Kampfdrohnen für die Bundeswehr? - Nomos eLibrary

 
WEITER LESEN
For u m

Kampfdrohnen für die Bundeswehr?
Die Republik diskutiert über Drohnen – genauer: über Verteidigungsminister Thomas de Maizière und das millionenschwere
Beschaffungsdebakel beim Euro Hawk. Allerdings droht der Streit über politische Verantwortung, administrative Mängel und
persönliche Versäumnisse eine grundlegende Debatte zu ersticken: Braucht die Bundeswehr solche Aufklärungssysteme? Der
Minister liebäugelt sogar mit der Anschaffung von Kampfdrohnen. Bis Ende des Jahres hält er eine Auswahlentscheidung für
möglich, die dem neuen Bundestag zur Bewilligung vorlegt werden könne. Solche Waffen seien – wie anderes Militärgerät
auch – ethisch neutral. Das mag auf den ersten Blick empören. Schließlich handelt es sich um jene Systeme, die die USA
zur gezielten Tötung von Terrorverdächtigen einsetzen. Auf den zweiten Blick erscheint die Kampfdrohnen-Option nur
konsequent. Denn die Bundeswehr ist seit Jahren eine Armee im Einsatz. Und verdienen ihre Soldaten und Soldatinnen
nicht den bestmöglichen Schutz – auch durch unbemannte Waffensysteme? S+F hat hierzu kontroverse Stimmen eingeholt:
Der erste Beitrag gibt die Sicht eines hochrangigen Beamten aus dem Verteidigungsministerium wieder. Danach beziehen
Politiker Stellung. Dabei kommt sowohl ein Befürworter als auch ein Kritiker der Anschaffung von Kampfdrohnen zu Wort.
Abschließend problematisieren zwei Wissenschaftler und eine Wissenschaftlerin sicherheitspolitische, ethische und völker­
rechtliche Implikationen unbemannter Waffensysteme. Die Debatte darf nicht auf die Frage militärischer Funktionalität
verkürzt werden.
                                                                                                                                   Sabine Jaberg

Zur Zukunft der Drohnen                                                        Flugkörpers. Gleichzeitig ermöglicht diese Agilität einen Ab­
                                                                               bruch der Bekämpfung durch eine Flugwegänderung weg vom
Ulrich Schlie                                                                  Ziel, wenn dies durch eine plötzliche Veränderung der Lage
                                                                               erforderlich wird – beispielsweise durch das Eintreten unbe­
Drohnen haben gegenwärtig mediale Konjunktur. Von einer                        teiligter Personen in den Wirkradius der Waffe. Aus diesem
echten gesellschaftlichen Debatte freilich, wie sie der Bun­                   Grund ist der Waffeneinsatz von bewaffneten UAS auch einem
desminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, wie­                     Einsatz von Mörsern, Artillerie und ungelenkten Flugkörpern
derholt gefordert hat, sind wir noch immer ein gutes Stück                     vorzuziehen. Bewaffnete UAS können darüber hinaus einen
entfernt. Die Aufregung um die Entscheidung, das Euro-                         erkannten Gegner reaktionsschnell und präzise und skalierbar
Hawk-Programm nicht weiter zu verfolgen und die Spekula­                       bekämpfen, auch dann, wenn er sich in unmittelbarer Nähe
tionen um eine künftige Entscheidung der Bundesregierung,                      zu eigenen Kräften, zu Zivilpersonen oder eigenen Einrich­
Drohnen zu beschaffen, haben vielmehr eine Entrüstungs­                        tungen befindet.
spirale in Gang gesetzt, die Gefahr läuft, den Blick auf das                   Einsatzerfahrungen der Nutzer von bewaffneten UAS zeigen,
Wesentliche zu verstellen. Dabei kommt insbesondere zu                         dass eine ein bis zwei Sekunden dauernde zeitliche Verzö­
kurz, dass es in der Geschichte der Kriegführung seit jeher                    gerung des Lagebildes durch die SATCOM-Verbindung vom
Innovationssprünge gegeben hat. Im vergangenen Jahrhun­                        UAS zum verantwortlichen Offizier und zurück für den Einsatz
dert haben etwa die Entwicklung des Panzers oder auch des                      unerheblich ist. Auch beim Waffeneinsatz von bemannten
Flugzeugs die Kriegführung regelrecht revolutioniert. Heute                    Luftfahrzeugen aus lassen sich zeitliche Verzögerungen des
verändern die Miniaturisierung technischer Systeme und die                     Lagebildes aufgrund der Funk-/ Datenverbindung nicht aus­
Entwicklungen im Bereich unbemannter Systeme die mili­                         schließen. Sie dürfen kein Hindernis für einen Waffeneinsatz
tärischen Möglichkeiten und Fähigkeiten. Freilich gilt, dass                   darstellen.
nicht die Einsatzmöglichkeiten oder -fähigkeiten von Waffen­
systemen entscheiden, sondern der Primat der Politik gilt und                  Gerade für Zugriffsoperationen der Spezialkräfte sind UAS
die Gesetze den Rahmen für den Einsatz bewaffneter Gewalt                      unverzichtbar. UAS können beispielsweise weit im Vorfeld
vorgeben.                                                                      einer Zugriffsoperation das Zielgebiet überwachen, die Ziel­
                                                                               personen aufklären, zu deren Identifizierung beitragen und
Für eine effektive und verzugslose Bekämpfung gegnerischer
                                                                               auch während der Zugriffsoperation durch die Bereitstellung
Kräfte – unter Vermeidung von Opfern in der Zivilbevölke­
                                                                               von Sensordaten in Echtzeit effektiv unterstützen. Darüber
rung – sind bewaffnete Unmanned Aerial Systems (UAS) auf­
                                                                               hinaus ermöglichen ausschließlich UAS die weitere Beobach­
grund ihrer Verweildauer und Präzisionsfähigkeit in Ver­
                                                                               tung auch nach Ende einer Operation. Überdies können
bindung mit einer skalierbaren Waffenwirkung, oftmals die
                                                                               festgehaltene und gespeicherte Daten die Einhaltung oder
einzige erfolgversprechende Möglichkeit, eigene Kräfte wirk­
                                                                               Verletzungen von Einsatzregeln dokumentieren. Bei Bedarf
sam zu unterstützen. Für das Erreichen der erforderlichen Prä­
                                                                               stehen die gewonnenen Aufklärungsergebnisse auch den zu­
zision zur Zielerfassung und -verfolgung sind sowohl für das
                                                                               ständigen Ermittlungsbehörden zu einer Strafverfolgung zur
UAS als auch für die Bewaffnung eine leistungsfähige Senso­
                                                                               Verfügung.
rik, eine stabile Datenverbindung und ein hochentwickelter
Suchkopf der Waffe notwendig. Zudem erfordert die effektive                    Auch in der heutigen Einsatzwirklichkeit der deutschen
Bekämpfung von beweglichen Zielen eine hohe Agilität des                       Bundeswehr sind Drohnen nicht mehr wegzudenken. Die

                                                      https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175                 S+F (31. Jg.) 3/2 013   | 175
                                               Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                        Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
For u m    | Kiesewetter, Kampfdrohnen für die Bundeswehr? Ja – zum Schutz der Soldaten!

