Prävention in der Frühen Bildung - Text-Grösse "Weiteres Thema" immer gleich und darf auch zweizeilig werden Text-Grösse "Weiteres Thema" immer ...

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Prävention in der Frühen Bildung - Text-Grösse "Weiteres Thema" immer gleich und darf auch zweizeilig werden Text-Grösse "Weiteres Thema" immer ...
EDITION                                    N r. 3
SZH/CSPS                                   2020

     Titel-Grösse
     Prävention in
     variiert
     der Frühen
              je nach
                 Bildung
                      länge
       Text-Grösse «Weiteres Thema» immer gleich
     und darf auch zweizeilig werden
           Text-Grösse «Weiteres Thema» immer gleich
Prävention in der Frühen Bildung - Text-Grösse "Weiteres Thema" immer gleich und darf auch zweizeilig werden Text-Grösse "Weiteres Thema" immer ...
Inhalt
Silvia Schnyder
Editorial                                                                         3

Rundschau                                                                         4

SCHWERPUNKT

Anke Moors
Präventive Frühförderung – eine gute Basis fürs Aufwachsen
Frühförderangebote für sozial benachteiligte Kinder                               9

Claudia Meier Magistretti und Catherine Walter-Laager
Frühe Förderung, Kohärenz und gesundheitliche Entwicklung
Ergebnisse aus der Studie «Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten»   15

Klaus Fröhlich-Gildhoff
Resilienzförderung in den Institutionen der Frühen Bildung                       24

Frank Francesco Birk
Der Waldkindergarten
Ein Konzept zur Prävention von Entwicklungsstörungen                             32

Daniel Jucker
BEKOM: Bewegung, Kommunikation und Mobilität
Ein psychomotorisch-logopädisches Präventionskonzept für Kinder
zwischen drei und sechs Jahren                                                   38

Chantal Junker-Tschopp, Sophie Fournier Del Priore,
Lea Gutzwiller Pevida und Estelle Terradillos Mettraux
Frühgeburt: wie weiter?
Ein neues Dispositiv für die Schweiz zur Prävention mit Psychomotoriktherapie    44

Dokumentation zum Schwerpunkt                                                    52

Impressum                                                                        23

Behinderung im Film / Bücher / Agenda / Weiterbildung                            53

Inserate                                                                         60

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
Prävention in der Frühen Bildung - Text-Grösse "Weiteres Thema" immer gleich und darf auch zweizeilig werden Text-Grösse "Weiteres Thema" immer ...
EDITORIAL                           3

Silvia Schnyder

Prävention in der frühen Kindheit führt über die Eltern

«Chämet wiär tiä tanzu!» Singend und tan-                        raum ist. Eine verlässliche, zuneigungsrei-
zend animiert die Pädagogin die im Kreis                         che Beziehung zu einer nahen Person wie-
sitzenden kleinen Kinder, es ihr gleichzutun.                    derum ist entscheidend für die Entwicklung
Was wie ein Ausschnitt aus einer gewöhn-                         eines Kindes.
lichen Spielgruppe oder einem Kindergar-                              Mehrere Artikel in dieser Ausgabe be-
ten anmuten mag, ist in Wirklichkeit ein Ein-                    fassen sich ebenfalls damit, wie nebst der
blick in das Pilotprojekt der Heilpädagogin                      Förderung der Kinder insbesondere Eltern-
Laetitia Heinzmann Bellwald aus Visp1.                           kompetenzen gestärkt werden können. Aus-
     Bereits zum dritten Mal werden etwa                         serdem erhalten wir einen Einblick in die
                                                                                                                  Silvia Schnyder
20 dreieinhalb- bis vierjährige Kinder von                       Praxis der Prävention – so zum Beispiel den
                                                                                                                  Wissenschaftliche
Januar bis Mitte Juni einmal wöchentlich                         Waldkindergarten oder Projekte aus dem
                                                                                                                  Mitarbeiterin
auf den Schuleintritt vorbereitet. Das Ange-                     Bereich Psychomotoriktherapie. Hier kann
                                                                                                                  SZH / CSPS
bot richtet sich an Familien mit Kindern mit                     der Grundstein für viele wichtige Lebens-
                                                                                                                  Haus der Kantone
besonderem Förderbedarf, mit Migrations-                         kompetenzen wie Urvertrauen, Selbstwirk-
                                                                                                                  Speichergasse 6
hintergrund und an Familien, die ihrem                           samkeitserwartung oder Selbstregulation
                                                                                                                  3011 Bern
Kind den Einstieg in den Kindergarten er-                        gelegt werden.
                                                                                                                  silvia.schnyder @
leichtern wollen. Durch vielfältige Aktivitä-                         Die Krux ist, dass gerade belastete Fa-
                                                                                                                  szh.ch
ten wie Spielen, Musizieren und Malen ler-                       milien weniger pädagogische und familien-
nen die Kinder unsere Kultur und Sprache                         pädagogische Angebote nutzen. Politik und
kennen. Die Vorfreude auf den Kindergar-                         Praxis sind somit gefordert, vor allem für
ten wird geweckt. So werden Angst und                            diese Zielgruppe Zugänge zur Frühen För-
Unsicherheit sowohl bei den Kindern als                          derung zu schaffen. Wir können die Eltern
auch bei ihren Eltern abgebaut. Denn nicht                       dabei unterstützen, indem wir sie als zuge-
nur die Kinder werden gefördert; gleichzei-                      hörig betrachten und ihnen auf Augenhöhe
tig erweitern die Eltern ihre Kompetenzen:                       begegnen. Damit schliesst sich der Kreis
Sie machen Bekanntschaft mit unserer Kul-                        zum Visper Projekt: Die positiven Erlebnisse
tur und unserem Bildungssystem und sie er-                       wecken zum einen bei den Kindern die Vor-
fahren, was nach dem Eintritt in den Kin-                        freude auf den Kindergarten, was zum an-
dergarten auf sie und ihre Kinder zukommt.                       dern bei den Eltern das Vertrauen in Fach-
Das Vorgehen, die ganze Familie anzuspre-                        personen und Institutionen stärken kann
chen, folgt der Prämisse, dass für kleine Kin-                   und zur kulturellen Integration der ganzen
der die Familie der primäre soziale Lebens-                      Familie beiträgt.

1
    https://kanal9.ch/der-praventiv-begleitete-schul-
    eintritt-das-projekt-einer-engagierten-visperin
    [Zugriff am 30.01.2020].

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020                      www.szh-csps.ch/z2020-03-00
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4   RUNDSCHAU

