Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
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Inhaltsverzeichnis 1. Bioökonomie – nachhaltig wirtschaften 2 2. Zellen und Biomoleküle 6 3. Züchten und archivieren 12 4. Messen und analysieren 16 5. Daten sammeln und nutzen 20 6. Verarbeiten und produzieren 24 7. Kreisläufe und vernetzte Welten 28 8. Weiterführende Links 34 9. Impressum 35
Bioökonomie – nachhaltig wirtschaften Bioökonomie ist die nachhaltige biobasierte Wirt- derungen muss sich die Rohstoffbasis der Industrie schaftsform der Zukunft: Dieses Konzept steht für die und auch die von uns betriebene Wirtschaftsweise Abkehr von einer erdölbasierten Wirtschaft hin zur verändern. Doch wie können wir ressourcenscho- Nutzung biologischer Ressourcen wie Pflanzen, Tieren nend leben, Biodiversität und damit unsere eigene und Mikroorganismen. Ihr Ziel ist es, die Belange und Lebensgrundlage dauerhaft erhalten und gleichzeitig Erfordernisse der Ökonomie und der Ökologie für ein unseren Lebensstandard sichern? nachhaltiges und klimaneutrales Wirtschaften zu ver- binden. Die Bundesregierung unterstützt den Wandel Einen Beitrag für einen Strukturwandel des Wirt- hin zu einer Bioökonomie bereits seit vielen Jahren. Das schaftssystems in Richtung Nachhaltigkeit bietet die Potenzial für nachhaltige Innovationen gründet auf Bioökonomie, eine auf biologischen Ressourcen und biologischem Wissen und einem Mix leistungsfähiger Verfahren basierende Wirtschaft. Das Konzept der Technologien. Diese Broschüre gibt einen Überblick Bioökonomie setzt auf das inhärente Potenzial von über die Werkzeugkiste der Bioökonomie. Lebewesen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Unser großes Zukunftsziel: Eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise, die Ökologie und Ökonomie klug Eine wachsende Weltbevölkerung, knapper werdende miteinander verbindet. Ressourcen, eine schwindende biologische Vielfalt und die Auswirkungen des Klimawandels stellen uns Deutschland war und ist ein Vorreiter in Sachen Bio- vor existenzielle Herausforderungen. Fossile Roh- ökonomie: Die Bundesregierung unterstützt den Weg stoffe wie Erdöl oder Erdgas, auf denen die Industrie in eine biobasierte Wirtschaft bereits seit dem Jahr 2010 immer noch überwiegend aufbaut, sind endlich, und mit Strategien und Förderprogrammen1. Als ein weiterer ihr Einsatz treibt die Erderwärmung weiter an. Für Meilenstein wurde im Januar 2020 die neue Nationale die Bewältigung der aktuellen globalen Herausfor- Bioökonomiestrategie2 veröffentlicht. Mit dieser Stra- 1 Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2010, Nationale Politikstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2013. 2 Nationale Bioökonomiestrategie: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/BMBF_Nationale_Biooekonomiestrategie_Langfassung_deutsch.pdf
BIOÖKONOMIE – NACHHALTIG WIRTSCHAFTEN 3 tegie schafft die Bundesregierung die Voraussetzungen Biologische Ressourcen nutzen dafür, Deutschlands Vorreiterrolle in der Bioökonomie In der Bioökonomie werden biogene Rohstoffe weiterhin zu stärken und mit ihrer Hilfe die Technologi- mithilfe der Land- und Forstwirtschaft, der Meeres- en und Arbeitsplätze von morgen zu entwickeln. Dabei wirtschaft mit Fischerei und Aquakultur oder durch wird die Gesellschaft auf mannigfaltige Weise beteiligt, Produktion mithilfe von Mikroorganismen erzeugt. wie etwa mit dem Wissenschaftsjahr 2020/21 – Bioöko- Ein besonderes Augenmerk gilt der Verwertung nomie. und Nutzung organischer Rest- und Abfallstoffe. So können und sollen bisher ungenutzte Nebenprodukte, Innovativer Zugang zu biologischen Systemen die bei Erzeugung der eigentlichen Produkte anfallen, In der Definition der Bundesregierung2 umfasst die sinnvoll verwendet werden. Das nennt man Koppel- Bioökonomie die Erzeugung, Erschließung und Nut- nutzung. Auch Wasser und Kohlendioxid fungieren zung biologischer Ressourcen, Prozesse und Systeme, dabei als Ressourcen, die in biobasierte Prozesse um Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in einfließen. allen wirtschaftlichen Sektoren im Rahmen eines zukunftsfähigen Wirtschaftssystems bereitzustellen. Es geht in der Bioökonomie aber nicht nur um die nachwachsenden Rohstoffe selbst, sondern auch um Der Mensch nutzt Pflanzen, Tiere und Mikroorga- biobasierte Prozesse, die von Mikroorganismen, tie- nismen bereits seit Tausenden von Jahren. Dennoch rischen und pflanzlichen Zellen und deren Bestand- steckt hinter dem Konzept der modernen Bioöko- teilen wie etwa Enzymen vollzogen werden. Ein gutes nomie ein besonderer Ansatz: Bioökonomie steht Beispiel hierfür ist die biotechnologische Gewinnung für einen wissensbasierten Zugang zu biologischen von Spinnenseide mithilfe von Mikroorganismen. Die Systemen, der auf dem rasant wachsenden Wissen aus so gewonnenen Seidenfasern sind besonders strapa- Forschung und Entwicklung aufbaut und aus diesen zierfähig. Da sie darüber hinaus hautverträglich sind, Systemen relevanten Nutzen zieht. werden sie bereits heute zur Produktion von Turn- schuhen und Outdoorbekleidung verwendet. Die Bioökonomie ermöglicht einen neuen Blick auf die Leistungen, Fähigkeiten und Diversität der Natur, Nachhaltig in Kreisläufen wirtschaften auf die Vielfalt der nachwachsenden Rohstoffe, deren Biomasse, der zentrale Rohstoff der Bioökonomie, nachhaltigen Anbau sowie den wirtschaftlichen und ist nicht nur eine nachwachsende Ressource. Sie ist kreativen Einsatz moderner Technologien. Biobasierte im Vergleich zu anderen Rohstoffformen besonders Ressourcen und Verfahren liefern nicht nur Lösungen, dafür geeignet, um in Kreisläufen nachhaltig genutzt die helfen die Nutzung fossiler Rohstoffe zu verrin- zu werden. In der Natur sind biologische Ressourcen gern. Sie ermöglichen zugleich, wissenschaftliche und in Stoffkreisläufe eingebunden; etwa im sogenann- technologische Fortschritte in innovative Anwendun- ten Kohlenstoffkreislauf oder im Stickstoffkreislauf. gen zu übertragen, die über den Ersatz von Erdöl weit Kreislaufprozesse sorgen dafür, dass die Nutzung hinausgehen und einen Mehrwert schaffen. und Neubildung dieser Ressourcen im Gleichgewicht stehen. Die Bioökonomie orientiert sich an diesen natürlichen Stoffkreisläufen. „Bioökonomie umfasst die Erzeu- gung, Erschließung und Nutzung Das Ziel der Bioökonomie ist eine Kreislaufwirtschaft, in der möglichst wenig Abfall und Reste entstehen. biologischer Ressourcen, Prozesse Ein Schlüssel dazu ist der effiziente Umgang mit und Systeme, um Produkte, biologischen Ressourcen entlang der gesamten Wert- Verfahren und Dienstleistungen schöpfungskette. Das wird erreicht, indem natürliche in allen wirtschaftlichen Sektoren Roh- und Abfallstoffe nicht nur be- und verarbei- tet, sondern möglichst auch mehrfach genutzt und im Rahmen eines zukunftsfähigen weiterverarbeitet werden. Die Nutzung über mehrere Wirtschaftssystems bereitzustellen.“ Stufen nennt man auch Kaskadennutzung. Durch die Bioökonomie-Definition der Bundesregierung effiziente Nutzung von Biomasse entsteht im Idealfall