Bundeswehr setzt heute unbewaffnete, unbemannte Luft­                          eines Kampfflugzeuges in den wenigen Sekunden des Zielan­
fahrzeuge der Medium Altitude Long Endurance (MALE)-Klasse                     flugs möglich ist.
vom Typ Heron 1 seit März 2010 u.a. erfolgreich in Afgha­
                                                                               Auch im asymmetrischen Gefecht sind die Regeln des Völ­
nistan ein. Diese unbewaffneten UAS wie Heron 1 dienen der
                                                                               kerrechts nicht außer Kraft gesetzt. Grundsätzlich regelt das
kontinuierlichen Aufklärung und Überwachung zum Schutz
                                                                               geltende humanitäre Völkerrecht den Einsatz unbemannter
unserer Soldaten am Boden, sie verfügen über eine geringe
                                                                               Luftfahrtsysteme im bewaffneten Konflikt umfassend und
optische und akustische Signatur, die sie für einen Gegner
                                                                               angemessen. Eine Neuregelung, etwa durch einen Vertrag, ist
ohne geeignete technische Hilfsmittel nahezu unbemerkbar
                                                                               völkerrechtlich nicht erforderlich.
machen.
                                                                               Unter anderem verpflichtet Artikel 36 des Ersten Zusatzproto­
Geltende Grundlagen und Grundsätze für Einsätze der Bun­
                                                                               kolls zu den Genfer Abkommen die Vertragstaaten, „bei der
deswehr werden durch bewaffnete Drohnen nicht verändert.
                                                                               Prüfung, Entwicklung, Beschaffung und Einführung neuer
Gezielte Tötungen – unerheblich, ob als Folge von Drohnen­                     Waffen oder neuer Mittel und Methoden der Kriegsführung
einsätzen oder anderen bewaffneten Mitteln – verstoßen ge­                     festzustellen, ob ihre Verwendung stets oder unter bestimmten
gen deutsches Recht und Gesetz. Weder der Auftrag noch die                     Umständen, gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts
Einsatzpraxis der Bundeswehr könnten damit in Verbindung                       verstößt“. Insbesondere ist hier zu prüfen, ob eine Waffe oder
gebracht werden.                                                               eine Methode oder ein Mittel der Kriegführung geeignet ist,
Die Aufgabe der Bundeswehr besteht vielmehr darin, deutsche                    überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verur­
Soldatinnen und Soldaten am Boden durch eine kontinuier­                       sachen, oder ob sie grundsätzlich nur so eingesetzt werden
liche Aufklärung und Überwachung zu schützen. Erreicht wird                    können, dass keine Unterscheidung zwischen militärischen
dies durch die sehr lange Stehzeit derartiger Systeme im Ein­                  Zielen und der Zivilbevölkerung möglich ist. Eine generelle
satzraum, wodurch weite Räume überwacht werden können                          Anwendbarkeit der Regelung des Art. 36 des Ersten Zusatz­
Durch diese Fähigkeit ist zudem sichergestellt, dass Aufklä­                   protokolls in Bezug auf UAS besteht nicht. Die in der völ­
rungsergebnisse in Echtzeit an die Truppe am Boden übermit­                    kerrechtswissenschaftlichen Diskussion vereinzelt vertretene
telt werden können. Auf diese Weise erfolgen beispielsweise                    Auffassung, wonach es sich bei UAS um stand alone weapons
lebensrettende Frühwarnungen. Im Auslandseinsatz entfal­                       oder (als Gesamtsystem betrachtet) um eine neue Methode
ten unbemannte Aufklärungsflugzeuge ihren ganzen Nutzen,                       bzw. ein neues Mittel der Kriegführung handele, wird von der
etwa um unsere Patrouillen in Afghanistan vor Hinterhalten                     Bundesregierung in Übereinstimmung mit der überwiegenden
oder Sprengfallen zu warnen. Die Kommandeure vor Ort in                        Auffassung anderer Staaten abgelehnt.
Afghanistan haben seit März 2010 immer wieder bestätigt,                       Drohnen entbinden nicht den Menschen von seiner Verant­
dass sich die Sicherheitslage für die eigenen Kräfte im Ein­                   wortung, im Gegenteil: Sie erhöhen die Verantwortung für
satzgebiet aufgrund des Drohneneinsatzes bereits spür- und                     den Einsatz militärischer Gewalt, weil sie Komplexität und
messbar verbessert hat.                                                        Wirkung erhöhen, aber sie erschließen auch die Perspektive
Oft taucht die Frage auf, ob der Schutz der Soldaten nicht auch                größeren Schutzes und sie sollten uns veranlassen, in stär­
mit den bereits vorhandenen Waffensystemen der Bundeswehr                      kerem Maße als bisher unseren Fokus auf die doppelte Di­
gewährleistet werden kann. Zunächst gilt: Die Aufklärungslei­                  mension von Diplomatie und Kriegführung als aufeinander
stung, die mit einem UAS HERON 1 im Afghanistaneinsatz                         bezogene Elemente der Strategie zu richten.
erreicht wird, könnte theoretisch auch mit bemannten Auf­                      Dr. Ulrich Schlie, Historiker, ist Ministerialdirektor und Politischer
klärungsflugzeugen sichergestellt werden. Dies wäre allerdings                 Direktor im Bundesministerium der Verteidigung. Der Beitrag gibt
mit erheblich höherem Aufwand, mehr Kosten und mit einem                       die Meinung des Autors wieder.
deutlich größeren Risiko für Mensch und Material verbunden.
Im Vergleich zu den Möglichkeiten bewaffneter Drohnen wür­
de eine Luftnahunterstützung durch Kampfflugzeuge in den                       Kampfdrohnen für die Bundeswehr?
meisten Situationen viel zu lange dauern: Bis ein Kampfflug­
zeug angefordert ist, Anflug und Einweisung in die Situation
                                                                               Ja – zum Schutz der Soldaten!
am Boden und auf das Ziel erfolgt sind, verstreicht wertvolle
                                                                               Roderich Kiesewetter
Zeit. Eine Unterstützung durch eine Panzerhaubitze wäre in
vielen Fällen weder ausreichend präzise noch skalierbar, um
                                                                               Im Zuge der Euro-Hawk-Debatte sind Aufklärungs- und
ohne Gefahr für eigene Kräfte und Unbeteiligte eingesetzt zu
                                                                               Kampfdrohnen in den Fokus der politischen Diskussion ge­
werden.
                                                                               rückt. Allerdings ist die Debatte in vielen Fällen durch begriff­
Im Vergleich dazu steht dem Operateur einer Drohne durch                       liche Unschärfen oder Emotionalisierungen des Sachverhaltes
die lange, kontinuierliche Überwachung ein sehr viel größeres                  („Killer-Drohnen“) gekennzeichnet. Der langfristige strate­
Zeitfenster zur Verfügung, um die Lage zu erfassen und zu                      gische Nutzen des Erwerbs von Kampfdrohnen und ihr Bei­
beurteilen, sodass Fehler infolge des sogenannten Battle-Stress                trag zum Schutz deutscher Soldatinnen und Soldaten werden
oder aufgrund einer Fehlinterpretation der Situation vermie­                   kaum thematisiert. Es existiert eine Leerstelle im öffentlichen
den werden können. Das damit verbundene Zeitfenster er­                        Diskurs. Hierzu möchte ich drei Punkte aufführen, die aus
möglicht dem Operateur auch die gebotene Überprüfung der                       meiner Sicht die Notwendigkeit von Drohnen für die Bun­
Zielbekämpfung auf bessere Weise, als dies etwa dem Piloten                    deswehr begründen.

