GRUNDLAGEN DER KLAUSURTECHNIK - Juristische Fakultät Mentorenprogramm

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Juristische Fakultät
Mentorenprogramm

                   GRUNDLAGEN DER KLAUSURTECHNIK

                               JANUAR 2012

                       Alexander Roos & Christof Taube
Vorwort

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und dann ist aller Anfang auch noch
schwer?! – Zwar helfen Ihnen solche floskelartigen Ausführungen in der Klausur nicht
weiter, doch treffen sie den Kern des wichtigsten Meilensteins auf dem Weg zum
langfristigen Klausurerfolg: Übung! Wie auch im Sport gehört zum Erfolg in der Juris-
terei neben (etwas) Talent auch jede Menge Training. Doch nützt hier wie da auch
das nichts, wenn gewisse Regeln und Techniken nicht beherrscht werden; oder gar
schlimmer, gänzlich unbekannt sind.

Das vorliegende Skript richtet sich in erster Linie an Studienanfänger, die den Um-
gang mit Abschlussklausuren aus den drei Rechtsgebieten Zivilrecht, Öffentliches
Recht und Strafrecht erproben und ihren Stil verbessern wollen. Es ist im Rahmen der
Veranstaltung „Klausurtechnik-AG“ an der Ruhr-Universität Bochum entstanden und
berücksichtigt unsere gesammelten Erfahrungen aus nunmehr fünf Semestern Kurs-
leitung.

Für Hinweise und Anregungen an mp-jura@rub.de sind wir Ihnen äußerst dankbar.

Bochum, Januar 2012

Alexander Roos & Christof Taube

SEITE II | II
Juristische Fakultät
Roos/Taube: Grundlagen der Klausurtechnik

I.     FORMELLE GRUNDLAGEN                                                   3

      1.     FORMALITÄTEN                                                    3
           a) Deckblatt                                                      3
           b) Gutachten                                                      5
                aa)   Verwendung des Schreibpapiers                          5
                bb)   Gliederung des Gutachtens                              5
                cc)   Zitieren im Gutachten                                  6
                dd)   Sprachliches                                           6
           c)  Sonstiges                                                     8
      2.     SCHRITTWEISE FALLLÖSUNG                                         8
           a) Arbeit am Sachverhalt                                          8
           b) Erstellen der Lösungsskizze                                    9
           c) Erstellen der Reinschrift                                     10

II.        GUTACHTENSTIL                                                    10

      1.        EINFÜHRUNG IN DEN G UTACHTENSTIL                            10
      2.        BILDUNG DES OBERSATZES                                      11
      3.        HERLEITUNG DER D EFINITION                                  14
      4.        SUBSUMTION                                                  15
      5.        ERGEBNISSATZ                                                16

III.        AUSLEGUNG                                                       17

      1.     ANWENDUNGSFÄLLE                                                17
      2.     AUSLEGUNGSMETHODEN                                             17
           a) Grammatikalische Auslegung                                    17
           b) Systematische Auslegung                                       17
           c) Historische Auslegung                                         18
           d) Teleologische Auslegung                                       18

IV.        ANALOGIE, TELEOLOGISCHE REDUKTION UND SONSTIGE SCHLUSSFORMEN     21

      1.  ANALOGIESCHLUSS                                                   21
        a) Bedeutung des Analogieschlusses                                  21
        b) Voraussetzungen des rechtswissenschaftlichen Analogieschlusses   21
        c) Fall: „Tragische Ofenlieferung“ (BGHZ 5, 62)                     22
      2. TELEOLOGISCHE REDUKTION                                            23
      3. ARGUMENTUM A MAIORE AD MINUS                                       23
      4. ARGUMENTUM E CONTRARIO                                             23

V.         RECHTSGEBIETSSPEZIFISCHE BESONDERHEITEN                          24

      1.     ZIVILRECHT                                                     24
           a) Klassische Fallfragen im Zivilrecht                           24
           b) Aufbau des zivilrechtlichen Gutachtens                        26
           c) Fall: „Bleistiftkauf“                                         27
           d) Fall: „Autokauf“                                              28
           e) Fall: „Grillkauf“                                             32
2.  STRAFRECHT                                                                   36
        a)
         Klassische Fallfragen im Strafrecht                                        36
        b)
         Aufbau des strafrechtlichen Gutachtens                                     37
        c)
         Fall: „Disko-Abend“ (BGH, JUS 2008, 273)                                   38
   3. ÖFFENTLICHES RECHT                                                            44
     a) Klassische Fallfragen im öffentlichen Recht                                 44
     b) Fall: „Notar auf Lebenszeit?“ (BVerfG, NJW 1993, 1575)                      45

VI.     DARSTELLUNG VON MEINUNGSTREITIGKEITEN                                       52

   1.        URSPRUNG EINES MEINUNGSSTREITES                                        52
   2.        RICHTIGER U MGANG MIT MEINUNGSSTREITIGKEITEN                           52
   3.        DARSTELLUNG VON MEINUNGSSTREITIGKEITEN                                 53
   4.        AUS DEM Ö FFENTLICHEN RECHT: DAS PRÜFUNGSRECHT DES BUNDESPRÄSIDENTEN   55
   5.        AUS DEM STRAFRECHT: ABGRENZUNG RAUB – RÄUBERISCHE ERPRESSUNG           56
   6.        AUS DEM ZIVILRECHT: „TRIERER WEINVERSTEIGERUNG “                       58

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I.        FORMELLE GRUNDLAGEN

1.        FORMALITÄTEN

a)        DECKBLATT

•      Das Deckblatt hat reinen Informationscharakter und dient keinen „Werbezwe-
       cken“.
•      Es enthält eine schlichte Darstellung der relevanten Fakten (Name, Adresse,
       Matrikelnummer,    Anzahl   der   Fachsemester,   E-mail-Adresse    [Vorna-
       me.Nachname@rub.de], Art der Klausur, Veranstaltung, Veranstaltungsleiter,
       laufendes Semester).
•      Idealerweise wird das Deckblatt am Computer verfasst und ausgedruckt zur
       Klausur mitgebracht.

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Max Mustermann
Stiepeler Str. 71a
44799 Bochum
Max.Mustermann@rub.de
Matrikelnummer
1. Fachsemester

                            Abschlussklausur
           zur Vorlesung Grundlehren des Bürgerlichen Rechts I
                      von Prof. Dr. Klaus Schreiber
                       Wintersemester 2011/2012

                         Bochum, den 01. Februar 2012

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b)        GUTACHTEN

aa)       Verwendung des Schreibpapiers

•      Es sollte nur sauberes, unbeschriebenes und unbedrucktes Papier in Größe DIN
       A4 verwendet werden.
•      Die Blätter werden nur einseitig beschreiben.
•      Es ist ausreichend Korrekturrand zu lassen (mindestens 1/3 der Seite, vorzugs-
       weise des linken Teils).
•      Beschriebene Seiten werden mit Seitenzahlen versehen. Einschübe können so
       später problemlos zugeordnet werden, z.B. als Seite 2a, 2b usw.
•      Die Handschrift muss leserlich sein.
•      Aus Zeitgründen ist davon abzuraten, im eigenen Text Unterstreichungen oder
       Markierungen vorzunehmen.
•      Abkürzungen sollten vermieden werden (Ausnahme: Gesetzesabkürzungen, z.B.
       GG, BGB, StGB).

bb)       Gliederung des Gutachtens

•      Überschriften sind zumindest für die Hauptgliederungspunkte zur übersichtlichen
       Strukturierung der Klausur anzulegen, also mindestens für
                      jede Anspruchsgrundlage im Zivilrecht,
                      jedes Verfahren im Öffentlichen Recht,
                      jeden Straftatbestand im Strafrecht und
                      jede einzelne Fallfrage.
•      Es sollten sachgerechte Absätze gebildet werden.

