Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata (Say, 1824)) in Deutschland - Regulierungsstrategien von 1936 bis in die Gegenwart - weitere ...
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Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit Stefan Kühne Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata (Say, 1824)) in Deutschland – Regulierungsstrategien von 1936 bis in die Gegenwart Colorado potato beetle (CPB – Leptinotarsa decemlineata (Say, 1824)) in Germany – Control strategies from 1936 to the present day 225 Zusammenfassung Stichwörter: Kartoffelkäfer, Ökologischer Landbau, Pflanzenschutz, Spinosad, Neem, Bacillus thuringiensis, Die Geschichte des Kartoffelkäfers (Coleoptera, Chryso- Pyrethrum melidae, Leptinotarsa decemlineata (SAY, 1824)) in Deutschland ist ein Lehrbeispiel für die unkontrollierte Ausbreitung eines Schaderregers, der ohne regelmäßige Summary Gegenmaßnahmen schwere Ertragsminderungen an einer unserer wichtigsten Nahrungspflanzen verursachen wür- The history of the Colorado Potato Beetle (CPB) (Coleop- de. Das Fehlen wirksamer Feinde und seine enorme tera, Chrysomelidae, Leptinotarsa decemlineata (SAY, Anpassungsfähigkeit an Pflanzenschutzmittel machen 1824)) in Germany is an object lesson in the uncontrolled ihn zu einem starken Gegner, der auch die zukünftigen spread of a pest that, without regular control measures, Generationen immer wieder herausfordern wird. Von would cause severe yield reductions in one of our most im- seinem Auftreten im Jahr 1936 bis in die Gegenwart wird portant food crops. Its lack of natural and effective ene- die historische Bekämpfung des Kartoffelkäfers nachge- mies and its tremendous adaptability to pesticides make it zeichnet. Die intensive und ausschließliche Anwendung a potent adversary that will continue to challenge future von Insektiziden hat in der Vergangenheit immer zu generations. Historical pest control of the CPB is traced Resistenzen gegen die verwendeten Wirkstoffe geführt. from its appearance in 1936 to the present. In the past, the Vorbeugende Maßnahmen wie 500 m Abstand zu Vorjah- intensive and exclusive use of insecticides has always led resflächen einhalten, Kartoffeldurchwuchs vermeiden, to resistance to the active substances used. Preventive Vorkeimen und Nutzung früher Sorten reichen nicht aus, measures such as keeping a distance of 500 m from the um den Kartoffelkäfer langfristig zu regulieren. Neue Er- previous year's fields, avoiding potato overgrowth, gebnisse im Ökologischen Landbau zeigen die hohe pre-sprouting and using early varieties are not sufficient to Wirksamkeit biologischer Pflanzenschutzmittel von Spi- control the Colorado Potato Beetle in the long term. New nosad und Neem auf. Zukünftig können Resistenzeigen- results in organic farming show the high efficacy of bio- schaften von Wildarten (z. B. Leptin-Glykoalkaloide) im logical control agents of spinosad and neem. In the future, Rahmen klassischer Züchtungsverfahren genutzt wer- resistance properties of wild species (e.g. leptin glycoalka- den, um widerstandsfähige Kartoffelsorten zu züchten loids) can be used within classical breeding methods to und damit zu einem integrierten Pflanzenschutzkonzept breed resistant potato varieties and