4 DIE WERKZEUGE DER BIOÖKONOMIE Ressourcen der Bioökonomie Pflanzen und Böden Tiere Mikroben Neben- und Wasser Reststoffe Nachhaltige Nutzung nicht mehr Kohlendioxid als während der Wachs- Bioökonomie und Gesellschaft tumsphase CO2-fixierender Organismen (Pflanzen, Was aber bedeutet nun nachhaltiges Wirtschaften Algen, photosynthetische Bakterien) der Atmosphäre auf gesellschaftlicher Ebene? Es geht darum, die Chemie Textil Lebensmittel Maschinenbau entzogen wurde – ein Baustein auf dem Weg zu einer Bedürfnisse gegenwärtiger Generationen zu befriedi- klimaneutralen Wirtschaftsweise. gen, ohne dabei künftigen Generationen die Lebens- grundlage zu nehmen beziehungsweise ihnen die Branchen und Produkte Chance zu bewahren, ihre Bedürfnisse nach eigenen Mit der Bioökonomie verbindet sich ein enormes In- Vorstellungen zu stillen. Die Nachhaltigkeit baut novationspotenzial für zahlreiche Industriebranchen. dabei auf drei Säulen auf, der ökonomischen, der öko- Zu den besonders relevanten Wirtschaftszweigen logischen und der sozialen. Sie müssen gemeinsam zählen die Land-Pharma und Forstwirtschaft, die Bau Chemie- Landwirtschaft betrachtet Energie frühzeitig werden, um so Zielkonflikte und Pharmaindustrie, die Nahrungsmittelindustrie, zu erkennen und unter sorgfältiger Abwägung aller die Konsumgüter- sowie die Papier- und Textilin- drei Säulen den jeweils nachhaltigsten Lösungsweg dustrie. Schon heute haben zahlreiche innovative, zu identifizieren. Wichtig für das Drei-Säulen-Modell biobasierte Produkte ihren Weg vom Labor in unser ist, dass alle Säulen gleichgewichtet und gleichran- alltägliches Leben gefunden. Dazu zählen unter gig sind, da es auf der Vorstellung basiert, dass eine anderem Enzyme im Waschmittel, biotechnologisch nachhaltige Entwicklung nur zu erreichen ist, wenn erzeugte Medikamente, Autoreifen ausAutoindustrie Löwenzahn- Konsum umweltbezogene, wirtschaftliche und soziale Ziele Kautschuk, Algenöl als Kerosinersatz oder abbaubare gleichzeitig und gleichberechtigt umgesetzt wer- Biokunststoffe. den, wobei sich die verschiedenen Ziele gegenseitig bedingen.
BIOÖKONOMIE – NACHHALTIG WIRTSCHAFTEN 5 Auf diese Weise soll die ökologische, ökonomische lungen der Biowissenschaften in Kombination mit und soziale Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft den Ingenieurswissenschaften und der Informations- sichergestellt und verbessert werden. Dies kann zum technik bereit. Schlüsseltechnologien, wie etwa die Beispiel dazu führen, dass eine biobasierte Innovation Biotechnologie, die Nanotechnologie und die Künstli- nicht zur Marktreife gelangt, da sie nicht oder nicht che Intelligenz, greifen ineinander und sind wichtige umfänglich von der Gesellschaft mitgetragen wird. Innovationstreiber der Bioökonomie. Die „Tank vs. Teller“-Diskussion ist hierfür ein gutes Beispiel. Dennoch ist klar: Biologische Ressourcen Mit dieser Broschüre will das BMBF die Bioökonomie und biobasierte Prozesse und Produkte können eine für Bürgerinnen und Bürger anschaulich machen; klima- und ressourcenschonende Alternative zu fossi- auch indem sie eine Auswahl ihrer wichtigsten „Werk- len Rohstoffen und Erzeugnissen sein. Damit kann die zeuge“ vorstellt. Die Broschüre liefert einen kom- Bioökonomie einen wichtigen Beitrag leisten, um die pakten Überblick über innovative Technologien und im Jahr 2015 beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der Konzepte, die in der biobasierten Wirtschaft bereits Vereinten Nationen zu erreichen. zum Einsatz kommen und die sie vermutlich auch in Zukunft prägen werden. In Form von kurzen Einfüh- Die Werkzeuge der Bioökonomie im Porträt rungskapiteln und bebilderten Kurzsteckbriefen wird Die Bioökonomie setzt auf den wissenschaftlichen die „Werkzeugkiste der Bioökonomie“ präsentiert. Fortschritt. Biologisches Wissen, etwa aus der mo- Zunächst illustriert die Broschüre die grundlegenden dernen Molekularbiologie, den Agrarwissenschaften biologischen, funktionalen Einheiten wie Zelltypen oder der Ernährungsforschung sowie eine breite und Biomoleküle, die in der Bioökonomie bei der Pro- Palette innovativer Technologien stehen zur Verfü- duktion zur Anwendung kommen. Danach werden gung, um biologische Ressourcen zu nutzen, sie zu wichtige Werkzeuge der Pflanzenzüchtung und der verarbeiten und daraus nachhaltige Produkte und Bioanalytik beschrieben, ebenso wie Produktionsver- Dienstleistungen zu erzeugen. Die „Werkzeugkiste fahren der industriellen Biotechnologie und Ansätze der Bioökonomie“ hält dabei insbesondere Entwick- für die Agrarproduktion der Zukunft. Bioökonomie in Deutschland Auf dem Weg in eine Bioökonomie und in den dazu rend sind das Bundesministerium für Bildung und unternommenen Forschungsanstrengungen nimmt Forschung (BMBF) und das Bundesministerium Deutschland eine internationale Vorreiterrolle ein. für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Mit Bereits im Jahr 2010 hat die Bundesregierung die dem Weg in eine Bioökonomie leistet Deutschland Bioökonomie auf ihre politische Agenda gehoben einen Beitrag zum Erreichen der globalen Nach- und die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie haltigkeitsziele und hilft, die deutsche Spitzenstel- 2030 veröffentlicht. 2,4 Milliarden Euro wurden in lung auf den Märkten der Zukunft zu sichern. Die diesem Rahmen hierzulande in die Bioökonomie- Bundesregierung lässt sich von einem unabhängigen Forschung investiert. Ihr folgte die Nationale Po- Expertengremium beraten – dem Bioökonomierat. litikstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2013. Im Mit dem Wissenschaftsjahr 2020/21 rückt das BMBF Januar 2020 veröffentlichte das Bundeskabinett die die Bioökonomie weiter ins Rampenlicht. Zahlreiche neue Nationale Bioökonomiestrategie. Sie setzt fortan Nachrichten, Porträts, Interviews und Dossiers zur den Rahmen für eine nachhaltige Erschließung und Bioökonomie in Deutschland präsentiert das vom Nutzung biologischer Ressourcen und für umwelt- BMBF initiierte Informationsportal bioökonomie. und naturschonende Produktionsverfahren in allen de. Weitere Angebote macht das Informationsportal Wirtschaftsbereichen. Die Bundesregierung bündelt Pflanzenforschung.de. mit der Gesamtstrategie die bisherigen Aktivitäten aller Bundesministerien zur Bioökonomie und stellt bmbf.de/bioökonomie, biooekonomie.de; die Weichen für die weitere Gestaltung. Federfüh- pflanzenforschung.de