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•      Die Gliederung der rechtswissenschaftlichen Klausur folgt diesem Schema:
                        A.
                              •   I.
                                       o 1.
                                                 a)
                                                       •   aa)
                                                                 o (1)
                                                                            (aa), (aaa)

cc)       Zitieren im Gutachten

•      In der Klausur sollen in erster Linie eigene Gedanken entwickelt und begründet
       werden. Sofern dabei Argumente eines Gerichts oder einer Literaturstelle aufge-
       griffen werden, sind sie nicht eigens als solche kenntlich zu machen.
•      Auch der Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG, BGH o.ä. ersetzt nicht
       die eigene Argumentation.
•      Hingegen muss stets der gesetzliche Anknüpfungspunkt, auf den Bezug ge-
       nommen wird (Anspruchsgrundlage, Ermächtigungsgrundlage, Straftatbestand),
       zitiert werden und zwar so präzise wie möglich (z.B. § 433 I 1 BGB anstatt
       § 433).

dd)       Sprachliches

•      Juristische Texte leben von ihrer guten Argumentation. Inhalt und Form wirken
       dabei stets zusammen.
•      Eine gute Arbeit braucht daher einen guten Inhalt und eine gute Form.
•      Zur guten Form gehört auch eine korrekte und angemessene Anwendung der
       deutschen Sprache.
•      Die Sprache ist das Werkzeug des Juristen; das Werkzeug sollte äußerst sorg-
       fältig eingesetzt werden.

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OVG Münster (NWVBl. 1995, 229):
„Zur Rechtsanwendung gehört auch die Fähigkeit, sich bei Falllösungen wie über-
haupt bei Rechtsausführungen grammatikalisch korrekt, in verständlicher Sprache
und in einem sachangemessenen Stil in Wort und Schrift auszudrücken.“

(Alte) Richtlinien des JPA Hamm:
„Die Regeln der Grammatik und der Rechtschreibung sind sorgfältig zu beachten.“

•        Auf Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung ist zu achten.
•        Es gilt, prägnant zu formulieren; dazu gehören verständliche und vorzugsweise
         kurze Sätze.
•        Juristische Fachbegriffe sind präzise zu verwenden (z.B. ist der Tatbestand von
         § 242 I StGB vollendet, wenn der Gewahrsamswechsel vollzogen ist, aber erst
         beendet, wenn der Gewahrsam des Täters gesichert ist).1
•        Auf Fremdwörter und Anglizismen wird verzichtet, soweit sie nicht üblich sind
         (§ 184 S. 1 GVG: „Die Gerichtssprache ist deutsch.“)
•        Achten Sie bei der Erstellung des Gutachtens stets auf die Logik des Geschrie-
         benen, denn Widersprüche in der Argumentation wirken sich negativ auf die Be-
         wertung der Klausur aus.
•        Floskelhafte und/oder verstärkenden Wendungen („Ganz gewiss liegt eine er-
         hebliche Verletzung vor…“, „Total abwegig ist, dass…“) sollten Sie vermeiden.
•        Ebenso sollten Sie stereotype Einleitungssätze („Es ist zu prüfen, ob…“, „nun ist
         zu überprüfen, ob…“) vermeiden.
•        Eine Erläuterung zur Gliederung des Gutachtens unterbleibt; die Gliederung er-
         gibt sich aus einer sachgerechten Prüfung.
•        Verwenden Sie weder „Ich-Formulierungen“ noch sonstige persönliche Anmer-
         kungen.
•        Kurzum: Der juristische Sprachstil ist knapp, einfach, klar, anschaulich und prä-
         zise.

1
    Zur Unterscheidung vgl. Lackner/Kühl, 27. Aufl. 2011, § 242 Rn. 18.

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c)        SONSTIGES

•      Die Bearbeitung endet mit der eigenhändigen Unterschrift.
•      Die Seiten sollte entweder zusammengeheftet oder -getackert werden.
•      Unter Umständen ist der Sachverhaltstext mit abzugeben.

2.        SCHRITTWEISE FALLLÖSUNG

a)        ARBEIT AM SACHVERHALT

•      Der Sachverhalt sollte mindestens einmal durchgelesen werden, ohne Anmer-
       kungen vorzunehmen (1. Schritt).
•      Die Fallfrage lesen und verinnerlichen: Was ist gefragt? Es geht ausschließlich
       darum, die gestellte(n) Frage(n) zu beantworten. Beachten und befolgen Sie die
       Hinweise (z.B. „Eine Strafbarkeit nach dem 16. Abschnitt ist nicht zu prüfen“)!
       Häufig lassen diese wichtige Rückschlüsse zu („Alle notwendigen Strafanträge
       sind gestellt“ bedeutet, dass Sie v.a. nach Antragsdelikten Ausschau halten
       sollten) (2. Schritt).
•      Den Sachverhalt erneut mit Blick auf die Fallfrage intensiv lesen – flüchtiges
       Lesen führt leicht zum Verlesen.
•      Bewahren Sie Ruhe, wenn Schlüsselwörter ein bestimmtes, möglicherweise un-
       bekanntes, Rechtsgebiet suggerieren (z.B. „Erbe“ bedeutet nicht, dass die Klau-
       sur zwangsläufig dem Erbrecht entstammt, „X-GmbH“ weist nicht immer den
       Weg in das Gesellschaftsrecht). Auch die Rechtsansichten der Beteiligten müs-
       sen nicht immer zutreffend sein.
•      Sachverhaltsangaben dürfen nicht abgeändert oder „verbogen“ werden.
•      Ohne weiteres dürfen Lücken im Sachverhalt nicht unterstellt werden.
•      Je nach Komplexität des Sachverhalts kann eine Zeichnung und/oder eine Zeit-
       strahl sinnvoll sein.
•      Spontane Gedanken sollten auf einem gesonderten Blatt sofort notiert werden.
•      Alle infrage kommenden Anspruchsgrundlagen, Straftatbestände oder Ermächti-
       gungsgrundlagen notieren.
•      Den Sachverhalt genau prüfen: i.d.R. enthält er keine überflüssigen Angaben.
       Für die Lösung kann und sollte jede Information verwendet werden. Dies gilt

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insb. im öffentlichen Recht. Dort bieten die „Ansichten“ der Beteiligten oftmals
       die Anhaltspunkte für die Verhältnismäßigkeits- und Ermessensprüfung. Zu jeder
       wesentlichen Sachverhaltsangabe sollte es einen korrespondierenden Teil in der
       Lösung geben.
•      Versetzten Sie sich in die Lage des Prüfers: Warum hat er diese Information in
       den Sachverhalt aufgenommen? An welcher Stelle muss ich sie verwerten? Wie
       bringt sie meine Lösung voran?
•      Erst wenn der Sachverhalt vollständig erfasst worden ist, gehen Sie zum nächs-
       ten Schritt über.

b)        ERSTELLEN DER LÖSUNGSSKIZZE

•      Die Lösungsskizze sollte vollständig sein, d.h. jeden Prüfungspunkt erfassen.
       Sie darf aber schon aus zeitlichen Gründen keine ausformulierten Teile enthal-
       ten.
•      Die Lösungsskizze sollte so gegliedert sein, wie das Gutachten in der Rein-
       schrift.
•      Gesetzliche Anknüpfungspunkte sollten in der Lösungsskizze schon korrekt
       zitiert sein.
•      Problematische Stellen und Meinungsstreitigkeiten sollten als solche markiert
       werden. Ggf. können stichwortartig Argumente in die Skizze aufgenommen wer-
       den.
•      Der Verfasser sollte sich die Schwerpunkte des späteren Gutachtens bereits in
       der Lösungsskizze deutlich machen, denn Unstreitiges darf in der Reinschrift
       nicht zu Lasten der tatsächlichen Schwerpunkte breit ausformuliert werden.
•      Zwischenergebnisse und unproblematische Punkte werden mit (+)/(-) deutlich
       gemacht.
•      Überprüfen Sie Ihr Ergebnis anhand der aufgeworfenen Fallfrage.
                          Findet sich jede Sachverhaltsinformation in der Lösungsskizze
                           wieder (Äquivalenzprinzip)?
                          Plausibilität des Ergebnisses: „Kann das so richtig sein?“ Das
                           eigene Rechtsgefühl und der gesunde Menschenverstand bilden
                           i.d.R. einen guten Maßstab.

