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EDITION N r. 3 SZH/CSPS 2020 Titel-Grösse Prävention in variiert der Frühen je nach Bildung länge Text-Grösse «Weiteres Thema» immer gleich und darf auch zweizeilig werden Text-Grösse «Weiteres Thema» immer gleich
Inhalt Silvia Schnyder Editorial 3 Rundschau 4 SCHWERPUNKT Anke Moors Präventive Frühförderung – eine gute Basis fürs Aufwachsen Frühförderangebote für sozial benachteiligte Kinder 9 Claudia Meier Magistretti und Catherine Walter-Laager Frühe Förderung, Kohärenz und gesundheitliche Entwicklung Ergebnisse aus der Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten» 15 Klaus Fröhlich-Gildhoff Resilienzförderung in den Institutionen der Frühen Bildung 24 Frank Francesco Birk Der Waldkindergarten Ein Konzept zur Prävention von Entwicklungsstörungen 32 Daniel Jucker BEKOM: Bewegung, Kommunikation und Mobilität Ein psychomotorisch-logopädisches Präventionskonzept für Kinder zwischen drei und sechs Jahren 38 Chantal Junker-Tschopp, Sophie Fournier Del Priore, Lea Gutzwiller Pevida und Estelle Terradillos Mettraux Frühgeburt: wie weiter? Ein neues Dispositiv für die Schweiz zur Prävention mit Psychomotoriktherapie 44 Dokumentation zum Schwerpunkt 52 Impressum 23 Behinderung im Film / Bücher / Agenda / Weiterbildung 53 Inserate 60 Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
EDITORIAL 3 Silvia Schnyder Prävention in der frühen Kindheit führt über die Eltern «Chämet wiär tiä tanzu!» Singend und tan- raum ist. Eine verlässliche, zuneigungsrei- zend animiert die Pädagogin die im Kreis che Beziehung zu einer nahen Person wie- sitzenden kleinen Kinder, es ihr gleichzutun. derum ist entscheidend für die Entwicklung Was wie ein Ausschnitt aus einer gewöhn- eines Kindes. lichen Spielgruppe oder einem Kindergar- Mehrere Artikel in dieser Ausgabe be- ten anmuten mag, ist in Wirklichkeit ein Ein- fassen sich ebenfalls damit, wie nebst der blick in das Pilotprojekt der Heilpädagogin Förderung der Kinder insbesondere Eltern- Laetitia Heinzmann Bellwald aus Visp1. kompetenzen gestärkt werden können. Aus- Bereits zum dritten Mal werden etwa serdem erhalten wir einen Einblick in die Silvia Schnyder 20 dreieinhalb- bis vierjährige Kinder von Praxis der Prävention – so zum Beispiel den Wissenschaftliche Januar bis Mitte Juni einmal wöchentlich Waldkindergarten oder Projekte aus dem Mitarbeiterin auf den Schuleintritt vorbereitet. Das Ange- Bereich Psychomotoriktherapie. Hier kann SZH / CSPS bot richtet sich an Familien mit Kindern mit der Grundstein für viele wichtige Lebens- Haus der Kantone besonderem Förderbedarf, mit Migrations- kompetenzen wie Urvertrauen, Selbstwirk- Speichergasse 6 hintergrund und an Familien, die ihrem samkeitserwartung oder Selbstregulation 3011 Bern Kind den Einstieg in den Kindergarten er- gelegt werden. silvia.schnyder @ leichtern wollen. Durch vielfältige Aktivitä- Die Krux ist, dass gerade belastete Fa- szh.ch ten wie Spielen, Musizieren und Malen ler- milien weniger pädagogische und familien- nen die Kinder unsere Kultur und Sprache pädagogische Angebote nutzen. Politik und kennen. Die Vorfreude auf den Kindergar- Praxis sind somit gefordert, vor allem für ten wird geweckt. So werden Angst und diese Zielgruppe Zugänge zur Frühen För- Unsicherheit sowohl bei den Kindern als derung zu schaffen. Wir können die Eltern auch bei ihren Eltern abgebaut. Denn nicht dabei unterstützen, indem wir sie als zuge- nur die Kinder werden gefördert; gleichzei- hörig betrachten und ihnen auf Augenhöhe tig erweitern die Eltern ihre Kompetenzen: begegnen. Damit schliesst sich der Kreis Sie machen Bekanntschaft mit unserer Kul- zum Visper Projekt: Die positiven Erlebnisse tur und unserem Bildungssystem und sie er- wecken zum einen bei den Kindern die Vor- fahren, was nach dem Eintritt in den Kin- freude auf den Kindergarten, was zum an- dergarten auf sie und ihre Kinder zukommt. dern bei den Eltern das Vertrauen in Fach- Das Vorgehen, die ganze Familie anzuspre- personen und Institutionen stärken kann chen, folgt der Prämisse, dass für kleine Kin- und zur kulturellen Integration der ganzen der die Familie der primäre soziale Lebens- Familie beiträgt. 1 https://kanal9.ch/der-praventiv-begleitete-schul- eintritt-das-projekt-einer-engagierten-visperin [Zugriff am 30.01.2020]. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020 www.szh-csps.ch/z2020-03-00
4 RUNDSCHAU Rundschau lineumfrage zwischen Dezember 2017 und Februar 2018 teil. Mehr als 80 Prozent der INTERNATIONAL Befragten nutzen Abbildungen und Fotos, 74 Prozent PCs und 51 Prozent Tablets im DEU: Deutscher Bundestag Unterricht. Heilpädagogische Fachpersonen debattiert über Barrierefreiheit verwenden insbesondere spezifische Tech- Am 16. Januar 2020 hatte der Deutsche Bun- nologien wie zum Beispiel Vergrösserungen destag über das Thema Barrierefreiheit de- oder Rechengegenstände zum Tasten im battiert. Es lagen Anträge der Bundestags- Mathematikunterricht für Kinder mit einer fraktion der Partei DIE LINKE sowie ein An- Sehbeeinträchtigung. Um die Situation im trag der Bundestagsfraktion der Freien De- ersten Zyklus jedoch adäquat beschreiben zu mokraten (FDP) vor. Die FDP beantragte, können, bedarf es weiterer Forschung. über den Staat als Vorbild für umfassende Wicki, M. T. & Burkhardt, S. C. A. (2020). Barrierefreiheit zu debattieren. Von der Lin- Unterstützende Technologien in integrativen ken lagen insgesamt zehn Anträge vor, wel- Kindergärten und Primarklassen. Ein Einblick che die Komplexe Bildung, Wohnen, Ge- in dreizehn Kantone. VHN, 1, 36 – 49. sundheit, Pflege, Mobilität, Kultur, Sport und Tourismus sowie politische Teilhabe auf der Begriffe in den Sozialversicherungs Grundlage europäischer Rechtsakte umfas- gesetzen modernisieren sen. Die entsprechenden Beiträge können in Im Rahmen der Differenzbereinigung zur der Mediathek des Deutschen Bundestages Weiterentwicklung der Invalidenversiche- angesehen oder im Plenarprotokoll nachge- rung hat sich die Kommission für soziale Si- lesen werden. cherheit und Gesundheit (SGK-S) mit der ein- www.bundestag.de ➝ Mediathek zigen verbliebenen Differenz beschäftigt, nämlich mit dem vom Nationalrat bestritte- nen Begriff «Kinderrente». Während der Na- NATIONAL tionalrat diesen Begriff durch «Zusatzrente für Eltern» ersetzen will, beantragt die Kom- Unterstützende Technologien mission einstimmig, am geltenden Recht in integrativen Kindergärten und festzuhalten. Sie sieht stattdessen generell Primarklassen Handlungsbedarf bezüglich der Begrifflich- Aktuelle Entwicklungen und Fortschritte in keit in der Sozialversicherungsgesetzge- den Informations- und Kommunikations- bung, die teilweise einen abwertenden Cha- technologien verändern auch die Heil- und rakter habe oder heute nicht mehr aktuell Sonderpädagogik. Regellehrpersonen und sei. Deshalb will sie den Bundesrat mit einem heilpädagogische Fachpersonen sind zuneh- Kommissionspostulat beauftragen, zu prü- mend gefordert, Kinder und Jugendliche fen, wie die betroffenen Gesetze grundsätz- beim Einsatz unterstützender Technologien lich sprachlich modernisiert werden können. (UT) zu begleiten und zu fördern. Die Studie Weitere Informationen: www.parlament.ch bietet erstmals einen Einblick zum Einsatz ➝ Medienmitteilung vom 17.01.2020 von UT in der Volksschule. 