Kartoffeln à la Gen-Carte

Die Seite wird erstellt Sören Hartmann
 
WEITER LESEN
Kartoffeln à la Gen-Carte
Kartoffeln à la Gen-Carte
Wenn Kulturpflanzen Opfer von Krankheitserregern werden, kann das verheerende Folgen für
die Welternährung haben. Christiane Gebhardt und ihre Mitarbeiter am Max-Planck-Institut
für Züchtungsforschung suchen daher im Erbgut der Kartoffeln nach Genen, mit deren Hilfe
sich sowohl Resistenzen als auch bestimmte Qualitätsmerkmale leichter züchten lassen.

TEXT INGA RICHTER

                                                                                           Foto: Kai Weinsziehr

18   MaxPlanckForschung 1 | 09
Kartoffeln à la Gen-Carte
FOKUS_Expedition Zukunft

A
             uch wenn gentechnische        und Knollen verfaulen, weshalb man          Aus Amerika eingeschleppte Kartoffel-
             Methoden der Pflanzen-        auch von der Kraut- und Knollenfäu-         krankheiten führten dann in der Mitte
             zucht schon etliche Erfolge   le spricht.                                 des 19. Jahrhunderts zu verheerenden
             beschert haben – um die           Jens Lübeck ist Zuchtexperte bei        Missernten; Millionen Menschen ver-
             Ernährung der Weltbevöl-      SaKa und prüft soeben die Erntebe-          hungerten, vor allem in Irland, wo die
kerung zu gewährleisten, bedarf es wei-    richte: Tatsächlich konnten die Ertrags-    Abhängigkeit von der Kartoffel beson-
terer Forschungsanstrengungen: „Eine       quoten 2020 um 40 Prozent gesteigert        ders groß war. „Auch heute noch kön-
noch effektivere Produktion von Kul-       und der Einsatz von Pflanzenschutzmit-      nen die Ernteverluste durch die Kraut-
turpflanzen ist unabdingbar angesichts     teln erheblich reduziert werden. Waren      und Knollenfäule bis zu 100 Prozent
der wachsenden Weltbevölkerung“, er-       bis vor wenigen Jahren noch acht bis 14     betragen, sofern nicht eine breite Palet-
klärt Maarten Koornneef, Direktor am       Fungizidgaben notwendig, so sind es in      te an Fungiziden eingesetzt wird“, sagt
Max-Planck-Institut für Züchtungsfor-      diesem Jahr nur zwei gewesen. In Zu-        Jens Lübeck. Allein in Deutschland kos-
schung in Köln.                            sammenarbeit mit dem Max-Planck-            tet dies die Landwirte jährlich 88 Milli-
    Derzeit leben mehr als 6,7 Milliar-    Forschungsteam von Christiane Geb-          onen Euro. Darüber hinaus belasten die
den Menschen auf der Erde; jede Sekun-     hardt ist es dem Züchter gelungen,          chemischen Schädlingsbekämpfungs-
de kommen durchschnittlich fünf hin-       wichtige Resistenzgene gegen die Kraut-     mittel Grundwasser und Böden und
zu. Um mit dieser Zunahme Schritt zu       und Knollenfäule aufzuspüren und die        wirken sich nachteilig auf die Artenviel-
halten, muss die weltweite Nahrungs-       damit ausgestatteten Kartoffelpflanzen      falt aus.
mittelproduktion steigen. Nur etwa ein     erfolgreich weiter zu vermehren… Doch
Fünftel der Erdoberfläche kann aber als    noch ist die Forschung nicht so weit.       MENDEL REVOLUTIONIERT DIE
potenzielle Agrarfläche dienen; de facto       Nach Weizen, Reis und Mais ist die      PFLANZENZÜCHTUNG
sinkt die Fläche je Person zur Nahrungs-   Kartoffel die viertwichtigste Nutzpflan-
produktion seit Jahren sogar aufgrund      ze. Wenn auch kein Allheilmittel, so        Vor diesem Hintergrund wäre es ein
der Ausweitung von Wohnsiedlungen          könnte der Kartoffelanbau in vielen         Fortschritt, wenn es gelänge, ertrag-
und Verkehrswegen. Und das bedeutet:       Ländern der Welt, wo Mangel- und Fehl-      reiche und gleichzeitig schädlingsresis-
Die Erträge pro Flächeneinheit müssen      ernährung verbreitet sind, doch einen       tente Kartoffelsorten wie die eingangs
gesteigert werden.                         Teil der Ernährungsproblematik lösen        erwähnte Fantasiesorte „Sternstunde”
                                           helfen. Etwa 325 Millionen Tonnen der       zu züchten. Der klassische Weg der
ZUKUNFTSVISIONEN                           verschiedenen Sorten werden derzeit         Züchtung ist dabei nach wie vor be-
FÜR DEN KARTOFFELANBAU                     weltweit pro Jahr geerntet. Sie sind das    schwerlich, wenn auch nicht mehr so
                                           Ergebnis jahrhundertelanger Auslese-        langwierig wie vor etwa 10 000 Jahren,
Ein Zukunftsszenario, an dem die For-      züchtung. Schon die von den Ur-             als unsere Vorfahren begannen, sess-
scher arbeiten, könnte wie folgt aus-      einwohnern Südamerikas kultivierten         haft zu werden und essbare Wildpflan-
sehen: Bei der SaKa Pflanzenzucht          Kartoffeln waren hoch entwickelt, ver-      zen anzubauen. Im Laufe der Zeit lern-
GbR in Windeby in Schleswig-Holstein       schiedensten Anbaulagen und unter-          ten sie, gut schmeckende Exemplare
dreht sich alles um Solanum tuberosum,     schiedlichen Verwendungszwecken an-         von bitter schmeckenden zu trennen,
die Kartoffel. Ihr neuester Züchtungs-     gepasst und weit entfernt von den           oder ertragreiche von denen, die nur
erfolg heißt „Sternstunde”. Diese Sor-     hochgradig giftigen Wildformen mit          mickerig wuchsen, und sie fanden he-
te weist nicht nur einen deutlich hö-      winzigen Knollen.                           raus, dass die Weiterzucht von Indivi-
heren Nährstoffgehalt auf, sondern ist         In Europa wurde die Kartoffel im        duen mit günstigen Eigenschaften die
auch resistent gegenüber dem größten       19. Jahrhundert zum Hauptnahrungs-          besseren Ernteergebnisse erbrachte.
Widersacher der Kartoffel, dem Pilz        mittel. Denn neben den notwendigen              „Die wissenschaftliche Pflanzen-
Phytophthora infestans. Phytophthora       Kalorien liefert sie auch Spurenelemente,   zucht und die damit realisierbaren Er-
lässt die oberirdischen Pflanzenteile      Vitamine und hochwertiges Eiweiß.           tragssteigerungen in der Landwirtschaft