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c)        ERSTELLEN DER REINSCHRIFT

•      Abgearbeitete Punkte aus der Lösungsskizze sollten Sie abhaken oder strei-
       chen.
•      Behalten Sie ständigen Kontakt zu Lösungsskizze, Sachverhalt und Fallfrage.
•      Überflüssige Ausführungen geben nicht nur keine zusätzlichen Punkte, sondern
       führen i.d.R. zu Punktabzügen.
•      Lassen Sie eine schlüssige Gedankenführung („roter Faden“) erkennen – ein
       Schritt ergibt sich aus dem anderen. Nachgeschobene Ausführungen sollten
       vermieden werden.
•      Ergebnisse und Zwischenergebnisse werden nicht gesondert begründet.
•      In Abschlussklausuren sollten Sie ca. 2/3 der Zeit für Erstellung des Gutachtens
       (und 1/3 der Zeit ist für die Anfertigung der Lösungsskizze) einplanen.
•      Eine gute und vollständige Lösungsskizze in Kombination mit einer gewissen
       Formulierungsroutine vereinfacht das „Schreiben“ der Klausur.
•      Merke: Wird die Zeit knapp, sollte man sich möglichst kurz fassen, um die Bear-
       beitung zu beenden, d.h. Übergang in den erlaubten Urteilsstil („Die Geldbörse
       befand sich im Eigentum des O, war demnach eine für T fremde Sache.“).
•      Kontrollieren Sie Ihre Lösung: Sollte die Zeit reichen, wird die Lösung auf Recht-
       schreib-, Komma- und Flüchtigkeitsfehler kontrolliert.

II.       GUTACHTENSTIL

1.        EINFÜHRUNG IN DEN GUTACHTENSTIL

         Gutachtenstil                           Urteilsstil
 1.      Obersatz: Der Palandt könnte eine       Ergebnissatz: Der Palandt ist eine Sa-
         Sache sein.                             che.
 2.      Definition: Eine Sache ist jeder kör-   Definition: (Denn) Eine Sache ist jeder
         perliche Gegenstand.                    körperliche Gegenstand.
 3.      Subsumtion: Der Palandt ist ein         Subsumtion: (Denn) der Palandt ist ein
         Buch und damit ein körperlicher Ge-     Buch und damit ein körperlicher Ge-
         genstand.                               genstand.
 4.      Ergebnis: Demnach ist der Palandt       ---

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eine Sache.
         Antwort ist offen, Frage wird im O-   Ergebnis steht schon fest und muss be-
         bersatz aufgeworfen                   gründet werden

Dieser Aufbau wirft drei Fragen auf:

•      Wie bildet man einen ansprechenden Obersatz?
•      Wie bildet man eine treffende Definition?
•      Wie subsumiert man sachgemäß?

2.        BILDUNG DES OBERSATZES

•      Ziel: Frage aufwerfen, Prüfungsprogramm festlegen, Rechtsfolge nennen.
•      Beispiel: A könnte gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II
       BGB haben.

             Frage: Kann A von B Kaufpreiszahlung verlangen?
             Prüfungsprogramm: Anspruch aus § 433 II BGB
             Rechtsfolge: Zahlungsanspruch

•      Der erste Obersatz gibt konjunktivisch die aufgeworfene Fallfrage wieder und
       stellt Einleitung und Leitfaden des Gutachtens dar.
•      Der Obersatz muss immer „von der Rechtsfolge her“ gebildet werden.

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Der sechsjährige M will dem K sein Mountainbike verkaufen. Ist seine auf den Ab-
schluss des Kaufvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam?

Richtig                                      Falsch

Die Willenserklärung des M könnte wegen      M könnte geschäftsunfähig
Geschäftsunfähigkeit gem. § 105              sein. (Was bedeutet das für den
BGB nichtig sein. (Rechtsfolge)             Fall? Welchen Einfluss hat die Ge-
                                            schäftsunfähigkeit für die Prüfung „An-
                                            spruch entstanden“?)

V geht zum Trödelhändler T und kauft dort im Namen und im Auftrag des M ein altes
Modellauto für M. Das Auto nimmt er schon mal mit und erklärt, dass M später das
Geld vorbeibringen würde. Als dies nicht geschieht, fordert T von M gem. § 433 II
BGB den Kaufpreis. M behauptet, er habe keine Willenserklärung abgegeben. Stimmt
das?

Richtig                                      Falsch

Die WE des V wirkt gem. § 164 I 1            V könnte Vertreter des M gewesen
BGB für und gegen M, wenn dieser             sein. (Das Handeln als Vertreter ist nur
durch V wirksam vertreten wurde.             Voraussetzung, also Tatbestand, für
                                            die Rechtsfolge des § 164 I 1 BGB.)

V und K haben einen Kaufvertrag über einen VW Polo geschlossen. Der K verlangt
nun gem. § 433 I 1 BGB von V die Übereignung des Fahrzeugs. V entgegnet, er
schulde nicht die Übereignung des Fahrzeugs, da er sich beim Ausfüllen des Kaufver-
tragsformulars verschrieben und dies dem K auch schon erklärt habe. Besteht der
Anspruch des K noch?

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Richtig                                          Falsch
Der Anspruch könnte gem. § 142 I                 V könnte seine WE gem. § 119 I an-
rückwirkend beseitigt worden sein.               gefochten haben. (§ 119 I enthält eine
                                                 Voraussetzung, nicht aber die Rechts-
                                                 folge der Anfechtung)

Übung 1:

Finden Sie die passenden Obersätzen zu den folgenden Fallfragen:

        Hat A einen Anspruch gegen B auf Abnahme der Kaufsache?
          A könnte einen Anspruch gegen B auf Abnahme der Kaufsache gem. § 433 II
          BGB haben.
        Ist der mündlich geschlossene Grundstückskaufvertrag wirksam?
          Der mündlich geschlossene Grundstückskaufvertrag dürfte nach § 125 S. 1
          BGB nicht nichtig sein.
        Ist der Hund eine Sache?
          Der Hund könnte eine Sache sein.
        Ist ein Grundstück eine Sache?
         Das Grundstück könnte eine Sache sein.
        Ist ein Vertrag wirksam, indem sich jemand gegen Geld verpflichtet, einen an-
         deren zu töten?
         Der Vertrag dürfte nicht nach § 134 BGB nichtig sein.
        Hat die Verfassungsbeschwerde des A Aussicht auf Erfolg?
          Die Verfassungsbeschwerde hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.
        Hat sich A wegen Körperverletzung strafbar gemacht?
          A könnte sich der Körperverletzung gem. § 223 I StGB strafbar gemacht ha
          ben.

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3.        HERLEITUNG DER DEFINITION

•      Die Definition ist eine abstrakte, allgemeingültige, möglichst präzise und eindeu-
       tige Beschreibung der im Obersatz genannten Tatbestandsmerkmale oder der
       notwendigen Voraussetzungen.
•      Definitionen sind entweder gesetzlich normiert (Legaldefinition) oder aber durch
       Auslegung des Begriffes zu ermitteln.
•      Bsp. für Legaldefinitionen: §§ 90, 276 II, 932 II BGB; § 12 I und II StGB
•      Unterschieden werden positive und negative Definitionen:

               Positive Definition: Es wird positiv festgestellt, was unter einem be-
                stimmten Begriff zu verstehen ist, z.B. eine körperliche Misshandlung
                (i.S.d. § 223 I StGB) ist jede üble und unangemessene Behandlung,
                durch die das körperliche Wohlbefinden nicht nur unerheblich beein-
                trächtigt wird.
               Negative Definition: Es wird beschrieben, was unter einem Begriff gera-
                de nicht zu verstehen ist, z.B. eine (strafrechtliche) Tathandlung ist
                rechtswidrig, wenn die Handlung des Täters durch keinen Rechtferti-
                gungsgrund gedeckt ist.

•      Je nach Komplexität des jeweiligen Tatbestandsmerkmals kann eine komplette
       Definition u.U. nicht in einem Satz untergebracht werden, vielmehr müssen ein-
       zelne Punkte näher erläutert und ausgelegt werden.
•      Teilweise enthält die Definition einer Voraussetzung einen Begriff, der wiederum
       definiert werden muss (Schachtelprüfung). Beispiel:

          I. A könnte gegen B einen Anspruch auf Kaufpreiszahlung aus § 433 II BGB
          haben.
                1. Dann müsste zwischen A und B zunächst ein Kaufvertrag nach § 433
                BGB geschlossen worden sein. Ein Kaufvertrag ist ein Rechtsgeschäft,
                das durch zwei inhaltlich miteinander korrespondierenden Willenserklä-
                rungen, Antrag und Annahme, §§ 145 ff. BGB, zustande kommt. (Defini-
                tion des Kaufvertrages)

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a) Ein Antrag ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklä-
                       rung, durch die einer anderen Person ein Vertragsschluss in der
                       Weise angetragen wird, dass der Abschluss des Vertrages nur
                       noch von deren Zustimmung abhängt. (Definition des Antrages)

•      Definitionen sind nichts anderes als das Ergebnis der Auslegung eines Begriffes.
       In der Klausur sollte man getrost Ruhe bewahren, wenn eine Definition nicht
       gleich aus dem Gedächtnis abgerufen werden kann. In einem solchen Fall sollte
       eine eigene Definition durch Auslegung gefunden werden. Dabei gelten die fol-
       genden Regeln:

               Die Definition muss deutlicher sein als der zu bestimmende Begriff.
               Die Definition darf nichts Überflüssiges enthalten und nichts Wesentli-
                ches weglassen.
               Die Definition muss umkehrbar sein: „Vollmacht ist die durch Rechtsge-
                schäft erteilte Vertretungsmacht.“

•      Die Subsumtion kann nur so gut sein wie die Definition, unter die subsumiert
       wird. Deshalb darf die Definitionsebene erst verlassen werden, wenn sämtliche
       Begriffe vollständig geklärt sind.

