Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft

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Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
Die Werkzeuge
der Bioökonomie
Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
Inhaltsverzeichnis
1. Bioökonomie – nachhaltig wirtschaften     2

2. Zellen und Biomoleküle                    6

3. Züchten und archivieren                  12

4. Messen und analysieren                   16

5. Daten sammeln und nutzen                 20

6. Verarbeiten und produzieren              24

7. Kreisläufe und vernetzte Welten          28

8. Weiterführende Links                     34

9. Impressum                                35
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
Bioökonomie – nachhaltig wirtschaften

Bioökonomie ist die nachhaltige biobasierte Wirt-                        derungen muss sich die Rohstoffbasis der Industrie
schaftsform der Zukunft: Dieses Konzept steht für die                    und auch die von uns betriebene Wirtschaftsweise
Abkehr von einer erdölbasierten Wirtschaft hin zur                       verändern. Doch wie können wir ressourcenscho-
Nutzung biologischer Ressourcen wie Pflanzen, Tieren                     nend leben, Biodiversität und damit unsere eigene
und Mikroorganismen. Ihr Ziel ist es, die Belange und                    Lebensgrundlage dauerhaft erhalten und gleichzeitig
Erfordernisse der Ökonomie und der Ökologie für ein                      unseren Lebensstandard sichern?
nachhaltiges und klimaneutrales Wirtschaften zu ver-
binden. Die Bundesregierung unterstützt den Wandel                       Einen Beitrag für einen Strukturwandel des Wirt-
hin zu einer Bioökonomie bereits seit vielen Jahren. Das                 schaftssystems in Richtung Nachhaltigkeit bietet die
Potenzial für nachhaltige Innovationen gründet auf                       Bioökonomie, eine auf biologischen Ressourcen und
biologischem Wissen und einem Mix leistungsfähiger                       Verfahren basierende Wirtschaft. Das Konzept der
Technologien. Diese Broschüre gibt einen Überblick                       Bioökonomie setzt auf das inhärente Potenzial von
über die Werkzeugkiste der Bioökonomie.                                  Lebewesen wie Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen.
                                                                         Unser großes Zukunftsziel: Eine nachhaltige Lebens-
                                                                         und Wirtschaftsweise, die Ökologie und Ökonomie klug
Eine wachsende Weltbevölkerung, knapper werdende                         miteinander verbindet.
Ressourcen, eine schwindende biologische Vielfalt
und die Auswirkungen des Klimawandels stellen uns                        Deutschland war und ist ein Vorreiter in Sachen Bio-
vor existenzielle Herausforderungen. Fossile Roh-                        ökonomie: Die Bundesregierung unterstützt den Weg
stoffe wie Erdöl oder Erdgas, auf denen die Industrie                    in eine biobasierte Wirtschaft bereits seit dem Jahr 2010
immer noch überwiegend aufbaut, sind endlich, und                        mit Strategien und Förderprogrammen1. Als ein weiterer
ihr Einsatz treibt die Erderwärmung weiter an. Für                       Meilenstein wurde im Januar 2020 die neue Nationale
die Bewältigung der aktuellen globalen Herausfor-                        Bioökonomiestrategie2 veröffentlicht. Mit dieser Stra-
1
    Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2010, Nationale Politikstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2013.
2
    Nationale Bioökonomiestrategie: https://www.bmbf.de/upload_filestore/pub/BMBF_Nationale_Biooekonomiestrategie_Langfassung_deutsch.pdf
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
BIOÖKONOMIE – NACHHALTIG WIRTSCHAFTEN                                                                              3

