ • Durchführung/Steuerung des Umsetzungspro- Praxisprojekt Forschungsprojekt zesses Phase 1: Ist-Analyse und Entwicklung von Veränderungsideen 1 Ausführlich dargestellt werden Projektdesign und Zielsetzungen im veröffentlichten Abschlussbericht zum Praxisentwicklungsprojekt Bei- standschaften 2020. Zu beziehen ist dieser auch als pdf-Fassung zum Bei der Ist-Analyse der derzeitigen Aufgabenwahr- Download über die Internetseiten der Landesjugendämter in NRW. nehmung in den Projektjugendämtern wurden
Wie geht Praxisentwicklung? Projektdesign und Veränderungsziele des Praxisentwicklungsprojektes 15 Kernaussagen sowie Daten über Strukturen, Pro- eigenen Umsetzungsplan für das gewählte Ver- zesse und Ergebnisse gewonnen, die über folgen- änderungsziel erforderte. In einem Projektstruk- de Aspekte Auskunft geben sollten: turplan wurden Umsetzungsschritte beschrieben, in denen konkrete Teilziele, Meilensteine, Verant- • Personelle / organisatorische Ausstattung wortliche und Termine aufgenommen wurden. • Mischarbeitsplatz - weitere Aufgabenkreise und Anteile Die Veränderungsziele lassen sich zusammenfas- • Schnittstellen/Kooperationen send darstellen als: • Haltung als Beistand • Fallzahlen der Beistandschaft • (Weiter-)Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit • Beratungs- und Unterstützungstätigkeiten • Vernetzung mit internen und externen Schnitt- • Beurkundungstätigkeit stellen • Aktenführung • Entwicklung von Fachkonzepten für die Aufga- • Vaterschaftsanerkenntnisse benwahrnehmung • Fallentwicklung in den letzten 5 Jahren • Erfassung der Aufwendungen für Beratungs- • Qualifikation der Fachkräfte und Unterstützungsleistungen • Fortbildungen • Besprechungsstrukturen • Öffentlichkeitsarbeit - intern/extern Die konkreten Veränderungsziele der Praxisprojekt • Zuweisung zum Fachdienst Jugendämter waren u.a.: • Selbständiges Arbeiten • Einbindung der Beistandschaft im Jugendamt • Entwicklung der Öffentlichkeitsarbeit zur Ver- besserung der internen und externen Vernet- Phase 2: Entwicklung von Veränderungszielen zung. • Entwicklung von Fachkonzepten für Beratungs- In der zweiten Phase der Praxisberatung wurden leistungen für junge Volljährige, für Sonder- die Fachdienste der Projektjugendämter bei der und Mehrbedarfe, für die außergerichtliche Entwicklung ihrer konkreten Veränderungsideen Beratung zur Vaterschaftsfeststellung und zur unterstützt. Die Ergebnisse der Bestandsaufnah- Unterhaltsberatung. men wurden ausgewertet und mögliche Verände- • Entwicklung von Strukturqualität durch Zent- rungsideen gesammelt. In einem zweiten Schritt ralisierung des Fachdienstes mit dem Ziel der wurden die zur Verfügung stehenden Ressourcen, Verbesserung der Erreichbarkeit, der Vertre- die Optionen für die Veränderungsideen, die tungssituation und des regelmäßigen fachinter- Chancen und damit verbundenen „Risiken“ ermit- nen Austauschs telt und schließlich die Möglichkeiten der Erreich- • Entwicklung der Prozessqualität durch Beschrei- barkeit ermittelt. Im Ergebnis wurden einige Ver- bung von Schnittstellen und Erarbeitung von änderungsideen verworfen, andere konkretisiert Kooperationsvereinbarungen für die Zusam- oder damit verbundene Ziele reduziert, um eine menarbeit bzw. Dienstvereinbarungen zwischen Umsetzung realisierbar zu machen. Die Entschei- unterschiedlichen Fachstellen. dung über die Wahl der konkreten Veränderungs- ziele, die im Laufe des Praxisprojektes umgesetzt werden sollten, wurde den Projektjugendämtern Ausführlich dargestellt werden Projektdesign, Ziel- überlassen. setzungen und Ergebnisse im Ende 2015 veröffent- lichten Abschlussbericht zum Praxisentwicklungs- Phase 3: Durchführung bzw. Steuerung projekt Beistandschaften 2020. Zu beziehen ist des Umsetzungsprozesses dieser als Druck und PDF-Fassung zum Download über die Internetseiten der Landesjugendämter. Es zeigte sich, dass die strukturellen, organisato- rischen und personellen Vorbedingungen jedes > www.lwl-landesjugendamt.de teilnehmenden Fachdienstes grundsätzlich einen > www.jugend.lvr.de