Zellen und Biomoleküle Mikroorganismen und eine besondere Klasse von Bio- in der Chemie-, Pharma- oder Lebensmittelindustrie, molekülen, die Enzyme, sind die Leistungsträger einer schon heute werden sie in vielfältiger Weise einge- nachhaltigen industriellen Produktion. Mithilfe mole- setzt, um wertvolle Produkte wie Chemikalien, Me- kularbiologischer Verfahren ist es möglich, Zellen oder dikamente oder Treibstoffe herzustellen. Die indust- ihre Bestandteile zu Biofabriken umzufunktionieren, rielle Anwendung von Mikroorganismen, Zellen oder die aus biogenen Rohstoffen hochwertige Produkte wie Enzymen für verschiedene Branchen wird als indus- Feinchemikalien oder Wirkstoffe umweltschonend in trielle oder auch „weiße“ Biotechnologie bezeichnet. größeren Mengen liefern. Die Werkzeugkiste der Natur Es geht bei der Bioökonomie immer auch darum, die in technischen Anwendungen zu nutzen, um inter- Vielfalt an Mikroorganismen und deren Fähigkeiten essante neuartige und maßgeschneiderte Produkte für die industrielle Produktion zu ergründen und herzustellen, ist ein zentrales Ziel der Biotechnologie. intelligent zu nutzen. Dabei erlauben es moderne mo- Es geht zugleich darum, dies in einer ressourcen- und lekularbiologische Techniken, Zellen und Enzyme für umweltschonenden Art und Weise zu tun. ihren Einsatz in der biotechnologischen Produktion zu optimieren und diese Prozesse ressourcenschonen- der zu gestalten. Die Biotechnologie ist eine Enabling Die Biotechnologie ist eine anwendungsorientierte Technology der Bioökonomie. Wissenschaft im Schnittpunkt von Biologie, Medizin, Chemie und Ingenieurswissenschaften. Sie nutzt die Mikroorganismen als zelluläre Minifabriken Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen und Mikroorganismen sind mikroskopisch kleine Lebewe- die besonderen Eigenschaften von Biomolekülen zum sen. Zu ihnen zählen Prokaryoten wie die Bakterien Aufbau, Umbau oder Abbau von Substanzen. Mikro- und Eukaryoten, wie Amöben, Pilze sowie Mikroal- organismen, tierische und pflanzliche Zellen sowie gen. Sie existieren seit mehr als drei Milliarden Jahren die aus ihnen gewonnenen Biomoleküle sind somit auf der Erde und haben nahezu jeden Lebensraum wichtige Werkzeuge einer biobasierten Wirtschaft. Ob erobert. Im Laufe ihrer Evolution haben Mikroor-
ZELLEN UND BIOMOLEKÜLE 7 ganismen enorm vielfältige Stoffwechselleistungen industriell genutzt und in der Produktion eingesetzt. entwickelt. Der Mensch bedient sich schon seit Tau- Auch in der molekularbiologischen Forschung und senden Jahren dieser Fähigkeiten. So sind Bakterien, der Züchtung haben Enzyme als Werkzeuge ihren Hefen und Schimmelpilze unverzichtbare Helfer für festen Platz. Biotechnologen setzen dabei nicht mehr die Herstellung von verschiedenen Lebensmitteln, wie nur auf natürlich vorkommende Enzyme. Mithilfe Brot, Käse, Milchprodukten, Wein, Essig oder Bier. neuester Erkenntnisse und Technologien können sie Enzyme als neuartige Biokatalysatoren designen. Da Als Meister der Stoffumwandlung arbeiten Mikroor- sich zumindest komplexere Enzyme üblicherweise ganismen wie winzige Chemiefabriken. Werden sie in funktionelle Teileinheiten von definierter Funkti- mit Substraten aus nachwachsenden Rohstoffen „ge- onalität untergliedern (Domänen), lassen sich diese füttert“, setzen sie diese Nahrung mithilfe ihres spe- Funktionalitäten rearrangieren. zifischen Stoffwechsels um und stellen daraus neue Substanzen her. Erkenntnisse in der Zell- und Mole- Zellen auf Höchstleistung trimmen kularbiologie sowie die Entwicklung gentechnischer Eine wahre Schatzkiste an bisher unbekannten Werkzeuge haben uns neue Möglichkeiten eröffnet, Funktionalitäten stellt die natürliche Biodiversität die Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen zu dar. Bisher ist nur ein Bruchteil der mikrobiellen Ar- erforschen und für die biotechnologische Produktion tenvielfalt auf der Erde erfasst, auch weil sich viele Mi- zu nutzen. Mikrobielle Produktionsprozesse laufen kroorganismen ohne spezielles Wissen nicht kultivie- im Vergleich zu erdölbasierten zumeist in wässrigen ren lassen oder bisher nicht kultivierbar sind. Daher Lösungen, bei Zimmertemperatur und unter Normal- wurden Stammsammlungen oder sogenannte Gen- druck ab. Damit hilft der Einsatz von mikrobiellen bibliotheken aufgebaut, die mithilfe von speziellen Produzenten im Vergleich zu den meisten chemisch- Testverfahren nach neuen Eigenschaften durchsucht synthetischen Prozessen, Ressourcen und die Umwelt werden können. Auch die Fortschritte in der Genom- gleichermaßen zu schonen. forschung helfen, die enorme natürliche Vielfalt zu erschließen. Wird ein Organismus mit einer vielver- Enzyme, die Supertalente unter den Biomolekülen sprechenden und bisher unbekannten Funktionalität Wenn die Zellen als Biofabriken betrachtet werden, entdeckt, so kann er im Labor kultiviert und für die sind in der Welt der Biomoleküle die Enzyme die industrielle Produktion optimiert und auf Höchst- Maschinen. In der Regel handelt es sich bei Enzymen leistung getrimmt werden. Dazu züchten Biotechno- um Proteine unterschiedlicher Komplexität. Vom logen die Organismen weiter, bis sie die gewünschten Nahrungsaufschluss über den Energiestoffwechsel Enzyme und Stoffwechselleistungen optimal an die der Zellen, der Informationsübertragung bis hin zum Anforderungen des jeweiligen technischen Produkti- Kopieren der Erbinformation, all diese Abläufe wer- onsprozesses angepasst haben. den zumeist von Enzymen bewerkstelligt. Sie wirken als Katalysatoren von chemischen Reaktionen, die Mithilfe gentechnischer Methoden lässt sich etwa der ohne ihre Anwesenheit nur unter anderen Reakti- veränderte molekulare Bauplan eines gewünschten onsbedingungen, etwa durch die Zufuhr von Hitze Enzyms zudem in andere Bakterien einschleusen. oder erhöhtem Umgebungsdruck, ablaufen würden. Auf diese Weise werden diese Bakterien darauf pro- Enzyme bewirken viele chemische Reaktionen bereits grammiert, fortan das hinzugefügte Enzym in hoher bei Normalbedingungen. Ohne Enzyme als potente Ausbeute und Reinheit herzustellen. Das geht soweit, und vielfältige Biokatalysatoren gäbe es das uns be- dass komplette Stoffwechselwege gezielt verändert kannte Leben auf der Erde nicht. Enzyme lassen sich oder neu konstruiert werden und in andere Mikroor- als vielfältige Werkzeuge nutzen, um mannigfaltige ganismen transferiert werden können – die Fachwelt biobasierte Produkte umzubauen, abzubauen oder zu spricht hier vom sogenannten Metabolic Engineering. veredeln. So sind sie etwa unverzichtbare Helfer in der In den vergangenen Jahren sind viele neue molekular- Lebensmittelherstellung. Aber auch in technischen biologische Werkzeuge entdeckt und nutzbar gemacht Anwendungen der Chemie-, Pharma- und Papierin- worden, die den Biotechnologen und Bioingenieuren dustrie übernehmen die Multitalente zentrale Aufga- helfen, Produktionsorganismen mit besonderen Ei- ben. Aktuell werden derzeit mehrere Hundert Enzyme genschaften zu entwickeln.
