Sinneswahrnehmung im naturnahen Ökosystem - ABENTEUER NATURREICH Melanie Rebernig - FH Vorarlberg
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Sinneswahrnehmung im naturnahen Ökosystem Masterarbeit eingereicht von Melanie Rebernig durchgeführt an der FH Vorarlberg (www.fhv.at) Master-Studiengang InterMedia betreut von Dr. in Margarita Köhl Dornbirn, im Juli 2021 Das Urheberrecht liegt beim Autor. Die Fachhochschule Vorarlberg hat zeitlich, räumlich und kausal unbeschränktes Werknutzungsrecht für alle Verwertungsformen gemäß § 15 – 18a UrhG.
Kurzreferat: Sinneswahrnehmung im naturnahen Ökosystem Die Ökosysteme dienen uns Menschen bereits seit hunderttausenden von Jahren als Lebensraum und sorgen durch ihre Ressourcen für unser Wohlbefinden und Überleben. Doch heute stehen wir vor gravierenden Umweltproblemen, die durch den Menschen verursacht wurden und die eine große Bedrohung für unseren Planeten darstellen. Die Ursache dafür ist unter anderem die Ent- fremdung des Menschen von der Natur. Immer häufiger kommt es schon während der Kindheit zu einer Entfremdung von den naturnahen Ökosystemen, dabei ist Empathie für die Ökosysteme sowie systemisches Ökologiebewusstsein unumgänglich, um unseren Planeten zu retten. Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit der Forschungsfrage: Wie kann ökologisches Wissen für Kinder so aufbereitet werden, dass ein Lerneffekt eintritt und dabei auch die Empathie für die na- turnahen Ökosysteme gefördert wird? Für die Beantwortung dieser Frage wurden theoretische Erkenntnisse, Best Practice Analysen und Personas herangezogen sowie explorative Experteninterviews durchgeführt. Anhand der Ergebnisse wurde ein Anforderungskatalog und eine Konzeption für eine Anwendung entwickelt, die Familien mit Kindern, in Form von unterschiedlichen digitalen Educational Games mit interaktiven Aufga- ben, naturnahe Ökosysteme näherbringen soll. Als Anwendungsszenario wurde ein Protoyp für das Fohramoos am Bödele erstellt und evaluiert. Die Ergebnisse der Evaluation zeigten sowohl Motiva- tion und Spielspaß, als auch einen Lerneffekt bei den Kindern. Außerdem wurde die Beziehung der Kinder zum Ökosystem positiv beeinflusst. Die digitalen Vermittlungsformate sowie Educational Games sind im Bereich Bildung für nach- haltige Entwicklungen bisher nur sehr wenig erforscht. Deshalb trägt diese Arbeit dazu bei diese Forschungslücke zu schließen.
Abstract: Sensory perception in the semi-natural ecosystem Ecosystems have served us humans as a habitat for hundreds of thousands of years, providing re- sources for our well-being and survival. But today we are facing serious environmental problems caused by humans, which pose a great threat to our planet. The cause of this is, among other things, the alienation of man from nature. More and more often, alienation from nature-based ecosystems already occurs during childhood, yet empathy for ecosystems as well as systemic ecology awareness is inevitable to save our planet. Therefore this thesis deals with the research question: How can ecological knowledge be prepared for children in such a way that a learning effect occurs and empathy for the semi-natural ecosystems is also promoted? To answer this question, theoretical findings, best practice analyses, and personas were used, and exploratory expert interviews were conducted. Based on the results, a catalog of requirements and a concept for an application were developed, which is intended to introduce families with children to semi-natural ecosystems in the form of different digital educational games with interactive tasks. As an application scenario, a prototype for the Fohramoos at Bödele was created and evaluated. The results of the evaluation showed motivation and fun as well as a learning effect for the children. In addition, the children’s relationship to the ecosystem was positively influenced. The digital mediation formats as well as Educational Games have been researched very little in the field of education for sustainable development. Therefore this work contributes to closing this research gap.
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 11 2. Naturverständnis im zeitlichen und kulturellen Kontext 13 3. Begriffsdiskussion Natur vs. Ökosystem 15 4. Der Mensch und die Ökosysteme heute 19 4.1. Anthropozän 19 4.2. Planet Centric Design 20 4.3. Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung 21 4.4. Empathie für die Ökosysteme 22 5. Kinder und Ökosysteme 24 5.1. Wirkung der Ökosysteme auf Kinder 24 5.2. Interessen der Kinder heute 25 6. Lerntheorien 28 6.1. Wahrnehmung 28 6.2. Kognitive Lerntheorien 29 6.3. Konstruktivismus 30 6.4. Embodied Cognition 30 6.5. Klassische Lerntheorien 31 6.6. Sozialkognitive Lerntheorie 33 6.6.1. Automatisches Imitationslernen 33 6.6.2. Soziales Lernen 34 6.7. Motivation 34 6.7.1. Selbstbestimmungstheorie 35 6.7.2. Intrinsische und extrinsische Motivation 35 6.7.3. Erweitertes kognitives Motivationsmodell 36 6.8. Mediendidaktik 36
7. Vermittlungsformate und -methoden 38 7.1. Digital unterstütztes Lernen 38 7.1.1. Handys und Smartphones 38 7.1.2. Digitale Spiele 39 7.2. Gamification 39 7.2.1. Spielertypen 39 7.2.2. Spiel-Design-Elemente 40 7.2.3. Wirkung von Gamification auf die Motivation 41 7.3. Serious Games 41 7.4. Storytelling 42 8. Konzeption einer praktischen Anwendung 44 8.1. Idee 44 8.2. Zielgruppendefinition 44 8.3. Personas 44 8.4. Wettbewerbsanalyse 47 8.5. Best Practice Analysen 47 8.5.1. eSqirrel 47 8.5.2. Die kleine Waldfibel 49 8.5.3. Imagoras – die Rückkehr der Bilder 49 8.5.4. Ein rätselhafter Auftrag 51 8.6. Experteninterviews 53 8.7. Anforderungskatalog 54 8.8. Konzept 55 8.9. Funktionen 56 8.10. Informationsarchitektur mit Sitemap 57 9. Realisierung 58 9.1. Route 58 9.2. Lernziele 59 9.3. Story 59 9.4. Aufgaben und Stationen 60 9.5. Iterativer Design Prozess 60 9.6. Corporate Identity 60 9.6.1. Farben 60 9.6.2. Schriften 61 9.6.3. Logo 61 9.6.4. Charaktere & Icons 62 9.6.5. Bilder 62 9.6.6. Formen 63
9.7. Design 63 9.7.1. Homescreen 63 9.7.2. Avatar 64 9.7.3. Abenteuer 65 9.7.4. Story 65 9.7.5. Aufgaben 68 9.7.6. Geschenk 71 9.7.7. Quartettspiel 72 9.7.8. Weitere Elemente 74 10. Evaluierung und resultierende Optimierungen 75 10.1. Methoden der Datenerhebung 75 10.1.1. Qualitatives Interview mit Kindern 75 10.1.2. Kinderzeichnungen als Instrument der qualitativen Forschung 76 10.1.3. Usability Test mit Thinking- Aloud-Method 76 10.1.4. Ethnografische Methode 76 10.2. Die Probanden 77 10.3. Methoden der Datenauswertung und Ergebnisse 77 10.3.1. Ergebnisse qualitative Inhaltsanalyse 77 10.3.2. Interpretation der Kinderzeichnungen 79 11. Weiterentwicklungsmöglichkeiten 83 12. Diskussion und Ausblick 84 Literaturverzeichnis 87 Eidesstattliche Erklärung 95