thus contribute to an gegen Kartoffelkäfer beizutragen. In Gärten und auf klei- integrated pest management concept against Colorado nen Anbauflächen ist auch das Absammeln per Hand Potato beetle. In gardens and on small fields, hand collec- weiterhin eine wirksame Maßnahme. tion also remains an effective control measure. Affiliation Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Strategien und Folgenabschätzung, Kleinmachnow Kontaktanschrift Prof. Dr. agr., Dr. habil. Stefan Kühne, Julius Kühn-Institut (JKI) – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Strategien und Folgenabschätzung, Stahnsdorfer Damm 81, 14532 Kleinmachnow, E-Mail: stefan.kuehne@julius-kuehn.de Zur Veröffentlichung eingereicht/angenommen 4. März 2021/6. Mai 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Key words: Colorado potato beetle, organic farming, Landbevölkerung auf den Kartoffelkäfer hingewiesen Übersichtsarbeit plant protection, Spinosad, Neem, Bacillus thuringiensis, und ein Merkblatt verbreitet, das den Käfer und seine Pyrethrum , biopesticides, pest control Entwicklungsstadien anschaulich darstellt (Abb. 1). 1935 wurde dann der „Kartoffelkäfer-Abwehrdienst“ gegründet, der die Bekämpfung möglicher Schädlings- Die Ausbreitung des Kartoffelkäfers in Deutschland herde durchführen sollte. LANGENBRUCH (1998) wies dar- auf hin, dass der Kampf gegen den Kartoffelkäfer als Teil Als Schädling an Kartoffelpflanzen wurde der Käfer erst- der „Erzeugungsschlacht“ während der Zeit des Natio- mals 1859 in Nebraska (USA) beobachtet (CASAGRANDE, nalsozialismus gesehen werden muss. Dieser Begriff 1985). Seine ursprüngliche Nahrungspflanze war wahr- taucht 1935 auch mehrfach im Nachrichtenblatt des scheinlich die Büffelklette (Solanum rostratum), von der Deutschen Pflanzenschutzdienstes auf, dessen Ziel es er auf die neue Kulturpflanze wechselte. Die Etablierung war, die Nahrungsmittelversorgung im Kriegsfall in und Ausbreitung des Kartoffelkäfers in Europa und Deutschland autark zu gewährleisten (DEGLER & STREB, schließlich in Deutschland ist in vieler Hinsicht bemer- 2008). Dieses Ziel ergab sich aus den Erfahrungen des kenswert und sehr gut dokumentiert. Eine zentrale Rolle I. Weltkrieges, in dem die Nahrungsmittelversorgung der hat dabei das Nachrichtenblatt des deutschen Pflanzen- Zivilbevölkerung aufgrund der alliierten Blockade nicht schutzdienstes gespielt, das über ein Jahrhundert den mehr gewährleistet werden konnte und als Hungerwin- bedeutendsten Schädling im Kartoffelanbau immer wie- ter 1917/18 in die Geschichte einging. der als Thema aufgreift. MANSFELD (1923) berichtet von Die Notwendigkeit der Organisation und Finanzierung 226 mehrfachen Besiedlungsversuchen durch den sogenann- der Kartoffelkäferabwehr hat die Schaffung des ersten ten „Koloradokäfer“ in Europa. Seine Gefährlichkeit und deutschen Pflanzenschutzgesetzes 1937 wesentlich geför- Bedeutung wurde schon im 19. Jahrhundert von den dert. Die Organisation der Überwachung der Kartoffel- europäischen Staaten richtig erkannt und durch entspre- schläge oblag dem Bürgermeister der Gemeinden und chende Gesetzgebung gegengesteuert. In Deutschland wurde in der Regel von Schülern durchgeführt, die mit wurde durch die Kaiserliche Verordnung vom 26. Februar