    Rundschau                                           lineumfrage zwischen Dezember 2017 und
                                                        Februar 2018 teil. Mehr als 80 Prozent der
    INTERNATIONAL                                       Befragten nutzen Abbildungen und Fotos,
                                                        74 Prozent PCs und 51 Prozent Tablets im
    DEU: Deutscher Bundestag                            Unterricht. Heilpädagogische Fachpersonen
    debattiert über Barrierefreiheit                    verwenden insbesondere spezifische Tech-
    Am 16. Januar 2020 hatte der Deutsche Bun-          nologien wie zum Beispiel Vergrösserungen
    destag über das Thema Barrierefreiheit de-          oder Rechengegenstände zum Tasten im
    battiert. Es lagen Anträge der Bundestags-          Mathematikunterricht für Kinder mit einer
    fraktion der Partei DIE LINKE sowie ein An-         Sehbeeinträchtigung. Um die Situation im
    trag der Bundestagsfraktion der Freien De-          ersten Zyklus jedoch adäquat beschreiben zu
    mokraten (FDP) vor. Die FDP beantragte,             können, bedarf es weiterer Forschung.
    über den Staat als Vorbild für umfassende           Wicki, M. T. & Burkhardt, S. C. A. (2020).
    Barrierefreiheit zu debattieren. Von der Lin-       Unterstützende Technologien in integrativen
    ken lagen insgesamt zehn Anträge vor, wel-          Kindergärten und Primarklassen. Ein Einblick
    che die Komplexe Bildung, Wohnen, Ge-               in dreizehn Kantone. VHN, 1, 36 – 49.
    sundheit, Pflege, Mobilität, Kultur, Sport und
    Tourismus sowie politische Teilhabe auf der         Begriffe in den Sozialversicherungs­
    Grundlage europäischer Rechtsakte umfas-            gesetzen modernisieren
    sen. Die entsprechenden Beiträge können in          Im Rahmen der Differenzbereinigung zur
    der Mediathek des Deutschen Bundestages             Weiterentwicklung der Invalidenversiche-
    angesehen oder im Plenarprotokoll nachge-           rung hat sich die Kommission für soziale Si-
    lesen werden.                                       cherheit und Gesundheit (SGK-S) mit der ein-
    www.bundestag.de ➝ Mediathek                        zigen verbliebenen Differenz beschäftigt,
                                                        nämlich mit dem vom Nationalrat bestritte-
                                                        nen Begriff «Kinderrente». Während der Na-
    NATIONAL                                            tionalrat diesen Begriff durch «Zusatzrente
                                                        für Eltern» ersetzen will, beantragt die Kom-
    Unterstützende Technologien                         mission einstimmig, am geltenden Recht
    in integrativen Kindergärten und                    festzuhalten. Sie sieht stattdessen generell
    Primarklassen                                       Handlungsbedarf bezüglich der Begrifflich-
    Aktuelle Entwicklungen und Fortschritte in          keit in der Sozialversicherungsgesetzge-
    den Informations- und Kommunikations-               bung, die teilweise einen abwertenden Cha-
    technologien verändern auch die Heil- und           rakter habe oder heute nicht mehr aktuell
    Sonderpädagogik. Regellehrpersonen und              sei. Deshalb will sie den Bundesrat mit einem
    heilpädagogische Fachpersonen sind zuneh-           Kommissionspostulat beauftragen, zu prü-
    mend gefordert, Kinder und Jugendliche              fen, wie die betroffenen Gesetze grundsätz-
    beim Einsatz unterstützender Technologien           lich sprachlich modernisiert werden können.
    (UT) zu begleiten und zu fördern. Die Studie        Weitere Informationen: www.parlament.ch
    bietet erstmals einen Einblick zum Einsatz          ➝ Medienmitteilung vom 17.01.2020
    von UT in der Volksschule. 110 Fach- und
    Lehrpersonen aus dem ersten Zyklus aus 13
    Schweizer Kantonen nahmen an einer On-

                                                     Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
RUNDSCHAU        5

KANTONAL / REGIONAL                                              rungsrates die Aufgaben des schulischen
                                                                 Therapiepersonals nur unzureichend ab. Aus
FR: Inkrafttreten des Reglements                                 diesem Grund ist nun ein eigener Arbeitsauf-
über die Sonderpädagogik                                         trag formuliert und sind die Fachpersonen
Nachdem der Staatsrat das Reglement über                         neu in die Personalverordnung überführt
die Sonderpädagogik am 16. Dezember 2019                         worden, die für alle Verwaltungsmitarbei-
genehmigt hat, ist dieses am 1. Januar dieses                    tenden mit Ausnahme der Lehrpersonen gilt.
Jahres in Kraft getreten. Das neue Regle-                        Weitere Informationen: www.nw.ch
ment konkretisiert und präzisiert das sonder-                    ➝ Aktuelles vom 23.01.2020
pädagogische Angebot, die Aufgaben der
zuständigen Instanzen, das Abklärungsver-                        Aarau: Charta «Arbeit für
fahren, die Zusammenarbeit mit den Leis-                         Menschen mit Behinderung»
tungsanbietern und den sonderpädagogi-                           Der Stadtrat Aarau hat an seiner Sitzung
schen Einrichtungen, die Finanzierung sowie                      vom 20. Januar 2020 beschlossen, die Char-
die Rechtsmittel. Die Grundsätze sind bereits                    ta «Arbeit für Menschen mit Behinderung»
im gleichnamigen Gesetz verankert, das seit                      zu unterschreiben. Mit der Unterzeichnung
dem 1. August 2018 in Kraft ist. Das Angebot                     bekennt sich die Stadt Aarau als Arbeitgebe-
gilt nicht nur für Schülerinnen und Schüler                      rin zur Chancengleichheit und Nicht-Diskri-
der obligatorischen Schule, sondern auch für                     minierung von Menschen mit Behinderung
Kinder von Geburt an sowie für junge Er-                         in der Berufswelt. Bewerbende mit einer Be-
wachsene bis zum 20. Altersjahr. Der Erlass                      hinderung haben bei der Stadt Aarau bereits
dieses Reglements bildet die letzte Etappe in                    heute die gleiche Chance auf eine Anstel-
der Umsetzung der 2008 in Kraft getretenen                       lung wie Bewerbende ohne Behinderung.
Neugestaltung des Finanzausgleichs und der                            Qualifikation und Fähigkeit stehen bei
Aufgabenteilung zwischen Bund und Kanto-                         einer Anstellung jeweils im Fokus. Die Stadt
nen im Bereich der Sonderpädagogik im                            Aarau unterstreicht mit der Unterzeichnung
Kanton Freiburg.                                                 ihre Haltung und setzt ein Zeichen nach in-
Weitere Informationen: www.fr.ch                                 nen und aussen.
➝ Bildung und Schule ➝ Vorschule                                 Quelle: www.nau.ch

NW: Wechsel bei der Anstellung
des schulischen Therapiepersonals                                VARIA
Die Fachpersonen der logopädischen und
psychomotorischen Schuldienste sind zu-                          CléA Assistenzplattform mit
ständig für die Therapie von Kindern mit ein-                    Preis ausgezeichnet
schlägigen Defiziten. Sie fördern die jungen                     Die CléA Assistenzplattform hat die Aus-
Schülerinnen und Schüler in den Bereichen                        zeichnung «Solve for Tomorrow 2020» er-
Sprachentwicklung sowie Emotionalität,                           halten. Die Plattform konnte sich gegen 25
Konzentration, Bewegung und Wahrneh-                             andere, ebenso innovative Projekte durch-
mung. Die Fachpersonen sind heute wie                            setzen. Der Preis wurde zum ersten Mal von
Lehrpersonen im Rahmen der Lehrpersonal-                         Samsung Schweiz lanciert. Die Plattform un-
verordnung angestellt. Der darin formulierte                     terstützt Menschen mit Behinderungen bei
Berufsauftrag deckt aus Sicht des Regie-                         der Suche nach Begleit- und Assistenzperso-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
6   RUNDSCHAU