Darstellungsverzeichnis Darst. 1: Spiel-Design-Elemente und Motive (Blohm; Leimeister 2013, S. 276) 40 Darst. 2: eSquirrel Lernapplikation (eSquirrel GmbH 2021) 48 Darst. 3: Die kleine Waldfibel (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft 2020) 49 Darst. 4: Imagoras – die Rückkehr der Bilder (Städel Museum 2021) 50 Darst. 5: Ein rätselhafter Auftrag - Lernabenteuer (Institut für Bildungsentwicklung Linz 2017) 52 Darst. 6: Mindmap der Funktionen 56 Darst. 7: Sitemap der Applikation 57 Darst. 8: Route für Prototyp im Fohramoos 58 Darst. 9: Dramaturgie mit 3-Akt-Struktur 59 Darst. 10: Logo „Abenteuer Naturreich“ 61 Darst. 11: Hauptcharakter vom „Rätsel im Moor“ 62 Darst. 12: Homescreen und Kartenansicht 63 Darst. 13: Avatar und Blätter 64 Darst. 14: Abenteuer Überblick 65 Darst. 15: Story „Rätsel im Moor“ 65 Darst. 16: Story „Rätsel im Moor“ 66 Darst. 17: Start „Rätsel im Moor“ 66 Darst. 18: Start „Rätsel im Moor“ 66 Darst. 19: Station 2 67 Darst. 20: Station 3 67 Darst. 21: Station 4 67 Darst. 22: Aufgabenstellung Müll entsorgen 68 Darst. 23: Aufgabe Müll entsorgen 68 Darst. 24: Aufgabenstellung Fühlen und Bestimmen 69 Darst. 25: Aufgabe Fühlen und Bestimmen 69 Darst. 26: Aufgabe Fühlen und Bestimmen 69 Darst. 27: Aufgabe das Moor untersuchen 70 Darst. 28: Aufgabe das Moor untersuchen mit Lupe 70 Darst. 29: Gamification 70 Darst. 30: Hinweis zum Geschenk 71
Darst. 31: Homescreen und Geschenk 71 Darst. 32: Quartett das Moor 72 Darst. 32: Quartett der Moorboden 73 Darst. 33: Rückseite Quartett 73 Darst. 34: Fotos Libelle 74 Darst. 35: Zeichnung vor der Evaluation, Proband 1 80 Darst. 36: Zeichnung nach der Evaluation, Proband 1 80 Darst. 37: Zeichnung vor der Evaluation, Probandin 2 81 Darst. 38: Zeichnung nach der Evaluation, Probandin 2 81 Darst. 39: Zeichnung vor der Evaluation, Proband 3 82 Darst. 40: Zeichnung nach der Evaluation, Proband 3 82
1. Einleitung Bereits 1972 wurden vielen Menschen durch eine Publikation darauf aufmerksam gemacht, dass die Ressourcen unseres Planeten begrenzt sind. Es wurden daraufhin auch einige politische Rahmen- bedingungen geschaffen, jedoch hat sich das zum größten Teil kapitalistische Wirtschaftssystem sehr wenig auf die nicht unbegrenzten Ressourcen eingestellt. Zudem wurden die Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf die Biodiversität und die Ökosysteme der Erde übersehen. Im Jahre 2005 erfolgte dann eine Untersuchung von 1.300 Wissenschaftlern aus 95 Ländern, um Informa- tionen über den Zustand und die Entwicklungen der Ökosysteme zu gewinnen. Das Resultat war besorgniserregend: Etwa 60 % der untersuchten Ökosysteme und der damit verbunden Ökosystem- dienstleistungen befinden sich in einem Zustand fortgeschrittener Zerstörung. (Zaller 2020, S.96) Ein weiteres durch menschliches Handeln verursachtes Problem ist der Klimawandel und seine massiven Effekte auf die globalen Lebensbedingungen. (Schmid; Pröll 2020, S. 2) Aufgrund der be- trächtlichen Auswirkungen des Menschen auf das Klima, spricht man heute vom Anthropozän, dem menschlich geprägten Erdzeitalter. (Crutzen 2002, S. 23) Obwohl bereits bekannt ist, dass es die Treibhausgase sind, die eine entscheidende Rolle bei der Erderwärmung spielen, kommt es kaum zu Handlungen. Dabei kann nicht nur politisches Handeln etwas bewirken sondern auch das Alltags- verhalten jedes einzelnen. (Bauer 2020, S. 80-82) Die Beziehung von Mensch und Natur hat sich im Laufe der Geschichte verändert. Heute leben die Menschen vorwiegend in künstlich geschaffenen Umgebungen, wo versucht wird, letzte naturnahe Ökosysteme zu erhalten und Wildnis hauptsächlich nur noch medial vermittelt wird. (Kleinhückel- kotten; Neitzke 2010, S. 6-8 ) Diese Lebensumstände führen immer mehr zu einer Entfremdung des Menschen von natürlichen und naturnahen Lebensräumen. Die Folge dieser Entfremdung ist eine fehlende Motivation zu ökologischem Handeln und einer ökologischen Lebensweise. (Bauer 2020, S. 12) So kommt es auch immer häufiger bereits in der Kindheit zu einer Entfremdung von natürlichen und naturnahen Umwelten. Dabei spielen naturnahe Umgebungen auch bei der Ent- wicklung der Kinder eine wichtige Rolle. (Gebhard 2013, S. 74) Doch auch das Interesse vonseiten der Kinder für das Thema Natur und Umwelt ist nicht immer vorhanden und nimmt mit zuneh- mendem Alter noch mehr ab. (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2018, S. 5-7) Gerade Kinder sind jedoch noch viel offener und empfänglicher dafür, mit Ökosystemen in Bezie- hung zu treten und Empathie für sie zu entwickeln. (Acar; Torquati 2015, S. 62-70) Zudem ist auch die Bildung ein wesentlicher Faktor, um systemisches Ökologiebewusstsein zu ent- wickeln. An Schulen wird Bildung für nachhaltige Entwicklungen bereits integriert und soll dabei helfen, die Kinder für die Komplexität der Umweltprobleme zu sensibilisieren und zu konkreter Umsetzung beitragen. ( Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2019) In der Forschung der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbildung wurde der Verbreitung und Wirkung der unterschiedlichen Medien bisher kaum Beachtung geschenkt, obwohl einige Kommunikations- formen ein hohes Potenzial für den Bereich Umweltschutz aufweisen. (Lück 2017 S. 202-207) 11