anschaulichem Lehrmaterial die verschiedenen Entwick- 1875 die Einfuhr von Kartoffeln, deren Schalen, Abfälle lungsstadien der Käfer kennenlernten (Abb. 2). Zur und Verpackungsmaterial aus Amerika verboten. Bald Motivation der Käfersuche wurden kleine Abzeichen für darauf, 1876, fing man Käfer in einem Güterschuppen den Finder der ersten Kartoffelkäfer auf dem Feld verge- in Bremen und zweimal auf Dampfern von New York ben (Abb. 3). nach Bremerhaven. Im Juni 1877 trat der Schädling in Deutschland zum ersten Mal auf 5 ha Kartoffelfläche bei Mühlheim a. Rh. auf und wurde rigoros bekämpft (MANS- Bekämpfungsmaßnahmen mit Pflanzenschutzmitteln FELD, 1923). Dazu wurden die Felder mit Petroleum über- von 1936 bis in die Gegenwart gossen und abgebrannt, der Boden mit einer Lauge aus Pottasche und Kalkmilch durchgearbeitet. In der Folge 1936 kam es dann wie erwartet zu den ersten Einflügen traten Befallsherde 1887 in Sachsen (Kreis Torgau) und des Kartoffelkäfers aus Frankreich nach Deutschland. Die 1914 bei Stade (Niedersachsen) auf, die jedoch ebenfalls Bekämpfung der Schädlingsherde wurde bis Ende der erfolgreich zerstört wurden. Bei Letzterem wurden auf 1940er Jahre zuerst mit Blei- und später mit Kalkarsen den 3 ha Gartenpachtland 200 Soldaten eingesetzt, die durchgeführt. Infolge des II. Weltkrieges konnte die Aus- das Gelände gründlich absuchten. Alle Kartoffelstauden breitung des Käfers in den letzten beiden Kriegsjahren wurden ausgezogen, mit Rohbenzol begossen und in dann nicht mehr verhindert werden, und so verlief 1946 Kalkgruben eingestampft. Die Felder wurden ebenfalls die östliche Befallsgrenze von Rostock im Norden bis mit Benzol getränkt (MANSFELD, 1923). Auf diese Weise nach Flöha bei Chemnitz (SCHWARTZ, 1947). Trotzdem hat konnte man eine Etablierung des Schädlings in Deutsch- man die Ausbreitung des Käfers in der sowjetischen land lange Zeit verhindern. Im 2. Jahrgang, Nummer 10 Besatzungszone dazu genutzt, um den Vereinigten Staa- von 1922 des Nachrichtenblattes wird erstmalig von ten von Amerika eine biologische Kriegsführung vorzu- Regierungsrat M. Schwartz, Mitglied der Biologischen werfen und sie beschuldigt, die Schädlinge mit Hilfe von Reichsanstalt, vom großflächigen Auftreten des Kar- Flugzeugen in Ostdeutschland abzuwerfen (Abb. 4). Die toffelkäfers im selben Jahr in der Gironde (bei Bordeaux Bekämpfung des Kartoffelkäfers nach 1945 erfolgte auf in Frankreich) auf 250 Quadratkilometern berichtet Grund der Teilung Deutschlands in Zonengrenzen nicht (SCHWARTZ, 1922). Detailliert werden die entschlossenen mehr einheitlich. Während die Kartoffel als Nahrungs- Bekämpfungsmaßnahmen des französischen Landwirt- mittel im Osten noch lange Zeit eine wesentlich größere schaftsministeriums, basierend auf Behandlung der Fel- Bedeutung hatte und die Kartoffelkäferbekämpfung zen- der mit Bleiarsen, beschrieben. Besonders stark befallene tral organisiert wurde, spielte sie in Westdeutschland Kulturen wurden verbrannt und unmittelbar danach ge- eine zunehmend geringere Rolle und wurde von den pflügt und mit ungelöschtem Kalk behandelt. Allgemein Pflanzenschutzämtern der Landesbauernschaften dezen- rechnete man jedoch jetzt mit der dauerhaften Fest- tral übernommen (LANGENBRUCH, 1998). In Darmstadt setzung