110 Fach- und Lehrpersonen aus dem ersten Zyklus aus 13 Schweizer Kantonen nahmen an einer On- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
RUNDSCHAU 5 KANTONAL / REGIONAL rungsrates die Aufgaben des schulischen Therapiepersonals nur unzureichend ab. Aus FR: Inkrafttreten des Reglements diesem Grund ist nun ein eigener Arbeitsauf- über die Sonderpädagogik trag formuliert und sind die Fachpersonen Nachdem der Staatsrat das Reglement über neu in die Personalverordnung überführt die Sonderpädagogik am 16. Dezember 2019 worden, die für alle Verwaltungsmitarbei- genehmigt hat, ist dieses am 1. Januar dieses tenden mit Ausnahme der Lehrpersonen gilt. Jahres in Kraft getreten. Das neue Regle- Weitere Informationen: www.nw.ch ment konkretisiert und präzisiert das sonder- ➝ Aktuelles vom 23.01.2020 pädagogische Angebot, die Aufgaben der zuständigen Instanzen, das Abklärungsver- Aarau: Charta «Arbeit für fahren, die Zusammenarbeit mit den Leis- Menschen mit Behinderung» tungsanbietern und den sonderpädagogi- Der Stadtrat Aarau hat an seiner Sitzung schen Einrichtungen, die Finanzierung sowie vom 20. Januar 2020 beschlossen, die Char- die Rechtsmittel. Die Grundsätze sind bereits ta «Arbeit für Menschen mit Behinderung» im gleichnamigen Gesetz verankert, das seit zu unterschreiben. Mit der Unterzeichnung dem 1. August 2018 in Kraft ist. Das Angebot bekennt sich die Stadt Aarau als Arbeitgebe- gilt nicht nur für Schülerinnen und Schüler rin zur Chancengleichheit und Nicht-Diskri- der obligatorischen Schule, sondern auch für minierung von Menschen mit Behinderung Kinder von Geburt an sowie für junge Er- in der Berufswelt. Bewerbende mit einer Be- wachsene bis zum 20. Altersjahr. Der Erlass hinderung haben bei der Stadt Aarau bereits dieses Reglements bildet die letzte Etappe in heute die gleiche Chance auf eine Anstel- der Umsetzung der 2008 in Kraft getretenen lung wie Bewerbende ohne Behinderung. Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Qualifikation und Fähigkeit stehen bei Aufgabenteilung zwischen Bund und Kanto- einer Anstellung jeweils im Fokus. Die Stadt nen im Bereich der Sonderpädagogik im Aarau unterstreicht mit der Unterzeichnung Kanton Freiburg. ihre Haltung und setzt ein Zeichen nach in- Weitere Informationen: www.fr.ch nen und aussen. ➝ Bildung und Schule ➝ Vorschule Quelle: www.nau.ch NW: Wechsel bei der Anstellung des schulischen Therapiepersonals VARIA Die Fachpersonen der logopädischen und psychomotorischen Schuldienste sind zu- CléA Assistenzplattform mit ständig für die Therapie von Kindern mit ein- Preis ausgezeichnet schlägigen Defiziten. Sie fördern die jungen Die CléA Assistenzplattform hat die Aus- Schülerinnen und Schüler in den Bereichen zeichnung «Solve for Tomorrow 2020» er- Sprachentwicklung sowie Emotionalität, halten. Die Plattform konnte sich gegen 25 Konzentration, Bewegung und Wahrneh- andere, ebenso innovative Projekte durch- mung. Die Fachpersonen sind heute wie setzen. Der Preis wurde zum ersten Mal von Lehrpersonen im Rahmen der Lehrpersonal- Samsung Schweiz lanciert. Die Plattform un- verordnung angestellt. Der darin formulierte terstützt Menschen mit Behinderungen bei Berufsauftrag deckt aus Sicht des Regie- der Suche nach Begleit- und Assistenzperso- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
6 RUNDSCHAU nen. Mit dem digitalen Helfer werden sie be- und zukunftsweisende Technologien im Be- fähigt, die Arbeitgeberrolle für die reich des barrierefreien Musizierens. So sah Assistenz zu übernehmen. Damit werden man beispielsweise ein angepasstes Cello, Selbstbestimmung, Inklusion und Gleich- welches von einer Musikerin mit Körperbe- stellung gefördert. einträchtigung mit den Füssen gespielt wer- Weitere Informationen: solvefortomorrow.ch den kann. Im Anschluss wurde in einer Podi- und www.vereinigung-cerebral.ch/clea umsdiskussion die Unterrepräsentation von Studentinnen und Studenten mit Behinde- Neuer Verbandsname für rungen an den Musikhochschulen themati- Gehörlosensport siert. Alexander Wyssmann, Jazzpianist mit Seit 1930 existiert der Schweizerische Gehör- Sehbehinderung, Franziska Schroeder, Do- losen Sportverband SGSV–FSSS unter die- zentin am Sonic Arts Institut der Queen’s sem Namen. Seither hat sich jedoch das ge- University Belfast, Yvonne Schmidt, Projekt- sellschaftliche Umfeld geändert. Um Men- leiterin von DisAbility on Stage, Herbert schen mit den verschiedensten Hörbehinde- Bichsel, Gleichstellungsbeauftragter von rungen anzusprechen, wurde der Verband agile.ch sowie Christoph Brunner, Beauf- umbenannt und heisst jetzt: Swiss Deaf tragter Chancengleichheit und Inklusion der Sport SDS. Per 1. Januar 2020 ist die Na- Hochschule der Künste Bern konstatierten, mensänderung offiziell vollzogen worden. dass es teilweise eine höhere Sensibilisie- Weitere Informationen: www.sgb-fss.ch rung und strukturelle Veränderungen an den ➝ News vom 14.01.2020 Hochschulen brauche. Auch sei die Nach- wuchsförderung wichtig. Personen mit einer Neuer Webauftritt des BVF Behinderung kämen gar nicht erst auf die Der neue Webauftritt des Berufsverbandes Idee, einen solchen Weg einzuschlagen. Heilpädagogische Früherziehung der deut- Weitere Informationen: www.tabulamusica.ch schen, rätoromanischen und italienischen Schweiz (BVF) bietet aktuelle und professi- Barrierearme Instrumente onsbasierte Informationen zur Heilpädago- Im Jahr 2019 veranstaltete EUCREA das Pro- gischen Früherziehung und zum Berufsver- jekt SOUNDFORM und