                                                                                                    1 | 09 MaxPlanckForschung   19
Kartoffeln à la Gen-Carte
KARTOFFELANBAUFLÄCHE & ERNTEMENGE

                                                  8.732.961

                                                                          7.473.628
                                                                                                                                                 wurden erst durch Mendel revolutio-
                                                                                                                                                 niert“, erzählt Christiane Gebhardt. Als
                                                                                                                                                 Johann Gregor Mendel 1866 in den
                                                                                                                                                 Gärten der Abtei St. Thomas in Alt
                                                                                                                                                 Brünn die Pollen rot blühender Erbsen-
                                                                                                                                                 pflanzen auf die Narben weiß blü-
                                                                                                                                                 hender übertrug, bezogen sich seine
                                                                                                                                                 Versuche auf äußerlich erkennbare
                                                                                                                                                 Merkmale, die Phänotypen.
                                                                                                                                                     Der später als Vater der Genetik be-
                                                                                                                                   41.2          titelte Mönch wusste noch nichts von
                                                                                                                                                 den molekularen Geheimnissen der
                                                                                                                                                 Nukleinsäuren, deren Aufbau und Wir-
                                                                                                                                                 kungsweise. Nichtsdestotrotz formulier-
                                                                                                                                                 te er die ersten Regeln über das Wirken
                                                                                                                                                 jener wahren Herrscher des Lebens, der
                        1.541.498

                                                                                                                                                 Gene – und gab der Züchtung damit
                                                                                      17.4

                                                                                                              16.3
                                                              15.7

                                                                                                    963.766

                                                                                                                                                 neue Impulse: Endlich konnten durch
                                     10.8

                                                                                                                         615.878

                                                                                                                                                 systematische Kreuzung die Eigen-
                                                                                                                                                 schaften von vielen verschiedenen
                                                                                                                                                 Pflanzenindividuen in einem einzigen
                                                                                                                                                 Nachkommen vereinigt werden.
                                                     n