    nen. Mit dem digitalen Helfer werden sie be-       und zukunftsweisende Technologien im Be-
    fähigt, die Arbeitgeberrolle für die               reich des barrierefreien Musizierens. So sah
    Assistenz zu übernehmen. Damit werden              man beispielsweise ein angepasstes Cello,
    Selbstbestimmung, Inklusion und Gleich-            welches von einer Musikerin mit Körperbe-
    stellung gefördert.                                einträchtigung mit den Füssen gespielt wer-
    Weitere Informationen: solvefortomorrow.ch         den kann. Im Anschluss wurde in einer Podi-
    und www.vereinigung-cerebral.ch/clea               umsdiskussion die Unterrepräsentation von
                                                       Studentinnen und Studenten mit Behinde-
    Neuer Verbandsname für                             rungen an den Musikhochschulen themati-
    Gehörlosensport                                    siert. Alexander Wyssmann, Jazzpianist mit
    Seit 1930 existiert der Schweizerische Gehör-      Sehbehinderung, Franziska Schroeder, Do-
    losen Sportverband SGSV–FSSS unter die-            zentin am Sonic Arts Institut der Queen’s
    sem Namen. Seither hat sich jedoch das ge-         University Belfast, Yvonne Schmidt, Projekt-
    sellschaftliche Umfeld geändert. Um Men-           leiterin von DisAbility on Stage, Herbert
    schen mit den verschiedensten Hörbehinde-          Bichsel, Gleichstellungsbeauftragter von
    rungen anzusprechen, wurde der Verband             agile.ch sowie Christoph Brunner, Beauf-
    umbenannt und heisst jetzt: Swiss Deaf             tragter Chancengleichheit und Inklusion der
    Sport SDS. Per 1. Januar 2020 ist die Na-          Hochschule der Künste Bern konstatierten,
    mensänderung offiziell vollzogen worden.           dass es teilweise eine höhere Sensibilisie-
    Weitere Informationen: www.sgb-fss.ch              rung und strukturelle Veränderungen an den
    ➝ News vom 14.01.2020                              Hochschulen brauche. Auch sei die Nach-
                                                       wuchsförderung wichtig. Personen mit einer
    Neuer Webauftritt des BVF                          Behinderung kämen gar nicht erst auf die
    Der neue Webauftritt des Berufsverbandes           Idee, einen solchen Weg einzuschlagen.
    Heilpädagogische Früherziehung der deut-           Weitere Informationen: www.tabulamusica.ch
    schen, rätoromanischen und italienischen
    Schweiz (BVF) bietet aktuelle und professi-        Barrierearme Instrumente
    onsbasierte Informationen zur Heilpädago-          Im Jahr 2019 veranstaltete EUCREA das Pro-
    gischen Früherziehung und zum Berufsver-           jekt SOUNDFORM und informierte erstmals
    band für Fachpersonen, Politik und Eltern.         im deutschsprachigen Raum über das Thema
    Damit werden das Angebotsportfolio des             «Barrierearme Instrumente». Um diese Inst-
    Berufsfeldes und das berufspolitische Enga-        rumente im Kontext von Inklusion weiter
    gement des Verbandes zeitgemäss sichtbar.          bekannt zu machen, hat EUCREA auf seiner
    Weitere Informationen: www.frueherziehung.ch       Website nun eine Liste von ganz unterschied­
                                                       lichen Entwicklungen zum Thema angelegt:
    Barrierefrei musizieren                            Zu entdecken sind modifizierte analoge Ins-
    Im Rahmen von «Zukunftsmusik 2019», der            trumente bis hin zu Open-Source-Software
    Veranstaltungsreihe für barrierefreie Musik,       und Apps.
    fand vergangenen November an der PH Bern           Weitere Informationen: www.eucrea.de/
    das Symposium «Barrierefrei Musizieren»            soundform-barrierearme-instrumente
    statt. Expertinnen und Experten mit und oh-
    ne Behinderungen präsentierten erprobte
    Methoden, aktuelle Forschungsergebnisse

                                                    Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
THEMENSCHWERPUNKTE 2020                               7

Themenschwerpunkte 2020
Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik

   Heft                        Schwerpunkt                                                 Ankündigung         Einsendeschluss
   1 / 2020                    Inklusion im Erwachsenenbereich                             10.08.2019          10.10.2019
   2 / 2020                    Einstellungen und Haltungen zur Inklusion                   10.09.2019          10.10.2019
   3 / 2020                    Prävention in der Frühen Bildung                            10.09.2019          10.11.2019
   4 / 2020                    Behinderung in den Medien                                   10.10.2019          10.12.2019
   5 – 6 / 2020                Mehrfachbehinderung                                         10.11.2019          10.01.2020
   7 – 8 / 2020                Nachteilsausgleich                                          10.01.2020          10.03.2020
   9 / 2020                    Lebensende                                                  10.03.2020          10.05.2020
   10 / 2020                   Universal Design                                            10.04.2020          10.06.2020
   11  – 12 / 2020             Humor                                                       10.05.2020          10.07.2020

   Autorinnen und Autoren werden gebeten, so früh wie möglich einen Artikel per Mail anzukündigen.
   Die Redaktion entscheidet erst nach der Sichtung eines Beitrages über dessen Veröffentlichung.
   Bitte beachten Sie vor dem Einreichen Ihres Artikels unsere Redaktionsrichtlinien unter www.szh.ch/zeitschrift.

   Freie Artikel
   Nebst Beiträgen zum Schwerpunkt publizieren wir regelmässig auch freie Artikel. Die Redaktion nimmt gerne
   laufend Ihre Artikel zu einem heilpädagogischen Thema nach Wahl entgegen: redaktion@szh.ch

Thèmes des dossiers 2020
Revue suisse de pédagogie specialisée

   Numéro                                                        Dossier
   1 (mars, avril, mai 2020)                                     Participation citoyenne
   2 (juin, juillet, août 2020)                                  Compensation des désavantages
   3 (septembre, octobre, novembre 2020)                         Difficultés et troubles du comportement à l’école
   4 (décembre 2020, janvier, février 2021)                      Alimentation et handicap

   Une description des thèmes 2020 est disponible sur le site Internet du CSPS :
   www.csps.ch/revue ➝ Thèmes 2020

   Informations auteurs : merci de prendre contact avec la rédaction avant l’envoi d’une contribution
   sur l’un de ces thèmes ou sur un sujet de votre choix : redaction@csps.ch

   Lignes directrices rédactionnelles : www.csps.ch/revue

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
8                       BLICK IN DIE REVUE SUISSE DE PÉDAGOGIE SPÉCIALISÉE

Blick in die Revue suisse de pédagogie spécialisée

Barbara Fontana-Lana et Geneviève Petitpierre (2020).        La Suisse, comme beaucoup d’autres pays, est incitée à
Peut-on exercer le droit de vote quand on est porteur        (re-)questionner les dispositions d’accès au droit de vote
d’une déficience intellectuelle ?                            et aux mesures soutenant son exercice pour ses citoyens
Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 7–15.              avec une déficience intellectuelle. Cet article présente
                                                             d’une part les arguments en faveur du retrait de ce droit
                                                             pour cette population, d’autre part ceux soutenant une ré-
                                                             évaluation des critères d’accès, et pour finir les principaux
                                                             obstacles à son exercice. Se pencher sur cette probléma-
                                                             tique est urgent, en raison du décalage entre notre Consti-
                                                             tution fédérale (et la plupart des Constitutions cantonales)
                                                             avec le droit international.

Mireille Tremblay, Barbara Fontana-Lana, Isabelle Hu-        Les personnes ayant une déficience intellectuelle sont en-
don, Marcel Blais et Benoit Racette (2020). Stratégies       core largement exclues de la sphère politique, mais elles
d’émancipation pour la participation politique et le déve-   ont le droit de participer à la vie politique, de s’associer li-
loppement des compétences citoyennes des personnes           brement, de prendre la parole publiquement, d’influencer
ayant une déficience intellectuelle.                         les politiciens, de participer aux élections et de prendre
Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 23–31.             part, directement ou indirectement, aux décisions concer-
                                                             nant les affaires publiques. Elles pourront le faire si elles
                                                             accèdent à la sphère publique, à la délibération démocra-
                                                             tique et à la condition qu’elles puissent jouir des opportu-
                                                             nités nécessaires au développement de leurs compétences
                                                             citoyennes.

Anne-Sophie Kupper (2020). L’accompagnement institu-         Actuellement, il n’existe pas de pratique officielle concer-
tionnel des personnes ayant une déficience intellectuelle    nant l’accompagnement des personnes avec une défi­
dans l’exercice du droit de vote.                            cience intellectuelle vivant en institution dans l’exercice de
Revue suisse de pédagogie spécialisée, 1, 32–38.             leurs droits civiques. Sans intervention de la famille, ces
                                                             personnes dépendent alors en grande partie de l’engage-
                                                             ment des travailleurs sociaux et des rares projets collectifs
                                                             mis en place. Dans cet article, nous allons voir quels sont
                                                             les obstacles et conditions facilitatrices à l’exercice du droit
                                                             de vote des personnes ayant une déficience intellectuelle.
                                                             Puis nous passerons en revue quelques pistes pour un meil-
                                                             leur soutien à cette démarche.

                                                                       Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG                     9

Anke Moors

Präventive Frühförderung – eine gute Basis fürs Aufwachsen
Frühförderangebote für sozial benachteiligte Kinder

Zusammenfassung
Kinder sind von Grund auf neugierig und lernbegeistert. In der frühen Kindheit wird die Basis für erfolgreiches,
lebenslanges Lernen gelegt. Belastende Lebensumstände können die Eltern daran hindern, ihre Kinder auf diesem
Weg angemessen zu begleiten. Die präventiven Frühförderangebote «schritt:weise» und «ping:pong» des Vereins
«a:primo» unterstützen sozial benachteiligte Familien bei dieser Aufgabe. Durch das gemeinsame Spielen zu Hause
und in der Gruppe werden die Elternkompetenzen und die Eltern-Kind-Interaktion gestärkt. Die Angebote tragen nicht
nur zur direkten Förderung der Familien, sondern auch zur Vernetzung der lokalen Akteure bei.