16 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Empirische Hinweise zu Beistandschaften in Nordrhein-Westfalen Ergebnisse des Forschungsprojektes „Beistandschaften 2020“ zu Ämtern, Fachkräften, Adressatinnen und Adressaten von Wolfgang Rüting und Jens Pothmann Das Forschungsprojekt „Beistandschaften 2020“ These 1: wurde im Auftrag der Landesjugendämter im Beistandschaften erweisen sich als Ele- Rahmen des Gesamtprojektes durchgeführt. Es ment der Dienstleistungsstruktur des beinhaltete unterschiedliche empirische Zugänge Jugendamtes mit frühzeitigen Unterstüt- – auf den Aufgabenbereich der Beistandschaften zungsangeboten in den Jugendämtern. Diese umfassen zehn leit- fadengestützte Interviews mit Fachkräften sowie Auch wenn die Beistandschaften zu den hoheit- zehn weitere mit Adressatinnen und Adressaten lichen Kernaufgaben kommunaler Jugendämter dieses Fachdienstes. Als diskursiver Resonanzraum gehören, handelt es sich bei den Leistungen zu wurde ergänzend ein Workshop einem nicht unerheblichen Teil mit Fachverbänden und relevan- um personenbezogene Dienst- ten Einrichtungen der Jugend- „Mein Beistand ist wie ein leistungen bzw. nach Meysen hilfe durchgeführt. Neben den Wirbelwind durch das Büro (2013) um einen „integrativen qualitativen Interviews und dem gehuscht und hat mir gehol- Bestandteil der Kinder- und Workshop ist im ersten Quartal fen. Die ganze Last fiel von Jugendhilfe“. Das heißt: Der 2015 bei den Jugendämtern mir runter.“ Anlass für eine Beistandschaft, in NRW eine standardisierte Betroffene mit der Feststellung der Vater- Online-Erhebung durchgeführt schaft sowie der Klärung und worden. Nach Abschluss der Erhebung liegen die Sicherstellung der Unterhaltsleistungen für das Ergebnisse von 129 Jugendämtern vor. Bei einer Kind, ist zwar stets ein formaler. Allerdings haben Gesamtzahl von 188 Jugendämtern entspricht das Fachdienste Beistandschaften nicht zuletzt auch mit 68,6% einer hohen Rücklaufquote. einen begleitenden und unterstützenden Charak- ter, der jedoch noch einige Entwicklungspotenziale Die breite Datenbasis des Forschungsprojektes im beinhaltet. Rahmen des Praxisentwicklungsprojektes Bei- standschaften 2020 erlaubt es, wissenschaftliche Bei den von den Fachdiensten Beistandschaf- Aussagen über Strukturen, Verfahren und Prozesse ten bearbeiteten Fällen verbergen sich, bei einer zu generieren. Es können hierauf aufbauend Bilan- nicht unerheblichen Zahl, komplexe Problem- und zierungen vorgenommen und Entwicklungspers- Konfliktstrukturen sowie defizitäre Lebenslagen pektiven herausgearbeitet werden. Hierzu werden der betroffenen Familien und jungen Menschen. im Folgenden vier Thesen formuliert und empirisch Es geht für die Fachkräfte im Fachdienst Beistand- begründet: schaft darum, diese Situationen zu verstehen, um Lösungswege entwickeln und Unterstützungsan- gebote machen zu können. Zusätzlich verstärkt wird dieser Auftrag durch die gesetzlichen Grundlagen, wenn diese insbesonde- re über den § 52a SGB VIII, aber auch über § 18