und weiteren Ausbreitung des Schädlings in Eu- wurde 1948 das Institut für Kartoffelkäfer-Forschung und ropa. Die Biologische Reichsanstalt hat schon 1925 die -Bekämpfung gegründet, aus dem später das heutige Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit 227 Abb. 1. Kartoffelkäfermerk- blatt der Biologischen Reichsan- stalt, 1925. Institut für biologischen Pflanzenschutz des Julius Kühn- den 1950er Jahren dann auch in Ostdeutschland mit Institutes hervorging. Bis 1953 waren die Forschungsar- DDT oder HCH auch in Kombination mit kupferhaltigen beiten ausschließlich auf den Kartoffelkäfer ausgerichtet Fungiziden zur Krautfäulebekämpfung (SCHMIDT & (LAUX, 1998). Die Bekämpfung erfolgte frühzeitig mit SCHWARTZ, 1958). Der Flugzeugeinsatz zur Ausbringung Hilfe chlorierter Kohlenwasserstoffverbindungen wie der Pflanzenschutzmittel in Kartoffeln gegen den Kartof- z. B. DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) oder HCH felkäfer ist in dieser Zeit in Deutschland erstmalig er- (Hexachlorcyclohexan), aber auch weiterhin bis 1954 probt worden (SCHWARTZ, 1958). Die ersten Resistenzen mit arsenhaltigen Pflanzenschutzmitteln (LANGENBRUCH, gegenüber DDT bildeten sich in den 1960er Jahren. In 1998). In Ostdeutschland wurden die Käfer weiterhin per den 1970er Jahren erfolgte der Wechsel auf die organi- Hand abgesammelt und ebenfalls Kalkarsen angewendet schen Phosphorsäureverbindungen und die synthetischen (KIRCHNER, 1952). Die chemische Bekämpfung erfolgte in Pyrethroide, die dem natürlichen Insektengift der Chrysan- Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit 228 Abb. 2. Anschauungsmaterial für den Schulunterricht – Kartoffelkäfer in Originalgröße aus Kunststoff nachgebildet, 1938. themen nachgebildet wurden. KADOIĆ et al. (2020) zeigen lenden Wirkungsgrade mehr in Sachsen (DIETZ et al., auf, dass der Kartoffelkäfer bis heute gegen 56 Wirkstoff- 2014) im Gegensatz zu Baden-Württemberg und Rhein- verbindungen in allen Wirkstoffklassen innerhalb kür- land-Pfalz (RICHERZHAGEN & TSCHÖPE, 2010). Seit etwa zester Zeit Resistenzen aufgebaut hat. Betrachtet man 2007 ersetzt bzw. ergänzt die breite Anwendung der die Historie der Mittelanwendungen, muss die Ablösung Neonicotinoide im konventionellen Kartoffelanbau die von Kalkarsen durch DDT bezüglich des Anwenderschut- synthetischen Pyrethroide (z. B. Cypermethrin, Delta- zes als ein großer Fortschritt angesehen werden. Auf- methrin) bis in die Gegenwart. Die vergleichsweise lange grund der geringen Toxizität für Säugetiere und des ein- Wirksamkeitsdauer der Pyrethroide von mehr als 40 Jah- fachen Herstellungsverfahrens war DDT jahrzehntelang ren hängt wahrscheinlich auch mit der stetig abnehmen- das weltweit meistverwendete Insektizid und hat im den Kartoffelanbaufläche und dem damit verbundenen Nachkriegsdeutschland erheblich zur Bekämpfung des potentiellen Vermehrungsgebiet für Kartoffelkäfer sowie Hungers der Menschen beigetragen. Auf Grund der u. a. den Möglichkeiten des Wirkstoffwechsels der letzten negativen Umweltwirkungen wurde die Verwendung Jahrzehnte zusammen. Wurden in der Bundesrepublik von DDT von den meisten westlichen Industrieländern in Deutschland 1950 insgesamt über eine Million Hektar den 1970er Jahren verboten. Die Ablösung