tegie schafft die Bundesregierung die Voraussetzungen      Biologische Ressourcen nutzen
dafür, Deutschlands Vorreiterrolle in der Bioökonomie      In der Bioökonomie werden biogene Rohstoffe
weiterhin zu stärken und mit ihrer Hilfe die Technologi-   mithilfe der Land- und Forstwirtschaft, der Meeres-
en und Arbeitsplätze von morgen zu entwickeln. Dabei       wirtschaft mit Fischerei und Aquakultur oder durch
wird die Gesellschaft auf mannigfaltige Weise beteiligt,   Produktion mithilfe von Mikroorganismen erzeugt.
wie etwa mit dem Wissenschaftsjahr 2020/21 – Bioöko-       Ein besonderes Augenmerk gilt der Verwertung
nomie.                                                     und Nutzung organischer Rest- und Abfallstoffe. So
                                                           können und sollen bisher ungenutzte Nebenprodukte,
Innovativer Zugang zu biologischen Systemen                die bei Erzeugung der eigentlichen Produkte anfallen,
In der Definition der Bundesregierung2 umfasst die         sinnvoll verwendet werden. Das nennt man Koppel-
Bioökonomie die Erzeugung, Erschließung und Nut-           nutzung. Auch Wasser und Kohlendioxid fungieren
zung biologischer Ressourcen, Prozesse und Systeme,        dabei als Ressourcen, die in biobasierte Prozesse
um Produkte, Verfahren und Dienstleistungen in             einfließen.
allen wirtschaftlichen Sektoren im Rahmen eines
zukunftsfähigen Wirtschaftssystems bereitzustellen.        Es geht in der Bioökonomie aber nicht nur um die
                                                           nachwachsenden Rohstoffe selbst, sondern auch um
Der Mensch nutzt Pflanzen, Tiere und Mikroorga-            biobasierte Prozesse, die von Mikroorganismen, tie-
nismen bereits seit Tausenden von Jahren. Dennoch          rischen und pflanzlichen Zellen und deren Bestand-
steckt hinter dem Konzept der modernen Bioöko-             teilen wie etwa Enzymen vollzogen werden. Ein gutes
nomie ein besonderer Ansatz: Bioökonomie steht             Beispiel hierfür ist die biotechnologische Gewinnung
für einen wissensbasierten Zugang zu biologischen          von Spinnenseide mithilfe von Mikroorganismen. Die
Systemen, der auf dem rasant wachsenden Wissen aus         so gewonnenen Seidenfasern sind besonders strapa-
Forschung und Entwicklung aufbaut und aus diesen           zierfähig. Da sie darüber hinaus hautverträglich sind,
Systemen relevanten Nutzen zieht.                          werden sie bereits heute zur Produktion von Turn-
                                                           schuhen und Outdoorbekleidung verwendet.
Die Bioökonomie ermöglicht einen neuen Blick auf
die Leistungen, Fähigkeiten und Diversität der Natur,      Nachhaltig in Kreisläufen wirtschaften
auf die Vielfalt der nachwachsenden Rohstoffe, deren       Biomasse, der zentrale Rohstoff der Bioökonomie,
nachhaltigen Anbau sowie den wirtschaftlichen und          ist nicht nur eine nachwachsende Ressource. Sie ist
kreativen Einsatz moderner Technologien. Biobasierte       im Vergleich zu anderen Rohstoffformen besonders
Ressourcen und Verfahren liefern nicht nur Lösungen,       dafür geeignet, um in Kreisläufen nachhaltig genutzt
die helfen die Nutzung fossiler Rohstoffe zu verrin-       zu werden. In der Natur sind biologische Ressourcen
gern. Sie ermöglichen zugleich, wissenschaftliche und      in Stoffkreisläufe eingebunden; etwa im sogenann-
technologische Fortschritte in innovative Anwendun-        ten Kohlenstoffkreislauf oder im Stickstoffkreislauf.
gen zu übertragen, die über den Ersatz von Erdöl weit      Kreislaufprozesse sorgen dafür, dass die Nutzung
hinausgehen und einen Mehrwert schaffen.                   und Neubildung dieser Ressourcen im Gleichgewicht
                                                           stehen. Die Bioökonomie orientiert sich an diesen
                                                           natürlichen Stoffkreisläufen.
   „Bioökonomie umfasst die Erzeu-
   gung, Erschließung und Nutzung                          Das Ziel der Bioökonomie ist eine Kreislaufwirtschaft,
                                                           in der möglichst wenig Abfall und Reste entstehen.
   biologischer Ressourcen, Prozesse                       Ein Schlüssel dazu ist der effiziente Umgang mit
   und Systeme, um Produkte,                               biologischen Ressourcen entlang der gesamten Wert-
   Verfahren und Dienstleistungen                          schöpfungskette. Das wird erreicht, indem natürliche
   in allen wirtschaftlichen Sektoren                      Roh- und Abfallstoffe nicht nur be- und verarbei-
                                                           tet, sondern möglichst auch mehrfach genutzt und
   im Rahmen eines zukunftsfähigen
                                                           weiterverarbeitet werden. Die Nutzung über mehrere
   Wirtschaftssystems bereitzustellen.“                    Stufen nennt man auch Kaskadennutzung. Durch die
   Bioökonomie-Definition der Bundesregierung              effiziente Nutzung von Biomasse entsteht im Idealfall
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
4                                                                          DIE WERKZEUGE DER BIOÖKONOMIE

                                  Ressourcen der Bioökonomie

                    Pflanzen
                   und Böden                      Tiere                  Mikroben

                                                                       Neben- und
                Wasser                                                 Reststoffe