4.        SUBSUMTION

•      Geprüft wird, ob der relevante Sachverhaltsausschnitt von der Definition erfasst
       wird.
•      Gegenstand der Subsumtion ist ausschließlich der Sachverhalt. Passt der jewei-
       lige Ausschnitt nicht unter die abstrakten Merkmale der Definition, fehlt es an der
       Erfüllung einer Voraussetzung (keine „Sachverhaltsquetsche“!).

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•      Wie erfolgt die Subsumtion bei unklarem Sachverhalt?

               Lebensnahe Auslegung
               „Prüferfreundliche“ Auslegung (nicht „abkürzen“, sodass offensichtliche
                Folgeprobleme unbehandelt blieben)
               Im Zivilrecht sind Beweislastregeln (z.B. § 280 I 2, § 831 I 2, § 932 II
                BGB) sowie gesetzliche Vermutungen (z.B. § 891, § 1006, § 1362 BGB)
                heranzuziehen.

5.        ERGEBNISSATZ

•      Ziel des Ergebnissatzes ist die Beantwortung der aufgeworfenen Frage.
•      Obersatz und Ergebnis müssen miteinander korrespondieren.
•      Lautet der Obersatz beispielsweise: „A könnte gegen B einen Anspruch auf Her-
       ausgabe der Uhr gem. § 985 BGB haben“ muss der Ergebnissatz diese Frage
       entweder bejahen oder verneinen. Der Ergebnissatz darf außer dieser Feststel-
       lung keine weiteren Ausführungen enthalten.
•      Bsp.: A kauft von B sechs Kilo Äpfel. B begehrt daraufhin Kaufpreiszahlung nach
       § 433 II BGB. A ficht den mit B geschlossenen Kaufvertrag wegen Irrtums nach
       § 119 I BGB wirksam an. Der Ergebnissatz darf nur die Feststellung enthalten,
       dass ein Anspruch von B gegen A aus § 433 II BGB nicht besteht. Dass B mög-
       licherweise ein Schadensersatzanspruch aus § 122 I BGB zusteht, ist gesondert
       zu prüfen, aber auch nur dann, wenn laut Fallfrage sämtliche in Betracht kom-
       menden Ansprüche zu prüfen sind.

Übung 2:

Gehen Sie gutachterlich auf die nachfolgenden Fragen ein:

      Ist ein Hund ein Säugetier?
      Ist ein Kugelschreiber ein Stift?
      Ist eine Banane ein Gemüse?
      Ist ein Seat Arosa ein PKW?
      Ist ein Zelt ein Gebäude?

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      Ist ein Hubschrauber ein Flugzeug?
      Ist eine Eiche ein Baum?
      Ist die BRD ein Staat?

III.      AUSLEGUNG

1.        ANWENDUNGSFÄLLE

•        Zunächst liegt eine inhaltliche Undeutlichkeit von Regelungen in Gesetzen,
         Verordnungen, Satzungen, Vertragsklauseln und Willenserklärungen vor.
•        Neue oder (noch) nicht speziell gesetzlich geregelte Lebenssachverhalte sollen
         von einer Norm erfasst werden.
•        Mithilfe der Auslegung eines Begriffes (einer Vorschrift, eines Vertrages, einer
         Willenserklärung) soll der Sinn und Inhalt (§ 133 BGB „wirklicher Wille“) ermit-
         telt werden. Der Begriff wird im weiteren Sinne interpretiert.

2.        AUSLEGUNGSMETHODEN

a)        GRAMMATIKALISCHE AUSLEGUNG

•         Auszugehen ist vom Wortsinn in seinem natürlichen Sprachgebrauch (= Wie
         versteht der Duden das Wort?).
•        Innerhalb dieses Wortsinns kann, wenn er verschiedene Deutungen zulässt,
         nach Auslegung unter Einbeziehung der anderen Auslegungsmethoden eine
         restriktive (enge) oder extensive (weite) Auslegung des Wortes geboten sein.

b)        SYSTEMATISCHE AUSLEGUNG

•        In welchem Regelungszusammenhang steht die Vorschrift? Auf welcher Rege-
         lungsstufe steht sie? Wie lautet ihre amtliche Überschrift?
•        Ergibt sich ein spezifischer Begriffsinhalt aus anderen gesetzlichen Vorschriften
         im selben Regelungsgefüge („davor oder danach“) im Gesetz?
•        Einheit der Rechtsordnung: Was die Rechtsordnung an einer Stelle erlaubt,
         kann an einer anderen Stelle nicht verboten sein.

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Übung 3:

Steht dem Arbeitnehmer, der an seinem Arbeitsplatz einen Aufhebungsvertrag (inkl.
Abfindungsregelung) unterzeichnet, ein Widerrufsrecht nach § 312 I 1 BGB zu?2

c)        HISTORISCHE AUSLEGUNG

•        Was hat den historischen Gesetzgeber dazu bewogen, die Regelung ins Ge-
         setz aufzunehmen?
•        Mit zunehmender Dauer und Veränderungen der Lebensumstände ist das Er-
         gebnis nachlassend ergiebig.
•        In der Klausur ist diese Auslegungsmethode mangels Verfügbarkeit der
         Gesetzgebungsmaterialien oftmals nicht anwendbar.

d)        TELEOLOGISCHE AUSLEGUNG

•        Welchen Interessenkonflikt soll die Vorschrift regeln (gesetzgeberische Zweck-
         vorstellung, also ratio legis)?
•        Welchen Sinn hat die Vorschrift? Was wäre, wenn es die Vorschrift nicht gäbe?

Übung 4 (nach BGHSt 23, 313 ff.):

Fahrer A fuhr auf einer Landstraße in einer Kurve über die Fahrbahnlinie hinaus. Er
konnte die Kurve überblicken und sah, dass ihm niemand entgegenkam. Hat er eine
Ordnungswidrigkeit nach § 8 II 1 StVO begangen?
§ 8 II 1 StVO i.d.F.v. 1956 lautet:
„Soweit nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben Führer von Fahrzeugen
auf der rechten Seite der Fahrbahn rechts zu fahren; sie dürfen die linke Seite nur
zum Überholen benutzen.“

2
 Nach Staudinger-Richardi/Fischinger, BGB Neubearbeitung 2011, § 611 Rn. 24 m.w.N. könne die Frage, ob
der Arbeitnehmer Verbraucher i.S.d. § 13 BGB ist, offen bleiben, da Aufhebungs- und Abwicklungsverträge nicht
unter die „besonderen Vertriebsformen“ fallen, die §§ 312 ff. BGB und der Untertitel 2 regeln.