Empirische Hinweise – Ergebnisse des Forschungsprojektes 17 SGB VIII Beratungsansprüche und -leistungen im Deutlich wird der Effekt der psychosozialen Entlas- Aufgabenbereich der Beistandschaften verankern tung der Betroffenen im Verlaufe der Beratungs- bzw. Schnittstellen zu diesen vorsehen (vgl. Jordan/ prozesse im Fachdienst Beistandschaft. Hier wird Maykus/Stuckstätte 2012). deutlich: Die Fachkraft im Fachdienst Beistand- schaft ist immer auch Türöffner und Lotse für die Die Fachkräfte in den Beistandschaften legen vor Betroffenen im unübersichtlichen Geflecht sozialer dem Hintergrund einer dienstleistungsorientierten Dienstleistungen und Zuständigkeiten. Da sich hier Ausrichtung des Aufgabenbereichs sehr viel Wert zudem der erste Kontakt zur Kinder- und Jugend- auf das Erstgespräch mit den Betroffenen. Das hilfe eröffnet, kann hier von einer „frühen Hilfe“ haben sowohl die Interviews gezeigt als auch die im Sinne einer frühzeitigen Unterstützung gespro- Befragung der Jugendämter, wenn hier über 97% chen werden, um auf Entwicklungsrisiken von der Jugendbehörden die besondere Wichtigkeit Kindern/Jugendlichen hinweisen zu können. Dies des Erstgesprächs herausstreichen. Die Fachkräf- ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Sensor für den te gehen individuell auf die Betroffenen ein und institutionellen Kinderschutz. eröffnen wichtige Gesprächsräume. Oft finden Betroffene hier erstmals die Möglichkeit, über ihre These 2: individuelle (Trennungs-)Situation sprechen zu Zusammenwirken und Teamarbeit finden können. So zumindest beobachten es Fachkräfte, im Bereich Beistandschaften nur einge- wenn es in einem Interview heißt: schränkt statt oder sind überhaupt nicht möglich „Wie es sich entwickelt (Erstgespräch) kommt immer auf die einzelne, natürliche Situation an Die empirischen Befunde aus den Interviews und (…). Sie (die Mutter) hat dann die ganze Tren- der standardisierten Befragung der Jugendämter nungsgeschichte mitgeteilt (…) Sehr viel auch zum zeigen: Grundsätzlich arbeiten Beschäftigte im Vater erzählt und das dann auch ein großer Teil Fachdienst Beistandschaft sehr autonom, individu- des Wohlstandes wegbricht (...) und die Frage des ell und so gut wie gar nicht in institutionalisierten Besuchs der Kinder sich stellt“. (Beistand) Teamstrukturen. Hierzu passt, dass die Aufgaben und Tätigkeiten zu einem überwiegenden Teil Das ist keineswegs selbstverständlich, zumal das von Beschäftigten in Einzelbüros erledigt werden Jugendamt in der öffentlichen Wahrnehmung (75%). Immerhin finden sie laut Befragungsergeb- insbesondere mit dem „staatlichen Wächteramt“ nissen Unterstützung insbesondere durch bilate- in Verbindung gebracht wird (vgl. Prölß 2013). Es rale Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen. Die kann aber sogar gelingen - wie Interviews mit El- Arbeit im Team ist in den Jugendämtern im Bereich tern zeigen - mittels des Kontaktes zum Fachdienst der Beistandschaften eine eher weniger verbreitete Beistandschaft und einer hier angelegten Arbeits- Arbeitsform. Zwar ist das in 56% der Jugend- beziehung, die Skepsis (und Ängste) der Betroffe- ämter gegeben, allerdings geben auch 30% der nen gegenüber der „Eingriffsbehörde Jugendamt“ Verwaltungen an, dass es nur selten oder nie die zu reduzieren und den Charakter eines Unterstüt- Möglichkeit gibt, im Team zu arbeiten. Bei diesem zungsangebots herauszuarbeiten. empirischen Befund muss sicherlich die Größe von zahlreichen Jugendämtern in NRW berücksich- „Ja, ich hatte sehr großen Respekt vor dem Ju- tigt werden. In den „kleinen Jugendämtern“ ist gendamt, also man hört ja mal: Jugendamt, hui, Teamarbeit schon angesichts der Beschäftigtenzahl buh!“ (..) „..wie sie dann erfahren hat (der Bei- in diesem Aufgabengebiet nicht möglich. So zeigt stand), um was es geht und wie viel der Vater die Jugendamtsbefragung, dass in knapp einem bereit ist zu zahlen, da ist sie wirklich wie so ein Viertel der Jugendämter gerade einmal bis zu 1 kleiner Wirbelwind durch das Büro gehuscht und Stelle für den Aufgabenbereich der Beistandschaf- hat mir geholfen (..) ich habe auf einmal nur ge- ten vorgesehen ist (n = 129). dacht so: Gott sei Dank, die ganze Last fiel von mir runter.“ (Betroffene)