176 | S+F (31. Jg.) 3/2013                            https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175
                                               Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                        Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Nouripour, Kampfdrohnen für die Bundeswehr? Nein!                         | For u m

Erstens: In den USA haben militärische Publikationen (wie                       Entwicklung. So sind unsere Verbündeten – insbesondere
etwa Parameters des Strategic Studies Institute in Carlisle)                    die Vereinigten Staaten von Amerika und Israel – führend in
die Drohnen-Debatte stark mitgeprägt und den Erfahrungen                        Forschung und Entwicklung von unbemannten Flugkörpern.
dienender Soldatinnen und Soldaten eine Stimme gegeben.                         Aber auch Staaten wie China und Russland interessieren sich
Bei uns ist ein solcher zivil-militärischer Dialog weniger                      für die Technologie, was eine Reihe von Problemen für die
entwickelt. Aus diesem Grund fehlen uns Informationen,                          Zukunft aufwirft. Mit den historischen Erfahrungen der nu­
welche konkreten Vorteile Kampf- und Aufklärungsdrohnen                         klearen Proliferation vor Augen stellt sich etwa die Frage, wie
im Einsatz bieten. So ermöglichen Unmanned Aerial Vehicles                      hoch im Falle der Drohnen das Risiko der Etablierung von
(UAVs) inmitten eines Krisengebiets schnelle Territorialson­                    Proliferationsnetzwerken ist, durch die technische Blaupau­
dierung und damit auch einen längeren Reaktionszeitraum                         sen oder Bauteile in die Hände von instabilen Staaten oder
gegenüber Bedrohungen. Durch Kampfdrohnen können                                nichtstaatlichen Akteuren gelangen können. Der jüngste Ab­
zudem besonders gefährliche Einsätze vom Mensch an die                          schuss einer – wenn auch vergleichsweise provisorischen –
Maschine delegiert werden, was ebenfalls dem Schutz un­                         Drohne der Hisbollah auf israelischem Territorium sowie die
serer Soldatinnen und Soldaten dient. Diese Argumente für                       Verbindung zu Teheran illustriert die sicherheitspolitischen
den Einsatz von Kampfdrohnen wiegen schwer. Die Bun­                            Risiken, die in den kommenden Jahren und Jahrzehnten
deswehr definiert sich ihrem Leitspruch nach als Dienerin                       zunehmend zu erwarten sind. In diesem globalen Kontext
Deutschlands, sie verdient im Gegenzug den besten Schutz,                       kann Deutschland nicht einfach auf einer Politik der splendid
der innerhalb eines Konfliktgebiets für sie gewährleistet wer­                  isolation beharren. Drohnen sind sicherheitspolitische Reali­
den kann. Dieser Auftrag stellt im Kontext der modernen                         tät. Unser Handeln muss diese neuen Rahmenbedingungen
Kampfeinsätze der Bundeswehr eine Herausforderung dar.                          anerkennen.
Klassische Konfliktstrukturen – Symmetrie der partizipie­                       Diesen drei Aspekten der Drohnen-Debatte, die aus meiner
renden Parteien sowie örtliche und zeitliche Begrenzung der                     Sicht zu wenig beleuchtet werden und die eine Notwen­
Kampfhandlungen – werden zunehmend obsolet, stattdessen                         digkeit zum Schutz deutscher Soldaten begründen, möchte
befinden sich asymmetrische Konflikte und irreguläre Krieg­                     ich als Mitglied des Deutschen Bundestages abschließend
führung auf dem Vormarsch. In den Zeiten von Selbstmord­                        einen weiteren Punkt hinzufügen: Unser Parlament besitzt
attentaten und Improvised Explosive Devices (IEDs) verlieren                    ein umfassendes Instrumentarium, um den tatsächlichen
etablierte Konzepte des Truppenschutzes an Effektivität.                        Einsatz von Drohnen einhegen und kontrollieren zu
Deutschlands Politik zum Schutz seiner Soldaten und Solda­                      können. So hat Verteidigungsminister Thomas de Maizière
tinnen kann aus diesem Grund nicht allein reaktiv bleiben.                      bereits deutlich gemacht, dass in einem ersten Schritt die
Der Einsatz von Kampfdrohnen ermöglicht es, gezielt Bedro­                      Mandatierung durch eine Bundestagsabstimmung stehen
hungen auszuschalten, bevor sie das Leben deutscher Solda­                      muss, bevor dann die Anwendung robuster Maßnahmen
ten und Soldatinnen und unschuldiger Zivilisten gefährden.                      erfolgt. Die parteiübergreifende Diskussion im Parlament
Zur erhöhten Schutzleistung trägt auch bei, dass UAVs in                        stellt die Transparenz des Prozesses sicher. Sie garantiert auch,
Echtzeit Informationen zum Gebiet liefern, in dem deutsche                      dass eine Vielzahl variierender Perspektiven Gehör findet.
Soldaten operieren. Bedrohungen können somit sehr früh                          Im internationalen Vergleich, etwa mit den USA, wo diese
erkannt werden. Bisher musste bei Gefahr aufwendig Luftun­                      Entscheidungen in einem informellen Rahmen innerhalb des
terstützung angefordert werden – mit einem Zeitbedarf von                       National Security Council getroffen werden, präsentiert sich ein
20 bis 30 Minuten. In der Zwischenzeit bis zum Eintreffen                       solcher Arbeitsmodus als vorbildlich.
der Kampfflugzeuge sind deutsche Soldatinnen und Soldaten
                                                                                Roderich Kiesewetter MdB ist Mitglied des Auswärtigen Ausschus­
in Lebensgefahr. Mit bewaffneten Drohnen kann die Ein­
                                                                                ses und des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Er ist
satztruppe unmittelbar nach Erkennung der Bedrohung den
                                                                                Obmann der CDU/CSU-Fraktion für Abrüstung, Rüstungskontrolle
Gegner bekämpfen, ohne Zeitverzug und hochpräzise ohne
                                                                                und Nichtverbreitung. Seit 2011 ist Oberst a.D. Kiesewetter Präsi­
sogenannte Kollateralschäden.
                                                                                dent des Reservistenverbandes.
Zweitens: In der aufgeheizten Debatte sollte weiterhin darauf
hingewiesen werden, dass Drohnen keine neue ethische Di­
mension der Kriegführung eröffnen. Etablierte Distanzwaffen,                    Kampfdrohnen für die Bundeswehr?
wie etwa Cruise Missiles, sind ebenfalls dadurch definiert, dass
Schütze und Zielobjekt nur indirekt miteinander konfrontiert
                                                                                Nein!
sind. Kampfdrohnen repräsentieren zwar auf technologischer
                                                                                Omid Nouripour
Ebene eine bedeutsame Innovation, aus militärischer Perspek­
tive dagegen stellen sie nur eine taktische Adaption dar, die
                                                                                Sind unbemannte Luftfahrzeuge die Technologie der Zu­
höhere Präzision und Effizienz garantiert. Die Kontinuität
                                                                                kunft? Folgt man der gegenwärtigen Debatte, drängt sich
liegt dabei in der Tatsache, dass die letzte Entscheidung über
                                                                                diese Schlussfolgerung auf. Und es ist unbestreitbar, dass un­
den Einsatz von Zwangsmaßnahmen immer noch beim Men­
                                                                                bemannte Systeme zahlreiche nützliche Fähigkeiten haben:
schen selbst liegt.
                                                                                Sie können (und das betrifft auch unbemannte See- oder
Drittens: Die Festlegung der deutschen Position muss immer                      Landsysteme) dorthin vordringen, wo Menschen nur schwer
auch mit Blick auf das internationale Umfeld erfolgen. Droh­                    Zugang haben. Sie können beispielweise bei Naturkatastro­
nen sind global auf dem Vormarsch – eine unumkehrbare                           phen Eingeschlossene oder Verschüttete aufspüren und bei

                                                       https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175                 S+F (31. Jg.) 3/2 013   | 177
                                                Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                         Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
For u m      | Nouripour, Kampfdrohnen für die Bundeswehr? Nein!