informierte erstmals band für Fachpersonen, Politik und Eltern. im deutschsprachigen Raum über das Thema Damit werden das Angebotsportfolio des «Barrierearme Instrumente». Um diese Inst- Berufsfeldes und das berufspolitische Enga- rumente im Kontext von Inklusion weiter gement des Verbandes zeitgemäss sichtbar. bekannt zu machen, hat EUCREA auf seiner Weitere Informationen: www.frueherziehung.ch Website nun eine Liste von ganz unterschied lichen Entwicklungen zum Thema angelegt: Barrierefrei musizieren Zu entdecken sind modifizierte analoge Ins- Im Rahmen von «Zukunftsmusik 2019», der trumente bis hin zu Open-Source-Software Veranstaltungsreihe für barrierefreie Musik, und Apps. fand vergangenen November an der PH Bern Weitere Informationen: www.eucrea.de/ das Symposium «Barrierefrei Musizieren» soundform-barrierearme-instrumente statt. Expertinnen und Experten mit und oh- ne Behinderungen präsentierten erprobte Methoden, aktuelle Forschungsergebnisse Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
THEMENSCHWERPUNKTE 2020 7 Themenschwerpunkte 2020 Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik Heft Schwerpunkt Ankündigung Einsendeschluss 1 / 2020 Inklusion im Erwachsenenbereich 10.08.2019 10.10.2019 2 / 2020 Einstellungen und Haltungen zur Inklusion 10.09.2019 10.10.2019 3 / 2020 Prävention in der Frühen Bildung 10.09.2019 10.11.2019 4 / 2020 Behinderung in den Medien 10.10.2019 10.12.2019 5 – 6 / 2020 Mehrfachbehinderung 10.11.2019 10.01.2020 7 – 8 / 2020 Nachteilsausgleich 10.01.2020 10.03.2020 9 / 2020 Lebensende 10.03.2020 10.05.2020 10 / 2020 Universal Design 10.04.2020 10.06.2020 11 – 12 / 2020 Humor 10.05.2020 10.07.2020 Autorinnen und Autoren werden gebeten, so früh wie möglich einen Artikel per Mail anzukündigen. Die Redaktion entscheidet erst nach der Sichtung eines Beitrages über dessen Veröffentlichung. Bitte beachten Sie vor dem Einreichen Ihres Artikels unsere Redaktionsrichtlinien unter www.szh.ch/zeitschrift. Freie Artikel Nebst Beiträgen zum Schwerpunkt publizieren wir regelmässig auch freie Artikel. Die Redaktion nimmt gerne laufend Ihre Artikel zu einem heilpädagogischen Thema nach Wahl entgegen: redaktion@szh.ch Thèmes des dossiers 2020 Revue suisse de pédagogie specialisée Numéro Dossier 1 (mars, avril, mai 2020) Participation citoyenne 2 (juin, juillet, août 2020) Compensation des désavantages 3 (septembre, octobre, novembre 2020) Difficultés et troubles du comportement à l’école 4 (décembre 2020, janvier, février 2021) Alimentation et handicap Une description des thèmes 2020 est disponible sur le site Internet du CSPS : www.csps.ch/revue ➝ Thèmes 2020 Informations auteurs : merci de prendre contact avec la rédaction avant l’envoi d’une contribution sur l’un de ces thèmes ou sur un sujet de votre choix : redaction@csps.ch Lignes directrices rédactionnelles : www.csps.ch/revue Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
8 BLICK IN DIE REVUE SUISSE DE PÉDAGOGIE SPÉCIALISÉE Blick in die Revue suisse de pédagogie spécialisée Barbara Fontana-Lana et Geneviève Petitpierre (2020). La Suisse, comme beaucoup d’autres pays, est incitée à Peut-on exercer le droit de vote quand on est porteur (re-)questionner les dispositions d’accès au droit de vote d’une déficience intellectuelle ? et aux mesures soutenant son exercice pour ses citoyens Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 7–15. avec une déficience intellectuelle. Cet article présente d’une part les arguments en faveur du retrait de ce droit pour cette population, d’autre part ceux soutenant une ré- évaluation des critères d’accès, et pour finir les principaux obstacles à son exercice. Se pencher sur cette probléma- tique est urgent, en raison du décalage entre notre Consti- tution fédérale (et la plupart des Constitutions cantonales) avec le droit international. Mireille Tremblay, Barbara Fontana-Lana, Isabelle Hu- Les personnes ayant une déficience intellectuelle sont en- don, Marcel Blais et Benoit Racette (2020). Stratégies core largement exclues de la sphère politique, mais elles d’émancipation pour la participation politique et le déve- ont le droit de participer à la vie politique, de s’associer li- loppement des compétences citoyennes des personnes brement, de prendre la parole publiquement, d’influencer ayant une déficience intellectuelle. les politiciens, de participer aux élections et de prendre Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 23–31. part, directement ou indirectement, aux décisions concer- nant les affaires publiques. Elles pourront le faire si elles accèdent à la sphère publique, à la délibération démocra- tique et à la condition qu’elles puissent jouir des opportu- nités nécessaires au développement de leurs compétences citoyennes. Anne-Sophie Kupper (2020). L’accompagnement institu- Actuellement, il n’existe pas de pratique officielle concer- tionnel des personnes ayant une déficience intellectuelle nant l’accompagnement des personnes avec une défi dans l’exercice du droit de vote. cience intellectuelle vivant en institution dans l’exercice de Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 32–38. leurs droits civiques. Sans intervention de la famille, ces personnes dépendent alors en grande partie de l’engage- ment des travailleurs sociaux et des rares projets collectifs mis en place. Dans cet article, nous allons voir quels sont les obstacles et conditions facilitatrices à l’exercice du droit de vote des personnes ayant une déficience intellectuelle. Puis nous passerons en revue quelques pistes pour un meil- leur soutien à cette démarche. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 9 Anke Moors Präventive Frühförderung – eine gute Basis fürs Aufwachsen Frühförderangebote für sozial benachteiligte Kinder Zusammenfassung Kinder sind von Grund auf neugierig und lernbegeistert. In der frühen Kindheit wird die Basis für erfolgreiches, lebenslanges Lernen gelegt. Belastende Lebensumstände können die Eltern daran hindern, ihre Kinder auf diesem Weg angemessen zu begleiten. Die präventiven Frühförderangebote «schritt:weise» und «ping:pong» des Vereins «a:primo» unterstützen sozial benachteiligte Familien bei dieser Aufgabe. Durch das gemeinsame Spielen zu Hause und in der Gruppe werden die Elternkompetenzen und die Eltern-Kind-Interaktion gestärkt. Die Angebote tragen nicht nur zur direkten Förderung der Familien, sondern auch zur Vernetzung der lokalen Akteure bei. Résumé Les enfants sont naturellement curieux et avides d’apprendre. C’est dans la petite enfance que sont posés les fonde- ments d’un apprentissage réussi tout au long de la vie. En raison de circonstances de vie difficiles, certains parents ne sont pas en mesure d’accompagner leur enfant sur ce chemin de manière appropriée. Les offres de soutien précoce préventives « schritt:weise » et « ping:pong » de l’association « a:primo » soutiennent dans cette tâche des familles défavorisées. Au moyen de jeux en commun à la maison et dans le groupe, les compétences parentales et l’interac- tion parents-enfant sont renforcées. Ces offres ne contribuent pas seulement au soutien direct des familles, mais aus- si à la mise en réseau des acteurs locaux. Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-03-01 Durch das Spiel lernen Kinder die Welt ent- In der Schweiz geht man davon aus, dass decken: die Schwerkraft eines Löffels, die rund zehn Prozent aller Eltern aufgrund ihrer Bewegung eines Balls, den umgebenden Lebensumstände Schwierigkeiten mit der Raum, die Sprache. Das Ausprobieren mit al- angemessenen Förderung ihres Kindes ha- len Sinnen auf kognitiver, sozio-emotiona- ben. Sozio-ökonomisch benachteiligende Le- ler, motorischer und sprachlicher Ebene und benssituationen wie Armut, psychische Er- das beharrliche Üben prägen den Alltag von krankung, soziale Isolation oder Migration Kindern in den ersten Lebensjahren. Kreati- stellen eine Herausforderung dar. So kommt vität, Kooperationsfähigkeit und Selbstkon- es, dass immer wieder Kinder mit erhebli- trolle sind ebenfalls bedeutsam. Die Erfah- chen Entwicklungsrückständen in den Kin- rungen in der frühen Kindheit legen die dergarten eintreten. Diesen Kindern fehlen Grundlage für ein erfolgreiches, lebenslan- wesentliche Erfahrungen, auf die der Kinder- ges Lernen. garten selbstverständlich aufbaut (Lanfran- Damit dieses spielerische Lernen mög- chi, 2014; Laucht, Esser & Schmidt, 2000). lich wird, brauchen Kinder vertraute, ver- Hier setzen die präventiven Frühförder- lässliche, verfügbare und aufmerksame Er- angebote von a:primo an. Der Verein a:primo wachsene, die für sie im Alltag ein anre- setzt sich für die Frühe Förderung von sozial gungsreiches Lernumfeld gestalten. benachteiligten Kindern in der Schweiz ein. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
10 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG Der Fokus der Angebote liegt auf der Stärkung Ein Blick in die Umsetzung von der elterlichen Erziehungskompetenzen und «schritt:weise» der Eltern-Kind-Interaktion. Zudem werden Eine grosse Herausforderung liegt in der die Kinder in allen Entwicklungsbereichen frühzeitigen Erreichung der Familien, die gefördert. Bekannt wurde a:primo durch das vielfach sehr zurückgezogen leben und die Hausbesuchsprogramm schritt:weise bzw. bestehenden Angebote wenig nutzen. Durch petits:pas, welches seit dem Jahr 2007 in der den niederschwelligen Zugang des Hausbe- Schweiz angeboten wird. 2017 ist das Früh suchsprogramms schritt:weise (petits:pas) förderprogramm ping:pong hinzugekommen. wird den Familien die Teilnahme erleichtert. Dieses Angebot unterstützt die Familien Das Hausbesuchsprogramm wird seit über beim Übergang in den Kindergarten durch zehn Jahren an zahlreichen Standorten in der moderierte Elterntreffen. Den Angeboten ist deutsch- und französischsprachigen Schweiz gemeinsam, dass die Förderung übers Spie- umgesetzt. Das Angebot richtet sich an Fa- len erfolgt. milien mit Kindern im Alter zwischen zwölf Interessierte Gemeinden und Schulen Monaten und vier Jahren, die in belasteten können die Angebote mit eigenem Personal Situationen leben. Während 18 Monaten umsetzen und in den lokalen Strukturen ver- werden die Familien zunächst wöchentlich ankern. So wird mit der Zeit in den Gemein- von einer Hausbesucherin für 30 Minuten den und Organisationen vertieftes Wissen begleitet. Später ändert der Rhythmus auf im Umgang mit der Zielgruppe aufgebaut. vierzehntägliche Besuche von 45 Minuten. Was bewegt die Familien zur Teilnahme? Eine Frage, die sowohl Fachpersonen als Die Familien melden sich in der Regel nicht auch Gemeinden beschäftigt, ist die nach selbst für die Programmteilnahme. Meist der Erreichbarkeit der Familien. Wie wer- wird die Familie von einer Fachperson wie den die Familien für die Programmteilnah- beispielsweise der Mütter-Väter-Beraterin me ins Boot geholt? Die Familiengewin- auf das Angebot aufmerksam gemacht. nung gehört zu den zentralen Aufgaben Die Eltern erklären sich bereit, dass die Ko- der Koordinatorin. Dies bleibt selbst in Ge- ordinatorin unverbindlich Kontakt auf- meinden mit langjähriger Erfahrung mit nehmen darf. Es liegt anschliessend an der schritt:weise anspruchsvoll. Die breite Koordinatorin zu prüfen, ob schritt:weise Vernetzung der Koordinatorin mit lokalen das geeignete Angebot für die Familie ist Akteuren wie Mütter-Väter-Beratung, und wenn ja, die Familie für die Teilnahme Hebammen, Kinderärztinnen und -ärzten, zu gewinnen. Wenn sowohl die Koordina- Fachstellen Frühförderung ist wichtig. torinnen als auch die Hausbesucherinnen Hausbesucherinnen, die ihrerseits gut ver- lokal gut verankert sind, dann steigt in netzt sind, unterstützen die Koordinatorin den Institutionen und Gemeinden, die zusätzlich bei der Familiengewinnung. An schritt:weise umsetzen, das Wissen über langjährigen Standorten empfehlen die die Zielgruppe. Dies wirkt sich günstig auf Familien anderen Familien die Teilnahme. die Familiensuche aus. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 11 © SAVA HLAVACEK ( STIMME Q ) Zudem nehmen die Familien an vierzehntäg- den Kindern aufzubauen – ein Schlüssel lichen Gruppentreffen teil. Hier lernen sie element für die erfolgreiche Umsetzung von andere Familien kennen, erfahren mehr zu schritt:weise. Das Vertrauen zur Hausbesu- den Angeboten in der Region und erhalten cherin ermöglicht den Eltern, sich auf das ge- Wissen zu diversen relevanten Themen. Die meinsame Spielen mit ihrem Kind einzulassen Vermittlung der Inhalte geschieht über das oder sich für herausfordernde Themen, wie gemeinsame Spiel und über das Modelller- beispielsweise eine heilpädagogische Abklä- nen. Durch das gemeinsame Spiel wird zum rung, zu öffnen. Die Kinder verlieren ihre an- einen das Kind in allen Entwicklungsberei- fängliche Scheu, wenn sie merken, dass die chen altersentsprechend gefördert. Zum an- Hausbesucherin kommt, um mit ihnen zu deren werden die Eltern in ihren Erziehungs- spielen. Die halbe Stunde gehört dem ge- kompetenzen gestärkt und die Eltern-Kind- meinsamen Spiel. Häufig sind es die Mütter, Beziehung intensiviert (verbessert). die am Programm teilnehmen. Im besten Fall macht die Mutter gleich mit. Sie können sich Begegnung auf Augenhöhe dank unterschiedlich schnell auf das gemeinsame Peer-to-Peer-Ansatz Spiel mit ihrem Kind einlassen. Die Hausbesu- Die Hausbesucherin, welche die Familie über cherin fungiert für die Mütter als Modell für die 18 Monate begleitet, hat häufig einen den Umgang mit ihrem Kind. Sie beobachten ähnlichen Erfahrungshintergrund wie die Pro- die Reaktion ihres Kindes auf die Hausbesu- grammfamilie. Dadurch gelingt es ihr leichter, cherin und lassen sich zunehmend stärker in ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern und das gemeinsame Spiel oder das Erzählen von Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
12 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG Geschichten involvieren. Die Erläuterungen leistet so einen eigenen Beitrag zur nachhal- der Hausbesucherin zur jeweiligen Aktivität tigen Umsetzung von schritt:weise in der und ihr Nutzen für die kindliche Entwicklung Familie. Die Spielkiste in der Reichweite der tragen zum besseren Verständnis seitens der Kinder in der Wohnung aufzubewahren, ist in Eltern bei. Die Eltern erweitern so ihr Erzie- vielen Familien zu Beginn keine Selbstver- hungswissen und ihre Kompetenzen. Sie ständlichkeit. Im Verlauf der 18 Monate ge- schätzen die Erläuterungen zu den Aktivitä- lingt es, die Eltern von der Wichtigkeit zu ten, die sie nicht aus ihrer Kindheit kennen. Zu überzeugen. wissen, warum etwas für ihr Kind gut ist, gibt Neben den Spielmaterialien bekommt ihnen Sicherheit und motiviert fürs gemeinsa- jede Familie zwei Ordner, die sich nach und me Spiel mit dem Kind. nach mit einfach gestalteten Anleitungen, Die Hausbesucherin bringt bei ihrem passend zu den Spielmaterialien füllen. Die ersten Besuch eine leere Kiste mit. Diese Kis- Mütter werden durch den Austausch mit der te wird im Verlauf der 18 Monate mit alters- Hausbesucherin motiviert, die Umgebungs- gerechtem Spielmaterial und zahlreichen Bü- sprache zu lernen. Die Anleitungen wecken chern gefüllt. Die Kiste bleibt jeweils bei der ebenfalls den Wunsch nach mehr Sprach- Familie. Die Verfügbarkeit der Kiste mit den kompetenz. So fungiert die Hausbesucherin Spielen und Büchern ist wichtig für das Kind. nicht nur im Umgang mit dem Kind als Mo- Während des Hausbesuchs erlebt es, gemein- dell, sondern unterstützt auch die Integra- sam ein Buch anzuschauen, Geschichten zu tion. Die Mütter gewinnen im Verlauf der 18 erzählen oder zu spielen. Ausserhalb der Monate an Selbstbewusstsein und sind moti- Hausbesuche kann das Kind mit den Büchern viert für die eigene Integration (Dreifuss & und Spielsachen auf die Eltern zugehen. Es Lannen, 2018). Was leistet schritt:weise zur Sprachentwicklung des Kindes? In der Regel baut sich in den ersten drei Le- tern und Dingen auf, entwickelt ein Ver- bensjahren das Spracherwerbsgerüst auf. ständnis für Zusammenhänge und, dass Die Eltern unterstützen diesen Prozess mit mit Sprache Dinge in Bewegung gebracht ihrem intuitiven Verhalten über Mimik, werden können. Was brauchen die Mütter, Gestik, Stimme und Sprache. Zu Beginn um ihrem Kind eine sichere Basis für Kom- von schritt:weise verhalten sich manche El- munikation und Spracherwerb zu geben? tern oft wenig intuitiv. Sie zeigen vielfach schritt:weise arbeitet mit den Eltern an der ein kaum abgestimmtes Verhalten auf die Basis der Kommunikation. Die Mütter wer- Kommunikationsangebote ihres Kindes. den eingeladen, sich in ihr Kind hineinzu- So geben sie beispielsweise den Geräu- fühlen. Die Aktivitäten im Programm bie- schen, die das Kind macht, keine Bedeu- ten den Müttern viele Gelegenheiten, dies tung (das Miau wird nicht mit der Katze in zu üben und so an Sicherheit im Umgang Bezug gebracht, die Katze wird nicht als mit dem Kind zu gewinnen. Der Austausch solche benannt). Durch das Benennen baut zwischen Mutter und Kind wird vielfälti- das Kind eine Verbindung zwischen Wör- ger, kindgerechter und intensiver. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 13 Fachliche Begleitung © TOM HAILER ( ROGER FEDERER FOUNDATION ) Da die Hausbesucherin in der Regel über kei- ne pädagogische Ausbildung verfügt, wird sie von einer Koordinatorin, eine Fachperson aus der Sozialen Arbeit, Heilpädagogik oder mit ähnlichem beruflichem Hintergrund, in wöchentlichen Treffen angeleitet. Die Koor- dinatorin, eine in der Gemeinde gut vernetz- te Fachperson, bereitet die Hausbesucherin mit einer Einführungsschulung auf ihre Ar- beit in schritt:weise vor und instruiert sie während des Programms zu wichtigen The- men wie beispielsweise kindliche Entwick- lung, Beobachten, Spielen oder schweizeri- sches Bildungssystem. Auf der Basis einer ressourcenorientier- ten Grundhaltung wird jeder Hausbesuch vorbereitet und anschliessend reflektiert. Durch die Programmteilnahme können die Familien ihre Erfahrungen erweitern. Ihre vorhandenen Stärken und Kompetenzen fällt den Müttern das Loslassen ihrer Kinder werden gewürdigt und wertgeschätzt. In- schwer. Im geschützten Rahmen der Grup- dem die Eltern besser verstehen, wie Kinder pentreffen können sie sich dieser Heraus- in der Schweiz üblicherweise aufwachsen, forderung stellen und auch neue lustvolle erhalten sie die Möglichkeit, ihre Erfahrun- Tätigkeiten wie das Basteln entdecken. Der gen auf die Erwartungen, die beispielsweise Austausch mit den anderen Müttern gibt vom Kindergarten an sie herangetragen die Möglichkeit, voneinander zu lernen und werden, abzustimmen. Freundschaften zu schliessen, die über die Programmdauer hinaus Bestand haben. In Aus der Isolation zur sozialen ländlichen Regionen werden Kleingruppen- Integration treffen durchgeführt, um lange Anfahrts- Die vierzehntäglich stattfindenden Grup- wege zu vermeiden. Dies bietet zudem die pentreffen werden von der Koordinatorin Möglichkeit, die Termine auf die Bedürfnis- geleitet. Die Treffen dienen der sozialen se der Gruppe abzustimmen. Ferner erlaubt Vernetzung der Familien und auch der Ver- die kleine Gruppe Besuche bei der Erzie- mittlung von Wissen zu Erziehung, Ernäh- hungsberatung, der Bibliothek oder weite- rung, Gesundheit, Bildung etc. Während rer Orte, die sich für einen Besuch in einer der Sequenzen der Wissensvermittlung grossen Gruppe wenig eignen. spielen die Kinder getrennt von ihren Müt- Gegen Ende der 18 Monate werden tern. Dies bietet Lerngelegenheiten sowohl mit der Familie die Möglichkeiten für An- für die Mütter als auch für die Kinder. Das schlussangebote besprochen und in die Loslösen von der Mutter und das Spielen in Wege geleitet, damit jedes Kind nach Ab- einer Kindergruppe sind zwei Beispiele. Oft schluss des Programms ein weiterführen- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