                                                                            a
                       ka

                                                                                                       a

                                                                                                                            a
                                                 ie

                                                                         p

                                                                                                    ik

                                                                                                                         ik

                                                                                                                                                 INDIVIDUALITÄT: DER KLEINE,
                       ri

                                                                      ro
                                                an

                                                                                                  er

                                                                                                                        er
                   Af

                                                                     Eu

                                                                                              am

                                                                                                                     m
                                            ze

                                                                                                                                                 ABER FEINE UNTERSCHIED
                                                                                                                   da
                                            O

                                                                                             in
                                        n/

                                                                                                                 or
                                                                                       te

                                                                                                              N
                                    ie

                                                                                      La
                                As

                                                                                                                                                 Doch nach wie vor müssen jene Nach-
                                                                                                                                                 kommen, die die gesuchte Kombinati-
  Anbaufläche (Hektar)                           Erntemenge (Tonnen/Hektar)                                                                      on der Eigenschaften der Eltern aufwei-
                                                                                                                                                 sen, in mehreren Zyklen ausgewählt
                                                                                                                                                 werden. Das kann bei einer Selektion
                                                                                                                                                 auf Resistenz durch die Auswahl der
                                                                                                                                                 nicht vom Krankheitserreger befal-
                                                                                                                                                 lenen Pflanzen im Gewächshaus oder
                                                                                                                                                 im Feld geschehen – befallene Pflan-
KARTOFFELPRODUKTION WELTWEIT (Menge in Mio. Tonnen)                                                                                              zen erkennt das geschulte Auge schon
                                                                                                                                                 aufgrund welker Blätter oder abgestor-
                                                                                                                                                 bener Pflanzenteile. Andere Merkmale,
 350
                                                                                                                                                 wie beispielsweise der Nährstoffgehalt,
300                                                                                                                                              lassen sich nicht so einfach selektie-
                                                                                                                                                                                              Quelle Grafiken: FAOSTAT / Umsetzung: Designergold

 250                                                                                                                                             ren. Ideal wäre es daher, wenn man die
200
                                                                                                                                                 Veranlagungen der Pflanze direkt an
                                                                                                                                                 ihren Genen ablesen könnte, sozusa-
 150
                                                                                                                                                 gen ohne den Umweg über den Phä-
 100                                                                                                                                             notyp. Ein großer Teil der zeitaufwen-
 50                                                                                                                                              digen züchterischen Selektionsarbeit
                                                                                                                                                 würde dann entfallen.
     0
         1991   1993                1995         1997                1999                    2001             2003       2005             2007
                                                                                                                                                     Gene bestimmen, welche Merkmale
                                                                                                                                                 eine Pflanze aufweist: ob sie schnell oder
                                                                                                                                                 langsam wächst, tolerant gegenüber Tro-
                                                                                                                                                 ckenperioden ist oder robust gegenüber
  entwickelte Länder                            Entwicklungsländer                                            weltweit                           bestimmten Pflanzenkrankheiten und
                                                                                                                                                 welche Inhaltsstoffe sie aufweist. Doch