der Bergung behilflich sein. In der Forschung und im Umwelt­                           Drohnen, die sich auf Verkehrsflughöhe bewegen, nur mit
schutz erfassen unbemannte Systeme Daten in unwirtlichen                               vorläufigen Zulassungen in gesperrten Lufträumen. Eine In­
Gegenden. Gerade der Technologiestandort Deutschland ist in                            tegration in den zivilen Luftraum ist bisher nur Zukunftsmu­
diesen Bereichen sehr aktiv und alles andere als rückständig.                          sik und in absehbarer Zeit nicht zu realisieren. Selbst in den
                                                                                       Einsatzgebieten gibt es hier Defizite. Dies zeigt ein kürzlich
Auch die Bundeswehr nutzt bereits heute unbewaffnete un­
                                                                                       veröffentlichtes Video vom Beinahezusammenstoß einer Lu­
bemannte Systeme. In Afghanistan leisten die Drohnen Luna,
                                                                                       na-Überwachungsdrohne der Bundeswehr mit einem zivilen
Heron oder Aladin einen wichtigen Beitrag zum Schutz der
                                                                                       Airbus über Kabul oder auch die vielen, bislang zum Glück
Soldatinnen und Soldaten sowie der Zivilbevölkerung. Nun
                                                                                       glimpflich verlaufenen Zwischenfälle mit amerikanischen
sollen auch für die Bundeswehr bewaffnete Drohnen ange­
                                                                                       Drohnen.
schafft werden. Man hat den Eindruck, dass diesem Wunsch,
um jeden Preis die neueste militärische Technologie zu be­                             Auch bewaffnete, ferngesteuerte Drohnen sind Teil der Streit­
sitzen, die „anrührend optimistische“ Prämisse unterliegt,                             kräfte vieler Länder. Aus rechtlicher Sicht ist der Einsatz von
„Maschinen könnten das vom Menschen gemachte Problem                                   Kampfdrohnen in bewaffneten Konflikten im Rahmen des
des Krieges lösen“.1 Diese Prämisse wurde in der Geschichte                            humanitären Völkerrechts im Grundsatz zulässig. Doch ha­
militärischer Innovation stets aufs Neue widerlegt.                                    ben die Kampfdrohnen einer äußerst bedenklichen Praxis
                                                                                       Vorschub geleistet: den so genannten gezielten Tötungen.
Deshalb lehnen Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Beschaffung                                   Während des von George W. Bush ausgerufenen „War on
von Kampfdrohnen für die Bundeswehr ab. Mit seiner bei­                                Terror“ wurde gegen Terroristinnen und Terroristen teilweise
läufigen Bemerkung von der „ethischen Neutralität“ von                                 nicht strafrechtlich vorgegangen, sondern es wurden ohne
Drohnen wollte Verteidigungsminister Thomas de Maizière                                jegliches juristisches Verfahren willkürlich Personen zum Ab­
anscheinend sogar die Debatte über grundsätzliche ethische                             schuss freigegeben. Präsident Barack Obama setzte diese Praxis
Fragen und die Folgen des Einsatzes dieser Waffen umgehen.                             in Form von overseas contingency operations, dem Einsatz von
Das ist verantwortungslos.                                                             Spezialkräften und bewaffneten Drohnen außerhalb bewaff­
Den äußersten Punkt in dieser Debatte markieren bewaffnete                             neter Konflikte, fort und erweiterte sie erheblich. Allein in
und autonome Systeme, also Waffen, die (im Gegensatz zu                                Pakistan kamen bei den Einsätzen von Kampfdrohnen für ge­
den heute geläufigen, ferngesteuerten Systemen) ohne direkte                           zielte Tötungen nach bisherigen Schätzungen zwischen 400
Einwirkung durch den Menschen Waffengewalt ausüben. Sie                                und 900 Zivilisten ums Leben, darunter bis zu 200 Kinder.2
werfen weitere Fragen auf: Kann das Programmieren von                                  Diese Operationen sind geheimdienstgeführt und damit der
Codezeilen über das Leben von Menschen entscheiden? Die                                öffentlichen Kontrolle weitestgehend entzogen, sie verletzen
Antwort sollte ein klares Nein sein. Wie autonome Systeme                              die territoriale Souveränität der betroffenen Staaten, und sie
reagieren, wenn sie keine oder unzureichende Handlungsop­                              legen bei der Zielauswahl die höchst fragwürdige Prämisse
tionen haben, ist offen. Das ist ein Risiko, das schon bei unbe­                       zugrunde, dass alle männlichen Erwachsenen in der Nähe
waffneten Systemen kritisch betrachtet werden muss und bei                             eines auserwählten Ziels ebenfalls getötet werden dürfen. Das
bewaffneten Systemen keinesfalls tolerierbar ist. Bündnis 90/                          belegt, dass die politische Hemmschwelle für den Einsatz mi­
DIE GRÜNEN setzen sich daher für eine internationale Äch­                              litärischer Gewalt jenseits klassischer bewaffneter Konflikte
tung von autonomen bewaffneten Systemen ein. Sie ähneln                                sinkt, da nun Einsätze möglich sind, die vorher wegen der
in vielerlei Hinsicht Selbstschussanlagen oder Antipersonen­                           Gefährdung eigener Soldatinnen und Soldaten nicht möglich
minen, die zu Recht schon heute völkerrechtlich geächtet                               waren, über die wenig bis gar nicht medial berichtet wird und
werden.                                                                                für deren Fehlschläge oder sogenannte Kollateralschäden nie­
                                                                                       mand belangt wird. Dieser vermeintliche Schutz der Solda­
Unbewaffnete unbemannte Systeme dagegen, erscheinen uns                                tinnen und Soldaten ist aber nicht auf die Einsatzrealität in
heute in gewissem Sinne schon als Selbstverständlichkeit. Aber                         den Auslandseinsätzen der Bundeswehr übertragbar, wie im
die Diskussion um die finanziellen, technischen und rechtli­                           Folgenden noch genauer dargelegt wird.
chen Probleme mit dem Euro Hawk oder auch die Debatte um
                                                                                       Diese Praxis hat den Einsatz von Kampfdrohnen im Allge­
die Überwachungsdrohnen der Bahn haben gezeigt, dass wir
                                                                                       meinen diskreditiert, auch unabhängig von völkerrechtlichen
die vielfältigen Herausforderungen, die selbst mit diesen Sys­
                                                                                       Erwägungen. Ist ein Staat in der Lage und willens, jenseits
temen einhergehen, noch lange nicht ermessen haben.
                                                                                       eines Krieges militärische Gewalt anzuwenden, und kann er
Welche Auswirkungen hat es auf uns und unsere Gesell­                                  diese Gewalt auch ohne das Risiko eigener Verluste ausüben,
schaft, wenn unbemannte Systeme über uns kreisen, mit uns                              unterminiert er seine eigene Glaubwürdigkeit: „Die Fähigkeit,
interagieren oder wir uns gar von ihnen abhängig machen?                               seine Ziele durch den Einsatz militärischer Gewalt zu errei­
Welchen rechtlichen Rahmen müssen wir auch für bereits                                 chen, aber ohne das Risiko, eigene Verluste zu erleiden, ist
vorhandene unbemannte Systeme finden? Das Zulassungsde­                                zugleich ein taktisches Mittel und eine unhaltbare politische
bakel um den Euro Hawk hat gezeigt, dass es in diesem Bereich                          Position. Kein Staat wird einem anderen Staat mit dieser Fä­
nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit Nachhol­                               higkeit vertrauen.“3
bedarf bei der Schaffung eines rechtlichen Rahmens für den
Einsatz von unbemannten Systemen gibt. Bisher fliegen alle                             2    Vgl. http://www.thebureauinvestigates.com/category/projects/drones/, zu-
                                                                                            letzt abgerufen am 07. Juni 2013.
                                                                                       3    Kahn, Paul W., „The Paradox of Riskless Warfare“, Yale Faculty Scholarship
1   Swift, Daniel, „Conjectural Damage. A history of bombing“, in: Harper’s                 Series, Paper 326, http://digitalcommons.law.yale.edu/fss_papers/326, zu­
    Magazine, Nov. 2011, S. 65.                                                             letzt abgerufen am 06. Juni 2013.