8 FORSCHUNG FÜR DIE WERKZEUGE EINE BIOBASIERTE DER BIOÖKONOMIE WIRTSCHAFT Zellen Bakterien Merkmale: Bakterien sind einzellige Mikroorganismen ohne Zell- kern und mit einem ringförmigen Chromosom. Ihre Zellwand unter- scheidet sich stark von der pflanzlicher und tierischer Zellen. Dank ihrer vielfältigen Stoffwechselleistungen nutzen sie viele Typen von Biomasse als Nahrung und wandeln sie in organische Stoffe um. Eini- ge Bakterien betreiben Photosynthese und produzieren Biomasse, so etwa Cyanobakterien und Purpurbakterien. Neben dem Chromosom besitzen Bakterien weiteres genetisches Material in Form kleiner DNA-Ringe (Plasmide), die sie untereinander austauschen können. Verwendung: Traditionell werden Bakterien zum Konservieren und Veredeln von Lebensmitteln und Tierfutter genutzt. Sie sind Modelle Beispiele: Escherichia coli – gut erforschtes Modell und Arbeits- der molekularbiologischen Forschung. Als Produktionsorganismen tier der Biotechnologie (Foto); Corynebacterium glutamicum – dienen sie der industriellen Herstellung von Chemikalien und Wirk- Aminosäureproduzent; Bacillus subtilis – Enzymproduzent stoffen. Pilze Merkmale: Pilze sind einzellige oder mehrzellige Organismen. Sie sind sesshaft und können keine Photosynthese betreiben. Daher müssen sie sich durch die Aufnahme organischer Substanzen ernäh- ren (Heterotrophie), die sie aus der Umgebung aufnehmen. Pilze sind bedeutsam für den Abbau organischer Materie auf der Erde. Das ist notwendig, um die großen Stoffkreisläufe in der Natur aufrechtzu- erhalten. Verwendung: Die zu den Pilzen zählenden Hefen werden traditio- nell in der Lebensmittelherstellung eingesetzt. Sie vergären verschie- dene Zucker zu Alkoholen und Kohlendioxid (CO2). Zugleich sind sie wichtige Modelle der molekularbiologischen Forschung. Manche Beispiele: Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae – Herstellung Pilze stellen Antibiotika her. Hefen und Schimmelpilze sind zudem von Backwaren, Wein, Bier, Bioethanol; Aspergillus niger – Zitro- wichtige Produktionsorganismen für die Pharmazie. nensäure-Produzent; Pinselschimmel Penicillium chrysogenum – Antibiotika-Produzent Mikroalgen Merkmale: Zu den mikroskopisch kleinen, meist einzelligen Mikroalgen gehören alle Kieselalgen und Cyanobakterien (Blaualgen), viele Grünalgen, aber auch einige Rotalgen. Ihre Energie gewinnen sie, indem sie per Photosynthese Sonnenlicht und CO2 in organische Verbindungen (Zuckermoleküle wie Glucose) umwandeln. Sie ernäh- ren sich meist autotroph (selbsternährend aus anorganischen Stof- fen) und leben im Salz- und oder Süßwasser. Mikroalgen vermehren sich schnell und sind sehr produktiv. Ihre Kultivierung in geeigneten Anlagen (etwa Photobioreaktoren, also Bioreaktoren mit Beleuch- tung) benötigt kein Ackerland. Verwendung: Mikroalgen werden zur Gewinnung von Farbstoffen, Beispiele: Chlorella vulgaris – Produzent von Lebensmittel- Proteinen, Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt. zusätzen, Clamydomonas reinhardtii – Modellalge; Dunaliella Sie liefern Substanzen für den Einsatz in der Kosmetik und produzie- salina – Beta-Carotin-Produzent; Grünalge Haematococcus pluvialis – Produzent des roten Farbstoffs Astaxanthin (Foto) ren Biokraftstoffe und Biogas, Düngemittel und Fischfutter.
ZELLEN FORSCHUNGSPOLITISCHER UND BIOMOLEKÜLERAHMEN DER BIOÖKONOMIE 9 Merkmale: Tierische Zellen werden aus Geweben von Tieren ge- wonnen und im Labor in Zellkulturgefäßen kultiviert. Für den Einsatz Tierzellen in tierischen Zellkulturen werden unbegrenzt vermehrungsfähige Zellen benötigt. Hierfür eignen sich nicht-ausdifferenzierte tierische Zellen, die sogenannten Stammzellen oder mutierte immortalisier- te Zellen (unsterblich). Während Stammzellen immer wieder neue Stammzellen hervorbringen und sich in spezialisierte Zelltypen aus- differenzieren können, haben immortalisierte Zellen ihre natürliche Teilungskontrolle verloren und vermehren sich ungebremst. Zelllinien beider Zelltypen sind die Basis für Zellproduktionssysteme. Verwendung: Tierzellen dienen als Produktionssysteme für die Herstellung von Biopharmazeutika und als Testsysteme zur Prüfung Beispiele: Hamsterzelllinie CHO – Biopharmazeutika-Produkti- on; Insektenzellen – Produktion von Proteinen von Substanzen in diagnostischen Tests. Darüber hinaus sind Stamm- zellen Zellquelle für die Gewebezüchtung und den Organersatz. Merkmale: Aus pflanzlichen Geweben lassen sich sogenannte Pflan- zenzellkulturen erschaffen. Hierbei befinden sich pflanzliche Zellen Pflanzenzellen vereinzelt in einer Flüssigkultur oder auf speziellen Trägermateriali- en. Sie können in dieser Form unter für sie geeigneten Bedingungen über lange Zeiträume kultiviert werden. Aus einzelnen Pflanzenzel- len lassen sich dann nach Bedarf auch wieder intakte pflanzliche Ge- webe und ganze Pflanzen regenerieren. Pflanzenzellen produzieren eine große Vielfalt interessanter Naturstoffe. Sie lassen sich zudem als Produktionssysteme für diverse Stoffe einsetzen. Verwendung: Die Pflanzenzellkultur kommt in der Grundlagen- forschung und in der Pflanzenzüchtungsforschung zum Einsatz. Sie erlaubt die schnelle Reproduktion von Gesamtpflanzen aus einzel- Beispiele: Eibenzellkulturen – Produktion des Krebsmittels Pac- litaxel; Moos Physcomitrella patens – Produzent für Biopharma- nen Zellen. Pflanzenzellen sind zudem Produktionssysteme für die zeutika; Wasserlinse Lemna minor – Produzent für Futtermittel Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen. und Biotreibstoff; Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Foto) Merkmale: Viren sind winzige, infektiöse Partikel. Es sind Ge- bilde, die zumeist aus Nukleinsäuren und Proteinen bestehen. Viren/Phagen Da Viren über keinen eigenen Stoffwechsel verfügen, werden sie üblicherweise nicht als Lebewesen klassifiziert. Zur Vermehrung dringen Viren in die Zellen eines Wirts ein. Dort reprogrammieren sie dessen Stoffwechsel, um neue Viren zu produzieren. Soge- nannte Phagen sind Viren, die spezifisch und selektiv Bakterien angreifen und ihre Zellwand mithilfe lytischer Proteine zerstören. Verwendung: Viren sind wichtige Werkzeuge in der Molekularge- netik und der Biotechnologie. Sie werden als sogenannte Genfähren eingesetzt, um artfremde Erbsubstanz in Zellen zu schleusen und diese dadurch genetisch zu verändern. Phagen dienen als mögliche Beispiele: Bakteriophage Lambda als Genfähre mit E.coli als Wirt; Tabakmosaikvirus – Genfähre in Pflanzenbiotechnologie; Waffe im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime, etwa unter Ein- Adenoviren – Genfähre für Gentherapie humaner Zellen; Phagen satz ihrer lytisch wirkenden Proteine. (im Foto rot) zur Therapie von Pseudomonas aeruginosa