20       MaxPlanckForschung 1 | 09
Kartoffeln à la Gen-Carte
FOKUS_Expedition Zukunft

                                                                selbst nach 30 Jahren Genomforschung
                                                                an Pflanzen will sich das Geheimnis der
                                                                genetischen Vielfalt noch nicht so leicht
                                                                lüften lassen. Natürlich weiß man längst,
                                                                dass die Karten der Vererbung stets
                                                                durch die Neukombination von Ei- und
                                                                Samenzelle der Eltern neu gemischt wer-
                                                                den, und auch, dass von allen Genen
                                                                unterschiedliche Ausfertigungen existie-
                                                                ren, die Allele.
                                                                    Aber: „Kartoffeln haben nur ein Mal
                                                                Sex im Leben“, erklärt Lübeck. „An-
                                                                schließend läuft die Vermehrung vege-
                                                                tativ über die Knollen“, so der Züchter.
                                                                Bei derartigen Klonen erfolgt keine wei-
                                                                tere Neukombination der Chromo-
                                                                somen. Doch weshalb enthalten dann
                                                                Knollen einer Sorte viel Stärke, während
                                                                ein Geschwisterklon weniger produ-
                                                                ziert, weshalb ist ein Klon resistenter ge-
                                                                gen Phytophthora als ein anderer?
                                                                    Gebhardt erklärt das so: „Der kleine
                                                                Unterschied zwischen den Individuen
                                                                einer Art sind Punktmutationen.“ Der
                                                                englische Fachbegriff dafür: Single Nuc-
                                                                leotide Polymorphism (SNP). Dabei han-
                                                                delt es sich um einzelne, zufällige
                                                                Basenaustausche, die bei der Verdopp-
                                                                lung der DNA-Sequenz immer wieder
                                                                auftreten – auch wenn sich der Orga-
                                                                nismus asexuell vermehrt. „Im mensch-
                                                                lichen Genom ist etwa eine von 1000
                                                                Basen verändert, im Kartoffelgenom ist
                                                                es ungefähr eine von 50“, erläutert die
                                                                Forscherin.

                                                                MARKER FÜR DIE SUCHE NACH
                                                                GÜNSTIGEN GENEN
Foto: MPI für Züchtungsforschung (unten), Frank Vinken (oben)

                                                                Die meisten dieser Mutationen haben
                                                                keinen Effekt; einige aber können ne-
                                                                gative Konsequenzen nach sich ziehen,
                                                                andere dagegen begünstigen positive
                                                                Eigenschaften. Und nach genau die-
                                                                sen positiven Punktmutationen läuft
                                                                die Fahndung in Köln auf Hochtouren.
                                                                Angesichts von einer Milliarde Basen-
                                                                paaren und etwa 30 000 Genen im Kar-          oben    Die Vermehrung von Kartoffeln erfolgt vegetativ über die Knollen.
                                                                toffelgenom ist diese Suche allerdings        unten   Das Prinzip der Marker-gestützten Züchtung: Von dem Gen für die Schalenfarbe gibt es
                                                                sehr mühevoll.                                        zwei Ausprägungen (Allele). Je nachdem, welches Allel vorliegt, ist die Schale der
                                                                                                                      Kartoffel rot oder weiß. Die Zahlen 1 und 0 symbolisieren einen DNA-Marker, der mit dem
                                                                    Mit ihren genetischen Analysen                    Genort für die Schalenfarbe gekoppelt ist. Dabei steht die 1 für rote Schalenfarbe, die
                                                                möchte Gebhardt die Grundlagen schaf-                 0 für weiße Schalenfarbe. Die Abbildung zeigt anschaulich, dass mithilfe des Markers
                                                                fen für eine Marker-gestützte Selektion,              die Schalenfarbe mit hoher Sicherheit vorhergesagt werden kann.

                                                                                                                                                                               1 | 09 MaxPlanckForschung    21
Kartoffeln à la Gen-Carte
Foto: Frank Vinken

22   MaxPlanckForschung 1 | 09
Kartoffeln à la Gen-Carte
FOKUS_Expedition Zukunft

                      links    Christiane Gebhardt, Forschungsgruppenleiterin in der Abteilung von Maarten Koorneef am
                               Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung, prüft die Banden auf einem Agarose-Gel.
                      rechts   Die aus einer Kartoffel isolierte DNA wird mittels PCR (Polymerasekettenreaktion) vermehrt
                               und von sogenannten Restriktionsenzymen in kleinere Fragmente geschnitten.
                      rechts   Von unterschiedlichen Kartoffelsorten stammende DNA-Proben werden für die
                      unten    Gel-Elektrophorese aufbereitet.