18 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Abb. 1: Bewertung eines eher bzw. sehr hohen Entwicklungsbedarfs aus Sicht der Jugendämter für aus- gewählte Aufgabenbereiche von Beiständen (Nordrhein-Westfalen; 2015; Anteile in %, n = 127) Quelle: ISA-Befragung der Jugend- ämter in NRW im Forschungspro- jekt „Beistandschaften 2020“ wenig Nachvollziehbarkeit aus der Außensicht zu These 3: erfahren. Hieraus resultieren auch selbstkritische Praxis(-entwickung) fehlt es an konzep- Einschätzungen der Jugendämter. So antworten tionellen Leitorientierungen - und zwar die Jugendämter (n = 127) auf die Fragen nach insbesondere im Bereich Beratung einer Verbesserung der Qualitätsentwicklung sowohl für den Bereich der („kleinen Beistand- Ausgearbeitete Konzeptionen für das Aufgaben- schaft“) Beratung und Unterstützung als auch für gebiet der Beistandschaften sind in der Jugend- die klassischen Beistandschaften mehrheitlich mit amtspraxis selten. Damit bleibt die Ausgestaltung einem zumindest eher hohen Entwicklungsbedarf des Aufgabenbereiches der Beistandschaften (vgl. Abb. 1). und die hiermit in Verbindung stehenden Tätig- keitsmerkmalen lokalen Präferenzen vorbehalten. Hier ist die „Dienstleistung Beistandschaft“ ge- Die Befragung der Jugendämter lässt feststellen, fordert, Rolle und Profil sowie Konzeptionen und dass es nur wenige Leistungsbeschreibungen Qualitätskriterien zu schärfen. Dies betrifft auch zum Aufgabenbereich der Beistandschaften gibt. das strukturell nicht geklärte Verhältnis von aus- Lediglich 27% von den 129 antwortenden Ju- schließlichen Beratungsleistungen und der formal gendämtern können hierauf zurückgreifen. Noch eingerichteten Beistandschaft. Laut den interview- seltener vorhanden sind Einarbeitungskonzepte für ten Beiständen sind Beratungsleistungen keines- neue Fachkräfte, die bei Personalzuwächsen oder wegs ein strukturell verankertes Regelangebot in -wechseln eine wichtige Funktion für den Wis- ihrem Aufgabengebiet. So zeigt auch die Befra- senstransfer und damit auch für die Qualitätsent- gung der Jugendämter, dass lediglich etwas mehr wicklung innerhalb einer Organisation einnehmen als 50% der befragten Jugendämter hierzu über- können. Lediglich 6% der Jugendämter verfügen haupt Fallzahlen erfasst oder dass beim Stichwort über ein solches Einarbeitungskonzept. Auch „Fort- und Weiterbildung“ Themen wie Beratung Fort- und Weiterbildungen im Aufgabenbereich oder Gesprächsführung eher eine untergeordne- der Beistandschaften haben, laut Angaben der te Rolle spielen - ein Befund, der sich im Übrigen befragten Jugendämter, eine sehr unterschiedliche gleichermaßen aus den Interviews ergibt. Bedeutung. Zwar haben fast 95% der teilneh- menden Jugendämter angegeben, dass Fachkräfte Diese doch eher ernüchternde Relevanz der „Klei- Angebote der Fort- und Weiterbildung zumindest nen Beistandschaft“ hat Gründe. So ist laut den gelegentlich wahrnehmen können, aber nur in geführten Interviews diese zeit- und kommunika- 43% der antwortenden Behörden haben die Fach- tionsintensive Arbeitsweise in Stellenbeschreibun- kräfte häufig die Gelegenheit, an einer Fort- oder gen nicht vorgesehen und erfährt somit auch keine Weiterbildung teilzunehmen. Berücksichtigung bei der Stellenbemessung. Insge- samt werden angesichts der empirischen Befunde Diese Praxis muss allerdings in der Folge bezo- ganz offensichtlich Potenziale eines niedrigschwel- gen auf „Qualitätsentwicklung“ in Kauf nehmen, ligen Beratungsangebotes im Aufgabengebiet der durch Unübersichtlichkeit geprägt zu sein und nur Beistandschaften nicht genutzt.