178 | S+F (31. Jg.) 3/2013                                    https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175
                                                       Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                                Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Niklas Schörnig, Kampfdrohnen – ein sicherheitspolitischer Bumerang?                                 | For u m

Zusätzlich zu diesen ethischen Überlegungen stellt sich für                       nom über den Waffeneinsatz gegen Menschen entschei­
die Bundeswehr aber noch eine ganz pragmatische Frage:                            den können. Die Überlegungen der deutschen Regierung,
Wozu braucht unsere Armee überhaupt bewaffnete Droh­                              die Bundeswehr mit bewaffneten Drohnen auszustatten,
nen? Minister de Maizière und führende Militärs sprechen                          scheinen hiervon jedoch nicht beeindruckt. Denn Vertei­
davon, dass durch ihre Beschaffung eine Fähigkeitslücke ge­                       digungsminister Thomas de Maizière besteht darauf, dass
schlossen werde. Verdeutlicht wird dies meist anhand des                          die Entscheidung über einen Waffeneinsatz bei der Bundes­
Beispiels, dass ein durch Drohnen aufgeklärtes Ziel ohne                          wehr am Ende immer ein Mensch treffe. Es bestehen aber
Zeitverzug bekämpft werden könne. Dem liegt ein Missver­                          Zweifel, ob diese Einstellung über Zeit Bestand haben wird.
ständnis zugrunde: Auch wenn die Bundeswehr über bewaff­
                                                                                  Denn die Entscheidung, sich jetzt bewaffnete Drohnen zu
nete Drohnen verfügte, könnten diese keinesfalls sämtliche
                                                                                  beschaffen, ist ein erster Schritt auf eine schiefe Ebene, an
Patrouillen der Bundeswehr begleiten. Auch bewaffnete
                                                                                  deren Ende die entmenschlichte Kriegführung wartet. Die
Drohnen müssten also durch die Anforderung von Luftun­
                                                                                  von den Regierungsparteien beschlossene Verschiebung der
terstützung zunächst zur Gefahrenstelle fliegen. Da die US-
                                                                                  endgültigen Entscheidung ermöglicht nun die dringend
Amerikaner heute bereits einen Teil dieser Luftunterstützung
für die Bundeswehr in Afghanistan stellen und dafür auch                          notwendige Denkpause, um die sicherheitspolitischen, völ­
Drohnen einsetzen, müssten diese, wenn sie hier wirklich ei­                      kerrechtlichen und ethischen Implikationen aktueller und
nen Vorteil hätten, häufig für die Unterstützung der Bundes­                      besonders auch zukünftiger Drohnenrüstung noch einmal
wehr eingesetzt worden sein. Das aber ist nicht der Fall, wie                     grundsätzlich zu hinterfragen.
die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische                         In der bisherigen Debatte haben Verteidigungsminister de
Anfrage (BT-Drs. Nr. 17/13655) belegt: Lediglich zweimal                          Maizière und seine Unterstützer vermeintlich gute Argu­
wurden deutsche Soldaten durch bewaffnete US-Drohnen
                                                                                  mente für die Beschaffung eigener Kampfdrohnen auf ih­
in Afghanistan unterstützt. Damit schrumpft die behauptete
                                                                                  rer Seite: Diese, so heißt es erstens, seien kostengünstiger
Fähigkeitslücke schnell massiv ein.
                                                                                  als bemannte Systeme; sie übten zweitens einen abschre­
Um eine schnelle Luftunterstützung im Einsatz gewährlei­                          ckenden Effekt auf Aufständische aus; sie seien drittens
sten zu können, werden bereits seit Jahrzehnten Unsummen                          mit dem Völkerrecht vereinbar; und viertens schützten sie
ausgegeben, um Flugzeuge und Hubschrauber zu entwickeln,                          sowohl Zivilisten als auch Soldatinnen und Soldaten bes­
die auch bei Einsätzen der Bundeswehr die Soldatinnen und                         ser als andere Systeme. Allerdings sind all diese Argumente
Soldaten am Boden unterstützen können. Nach Jahren der                            angreifbar.
Verzögerung durch ein ineffektives Beschaffungswesen sind
diese Systeme jetzt schrittweise verfügbar. Lohnt es sich,                        – Entgegen der oft formulierten Behauptung handelt es sich
diese Investitionen durch die Anschaffung eines unsicheren,                         bei Drohnen keineswegs um preiswerte Waffen. Für die
teuren, rechtlich und ethisch fragwürdigen neuen Systems                            von der Luftwaffe präferierte MQ-9 Reaper („Sensenmann“)
nun obsolet zu machen?                                                              schätzen Beobachter die Stückkosten auf bis zu 30 Millio­
                                                                                    nen US-Dollar, Tendenz steigend. Das ist zwar deutlich gün­
Vor diesem Hintergrund der ungeklärten ethischen, mora­
                                                                                    stiger als ein Eurofighter (über 100 Mio. Euro), dieser ist
lischen und technischen Fragen sowie des fehlenden Be­
                                                                                    aber anders als die hochgradig spezialisierte Reaper vielfältig
darfs lehnen Bündnis 90/DIE GRÜNEN die Anschaffung
von Kampfdrohnen für die Bundeswehr ab. Es bleibt dabei:                            einsetzbar.
Maschinen können das vom Menschen gemachte Problem                                – Auch die von US-Befürwortern gehegte Hoffnung, die Tali­
des Krieges nicht lösen. Viel wichtiger ist es, wieder an                           ban würden angesichts der permanenten Bedrohung durch
einer nachhaltigen Friedenspolitik zu arbeiten, die sich                            Kampfdrohnen ihre Waffen frustriert niederlegen, ist wider­
ernsthaft mit den Ursachen von Kriegen auseinandersetzt                             legt. Seit 2009 fliegt die US Air Force nach eigenen Angaben
und frühzeitig auf Prävention und politische Instrumente                            jährlich über 200 Drohnenangriffe in Afghanistan, ohne
setzt.
                                                                                    dass sich die Sicherheitslage vor Ort entscheidend verbes­
Omid Nouripour ist seit September 2006 Mitglied des Bundes­                         sert hätte. Wirksame Abschreckung sieht anders aus.
tages. Seit 2009 ist er sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion
                                                                                  – Recht hat der Minister allerdings mit seiner Einschätzung,
Bündnis 90/Die Grünen.
                                                                                    dass zumindest die aktuellen, ferngesteuerten Kampfdroh­
                                                                                    nen nicht gegen Völkerrecht verstoßen – sofern man sie nur
                                                                                    im Rahmen völkerrechtlich zulässiger bewaffneter Konflikte
Kampfdrohnen – ein
                                                                                    einsetzt und auf die von den USA praktizierten „gezielte Tö­
sicherheitspolitischer Bumerang?                                                    tungen“ verzichtet. Aber das bedeutet nicht, dass die Waffe
                                                                                    zwingend angeschafft werden muss.
Niklas Schörnig
                                                                                  – Das Argument des Schutzes von Zivilisten und der eigenen
Am 23. April startete in London die von einer breiten Grup­                         Soldatinnen und Soldaten besitzt jedoch das meiste Ge­
pe internationaler Nichtregierungsorganisationen getragene                          wicht. Ob das neue Waffensystem tatsächlich zivile Opfer
Campaign to Stop Killer Robots. Sie fordert das Verbot von                          verhindert, ist zumindest fraglich. Zwar spricht die Theo­
militärisch genutzten unbemannten Systemen, die auto­                               rie für höhere Präzision, seriöse Quellen rechnen aber mit

                                                         https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175                 S+F (31. Jg.) 3/2 013   | 179
                                                  Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                           Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
For u m     | Niklas Schörnig, Kampfdrohnen – ein sicherheitspolitischer Bumerang?