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Der BGH beantwortet die Frage schulmäßig aufbereitet wie folgt (Hervorhebungen
durch Verfasser):
„Der Senat stimmt der Rechtsansicht des vorlegenden OLG zu. Für ihre Richtigkeit spricht
schon der Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO und die Stellung der Vorschrift im System
der StVO. Diese stellt neben der Grundregel des § 1 eine Reihe von festen, schlechthin ver-
bindlichen Verkehrsregeln auf, zu denen auch das Rechtsfahrgebot gehört. Von diesen Re-
geln darf im Einzelfall nur aus besonders gewichtigen Gründen abgewichen werden. Nichts
anderes will auch der Abs. 2 Satz 1 des § 8 zum Ausdruck bringen. Das ergibt schon die
wörtliche Auslegung des Bedingungssatzes „soweit nicht besondere Umstände entgegen-
stehen”; denn das Wort „entgegenstehen” läßt für bloße Zweckmäßigkeitserwägungen keinen
Raum. (...). Stets aber muß eine Situation vorliegen, in der das Abweichen von der Regel
dem Verkehrsbedürfnis eher dient als ihre Einhaltung. (...). Die linke Fahrbahnhälfte darf da-
gegen nur befahren werden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, wie z.B. starke
Vereisung (...), ungewöhnlich schlechte und gefährliche Beschaffenheit der Fahrbahn (...),
besondere technische Eigenarten des Fahrzeugs (...), oder wenn es der Vermeidung einer
Gefahr dient (...). Bloße Unbequemlichkeit, etwa wegen schlechter Beschaffenheit der Fahr-
bahn, genügt dagegen nach einhelliger Rechtsprechung nicht (...). Diese Auslegung ent-
spricht allein dem Zweck der Rechtsfahrvorschrift. Der Straßenverkehr erfordert einfache und
klare Regeln. Die Verkehrsordnung überläßt es im Interesse der Verkehrssicherheit bewußt
nicht dem unsicheren Ermessen oder der Einsicht des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die
Regeln zu beachten oder sie außer acht zu lassen, wenn ihm dies bloß zweckmäßig und ver-
nünftig erscheint. Unbequemlichkeiten, die sich aus einem der Regel entsprechenden Verhal-
ten ergeben, muß jeder Verkehrsteilnehmer im Interesse der Verkehrssicherheit in Kauf neh-
men (...). Dieser Grundsatz verbietet es auch, für Linkskurven allgemein eine Ausnahme vom
Rechtsfahrgebot zuzulassen, nur weil es der Bequemlichkeit und dem schnelleren Vorwärts-
kommen dienlich sein könnte, Vorteile, die übrigens weit überschätzt zu werden pflegen. (...).
Auf der anderen Seite sind die Vorteile des Kurvenschneidens für den allgemeinen Verkehr
unbedeutend. (...). Insgesamt überwiegen die Gefahren des Kurvenschneidens bei weitem
seine Vorteile. (...).

SEITE 19 | 62
Übung 5:

A erteilt B unwiderruflich, mündlich die Vollmacht sein Grundstück zu verkaufen.
Wirksamkeit?3

•      Lassen sich zu einer Norm mehrere Auslegungsvarianten plausibel begründen,
       ist im Zweifel diejenige zu wählen, die

                Verfassungskonform ist
                Europarechtskonform ist

Übung 6:

A stiehlt Bs Fahrrad. A will das Fahrrad vor der Uni abstellen, um ein Buch aus der
Bibliothek abzuholen. In dem Moment kommt C, nimmt das Fahrrad und fährt davon.
Hat A gegen C einen Anspruch aus § 823 I BGB?4

3
  Grds. ist nach § 167 Abs. 2 BGB die Erteilung einer Vollmacht formfrei möglich; sie ist also gerade nicht an
die Form des beabsichtigten Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäfts gebunden. Die unwiderrufliche Vollmacht führt
jedoch auf Seiten des Vertretenen zu einer tatsächlichen Bindungswirkung, sodass in diesem Fall ausnahmsweise
der Formzwangs gilt, um den Funktionen (Warn-, Schutz-, Beweis- und Gewährungsfunktion) der Formvorschrift
(des § 311b BGB) zu genügen. Vgl. dazu Jauernig/Stadler, 14. Aufl. 2011, § 311b Rn. 27 m.w.N.
4
  Die Besitzschutzansprüche aus §§ 858 ff. BGB unterscheiden grds. nicht, wie der Anspruchsteller den Besitz
erlangt hat (sei es deliktisch oder nicht). Hingegen ist nach h.M. nur der berechtigte Besitz ein sonstiges Recht
i.S.d. § 823 I BGB. Demnach hat hier der deliktische Besitzer A keinen Anspruch gegen C aus § 823 I BGB.
Vgl. dazu MüKo-BGB/Wagner, 5. Aufl. 2009, § 823 Rn. 157 m.w.N.

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IV. ANALOGIE, TELEOLOGISCHE REDUKTION UND SONSTIGE
    SCHLUSSFORMEN

    1.        ANALOGIESCHLUSS

    a)        BEDEUTUNG DES ANALOGIESCHLUSSES

•          Aus einer ähnlichen Verhaltensweise wird auf gleiche Ursachen geschlossen. So
           könnte man meinen, dass Delfine, Wale und Haie gleichsam zur selben biologi-
           schen Klasse zählen, da sie einen gemeinsamen Lebensraum teilen. Haie gehö-
           ren zur Klasse der Knorpelfische, sodass demnach Wale und Delphine ebenfalls
           dazugehören müssten. Dass dieser „Analogieschluss“ aufgrund evolutionärer
           Veränderungen falsch ist, weiß ein jeder Grundschüler; ebenso, dass Wale und
           Delfine zur Klasse der Säugetiere zählen.
•          Für die Analogie in der Rechtswissenschaft gilt nichts anderes: Der Analogie-
           schluss bedeutet die Erstreckung der Rechtsfolge eines Rechtssatzes auf einen
           überhaupt nicht oder hinsichtlich der problematischen Rechtsfolge nicht geregel-
           ten Sachverhalt.

    b)  VORAUSSETZUNGEN DES RECHTSWISSENSCHAFTLICHEN ANA-
    LOGIESCHLUSSES

    1.     Unmittelbare Anwendung der Norm scheitert, obgleich Anwendung geboten
           erscheint.
    2.     Kein Analogieverbot (vgl. Art 103 II GG).
    3.     Planwidrige Regelungslücke.
          Gesetzgeber hat unbewusst einen Sachverhalt nicht geregelt, obwohl man eine
           gesetzliche Regelung erwartet hätte („Gesetzgeber hat etwas vergessen“).
    4.     Vergleichbare Interessenslage.
          Welche Interessenslage liegt gesetzlicher Vorschrift zu Grunde?
          Welche Interessen sind im zu beurteilenden Fall zu berücksichtigen?
          Ist die Interessenslage vergleichbar?
    5.     Analoge Anwendung der Norm.

    SEITE 21 | 62
c)        FALL: „TRAGISCHE OFENLIEFERUNG“ (BGHZ 5, 62)

Der Lieferant L schuldet Lieferung und Installation eines Ofens in einem Neubau des
Bestellers B. Bei der Installation des Ofens erleidet L auf einer nicht verkehrssicheren
Treppe des Neubaus einen tödlichen Unfall. Seine Hinterbliebenen nehmen B aus
Vertrag auf Zahlung einer Rente in Anspruch. Zu Recht?

Lösungsvorschlag:

1.        Anspruchsgrundlage: § 280 I BGB?
          (-) Angehörige sind keine Vertragspartner
2.        Anspruchsgrundlage: § 618 III i.V.m. § 844 II BGB
            (-) Zwischen L und B bestand kein Dienst-, sondern ein Kaufvertrag mit werk-
            vertraglichen Elementen
3.          Anspruchsgrundlage: § 618 III i.V.m. § 844 II BGB analog?
            a)   Planwidrige Regelungslücke: (+), eine Rentenzahlung an die Hinterblie-
                 benen des Werkunternehmers im Falle der Tötung desselben ist im Ge-
                 setz nicht geregelt.
            b)   Vergleichbare Interessenslage:
                       § 618 III BGB liegt der Rechtsgedanke zu Grunde, dass der
                        Dienstverpflichtete zuweilen zur Erfüllung seiner Vertragspflicht in
                        Räumen oder mit Vorrichtungen des Dienstherrn arbeiten muss,
                        die Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen. Der Dienstherr
                        hat daher die Pflicht, diese Räume gefahrlos zu stellen.
                       Auch der werkvertraglich verpflichtete Unternehmer muss unter
                        Umständen in Räumen oder mit Vorrichtungen des Bestellers ar-
                        beiten, die Gefahren für Leib und Leben mit sich bringen. Die In-
                        teressenslage im Falle einer werkvertraglichen Beziehung kann
                        daher mit der eines Dienstvertrages vergleichbar sein.
       c)        Ergebnis: Analoge Anwendung (+), a.A. vertretbar.

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2.        TELEOLOGISCHE REDUKTION

•       Es besteht eine verdeckte planwidrige Regelungs-„lücke“ im Gesetz.
•       Der Gesetzgeber hat unbewusst versäumt, eine Rechtsvorschrift ihrem Sinn und
        Zweck nach entsprechend einzuschränken („Gesetzgeber hat zu viel geregelt“).