Empirische Hinweise – Ergebnisse des Forschungsprojektes 19 These 4: fenden Zusammenarbeit mit den Beiständen kann Beistandschaften sollten sich emanzi- vor diesem Hintergrund an vielen Stellen noch gar pieren und müssen strategisch neu in keine Rede sein. Selbst die kommunalen Arbeitge- der (fach-)öffentlichen Kommunikation ber (Kommunale Spitzenverbände) haben sich mit platziert werden den Arbeits- und Wirkmöglichkeiten der Beistand- schaft bisher kaum befasst. Die Beistandschaft als Dienstleistungsbereich des Jugendamtes hat in den zurückliegenden Jahren Mit Blick auf aktuelle Debatten um die Lebens- an Bekanntheit und Kontur gewonnen. Der Stel- bedingungen von Alleinerziehenden und deren lenwert einer kommunalen Anlaufstelle oder eines Kinder (Armutsprävention, Teilhabe, frühe Hilfen, Basisdienstes für die ausgewiesene Zielgruppe ist Bildung etc.) verwundert es allerdings schon, dass aber nicht erreicht. Die empirischen Befunde des eine vorhandene Hilfe und Unterstützungsstruktur Forschungsprojektes zeigen vielmehr, dass bei allen wie die Beistandschaft in der Fachdiskussion nicht Fortschritten nach wie vor die Bedeutung dieses präsenter ist. Parallel zu einer fachlichen Weiter- Leistungsbereiches des Jugendamtes und die hier entwicklung scheint es daher fast so etwas wie verorteten Potenziale und Möglichkeiten nicht zur eine Art „Imagekampagne“ für die Fachdienste Kenntnis, angemessen gewürdigt und praktisch Beistandschaften zu benötigen. Diese müsste vor genutzt werden. allem die Kinder- und Jugendhilfe und die angren- zenden Bereiche aus dem Bildungs-, Erziehungs-, Die Beistandschaft als Dienstleistung des Jugend- Gesundheits- und Sozialwesen erreichen. Dies amtes folgt zudem in der Regel keinen eigenen wäre notwendige Voraussetzung für die Beistand- Strategien und Konzepten. Die Praxis „lebt“ schaften, um sich in den lokalen Hilfenetzwerken weitestgehend von „zugewiesenen“ Fällen (u.a. und Unterstützungsstrukturen besser platzieren Jobcenter - SGB II). Bei Dritten kann der Eindruck und aufstellen zu können. entstehen, Beistandschaft sei ein „Unterstützungs- und Inkassodienst“ für andere Leistungsträger. Literatur Jordan, E.; Maykus, S.; Stuckstätte, E. C. (2012): Kinder- und Jugend- Dass potenziell Betroffene verminderte Kenntnisse hilfe. Einführung in Geschichte und Handlungsfelder, Organisationsfor- men und gesellschaftliche Problemlagen. 3. Aufl. Weinheim, Basel. hierüber haben, ist noch nachvollziehbar, auch [LVR/LWL] LVR-Landesjugend Rheinland/LWL-Landesjugendamt West- wenn hier Jugendämter selbst erheblichen Ent- falen (Hrsg.): Qualitätsstandards für Beistände. Arbeits- und Orientie- rungshilfe (Stand 01.11.2013), Köln, Münster 2013. wicklungsbedarf sehen, wie die die Befragung der Meysen, T.: Beistandschaft, in: D. Kreft, I. Mielenz (Hrsg.) (2013), Wör- Jugendämter zeigt. Bedenklich ist allerdings, dass, terbuch Soziale Arbeit, 7. Aufl., Weinheim, Basel, S. 161-162. Prölß, R.: Jugendamt, in: D. Kreft, I. Mielenz (Hrsg.) (2013), Wörter- wie der mit Berufs- und Fachverbänden durchge- buch Soziale Arbeit, 7. Aufl., Weinheim, Basel, S. 467-473. führte Workshop verdeutlicht hat, potenzielle Ko- operationspartner und Netzwerkpartner zwar das Aufgabengebiet der Beistandschaften namentlich kennen, oftmals aber nur über rudimentäre Kennt- nisse zu diesem Bereich verfügen und dement- sprechend Aufgabenbereiche, Leistungspotenziale und Zuständigkeiten nur unzureichend einschätzen können. Von einer fallbezogenen und fallübergrei- Wolfgang Rüting (links) ist Vorsit- zender des ISA e.V. und Leiter des Kreisjugendamtes Warendorf. Dr. Jens Pothmann ist wissenschaftli- cher Mitarbeiter in der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhil- festatistik beim Forschungsverbund Deutsches Jugendinstitut + Techni- sche Universität Dortmund.