                                       Nachhaltige Nutzung

nicht mehr Kohlendioxid als während der Wachs-         Bioökonomie und Gesellschaft
tumsphase CO2-fixierender Organismen (Pflanzen,        Was aber bedeutet nun nachhaltiges Wirtschaften
Algen, photosynthetische Bakterien) der Atmosphäre     auf gesellschaftlicher Ebene? Es geht darum, die
               Chemie                   Textil          Lebensmittel              Maschinenbau
entzogen wurde – ein Baustein auf dem Weg zu einer     Bedürfnisse gegenwärtiger Generationen zu befriedi-
klimaneutralen Wirtschaftsweise.                       gen, ohne dabei künftigen Generationen die Lebens-
                                                       grundlage zu nehmen beziehungsweise ihnen die
Branchen und Produkte                                  Chance zu bewahren, ihre Bedürfnisse nach eigenen
Mit der Bioökonomie verbindet sich ein enormes In-     Vorstellungen zu stillen. Die Nachhaltigkeit baut
novationspotenzial für zahlreiche Industriebranchen.   dabei auf drei Säulen auf, der ökonomischen, der öko-
Zu den besonders relevanten Wirtschaftszweigen         logischen und der sozialen. Sie müssen gemeinsam
zählen die Land-Pharma
                 und Forstwirtschaft, die Bau
                                          Chemie-       Landwirtschaft
                                                       betrachtet                     Energie frühzeitig
                                                                    werden, um so Zielkonflikte
und Pharmaindustrie, die Nahrungsmittelindustrie,      zu erkennen und unter sorgfältiger Abwägung aller
die Konsumgüter- sowie die Papier- und Textilin-       drei Säulen den jeweils nachhaltigsten Lösungsweg
dustrie. Schon heute haben zahlreiche innovative,      zu identifizieren. Wichtig für das Drei-Säulen-Modell
biobasierte Produkte ihren Weg vom Labor in unser      ist, dass alle Säulen gleichgewichtet und gleichran-
alltägliches Leben gefunden. Dazu zählen unter         gig sind, da es auf der Vorstellung basiert, dass eine
anderem Enzyme im Waschmittel, biotechnologisch        nachhaltige Entwicklung nur zu erreichen ist, wenn
erzeugte Medikamente, Autoreifen ausAutoindustrie
                                       Löwenzahn-            Konsum
                                                       umweltbezogene,     wirtschaftliche und soziale Ziele
Kautschuk, Algenöl als Kerosinersatz oder abbaubare    gleichzeitig und gleichberechtigt umgesetzt wer-
Biokunststoffe.                                        den, wobei sich die verschiedenen Ziele gegenseitig
                                                       bedingen.
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
BIOÖKONOMIE – NACHHALTIG WIRTSCHAFTEN                                                                             5

Auf diese Weise soll die ökologische, ökonomische         lungen der Biowissenschaften in Kombination mit
und soziale Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft         den Ingenieurswissenschaften und der Informations-
sichergestellt und verbessert werden. Dies kann zum       technik bereit. Schlüsseltechnologien, wie etwa die
Beispiel dazu führen, dass eine biobasierte Innovation    Biotechnologie, die Nanotechnologie und die Künstli-
nicht zur Marktreife gelangt, da sie nicht oder nicht     che Intelligenz, greifen ineinander und sind wichtige
umfänglich von der Gesellschaft mitgetragen wird.         Innovationstreiber der Bioökonomie.
Die „Tank vs. Teller“-Diskussion ist hierfür ein gutes
Beispiel. Dennoch ist klar: Biologische Ressourcen        Mit dieser Broschüre will das BMBF die Bioökonomie
und biobasierte Prozesse und Produkte können eine         für Bürgerinnen und Bürger anschaulich machen;
klima- und ressourcenschonende Alternative zu fossi-      auch indem sie eine Auswahl ihrer wichtigsten „Werk-
len Rohstoffen und Erzeugnissen sein. Damit kann die      zeuge“ vorstellt. Die Broschüre liefert einen kom-
Bioökonomie einen wichtigen Beitrag leisten, um die       pakten Überblick über innovative Technologien und
im Jahr 2015 beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der       Konzepte, die in der biobasierten Wirtschaft bereits
Vereinten Nationen zu erreichen.                          zum Einsatz kommen und die sie vermutlich auch in
                                                          Zukunft prägen werden. In Form von kurzen Einfüh-
Die Werkzeuge der Bioökonomie im Porträt                  rungskapiteln und bebilderten Kurzsteckbriefen wird
Die Bioökonomie setzt auf den wissenschaftlichen          die „Werkzeugkiste der Bioökonomie“ präsentiert.
Fortschritt. Biologisches Wissen, etwa aus der mo-        Zunächst illustriert die Broschüre die grundlegenden
dernen Molekularbiologie, den Agrarwissenschaften         biologischen, funktionalen Einheiten wie Zelltypen
oder der Ernährungsforschung sowie eine breite            und Biomoleküle, die in der Bioökonomie bei der Pro-
Palette innovativer Technologien stehen zur Verfü-        duktion zur Anwendung kommen. Danach werden
gung, um biologische Ressourcen zu nutzen, sie zu         wichtige Werkzeuge der Pflanzenzüchtung und der
verarbeiten und daraus nachhaltige Produkte und           Bioanalytik beschrieben, ebenso wie Produktionsver-
Dienstleistungen zu erzeugen. Die „Werkzeugkiste          fahren der industriellen Biotechnologie und Ansätze
der Bioökonomie“ hält dabei insbesondere Entwick-         für die Agrarproduktion der Zukunft.