•       Beispiel § 181 BGB: Die Norm will lediglich Konfliktlagen, die bei der Möglichkeit
        des gleichzeitigen Handelns im eigenen sowie im fremden Namen auftreten
        können, zum Schutz des Vertretenen vermeiden. Eine durch einen solchen Inte-
        ressenkonflikt entstehende Gefahr liegt aber dann nicht vor, wenn das Rechts-
        geschäft für den Vertretenen lediglich rechtlich vorteilhaft ist, also z. B. bei einer
        Schenkung.5

3.        ARGUMENTUM A MAIORE AD MINUS

•       Wörtliche Übersetzung: „Vom Größeren auf das Kleinere“ schließen.
•       Nach §§ 48, 49 VwVfG ist es im Ermessen der Behörde, ob sie den Verwal-
        tungsakt (in Gänze) zurücknimmt oder widerruft, sodass sie im Rahmen dersel-
        ben Ermächtigungsgrundlage den Verwaltungsakt auch nur teilweise zurück-
        nehmen bzw. widerrufen kann.

4.        ARGUMENTUM E CONTRARIO

•         Das argumentum e contrario (Umkehrschluss) besagt, dass sofern der Gesetz-
          geber einen speziellen Fall geregelt hat, für andere vergleichbare (ungeregelte)
          Fälle aber bewusst nicht dieselbe Rechtsfolge (des geregelten Falls) ange-
          wandt werden darf.

5
    Vgl. dazu auch MüKo-BGB/Schramm, 6. Aufl. 2012, § 181 Rn. 43.

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•        Beispiel: Darf jedes Gericht ein Gesetz als verfassungswidrig verwerfen?

               Art. 100 I GG regelt ausdrücklich, dass die Sache dem BVerfG vorzule-
                gen und dessen Entscheidung einzuholen ist.
               Daraus folgt im Umkehrschluss, dass andere Gerichte nicht berechtigt
                sind über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes zu entscheiden
                (sog. Verwerfungsmonopol des BVerfG).
               Letztlich besagt ein solcher Umkehrschluss, dass keine (planwidrige)
                Regelungslücke vorliegt und daher eine Analogie ausgeschlossen ist.

•         Umkehrschluss und Analogie schließen sich kategorisch aus: Liegt eine (plan-
          widrige) Regelungslücke vor, können die Voraussetzungen des Umkehrschlus-
          ses nicht gegeben sein und anders herum!

V.        RECHTSGEBIETSSPEZIFISCHE BESONDERHEITEN

1.        ZIVILRECHT

a)        KLASSISCHE FALLFRAGEN IM ZIVILRECHT

In zivilrechtlichen Klausuren geht es i.d.R. darum, wer was von wem woraus begehrt.
Die Fallfrage kann bereits Antworten vorgeben.

•      Kann A von B Herausgabe verlangen?

               Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind ausschließlich auf Her-
                ausgabe einer Sache gerichtete Ansprüche im Verhältnis A-B, z.B.
                § 433 I, § 985, § 812 BGB.
               Durch die Fallfrage wird wer, das was und das von wem vorgegeben.
                Aufzufinden sind daher lediglich die passenden Anspruchsgrundlagen.

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•      Kann A von B den Schadensersatz verlangen?

               Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind ausschließlich Schadens-
                ersatzansprüche im Verhältnis A-B, z.B. aus §§ 280 ff., §§ 823 ff. BGB.
               Durch die Fallfrage wird das wer, das was und das von wem vorgege-
                ben. Zudem ist das woraus eingeschränkt, da lediglich Schadensersatz-
                ansprüche zu prüfen sind.

•      Kann A von B Zahlung verlangen?

               Eingeschränkte Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche Ansprüche, die
                auf Zahlung eines Geldbetrages gerichtet sind, z.B. § 433 II, § 535 II,
                § 631 I, 280 ff. BGB (Primär- und Sekundäransprüche).
               Durch die Fallfrage wird das wer, das was und das von wem vorgege-
                ben.

•      Welche Ansprüche hat A gegen B?

               Teilweise offene Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche in Betracht
                kommenden Ansprüche im Verhältnis A-B.
               Durch die Fragestellung wird lediglich das wer und das von wem vorge-
                geben.

•      Wie ist die Rechtslage?

               Offene Fragestellung: Zu prüfen sind sämtliche Ansprüche aller im
                Sachverhalt genannten Personen.
               Hierbei erfolgen keine Einschränkungen; zur vollständigen Bearbeitung
                der Fallfrage sind sämtliche in Betracht kommende Ansprüche zu prü-
                fen.

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b)        AUFBAU DES ZIVILRECHTLICHEN GUTACHTENS

Prüfungsreihenfolge:

1.     Vertragliche Ansprüche (z.B. §§ 433, 535, 631 BGB)
2.     Quasi-vertragliche Ansprüche (z.B. GoA §§ 677 ff., 179 BGB)
3.     Sachenrechtliche Ansprüche (z.B. §§ 985 ff. BGB)
4.     Deliktische Ansprüche (z.B. §§ 823 ff. BGB)
5.     Bereicherungsrechtliche Ansprüche (§§ 812 ff. BGB)
 Viel Qualität (Quatsch?) schreibt der Bearbeiter!

Anspruchsaufbau I:

1.       Anspruch entstanden
        rechtsgeschäftlicher/gesetzlicher Entstehungstatbestand, rechts(entstehungs-)
         hindernde Einwendungen (z.B. Anfechtung, gesetzliches Verbot)
2.       Anspruch nicht erloschen
        rechtsvernichtende Einwendungen (z.B. Erfüllung, Kündigung, Rücktritt, Auf-
         rechnung, Erlassvertrag)
3.       Anspruch durchsetzbar
        rechtshemmende Einreden (z.B. Verjährung, Zurückbehaltungsrechte, Einrede
         der Vorausklage)

Anspruchsaufbau II (Schadensersatzansprüche außerhalb des Vertragsrechts):

1.       Haftungsbegründender Tatbestand
        Voraussetzungen der Haftungsnorm: Rechtsgutverletzung, haftungsbe-
         gründendes Verhalten, Kausalität, Rechtswidrigkeit, evtl. Verschulden
2.        Haftungsausfüllender Tatbestand
        Schaden
        Schadensausgleich
        Mitverschulden

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Anspruchsaufbau III (Sekundäransprüche):

1. Voraussetzungen

2. Rechtsfolge

c)        FALL: „BLEISTIFTKAUF“

A ist Einkaufsleiter im Schreibwarengeschäft des B. Er ist bevollmächtigt, alle Arten
von Schreibwaren einzukaufen. A kauft 1.000 Bleistifte bei C, die B aber nicht gefallen
und die er nicht haben möchte. Muss er sie C dennoch abnehmen?

Lösungsvorschlag:

C könnte gegen B einen Anspruch auf Abnahme der 1.000 Bleistifte aus § 433 II BGB
haben.

Das setzt voraus, dass zwischen C und B ein Kaufvertrag zu Stande gekommen ist.

Hierfür müssten zwei inhaltlich korrespondierende Willenserklärungen, Angebot und
Annahme §§ 145 ff., vorliegen. B hat sich jedoch nicht zu dem Kauf geäußert, allein
sein Mitarbeiter A hat eine Willenserklärung abgegeben. Diese könnte für und gegen
den B wirken, wenn A dessen Vertreter war, § 164 I 1 BGB. Voraussetzung hierfür ist,
dass A eine eigene Willenserklärung im Namen des B im Rahmen der ihm zustehen-
den Vertretungsmacht abgegeben hat, § 164 I 1 BGB.

       1.       Eine eigene Willenserklärung liegt vor, wenn der Vertreter einen gewis-
                sen Handlungs- und Entscheidungsspielraum hat und nicht bloß die Wil-
                lenserklärung eines anderen überbringt. A ist Einkaufsleiter und kann als
                solcher eigenständig Entscheidungen über die Produktauswahl treffen,
                was er beim Bleistiftkauf auch getan hat. Insofern hat er eine eigene Wil-
                lenserklärung abgegeben.