20 Jugendhilfe-aktuell 3.2015 Gewinnbringende Zusammenarbeit Der Fachdienst Beistandschaften ist ein wichtiger Partner der Frühen Hilfen von Silke Karsunky ämter), Einrichtungen der Frühförderung sowie weitere Sozialleistungsträger. Die Forderung nach multiprofessioneller Koopera- tion und Vernetzung, als Kernelement der Frü- hen Hilfen, entspricht der Erkenntnis, dass eine umfassende Unterstützung und Förderung von Eltern und Familien bei der Bewältigung von He- rausforderungen, die sich rund um die Phase der Schwangerschaft und Geburt sowie in den ersten Lebensjahren eines Kindes zeigen können, eine ganzheitliche Betrachtung erfordern und nur im vernetzten Miteinander der zuständigen Akteure vor Ort adäquat zu beantworten sind. Ziel des übergreifenden Zusammenwirkens dieser verschiedenen Systeme ist es, (werdenden) Eltern und Familien eine bedarfsgerechte Infrastruktur sowie niedrigschwellige Unterstützungsangebo- te zur Verfügung zu stellen, damit Bedingungen geschaffen werden, die Kindern ein gelingendes Aufwachsen ermöglichen und ihre Rechte auf Schutz, Förderung und Teilhabe sichern. Mit Blick auf die Bereitstellung von Angeboten Das Kind ist stets im Mittelpunkt (Foto: Jugendämter) fokussieren Frühe Hilfen neben alltagspraktischer Unterstützung insbesondere Angebote, die der Förderung der Beziehungs-, Erziehungs- und Der Begriff „Frühe Hilfen“ kennzeichnet ein Un- Versorgungskompetenz von (werdenden) Müttern terstützungssystem auf kommunaler Ebene mit und Vätern dienen. Hierzu zählen Angebote, die koordinierten und multiprofessionellen Beratungs-, sich grundlegend an alle (werdenden) Eltern rich- Bildungs- und Unterstützungsangeboten für (wer- ten, wie z.B. Geburtsvorbereitungskurse, Begrü- dende) Eltern und Familien mit Kindern mit einem ßungsbesuche bei Neugeborenen, Elterncafés und Altersschwerpunkt von 0 bis 3 Jahren (vgl. NZFH Ehrenamtsprojekte. Darüber hinaus wenden sich 2014). Als zentrale Akteure erweisen sich neben Angebote Früher Hilfen auch gezielt an Eltern(teile) öffentlichen und freien Trägern der Kinder- und und Familien in belasteten Lebenslagen (zum Bei- Jugendhilfe insbesondere Schwangerschaftsbera- spiel aufgrund von finanziellen, materiellen, sozia- tungsstellen, Akteure des Gesundheitswesens (wie len und/oder gesundheitlichen Einschränkungen), z.B. Geburtskliniken, Hebammen, Gesundheits- um zielgruppenspezifische Bedarfe aufzugreifen.
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