durch synthe- landwirtschaftliche Nutzfläche (14 % Ackerfläche) mit tische Pyrethroide war damals ein großer Fortschritt, da Kartoffeln bestellt, waren es im Jahr 2020 nur rund neben der ebenfalls geringen Giftigkeit gegenüber Warm- 275.000 ha (2 % Ackerfläche) (AHRENS, 2020a). Weiter- blütern die Persistenz des Wirkstoffes in der Umwelt hin gibt es heute Zulassungen für die Wirkstoffe Dazomat gering ist. Eine Resistenz des Kartoffelkäfers gegen diese (Dithiocarbamate) und Cyantraniliprole. Bei Letzteren breit wirksamen Insektizide entwickelt sich zunehmend handelt es sich um eine neue Wirkstoffgruppe der Dia- nach dem Jahr 2000 (NAUEN, 2005) – allerdings nicht in mide, die als Kontakt und Fraßgift wirken, aber auch als allen Regionen Deutschlands gleichmäßig. So zeigte bienengefährlich eingestuft (B1) werden. Sie sollen zukünf- Karate Zeon (Lambda-Cyhalothrin) keine zufriedenstel- tig eine Alternative zu den Neonicotinoiden darstellen. Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart Übersichtsarbeit Abb. 3. Ehrennadel für den Fin- 229 der eines neuen Kartoffelkäfer- Herdes. In der öffentlichen Diskussion wird die Anwendung bie- nengefährlicher Pflanzenschutzmittel jedoch sehr kri- tisch diskutiert und es ist fraglich, ob zukünftig weiterhin Pflanzenschutzmittel der Bienengefährdungsstufe B1 in der Landwirtschaft akzeptiert werden (BMU, 2019). Auch fehlt in Europa die Akzeptanz für Methoden der Gentechnik, die Lösungsmöglichkeiten aufzeigen könn- te. So war die Einführung der transgenen NewLeafTM- Sorte 1995 in den USA durch Monsanto nur von kurzer Dauer. Sie exprimierte das Bt-Endotoxin und der Verkauf wurde 2001 wegen Bedenken gegenüber der schnellen Resistenzbildung (ALYOKHIN & FERRO, 1999) und aufgrund von Akzeptanzproblemen bei den Verbrauchern einge- stellt (THORNTON, 2003). Eine weitere transgene Züch- tungsmethode ist die Exprimierung von dsRNA (doub- le-stranded RNA) in Kartoffelpflanzen, um gezielt Kartof- felkäfergene (Actin-Like Protein (ACT)) anzugreifen (PALLI, 2014; ZHANG et al., 2015). Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass transgene Symbionten der Kartoffelkä- fer die dsRNA exprimieren, die man dann als Pflanzen- schutzmittel anwenden kann (WHITTEN et al., 2016). Kartoffelkäferregulierung im Ökolandbau Durch den Verzicht auf synthetische Pflanzenschutz- und Düngemittel werden integrierte Pflanzenschutzkonzepte unter besonderer Berücksichtigung vorbeugender, me- chanischer und biologisch-biotechnischer Maßnahmen in der Praxis des Ökologischen Landbaus bereits umge- setzt (KEISER et al., 2010). Dazu zählen: Abb. 4. DDR-Propagandaheft: „Halt! Amikäfer! Dokumente zum • die Fruchtfolge mit entsprechenden Anbaupausen be- Kartoffelkäferabwurf“, 1950 achten, Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart • 500 m Abstand zu den Vorjahresflächen einhalten, um felkäfer bestätigten die fehlende Ertragswirksamkeit Übersichtsarbeit eine schnelle Besiedlung der neuen Schläge zu verzö- (BOHINC et al., 2015). gern, Die biologische Regulierung des Kartoffelkäfers mit • Durchwuchskartoffeln vermeiden, Nützlingen wurde in der Vergangenheit in Europa immer • vorgekeimte, frühe Sorten pflanzen. wieder geprüft. So wurde in den 60er Jahren des vergan- genen Jahrhunderts mit großem