Résumé
Les enfants sont naturellement curieux et avides d’apprendre. C’est dans la petite enfance que sont posés les fonde-
ments d’un apprentissage réussi tout au long de la vie. En raison de circonstances de vie difficiles, certains parents ne
sont pas en mesure d’accompagner leur enfant sur ce chemin de manière appropriée. Les offres de soutien précoce
préventives « schritt:weise » et « ping:pong » de l’association « a:primo » soutiennent dans cette tâche des familles
défavorisées. Au moyen de jeux en commun à la maison et dans le groupe, les compétences parentales et l’interac-
tion parents-enfant sont renforcées. Ces offres ne contribuent pas seulement au soutien direct des familles, mais aus-
si à la mise en réseau des acteurs locaux.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-03-01

Durch das Spiel lernen Kinder die Welt ent-                      In der Schweiz geht man davon aus, dass
decken: die Schwerkraft eines Löffels, die                       rund zehn Prozent aller Eltern aufgrund ihrer
Bewegung eines Balls, den umgebenden                             Lebensumstände Schwierigkeiten mit der
Raum, die Sprache. Das Ausprobieren mit al-                      angemessenen Förderung ihres Kindes ha-
len Sinnen auf kognitiver, sozio-emotiona-                       ben. Sozio-ökonomisch benachteiligende Le-
ler, motorischer und sprachlicher Ebene und                      benssituationen wie Armut, psychische Er-
das beharrliche Üben prägen den Alltag von                       krankung, soziale Isolation oder Migration
Kindern in den ersten Lebensjahren. Kreati-                      stellen eine Herausforderung dar. So kommt
vität, Kooperationsfähigkeit und Selbstkon-                      es, dass immer wieder Kinder mit erhebli-
trolle sind ebenfalls bedeutsam. Die Erfah-                      chen Entwicklungsrückständen in den Kin-
rungen in der frühen Kindheit legen die                          dergarten eintreten. Diesen Kindern fehlen
Grundlage für ein erfolgreiches, lebenslan-                      wesentliche Erfahrungen, auf die der Kinder-
ges Lernen.                                                      garten selbstverständlich aufbaut (Lanfran-
      Damit dieses spielerische Lernen mög-                      chi, 2014; Laucht, Esser & Schmidt, 2000).
lich wird, brauchen Kinder vertraute, ver-                             Hier setzen die präventiven Frühförder-
lässliche, verfügbare und aufmerksame Er-                        angebote von a:primo an. Der Verein a:primo
wachsene, die für sie im Alltag ein anre-                        setzt sich für die Frühe Förderung von sozial
gungsreiches Lernumfeld gestalten.                               benachteiligten Kindern in der Schweiz ein.

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
10   PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG

     Der Fokus der Angebote liegt auf der Stärkung         Ein Blick in die Umsetzung von
     der elterlichen Erziehungskompetenzen und             «schritt:weise»
     der Eltern-Kind-Interaktion. Zudem werden             Eine grosse Herausforderung liegt in der
     die Kinder in allen Entwicklungsbereichen             frühzeitigen Erreichung der Familien, die
     gefördert. Bekannt wurde a:primo durch das            vielfach sehr zurückgezogen leben und die
     Hausbesuchsprogramm schritt:weise bzw.                bestehenden Angebote wenig nutzen. Durch
     petits:pas, welches seit dem Jahr 2007 in der         den niederschwelligen Zugang des Hausbe-
     Schweiz angeboten wird. 2017 ist das Früh­            suchsprogramms schritt:weise (petits:pas)
     förderprogramm ping:pong hinzugekommen.               wird den Familien die Teilnahme erleichtert.
     Dieses Angebot unterstützt die Familien               Das Hausbesuchsprogramm wird seit über
     beim Übergang in den Kindergarten durch               zehn Jahren an zahlreichen Standorten in der
     moderierte Elterntreffen. Den Angeboten ist           deutsch- und französischsprachigen Schweiz
     gemeinsam, dass die Förderung übers Spie-             umgesetzt. Das Angebot richtet sich an Fa-
     len erfolgt.                                          milien mit Kindern im Alter zwischen zwölf
          Interessierte Gemeinden und Schulen              Monaten und vier Jahren, die in belasteten
     können die Angebote mit eigenem Personal              Situationen leben. Während 18 Monaten
     umsetzen und in den lokalen Strukturen ver-           werden die Familien zunächst wöchentlich
     ankern. So wird mit der Zeit in den Gemein-           von einer Hausbesucherin für 30 Minuten
     den und Organisationen vertieftes Wissen              begleitet. Später ändert der Rhythmus auf
     im Umgang mit der Zielgruppe aufgebaut.               vierzehntägliche Besuche von 45 Minuten.

         Was bewegt die Familien zur Teilnahme?

         Eine Frage, die sowohl Fachpersonen als           Die Familien melden sich in der Regel nicht
         auch Gemeinden beschäftigt, ist die nach          selbst für die Programmteilnahme. Meist
         der Erreichbarkeit der Familien. Wie wer-         wird die Familie von einer Fachperson wie
         den die Familien für die Programmteilnah-         beispielsweise der Mütter-Väter-Beraterin
         me ins Boot geholt? Die Familiengewin-            auf das Angebot aufmerksam gemacht.
         nung gehört zu den zentralen Aufgaben             Die Eltern erklären sich bereit, dass die Ko-
         der Koordinatorin. Dies bleibt selbst in Ge-      ordinatorin unverbindlich Kontakt auf-
         meinden mit langjähriger Erfahrung mit            nehmen darf. Es liegt anschliessend an der
         schritt:weise anspruchsvoll. Die breite           Koordinatorin zu prüfen, ob schritt:weise
         Vernetzung der Koordinatorin mit lokalen          das geeignete Angebot für die Familie ist
         Akteuren wie Mütter-Väter-Beratung,               und wenn ja, die Familie für die Teilnahme
         Hebammen, Kinderärztinnen und -ärzten,            zu gewinnen. Wenn sowohl die Koordina-
         Fachstellen Frühförderung ist wichtig.            torinnen als auch die Hausbesucherinnen
         Hausbesucherinnen, die ihrerseits gut ver-        lokal gut verankert sind, dann steigt in
         netzt sind, unterstützen die Koordinatorin        den Institutionen und Gemeinden, die
         zusätzlich bei der Familiengewinnung. An          schritt:weise umsetzen, das Wissen über
         langjährigen Standorten empfehlen die             die Zielgruppe. Dies wirkt sich günstig auf
         Familien anderen Familien die Teilnahme.          die Familiensuche aus.

                                                        Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG                11

                                                                                                                       © SAVA HLAVACEK ( STIMME Q )
Zudem nehmen die Familien an vierzehntäg-                        den Kindern aufzubauen – ein Schlüssel­
lichen Gruppentreffen teil. Hier lernen sie                      element für die erfolgreiche Umsetzung von
andere Familien kennen, erfahren mehr zu                         schritt:weise. Das Vertrauen zur Hausbesu-
den Angeboten in der Region und erhalten                         cherin ermöglicht den Eltern, sich auf das ge-
Wissen zu diversen relevanten Themen. Die                        meinsame Spielen mit ihrem Kind einzulassen
Vermittlung der Inhalte geschieht über das                       oder sich für herausfordernde Themen, wie
gemeinsame Spiel und über das Modelller-                         beispielsweise eine heilpädagogische Abklä-
nen. Durch das gemeinsame Spiel wird zum                         rung, zu öffnen. Die Kinder verlieren ihre an-
einen das Kind in allen Entwicklungsberei-                       fängliche Scheu, wenn sie merken, dass die
chen altersentsprechend gefördert. Zum an-                       Hausbesucherin kommt, um mit ihnen zu
deren werden die Eltern in ihren Erziehungs-                     spielen. Die halbe Stunde gehört dem ge-
kompetenzen gestärkt und die Eltern-Kind-                        meinsamen Spiel. Häufig sind es die Mütter,
Beziehung intensiviert (verbessert).                             die am Programm teilnehmen. Im besten Fall
                                                                 macht die Mutter gleich mit. Sie können sich
Begegnung auf Augenhöhe dank                                     unterschiedlich schnell auf das gemeinsame
Peer-to-Peer-Ansatz                                              Spiel mit ihrem Kind einlassen. Die Hausbesu-
Die Hausbesucherin, welche die Familie über                      cherin fungiert für die Mütter als Modell für
die 18 Monate begleitet, hat häufig einen                        den Umgang mit ihrem Kind. Sie beobachten
ähnlichen Erfahrungshintergrund wie die Pro-                     die Reaktion ihres Kindes auf die Hausbesu-
grammfamilie. Dadurch gelingt es ihr leichter,                   cherin und lassen sich zunehmend stärker in
ein Vertrauensverhältnis zu den Eltern und                       das gemeinsame Spiel oder das Erzählen von