14 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG Wirksamkeit und Gewährleistung der Qualität Die Wirksamkeit des Programms wurde in in Anlehnung an die Evaluation und in Zu- zwei Evaluationen des Marie Meierhofer sammenarbeit mit den bestehenden Instituts nachgewiesen. Auf der Grundla- Standorten angepasst – so bleibt das Pro- ge der Evaluationen führt a:primo die gramm lebendig und entwickelt sich ent- Qualitätssicherung an allen Standorten lang der sich wandelnden Rahmenbedin- durch. Die Daten aus der Umsetzung lie- gungen und Bedürfnissen der Familien fern zudem wichtige Hinweise auf Weiter- weiter (Diez Grieser & Simoni, 2012; Drei- entwicklungsbedarf. Das Programm wird fuss & Lannen, 2018). des Angebot wie eine Spielgruppe, einen Literatur Mutter-Kind-Treff, eine Kita oder den Kin- Diez Grieser, M. T. & Simoni, H. (2012). Daten und dergarten besucht. Dadurch wird die nach- Fakten zur Basisevaluation des Programms haltige Förderung des Kindes gewährleis- schritt:weise in der Deutschschweiz. Längs- tet. Die Mütter suchen meist auch für sich schnittuntersuchung 2008 bis 2011. Zürich: nach einer Anschlussmöglichkeit. Viele Marie Meierhofer Institut für das Kind. melden sich für Sprachkurse an oder besu- Dreifuss, C. & Lannen, P. (2018). Bericht zur chen mit ihren Kindern ein Angebot für Fa- Evaluation der alternativen Umsetzungs- milien. In der Regel sind die Familien nach modelle des Programms schritt:weise. Zü- den 18 Monaten deutlich besser vernetzt rich: Marie Meierhofer Institut für das Kind. und berichten von einem geringeren Belas- Lanfranchi, A. (2014). Frühkindliche selektive tungsempfinden (Diez Grieser & Simoni, Prävention bei Kindern aus Familien in Risi- 2012). In Bezug auf die kindliche Entwick- kosituationen – Stigmatisierungsgefahren lung konnte auch ein Jahr nach Programm- und Entwicklungschancen. Familiendyna- schluss noch eine positive Wirkung nachge- mik, 39 (3), 188 – 199. wiesen werden. Laucht, M., Esser, G. & Schmidt, M. H. (2000). Längsschnittforschung zur Entwicklungs- epidemiologie psychischer Störungen: Zielsetzung, Konzeption und zentrale Be- funde der Mannheimer Risikostudie. Zeit- schrift für klinische Psychologie und Psy- chotherapie, 29 (4), 246 – 262. Anke Moors lic. phil. Erziehungswissenschaften Co-Geschäftsführerin Verein a:primo Ackeretstrasse 6 8400 Winterthur anke.moors@a-primo.ch Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 15 Claudia Meier Magistretti und Catherine Walter-Laager Frühe Förderung, Kohärenz und gesundheitliche Entwicklung Ergebnisse aus der Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten» Zusammenfassung Frühe Förderung versteht sich als umfassende frühkindliche Förderung, welche die gesundheitliche, soziale und kog- nitive kindliche Entwicklung über die Erschliessung von Ressourcen für Familien ermöglicht. Die Erfahrung von Kohä- renz – als ein überdauerndes Grundvertrauen in das Leben und in die eigenen Fähigkeiten, das Leben zu bewältigen – ist nicht nur subjektiv relevant. Es besteht ein enger Zusammenhang mit der Erziehungskompetenz der Eltern, mit der Bindungsqualität in der Familie und mit der lebenslangen gesundheitlichen Entwicklung der Kinder. Die Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten» zeigt nun erstmals für die Schweiz Zusammenhänge zwischen Früher Förderung und Kohärenzerleben bei belasteten Familien im Längsschnittvergleich. Résumé Le soutien précoce se définit comme un soutien global dans la petite enfance, qui permet le bon développement sa- nitaire, social et cognitif de l’enfant, en aidant les familles à exploiter certaines ressources. L’expérience de la cohé- rence – en tant que confiance fondamentale durable en la vie et en nos propres capacités à la mener – ne fait pas seulement sens sur un plan subjectif. Elle est étroitement liée à la compétence éducative des parents, à la qualité du lien dans la famille, et au développement sain de l’enfant pour le reste de sa vie. L’étude comparative longitudinale « Offres de soutien précoce dans les villes de Suisse » montre pour la première fois en Suisse, les liens entre soutien précoce et expérience de la cohérence dans les familles touchées. Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-03-02 «Frühe Förderung» bezeichnet eine umfas- turen, welche die soziale Integration sowie sende, systematische und integrative sozi- die gesunde und ganzheitliche Entwicklung al-, gesundheits- und bildungspolitische von Kindern im Zeitraum von der Schwan- Entwicklung, die Schaffung, Koordination gerschaft der Mutter bis zum Kindergarten- und Vernetzung von Strukturen und Organi- eintritt des Kindes unterstützen, indem sie sationen des Sozial-, Gesundheits- und Bil- Erfahrungslernen in einer adäquaten sozia- dungswesens und eine Ausrichtung auf len, materiellen und ökologischen Lebens- Chancengerechtigkeit. Frühe Förderung be- umgebung ermöglichen. Der primäre sozia- inhaltet neben den Förderbereichen der ko- le Lebensraum ist für Kinder in den ersten gnitiven auch diejenigen der sozialen und Lebensjahren die Familie, die primären Be- gesundheitlichen Entwicklung im frühen zugspersonen sind die Eltern, welche den Kindesalter und orientiert sich daran, Res- grössten Einfluss auf die frühkindliche Ent- sourcen bereitzustellen und – insbesondere wicklung haben (Perry & Fantuzzo, 2010). belasteten – Familien Zugänge zu solchen Deshalb unterstützen Angebote der Frühen zu erleichtern. Frühe Förderung umfasst da- Förderung die Eltern darin, ihren Kindern her Dienstleistungen, Angebote und Struk- gute familiäre Entwicklungsbedingungen Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