EINLEITUNG Diese Arbeit beschäftigt sich daher mit folgender Forschungsfrage: Wie kann ökologisches Wissen für Kinder so aufbereitet werden, dass ein Lerneffekt eintritt und dabei auch die Empathie für die naturnahen Ökosysteme gefördert wird? Das Ziel dieser Arbeit ist, die Forschungsgebiete ökologische Wissensvermittlung und Empathie für die Ökosysteme zu untersuchen und anhand der sich daraus ergebenden Anforderungen einen Prototypen zu entwickeln, der Familien mit Kindern ökologisches Wissen vermittelt und zugleich die Empathie für die Ökosysteme fördert, um die Kinder und Familien zu ökologischem Handeln zu animieren. Der Prototyp soll dann im Öko-system Moor mit der Zielgruppe evaluiert werden. Der Wissenserwerb im Zusammenhang mit unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen und digita- len Vermittlungsformaten und -methoden sowie das Familienerlebnis zur Förderung der Empathie, stehen hier im Mittelpunkt. Die Arbeit wurde folgendermaßen aufgebaut: Einleitend soll mit dem Kapitel „Naturverständnis im zeitlichen und kulturellen Kontext“ ein Überblick über die Mensch-Natur-Beziehung im Laufe der Geschichte gegeben werden. Nachfolgende sollen die Begriffe Natur und Ökosystem diskutiert werden, um die Begrifflichkeiten für diese Arbeit abzugrenzen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der aktuellen Situation der Ökosysteme und der Rolle des Menschen darin. Im nächsten Kapitel wird die Beziehung der Kinder zu den Ökosystemen und deren Auswirkungen betrachtet. Das Kapitel sieben widmet sich den unterschiedlichen Lerntheorien und nachfolgend werden ausge- wählte Vermittlungsformaten und Methoden zur Steigerung der Motivation beleuchtet. Im Kapitel „Konzeption einer praktischen Anwendung“ erfolgt eine kurze Vorstellung der Idee und die Festle- gung der Zielgruppe. Anschließend werden durch Personas, Best-Practice-Analysen und explorative Experteninterviews die Anforderungen an die Anwendung erweitert und in Form eines Anforde- rungskataloges dargestellt. Nachfolgend wird das Konzept und der Aufbau der Applikation und des Educational Games vorgestellt. Im Kapitel „Realisierung“ wird die Entstehung der Applikation und des Educational Games beschrieben. Die Evaluation stellt die Methoden der Datenerhebung, die Probanden sowie die Datenauswertungen und die Ergebnisse der konkreten Anwendung des Edu- cational Games im Ökosystem Moor dar. Im folge Kapitel werden nun mögliche Weiterentwicklun- gen vorgestellt. Zum Abschluss erfolgt die Diskussion der Forschungsfrage und der Anforderungen sowie ein Ausblick auf mögliche zukünftige Entwicklungen. Diese Arbeit liefert somit einen Beitrag zur Vermittlung von ökologischem Wissen und der Förderung des Entstehens von Empathie für die Ökosysteme im familiären Kontext. 12
2. Naturverständnis im zeitlichen und kulturellen Kontext Das Verhältnis von Mensch und Natur hat sich durch die kulturelle Evolution, der Entwicklung von Technik und Produktionsweisen sowie der Erschließung neuer Lebensräume und den verän- derten Umweltbedingungen, gewandelt. Heute, wo in den Industrieländern fast alle Menschen in künstlich geschaffenen Umgebungen von Städten oder in Gebieten mit intensiv genutzten Land- schaften leben, wo letzte naturnahe Lebensräume unter Anstrengung versucht werden, zu erhalten und Wildnis hauptsächlich medial vermittelt wird, ist es kaum vorstellbar, welche Bedeutung die Naturgegebenheiten einst für die Lebensbedingungen und kulturellen Entwicklungen hatten. Ob- wohl sich die Bedeutung und Vorstellung von Natur besonders in den technisch und wirtschaftlich weit entwickelten Regionen geändert hat, sind heute noch Elemente früherer Ansichten wirksam. Die erste wichtige Etappe für die wesentliche geschichtliche Entwicklung des westlichen Natur- begriffs stellte die griechische Antike dar. Durch die antike Philosophie wurde ein sehr umfassendes Verständnis für die Natur geschaffen: Einerseits ist Natur alles, was ohne das Zutun den Menschen entsteht, einschließlich dem Menschen selbst, andererseits wird Natur als das göttliche Prinzip an- gesehen, welches hinter dieser selbsttätigen Entwicklung steht. (Kleinhückelkotten; Neitzke 2010, S. 6-8 ) Auch im Islam wurde die Vorstellung übernommen, dass die Natur heilig ist, weil sie Gottes Schöpfung ist und der Mensch von Gott das Privileg bekam, alle Geschöpfe auf Erden zu nutzen und die Verantwortung für sie zu sorgen. Die Natur galt zwar in Judentum, Christentum und Islam ursprünglich als heilig, zugleich richten sich diese Religionen aber stark auf das Jenseits aus und die reale Welt mit ihrer Natur wird nur als eine Durchgangstation in eine jenseitige Welt angesehen. In Folge dessen wurde im westlichen Europa während des gesamten Mittelalters der Natur kein Wert zugemessen. Außerdem hielten sich vorchristliche Vorstellungen über die Natur und der in ihr wir- kenden Kräfte. Daher wurde die Natur außerhalb der Siedlungsgebiete als bedrohlich empfunden. (Kaufmann 2004, S. 205-233) In der Neuzeit wurde die Natur dann als Maschine angesehen, die von Gott geschaffen wurde, aber ohne sein Einwirken funktioniert und vom Menschen manipuliert und seinen Wünschen entspre- chend genutzt werden kann.Der Protestantismus, insbesondere der Calvinismus, führte dann noch weiter weg von den Naturvorstellungen der frühen Christen. Nach dieser Lehre werden von Gott ausersehene Menschen, die ewige Seligkeit zu erlangen, schon auf Erden mit weltlichen Gütern be- lohnt. Somit wurde dem Reichtum auch ein spiritueller Wert zugeschrieben, selbst wenn er durch die zerstörerische Ausbeutung der Natur erworben wurde. Der Einfluss des Calvinismus auf Arbeits- und Wirtschaftsethik spielte eine wesentliche Rolle für die industrielle Revolution und den moder- nen Kapitalismus. Denn diese Naturvorstellung diente zur Legitimation der Ausbeutung der Natur und auch “primitiver Völker“, die das Land nicht zur Vermehrung des Wohlstands nutzen. Im Laufe des 19. Jhdt. belebten Germanenforscher der Romantik die Naturvorstellungen, die in der vorchristlichen Zeit entstanden waren. Dichter, Maler und städtische Intellektuelle trugen zu einer Verbreitung der romantischen Naturvorstellung in der Bevölkerung bei. Vor allem im forst- lichen Waldbau wurde versucht die Landschaftsvorstellung, der romantischen Dichter und Maler in die Realität umzusetzen. So wurden die Wälder angereichert mit stattlichen Bäumen, Felsen und 13
NATURVERSTÄNDNIS IM ZEITLICHEN UND KULTURELLEN KONTEXT Bächen. Gärten und kleine Waldstücke wurden den Ölgemälden nachempfunden und mit bemoos- ten Steinen, einer Grotte und einem kleinen Wasserfall gestaltet. (Kleinhückelkotten; Neitzke 2010, S. 6-8 ) Auch das Naturverständnis der Germanen ist heute noch wirksam. Ihr besonderes Verhältnis zum Wald und zu den Bäumen rührte von der (Ehr-)Furcht vor Wäldern und der Vorstellung, dass die Natur, insbesondere der Wald, von Geistwesen beseelt ist. Vor allem aber wurden die Naturvor- stellungen der Bevölkerung durch das Christentum geprägt. Die Auffassung vom Mensch-Natur- Verhältnis des Christentums wurde vom Judentum übernommen, welches den Menschen über alle Tiere stellte, die Natur wurde zwar als heilig angesehen, denn sie ist Gottes Schöpfung, aber nicht als anbetungswürdig erachtet. Der Mensch selbst sah sich als Gottes Verwalter seiner Schöpfung und Bewahrer der von ihm geschaffenen Ordnung. Jedoch wurde das Christentum auch stark vom Naturverhältnis des antiken