10 FORSCHUNG FÜR DIE WERKZEUGE EINE BIOBASIERTE DER BIOÖKONOMIE WIRTSCHAFT Biomoleküle DNA Merkmale: Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist der Träger und Speicher der Erbinformation eines Lebewesens oder eines Virus. Die DNA ist ein doppelsträngiges Biomolekül mit einer dreidimensiona- len Leiter-Helix-Struktur. Die Abfolge ihrer chemischen Bausteine, der Nukleotide mit vier verschiedenen Basen (A, T, G, C) kodiert die genetische Information. Die DNA enthält die Baupläne für die Prote- ine sowie für regulatorische und enzymatisch aktive RNA-Moleküle. Verwendung: Die DNA ist wie eine Bau- und Betriebsanleitung für Zellen und Organismen. Sie lässt sich mit modernen, moleku- larbiologischen Methoden analysieren. Sie ist das Schlüsselmole- kül für die molekulare Biotechnologie, da mit ihr die Eigenschaf- Beispiele: Die DNA als Objekt und Ausgangsmaterial der Ge- ten von Zellen und Organismen gezielt verändert werden können, nomforschung und der molekularen Biotechnologie sowie mo- die wiederum in der biotechnologischen Produktion in Bioreakto- lekulare n Diagnostik ren genutzt werden. RNA Merkmale: Eine Ribonukleinsäure (RNA) ist in der Regel ein ein- strängiges Nukleinsäuremolekül. Im Vergleich zur DNA enthält es Ribose statt Desoxyribose als Zuckeranteil. RNAs üben in der Zelle vielfältige Funktionen aus. So ist die Boten-RNA (messenger RNA – mRNA) eine Abschrift der DNA-Sequenz. Sie enthält Instruktionen für die Herstellung von Proteinen und übermittelt sie an die Prote- infabriken der Zelle. Die Menge, das Vorkommen und die Art von mRNAs spiegeln wider, welche Gene in einer Zelle aktiv sind. Die Ge- samtheit aller zellulären RNAs wird Transkriptom genannt. Verwendung: Die Analyse, Herstellung und der Einsatz von RNA ist wichtig für Genomforschung, Biotechnologie und molekulare Medi- Beispiele: Vermessung der mRNA-Moleküle in einer Zelle für zin – etwa als therapeutische Wirkstoffe. Mithilfe der sogenannten Genaktivitätsanalysen (Transkriptomanalysen); mRNA-Impf- RNA-Interferenz kann die Aktivität spezifischer Gene in Organis- stoffe gegen Infektionskrankheiten und Krebs; RNA-Interfe- renz-Verfahren zur gezielten Inaktivierung von Genen men reguliert werden. Proteine Merkmale: Proteine sind zumeist große biologische Moleküle mit einem hohen Molekulargewicht. Sie bestehen aus einer Ab- folge von Aminosäuren. Die spezifische Abfolge der Aminosäuren im Protein bestimmt dessen 3D-Struktur und damit letztendlich Funktionalität und Aktivität. Proteine übernehmen in Zellen und Organismen vielfältige Aufgaben: Sie bilden Zellstrukturen aus (Cytoskelett), wirken als Katalysatoren von Stoffwechselreakti- onen (Enzyme), transportieren Substanzen (Transportproteine) oder erkennen Reize (Rezeptoren/Sensoren). Verwendung: Enzyme sind bedeutende katalytische Spezial- werkzeuge der Biotechnologie. Vielfach sind sie auch Produkte Beispiele: Enzyme im Waschmittel und der Lebensmittelpro- des jeweiligen biotechnologischen Prozesses. Biotechnisch er- duktion; Peptidhormon Insulin als Therapie für Diabetiker, zeugte Proteine werden als Medikamente eingesetzt und spielen DNA-Endonuklease Cas9 (Genschere); PETase-Enzym – kataly- siert den Abbau von PET-Plastik (Illustration) in zahlreichen biochemischen Testverfahren eine Rolle.
FORSCHUNGSPOLITISCHER ZELLEN UND BIOMOLEKÜLE RAHMEN DER BIOÖKONOMIE 11 Molekulare Biotechnologie Die molekulare Biotechnologie beschäftigt sich mit der I und Typ II-Restriktionsendonukleasen) an kurzen Gewinnung und der Konstruktion von Biomolekülen häufig palindromischen DNA-Sequenzen. Jedes Enzym für Anwendungen in Wissenschaft und Wirtschaft. In weist dabei eine charakteristische Erkennungssequenz, der molekularen Biotechnologie steht insbesondere ge- Schnittstelle und Schnittmuster auf. Mit der herbeige- netisches Material wie DNA und RNA im Mittelpunkt, führten Sequenzänderung der DNA wird so zum Bei- auch um damit Proteine mit spezifischen Eigenschaf- spiel die Aminosäure-Abfolge des kodierten Proteins ten herzustellen. Diese Zusammenfassung gibt einen gezielt verändert. Vor wenigen Jahren hinzugekommen Überblick über die Werkzeugpalette der molekularen sind die Designer-Nukleasen. Die im aktuellen Fokus Biotechnologie: der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auf- merksamkeit stehenden zielgerichteten Genscheren stellen eine Sonderform der Restriktionsendonukleasen DNA vervielfältigen: Ein häufig verwendetes Kopier- dar. Auch sie besitzen eine DNA-Sequenz-Aufspür-Ein- verfahren für DNA ist die Polymerase-Kettenreaktion heit und eine DNA-Schneidefunktion. Mithilfe dieser (Polymerase Chain Reaction – PCR). Sie erlaubt es, sehr Genscheren lässt sich Erbinformation auch in lebenden geringe Mengen eines bestimmten DNA-Abschnitts zu Zellen gezielt schneiden und verändern. Dieses potente vervielfältigen, bis er in gut nachweisbarer Konzentration Verfahren wird Genom-Editierung genannt. Die Er- vorliegt und einen Nachweis in visueller Form oder in kennungssequenz der Designer-Nukleasen kann darauf weiteren, höhere Ausgangsmengen erfordernden mole- „programmiert“ werden, einen beliebigen frei zu be- kularbiologischen Experimenten erlaubt. Der Nachweis stimmenden Ort im Genom von Organismen anzusteu- der Nukleinsäuren des SARS-CoV-2-Erregers erfolgt ern und dort einen ganz gezielten Schnitt zu setzen. Die beispielsweise mithilfe eines PCR-basierten Tests. derzeit bekannteste Genschere ist CRISPR-Cas. DNA im Reagenzglas bearbeiten: Damit man DNA im Proteine erzeugen: Dank moderner Verfahren lassen Labor bearbeiten kann, wird sie aus Organismen isoliert sich DNA-Stränge heute auch chemisch im Labor von oder sie wird chemisch synthetisiert. Zur Lagerung, Ver- Synthese-Automaten Molekül für Molekül zusammen- vielfältigung und weiteren Verwendung in Experimenten setzen und in vorhandene DNA-Sequenzen einfü- wird sie in stabile Plasmide eingefügt. Diese Plasmide, gen. Richtig eingesetzt, können gentechnische bzw. auch Vektoren genannt, sind extrachromosomale DNA- molekularbiologische Verfahren dazu genutzt werden, Ringe und lassen sich je nach Beschaffenheit wiederum um die Erbsubstanz von Zellen zu