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
12   PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG

     Geschichten involvieren. Die Erläuterungen             leistet so einen eigenen Beitrag zur nachhal-
     der Hausbesucherin zur jeweiligen Aktivität            tigen Umsetzung von schritt:weise in der
     und ihr Nutzen für die kindliche Entwicklung           Familie. Die Spielkiste in der Reichweite der
     tragen zum besseren Verständnis seitens der            Kinder in der Wohnung aufzubewahren, ist in
     Eltern bei. Die Eltern erweitern so ihr Erzie-         vielen Familien zu Beginn keine Selbstver-
     hungswissen und ihre Kompetenzen. Sie                  ständlichkeit. Im Verlauf der 18 Monate ge-
     schätzen die Erläuterungen zu den Aktivitä-            lingt es, die Eltern von der Wichtigkeit zu
     ten, die sie nicht aus ihrer Kindheit kennen. Zu       überzeugen.
     wissen, warum etwas für ihr Kind gut ist, gibt               Neben den Spielmaterialien bekommt
     ihnen Sicherheit und motiviert fürs gemeinsa-          jede Familie zwei Ordner, die sich nach und
     me Spiel mit dem Kind.                                 nach mit einfach gestalteten Anleitungen,
          Die Hausbesucherin bringt bei ihrem               passend zu den Spielmaterialien füllen. Die
     ersten Besuch eine leere Kiste mit. Diese Kis-         Mütter werden durch den Austausch mit der
     te wird im Verlauf der 18 Monate mit alters-           Hausbesucherin motiviert, die Umgebungs-
     gerechtem Spielmaterial und zahlreichen Bü-            sprache zu lernen. Die Anleitungen wecken
     chern gefüllt. Die Kiste bleibt jeweils bei der        ebenfalls den Wunsch nach mehr Sprach-
     Familie. Die Verfügbarkeit der Kiste mit den           kompetenz. So fungiert die Hausbesucherin
     Spielen und Büchern ist wichtig für das Kind.          nicht nur im Umgang mit dem Kind als Mo-
     Während des Hausbesuchs erlebt es, gemein-             dell, sondern unterstützt auch die Integra-
     sam ein Buch anzuschauen, Geschichten zu               tion. Die Mütter gewinnen im Verlauf der 18
     erzählen oder zu spielen. Ausserhalb der               Monate an Selbstbewusstsein und sind moti-
     Hausbesuche kann das Kind mit den Büchern              viert für die eigene Integration (Dreifuss &
     und Spielsachen auf die Eltern zugehen. Es             Lannen, 2018).

         Was leistet schritt:weise zur Sprachentwicklung des Kindes?

         In der Regel baut sich in den ersten drei Le-      tern und Dingen auf, entwickelt ein Ver-
         bensjahren das Spracherwerbsgerüst auf.            ständnis für Zusammenhänge und, dass
         Die Eltern unterstützen diesen Prozess mit         mit Sprache Dinge in Bewegung gebracht
         ihrem intuitiven Verhalten über Mimik,             werden können. Was brauchen die Mütter,
         Gestik, Stimme und Sprache. Zu Beginn              um ihrem Kind eine sichere Basis für Kom-
         von schritt:weise verhalten sich manche El-        munikation und Spracherwerb zu geben?
         tern oft wenig intuitiv. Sie zeigen vielfach       schritt:weise arbeitet mit den Eltern an der
         ein kaum abgestimmtes Verhalten auf die            Basis der Kommunikation. Die Mütter wer-
         Kommunikationsangebote ihres Kindes.               den eingeladen, sich in ihr Kind hineinzu-
         So geben sie beispielsweise den Geräu-             fühlen. Die Aktivitäten im Programm bie-
         schen, die das Kind macht, keine Bedeu-            ten den Müttern viele Gelegenheiten, dies
         tung (das Miau wird nicht mit der Katze in         zu üben und so an Sicherheit im Umgang
         Bezug gebracht, die Katze wird nicht als           mit dem Kind zu gewinnen. Der Austausch
         solche benannt). Durch das Benennen baut           zwischen Mutter und Kind wird vielfälti-
         das Kind eine Verbindung zwischen Wör-             ger, kindgerechter und intensiver.

                                                         Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG              13

Fachliche Begleitung

                                                                                                                     © TOM HAILER ( ROGER FEDERER FOUNDATION )
Da die Hausbesucherin in der Regel über kei-
ne pädagogische Ausbildung verfügt, wird
sie von einer Koordinatorin, eine Fachperson
aus der Sozialen Arbeit, Heilpädagogik oder
mit ähnlichem beruflichem Hintergrund, in
wöchentlichen Treffen angeleitet. Die Koor-
dinatorin, eine in der Gemeinde gut vernetz-
te Fachperson, bereitet die Hausbesucherin
mit einer Einführungsschulung auf ihre Ar-
beit in schritt:weise vor und instruiert sie
während des Programms zu wichtigen The-
men wie beispielsweise kindliche Entwick-
lung, Beobachten, Spielen oder schweizeri-
sches Bildungssystem.
     Auf der Basis einer ressourcenorientier-
ten Grundhaltung wird jeder Hausbesuch
vorbereitet und anschliessend reflektiert.
Durch die Programmteilnahme können die
Familien ihre Erfahrungen erweitern. Ihre
vorhandenen Stärken und Kompetenzen                              fällt den Müttern das Loslassen ihrer Kinder
werden gewürdigt und wertgeschätzt. In-                          schwer. Im geschützten Rahmen der Grup-
dem die Eltern besser verstehen, wie Kinder                      pentreffen können sie sich dieser Heraus-
in der Schweiz üblicherweise aufwachsen,                         forderung stellen und auch neue lustvolle
erhalten sie die Möglichkeit, ihre Erfahrun-                     Tätigkeiten wie das Basteln entdecken. Der
gen auf die Erwartungen, die beispielsweise                      Austausch mit den anderen Müttern gibt
vom Kindergarten an sie herangetragen                            die Möglichkeit, voneinander zu lernen und
werden, abzustimmen.                                             Freundschaften zu schliessen, die über die
                                                                 Programmdauer hinaus Bestand haben. In
Aus der Isolation zur sozialen                                   ländlichen Regionen werden Kleingruppen-
Integration                                                      treffen durchgeführt, um lange Anfahrts-
Die vierzehntäglich stattfindenden Grup-                         wege zu vermeiden. Dies bietet zudem die
pentreffen werden von der Koordinatorin                          Möglichkeit, die Termine auf die Bedürfnis-
geleitet. Die Treffen dienen der sozialen                        se der Gruppe abzustimmen. Ferner erlaubt
Vernetzung der Familien und auch der Ver-                        die kleine Gruppe Besuche bei der Erzie-
mittlung von Wissen zu Erziehung, Ernäh-                         hungsberatung, der Bibliothek oder weite-
rung, Gesundheit, Bildung etc. Während                           rer Orte, die sich für einen Besuch in einer
der Sequenzen der Wissensvermittlung                             grossen Gruppe wenig eignen.
spielen die Kinder getrennt von ihren Müt-                             Gegen Ende der 18 Monate werden
tern. Dies bietet Lerngelegenheiten sowohl                       mit der Familie die Möglichkeiten für An-
für die Mütter als auch für die Kinder. Das                      schlussangebote besprochen und in die
Loslösen von der Mutter und das Spielen in                       Wege geleitet, damit jedes Kind nach Ab-
einer Kindergruppe sind zwei Beispiele. Oft                      schluss des Programms ein weiterführen-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
14   PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG

        Wirksamkeit und Gewährleistung der Qualität

        Die Wirksamkeit des Programms wurde in        in Anlehnung an die Evaluation und in Zu-
        zwei Evaluationen des Marie Meierhofer        sammenarbeit mit den bestehenden
        Instituts nachgewiesen. Auf der Grundla-      Standorten angepasst – so bleibt das Pro-
        ge der Evaluationen führt a:primo die         gramm lebendig und entwickelt sich ent-
        Qualitätssicherung an allen Standorten        lang der sich wandelnden Rahmenbedin-
        durch. Die Daten aus der Umsetzung lie-       gungen und Bedürfnissen der Familien
        fern zudem wichtige Hinweise auf Weiter-      weiter (Diez Grieser & Simoni, 2012; Drei-
        entwicklungsbedarf. Das Programm wird         fuss & Lannen, 2018).

     des Angebot wie eine Spielgruppe, einen          Literatur
     Mutter-Kind-Treff, eine Kita oder den Kin-       Diez Grieser, M. T. & Simoni, H. (2012). Daten und
     dergarten besucht. Dadurch wird die nach-            Fakten zur Basisevaluation des Programms
     haltige Förderung des Kindes gewährleis-             schritt:weise in der Deutschschweiz. Längs-
     tet. Die Mütter suchen meist auch für sich           schnittuntersuchung 2008 bis 2011. Zürich:
     nach einer Anschlussmöglichkeit. Viele               Marie Meierhofer Institut für das Kind.
     melden sich für Sprachkurse an oder besu-        Dreifuss, C. & Lannen, P. (2018). Bericht zur
     chen mit ihren Kindern ein Angebot für Fa-           Evaluation der alternativen Umsetzungs-
     milien. In der Regel sind die Familien nach          modelle des Programms schritt:weise. Zü-
     den 18 Monaten deutlich besser vernetzt              rich: Marie Meierhofer Institut für das Kind.
     und berichten von einem geringeren Belas-        Lanfranchi, A. (2014). Frühkindliche selektive
     tungsempfinden (Diez Grieser & Simoni,               Prävention bei Kindern aus Familien in Risi-
     2012). In Bezug auf die kindliche Entwick-           kosituationen – Stigmatisierungsgefahren
     lung konnte auch ein Jahr nach Programm-             und Entwicklungschancen. Familiendyna-
     schluss noch eine positive Wirkung nachge-           mik, 39 (3), 188 – 199.
     wiesen werden.                                   Laucht, M., Esser, G. & Schmidt, M. H. (2000).
                                                          Längsschnittforschung zur Entwicklungs-
                                                          epidemiologie psychischer Störungen:
                                                          Zielsetzung, Konzeption und zentrale Be-
                                                          funde der Mannheimer Risikostudie. Zeit-
                                                          schrift für klinische Psychologie und Psy-
                                                          chotherapie, 29 (4), 246 – 262.

     Anke Moors
     lic. phil. Erziehungswissenschaften
     Co-Geschäftsführerin Verein a:primo
     Ackeretstrasse 6
     8400 Winterthur
     anke.moors@a-primo.ch

                                                   Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG                     15

Claudia Meier Magistretti und Catherine Walter-Laager

Frühe Förderung, Kohärenz und gesundheitliche Entwicklung
Ergebnisse aus der Studie «Angebote der Frühen Förderung
in Schweizer Städten»

Zusammenfassung
Frühe Förderung versteht sich als umfassende frühkindliche Förderung, welche die gesundheitliche, soziale und kog-
nitive kindliche Entwicklung über die Erschliessung von Ressourcen für Familien ermöglicht. Die Erfahrung von Kohä-
renz – als ein überdauerndes Grundvertrauen in das Leben und in die eigenen Fähigkeiten, das Leben zu bewältigen
– ist nicht nur subjektiv relevant. Es besteht ein enger Zusammenhang mit der Erziehungskompetenz der Eltern, mit
der Bindungsqualität in der Familie und mit der lebenslangen gesundheitlichen Entwicklung der Kinder. Die Studie
«Angebote der Frühen Förderung in Schweizer Städten» zeigt nun erstmals für die Schweiz Zusammenhänge zwischen
Früher Förderung und Kohärenzerleben bei belasteten Familien im Längsschnittvergleich.

Résumé
Le soutien précoce se définit comme un soutien global dans la petite enfance, qui permet le bon développement sa-
nitaire, social et cognitif de l’enfant, en aidant les familles à exploiter certaines ressources. L’expérience de la cohé-
rence – en tant que confiance fondamentale durable en la vie et en nos propres capacités à la mener – ne fait pas
seulement sens sur un plan subjectif. Elle est étroitement liée à la compétence éducative des parents, à la qualité du
lien dans la famille, et au développement sain de l’enfant pour le reste de sa vie. L’étude comparative longitudinale
« Offres de soutien précoce dans les villes de Suisse » montre pour la première fois en Suisse, les liens entre soutien
précoce et expérience de la cohérence dans les familles touchées.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-03-02

«Frühe Förderung» bezeichnet eine umfas-                         turen, welche die soziale Integration sowie
sende, systematische und integrative sozi-                       die gesunde und ganzheitliche Entwicklung
al-, gesundheits- und bildungspolitische                         von Kindern im Zeitraum von der Schwan-
Entwicklung, die Schaffung, Koordination                         gerschaft der Mutter bis zum Kindergarten-
und Vernetzung von Strukturen und Organi-                        eintritt des Kindes unterstützen, indem sie
sationen des Sozial-, Gesundheits- und Bil-                      Erfahrungslernen in einer adäquaten sozia-
dungswesens und eine Ausrichtung auf                             len, materiellen und ökologischen Lebens-
Chancengerechtigkeit. Frühe Förderung be-                        umgebung ermöglichen. Der primäre sozia-
inhaltet neben den Förderbereichen der ko-                       le Lebensraum ist für Kinder in den ersten
gnitiven auch diejenigen der sozialen und                        Lebensjahren die Familie, die primären Be-
gesundheitlichen Entwicklung im frühen                           zugspersonen sind die Eltern, welche den
Kindesalter und orientiert sich daran, Res-                      grössten Einfluss auf die frühkindliche Ent-
sourcen bereitzustellen und – insbesondere                       wicklung haben (Perry & Fantuzzo, 2010).
belasteten – Familien Zugänge zu solchen                         Deshalb unterstützen Angebote der Frühen
zu erleichtern. Frühe Förderung umfasst da-                      Förderung die Eltern darin, ihren Kindern
her Dienstleistungen, Angebote und Struk-                        gute familiäre Entwicklungsbedingungen

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
16   PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG

     zu ermöglichen. Frühe Förderung umfasst                Aufgaben und Anforderungen des Le-
     folglich alle Massnahmen, welche Ressour-              bens in Angriff zu nehmen und Engage-
     cen der Kinder und ihrer Familien stärken.             ment in sie zu investieren.