Griechenlands beeinflusst, das im Widerspruch zum Judentum stand und die Natur als schön und harmonisch wahrnahm und ihr eigene Gesetzmäßigkeiten und eigene Überlebenskraft zuschrieb. (Marten 2001, S. 121-133) Eine Befragung von 5.000 Berg-, Textil- und Metallarbeitern von 1912 zeigte, dass zum damaligen Naturbewusstsein eine moralische Dimension dazugehörte. Die Befragten sprachen der Natur und dem Zusammenspiel der unterschiedlichen Lebensformen eine höhere Moral zu, als den Sozialbe- ziehungen in der Gesellschaft. Außerdem projizierten sie ihre Wünsche und Vorstellungen für eine glückliche Zukunft auf die Natur, denn mit der Zivilisation ging aus ihrer Sicht, Harmonie und ästhetische Ordnung, Einsamkeit und Stille verloren. (Kleinhückelkotten; Neitzke 2010, S. 9 ) In den 1990ern waren die ultilitaristische oder hedonistische Haltung zur Natur am weitesten verbreitet. Einerseits wurde sie als zu bewirtschaftender Ressourcenpool angesehen andererseits als Erholungsraum und Spielplatz für die Freizeit. Auch die Ästhetisierung und Idyllisierung der Natur sowie die Bedrohung der Natur durch den industriellen Fortschritt spielten bei der Bevölkerung eine wichtige Rolle. (Huber 2011, S. 25) Der Volkskundler Albrecht Lehmann konnte durch eine qualitative Untersuchung feststellen, dass auch heute noch das romantische Bild von Natur das Naturverständnis der Bevölkerung bestimmt. (Lehmann 2001, S. 1-11) Heute ist Natur für viele Menschen ein Ort für die immer dezidierteren Freizeitansprüche. Der Wald hat sich zum Traum vom Urwald zwischen Autobahn, Erholung und „Outdoor Adventure“ entwickelt. Diese Bilder stimmen aber nicht mit der Realität überein und es sind Vorstellungen, die nicht zu einem vernünftigen und von Verständnis geprägtem Umgang mit der Natur beitragen. (Bolay; Reichle 2007, S. 16) Eine empirische Untersuchung in Deutschland zum „Natur“ Begriff zeigte, dass in Deutschland mit „Natur“ vorwiegend nichtmenschliche Natur assoziiert wird und die Naturassoziationen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung meist Aspekte einer idyllischen Landschaft aufweisen. Etwa die Hälfte der Befragten beschrieben heimatliche land- schaftliche Szenen.. (Kleinhückelkotten; Neitzke 2010, S. 22 ) Der Naturbegriff sowie das mensch- liche Verhältnis zur Natur sind keine Konstanten, sondern werden stark von der jeweiligen Kultur beeinflusst. (Gebhard 2013, S .40 ff) Wie sich zeigt, haben sich im Laufe der Geschichte viele unterschiedliche Vorstellungen der Natur entwickelt und sich das Verhältnis von Menschen und Natur verändert. Auch heute sind immer noch unterschiedliche Vorstellungen verbreitet. 14
3. Begriffsdiskussion Natur vs. Ökosystem Der Naturbegriff ist durch seine Vielfalt gekennzeichnet und teilweise mit unrealistischen Hoff- nungen und Interessen verknüpft, in historischer sowie kultureller Hinsicht. Auch die Unbestimmt- heit des Begriffs „Natur“ sollte nicht vernachlässigt werden. (Gebhard 2013, S. 40) Daher sollen zunächst die Begriffe Natur, Ökologie, Umwelt und Ökosystem in den Blick genommen und für die hier vorliegende Arbeit diskutiert werden. Laut Huber ist der Begriff Natur heute am weitesten verbreitet und wird umgangssprachlich mit den Begriffen Umwelt und Ökologie gleichgesetzt, obwohl sie unterschiedliche Bedeutungen aufweisen.(Huber 2011, S. 25) Dem Naturbegriff wird eine vielseitige Bedeutung zugeschrieben, der mit unterschiedlichen Eigenschaften behaftet ist. Natur kann als Ursprung des Lebens und Wachstums, als unendliche Weite, als etwas Schönes und Starkes sowie als Gefahr und Bedrohung kommuniziert werden. (Reusswig 2002, S. 156) Laut Kleinhückelkotten und Neitzke ist der Be- griff „Natur“ unbestimmt, weil das Natur-verständnis mindestens vier Dimensionen aufweist: Eine materielle Dimension, wie Landschaften, Tiere, Pflanzen, Phänomene usw., und auch die Ressour- cen natürlichen Ursprungs. Weiters, die ästhetische Dimension, sie beinhaltet Anblicke und Dar- stellungen von Landschaften und Landschaftselementen, Geräusche und Gerüche, die als natürlich (schön) empfunden werden. Dann gibt es noch die emotionale Dimension, die Natur als Erfüllung der Sehnsucht nach Glück und Geborgenheit, als Inbegriff von Harmonie und Vollkommenheit darstellt. Und zu Letzt die spirituelle Dimension, sie sieht Natur als die ursprüngliche, göttliche Ordnung. (Kleinhückelkotten; Neitzke 2010, S. 39) Häufig wird mit dem Begriff „Natur“ die Welt der Pflanzen „die grüne Natur“ in Verbindung ge- bracht. Der Begriff „grüne Natur“ wird als Synonym für die Pflanzenwelt verwendet. (Kistemann et al., 2010, S. 61- 65) Flade bezeichnet den Begriff “Natur“ als allumfassend, denn sie reicht von der Mikro- bis hin zur Makroebene. Die Mikroebene kann z.B. eine zierliche Pflanze sein während die Makroebene ein gesamtes Ökosystem umfasst. In der Natur gibt es keinen Stillstand, sie befindet sich in einem ständigen Wandel. (Flade 2018, S. 8) Hartig verwendet den Begriff “Natur” für physikalische Merkmale und Prozesse der nicht-mensch- lichen Abstammung, die Menschen normalerweise wahrnehmen können, einschließlich der “le- benden Natur” von Flora und Fauna, zusammen mit stillem und fließendem Wasser, Luft- und Wetterqualitäten und den Landschaften, die diese umfassen und den Einfluss geologischer Prozesse zeigen. Als solches überschneidet sich “Natur” im Wesentlichen mit “natürlicher Umgebung”, einer Umgebung mit wenigen oder keinen offensichtlichen Hinweisen auf menschliche Anwesenheit oder Eingriffe und die beiden Begriffe wurden austauschbar verwendet. In der Praxis wird jedoch in vielen Forschungsarbeiten der Ausschluss des Künstlichen für die Definition der Natur oder der natürlichen Umwelt nicht akzeptiert. (Hartig et al., 2014, S. 208) Böhme sieht jede begriffliche Trennung von Mensch und Natur als Unterschlagung, dass der Mensch auch Natur ist. Dies ermöglicht die Natur zum Gegenstand objektivierender naturwissen- schaftlicher Forschung zu machen, auch den Menschen als Naturwesen selbst. Deshalb können die Naturwissenschaften nicht objektiv definieren, was die Natur ist, denn der Mensch ist auch Teil der Natur, was durch seine Körperlichkeit klar wird. (Böhme 1992, S. 35) 15