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2.       Diese müsste auch (offenkundig) im Namen des Vertretenen abgegeben
                worden sein, § 164 I 1 BGB. Zwar hat A nicht ausdrücklich erklärt, dass
                er im Namen des B handelte. Der Offenkundigkeit ist allerdings genüge
                getan, sofern sich das Handeln für einen anderen aus den Umständen
                ergibt, § 164 I 2 BGB. A kaufte die Stifte in seiner Funktion als Einkaufs-
                leiter. Bei einer Anzahl von 1.000 Bleibstiften ergibt sich aus den Um-
                ständen, dass diese nicht für seinen Privatgebrauch angeschafft wer-
                den. Demnach hat A auch offenkundig im fremden Namen gehandelt.

       3.       Letztlich müsste der Kauf auch von der Vertretungsmacht gedeckt sein.
                Vorliegend ist der A durch B bevollmächtigt, alle Arten von Schreibwaren
                einzukaufen. Hierzu gehören auch Bleistifte. Also handelte A im Rah-
                men seiner Vertretungsmacht.

Somit wurde B wirksam von A vertreten. Die Erklärung des A wirkt daher für und ge-
gen B, § 164 I 1 BGB. Also ist ein Kaufvertrag zwischen B und C zustande gekom-
men. Der Anspruch auf Abnahme der Bleistifte aus § 433 II ist somit entstanden.
C hat gegen B einen Anspruch auf Abnahme der 1.000 Bleistifte aus § 433 II BGB.

d)        FALL: „AUTOKAUF“

V verkauft an K einen Pkw im Wert von 4.000 € zu einem Preis von 5.000 €. Nach
Bezahlung des Kaufpreises, aber noch vor der Übergabe findet V einen anderen
Kaufinteressenten D, der für den Pkw 6.000 € zu zahlen bereit ist. Kurzerhand ver-
kauft und übereignet der V den Pkw an D, der die Summe bar zahlt.

Welche Ansprüche hat K gegen V?

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Lösungsvorschlag:

I.     Anspruch des K gegen V auf Verschaffung des Eigentums am Pkw aus
       § 433 I 1 BGB

       K könnte gegen V einen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Pkws
       aus § 433 I 1 BGB haben.

       1.       Anspruch entstanden
                Dann müsste ein wirksamer Kaufvertrag zwischen ihnen geschlossen
                worden sein.
                K und V haben einen Vertrag geschlossen, in dem sich V gegen Zahlung
                von 5.000 € verpflichtete, dem K den Pkw zu übergeben und zu übereig-
                nen, so dass zwischen den Parteien ein Kaufvertrag zustande gekommen
                ist.
       2.       Anspruch nicht erloschen
                Diese Pflicht könnte gem. § 275 I BGB erloschen sein. Dann müsste die
                Erfüllung der Leistungspflicht dem Schuldner V oder jedermann unmöglich
                sein.

                Vorliegend hat V den Pkw an D übergeben und übereignet. Damit kann er
                seiner Leistungspflicht gegenüber K nicht mehr nachkommen, die Erfül-
                lung ist ihm subjektiv unmöglich.
                Das hat gem. § 275 I BGB das Erlöschen der Leistungspflicht zur Folge.
                Der Anspruch des K ist damit erloschen.

       K hat gegen V keinen Anspruch auf Übergabe und Übereignung des Pkws aus
       § 433 I 1 BGB.

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II.    Anspruch des K gegen V auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280
       I, III, 283 S. 1 BGB

       K könnte gegen V jedoch Sekundäransprüche geltend machen. In Betracht
       kommt ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 283
       S. 1 BGB.

       1.       Schuldverhältnis
                Das setzt voraus, dass zwischen K und V ein Schuldverhältnis besteht.
                Hier ist zwischen K und V ein Kaufvertrag zustande gekommen (s.o.), ein
                Schuldverhältnis besteht damit.

       2.       Pflichtverletzung
                Weiterhin müsste V eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt ha-
                ben. Das ist grds. der Fall, wenn er mit seiner Leistung hinter dem Pflich-
                tenprogramm des Schuldverhältnisses zurückbleibt, also zu spät, schlecht
                oder gar nicht leistet. V ist nicht imstande, die geschuldete Leistung zu
                erbringen. Eine Pflichtverletzung liegt damit vor.

       3.       Vertretenmüssen
                Diese Pflichtverletzung müsste V zu vertreten haben, § 280 I 2 BGB.
                Grds. hat der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Hier
                handelte V mit Wissen und Wollen im Bewusstsein der Rechtswidrigkeit,
                mithin vorsätzlich. Er hat die Pflichtverletzung zu vertreten.

       4.       Folge: Schadensersatz statt der Leistung
                K muss so gestellt werden, wie er stünde, wenn V ordnungsgemäß erfüllt
                hätte (Ersatz des positiven Interesses). Wenn V seiner Verpflichtung aus
                dem Kaufvertrag pflichtgemäß nachgekommen wäre, hätte K Eigentum
                und Besitz an einem Pkw im Wert von 4.000 € erlangt. K hat gegen V da-
                her einen Anspruch auf Zahlung von 4.000 €.

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III.   Anspruch des K gegen V auf Zahlung von 6.000 € aus § 285 I BGB (stellver-
       tretendes commodum)

       K könnte gegen V auch einen Anspruch auf Zahlung von 6.000 € aus § 285 I
       BGB haben.

       1.       Ausschluss der Leistungspflicht nach § 275 BGB
                Der Anspruch nach § 285 I BGB setzt zunächst voraus, dass die Leis-
                tungspflicht des Schuldners gem. § 275 BGB erloschen ist. Dies ist vorlie-
                gend der Fall (s.o.).

       2.       Rechtsfolge: Herausgabe des Erlangten
                Der Schuldner ist verpflichtet, dasjenige, was er aufgrund des Leistungs-
                hindernisses als Ersatz für den geschuldeten Gegenstand bekommen hat,
                herauszugeben. Erfasst sind hiervon auch rechtsgeschäftliche Surrogate,
                sofern diese gerade für den geschuldeten Gegenstand erlangt wurden.
                Hier hat V 6.000 € für die an sich geschuldete Übergabe und Übereignung
                des Pkw erhalten, die K nunmehr herausverlangen kann.

IV.    Anspruch des K gegen V auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von
       5.000 € aus § 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB

       K könnte gegen V weiterhin einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises
       aus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB haben.

       1.       Gegenseitiger Vertrag
                Dann müsste es sich beim Kaufvertrag um einen gegenseitigen Vertrag
                handeln. Beim Kaufvertrag stehen die Pflicht des Verkäufers zur Übereig-
                nung und Übergabe der Sache und die Pflicht des Käufers zur Zahlung
                des vereinbarten Kaufpreises im Gegenseitigkeitsverhältnis. Der Kaufver-
                trag ist daher ein gegenseitiger Vertrag.

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2.       Nichtleistung wegen Unmöglichkeit
                Die Leistungspflicht müsste aufgrund Unmöglichkeit entfallen sein, § 326 I
                1, 1. Hs. BGB. Dies ist vorliegend der Fall (s.o.).

       3.       Rechtsfolge: Wertersatz
                Gem. §§ 326 IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB muss V Wertersatz leisten. K hat ge-
                gen V einen Anspruch auf Wertersatz i.H.d. bereits gezahlten Kaufpreises
                aus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1 BGB.

V.     Gesamtergebnis

       K hat gegen V einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung und auf Her-
       ausgabe des Surrogats. Gem. § 285 II BGB kann er zwischen beiden Ansprü-
       chen den für ihn vorteilhafteren wählen. Einen Anspruch auf Rückzahlung des
       bereits gezahlten Kaufpreises hat K aus §§ 326 I 1, 1. Hs., IV, 346 II 1 Nr. 1
       BGB.

e)        FALL: „GRILLKAUF“

Imbissbesitzer I kauft am 01.06. beim Gastronomieausstatter G für 1.000 € einen Dö-
nergrill. Dabei wird Anlieferung durch G vereinbart. Bei dem Grill handelt es sich um
ein Sonderangebot im tatsächlichen Wert von 1.200 €. Als G nicht liefert, setzt I ihm
am 15.06. eine Lieferfrist bis zum 22.06., die ereignislos verstreicht. Am 29.06. be-
stellt I bei einem anderen Händler einen Grill desselben Typs zum Preis von 1.200 €.
Noch am selben Tag verlangt I von G Schadensersatz für die Mehrkosten des Er-
satzgerätes i.H.v. 200 € sowie Ersatz des aus dem Verkauf von Döner entgangenen
Gewinns für die gesamte Zeit bis zur Lieferung des Ersatzgeräts, die erst am 12.07.
erfolgen kann.
Zu Recht?