  Bioökonomie in Deutschland

  Auf dem Weg in eine Bioökonomie und in den dazu         rend sind das Bundesministerium für Bildung und
  unternommenen Forschungsanstrengungen nimmt             Forschung (BMBF) und das Bundesministerium
  Deutschland eine internationale Vorreiterrolle ein.     für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Mit
  Bereits im Jahr 2010 hat die Bundesregierung die        dem Weg in eine Bioökonomie leistet Deutschland
  Bioökonomie auf ihre politische Agenda gehoben          einen Beitrag zum Erreichen der globalen Nach-
  und die Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie       haltigkeitsziele und hilft, die deutsche Spitzenstel-
  2030 veröffentlicht. 2,4 Milliarden Euro wurden in      lung auf den Märkten der Zukunft zu sichern. Die
  diesem Rahmen hierzulande in die Bioökonomie-           Bundesregierung lässt sich von einem unabhängigen
  Forschung investiert. Ihr folgte die Nationale Po-      Expertengremium beraten – dem Bioökonomierat.
  litikstrategie Bioökonomie aus dem Jahr 2013. Im        Mit dem Wissenschaftsjahr 2020/21 rückt das BMBF
  Januar 2020 veröffentlichte das Bundeskabinett die      die Bioökonomie weiter ins Rampenlicht. Zahlreiche
  neue Nationale Bioökonomiestrategie. Sie setzt fortan   Nachrichten, Porträts, Interviews und Dossiers zur
  den Rahmen für eine nachhaltige Erschließung und        Bioökonomie in Deutschland präsentiert das vom
  Nutzung biologischer Ressourcen und für umwelt-         BMBF initiierte Informationsportal bioökonomie.
  und naturschonende Produktionsverfahren in allen        de. Weitere Angebote macht das Informationsportal
  Wirtschaftsbereichen. Die Bundesregierung bündelt       Pflanzenforschung.de.
  mit der Gesamtstrategie die bisherigen Aktivitäten
  aller Bundesministerien zur Bioökonomie und stellt      bmbf.de/bioökonomie, biooekonomie.de;
  die Weichen für die weitere Gestaltung. Federfüh-       pflanzenforschung.de
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Zellen und Biomoleküle

Mikroorganismen und eine besondere Klasse von Bio-         in der Chemie-, Pharma- oder Lebensmittelindustrie,
molekülen, die Enzyme, sind die Leistungsträger einer      schon heute werden sie in vielfältiger Weise einge-
nachhaltigen industriellen Produktion. Mithilfe mole-      setzt, um wertvolle Produkte wie Chemikalien, Me-
kularbiologischer Verfahren ist es möglich, Zellen oder    dikamente oder Treibstoffe herzustellen. Die indust-
ihre Bestandteile zu Biofabriken umzufunktionieren,        rielle Anwendung von Mikroorganismen, Zellen oder
die aus biogenen Rohstoffen hochwertige Produkte wie       Enzymen für verschiedene Branchen wird als indus-
Feinchemikalien oder Wirkstoffe umweltschonend in          trielle oder auch „weiße“ Biotechnologie bezeichnet.
größeren Mengen liefern. Die Werkzeugkiste der Natur       Es geht bei der Bioökonomie immer auch darum, die
in technischen Anwendungen zu nutzen, um inter-            Vielfalt an Mikroorganismen und deren Fähigkeiten
essante neuartige und maßgeschneiderte Produkte            für die industrielle Produktion zu ergründen und
herzustellen, ist ein zentrales Ziel der Biotechnologie.   intelligent zu nutzen. Dabei erlauben es moderne mo-
Es geht zugleich darum, dies in einer ressourcen- und      lekularbiologische Techniken, Zellen und Enzyme für
umweltschonenden Art und Weise zu tun.                     ihren Einsatz in der biotechnologischen Produktion
                                                           zu optimieren und diese Prozesse ressourcenschonen-
                                                           der zu gestalten. Die Biotechnologie ist eine Enabling
Die Biotechnologie ist eine anwendungsorientierte          Technology der Bioökonomie.
Wissenschaft im Schnittpunkt von Biologie, Medizin,
Chemie und Ingenieurswissenschaften. Sie nutzt die         Mikroorganismen als zelluläre Minifabriken
Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen und             Mikroorganismen sind mikroskopisch kleine Lebewe-
die besonderen Eigenschaften von Biomolekülen zum          sen. Zu ihnen zählen Prokaryoten wie die Bakterien
Aufbau, Umbau oder Abbau von Substanzen. Mikro-            und Eukaryoten, wie Amöben, Pilze sowie Mikroal-
organismen, tierische und pflanzliche Zellen sowie         gen. Sie existieren seit mehr als drei Milliarden Jahren
die aus ihnen gewonnenen Biomoleküle sind somit            auf der Erde und haben nahezu jeden Lebensraum
wichtige Werkzeuge einer biobasierten Wirtschaft. Ob       erobert. Im Laufe ihrer Evolution haben Mikroor-
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ZELLEN UND BIOMOLEKÜLE                                                                                             7