BEGRIFFSDISKUSSION NATUR VS. ÖKOSYSTEM Der Naturbegriff ist ein heikler Begriff aus der Geistesgeschichte. In der modernen Gesellschaft gibt es kaum noch Rationalisierungen, die sich nicht mit Naturgesetzlichkeit oder Natürlichkeit begrün- den lassen. Die Veränderung der unberührten Natur durch den Menschen bis hin zu Kulturartefak- ten verläuft stufenweise. Unbestritten findet aber ein umfangreicher Wandel durch den Menschen statt. Die Folge von Kolonisierung und Überformung sind ein Verschwinden der unberührten Natur auf der Erde. (Huber 2011, S. 25 )Natur und Kultur sind heute eng miteinander verbun- den. Die Menschen machen sich die Natur zu eigen und nutzen ihre Ressourcen. Sie verändern die Meeresküsten und die Flüsse oder lassen große Nationalparks entstehen, wobei durchaus ein natür- licher Eindruck entsteht. (Flade 2018, S. 12) Der Mensch kann zwar die Stadt hinter sich lassen und durch den Wald und die Felder ziehen, jedoch sind Wald und Feld keine authentische Natur mehr. Es handelt sich längst um eine angeeignete Natur mit Wegweisern, Lehrpfaden und Wander- wegen, es sind touristisch vermarktete Nationalparks und Naturschutzgebiete. Es gibt bereits ein ausgedehntes System an Nationalparks, die mit ihrer Authentizität der Naturlandschaft beworben werden, obwohl es sich um eine umgewandelte Natur für Wandertouristen handelt.(Reis 2012, S. 305-324) Heute sind in der Lebenswelt des Menschen ausschließlich Mischungen von Natur und kultureller Umwelt zu finden, daher ist eine Differenzierung schwierig. Martens und Bauer haben ein Konzept entwickelt um unterschiedliche Überschneidungen von natürlicher und kultureller Umwelt zu be- stimmen. Dazu unterscheiden sie verschiedene Zwischenstufen die von „natürlich“ bis „künstlich“ reichen. “Natürlich“ beinhaltet dabei alle vom Menschen unberührte Umwelten, die auch nicht durch den Menschen verändert wurden. Sie beschreiben eine zeitweilig landwirtschaftlich genutzte Fläche als „naturnah“, hingegen eine Intensivnutzung von landwirtschaftlichem Gebiet als „natur- fern“. Barocke Gartenanlagen sowie flächenhafte Monokulturen bezeichnen sie als „naturfremd“ und größere Veränderungen der Landschaft wie etwa beim Straßen-und Siedlungsbau als „künst- lich“. Laut Martens und Bauer kommt es, sobald der Mensch die unberührte Umwelt betritt und beginnt sie zu erforschen und nutzen, zu einer Verschiebung von “natürlich“ zu „naturnah“. (Mar- tens; Bauer 2014, S. 275-295) Im Gegensatz zu dem weltanschaulich belastetem Naturbegriff, war Ökologie ursprünglich eine Fachrichtung der Biologie im 19. Jahrhundert. Die Ökologie wurde als die Gesamtheit der Wissen- schaften von den Beziehungen des Organismus zu seinem Lebensraum, seinen materiellen Exis- tenzbedingungen und den Wechselbeziehungen aller Organismen bezeichnet. Hierbei werden die gesamten Beziehungen thematisiert nicht nur die friedlichen sondern auch die feindlichen. Ebenso ihre existenziellen Konkurrenzkämpfe um verfügbare Ressourcen und den Lebensraum. Durch die Ökologie wird deutlich, dass die Vorstellung von der Natur als das verlorene Paradies auf Erden de- finitiv nicht existiert, sondern lediglich ein von romantisch beeinflussten Sozialphilosophen und Li- teraten geprägtes Kulturartefakt darstellt. (Huber 2011, S. 25-26) Auch der Ökologe Eugen Odum definiert Ökologie als eine Wissenschaft, die sich mit den Beziehungen von Organismen oder Grup- pen von Organismen zu ihrer Umwelt beschäftigt. Sie hat es sich also zur Aufgabe gemacht, sich mit den Beziehungen in komplexen Systemen zu befassen. (Odum 1971, S .3) Heute wird zwischen der Humanökologie und der Tier- und Pflanzenökologie unterschieden. Sowie zwischen der Sozialökologie und der Naturökologie. Die zunehmenden sozialstrukturellen, sozialpsychologischen und ethischen Aspekte in der Erforschung des Verhältnisses von Gesellschaft und Umwelt, haben zu einer Verallgemeinerung des Ökologiebegriffs geführt. Ökologie wurde dahin gehend verallgemeinert, dass der Ansatz sich mit dem gesamte Verhältnis einer Gesellschaft zu 16
BEGRIFFSDISKUSSION NATUR VS. ÖKOSYSTEM ihrer natürlichen Umwelt befasst. Der Begriff Umwelt bezieht sich im ökologischen Rahmen nicht auf irgendeine Umwelt, sondern auf die geo- und biosphärische Umwelt ausgewählter Populationen. Eine Umwelt besteht im Grunde genommen nicht einfach so, sondern für interagierende Lebensformen. (Huber 2011, S. 25 -26) Hallpach, der Umweltpsychologe, definierte 1924 als Erster den Begriff „natürliche Umwelt“. Er bezeichnete die „natürliche Umwelt“ als einen Teil der Umwelt, der unabhängig vom Menschen existiert, kein Produkt menschlicher Aktivität ist oder durch den Menschen beeinflusst wurde. Die natürliche Umwelt beinhaltet anorganische Materie wie Boden, Wasser, Wetter, Klima, Luft, Son- nenlicht, Atmosphäre Wärme, Temperatur, Strömungen, chemische Stoffe, kosmische Einflüsse usw. sowie organische Materie wie Pflanzen, Tiere und der Mensch. (Flade 2018, S. 6; zit. nach Hellpach 1924, S. 109-112) Der Begriff Umwelt wird heute allgemein wie folgt definiert: Die Gesamtheit aller Prozesse und Räume, in denen die wechselseitigen Beziehungen aufeinander einwirken. Es wird grundsätzlich zwischen „natürlicher“ Umwelt und „künstlicher“ Umwelt unterschieden. (Hellbrück; Kals 2012, S. 14) Die „natürliche Umwelt“ wird laut Prof. Dr. Edeltraud Günther als komplexes System mit den Elementen (Subsystemen) Lebewesen, irdische Atmosphäre (Luft), Hydrosphäre (Gewässer), Lithosphäre (Boden einschließlich Bodenschätze) und den zwischen diesen bestehenden Beziehungen definiert. Sie kann als Ökosystem, der Menge vielfältiger funktioneller Einheiten aus Organismen und unbelebter Umgebung, aufgefasst werden. Die einzige Grundlage für die Existenz des Systems ist die Sonnenenergie von außerhalb. (Günter 2018) Ökosysteme sind Netze von Beziehungen zwischen Pflanzen, Tieren und anderen Lebewesen unter- einander und zwischen diesen Organismen und ihrer anorganischen Umgebung. Sie können als kooperative Verbände angesehen werden, da sie die Zusammenhänge zwischen voneinander ab- hängigen Komponenten darstellen. (van del Wal 2017, S. 173-174) Ökologische Systeme bestehen aus belebten (biotischen) und unbelebten (abiotischen) Komponenten. Diese Komponenten sind über Ökosystemprozesse miteinander verbunden. Zu den unbelebten Komponenten zählen z.B. das Gestein, der Mineralboden sowie die Luft und das Klima mit seinen Temperatur-, Luftfeuchtigkeits- und Niederschlagsbedingungen. Belebte Komponenten sind Organismen wie Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen, die in Wechselbeziehung zu ihrer Umwelt stehen und sich dabei negativ oder positiv beeinflussen können.