                      kurz MAS (marker assisted selection).             Reissorte, die unempfindlicher gegen
                      Voraussetzung für MAS ist die Ent-                Überschwemmungen ist, aber: „Präzisi-
                      wicklung diagnostischer Genmarker –               onszüchtung im Zusammenhang mit
                      künstlich hergestellte DNA-Schnipsel,             der Kartoffel verlangt mehr“, so Lübeck.
                      welche spezifische DNA-Abschnitte ab-             Die Genetik der Kartoffel ist nämlich
                      bilden und diese sichtbar machen,                 weitaus komplexer. Während Tomaten
                      ‚markieren’. Diese DNA-Abschnitte sind            und Reis nur zwei Chromosomensätze
                      wie Landmarken über das Erbgut der                und eine oder zwei Varianten (Allele)
                      Pflanzen verteilt. In der Regel zeigen sie        pro Gen aufweisen, besitzt die Kartoffel
                      keine phänotypische Ausprägung. Ent-              vier Chromosomensätze mit bis zu vier
                      scheidend ist, dass sie sich in der Nähe          verschiedenen Allelen pro Gen. Darü-
                      sogenannter Quantitative Trait Loci,              ber hinaus werden die gesuchten Eigen-
                      kurz QTL, befinden und somit einen                schaften nur in den seltensten Fällen
                      Hinweis auf die Existenz bestimmter               durch ein Gen allein manifestiert.
                      Gene geben können.                                „Mehr als 50 Gene können ein Resis-
                                                                        tenzmerkmal bedingen, das wir daher
                      PRÄZISIONSZÜCHTUNG                                als quantitatives Merkmal bezeichnen“,
                      SPART ZEIT UND KOSTEN                             sagt Gebhardt. Die zehn wichtigsten da-
                                                                        von zu kennen wäre fantastisch.
                      Mithilfe der künstlichen DNA-Schnipsel                Die Molekularbiologin zeigt auf eine
                      lässt sich das Genom der Pflanze nach             Deutschlandkarte, die sich breitflächig
                      bestimmten Genvarianten absuchen,                 an der Wand des Flurs im Institut er-
                      deren Existenz oder Nichtexistenz auf             streckt. „Wir konstruieren neue Karten“,
                      die zu untersuchende Eigenschaft des              so Gebhardt. Die Erde sei inzwischen
                      lebenden Pflanzen-Individuums hin-                vollständig vermessen, nun seien die
                      weist. Die Analyse des pflanzlichen Erb-          Genome an der Reihe. In ihrem Büro
                      guts dient dazu, passende Kreuzungs-              hängen schematische DIN-A4-Abbil-
                      partner zusammenzuführen und die                  dungen der zwölf Kartoffelchromo-
                      richtigen Nachkommen auszuwählen.                 somen an der Wand, lange Stäbchen,
                      Diese Vorgehensweise wird mit den Be-             auf denen grüne oder blaue Balken ein-
                      griffen ‚Präzisionszüchtung’, Precision-          gezeichnet sind: Das sind bereits identi-
                      Breeding, oder ‚Marker-gestützte Züch-            fizierte QTL. Sie bezeichnen Bereiche
                      tung’ umschrieben. Die Vorteile von               der DNA, die Gene enthalten, für die in
                      MAS liegen darin, dass theoretisch be-            vorangegangenen Studien ein messbarer
                      reits bei Keimlingen festgestellt werden          Einfluss auf die Ausprägung eines phä-
                      kann, ob sie das gewünschte Merkmal               notypischen Merkmals nachgewiesen
                      besitzen oder nicht. Die zeitaufwendige           werden konnte.
                      züchterische Selektionsarbeit entfällt,               Dünne Pfeile umgeben die schema-
                      die Kosten sinken, der Pestizideinsatz            tisierten Chromosomen sowie verschie-
Fotos: Frank Vinken

                      wird minimiert. Theoretisch.                      denfarbige Kombinationen aus Buch-
                          Zwar konnten zur Freude der Ketch-            staben und Zahlen. GPA5 steht dort
                      up-Industrie durch dieses Verfahren               beispielsweise in Rot, R1 in Grün oder
                      schon Tomaten mit erhöhtem Zucker-                GP179 in Schwarz. „Die schwarzen Be-
                      gehalt gezüchtet werden sowie eine                schriftungen bezeichnen DNA-Marker

                                                                                                                              1 | 09 MaxPlanckForschung   23
Kartoffeln à la Gen-Carte
oben: Auf den zwölf Chromosomen der Kartoffel
                                                                                      konnten die Forscher bereits verschiedene
                                                                                      Bereiche mit Genen identifizieren, die beispiels-
                                                                                      weise für die Abwehr bestimmter Fraßfeinde
                                                                                      eine Rolle spielen.
                                                                                      links: Am Computer überprüfen die Forscher,
                                                                                      wie unterschiedlich weit die DNA-Fragmente
                                                                                      bei der Gel-Elektrophorese gewandert sind.