ganismen enorm vielfältige Stoffwechselleistungen         industriell genutzt und in der Produktion eingesetzt.
entwickelt. Der Mensch bedient sich schon seit Tau-       Auch in der molekularbiologischen Forschung und
senden Jahren dieser Fähigkeiten. So sind Bakterien,      der Züchtung haben Enzyme als Werkzeuge ihren
Hefen und Schimmelpilze unverzichtbare Helfer für         festen Platz. Biotechnologen setzen dabei nicht mehr
die Herstellung von verschiedenen Lebensmitteln, wie      nur auf natürlich vorkommende Enzyme. Mithilfe
Brot, Käse, Milchprodukten, Wein, Essig oder Bier.        neuester Erkenntnisse und Technologien können sie
                                                          Enzyme als neuartige Biokatalysatoren designen. Da
Als Meister der Stoffumwandlung arbeiten Mikroor-         sich zumindest komplexere Enzyme üblicherweise
ganismen wie winzige Chemiefabriken. Werden sie           in funktionelle Teileinheiten von definierter Funkti-
mit Substraten aus nachwachsenden Rohstoffen „ge-         onalität untergliedern (Domänen), lassen sich diese
füttert“, setzen sie diese Nahrung mithilfe ihres spe-    Funktionalitäten rearrangieren.
zifischen Stoffwechsels um und stellen daraus neue
Substanzen her. Erkenntnisse in der Zell- und Mole-       Zellen auf Höchstleistung trimmen
kularbiologie sowie die Entwicklung gentechnischer        Eine wahre Schatzkiste an bisher unbekannten
Werkzeuge haben uns neue Möglichkeiten eröffnet,          Funktionalitäten stellt die natürliche Biodiversität
die Stoffwechselleistungen von Mikroorganismen zu         dar. Bisher ist nur ein Bruchteil der mikrobiellen Ar-
erforschen und für die biotechnologische Produktion       tenvielfalt auf der Erde erfasst, auch weil sich viele Mi-
zu nutzen. Mikrobielle Produktionsprozesse laufen         kroorganismen ohne spezielles Wissen nicht kultivie-
im Vergleich zu erdölbasierten zumeist in wässrigen       ren lassen oder bisher nicht kultivierbar sind. Daher
Lösungen, bei Zimmertemperatur und unter Normal-          wurden Stammsammlungen oder sogenannte Gen-
druck ab. Damit hilft der Einsatz von mikrobiellen        bibliotheken aufgebaut, die mithilfe von speziellen
Produzenten im Vergleich zu den meisten chemisch-         Testverfahren nach neuen Eigenschaften durchsucht
synthetischen Prozessen, Ressourcen und die Umwelt        werden können. Auch die Fortschritte in der Genom-
gleichermaßen zu schonen.                                 forschung helfen, die enorme natürliche Vielfalt zu
                                                          erschließen. Wird ein Organismus mit einer vielver-
Enzyme, die Supertalente unter den Biomolekülen           sprechenden und bisher unbekannten Funktionalität
Wenn die Zellen als Biofabriken betrachtet werden,        entdeckt, so kann er im Labor kultiviert und für die
sind in der Welt der Biomoleküle die Enzyme die           industrielle Produktion optimiert und auf Höchst-
Maschinen. In der Regel handelt es sich bei Enzymen       leistung getrimmt werden. Dazu züchten Biotechno-
um Proteine unterschiedlicher Komplexität. Vom            logen die Organismen weiter, bis sie die gewünschten
Nahrungsaufschluss über den Energiestoffwechsel           Enzyme und Stoffwechselleistungen optimal an die
der Zellen, der Informationsübertragung bis hin zum       Anforderungen des jeweiligen technischen Produkti-
Kopieren der Erbinformation, all diese Abläufe wer-       onsprozesses angepasst haben.
den zumeist von Enzymen bewerkstelligt. Sie wirken
als Katalysatoren von chemischen Reaktionen, die          Mithilfe gentechnischer Methoden lässt sich etwa der
ohne ihre Anwesenheit nur unter anderen Reakti-           veränderte molekulare Bauplan eines gewünschten
onsbedingungen, etwa durch die Zufuhr von Hitze           Enzyms zudem in andere Bakterien einschleusen.
oder erhöhtem Umgebungsdruck, ablaufen würden.            Auf diese Weise werden diese Bakterien darauf pro-
Enzyme bewirken viele chemische Reaktionen bereits        grammiert, fortan das hinzugefügte Enzym in hoher
bei Normalbedingungen. Ohne Enzyme als potente            Ausbeute und Reinheit herzustellen. Das geht soweit,
und vielfältige Biokatalysatoren gäbe es das uns be-      dass komplette Stoffwechselwege gezielt verändert
kannte Leben auf der Erde nicht. Enzyme lassen sich       oder neu konstruiert werden und in andere Mikroor-
als vielfältige Werkzeuge nutzen, um mannigfaltige        ganismen transferiert werden können – die Fachwelt
biobasierte Produkte umzubauen, abzubauen oder zu         spricht hier vom sogenannten Metabolic Engineering.
veredeln. So sind sie etwa unverzichtbare Helfer in der   In den vergangenen Jahren sind viele neue molekular-
Lebensmittelherstellung. Aber auch in technischen         biologische Werkzeuge entdeckt und nutzbar gemacht
Anwendungen der Chemie-, Pharma- und Papierin-            worden, die den Biotechnologen und Bioingenieuren
dustrie übernehmen die Multitalente zentrale Aufga-       helfen, Produktionsorganismen mit besonderen Ei-
ben. Aktuell werden derzeit mehrere Hundert Enzyme        genschaften zu entwickeln.
Die Werkzeuge der Bioökonomie - Innovative Technologien für die biobasierte Wirtschaft
8                                                                                           FORSCHUNG FÜR
                                                                                                      DIE WERKZEUGE
                                                                                                          EINE BIOBASIERTE
                                                                                                                     DER BIOÖKONOMIE
                                                                                                                           WIRTSCHAFT