Aufwand versucht, in Auch die Anwendung pneumatischer Kartoffelkäfersam- Nordamerika heimische, räuberische Wanzen der Gattung melgeräte erfolgte in der Praxis des Ökolandbaus (RIFAI Perillus in verschiedenen europäischen Ländern zu etablie- et al., 2004, KÜHNE et al., 2006). Mangelnde Selektivität ren (JERMY, 1980). Diese Versuche wurden 1970 in West- und hohe Kosten begrenzen aber deren Anwendung in deutschland ohne Erfolg beendet (LANGENBRUCH, 1998). der Praxis. Aufgrund der negativen Erfahrungen mit der Ausbringung Im Ökologischen Landbau standen in den letzten zwei faunenfremder Nützlinge (KENIS et al., 2017) sollte diese Jahrzenten vier biologische Wirkstoffe zur Verfügung, Vorgehensweise zukünftig nicht weiterverfolgt werden. die aufgrund der höheren Mittelkosten im konventionel- GÖLDEL et al. (2020) geben einen Überblick zu den bisher len Landbau bisher meist nicht genutzt wurden. Dazu untersuchten Arthropoden, die als Nützlinge getestet wur- gehören Azadirachtin, Wirkstoff aus dem Neembaum, den. Viele Untersuchungen sind bisher nur im Labor er- Bacillus thuringiensis var. tenebrionis (B.t.t.), Pyrethrum folgt und eine erfolgreiche Anwendung unter Praxisbedin- und Rapsöl sowie der Wirkstoff Spinosad. Letzterer gungen im Feld sind in Europa bisher nicht erfolgt. Die An- wurde 2008 in den Anhang II der EU-Ökoverordnung wendung insektenpathogener Nematoden erscheint dem- 230 als Insektizid neu aufgenommen und kann seitdem im gegenüber aufgrund der guten Massenproduktion und Ökolandbau angewendet werden. Es handelt sich dabei einfachen Ausbringungsmethoden mit Pflanzenschutzge- um ein Stoffwechselprodukt des Bodenbakteriums Sac- räten zukünftig erfolgversprechender (LAZNIK et al., 2010, charopolyspora spinosa, das durch aerobe Fermentation KEPENEKCI, 2016, GÖLDEL et al., 2020). gewonnen wird. Die Zulassung eines Pflanzenschutz- mittels mit dem Wirkstoff Spinosad für die Indikation Kartoffelkäfer in Kartoffeln ist in Deutschland erstmalig Die Nutzung der Wirtspflanzenresistenz gegen für das Jahr 2010 erfolgt. Aufgrund seiner Einstufung Kartoffelkäfer ― eine zukünftige Perspektive für als bienengefährlich (B1) lehnen die deutschen eine nachhaltige Kartoffelkäferregulierung? Öko-Anbauverbände die Anwendung jedoch einheitlich ab, so dass nur in EU-Ökobetrieben eine Anwendung er- Wildarten der Gattung Solanum, die Merkmale der Resis- folgen darf. Während das Naturpyrethrum aufgrund der tenz gegen den Kartoffelkäfer zeigen, werden mit klassi- Resistenzentwicklung die letzten 10 Jahre keine sichere schen Züchtungsverfahren für die Kartoffelzüchtung Wirkung erzielte, wurde in den letzten Jahren eine genutzt. Dazu gehören u. a. Leptin-Glykoalkaloide und kombinierte, zeitlich gestaffelte Anwendung von Pflan- Drüsen-Trichome (SPOONER & BAMBERG, 1994, LORENZEN et zenschutzmitteln mit dem Wirkstoff des tropischen al., 2001, MWEETWA et al., 2011). Beispielsweise können Neembaumes (NeemAzal-T/S) und des B.t.t.