(Smith; Smith 2009, S. 7) Abhängig von den sich daraus ergebenden Lebensbedingungen entstehen unterschiedliche Ökosysteme wie z.B. ein Wald, eine Wiese, ein Ge- wässer oder ein Moor. (Stiftung Unternehmen Wald 2021) Es wird auch hier grundsätzlich zwi- schen natürlichen und menschlich geprägten Ökosystemen unterschieden. Natürliche Ökosysteme sind z.B. der tropische Regenwald, boreale Wälder, Hochgebirge und Wüsten. Menschlich geprägte sind Agroökosysteme und das Ökosystem Stadt. Es treten aber global starke Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Ökosystemen auf, daher sind alle Ökosysteme der Biosphäre mehr oder weniger menschlich beeinflusst. (Zaller 2020, S. 95) Ökosysteme, die vom Menschen beeinflusst, in ihrer Struktur aber natürlichen Ökosystemen sehr ähnlich sind, werden als naturnahe Ökosysteme bezeichnet. Viele der heute als natürlich bezeichneten Ökosystem sind korrekterweise als natur- nahe zu bezeichnen. (Spektrum Akademischer Verlag 1999) Naturnahe Ökosysteme sind z.B. auch wiederaufgeforstete Flächen, sie umfassen künstlich geschaffene aber renaturierte Lebensräume, die sich unter ökologischen Prozessen weitgehend auf natürliche Weise entwickeln und einheimischen Pflanzen und Tierarten einen Lebensraum bieten. Die Grenze zwischen naturnah und nicht mehr naturnah verläuft kontinuierlich und wird durch die Intensität der Bewirtschaftung bestimmt. (Ribeiro et al., 2012) Charakteristisch für ein intaktes Ökosystem sind die ausgewogenen Kreisläufe von Wasser, Kohlenstoff und Nährstoffen. Einerseits sind klimatische Faktoren im Wesentlichsten 17
BEGRIFFSDISKUSSION NATUR VS. ÖKOSYSTEM verantwortlich für das Funktionieren der Ökosysteme, andererseits beeinflusst das Ökosystem den Wasser- und Kohlenstoffkreislauf und ist dadurch ein wichtiger Bestandteil des regionalen und globalen Klimasystems. (Zaller 2020, S. 96 ) Betrachten wir als Beispiel das Ökosystem Wald. Wälder sind in vielfältiger Hinsicht von unschätz- barem Wert für den Menschen. Sie sind hochkomplexe, sich selbst regulierende ökologische Sys- teme, die nicht nur einer Vielfalt von Tieren und Pflanzen eine Lebensgrundlage bieten, sondern auch dem Menschen. Außerdem stellt der Wald einen Schutz der natürlichen Lebensgrundlage dar, indem er Wasser speichert und filtert, fruchtbare Böden erhält sowie zum Ausgleich des Klimas beiträgt. Er senkt den Kohlendioxidspiegel und ist einer der wichtigsten Sauerstoffproduzenten. Zu- dem liefert er Produkte wie Trinkwasser, Medizinpflanzen, Früchte, Farbstoffe und den natürlichen Rohstoff Holz. Nicht zu vergessen, seinen Wert für den Menschen als Erholungsgebiet. (Altwegg; Meier 2008, S. 13) Mittels menschlicher Aktivitäten werden Ökosysteme direkt oder indirekt be- einflusst. Eine direkte Beeinflussung erfolgt durch Landwirtschaft, Berg-, Siedlungs- und Straßen- bau, während die indirekte Einflussnahme durch Treibhausgase, Kontamination mit Chemikalien, Plastik, Nanopartikel, Lichtverschmutzung, Lärmverschmutzung und der Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen stattfindet. (Zaller 2020, S. 96 ) Zusammenfassend konnte sich bis heute keine allgemein gültige Definition des Natur-begriffes durchsetzen. Jedoch sind sich die Autoren einig, dass es zunehmend zu einer Vermischung von Natur und künstlicher Umwelt kommt und die Folge ein Verschwinden der unberührten Natur auf Erden ist. Die Ökologie beschäftigt sich mit den Beziehungen von Organismen oder Gruppen von Organismen zu ihrer Umwelt. Sie hat es sich also zur Aufgabe gemacht, sich mit den Beziehungen in komplexen Systemen zu befassen. Ökologie wurde dahin gehend verallgemeinert, dass der An- satz sich auf das gesamte Verhältnis einer Gesellschaft zu ihrer natürlichen Umwelt bezieht. In der Ökologie wird der Begriff „natürliche Umwelt“ als das komplexe System mit den Elementen (Sub- systemen) Lebewesen, irdische Atmosphäre (Luft), Hydrosphäre (Gewässer), Lithosphäre (Boden einschließlich Bodenschätze) und den zwischen diesen bestehenden Beziehungen bezeichnet. Sie wird somit als Ökosystem, der Menge vielfältiger funktioneller Einheiten aus Organismen und un- belebter Umgebung, aufgefasst. Ökosysteme bestehen aus einem anorganischen Lebensraum und den darin lebenden Organismen wie Pflanzen, Tieren und anderen Lebewesen. Es wird zwar grund- sätzlich zwischen natürlichen und von menschengeprägten Ökosystemen unterschieden jedoch sind inzwischen alle Ökosysteme in der Biosphäre vom Menschen beeinflusst. Daher sind viele der heute als natürlich bezeichneten Ökosystem lediglich naturnahe. Der Mensch kann die Ökosysteme direkt oder indirekt beeinflussen. 18
4. Der Mensch und die Ökosysteme heute Die Ökosysteme dienen dem Menschen nicht nur als Lebensraum, sondern sorgen auch durch sogenannte Ökosystemdienstleistungen für sein Wohlbefinden und Überleben. Zu diesen Dienst- leistungen gehören die Basisdienstleistungen wie zum Beispiel die Bodenbildung und Stoffkreis- läufe, dann die regulierenden Dienstleistungen, wie zum Beispiel das Bestäuben durch Insekten und die Abfallbeseitigung durch Zersetzung. Hinzu kommen noch die kulturellen Dienstleistungen wie etwa die Erholung und der Tourismus und die Versorgungsdienstleistungen wie saubere Luft, Trink- wasser, Nahrung und Holz. Jedoch führen die zunehmenden Beeinträchtigungen und Zerstörung der Ökosysteme durch den Menschen zu einem Schwinden dieser selbstverständlichen Dienstleis- tungen. (Pflanzenforschung.de o. J.) Bereits seit Anfang des 21. Jahrhunderts steht die Menschheit vor großen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, um ein friedliches und wür- diges Zusammenleben innerhalb der physischen Grenzen der Erde zu sichern. (Rockström et al., 2009, S. 1-2) Eine der gravierendsten Problematiken ist der menschlich verursachte Klimawandel. Seine Auswirkungen führen zu Veränderungen der Lebens-bedingungen aller Lebewesen, besonders aber die Länder im globalen Süden sind betroffen. Ein Anstieg des Meeresspiegels oder häufige Extremwetterereignisse sind die Folge. Schon über die letzten Jahrhunderte hat der Mensch durch sein Handeln den Energiehaushalt der Erde beeinflusst. Insbesondere die Veränderung der Albedo durch Landnutzung sowie Emissionen durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe tragen wesentlich dazu bei. Ein Bericht vom Weltklimarat fasst die wichtigsten Fakten vom Einfluss des Menschen auf das Klima zusammen. Er zeigt deutlich den Zusammenhang zwischen den Veränderungen im Klima sowie der Emission und Konzentration von Treibhausgasen auf. Zudem ist der Beitrag des Menschen in Bezug auf die historischen Veränderungen zu