                                                                                      wirkungen des Pathogens auf jede ein-
                                                                                      zelne Pflanze über ein paar Wochen
                                                                                      bewerten zu können. Die Benotung er-
                                                                                      folgt von 1 bis 9 – quantitative Eigen-
                                                                                      schaften lassen sich nur in mehreren
                                                                                      Zwischenstufen erfassen; selten sind
                                                                                      Merkmale so reinrassig oder auch mo-
                                                                                      nogen wie das Merkmal der Blütenfar-
                                                                                      be von Mendels Erbsen. Die 1 stellt die
                                                                                      schlechteste Note dar, die entspre-
                                                                                      chende Pflanze wäre demnach höchst
                                                                                      anfällig gegenüber Phytophtora.
                                                                                          Die gefriergetrockneten Blätter rei-
ohne besondere biologische Bedeu-          Resistenz gegen Pilze. Um eine Ver-        sen 532 Kilometer durch Deutschland
tung“, erklärt Gebhardt. Sie gehören       knüpfung solcher Genkarten mit den         und werden im Labor in Köln aufberei-
dennoch zum Grundgerüst der Genkar-        Feldpflanzen herstellen zu können, er-     tet. Teilstücke der isolierten DNA wer-             Fotos: Frank Vinken (mitte), MPI für Züchtungsforschung (oben)
ten – vergleichbar mit den Höhen- und      hält die Kölner Arbeitsgruppe Proben-      den mittels der PCR (engl. Polymerase
Breitengraden auf einer Weltkarte.         material von Pflanzenzuchtunterneh-        Chain Reaction), einer Art biochemi-
                                           men wie der SaKa Pflanzenzucht GbR         scher Kopiermaschine, vermehrt. An-
GENKARTEN FÜR EINE                         in Windeby.                                schließend zerschneiden Restriktions-
ENTDECKUNGSREISE IM GENOM                     Dort wird eine Versuchspopulation       enzyme die DNA an Stellen mit einer
                                           von durchschnittlich 200 Individuen        spezifischen Basenabfolge. Oder eben
Eine solche Genkarte kann für jedes        im Frühjahr ins Feld gepflanzt. Die Mit-   nicht – wenn nämlich in dieser Basen-
Chromosom der Kartoffel erstellt wer-      arbeiter schneiden von jeder der durch-    abfolge ein SNP vorliegt, ein einzelner
den. Die Marker sind auf ihr wie die       nummerierten Pflanzen ein frisches Fie-    Basenaustausch. Das führt dann dazu,
Perlen auf einer Schnur aufgereiht.        derblatt für die DNA-Isolation ab.         dass bestimmte DNA-Fragmente bei
Dazwischen müssen dann die Eigen-          Danach werden die Pflanzen weiter be-      diesem Individuum länger werden. In
schaften lokalisiert werden: In Rot er-    obachtet, ob ein Befall mit Schädlingen    der anschließenden Gel-Elektrophore-
scheinen hier zum Beispiel Genorte,        wie Phytophthora erfolgt. Ansonsten        se wandern sie – angetrieben durch ein
die für die Resistenz gegen Nematoden      wird durch künstliche Infektion nach-      elektrisches Feld – langsamer als die
eine Rolle spielen, in Grün jene für die   geholfen, um die phänotypischen Aus-       kürzeren Fragmente. Betrachten wir