-Bakterien- Solanum-Hybride hypersensible, nekrotische Zonen um präparates (Novodor FC) empfohlen (REELFS et al., Eigelege herum bilden, die sich dann vom Blatt ablösen 2007). Mit der Kombination dieser Wirkstoffe konnten (BALBYSHEV & LORENZEN, 1997). Unter Verwendung eines Wirkungsgrade von über 80 % erzielt werden. Dabei Biotests wurden bei einigen Wildart-Akzessionen der Se- zeigte auch die einmalige Anwendung von Spinosad rien Bulbocastana, Etuberosa, Commersoniana, Pinnati- (SpinTor) sehr gute Erfolge und war zugleich ver- secta u. a. hohe Mortalität, verzögerte Entwicklung und gleichsweise kostengünstig (KÜHNE, 2010, KOWALSKA, geringerer Massezuwachs (THIEME & THIEME, 2006) sowie 2010). Mit dem Widerruf der EU-Wirkstoffzulassung von geringere Fertilität der Käfer nachgewiesen. Diese Wild- B.t.t. auf Antrag des Zulassungsinhabers am 30. April arten sind reproduktiv isoliert und damit nicht direkt mit 2019 (Aufbrauchfrist bis zum 30. Oktober 2020) hat sich der Kulturkartoffel kreuzbar. Durch Protoplastenfusion aber eine neue Situation für die deutschen Ökoverbände konnten aber somatische Hybriden und durch nachfol- ergeben. Zukünftig steht nur noch NeemAzal T/S zur gende sexuelle Kreuzung Nachkommen erzeugt werden, Verfügung. Im Jahr 2019 wurde deshalb auf den Ver- um deren Widerstandsfähigkeit gegen den Kartoffelkäfer suchsflächen des JKI in Dahnsdorf die Wirksamkeit der zu übertragen (THIEME et al., 2019; 2015). Die Resistenz- einmaligen Anwendung der Pflanzenschutzmittel Spin- mechanismen zu identifizieren und aufzuklären sowie Tor und NeemAzal-T/S überprüft. SpinTor zeigt dabei Pre-breeding Material für die Kartoffelzüchtung zu ent- weiterhin eine hohe Wirksamkeit von über 80 % gegen wickeln, sind Ziele des aktuellen Forschungsprojektes: die Käferlarven im L1 und L2-Stadium. Auch die einma- Resistenzzüchtung bei Kartoffeln gegen die aus Amerika lige NeemAzal T/S Behandlung zeigt noch eine ausrei- eingeschleppten Schaderreger Leptinotarsa decemlineata chende Wirksamkeit von 65 % gegenüber der unbehan- (Kartoffelkäfer) und Epitrix spp. (amerikanische Kartof- delten Kontrolle. Kieselgur in Kombination mit Sonnen- felerdflohkäfer; LEADER (Leptinotarsa decemlineata & blumenöl zeigte demgegenüber keine Wirksamkeit Epitrix Resistenz), bei dem Wissenschaftler aus 2 JKI-In- gegenüber dem Kartoffelkäfer (KÜHNE, 2020). Weitere stituten, einem privaten Unternehmen und der TU Dres- Feldversuche mit Kieselgur und Holzasche gegen Kartof- den zusammenarbeiten. Eine Erhöhung der Wider- Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
Journal für Kulturpflanzen, 73 (7-8). S. 225–232, 2021, ISSN 1867-0911, DOI: 10.5073/JfK.2021.07-08.06 Verlag Eugen Ulmer KG, Stuttgart standsfähigkeit neuer Kartoffelsorten gegen den Kartof- the Bacillus thuringiensisCry3A Toxin. Journal of Economic Ento- mology, Volume 92, (3), 510-515. Übersichtsarbeit felkäfer kann einen wichtigen Beitrag für eine nachhalti- BALBYSHEV, N.F., J.H. LORENZEN, 1997: Hypersensitivity and egg drop: ge, integrierte Regulierungsstrategie leisten. A novel mechanism of host plant resistanceto Colorado potato beetle (Coleoptera: Chrysomelidae). Journal of economic ento- mology 90, 652-657. BOHINC, T., J. RUPNIK, F. VUCAJNK, S. TRDAN, 2015: Testing the efficacy Schlussfolgerung of environmentally acceptable control methods against the Colo- rado potato beetle (Leptinortarsa decemlineata) on potato:an im- pact on the yield of potato. Zbornik predavanj in referatov12. Die Fokussierung auf die Anwendung von Insektiziden Slovenskega posvetovanja o varstvu rastlin z mednarodno udele- zur Regulierung des Kartoffelkäfers hat in der Vergan- zbo, 3.