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Lösungsvorschlag:

I.     I gegen G auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I, III, 281 I 1
       BGB

       I könnte gegen G einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung aus
       §§ 280 I, III, 281 I 1 BGB haben.

 1.     Schuldverhältnis
                Mit Abschluss des Kaufvertrages ist ein Schuldverhältnis zwischen I und G
                begründet worden.

 2.    Pflichtverletzung
                G müsste eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt haben. Grds.
                verletzt der Schuldner eine Pflicht, wenn er mit seiner Leistung hinter dem
                Pflichtenprogramm     des   Schuldverhältnisses     zurückbleibt,   also   insb.
                schlecht, gar nicht oder zu spät leistet. Hier könnte G seinerseits zu spät ge-
                liefert haben. Allerdings finden sich keine Informationen zu einem Lieferter-
                min. Daher gilt der Grundsatz des § 271 I BGB, wonach zur Rechtzeitigkeit
                der Leistung im Zweifel „sofort“ geleistet werden muss. G hat nicht rechtzei-
                tig geliefert, sodass er eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt hat.

 3.    Erfolglose Nachfrist
                Zudem müsste I dem G eine Aufforderung mit angemessener Frist zur Vor-
                nahme der Leistung gesetzt haben, vgl. § 281 I 1 BGB. Eine solche Frist ist
                grds. angemessen, wenn der Schuldner genügend Zeit hat, die Leistung
                nachzuholen. Am 15.06. setzte I eine Frist, die zum 22.06. ohne eine Liefe-
                rung zu erhalten fruchtlos ablief. Eine erfolglose Nachfristsetzung seitens I
                liegt also vor.

 4.    Vertretenmüssen, § 280 I 2
                Das Ausbleiben der Lieferung müsste G auch zu vertreten haben. Grds. hat
                der Schuldner Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, § 276. Hier fehlen

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dem Sachverhalt Informationen dazu. Doch die Wertung des § 280 I 2 BGB
                bestimmt, dass der Schuldner sich zu exkulpieren hat, wenn er nicht auf
                Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen werden will. Die Re-
                gelungstechnik des Gesetzes geht also von einer widerlegbaren Vermutung
                aus. Diese hat G nicht widerlegt, sodass er die Nichtleistung trotz Fälligkeit
                auch zu vertreten hat.

 5.    Schaden, § 249 I BGB
                I hat einen Anspruch auf den Ersatz aller Schäden, die sich aus dem endgül-
                tigen Ausbleiben der Leistung ergeben. Entscheidend hierfür ist der Zeit-
                punkt der Geltendmachung des Anspruches, vgl. § 281 IV BGB:

                Nach der Differenzhypothese steht I jede Position zu, die nach dem Ver-
                gleich des tatsächlichen Vermögens mit dem hypothetischen Vermögens-
                stand, der ohne das schädigende Ereignis vorliegen würde. Für den Fall hät-
                te I den Dönergrill für 200 € weniger erhalten, sodass ihm in der Höhe ein
                Schaden entstanden ist.
                Ferner hätte I vom 29.06.-12.07. Döner verkaufen können, sodass er für
                diesen Zeitraum ein Gewinn entgangen ist, § 252 S. 1 BGB. Diesen kann er
                ebenfalls im Rahmen des Schadens geltend machen.

 6.    Ergebnis
                I hat gegen G einen Anspruch aus Schadensersatz statt der Leistung i.H.v.
                200 € und eines konkret zu ermittelnden entgangenen Gewinns im Zeitraum
                vom 29.06.-12.07. aus §§ 280 I, III, 281 I 1 BGB.

II.    I gegen G auf Ersatz des Verzugschadens aus §§ 280 I, II, 286 I BGB

       I könnte weiterhin einen Anspruch auf Ersatz des Verzögerungsschadens aus
       §§ 280 I, II, 286 BGB haben.

       1. Schuldverhältnis
                Zwischen I und G besteht ein Schuldverhältnis (s.o.)
       2. Nichtleistung trotz Fälligkeit

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G hat trotz Möglichkeit und Fälligkeit nicht geleistet, sodass eine Pflichtver-
                letzung vorliegt.

       3. Mahnung, § 286 I 1 BGB
                Zudem müsste        I   den   G   gemahnt   haben.   Die   Mahnung     ist   als
                rechtsgeschäftsähnliche       Handlung   die   bestimmte     und    eindeutige
                Aufforderung an den Schuldner, der Leistung nachzukommen. Eine solche
                Aufforderung hat I dem G mit der Lieferfrist bis zum 22.06. gesetzt.

       4. Vertretenmüssen, § 280 I 2 BGB
                G hat die Verzögerung der Leistung zu vertreten.

       5. Schaden / Ergebnis
                Folglich kann I den Ersatz des Verzögerungsschadens gegen G geltend
                machen, also den Schaden, der für die Zeit eintrat, in der G im Verzug war.
                G befand sich vom 15.06.-29.06. in Verzug.

                Ab der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches statt der Leistung
                erlischt der Anspruch auf die Leistung gem. § 281 IV. Der danach eingetre-
                tene Verdienstausfall kann daher nicht mehr als Verzögerungsschaden gel-
                tend gemacht werden.

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2.        STRAFRECHT

a)        KLASSISCHE FALLFRAGEN IM STRAFRECHT

In strafrechtlichen Klausuren geht es darum, wonach sich die im Sachverhalt genann-
ten Personen strafbar gemacht haben. Die Fallfrage kann einzelne Personen
und/oder einzelne Delikte von der Prüfung ausnehmen.

•      „Strafbarkeit der Beteiligten?“

      Der Klassiker im Strafrecht. Zu prüfen ist, wonach sich die Beteiligten strafbar
          gemacht haben. Dabei gilt der Grundsatz, dass alle Personen getrennt zu prü-
          fen sind. Nur ausnahmsweise können Personen dann zusammen geprüft wer-
          den, wenn sie alle Tathandlungen gemeinsam ausgeführt haben.

•         „Hat sich A gem. § 223 StGB strafbar gemacht?“

       In diesem Fall ist ausschließlich die Strafbarkeit des A gem. § 223 StGB zu
          prüfen.

•        Häufig findet sich in strafrechtlichen Klausuren im Bearbeitervermerk der Hin-
         weis, dass bestimmte Delikte nicht zu prüfen sind. Dabei können konkrete De-
         likte („§ 123 StGB ist nicht zu prüfen.“) oder sämtliche sog. Nebenstraftatbe-
         stände von der Prüfung ausgenommen werden („Strafbarkeit des A nach dem
         StGB?“).

       Diese Hinweise sind streng zu beachten. Prüfungen entgegen der o.g. Bear-
          beitervermerke und Einschränkungen sind überflüssig und bringen keine
          Punkte. Im Gegenteil, das Risiko, Fehler zu verursachen, steigt.

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B)        AUFBAU DES STRAFRECHTLICHEN GUTACHTENS

Vorbereitende Arbeiten:

•        Strafbar sind nur Handlungen, nicht aber Gedanken, Ansichten oder Motive.
•        Handlungen werden durch Verben beschrieben.
•        Jedes im Sachverhalt verwendete Verb kann Anknüpfungspunkt für eine Straf-
         barkeit sein.
•        Es bietet sich daher an, alle Verben des Sachverhaltes kenntlich zu machen,
         um sicherzustellen, dass keine Strafbarkeit ausgelassen wird.
•        Hierbei sollte der Sachverhalt bereits in Tatkomplexe unterteilt werden.
•        Sodann sind zunächst alle in Betracht kommenden Straftatbestände je Person
         und Tatkomplex zu sammeln.
•        Darauf folgt ein systematisches „Durchblättern“ des StGB: Jeder auch nur ent-
         fernt einschlägige Straftatbestand sollte notiert werden.

Prüfungsreihenfolge:

•        Die schwersten Delikte innerhalb eines Tatkomplexes sind grds. voranzustellen
         (Totschlag vor Körperverletzung, Raub vor Diebstahl).
•        Vorsatz vor Fahrlässigkeit
•        Täterschaft vor Teilnahme
•        Bei Mittäterschaft wird mit dem Tatnächsten begonnen.

Prüfungsaufbau
Das vollendete vorsätzliche Erfolgsdelikt

I.     Tatbestand
       1.       Objektiver Tatbestand
       2.       Subjektiver Tatbestand
II.    Rechtswidrigkeit

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