Zellen

    Bakterien                                                           Merkmale: Bakterien sind einzellige Mikroorganismen ohne Zell-
                                                                        kern und mit einem ringförmigen Chromosom. Ihre Zellwand unter-
                                                                        scheidet sich stark von der pflanzlicher und tierischer Zellen. Dank
                                                                        ihrer vielfältigen Stoffwechselleistungen nutzen sie viele Typen von
                                                                        Biomasse als Nahrung und wandeln sie in organische Stoffe um. Eini-
                                                                        ge Bakterien betreiben Photosynthese und produzieren Biomasse, so
                                                                        etwa Cyanobakterien und Purpurbakterien. Neben dem Chromosom
                                                                        besitzen Bakterien weiteres genetisches Material in Form kleiner
                                                                        DNA-Ringe (Plasmide), die sie untereinander austauschen können.

                                                                        Verwendung: Traditionell werden Bakterien zum Konservieren und
                                                                        Veredeln von Lebensmitteln und Tierfutter genutzt. Sie sind Modelle
    Beispiele: Escherichia coli – gut erforschtes Modell und Arbeits-   der molekularbiologischen Forschung. Als Produktionsorganismen
    tier der Biotechnologie (Foto); Corynebacterium glutamicum –
                                                                        dienen sie der industriellen Herstellung von Chemikalien und Wirk-
    Aminosäureproduzent; Bacillus subtilis – Enzymproduzent
                                                                        stoffen.

    Pilze                                                               Merkmale: Pilze sind einzellige oder mehrzellige Organismen. Sie
                                                                        sind sesshaft und können keine Photosynthese betreiben. Daher
                                                                        müssen sie sich durch die Aufnahme organischer Substanzen ernäh-
                                                                        ren (Heterotrophie), die sie aus der Umgebung aufnehmen. Pilze sind
                                                                        bedeutsam für den Abbau organischer Materie auf der Erde. Das ist
                                                                        notwendig, um die großen Stoffkreisläufe in der Natur aufrechtzu-
                                                                        erhalten.

                                                                        Verwendung: Die zu den Pilzen zählenden Hefen werden traditio-
                                                                        nell in der Lebensmittelherstellung eingesetzt. Sie vergären verschie-
                                                                        dene Zucker zu Alkoholen und Kohlendioxid (CO2). Zugleich sind sie
                                                                        wichtige Modelle der molekularbiologischen Forschung. Manche
    Beispiele: Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae – Herstellung        Pilze stellen Antibiotika her. Hefen und Schimmelpilze sind zudem
    von Backwaren, Wein, Bier, Bioethanol; Aspergillus niger – Zitro-
                                                                        wichtige Produktionsorganismen für die Pharmazie.
    nensäure-Produzent; Pinselschimmel Penicillium chrysogenum
    – Antibiotika-Produzent

    Mikroalgen                                                          Merkmale: Zu den mikroskopisch kleinen, meist einzelligen
                                                                        Mikroalgen gehören alle Kieselalgen und Cyanobakterien (Blaualgen),
                                                                        viele Grünalgen, aber auch einige Rotalgen. Ihre Energie gewinnen
                                                                        sie, indem sie per Photosynthese Sonnenlicht und CO2 in organische
                                                                        Verbindungen (Zuckermoleküle wie Glucose) umwandeln. Sie ernäh-
                                                                        ren sich meist autotroph (selbsternährend aus anorganischen Stof-
                                                                        fen) und leben im Salz- und oder Süßwasser. Mikroalgen vermehren
                                                                        sich schnell und sind sehr produktiv. Ihre Kultivierung in geeigneten
                                                                        Anlagen (etwa Photobioreaktoren, also Bioreaktoren mit Beleuch-
                                                                        tung) benötigt kein Ackerland.