     Kohärenzsinn und Kohärenzerleben                   Gemessen wird der Kohärenzsinn mit der
     Die Erforschung der Faktoren, welche die           Skala für Lebensqualität (SOC-Scale), wel-
     Entstehung und Aufrechterhaltung von Ge-           che in zahlreichen Sprachen zur Verfügung
     sundheit prägen, ist ein Schwerpunkt der           steht und in den letzten 40 Jahren weltweit
     Salutogenese. Als ein zentraler Prädiktor für      in der Erforschung zahlreicher Themenfel-
     Gesundheit hat sich der Kohärenzsinn (Sen-         der genutzt wurde (Lindström & Eriksson,
     se of coherence, SOC) erwiesen. Diese mess-        2019). Im Bereich der frühen Kindheit wur-
     bare Orientierung befähigt die Individuen,         de sowohl der Kohärenzsinn der Eltern als
     vorhandene Ressourcen zum Erhalt ihrer Ge-         auch der Familien-Kohärenzsinn breit un-
     sundheit und ihres Wohlbefindens wahrzu-           tersucht. Es zeigte sich, dass sich ein starker
     nehmen, sie zu aktivieren und sich gegen           Kohärenzsinn der Mütter nicht nur auf die
     gesundheitliche Stressoren zu schützen             mütterliche Gesundheit auswirkt, sondern
     (Lindström & Eriksson, 2019). Der Kohärenz-        auch auf die kindliche – und dass er mit et-
     sinn ist definiert als ein überdauerndes           lichen Parametern des elterlichen Erzie-
     Grundvertrauen in das Leben und in die ei-         hungsverhaltens zusammenhängt.
     genen Fähigkeiten, das Leben zu bewälti-                Mütter (Studien zu Vätern sind aktuell
     gen. Er umfasst drei interdependente und           nur vereinzelt vorhanden) mit einem star-
     sich überschneidende Dimensionen (Anto­            ken Kohärenzsinn verfügen über eine bes-
     novsky, 1987):                                     sere psychische Gesundheit, haben ein ge-
     1. Die Verstehbarkeit: Damit ist das Ver-          ringeres Risiko für Depressionen, Angststö-
         trauen gemeint, dass Ereignisse und            rungen und weitere psychische Probleme
         Aufgaben des Lebens (und der Erziehung         sowie für eine Reihe von körperlichen Er-
         der eigenen Kinder) grundsätzlich ver-         krankungen (Lindström & Eriksson, 2019).
         stehbar sind, dass die anstehenden Auf-        Es konnte gezeigt werden, dass Frauen mit
         gaben bis zu einem gewissen Grad vor-          einem starken Kohärenzsinn weniger Ge-
         aussehbar sind und dass es gelingt, Er-        burtskomplikationen erleben (Perez-Botella
         eignisse und Herausforderungen kogni-          et al., 2015) und dass eine positive Erfah-
         tiv einzuordnen.                               rung von Schwangerschaft und Geburt –
     2. Die Handhabbarkeit: Diese beinhaltet            unabhängig vom Geburtsmodus – eine
         die Überzeugung, dass Aufgaben und             Funktion eines bestehenden stark positiven
         Herausforderungen des Lebens (und der          Kohärenzsinns ist (Ferguson et al., 2016).
         Kindererziehung) zu meistern sind, dass             Kinder, deren Mütter über einen stark
         die Ressourcen und Kräfte dafür vorhan-        ausgeprägten Kohärenzsinn verfügen, ha-
         den sind und dass bei fehlenden eigenen        ben im Baby- und Kleinkindalter weniger
         Ressourcen Hilfestellungen in der Aus-         psychosomatische Beschwerden (Olsson,
         senwelt gefunden werden können.                2008), sind weniger ängstlich, weniger de-
     3. Die Sinnhaftigkeit: Sinnhaftigkeit oder         pressiv und zeigen weniger internalisieren-
         Bedeutsamkeit bezeichnet ein grund-            des und externalisierendes Problemverhal-
         sätzliches Vertrauen, dass es sich lohnt,      ten (Books, Barth & Kim, 2010; Honkinen et

                                                     Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG                   17

al., 2009; Svavarsdottir, Rayens & McCub-                        ger Vertrauen in ihre Fähigkeiten, Situatio-
bin, 2005). Zudem verfügen sie generell                          nen und Aufgaben zu verstehen und sie
über eine stabilere sozial-emotionale Ge-                        glauben weniger daran, dass sich ein Enga-
sundheit in den ersten Lebensjahren (Al Ya-                      gement für diese Aufgaben lohnt bzw. dass
gon, 2008). Die bisherige Forschung zum                          sie anfallende Aufgaben meistern können
Kohärenzsinn erbrachte zudem positive Zu-                        (Ying, 1999; Lundberg, 1997). Es ist daher
sammenhänge zwischen dem Kohärenzsinn                            bei diesen Familien besonders wichtig, Un-
der Mütter und der lebenslangen psychi-                          terstützung bereitzustellen, welche geeig-
schen und körperlichen Gesundheit von                            net ist, den Kohärenzsinn zu stärken.
Kindern sowie zu deren Gesundheitsverhal-                             Der Kohärenzsinn ist beeinflussbar (Sa-
ten im Jugendalter (Honkinen et al., 2009).                      gy & Antonovsky, 1996): derjenige von Müt-
Eltern und Kinder (sowie Erziehende in Ins-                      tern vor allem im Zeitraum rund um die Ge-
titutionen der Frühen Förderung), welche                         burt eines Kindes (Röhl & Schücking, 2006;
über einen ausgeprägten Kohärenzsinn ver-                        Habroe & Schmidt, 2007). Für die Frühe För-
fügen, sind lebenslang psychisch und kör-                        derung heisst das, dass Angebote den Eltern
perlich gesünder, können besser mit Belas-                       Erfahrungen ermöglichen sollen, die deren
tungen umgehen und bewältigen chroni-                            Kohärenzsinn stärken, indem sie mit Unter-
sche Krankheiten und Behinderungen (auch                         stützung erleben, dass Herausforderungen
die eines eigenen Kindes) besser (z. B.                          bewältigbar sind und dies auch Sinn macht.
Lindström & Eriksson, 2019; Einav, Levi &
Margalit, 2012; Hedov, Annerén & Wikblad,                        Zugang zu Angeboten der Frühen
2002; Pozo Cabanillas, Sarria Sanchez &                          Förderung
Mendez Zaballos, 2006 und andere). Weiter                        Die Studie «AFFiS: Angebote der Frühen För-
konnte gezeigt werden, dass Eltern mit ei-                       derung in Schweizer Städten» (Meier Magis-
nem starken Kohärenzsinn eine bessere                            tretti et al., 2019) untersuchte die Sicht der El-
Selbstwirksamkeitserwartung bezüglich ih-                        tern auf Angebote der Frühen Förderung, auf
rer Erziehungskompetenzen haben, dass sie                        deren Zugänglichkeit, deren Nutzen und de-
sicherere Bindungen zu ihren Kindern auf-                        ren Wirkung auf Familien. Befragt wurden
bauen (Perez-Botella et al., 2015), und dass                     fast 500 Familien aus neun deutschschweize-
die Familienkohäsion stärker ist, wenn die                       rischen Städten und Gemeinden mit Kindern
Mütter oder Eltern über einen starken Kohä-                      im Alter zwischen null und fünf Jahren über
renzsinn verfügen (Einav, Levi & Margalit,                       zwei Jahre hinweg mit ausführlichen persön-
2012). Schliesslich gibt es Hinweise darauf,                     lichen Interviews. Neu an dieser Studie ist,
dass solche Familien präventive Angebote                         dass erstmals die Nutzung von Angeboten im
für ihre Kinder stärker nutzen (Silva-Sani-                      Frühbereich im Zusammenhang mit dem Ko-
gorski et al., 2013), wobei hier nachgewie-                      härenzsinn (gemessen mit der SOC-13-Skala)
sen werden konnte, dass das Nutzungsver-                         untersucht und dass neben Eltern aus der
halten stärker über den Kohärenzsinn als                         breiten Bevölkerung auch die sogenannten
über die soziale Schicht bestimmt wird.                          Risikogruppen breit einbezogen wurden.
      Familien mit tiefem sozioökonomi-
schem Status haben in der Regel einen
schwächer ausgeprägten Kohärenzsinn als
besser gestellte Familien. Sie haben weni-

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
18                                 PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG

     10
                                89% 89%                                                          Familien, welche                 Familien mit
      9                   86%
                                               82%         75%   Breite
      8
                                                                                                 Sozialhilfe                      Migrationshinter­
                                                                 Bevölkerung
                                                                    75%      (TG1)
                                                                                                 empfangen (TG2)                  grund (TG3)
      7                                              64%                   64%
 Schwangerschaftsvorsorge
   6                                                             86 %            57%             89 %                             89 %
  5
 Wochenbetthebamme                                               82 %                            64 %                             82 %
      4                                                                                   35%
 Mütter-Väterberatung                                            75 %                            64 %                             57 %
                                                                                                28% 29%                    28%
      3
 Kita                                                            35 %                            28 %          19%
                                                                                                                     21%          29 %
      2
 Spielgruppe                                                     19 %                            21 %                             288%
                                                                                                                                     %     7%
      1                                                                                                                                         4%
 Hausbesuchsprogramme
   0                                                             8%                              7%                               4%
                              ge