verändern und die in eine Vielzahl Bakterien oder andere Organismen ein- Zellen dazu zu veranlassen, spezifische vom Experi- schleusen. Sie werden an die entsprechenden Nachkom- mentator gewünschte Proteine gezielt herzustellen: men ihrer Trägerorganismen weitervererbt. Auf diese Dazu wird die entsprechende DNA als der molekulare Weise kann man DNA-Moleküle vervielfältigen und über Bauplan eines Enzyms in Zellen eingeschleust und die Genscheren (sogenannte Restriktionsenzyme) weiter korrespondierende mRNA wird an den Ribosomen zur analysieren, bearbeiten und neu zusammensetzen. Ne- Herstellung des gewünschten Proteins eingesetzt. Zur ben Plasmiden werden auch weitere ähnliche Strukturen Optimierung der Funktionalität von Enzymen mit Blick eingesetzt, die größere DNA-Fragmente beherbergen auf ihre Reaktionseigenschaften unter verschiedenen können (Cosmide, Bakterielle Artifizielle Chromosomen Umgebungen (zum Beispiel Temperatur, pH-Wert, – BACs). Wasserlöslichkeit) wird Protein Engineering betrieben. Dieser Begriff beschreibt einen Methoden-Mix, der DNA gezielt verändern: Mithilfe der vor mehr als zum Austausch von Aminosäuren des Enzyms führt 40 Jahren entdeckten Restriktionsenzyme (präziser: und die enzymatischen Eigenschaften für den Einsatz Restriktionsendonukleasen) lässt sich DNA in Experi- in bestimmten Prozessen optimiert. Konsequent und menten im Reagenzglas (in vitro) schneiden und durch geplant angewendet können mithilfe dieser Techniken das Entfernen arteigener oder Einfügen artfremder Zellen und Organismen zu Höchstleistungen im Sinne DNA-Sequenzen umschreiben und somit umfunktio- einer biotechnologischen Anwendung und Produktion nieren. Das Verbinden (Ligieren) der DNA-Fragmente getrimmt werden. geschieht mithilfe von DNA-Ligasen. Das Schneiden der DNA durch Restriktionsenzyme erfolgt je nach Typ (Typ
Züchten und archivieren physiologischen Grundlagen ihre Züchtungserfolge Neben Mikroorganismen stehen insbesondere grüne beruhten. Erst die Entdeckungen und Innovationen der Pflanzen als Ressourcen im Fokus der Bioökonomie und Genetik und der Molekularbiologie haben es ermög- der Biotechnologie. Die Pflanzenzüchtungsforschung licht, das äußere Erscheinungsbild einer Pflanze in ist der Teilbereich der Lebenswissenschaften, der sich Zusammenhang mit den zugrundeliegenden moleku- mit der Züchtung ertragreicher und widerstandsfähi- laren Vorgängen zu bringen und die Eigenschaften von ger Nutzpflanzen beschäftigt. Die Werkzeugkiste der Pflanzen gezielt und unter erheblich geringerem Zeit- Pflanzenzüchter hat sich in den vergangenen Jahrzehn- aufwand zu verändern. Um zu neuen Kulturpflanzen ten stark vergrößert. Tausende Jahre lang betrachteten zu gelangen, die ertragreich und zugleich widerstands- Züchter alleinig die „äußeren“ Merkmale ihrer Pflanzen fähig gegen Krankheiten, Schädlinge und extreme Wit- (Phänotyp). Heute prägt der Blick ins Erbgut, ange- terung sind, sind drei Schritte zentral: Zunächst geht es trieben von Genomforschung und Biotechnologie, die darum, die genetische Vielfalt zu erhöhen (Variation) Innovationen in der Pflanzenzüchtung. So entstehen – zum Beispiel, indem Pflanzen mit verschiedenen vor- Pflanzen, die gezielter an den Klimawandel anpasst teilhaften Eigenschaften miteinander gekreuzt werden. sind und zugleich hohe Ernteerträge liefern. Dann werden unter den Nachkommen diejenigen mit den gewünschten Eigenschaften ausgewählt (Selek- tion). Die per Auslese gewonnenen Pflanzen werden Vor 10.000 Jahren hat der Mensch begonnen, Wild- dann in einem dritten Schritt weiter vermehrt und auf pflanzen auszuwählen, sie nutzbar zu machen und die zuverlässigen Eigenschaften geprüft. Am Ende des anzubauen. Dabei wurden solche Pflanzen ausgesucht Prozesses steht eine neue Sorte. und vermehrt, die gewünschte Eigenschaften aufwie- sen, also vor allem gute und sichere Erträge unter den Fortschritte in der Pflanzengenomforschung jeweils vorherrschenden Anbaubedingungen erbrach- Die Züchtung per Auslese wurde zu Beginn des 20. ten. Dieser Prozess dauerte oft sehr lange und unsere Jahrhunderts durch die gezieltere, wissensbasierte Vorfahren verstanden lange Zeit nicht, auf welchen
ZÜCHTEN UND ARCHIVIEREN 13 Pflanzenzüchtung abgelöst. Sie kombiniert neueste stimmte Marker in den Pflanzen nachweisbar, deutet Erkenntnisse aus der angewandten Genetik und Mole- das darauf hin, dass die untersuchten Nachkommen kularbiologie mit Methoden der modernen Agrartech- die gewünschte Genvariante tatsächlich geerbt haben. nik sowie nachhaltigem Bodenmanagement. Neben Durch den gezielten Erbgut-Check kann bereits bei dem Kreuzen von Pflanzen wurden Veränderungen im jungen Pflanzen oder Keimlingen festgestellt werden, Erbgut von Nutzpflanzen auch künstlich ausgelöst. Die welche von ihnen für die Weiterzucht geeignet sind. klassische Mutagenese bediente sich dabei chemischer Der Züchtungsaufwand konnte hierdurch in den ver- Substanzen oder physikalischer Methoden, um an zu- gangenen Jahren bereits erheblich verringert werden. fälligen Orten im Erbgut Veränderungen auszulösen. Manche Züchtungsziele lassen sich mittels der zuvor Damals musste eine große Menge an genetisch zufällig beschriebenen Kreuzungsverfahren nicht erreichen, veränderten Nachkommen erzeugt werden, um in da die jeweilige Pflanzenart nicht über die gewünsch- weiteren Schritten dann diejenigen Pflanzen zu iden- ten Eigenschaften verfügt. Diese Herausforderung tifizieren, die die gewünschten Merkmale ausprägten. wird mithilfe der grünen Gentechnik seit den 1980er Oftmals mussten dabei mehrere Runden aus Mutation Jahren adressiert. und Selektion durchlaufen werden, um den gewünsch- ten Züchtungserfolg zu erzielen. Dieser Prozess war Mithilfe der klassischen grünen Gentechnik können arbeits- und zeitintensiv. Durch die Fortschritte der artfremde Gene in das Erbgut von Pflanzen einge- Molekulargenetik, vor allem bei der Erbgutanalyse, schleust werden, die grundsätzlich aus jedem belie- haben sich die Methoden der molekularen Pflanzen- bigen Organismus stammen können. In der nachfol- züchtung in den vergangenen Jahrzehnten enorm wei- genden Generation fügen Züchter dann zusätzliche terentwickelt. Die Verfahren zur Sequenzierung von Merkmale hinzu, zum Beispiel zur Produktion Erbinformation ermöglichen es zum Beispiel, selbst gewünschter Inhaltsstoffe, um die Nahrungs- oder komplexe und riesige Genome, wie sie gerade für viele Futterqualität zu