                                                                        Verwendung: Mikroalgen werden zur Gewinnung von Farbstoffen,
    Beispiele: Chlorella vulgaris – Produzent von Lebensmittel-         Proteinen, Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt.
    zusätzen, Clamydomonas reinhardtii – Modellalge; Dunaliella
                                                                        Sie liefern Substanzen für den Einsatz in der Kosmetik und produzie-
    salina – Beta-Carotin-Produzent; Grünalge Haematococcus
    pluvialis – Produzent des roten Farbstoffs Astaxanthin (Foto)       ren Biokraftstoffe und Biogas, Düngemittel und Fischfutter.
ZELLEN
FORSCHUNGSPOLITISCHER
       UND BIOMOLEKÜLERAHMEN DER BIOÖKONOMIE                                                                                                9

 Merkmale: Tierische Zellen werden aus Geweben von Tieren ge-
 wonnen und im Labor in Zellkulturgefäßen kultiviert. Für den Einsatz
                                                                                                            Tierzellen
 in tierischen Zellkulturen werden unbegrenzt vermehrungsfähige
 Zellen benötigt. Hierfür eignen sich nicht-ausdifferenzierte tierische
 Zellen, die sogenannten Stammzellen oder mutierte immortalisier-
 te Zellen (unsterblich). Während Stammzellen immer wieder neue
 Stammzellen hervorbringen und sich in spezialisierte Zelltypen aus-
 differenzieren können, haben immortalisierte Zellen ihre natürliche
 Teilungskontrolle verloren und vermehren sich ungebremst. Zelllinien
 beider Zelltypen sind die Basis für Zellproduktionssysteme.

 Verwendung: Tierzellen dienen als Produktionssysteme für die
 Herstellung von Biopharmazeutika und als Testsysteme zur Prüfung         Beispiele: Hamsterzelllinie CHO – Biopharmazeutika-Produkti-
                                                                          on; Insektenzellen – Produktion von Proteinen
 von Substanzen in diagnostischen Tests. Darüber hinaus sind Stamm-
 zellen Zellquelle für die Gewebezüchtung und den Organersatz.

Merkmale: Aus pflanzlichen Geweben lassen sich sogenannte Pflan-
zenzellkulturen erschaffen. Hierbei befinden sich pflanzliche Zellen
                                                                                              Pflanzenzellen
vereinzelt in einer Flüssigkultur oder auf speziellen Trägermateriali-
en. Sie können in dieser Form unter für sie geeigneten Bedingungen
über lange Zeiträume kultiviert werden. Aus einzelnen Pflanzenzel-
len lassen sich dann nach Bedarf auch wieder intakte pflanzliche Ge-
webe und ganze Pflanzen regenerieren. Pflanzenzellen produzieren
eine große Vielfalt interessanter Naturstoffe. Sie lassen sich zudem
als Produktionssysteme für diverse Stoffe einsetzen.

Verwendung: Die Pflanzenzellkultur kommt in der Grundlagen-
forschung und in der Pflanzenzüchtungsforschung zum Einsatz. Sie
erlaubt die schnelle Reproduktion von Gesamtpflanzen aus einzel-          Beispiele: Eibenzellkulturen – Produktion des Krebsmittels Pac-
                                                                          litaxel; Moos Physcomitrella patens – Produzent für Biopharma-
nen Zellen. Pflanzenzellen sind zudem Produktionssysteme für die
                                                                          zeutika; Wasserlinse Lemna minor – Produzent für Futtermittel
Herstellung von pharmazeutischen Wirkstoffen.                             und Biotreibstoff; Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Foto)

Merkmale: Viren sind winzige, infektiöse Partikel. Es sind Ge-
bilde, die zumeist aus Nukleinsäuren und Proteinen bestehen.                                     Viren/Phagen
Da Viren über keinen eigenen Stoffwechsel verfügen, werden sie
üblicherweise nicht als Lebewesen klassifiziert. Zur Vermehrung
dringen Viren in die Zellen eines Wirts ein. Dort reprogrammieren
sie dessen Stoffwechsel, um neue Viren zu produzieren. Soge-
nannte Phagen sind Viren, die spezifisch und selektiv Bakterien
angreifen und ihre Zellwand mithilfe lytischer Proteine zerstören.

Verwendung: Viren sind wichtige Werkzeuge in der Molekularge-
netik und der Biotechnologie. Sie werden als sogenannte Genfähren
eingesetzt, um artfremde Erbsubstanz in Zellen zu schleusen und
diese dadurch genetisch zu verändern. Phagen dienen als mögliche          Beispiele: Bakteriophage Lambda als Genfähre mit E.coli als
                                                                          Wirt; Tabakmosaikvirus – Genfähre in Pflanzenbiotechnologie;
Waffe im Kampf gegen antibiotikaresistente Keime, etwa unter Ein-
                                                                          Adenoviren – Genfähre für Gentherapie humaner Zellen; Phagen
satz ihrer lytisch wirkenden Proteine.                                    (im Foto rot) zur Therapie von Pseudomonas aeruginosa
10                                                                               FORSCHUNG FÜR
                                                                                           DIE WERKZEUGE
                                                                                               EINE BIOBASIERTE
                                                                                                          DER BIOÖKONOMIE
                                                                                                                WIRTSCHAFT

Biomoleküle

 DNA                                                          Merkmale: Die Desoxyribonukleinsäure (DNA) ist der Träger und
                                                              Speicher der Erbinformation eines Lebewesens oder eines Virus. Die
                                                              DNA ist ein doppelsträngiges Biomolekül mit einer dreidimensiona-
                                                              len Leiter-Helix-Struktur. Die Abfolge ihrer chemischen Bausteine,
                                                              der Nukleotide mit vier verschiedenen Basen (A, T, G, C) kodiert die
                                                              genetische Information. Die DNA enthält die Baupläne für die Prote-
                                                              ine sowie für regulatorische und enzymatisch aktive RNA-Moleküle.