erkennen. Seit Beginn der Industriellen Revolution im 18. Jahrhundert wird das Klimageschehen massiv durch menschliche Aktivitäten be- einflusst. (IPCC 2016, S. 2-12)Darüber hinaus konnte ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weltweiter Temperaturanstieg festgestellt werden. Es liegt heute eine Fülle an wissenschaftlichen Beweisen vor, dass die Menschen für die globale Erwärmung mitverantwortlich sind. Die Gletscher- schmelze, das Ansteigen des Meeresspiegels und die zunehmenden extremen Wetterereignisse sind nur ein paar Auswirkung davon. (Cruze et al., 2011, S. 19) 4.1. Anthropozän Anlässlich der erheblichen Auswirkungen der menschlichen Aktivitäten auf das Klima spricht man heute bereits vom Anthropozän, dem Erdzeitalter, das von menschlichen Aktivitäten geprägt wird. (Crutzen 2002, S. 23) Die Auswirkungen des Menschen auf die globale Umwelt haben vor allem in den letzten drei Jahrhunderten zugenommen. Analysen zeigen, dass das Antropozän in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts begonnen hat. Dies fällt mit dem Entwurf der Dampfma- schine im Jahr 1784 zusammen. Bereits 1873 wurde der wachsende Einfluss des Menschen auf die Umwelt erkannt. Trotzdem haben sich der rasche Anstieg der Weltbevölkerung und die Ausbeutung der Ressourcen der Erde rasant fortgesetzt. (Crutzen 2002, S. 23) So stellt der Verbrauch und die Verschmutzung von natürlichen Ressourcen wie Boden, Wasser und Luft auch heute immer noch eine große Herausforderung für die Menschheit dar. (World Economic Forum 2019) Hinzu kommt der Anstieg von Methan durch die Massentierhaltung, vor allem von Rindern. Etwa die Hälfte der 19
DER MENSCH UND DIE ÖKOSYSTEME HEUTE /ANTHROPOZÄN / PLANET CENTRIC DESIGN Landesoberfläche des Planten wird von den Menschen ausgebeutet. Die tropischen Regenwälder werden gerodet, dadurch setzt sich Kohlendioxid frei und es kommt zu einer verstärkten Artenaus- löschung. (Crutzen 2002, S. 23) Auch andere Ökosysteme werden beeinträchtigt, Lebensräume für Pflanzen und Tiere verschwinden sowie die Biodiversität und genetische Vielfalt wird minimiert. (Barker; Tingey 1992, S.4) Flussumleitungen und Dammbau gehören zum Alltag und etwa die Hälfte des verfügbaren Süßwassers wird von den Menschen genutzt. Im 20. Jahrhundert hat sich der Energieverbrauch vervierfacht und verursacht etwa 160 Millionen Tonnen Schwefeldioxidemis- sionen pro Jahr in der Atmosphäre. Die Landwirtschaft verwendet mehr Stickstoffdünger als er in den gesamten Ökosystemen der Welt in natürlicher Form vorkommt. Die Hauptursache für den Anstieg der Konzentration der Treibhausgase sind die Verbrennung fossiler Brennstoffe sowie die Landwirtschaft. (Crutzen 2002, S. 23) Im Zeitalter des Anthropozän stellt sich nun also die Frage, was die nicht verhandelbaren Voraus- setzungen für unseren Planeten sind, um das Risiko gefährlicher oder sogar katastrophaler Umwelt- veränderungen zu vermeiden? Der exponentielle Anstieg der menschlichen Aktivitäten setzt das Erdsystem immer weiterem Druck aus. Das Überschreiten einer oder mehrerer Planetengrenzen kann zu irreversiblen Umweltveränderungen und katastrophalen Auswirkungen auf das Wohlbefin- den und die Gesundheit des Menschen führen. Die Menschheit muss sich daher aktiv dafür ein- setzen, dass alle Grenzen des Planeten Erde nicht überschritten werden, um das Risiko langfristiger, sozialer und ökologische Schädigungen zu vermeiden. ( Rockström et al. 2009, S. 20-21)Experten haben nun die Aufgabe, die Gesellschaft in der Zeit des Anthropozäns hin zu einem umweltverträg- lichen Management zu führen, um das Klima zu optimieren. (Crutzen 2002, S.23) 4.2. Planet Centric Design Die Folgen des menschlichen Handelns für Ökosysteme und den Menschen selbst, führen zu immer lauteren Forderungen der Gesellschaft nach einer Transformation hin zu nachhaltigen Lösungen, die soziale und ökonomische Ungleichheiten reduzieren und damit auch die Lebensgrundlage künftiger Generationen sichern. (Hallegatte 2009, S. 240-247) Auch unter den Gestalter*innen sind inzwischen manche der Meinung, benutzerzentriertes Design hat die Welt in die falsche Richtung gelenkt und ein Wandel hin zu „Planet Centric Design“ wäre nötig. (Dimai, Casaca Lemos 2020)Der Designer Anton Schubert ist der Ansicht, dass es für die Designer*innen, als Schöpfer der Zukunft an der Zeit ist, mehr Verantwortung zu übernehmen. Jede Designentscheidung sollte dahingehen hinterfragt werden, wie sie sich auf die Gesundheit und Wohlbefinden des Planeten auswirket. (Schubert 2018) Planet Centric Design ist eine Methode, um Produkte und Dienstleistungen zu entwerfen, die dem Planeten keinen Schaden zufügen. Sie stellt die Gestalter*innen damit vor eine große Herausforderung, denn das Ökosystem Erde ist sehr komplex. Um die Komplexität des Systems zu verstehen, müssen die voneinander anhängigen Details und die beteiligten Akteure erfasst werden. Mit den richtigen Werkzeugen ist es jedoch möglich, Umwelt, Gesellschaft und Technologie so zu integrieren, dass der Ressourcenverbrauch und die Emissionen reduziert werden und gleichzeitig ein nachhaltiger Lebensstil möglich wird. (Andrew 2019) Die Bezeichnung „planet centric“ lässt sich darauf zurückführen, dass es unseren Planeten und die von ihm abhängigen Gemeinschaften in den Mittelpunkt des Entwurfsprozesses stellt. Dazu werden Entscheidungen über den einzelnen Benutzer hinaus getroffen, um umfassen- 20
DER MENSCH UND DIE ÖKOSYSTEME HEUTE / PLANET CENTRIC DESIGN / NACHHALTIGKEIT dere Verbesserungen für den Planeten zu erzielen. Design konzentrierte sich bisher vorwiegend auf Innovationen, die das Leben schneller, reibungsloser und effizienter machen, die die individuellen Bedürfnisse befriedigen. Doch um den heutigen Herausforderungen der Welt gerecht zu werden, muss die Nachhaltigkeit bei der Gestaltung und Produktion von Dingen priorisiert werden. (Dimai, Casaca Lemos 2020) 4.3. Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung Der Begriff „Nachhaltigkeit“ hat sich in den letzten Jahren zwar stark entwickelt, dennoch gibt es in der Wissenschaft noch keine Einigung auf eine allgemeingültige Definition. Die ursprüngliche Idee der Nachhaltigkeit wurde erstmals in der Waldwirtschaft aufgegriffen und sollte für eine Balance zwischen Abholzung und natürlicher Regeneration des Waldes sorgen. Dieser Ansatz ermöglichte eine langfristige Erhaltung eines natürlichen Systems mit seinen wesentlichen Eigenschaften und legte somit den Grundstein von nachhaltigem Denken und Handeln. Inzwischen ist das Nach- haltigkeitsprinzip auch ein Leitbild für ökologisches, wirtschaftliches und politisches Handeln. Die derzeit am häufigsten gebrauchte und anerkannteste Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs stammt aus dem Bericht „Our Common Future“ von Gro Hatlem Brundtland: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die gewährleistet, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, als Gegenwärtige. (Aachener Stiftung Kathy Beys, 2015) Was so viel bedeutet wie: Nachhaltigkeit ist eine dauerhafte Erfüllung der Grundbedürfnisse der gesamten Menschheit unter der Berücksichtigung der Kapazität der natürlichen Umwelt sowie der Einhaltung von Umwelt und Naturschutz, Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum. (Pufe 2017, S. 42-44) Im Jahre 1992 wurde der Bildung von der Vereinten Nation für Umwelt eine bedeutende Rolle für die Verwirklichung von nachhaltigen Entwicklungen zugeschrieben. Etwa zehn Jahre später wur- den die Regierungen aufgefordert, die Prinzipien der Nachhaltigkeit in ihre Bildungsstrategien zu integrieren. Daher wurde der Zeitraum von 2005 bis 2014 zur Dekade der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) ernannt und die UNESCO zur wegweisenden Organisation erkoren. Nach Ablauf dieser Dekade startete die UNESCO das Weltaktionsprogramm für Bildung für nachhalti- ge Entwicklungen, das den Zeitraum 2015- 2019 umfasste. Dabei wurden die Prioritäten nun auf eine Ausweitung der Maßnahmen vor Ort gelegt, um auf die Bemühungen der Bewusstseinsbil- dung aufzubauen. Die Um-setzung fokussierte sich auf die politische Unterstützung, ganzheitliche Transformation von Lern- und Lehrumgebungen, Kompetenzentwicklung bei Lehrenden, Stärkung und Mobilisierung der Jugend sowie Förderung nachhaltiger Entwicklung auf lokaler Ebene. Nach Ende dieser Laufzeit 2019 wurde ein Folgeprogramm bis 2030 erarbeitet. Das Ziel des BNE 2030 ist es, eine gerechtere und nachhaltigere Welt zu schaffen, indem die Bildung für nachhaltige Ent- wicklungen gestärkt wird und zur Verwirklichung der globalen Nachhaltigkeitszielen beiträgt. Diese Ziele beinhalten unter anderem die Themen: Klimawandel, Maßnahmen zum Klimaschutz, Leben unter Wasser, Leben an Land (biologische Vielfalt) sowie bezahlbare und saubere Energie, nach- haltige Städte und Gemeinden, nachhaltige/r Konsum und Produktion und hochwertige Bildung. Es konnte bereits bestätigt werden, dass sich die Bildung für nachhaltige Entwicklungen bewährt hat, jedoch noch weitere Unterstützung nötig ist. Aktivitäten, die Lernende jeden Alters über die 21
DER MENSCH UND DIE ÖKOSYSTEME HEUTE / NACHHALTIGKEIT / EMPATHIE globalen Nachhaltigkeitsziele und deren Verwirklichung in ihrem Leben als Einzelner oder als Gruppe informieren, sind besonders effektiv. Der Bedarf, um Lernende jeden Alters und die allge- meine Öffentlichkeit zu erreichen und zu sensibilisieren, ist jedoch noch groß.Im Bereich Lern- und Lehrumgebung wird daher die Aufmerksamkeit darauf gelegt, den ganzheitlichen BNE- Ansatz zu fördern und die Zusammenarbeit von Schulen sowie anderen Bildungseinrichtungen zu verstärken. Außerdem sollen die Kapazitäten von Lehrenden ausgebaut werden, um die Selbstwirksamkeit von Lernenden zu steigern. (UNESCO 2019) Auch in Österreich soll die Bildung für nachhaltige Entwicklung helfen, ein friedliches und solida- risches Zusammenleben in einer lebenswerten Umwelt den heutigen und zukünftigen Generationen zu ermöglichen. Dabei sollen Menschen jeden Alters, Geschlechts und jeder Kultur unterstützt werden, alternative Visionen einer nachhaltigen Zukunft zu entwickeln und gemeinsam mit ande- ren zu realisieren. Bildung für nachhaltige Entwicklung sensibilisiert nicht nur für die Komplexität der Umweltprobleme, sondern trägt auch zur Vermittlung nachhaltiger Entwicklung und konkreter Umsetzung bei. Die Entwicklung der Fähigkeit zur kritischen Reflexion und systemischem und zukunftsorientiertem Denken und Handeln steht bei der Bildung für nachhaltige Entwicklung im Mittelpunkt. Bildung ist die Grundlage und zugleich ein integraler Bestandteil nachhaltiger Ent- wicklung. Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ein allgemeines Anliegen und muss daher an der gesamten Schule als essenziell angesehen werden. Fächerübergreifende Bildung für nachhaltige Entwicklung ist von großem Wert für gemeinsames Denken über ökologische, ökonomische und soziale Dimensionen. (Bundesministerium für Bildung ,Wissenschaft und Forschung 2019) 4.4. Empathie für die Ökosysteme Obwohl seit 1990 ein Anstieg des Bewusstseins für die Ökosysteme festgestellt werden konnte und die Menschen die natürliche Umwelt für schützenswert ansehen und auch Handlungsbereitschaft gezeigt wird, kommt es nicht zu entsprechendem Verhalten. (Altenbuchner; Tunst-Kamleitner 2020, S. 73) Auch heute, wo wir bereits stark vom Klimawandel betroffen sind und die Auswirkungen in Zu- kunft noch heftiger werden, lassen sich die Menschen durch Belehrungen und Ermahnungen und das hervorrufen von Schuldgefühlen nur schwer zu ökologischem Verhalten motivieren. Was das menschliche Motivationssystem jedoch am besten in Gang bringt, sind positive Gefühle wie Sym- pathie oder Empathie. Für hunderttausende von Jahren war es für den Menschen lebensnotwendig, die unterschiedlichen Ökosysteme zu erkunden und richtig lesen zu können. Bis der Mensch be- gann sesshaft zu werden, musste er seinen natürlichen Lebensraum ständig wechseln und neue Ge- lände bezüglich Gefahren sowie Chancen richtig einschätzen können. Der Mensch musste sich also für lange Zeit in die Welt einfühlen können, um zu überleben. Die Fähigkeit der Empathie ist eine einzigartige Begabung unserer Spezies. Jedoch haben wir sie, durch die Entfremdung von den natür- lichen Lebensräumen vergessen oder ließen sie verkommen, was uns zu den heutigen Umweltprob- lemen geführt hat. Heute spricht immer noch einiges dafür, dass die Menschen intuitiv und unbe- wusst naturnahe Ökosysteme als einen empathischen Lebensraum empfinden. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass intensive Begegnungen mit naturnahen Lebensräumen nicht nur emotionale Ergriffenheit auslösen können, sondern auch positive Auswirkungen auf das seelische Befinden des Menschen haben. So könne depressive Stimmungen, Stresssymptome und auch die Herzfrequenz durch den Aufenthalt in naturnahen Ökosystemen verbessert werden. (Bauer 2020, S. 13-18) 22
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