    mindestens 16 Prozent zivilen Opfern bei den vermeintlich                        bewaffneter Drohnen durch technische Maßnahmen ge­
    „chirurgischen“ Drohnenangriffen der USA in Pakistan.1                           stört und so der Abbruch einer wichtigen Mission erzwun­
                                                                                     gen wird. Beide Probleme lassen sich lösen, wenn Kampf­
Die eigenen Soldatinnen und Soldaten, das ist unbestritten,
                                                                                     drohnen in nicht allzu ferner Zukunft autonom über den
dürfen bei Auslandsmissionen von ihrer Regierung den best­
                                                                                     Waffeneinsatz entscheiden. Schon das Gerücht, ein Staat
möglichen Schutz erwarten. Drohnen können etwa das Leben
                                                                                     beschreite diesen Weg, dürfte ausreichen, um andere zum
von Piloten schützen, da diese sich gar nicht mehr in Gefahr
                                                                                     Nachziehen zu bewegen – das entspricht der bekannten Lo­
begeben müssen. In der Praxis erweisen sich die aktuellen Sys­
                                                                                     gik von Rüstungsdynamiken. Ob es aber ethisch vertretbar
teme aber noch viel zu anfällig für gegnerische Luftabwehr,
                                                                                     und völkerrechtlich zulässig ist, eine Maschine über Leben
um bemannte Kampfjets bereits vollständig ersetzen zu kön­
                                                                                     und Tod entscheiden zu lassen, ist mehr als fraglich. Zumin­
nen. Die Möglichkeiten ihres Einsatzes sind folglich noch be­
                                                                                     dest die Initiatoren der eingangs genannten Kampagne sind
grenzt. Und, ja, bewaffnete Drohnen können in bestimmten
                                                                                     sich einig, dass eine entmenschlichte Kriegführung unter
Szenarien einen Beitrag zu besserem Schutz für Soldatinnen
                                                                                     allen Umständen verhindert werden muss. Noch reden Be­
und Soldaten am Boden leisten – speziell wenn diese in einen
                                                                                     fürworter bewaffneter Drohnen diese Szenarien als science
Hinterhalt geraten und zeitnah Feuerschutz benötigen. Für
                                                                                     fiction klein. Aber wie beim hochfrequenten Aktienhandel
viele andere Szenarien reichen bemannte Systeme allerdings
                                                                                     werden die maßgeblichen Akteure, versklavt von ihrer sich
aus, und es wäre noch zu prüfen, ob die Einsatzpraxis der
                                                                                     selbst auferlegten Logik, zwangsläufig daran arbeiten, den
Bundeswehr die Anschaffung unbewaffneter Systeme wirklich
                                                                                     noch so kleinsten Vorteil zu ihren Gunsten auszunutzen
zwingend notwendig macht.
                                                                                     und die Technologie entsprechend immer weiter vorantrei­
Was in der aktuellen Debatte aber noch weitgehend fehlt, sind                        ben – vorausgesetzt, man lässt sie gewähren. Noch gar nicht
Antworten auf unbequeme sicherheitspolitische Fragen: Er­                            angesprochen wurde in diesem Zusammenhang die Gefahr
höht z.B. die zunehmende räumliche Distanz westlicher Trup­                          eines Krieges „aus Versehen“, die dann entsteht, wenn unbe­
pen vom Schlachtfeld nicht die Gefahr von Terroranschlägen                           mannte Systeme verschiedener Staaten aufeinandertreffen,
im Entsendeland? Es gilt inzwischen als gesichert, dass z.B.                         die jeweils auf Basis für den Gegner unbekannter Algorith­
die radikal-islamische Hamas und Hisbollah Drohnen besitzen                          men über den Waffeneinsatz entscheiden.
und gegen Israel einsetzen.
                                                                                     Verschiedene Experten haben vor dem Hintergrund all die­
Weitere, bislang nicht diskutierte Fragen lauten, welche Aus­                        ser berechtigten Bedenken angemahnt, die Bundesregierung
wirkungen der aktuelle weltweite „Drohnenboom“ hat. Schon                            solle auf bewaffnete Drohnen verzichten und sich stattdes­
längst ist der Besitz von Drohnen nicht mehr das Monopol                             sen für ein Verbot dieser Waffen stark machen. Gelänge es,
westlicher Staaten. Inzwischen verfügen bereits mehr als 80                          solch ein Verbot international zu etablieren, wäre langfristig
Staaten über unbemannte Flugsysteme verschiedener Größen;                            vermutlich sowohl den deutschen Sicherheitsinteressen als
und es werden immer mehr. Noch sind die meisten Drohnen                              auch den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr mehr
nicht bewaffnet. Das könnte sich aber in wenigen Jahren än­                          gedient als mit der Beschaffung solcher Systeme. Gleichzeitig
dern. Dann wäre aus dem vermeintlichen Vorteil ganz schnell                          würde auch das ethisch hochproblematische Szenario auto­
ein erheblicher Nachteil geworden, wenn der Gegner es ver­                           nom tötender Kampfroboter vermieden. Denn der heutige
steht, die neue Waffe innovativer als man selbst einzusetzen.                        Verzicht auf bewaffnete Drohnen wäre der stärkste Garant,
In diesem Zusammenhang drängen sich zwei weitere Fragen                              die Entwicklung hin zu autonomen bewaffneten Drohnen
auf: Welche Gefahren bestehen für deutsche Soldatinnen                               zu unterbinden. Allerdings spricht leider einiges dafür, dass
und Soldaten im Einsatz, wenn auch der Gegner über solche                            die Chance, bewaffnete Drohnen grundsätzlich zu ächten,
Waffenverfügt? Und welche vermuteten Auswirkungen hat                                schon verpasst ist.
die Verbreitung bewaffneter Drohnen schon jetzt auf hoch­
                                                                                     Deshalb muss die Frage nun lauten, wie die absehbaren
gerüstete, konfliktträchtige Regionen? Diesen sicherheitspo­
                                                                                     ­sicherheitspolitischen Gefahren und ethischen Probleme ei­
litischen Fragen müssen sich die Befürworter bewaffneter
                                                                                      ner unkontrollierten Drohnenverbreitung und die Trends zur
Drohnen stellen.
                                                                                      Bewaffnung und Autonomie zumindest eingehegt werden
Die von Human Rights Watch koordinierte internationale                                können. Zunächst gilt es nationale und internationale Export­
Kampagne gegen autonome Kampfsysteme rückt nun ei­                                    richtlinien umgehend zu verschärfen. Gleichzeitig müssen
nen weiteren, sehr gewichtigen Aspekt in den Fokus: Wo­                               national und im Bündnis klare und sehr eng begrenzte Ein­
hin führt die absehbare technologische Entwicklung, zu                                satzregeln formuliert werden, die auf internationaler Ebene
der bewaffnete Drohnen nur den ersten Schritt darstellen?                             einen normativen Rahmen für zulässige Einsätze bewaffneter
Kritiker befürchten starke Tendenzen zugunsten autonom                                Drohnen abstecken. Dies könnte z.B. eine Selbstverpflichtung
kämpfender Systeme. Sollen Drohnen bemannte Flugzeuge                                 umfassen, bewaffnete Drohnen nur für den Schutz eigener
ersetzen, und darauf läuft die aktuelle Rüstungsentwicklung                           Bodentruppen (close-air-support) einzusetzen und „gezielte
hinaus, müssen Entscheidungen in Sekundenbruchteilen                                  Tötungen“ mit Drohnen explizit als völkerrechtswidrig zu­
erfolgen – z.B. im Luftkampf. Dies kann die bei aktuellen                             rückweisen.
Systemen noch praktizierte Fernsteuerung nicht mehr lei­
                                                                                     Schließlich muss, so wie es die Campaign to Stop Killer Robots
sten. Auch besteht bei ihr die Gefahr, dass das Steuersignal
                                                                                     fordert, alle verfügbare Energie in ein internationales Ver­
1   Vgl. http://www.thebureauinvestigates.com/2012/07/02/resources-and-­
                                                                                     bot autonomer bewaffneter Systeme investiert werden. An
    graphs/. Zugriff: 14.5.2013.                                                     der aktuellen Drohnenrüstung erschreckt vor allem, dass