16 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG zu ermöglichen. Frühe Förderung umfasst Aufgaben und Anforderungen des Le- folglich alle Massnahmen, welche Ressour- bens in Angriff zu nehmen und Engage- cen der Kinder und ihrer Familien stärken. ment in sie zu investieren. Kohärenzsinn und Kohärenzerleben Gemessen wird der Kohärenzsinn mit der Die Erforschung der Faktoren, welche die Skala für Lebensqualität (SOC-Scale), wel- Entstehung und Aufrechterhaltung von Ge- che in zahlreichen Sprachen zur Verfügung sundheit prägen, ist ein Schwerpunkt der steht und in den letzten 40 Jahren weltweit Salutogenese. Als ein zentraler Prädiktor für in der Erforschung zahlreicher Themenfel- Gesundheit hat sich der Kohärenzsinn (Sen- der genutzt wurde (Lindström & Eriksson, se of coherence, SOC) erwiesen. Diese mess- 2019). Im Bereich der frühen Kindheit wur- bare Orientierung befähigt die Individuen, de sowohl der Kohärenzsinn der Eltern als vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Ge- auch der Familien-Kohärenzsinn breit un- sundheit und ihres Wohlbefindens wahrzu- tersucht. Es zeigte sich, dass sich ein starker nehmen, sie zu aktivieren und sich gegen Kohärenzsinn der Mütter nicht nur auf die gesundheitliche Stressoren zu schützen mütterliche Gesundheit auswirkt, sondern (Lindström & Eriksson, 2019). Der Kohärenz- auch auf die kindliche – und dass er mit et- sinn ist definiert als ein überdauerndes lichen Parametern des elterlichen Erzie- Grundvertrauen in das Leben und in die ei- hungsverhaltens zusammenhängt. genen Fähigkeiten, das Leben zu bewälti- Mütter (Studien zu Vätern sind aktuell gen. Er umfasst drei interdependente und nur vereinzelt vorhanden) mit einem star- sich überschneidende Dimensionen (Anto ken Kohärenzsinn verfügen über eine bes- novsky, 1987): sere psychische Gesundheit, haben ein ge- 1. Die Verstehbarkeit: Damit ist das Ver- ringeres Risiko für Depressionen, Angststö- trauen gemeint, dass Ereignisse und rungen und weitere psychische Probleme Aufgaben des Lebens (und der Erziehung sowie für eine Reihe von körperlichen Er- der eigenen Kinder) grundsätzlich ver- krankungen (Lindström & Eriksson, 2019). stehbar sind, dass die anstehenden Auf- Es konnte gezeigt werden, dass Frauen mit gaben bis zu einem gewissen Grad vor- einem starken Kohärenzsinn weniger Ge- aussehbar sind und dass es gelingt, Er- burtskomplikationen erleben (Perez-Botella eignisse und Herausforderungen kogni- et al., 2015) und dass eine positive Erfah- tiv einzuordnen. rung von Schwangerschaft und Geburt – 2. Die Handhabbarkeit: Diese beinhaltet unabhängig vom Geburtsmodus – eine die Überzeugung, dass Aufgaben und Funktion eines bestehenden stark positiven Herausforderungen des Lebens (und der Kohärenzsinns ist (Ferguson et al., 2016). Kindererziehung) zu meistern sind, dass Kinder, deren Mütter über einen stark die Ressourcen und Kräfte dafür vorhan- ausgeprägten Kohärenzsinn verfügen, ha- den sind und dass bei fehlenden eigenen ben im Baby- und Kleinkindalter weniger Ressourcen Hilfestellungen in der Aus- psychosomatische Beschwerden (Olsson, senwelt gefunden werden können. 2008), sind weniger ängstlich, weniger de- 3. Die Sinnhaftigkeit: Sinnhaftigkeit oder pressiv und zeigen weniger internalisieren- Bedeutsamkeit bezeichnet ein grund- des und externalisierendes Problemverhal- sätzliches Vertrauen, dass es sich lohnt, ten (Books, Barth & Kim, 2010; Honkinen et Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 17 al., 2009; Svavarsdottir, Rayens & McCub- ger Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Situatio- bin, 2005). Zudem verfügen sie generell nen und Aufgaben zu verstehen und sie über eine stabilere sozial-emotionale Ge- glauben weniger daran, dass sich ein Enga- sundheit in den ersten Lebensjahren (Al Ya- gement für diese Aufgaben lohnt bzw. dass gon, 2008). Die bisherige Forschung zum sie anfallende Aufgaben meistern können Kohärenzsinn erbrachte zudem positive Zu- (Ying, 1999; Lundberg, 1997). Es ist daher sammenhänge zwischen dem Kohärenzsinn bei diesen Familien besonders wichtig, Un- der Mütter und der lebenslangen psychi- terstützung bereitzustellen, welche geeig- schen und körperlichen Gesundheit von net ist, den Kohärenzsinn zu stärken. Kindern sowie zu deren Gesundheitsverhal- Der Kohärenzsinn ist beeinflussbar (Sa- ten im Jugendalter (Honkinen et al., 2009). gy & Antonovsky, 1996): derjenige von Müt- Eltern und Kinder (sowie Erziehende in Ins- tern vor allem im Zeitraum rund um die Ge- titutionen der Frühen Förderung), welche burt eines Kindes (Röhl & Schücking, 2006; über einen ausgeprägten Kohärenzsinn ver- Habroe & Schmidt, 2007). Für die Frühe För- fügen, sind lebenslang psychisch und kör- derung heisst das, dass Angebote den Eltern perlich gesünder, können besser mit Belas- Erfahrungen ermöglichen sollen, die deren tungen umgehen und bewältigen chroni- Kohärenzsinn stärken, indem sie mit Unter- sche Krankheiten und Behinderungen (auch stützung erleben, dass Herausforderungen die eines eigenen Kindes) besser (z. B. bewältigbar sind und dies auch Sinn macht. Lindström & Eriksson, 2019; Einav, Levi & Margalit, 2012; Hedov, Annerén & Wikblad, Zugang zu Angeboten der Frühen 2002; Pozo Cabanillas, Sarria Sanchez & Förderung Mendez Zaballos, 2006 und andere). Weiter Die Studie «AFFiS: Angebote der Frühen För- konnte gezeigt werden, dass Eltern mit ei- derung in Schweizer Städten» (Meier Magis- nem starken Kohärenzsinn eine bessere tretti et al., 2019) untersuchte die Sicht der El- Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich ih- tern auf Angebote der Frühen Förderung, auf rer Erziehungskompetenzen haben, dass sie deren Zugänglichkeit, deren Nutzen und de- sicherere Bindungen zu ihren Kindern auf- ren Wirkung auf Familien. Befragt wurden bauen (Perez-Botella et al., 2015), und dass fast 500 Familien aus neun deutschschweize- die Familienkohäsion stärker ist, wenn die rischen Städten und Gemeinden mit Kindern Mütter oder Eltern über einen starken Kohä- im Alter zwischen null und fünf Jahren über renzsinn verfügen (Einav, Levi & Margalit, zwei Jahre hinweg mit ausführlichen persön- 2012). Schliesslich gibt es Hinweise darauf, lichen Interviews. Neu an dieser Studie ist, dass solche Familien präventive Angebote dass erstmals die Nutzung von Angeboten im für ihre Kinder stärker nutzen (Silva-Sani- Frühbereich im Zusammenhang mit dem Ko- gorski et al., 2013), wobei hier nachgewie- härenzsinn (gemessen mit der SOC-13-Skala) sen werden konnte, dass das Nutzungsver- untersucht und dass neben Eltern aus der halten stärker über den Kohärenzsinn als breiten Bevölkerung auch die sogenannten über die soziale Schicht bestimmt wird. Risikogruppen breit einbezogen wurden. Familien mit tiefem sozioökonomi- schem Status haben in der Regel einen schwächer ausgeprägten Kohärenzsinn als besser gestellte Familien. Sie haben weni- Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