steigern. Während beim Einsatz Nutzpflanzen wie Weizen und Gerste typisch sind, klassischer Methoden der Gentechnik neue Gene nur schnell und kostengünstig zu analysieren. Auf der an zufälligen Orten ins Erbgut einer Pflanze eingefügt Basis solcher Datensätze können die Ausleseprozesse werden können, haben sich mit der Entwicklung ziel- deutlich effizienter als bisher gesteuert und vorange- gerichteter Genscheren neue Möglichkeiten eröffnet trieben werden. (vgl. S. 11). Besonders die CRISPR-Cas-Technologie hat die Forschungslabore rund um die Welt im Sturm er- Molekulare Züchtungsverfahren im Fokus obert. Mit den neuen Präzisionswerkzeugen wird eine Zugleich steht Forschenden heutzutage eine Fülle gezielte Mutagenese möglich. Züchter erhalten so we- von Analyse-Werkzeugen zur Verfügung, mit denen sentlich schneller und zielgerichteter als bisher ertrag- sich Prozesse in Zellen, Stoffwechselprodukte und reiche Nutzpflanzensorten, die besser gegen Schäd- die Funktion einzelner Gene untersuchen lassen. Auf linge, Krankheiten oder Wetterextreme gewappnet diese Weise können Molekularbiologen interessante sind und weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel Merkmalsausprägungen bei Pflanzen (Phänotyp) mit benötigen. Molekulare Züchtungsverfahren können bestimmten Abschnitten im Genom (Genotyp) in daher einen wichtigen Beitrag für eine Bioökonomie Verbindung bringen. Zudem hilft die exakte Kenntnis leisten, die Lösungen für die Welternährung, Ressour- des genauen Aufbaus des Genoms dabei, das Erb- cennutzung und den Klimawandel bereitstellt. gut mithilfe sogenannter Marker, also molekularen Orientierungsposten, abzustecken. Solche Marker – Biologische Vielfalt bewahren Chromosomenbereiche, Genregionen oder einzelne Für eine nachhaltige Züchtung neuer Nutzpflan- Gene – werden in der Regel gemeinsam mit einem ge- zensorten ist genetische Vielfalt von großer Bedeu- wünschten Merkmal vererbt. Molekulare Marker sind tung. In „alten“ Pflanzensorten und in Wildformen deshalb für die sogenannte Präzisionszüchtung, auch schlummert diese Vielfalt. In sogenannten Genbanken Smart Breeding genannt, von zentraler Bedeutung. werden Samen und Gewebe von Tausenden Pflanzen Hierbei werden Nachkommen gekreuzter Pflanzen langfristig gelagert – sie sind Archive der globalen bereits in sehr frühem Stadium ihrer Entwicklung in Biodiversität, die für mehr Vielfalt auf den Äckern der molekulardiagnostischen Tests überprüft. Sind be- Zukunft sorgen können.
14 DIE WERKZEUGE DER BIOÖKONOMIE Züchten und archivieren Hybridzüchtung Merkmale: Die Hybridzüchtung beruht auf der Kreuzung gene- tisch möglichst unterschiedlicher Elternlinien einer bestimmten Pflanzenart. Als Folge erhält man Nachkommen (Hybride), die be- sonders kräftig im Wuchs, widerstandsfähiger und ertragreicher sind als herkömmliche Pflanzen. Dieser Effekt wird Heterosis ge- nannt. Er geht bei den Nachkommen der Hybride wieder verloren. Die molekularen Ursachen der Heterosis sind noch nicht vollum- fänglich verstanden. Verwendung: Viele Nutzpflanzen-Sorten sind durch Hybrid- züchtung entstanden. Hybridsaatgut muss immer wieder neu von den Züchtern hergestellt werden. Beispiele: Standard bei Mais (Foto); verbreitet bei Roggen, Zu- ckerrübe, Raps, Sonnenblume und Tomaten; noch selten bei Weizen Präzisionszüchtung/ Merkmale: Diagnostisches Verfahren, das molekulare Marker im Erbgut von Pflanzen nachweist, die gekoppelt mit gewünschten Smart Breeding genetischen Eigenschaften vererbt werden. Durch den Erbgut- Check lässt sich viel schneller und zuverlässiger erkennen, ob eine Pflanze interessante Merkmale im Erbgut trägt oder nicht. Die Züchter müssen dadurch nicht mehr warten, bis die Pflanzen ausgewachsen sind, um sie anhand äußerlicher Merkmale auf das Vorhandensein der gewünschten Eigenschaft zu überprüfen. Verwendung: Pflanzenbetriebe setzen Reihentests auf moleku- lare Marker routinemäßig zur Qualitätssicherung und für die Prä- zisionszüchtung neuer Sorten ein. Beispiele: Resistenzzüchtung bei Kartoffeln und Sonnenblu- men; Sortenzüchtung bei Tomaten Zellkulturtechnik Merkmale: Aus pflanzlichen Gewebestücken oder teilungsfähigen Zellen lassen sich vollständige Pflanzen gewinnen. Dazu werden die Gewebe auf Nährböden und unter sterilen Bedingungen mit einem Phytohormon-Mix behandelt und kultiviert. Durch diese In- vitro-Vermehrung entstehen genetisch identische Ableger – soge- nannte Klone. Verwendung: Diese Labortechnologie eignet sich besonders zur Vermehrung von Pflanzen, die über andere Wege schwer zu ver- mehren sind. Beispiele: Massenvermehrung von Kartoffel- und Erdbeer- sorten sowie tropischen Orchideen; Obstgehölze; beschleu- nigte Züchtung von diploiden Pflanzen aus haploiden Pollen (doppelt-haploide Pflanzen)
ZÜCHTEN UND ARCHIVIEREN 15 Merkmale: Mithilfe gentechnischer Methoden wird Erbmaterial in das Erbgut von Lebewesen eingeschleust. Das kann ein artfrem- Klassische der DNA-Abschnitt aus anderen Lebewesen sein, oder er stammt von der gleichen Art. Nach dem Gentransfer wird das Erbmaterial Gentechnik/ an zufälliger Stelle in das Genom eingebaut und abgelesen. Gentransfer Verwendung: Mittels Gentransfer werden transgene Pflanzen für die Grundlagenforschung hergestellt. Zudem wird das Ver- fahren für die Züchtung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen eingesetzt. Beispiele: Soja mit gentechnisch eingeführter Herbizid-Toleranz; Mais mit gentechnisch eingeführter Resistenz gegen Schadinsek- ten (Produktion des Bt-Proteins); Goldener Reis mit neuer Gense- quenz für Provitamin A Merkmale: Dazu zählt vor allem die Genom-Editierung: Mithilfe programmierbarer Genscheren lassen sich DNA-Abschnitte aus Neue dem Erbgut lebender Zellen präzise ausschneiden und einfügen. So lassen sich gezielt Gene ab- oder anschalten, einfügen oder Züchtungstechniken entfernen. Die bekannteste Genschere ist CRISPR-Cas. Verwendung: Mit den neuen molekularen Züchtungstechniken lassen sich gezielt Veränderungen in das Erbgut von Nutzpflanzen einbringen. Die Verfahren sind effizient, schnell und kostenspa- rend. Punktgenaue Veränderungen unterscheiden sich oft nicht von natürlich auftretenden Mutationen. Beispiele: Mehltauresistenter Wein; glutenfreier Weizen; ge- gen den TR4-Pilz resistente Bananen, gegen mehrere Pilze resistenter Weizen (Foto) Merkmale: Genbanken sind große Sammlungen von biologi- schem Material, in denen die genetische Vielfalt der Pflanzen und Genbanken Tiere langfristig gelagert und erhalten wird. Bei Pflanzen werden zumeist Samen, bei Tieren Keimzellen archiviert. Bioarchive Verwendung: Genbanken spielen eine bedeutende Rolle für den Erhalt der weltweiten biologischen Vielfalt. Sie sind wichtige Res- sourcen für die Forschung und die Züchtung neuer Sorten. Beispiele: Kulturpflanzen-Genbank in Gatersleben (Foto); Deutsche Genbank Zierpflanzen; Deutsche Genbank Obst; Leibniz-Institut DSMZ - Deutsche Sammlung von Mikroorga- nismen und Zellkulturen GmbH