180 | S+F (31. Jg.) 3/2013                                  https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175
                                                     Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                              Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Koch, Kampfdrohnen – ethisch neutrale Waffen?                    | For u m

die technologischen Trends wie Automatisierung oder auch                         Gegner. Wenn also Drohnen zur eigenen Verteidigung oder
die zunehmende Miniaturisierung der Drohnen einer be­                            zum Schutz Dritter oder zur Wahrung des Rechts eingesetzt
lastbaren Verifikation von Rüstungskontrollabkommen er­                          werden, so könnte man behaupten, sie seien ein Instrument
heblich erschweren. Umso wichtiger ist deshalb, umgehend                         unter anderen, das vielfach den Vorzug verdiene, auf jeden
normative Pflöcke einzurammen. Das wäre das Mindeste,                            Fall seien sie selber „ethisch neutral“.
was ein verantwortungsvoller Umgang mit den Gefahren
                                                                                 Wahrscheinlich sind Drohnen und von Drohnen abgeschos­
der Drohnenrüstung gebietet. Andernfalls wächst das Ri­
                                                                                 sene Raketen tatsächlich in der einen oder anderen Situation
siko, dass sich die bewaffnete Drohne zum sicherheitspo­
                                                                                 eines bewaffneten Konflikts das vorzugswürdige militärische
litischen, völkerrechtlichen und ethischen Bumerang ent­
                                                                                 Instrumentarium, wenn sie etwa ohne Lasten für andere zum
wickelt.
                                                                                 Schutz von Soldatinnen und Soldaten beitragen. Aber sind
Dr. Niklas Schörnig ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hes­               sie wirklich „ethisch neutral“? Die Phrase von der ethischen
sischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).                         Neutralität tut so, als handele es sich bei Drohnen um Werk­
                                                                                 zeuge wie etwa Schraubenzieher. Schraubenzieher können für
                                                                                 gute und für schlechte Zwecke eingesetzt werden: Mit ihnen
Kampfdrohnen – ethisch neutrale                                                  kann man z.B. einen Defibrillator oder eine Bombe reparie­
                                                                                 ren. Der Handlungszweck bestimmt die ethische Qualität des
Waffen?                                                                          Gebrauchs des Schraubenziehers. Aber ist das bei Waffen oder
Bernhard Koch                                                                    Waffensystemen genauso? Natürlich kann eine Schusswaffe
                                                                                 auch zum Nüsseknacken verwendet werden, aber die meisten
                                                                                 Leser werden das doch für abwegig halten. Jedenfalls wird sich
An den bewaffneten unbemannten Luftfahrzeugen, den so­
                                                                                 niemand zum Aufbrechen von Walnüssen eine Walther PPK
genannten Kampfdrohnen, vermissen manche Militärethiker
                                                                                 kaufen. Waffen sind auf Gewaltanwendung ausgelegt. Wenn
genau das: das Element des Kampfes. Die Drohne oder die von
                                                                                 wir aber davon ausgehen, dass Gewalt – wie oben gesagt –
ihr abgeschossene Rakete kämpft ja nicht, sie ist eine Maschi­
                                                                                 „grundsätzlich illegitim“ (und nur in bestimmten Fällen legi­
ne, die auf Bedienung oder Programm reagiert. Sie handelt
                                                                                 tim) ist, dann sind Waffen nicht ethisch neutral. Es gibt eine
also nicht selbst, sondern hängt von den Handlungen weit
                                                                                 Präsumtion gegen Waffen und Waffensysteme, ganz gleich, ob
entfernter Personen ab. Diese Personen kämpfen aber auch
                                                                                 es sich um Kleinwaffen oder Flugzeugträgersysteme handelt.
nicht, sondern schicken die Maschine vor, so dass sie zwar an­
                                                                                 Selbst in einer moralisch idealen Welt werden die Menschen
dere schädigen, selbst aber nicht geschädigt werden können.
                                                                                 noch Schraubenzieher gebrauchen können, aber Waffen ge­
Ein derart asymmetrisches Waffensystem scheint dem klas­
                                                                                 hören nicht in eine solche Welt.
sischen Kriegsparadigma zu widersprechen, das – ähnlich wie
bei einem Boxkampf – den „Kombattanten“ aller Kriegspar­                         Ethik, die auf konkrete Anwendungsfragen zielt, kommt
teien gleiche Rechte zubilligte (z.B. straffreie Schädigung des                  nicht ohne die Hilfe empirisch arbeitender Wissenschaften
Gegners, Gefangenenstatus), aber auch gleiche Lasten aufer­                      weiter, denn auf der rein analytischen Ebene lässt sich richti­
legte (insbesondere die Gefahr, getötet zu werden). Schließlich                  gerweise immer einwenden, dass ein Gegenstand seine ethi­
hat man die gleichverteilten Schädigungsrechte immer auch                        sche Qualität erst aus seinem Gebrauch bezieht. Auch die
als normativen Spiegel der gleichverteilten Risiken bei den                      amerikanische Waffenlobby behauptet ja, Waffen seien nur
Kämpfenden gesehen. Drohneneinsatz ist also gar kein „rich­                      Instrumente, die je nach Verwendung guten oder schlechten
tiger Krieg“ mehr. Zum Glück, könnte man antworten, denn                         Zwecken dienten. Man dürfe nicht gleich unterstellen, dass
das klassische Kriegsparadigma widerspricht unseren grund­                       jeder Waffenbesitzer Schusswaffen zu verbrecherischen Zie­
legenden Moralvorstellungen. Töten und Getötetwerden ist                         len benutze. Was spräche also dagegen, dass jeder eine Pistole
kein Sport, zu dem man sich verabreden könnte oder dürfte,                       zu Hause hat? Schließlich kann man sich selbst und andere
sondern bitterer Ernst. Sich für ein solches Unternehmen zu                      mit der Waffe schützen. Theoretisch ist das Argument nicht
vereinbaren, erscheint uns heute – ähnlich wie das Duell – als                   leicht zu bezwingen, denn in der Tat sollte man nicht vor­
recht pervers.                                                                   schnell mit Unterstellungen arbeiten. Aber man sollte doch
                                                                                 auch auf die empirische Forschung achten. Wenn dort, wo
Wenn Gewalt grundsätzlich illegitim ist, kann sie nur noch
                                                                                 ein Großteil der Bevölkerung private Schusswaffen besitzt,
als verteidigende Gegengewalt gerechtfertigt werden: entwe­
                                                                                 die Zahl der Verbrechen mit Schusswaffen signifikant höher
der als Selbstverteidigung oder als Form der Rechtswahrung.
                                                                                 ist als dort, wo es kaum privaten Schusswaffenbesitz gibt, so
Beides sind normativ asymmetrische Konstellationen, und so
                                                                                 kann das auch dem theoretischsten unter den Ethikern nicht
könnte man doch mit gutem Recht vertreten, dass die Asym­
                                                                                 gleichgültig sein.
metrie der Drohnenkriegführung eben nur die Asymmetrie
der unterschiedlichen Legitimität der Konfliktparteien wider­                    Man muss sich klar vor Augen halten, dass die globale Anwen­
spiegelt. Die illegitim kämpfende Partei ist der Angreifer, der                  dung von unbemannten, aber bewaffneten Luftfahrzeugen
Rechtsbrecher, der im Grunde gar nicht kämpfen dürfte, ganz                      diese Welt und das, was wir bislang als Gefühl von Sicherheit
gleich welche Waffen er verwendet. Die legitim kämpfende                         erlebt haben, deutlich verändern wird. Bewaffnete Drohnen
Partei, also der Verteidiger, der Rechtsschützer darf hingegen                   können viel länger ohne Zwischenstopps Gebiete kontrol­
alle legitimen Mittel wählen. Ein Mittel wird aber nicht da­                     lieren als dies zum Beispiel mit bemannten Flugzeugen der
durch illegitim, dass es diejenigen, die es in Selbstverteidigung                Fall ist. Wissenschaftler von der Stanford University und der
oder Rechtswahrung anwenden, selbst besser schützt als den                       New York University School of Law haben untersucht, was die

                                                        https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175                 S+F (31. Jg.) 3/2 013   | 181
                                                 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                          Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
For u m     | Haedrich, Kampfdrohnen – Flug in die völkerrechtliche Verbotszone?