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                                                                                             ta

                                                                                                                    e

                                                                                                                                           e
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                                                                                                                                       m
                                                                                           Ki
                           or

                                                                      tu
                                               am

                                                                                                                                      am
                                                                                                               ru
                         rs

                                                                      ra

                                                                                                             lg
                                            eb

                                                                                                                                  gr
                         vo

                                                                  be

                                                                                                           ie

                                                                                                                                 ro
                      ts

                                            th

                                                                 er

                                                                                                          Sp
                    af

                                                                                                                                 sp
                                          et

                                                                 ät
                    ch

                                                                                                                             ch
                                       nb

                                                            r-V
                 rs

                                                                                                                            su
                                       he

                                                            te
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                                                                                                                           be
                                    oc

                                                           üt
               an

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                                                        M
                                   W
          hw

                                                                                                                     Ha
          Sc

               Breite Bevölkerung (TG1)                                          Familien, welche Sozialhilfe empfangen (TG2)
               Familien mit Migrationshintergrund (TG3)

Abbildung 1: Zugang zu Angeboten der Frühen Förderung

                                   Zugang, Nutzen und Nutzung der Angebote                              ein eher tiefes Ausbildungsniveau und nur
                                   unterscheiden sich denn auch deutlich zwi-                           50 Prozent der befragten Mütter sind be-
                                   schen den drei befragten Testgruppen (TG):                           rufstätig – dies mehrheitlich in prekären
                                   • Eltern aus der breiten Bevölkerung: Sie                            Anstellungsverhältnissen. Subjektiv leiden
                                      sind vorwiegend gut ausgebildet, arbei­ten                        sie am meisten unter finanziellen Proble-
                                      in geregelten Anstellungsverhältnissen                            men, unbefriedigenden Wohnverhältnis-
                                      und haben wenig finanzielle Probleme.                             sen und fehlenden sozialen Netzwerken.
                                      Subjektiv berichten sie über eine hohe Be-
                                      lastung als Eltern junger Kinder durch Zeit-                 Abbildung 1 zeigt, dass ein gleichberechtig-
                                      druck, Müdigkeit und Erschöpfung.                            ter Zugang für alle Familien gegeben ist, so-
                                   • Belastete Eltern mit Migrationshinter-                        lange die Versorgung im medizinischen Sys-
                                      grund: Sie verfügen mehrheitlich über                        tem erfolgt. Schwangerschaftsvorsorge­
                                      keine Berufsausbildung und nur 30 Pro-                       untersuchungen wurden von allen Eltern-
                                      zent der Mütter sind ausser Haus er-                         gruppen gleichermassen genutzt und
                                      werbstätig. Finanzielle Probleme und die                     vorwiegend positiv beurteilt. Die Eltern be-
                                      Sorge, den Kindern nicht das bieten zu                       tonten den Nutzen dieses Angebots. Sie
                                      können, was andere Kinder haben, sind                        schätzten die Informationen, welche sie von
                                      subjektiv die grössten Belastungen.                          Ärztinnen, Ärzten und Hebammen in der
                                   • Eltern in der Sozialhilfe: Sie verfügen über                  Zeit vor der Geburt erhielten, die Sicherheit,

                                                                                                Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
PRÄVENTION IN DER FRÜHEN BILDUNG               19

die sie daraus gewannen und die Vertrau-                         ter-Laager & Meier Magistretti, 2016). Der
ensbeziehungen zu den Fachpersonen, die                          Zugang zu Hausbesuchsangeboten ist noch
dann entstanden, wenn diese eine kontinu-                        nicht gegeben: Weniger als 10 Prozent der
ierliche Begleitung gewährleisten konnten.                       benachteiligten Gruppen in der AFFiS-Be-
Dies ändert sich bereits bei der nachgeburt-                     fragung konnten dieses Angebot nutzen.
lichen Versorgung durch Wochenbettheb-
ammen, die von den Eltern selbst organisiert                     Kohärenz und Frühe Förderung
werden muss: Während Eltern aus der brei-                        Obwohl belasteten Familien mit und ohne
ten Bevölkerung und Eltern mit Migrations-                       Migrationshintergrund kein gleichberech-
hintergrund mit einer Nutzungsquote von je                       tigter Zugang zu allen Angeboten der Frü-
über 80 Prozent einen gleichermassen guten                       hen Förderung möglich ist, hatten in der AF-
Zugang zu diesem Angebot haben, erhalten                         FiS-Studie alle Eltern mindestens ein Ange-
nur etwas weniger als zwei Drittel der Eltern                    bot der Frühen Förderung zumindest zeit-
in der Sozialhilfe eine nachgeburtliche Haus-                    weise genutzt. Alle Eltern wurden zu beiden
betreuung durch eine Hebamme. Das Ange-                          Erhebungszeitpunkten gebeten, den Kohä-
bot der Wochenbetthebamme ist belasteten                         renzsinn-Fragebogen zur Lebensqualität (in
Eltern oft nicht bekannt oder aber sie geben                     der 13-er-Skala) auszufüllen. Die Analyse
an, dass sie wegen eigener gesundheitlicher                      der Veränderung der SOC-Werte zeigte in
Probleme oder solchen ihres Babys dieses                         den Familien der breiten Bevölkerung zum
und andere Angebote (z. B. die Mütter- und                       zweiten Messpunkt leicht niedrigere SOC-
Väterberatung) nach der Geburt des Kindes                        Werte, während er in der Vorschul-Kohorte,
nicht wahrnehmen konnten.                                        d. h. bei Eltern mit Kindern im Alter von 2,5
      Der grosse Einbruch in den Nutzungs-                       bis 4 Jahren beim ersten und 4 bis 6 Jahren
zahlen erfolgt jedoch bei den pädagogi-                          beim zweiten Befragungszeitpunkt stabil
schen und familienpädagogischen Angebo-                          bleibt. Das ist teilweise darauf zurückzufüh-
ten. Nur etwa ein Viertel der Eltern, die So-                    ren, dass der SOC-Wert nach der Geburt üb-
zialhilfe beziehen, haben einen Spielgrup-                       licherweise ansteigt und dann wieder auf
penplatz (22 %) oder einen Platz in einer                        das vorgeburtliche Niveau zurückgeht, teil-
Kita (28 %) für ihr Kind, bei den Eltern mit                     weise aber auch auf die subjektiv vermin-
Migrationshintergrund sind die Nutzungs-                         derte Lebensqualität von Müttern aus die-
zahlen mit jeweils 28 Prozent für Kitas und                      sen Familien nach der Geburt eines Kindes.
für Spielgruppen ähnlich. Der etwas höhere                       Mütter aus Mittel- und Oberschichtsfamili-
Anteil von Kindern mit Migrationshinter-                         en erfahren eine Verminderung der sozialen
grund in Spielgruppen lässt sich auf die                         Unterstützung, wenn sie Mütter von Klein-
stark nachgefragten Angebote der Spiel-                          kindern sind. Sie erleben gewissermassen
gruppen mit integrierter Sprachförderung                         eine «Nivellierung nach unten», indem sie
zurückführen.                                                    als Mütter denselben Belastungen (Zeit-
      Besonders stark profitieren belastete                      und Schlafmangel, Erschöpfung) ausge-
Familien von Hausbesuchsprogrammen, in                           setzt sind wie sozioökonomisch schlechter
denen sie durch ausgebildete Fachpersonen                        gestellte Frauen. Sie sind teilweise auch mit
darin unterstützt werden, gute Entwick-                          demselben Mangel an wichtigen Ressour-
lungsbedingungen für ihr Kind zu schaffen                        cen (z. B. kurzfristig verfügbare Unterstüt-
und adäquat mit ihm zu interagieren (Wal-                        zung für sich und die Kinder) konfrontiert.

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 3 / 2020
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