-4- marec, Ptuj, Slovenija. ISBN: 9789619344736. BMU, 2019: Aktionsprogramm Insektenschutz. Druck- und Verlags- genheit immer in eine Sackgasse und zu einer schnellen haus Zarbock GmbH & Co. KG, Frankfurt am Main, 67 S. Resistenzbildung gegen die verwendeten Wirkstoffe ge- CASAGRANDE, R.A., 1985: The “Iowa” Potato Beetle, its Discovery and Spread to Potatoes. Bulletin of the Entomological Society of Ame- führt. Zukünftig kann nur ein integriertes System ver- rica 31 (2), 27–29, DOI: 10.1093/besa/31.2.27. schiedener Regulierungsstrategien aus vorbeugenden DEGLER, S., J. STREB, 2008: „Die verlorene Erzeugungsschlacht: Die Maßnahmen wie Fruchtfolge, 500 m Abstand zu Vorjah- nationalsozialistische Landwirtschaft im Systemvergleich“. Jahr- buch für Wirtschaftsgeschichte = Economic History Yearbook 49 resflächen einhalten, Kartoffeldurchwuchs vermeiden, (1), 161–81, DOI: 10.1524/jbwg.2008.0008. Vorkeimen und Nutzung früher und ggf. resistenter Sor- DIETZ, M., A. THATE, B. PÖLITZ, E. MEINLSCHMIDT, M. KRAATZ, 2014: Untersuchungen zu Pflanzenschutzmittelresistenzen wirtschaft- ten in Kombination mit direkten Maßnahmen (physikali- lich bedeutsamer Schaderreger gegenüber Insektiziden, Fungizi- sche, biologisch/biotechnische Maßnahmen), auch unter den und Herbiziden. Schriftenreihe des LfULG 5, 55 S. Verwendung von selektiven Pflanzenschutzmitteln, er- GÖLDEL, B.; LEMIC, D.; BAŽOK, R., 2020: Alternatives to Synthetic Insecticides in the Control of the Colorado Potato Beetle (Lepti- 231 folgreich sein. Dabei spielt der Wirkstoffwechsel auch mit notarsa decemlineata Say) and Their Environmental Benefits. biologischen Wirkstoffen (z. B. Neem) zur Vermeidung Agriculture 10, 611, DOI: 10.3390/agriculture10120611. HOY, C.W., 1999: Colorado potato beetle resistance management der schnellen Resistenzbildung eine wichtige Rolle. Auch strategies for transgenic potatoes. American Journal of Potato Re- ein streifenförmiger Anbau attraktiver Kartoffelfang- search 76, 215-219. pflanzen, wie er in der Vergangenheit auch erfolgreich JERMY, T., 1980: The introduction of Perillus bioculatus into Europe to control the Colorado beetle. EPPO Bulletin 10, 475-479. erprobt wurde (SENDLER, 1949, HOY, 1999), ist eine Mög- KADOIĆ, B.M.,K.M. MIKAC, R. BAŽOK, D. LEMIC, 2020: Modern lichkeit nur Teilflächen zu behandeln, um die Resistenz- Techniques in Colorado Potato Beetle (Leptinotarsa decemlineata Say) Control and Resistance Management: History Review and bildung gegen Wirkstoffe zu verlangsamen und die An- Future Perspectives. Insects, 11, (9) 581. htt- wendung der Pflanzenschutzmittel weiter zu reduzieren. ps://doi.org/10.3390/insects11090581 KEISER, A., S. KÜHNE, C.H. LANDZETTEL, S. MAHNKE-PLESKER, R. SIX, B. 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This is an Open Access article distributed under the SCHWARTZ, M., 1922: Auftreten des Koloradokäfers in Frankreich. terms of the Creative Commons Attribution 4.0 International License Nachrichtenblatt für den deutschen Pflanzenschutzdienst 2, (10), 11-12. (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en). Journal für Kulturpflanzen 73. 2021
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