Dauerüberwachung für die Menschen in Pakistan bedeutet,                              Anstrich zu geben. Letztlich ist das ein Missbrauch von Ethik
die in Gebieten wohnen, die ständig von bewaffneten Droh­                            für einen politischen Zweck.
nen überflogen werden.1 Die Folge davon ist eine permanente
                                                                                     Dr. Bernhard Koch ist Projektleiter „Ethik in bewaffneten Kon­
Furcht vor einem Drohnenschlag. Das verängstigt, ja terro­
                                                                                     flikten“ am Institut für Theologie und Frieden in Hamburg und
risiert und traumatisiert die Bevölkerung, und wenn es tat­
                                                                                     Lehrbeauftragter für Philosophie an der Goethe-Universität Frank­
sächlich zu einem Drohnenangriff kommt, liegt die Zahl der
                                                                                     furt am Main.
zivilen Opfer meist deutlich höher als es die Zahlen der Regie­
rung der Vereinigten Staaten ausweisen. Die Bundesregierung
weist es weit von sich, dass auch die Bundeswehr Drohnen zu
                                                                                     Kampfdrohnen – Flug in die
Dauerüberwachungen und gezielten Tötungen einsetzt oder
einsetzen wird. Dem kann man durchaus Glauben schenken.                              völkerrechtliche Verbotszone?
Aber schon die bloße Nachfrage nach bewaffnungsfähigen
Drohnen wird ihren Teil dazu beitragen, dass mehr Drohnen
                                                                                     Martina Haedrich
produziert werden, die Modellauswahl größer wird und letzt­
lich auch die Proliferation zunimmt. Es ist in einem sorgfäl­                        Völkerrechtlicher Bewertungsmaßstab für Kampfdrohneneinsätze
tigen politischen, öffentlichen und transparenten Prozess zu                         ist das humanitäre Völkerrecht in Gestalt der vier Genfer
klären, ob jene Welt, zu der wir hier einen Beitrag leisten,                         Konventionen aus dem Jahre 1949 und die Zusatzprotokolle
diejenige ist, in der wir leben wollen.                                              I und II für internationale und nichtinternationale
                                                                                     bewaffnete Konflikte von 1977 (im Folgenden ZP I und ZP
Vielleicht wird man auf lange Sicht die Integration von be­                          II).Hinzu kommen das in bewaffneten Konflikten geltende
waffneten Drohnen in das militärische Arsenal nicht aufhal­                          Völkergewohnheitsrecht sowie das allgemeine Völkerrecht
ten können. Daraus folgt aber nicht, dass man mit der An­                            mit dem Gewaltverbot, der Achtung der Souveränität
schaffung nicht noch warten könnte, bis mehr und bessere                             und territorialen Integrität sowie dem internationalen
empirische Studien zur Wirkung von Drohneneinsätzen auf                              Menschrechtsschutz. Art. 3 der Genfer Konventionen erstreckt
Freund und Gegner vorliegen. Nicht warten sollte man dage­                           die Einhaltung eines menschenrechtlichen Mindeststandards
gen mit Überlegungen, in welcher Weise man ein sinnvolles                            ausdrücklich auf nichtinternationale bewaffnete Konflikte
und moralisch durchdrungenes Reglement für den Einsatz                               und das ZP II konkretisiert diesen Schutz für Opfer
von bewaffneten (und unbewaffneten) Drohnen auf wehr­                                nichtinternationaler Konflikte noch einmal (Art 1 Abs. 1).
rechtlicher, humanitär-völkerrechtlicher und völkerstraf­                            In bewaffneten Konflikten erfolgende Tötungen sind an dem
rechtlicher Ebene gewinnen kann. Gerade im Völkerrecht ist                           hierfür geltenden humanitären Völkerrecht als lex specialis
die Frage, wozu man bewaffnete unbemannte Luftfahrzeuge                              zu messen, das Tötungen nur unter bestimmten Vorausset­
einsetzen darf, noch immer sehr umstritten. Wenn deutsche                            zungen rechtfertigt. Unterhalb der Schwelle bewaffneter Konflikte
Regierungsvertreter betonen, dass die Bundeswehr Drohnen                             erfolgende Kampfdrohneneinsätze mit dem Zweck, Tötungen
nur „nach Recht und Gesetz“ einsetzen werde,2 wollen sie                             von mutmaßlichen Terroristen vorzunehmen, beurteilen sich
zum Beispiel signalisieren, dass man „gezielte Tötungen“, wie                        jedoch nach den strengeren Maßgaben des internationalen
sie die Vereinigten Staaten durchführen, ausschließt. Aber ge­                       Menschenrechtsschutzes im Rahmen des allgemeinen Völker­
rade diese „targeted killings“ halten die Regierungsjuristen der                     rechts. Hier greift insbesondere Art. 6 der Konvention über
USA für gesetzes- und rechtskonform. Auch wenn ihre Argu­                            bürgerliche und politische Rechte, der Tötungen ohne recht­
mente für viele Völkerrechtler schwach klingen mögen – es ist                        lichen Grund und ohne Gerichtsurteil verbietet. Gezielte Tö­
zu befürchten, dass die Praxis der USA doch völkergewohn­                            tungen mutmaßlicher Terroristen außerhalb bewaffneter Kon­
heitsrechtliches Gewicht erlangt, wenn nicht andere Staaten                          flikte sind danach grundsätzlich völkerrechtswidrig.
ihren abweichenden Rechtsstandpunkt als opinio juris deutlich                        Bei Kampfdrohneneinsätzen verbinden sich zwei Eigenschaf­
machen. Bislang hört man von der Bundesregierung zu den                              ten, die ihnen eine besondere Stellung verleihen, nämlich Mit­
gezielten Tötungen allerdings in diesem Sinne erstaunlich                            tel und Methode der Kriegführung gleichermaßen zu sein. Das Trä­
wenig.                                                                               gersystem wird mit Waffen bestückt, die durch Fernsteuerung
Kann man also Kampfdrohnen als „ethisch neutral“ bezeich­                            vom Boden zum Zielort gelenkt werden. Damit fallen Kampf­
nen? Für einen Ethiker sind nicht Dinge vorrangiger Gegen­                           drohneneinsätze unter Art. 35 ZP I, wonach die Konfliktpar­
stand ethischer Beurteilung, sondern Handlungen und unter                            teien kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel und
Umständen Charaktere oder Tugenden. Dinge sind gut oder                              Methoden besitzen (Art. 35 Abs. 1). Vielmehr verbietet ihnen
schlecht, nützlich oder unnütz erst entsprechend der Ziele,                          Art. 35 Abs. 2, solche Mittel und Methoden zu verwenden, die
die sich ein Handelnder in Handlungen setzt, in denen diese                          geeignet sind, überflüssige Verletzungen und unnötige Leiden
Dinge gebraucht werden. Die Rede von „ethisch neutralen                              zu verursachen.
Drohnen“ bedeutet also einen Kategorienfehler, der im poli­                          Die Bestimmung des Rechtsstatus des Steuerungspersonals, d.h.
tischen Diskurs eingesetzt wird, um einer bestimmten Hand­                           der Personen, die die Steuerung der Kampfdrohnen überneh­
lung, nämlich dem Erwerb von Drohnen, einen ethischen                                men, beurteilt sich danach, ob diese Personen unmittelbar
                                                                                     oder mittelbar an Kampfhandlungen teilnehmen. Dabei
1   www.livingunderdrones.org.
2   http://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundeswehr-usa-genehmigen-
                                                                                     sollte den Auslegungsregeln der Interpretativen Leitlinie des
    drohnen-verkauf-an-deutschland-a-897281.html (Abruf 10.5.2013).                  Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) gefolgt

182 | S+F (31. Jg.) 3/2013                                  https://doi.org/10.5771/0175-274x-2013-3-175
                                                     Generiert durch IP '46.4.80.155', am 21.02.2022, 18:41:47.
                                              Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
Sie können auch lesen