Messen und analysieren Das Vermessen und Analysieren von biologischen Messungen angewiesen, um die Produktentwicklung Prozessen ist für die Grundlagenforschung und die An- zu optimieren und zu beschleunigen. So entstehen wendung in innovativen Prozessen und Produkten von riesige Mengen biologischer Daten, die man compu- großer Bedeutung. Hochempfindliche Messmethoden tergestützt auswerten und interpretieren kann. und Hochdurchsatzverfahren ermöglichen es, Bio- moleküle in Zellen und Organismen aufzuspüren, mit Schnelle Erbgut-Analysen höchster Präzision zu vermessen und in ihrer Gesamt- Fortschritte in der Molekularbiologie und Labor- heit zu erfassen. technik waren für die Bioanalytik in den vergange- nen Jahren wegweisend. Unter Omics-Technologien werden maschinengestützte Hochdurchsatzverfahren Biologische Prozesse und die Wechselwirkungen von zusammengefasst, mit denen Biomoleküle wie DNA, Biomolekülen sind äußerst komplex und noch dazu RNA oder Proteine in einer biologischen Probe nahe- für das menschliche Auge unsichtbar. Um ihnen und zu vollständig analysiert werden können. Moderne ihrer Wirkungsweise auf die Spur zu kommen, werden DNA-Sequenziermaschinen liefern immer schneller in den Biowissenschaften zahlreiche leistungsstarke und günstiger Daten über die Zusammensetzung des Messverfahren und Analyse-Werkzeuge eingesetzt. Erbguts. Sie erlauben es, biologische Prozesse in ihren mole- kularen Details zu beobachten und zu vermessen. Durch den Einsatz von automatisierten und hoch- Bioanalytische Messverfahren sind nicht nur für die gradig parallelen Verfahren ist die Genom-Sequen- biomedizinische und klinische Forschung – etwa für zierung ein bioanalytisches Routineverfahren der die molekulare Diagnostik und die Wirkstoffent- Genomforschung (Genomik) geworden. Ähnliche wicklung – heute unverzichtbar. Auch die moderne Entwicklungen gibt es in der Protein-Analyse. In der Pflanzenzüchtung, die Lebensmittelindustrie oder die Proteomik beschäftigen sich Forschende damit, die biopharmazeutische Industrie sind auf zuverlässige gesamte Vielfalt der Eiweißmoleküle in Zellen und
MESSEN UND ANALYSIEREN 17 Organismen zu erfassen. Die Metabolomik wiederum Multi-Organ-Chips miteinander kombinieren. So vermisst die verschiedenen Stoffwechselprodukte sollen künftig Miniatur-Modelle des menschlichen (Metabolite) eines Organismus. Auch hierfür sind Organismus entstehen. Die Multi-Organ-Chips dienen moderne Messverfahren elementar. Etwa die Massen- beispielsweise als Prüfstände für die Pharma- und spektrometrie, mit der sich chemische Verbindungen Kosmetikindustrie, um neue Substanzen zu testen. nicht nur erkennen, sondern auch quantifizieren Das erlaubt aussagekräftige Studien über die Wirkwei- lassen. se von Substanzen und hilft, Tierversuche zu ergän- zen und zu reduzieren. Trend zum Miniatur-Format Die omics-basierte Forschung profitiert auch vom Das Erscheinungsbild durchmustern Trend zur Miniaturisierung und Automatisierung, Die Erbinformation verrät zum Beispiel etwas über der in den Lebenswissenschaften schon seit Langem die genetische Ausstattung einer Pflanze oder eines im Gange ist. Immer häufiger werden Zellen oder Tieres. In der modernen Züchtung rückt aber auch Biomoleküle erfolgreich mit Mikrosystemtechnik der Phänotyp immer stärker in den Fokus. Dieser und Nanotechnologie kombiniert, um noch präzisere offenbart, wie sich die genetische „Innenausstattung“ und schnellere Analysen von Bioprozessen durch- tatsächlich in konkreten äußerlichen Merkmalen zuführen. Dazu zählen Biochips, die auch Mikroar- ausprägt. rays genannt werden. Hier sind winzige Proben von Biomolekülen auf Oberflächen aufgebracht. Biochips Dies ist für Pflanzenzüchter – beispielsweise mit werden hierzu meist mit Erbsubstanz wie DNA, RNA Blick auf die Wechselwirkung einer Pflanze mit ihrer oder Protein-Fragmenten bestückt. Sie können zum Umwelt – von besonderer Bedeutung. In Phänotypi- Beispiel wie ein Köder an einer Angel genutzt werden, sierungsanlagen werden Pflanzen vollautomatisiert um andockende Antikörper aus dem Blut von Patien- in großer Stückzahl nach bestimmten Merkmalen ten zu fischen. durchmustert. Zum Einsatz kommen nicht-invasive Verfahren, die die Gewächse schonend analysieren Immer wichtiger wird zudem der Einsatz von Mikro- – etwa bildgebende Verfahren wie Lichtmikrosko- fluidik: Hierfür werden Chips mit Mikrokanälen pie, die Positronen-Emissions-Tomografie oder die konstruiert, durch die winzige Tröpfchen oder Zellen Kernspinresonanz-Spektroskopie. geführt werden. Wie am Fließband können die Tröpf- chen hier systematisch modifiziert, mit biologischen Biologische Systeme verstehen Komponenten gefüllt und vermessen werden. Die genannten Hochdurchsatz-Analysetechniken liefern enorme Datenmengen über Lebensprozesse. Beispielhaft für eine Anwendung, die derzeit die Diese auszuwerten und zu verknüpfen, ist das Ziel der Biowissenschaften revolutioniert, ist die Einzelzell- Systembiologie. Diese ganzheitliche Herangehenswei- Analyse mithilfe von Mikrofluidik-Chips. Sequenzier- se nutzt eine computergestützte Betrachtung mole- techniken der neuesten Generation erlauben es, selbst kularer Prozesse und strebt damit ein umfassendes geringe Mengen an Erbsubstanz oder Proteine aus der Verständnis von Lebensvorgängen an. einzelnen Zelle zu erfassen. So lässt sich beispielsweise messen, welche Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle aktiv sind. Damit können Forschende das molekulare Profil einer Zelle ermitteln. Den Trend zum Mini-Format spiegeln auch die soge- nannten Organ-Chips wider. Hier wird Mikrosystem- technik mit der Herstellung sogenannter Organoide kombiniert: Gemeint sind damit lebende 3D-Mini- Organsysteme, die mithilfe von Stammzellen ge- wonnen werden. Verschiedene solcher Mini-Organe lassen sich über einen Mikrokreislauf zu sogenannten
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