18 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 10 89% 89% Familien, welche Familien mit 9 86% 82% 75% Breite 8 Sozialhilfe Migrationshinter Bevölkerung 75% (TG1) empfangen (TG2) grund (TG3) 7 64% 64% Schwangerschaftsvorsorge 6 86 % 57% 89 % 89 % 5 Wochenbetthebamme 82 % 64 % 82 % 4 35% Mütter-Väterberatung 75 % 64 % 57 % 28% 29% 28% 3 Kita 35 % 28 % 19% 21% 29 % 2 Spielgruppe 19 % 21 % 288% % 7% 1 4% Hausbesuchsprogramme 0 8% 7% 4% ge e ng ta e e m pp m Ki or tu am am ru rs ra lg eb gr vo be ie ro ts th er Sp af sp et ät ch ch nb r-V rs su he te ge be oc üt an us M W hw Ha Sc Breite Bevölkerung (TG1) Familien, welche Sozialhilfe empfangen (TG2) Familien mit Migrationshintergrund (TG3) Abbildung 1: Zugang zu Angeboten der Frühen Förderung Zugang, Nutzen und Nutzung der Angebote ein eher tiefes Ausbildungsniveau und nur unterscheiden sich denn auch deutlich zwi- 50 Prozent der befragten Mütter sind be- schen den drei befragten Testgruppen (TG): rufstätig – dies mehrheitlich in prekären • Eltern aus der breiten Bevölkerung: Sie Anstellungsverhältnissen. Subjektiv leiden sind vorwiegend gut ausgebildet, arbeiten sie am meisten unter finanziellen Proble- in geregelten Anstellungsverhältnissen men, unbefriedigenden Wohnverhältnis- und haben wenig finanzielle Probleme. sen und fehlenden sozialen Netzwerken. Subjektiv berichten sie über eine hohe Be- lastung als Eltern junger Kinder durch Zeit- Abbildung 1 zeigt, dass ein gleichberechtig- druck, Müdigkeit und Erschöpfung. ter Zugang für alle Familien gegeben ist, so- • Belastete Eltern mit Migrationshinter- lange die Versorgung im medizinischen Sys- grund: Sie verfügen mehrheitlich über tem erfolgt. Schwangerschaftsvorsorge keine Berufsausbildung und nur 30 Pro- untersuchungen wurden von allen Eltern- zent der Mütter sind ausser Haus er- gruppen gleichermassen genutzt und werbstätig. Finanzielle Probleme und die vorwiegend positiv beurteilt. Die Eltern be- Sorge, den Kindern nicht das bieten zu tonten den Nutzen dieses Angebots. Sie können, was andere Kinder haben, sind schätzten die Informationen, welche sie von subjektiv die grössten Belastungen. Ärztinnen, Ärzten und Hebammen in der • Eltern in der Sozialhilfe: Sie verfügen über Zeit vor der Geburt erhielten, die Sicherheit, Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG 19 die sie daraus gewannen und die Vertrau- ter-Laager & Meier Magistretti, 2016). Der ensbeziehungen zu den Fachpersonen, die Zugang zu Hausbesuchsangeboten ist noch dann entstanden, wenn diese eine kontinu- nicht gegeben: Weniger als 10 Prozent der ierliche Begleitung gewährleisten konnten. benachteiligten Gruppen in der AFFiS-Be- Dies ändert sich bereits bei der nachgeburt- fragung konnten dieses Angebot nutzen. lichen Versorgung durch Wochenbettheb- ammen, die von den Eltern selbst organisiert Kohärenz und Frühe Förderung werden muss: Während Eltern aus der brei- Obwohl belasteten Familien mit und ohne ten Bevölkerung und Eltern mit Migrations- Migrationshintergrund kein gleichberech- hintergrund mit einer Nutzungsquote von je tigter Zugang zu allen Angeboten der Frü- über 80 Prozent einen gleichermassen guten hen Förderung möglich ist, hatten in der AF- Zugang zu diesem Angebot haben, erhalten FiS-Studie alle Eltern mindestens ein Ange- nur etwas weniger als zwei Drittel der Eltern bot der Frühen Förderung zumindest zeit- in der Sozialhilfe eine nachgeburtliche Haus- weise genutzt. Alle Eltern wurden zu beiden betreuung durch eine Hebamme. Das Ange- Erhebungszeitpunkten gebeten, den Kohä- bot der Wochenbetthebamme ist belasteten renzsinn-Fragebogen zur Lebensqualität (in Eltern oft nicht bekannt oder aber sie geben der 13-er-Skala) auszufüllen. Die Analyse an, dass sie wegen eigener gesundheitlicher der Veränderung der SOC-Werte zeigte in Probleme oder solchen ihres Babys dieses den Familien der breiten Bevölkerung zum und andere Angebote (z. B. die Mütter- und zweiten Messpunkt leicht niedrigere SOC- Väterberatung) nach der Geburt des Kindes Werte, während er in der Vorschul-Kohorte, nicht wahrnehmen konnten. d. h. bei Eltern mit Kindern im Alter von 2,5 Der grosse Einbruch in den Nutzungs- bis 4 Jahren beim ersten und 4 bis 6 Jahren zahlen erfolgt jedoch bei den pädagogi- beim zweiten Befragungszeitpunkt stabil schen und familienpädagogischen Angebo- bleibt. Das ist teilweise darauf zurückzufüh- ten. Nur etwa ein Viertel der Eltern, die So- ren, dass der SOC-Wert nach der Geburt üb- zialhilfe beziehen, haben einen Spielgrup- licherweise ansteigt und dann wieder auf penplatz (22 %) oder einen Platz in einer das vorgeburtliche Niveau zurückgeht, teil- Kita (28 %) für ihr Kind, bei den Eltern mit weise aber auch auf die subjektiv vermin- Migrationshintergrund sind die Nutzungs- derte Lebensqualität von Müttern aus die- zahlen mit jeweils 28 Prozent für Kitas und sen Familien nach der Geburt eines Kindes. für Spielgruppen ähnlich. Der etwas höhere Mütter aus Mittel- und Oberschichtsfamili- Anteil von Kindern mit Migrationshinter- en erfahren eine Verminderung der sozialen grund in Spielgruppen lässt sich auf die Unterstützung, wenn sie Mütter von Klein- stark nachgefragten Angebote der Spiel- kindern sind. Sie erleben gewissermassen gruppen mit integrierter Sprachförderung eine «Nivellierung nach unten», indem sie zurückführen. als Mütter denselben Belastungen (Zeit- Besonders stark profitieren belastete und Schlafmangel, Erschöpfung) ausge- Familien von Hausbesuchsprogrammen, in setzt sind wie sozioökonomisch schlechter denen sie durch ausgebildete Fachpersonen gestellte Frauen. Sie sind teilweise auch mit darin unterstützt werden, gute Entwick- demselben Mangel an wichtigen Ressour- lungsbedingungen für ihr Kind zu schaffen cen (z. B. kurzfristig verfügbare Unterstüt- und adäquat mit ihm zu interagieren (Wal- zung für sich und die Kinder) konfrontiert. Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
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