24   MaxPlanckForschung 1 | 09
Kartoffeln à la Gen-Carte
FOKUS_Expedition Zukunft

unseren Marker für die Resistenz, so be-    vor Kurzem nur wenige diagnostische         Jahren das Kartoffelgenom komplett
wegt sich zum Beispiel ein für das          Marker bekannt, mit deren Hilfe mono-       entschlüsselt sein wird. Das wird für die
Merkmal ungünstiges Fragment weiter         gene Merkmale identifiziert werden          Suche nach weiteren Genen eine große
als ein günstiges.                          konnten, so brachte das Forschungs-         Hilfe sein. Jens Lübeck geht davon aus,
    Ob günstig oder nicht, kann aller-      programm GABI (Genomanalyse im bi-          dass bald weitere Marker für Resistenz-
dings erst durch den Abgleich mit den       ologischen System Pflanze) in den ver-      gene gefunden werden. Der Blick auf
Dokumentationen der Züchter über            gangenen acht Jahren einen kräftigen        die Genkarte im Büro von Christiane
die zugehörigen Versuchspflanzen ge-        Schub. Die vom Bundesministerium für        Gebhardt stimmt ihn optimistisch. So-
klärt werden. Diese prüfen die Quali-       Bildung und Forschung (BMBF) geför-         mit könnte es in Zukunft tatsächlich
tät der Versuchspflanzen und deren          derten Projekte ermöglichten die Zu-        „Kartoffeln à la Gen-Carte“ geben.
Knollen. Solche phänotypischen Un-          sammenarbeit von Forschungszentren
tersuchungen müssen öfter durchge-          wie dem Kölner Max-Planck-Institut
führt werden, an verschiedenen Orten        mit Pflanzenzuchtunternehmen und
zu verschiedenen Zeiten, über mehre-        förderten so erstmalig diagnostische
                                                                                          GLOSSAR
re Jahre. Schließlich kann die Wirkung      Marker zur Identifizierung polygener
von Genen überhaupt nur in Reaktion         Eigenschaften der Kartoffel zutage.           Phänotyp / phänotypische Ausprägung
auf eine bestimmte Umwelt sinnvoll              „Einer der bisher größten Erfolge für     äußerlich erkennbares Merkmal eines
definiert werden.                           die wirtschaftlich relevanten Zuchtpro-       Organismus, das von den Genen und der
                                                                                          Umwelt beeinflusst wird.
                                            gramme ist ein molekularer Marker, der
FINANZIELLER SCHUB                          Resistenz gegen den Nematoden Globo-          Genotyp
                                                                                          der individuelle Satz an Genen, den ein
FÜR MEHR KOOPERATIONEN                      dera pallida diagnostiziert“, sagt Lü-        Organismus besitzt.
                                            beck. Die Zysten dieses Fadenwurms
                                                                                          Marker
Zu den Auswertungen von Geno- und           können bis zu 20 Jahre im Boden über-
                                                                                          generell: ein biochemisches Hilfsmittel,
Phänotyp gesellt sich die statistische      dauern. Werden Kartoffelpflanzen auf          um bestimmte Eigenschaften zu ermitteln;
Berechnung, um einen Zusammen-              einer befallenen Fläche angebaut, drin-       hier speziell: ein DNA-Abschnitt, der sich
hang zwischen Merkmalen und DNA-            gen die Larven in die Wurzeln ein, be-        an eine bekannte und genau lokalisierte
Abschnitten herzustellen. Tausende          rauben sie ihrer Nährstoffe und lassen        Sequenz im Erbgut anlagert und so bei der
                                                                                          Suche nach Genen hilft.
Banden werden so per Assoziations-          die Pflanzen dadurch verhungern.
analyse daraufhin geprüft, mit wel-                                                       MAS
                                                                                          kurz für marker assisted selection:
chen Eigenschaften sie korrelieren. Im      ERSTE ERFOLGE IM KAMPF                        Suche nach züchtungsrelevanten
Erfolgsfall heißt es, die Pflanzen weiter   GEGEN FRASSFEINDE                             Merkmalen mithilfe von Genmarkern.
zu vermehren, deren Laboranalysen                                                         Quantitative Trait Locus Mapping
den phänotypischen und statistischen        Im Kampf gegen die zahlreichen Feinde         eine Methode, um die Genorte zu finden,
Vergleichen standgehalten haben, und        der Kartoffel gibt es weitere Erfolge zu      die ein Merkmal beeinflussen.
abzuwarten, ob sich der erwünschte          vermelden: „Inzwischen haben wir ein
Erfolg einstellt.                           erstes Gen für die Feldresistenz gegen
    „Züchtung ist ein recht träger Damp-    Kraut- und Knollenfäule entdeckt“, er-
fer“, sagt Lübeck. Ein Zuchtgang von        klärt Gebhardt. Das Gen trägt das Kürzel
nur einer Kartoffelsorte nimmt etwa         StAOS2 (für Solanum tuberosum Allene
zehn Jahre in Anspruch. MAS könnte          Oxide Synthase 2). Die Züchtungsfor-
diesen Prozess beschleunigen. Waren bis     scherin spekuliert, dass in etwa fünf

                                                                                                       1 | 09 MaxPlanckForschung    25
Kartoffeln à la Gen-Carte
Sie können auch lesen