                                                              Verwendung: Die DNA ist wie eine Bau- und Betriebsanleitung
                                                              für Zellen und Organismen. Sie lässt sich mit modernen, moleku-
                                                              larbiologischen Methoden analysieren. Sie ist das Schlüsselmole-
                                                              kül für die molekulare Biotechnologie, da mit ihr die Eigenschaf-
 Beispiele: Die DNA als Objekt und Ausgangsmaterial der Ge-   ten von Zellen und Organismen gezielt verändert werden können,
 nomforschung und der molekularen Biotechnologie sowie mo-
                                                              die wiederum in der biotechnologischen Produktion in Bioreakto-
 lekulare n Diagnostik
                                                              ren genutzt werden.

 RNA                                                          Merkmale: Eine Ribonukleinsäure (RNA) ist in der Regel ein ein-
                                                              strängiges Nukleinsäuremolekül. Im Vergleich zur DNA enthält es
                                                              Ribose statt Desoxyribose als Zuckeranteil. RNAs üben in der Zelle
                                                              vielfältige Funktionen aus. So ist die Boten-RNA (messenger RNA –
                                                              mRNA) eine Abschrift der DNA-Sequenz. Sie enthält Instruktionen
                                                              für die Herstellung von Proteinen und übermittelt sie an die Prote-
                                                              infabriken der Zelle. Die Menge, das Vorkommen und die Art von
                                                              mRNAs spiegeln wider, welche Gene in einer Zelle aktiv sind. Die Ge-
                                                              samtheit aller zellulären RNAs wird Transkriptom genannt.

                                                              Verwendung: Die Analyse, Herstellung und der Einsatz von RNA ist
                                                              wichtig für Genomforschung, Biotechnologie und molekulare Medi-
 Beispiele: Vermessung der mRNA-Moleküle in einer Zelle für   zin – etwa als therapeutische Wirkstoffe. Mithilfe der sogenannten
 Genaktivitätsanalysen (Transkriptomanalysen); mRNA-Impf-
                                                              RNA-Interferenz kann die Aktivität spezifischer Gene in Organis-
 stoffe gegen Infektionskrankheiten und Krebs; RNA-Interfe-
 renz-Verfahren zur gezielten Inaktivierung von Genen         men reguliert werden.

 Proteine                                                     Merkmale: Proteine sind zumeist große biologische Moleküle
                                                              mit einem hohen Molekulargewicht. Sie bestehen aus einer Ab-
                                                              folge von Aminosäuren. Die spezifische Abfolge der Aminosäuren
                                                              im Protein bestimmt dessen 3D-Struktur und damit letztendlich
                                                              Funktionalität und Aktivität. Proteine übernehmen in Zellen und
                                                              Organismen vielfältige Aufgaben: Sie bilden Zellstrukturen aus
                                                              (Cytoskelett), wirken als Katalysatoren von Stoffwechselreakti-
                                                              onen (Enzyme), transportieren Substanzen (Transportproteine)
                                                              oder erkennen Reize (Rezeptoren/Sensoren).

                                                              Verwendung: Enzyme sind bedeutende katalytische Spezial-
                                                              werkzeuge der Biotechnologie. Vielfach sind sie auch Produkte
 Beispiele: Enzyme im Waschmittel und der Lebensmittelpro-    des jeweiligen biotechnologischen Prozesses. Biotechnisch er-
 duktion; Peptidhormon Insulin als Therapie für Diabetiker,
                                                              zeugte Proteine werden als Medikamente eingesetzt und spielen
 DNA-Endonuklease Cas9 (Genschere); PETase-Enzym – kataly-
 siert den Abbau von PET-Plastik (Illustration)               in zahlreichen biochemischen Testverfahren eine Rolle.
FORSCHUNGSPOLITISCHER
ZELLEN UND BIOMOLEKÜLE RAHMEN DER BIOÖKONOMIE                                                                         11

Molekulare Biotechnologie
Die molekulare Biotechnologie beschäftigt sich mit der       I und Typ II-Restriktionsendonukleasen) an kurzen
Gewinnung und der Konstruktion von Biomolekülen              häufig palindromischen DNA-Sequenzen. Jedes Enzym
für Anwendungen in Wissenschaft und Wirtschaft. In           weist dabei eine charakteristische Erkennungssequenz,
der molekularen Biotechnologie steht insbesondere ge-        Schnittstelle und Schnittmuster auf. Mit der herbeige-
netisches Material wie DNA und RNA im Mittelpunkt,           führten Sequenzänderung der DNA wird so zum Bei-
auch um damit Proteine mit spezifischen Eigenschaf-          spiel die Aminosäure-Abfolge des kodierten Proteins
ten herzustellen. Diese Zusammenfassung gibt einen           gezielt verändert. Vor wenigen Jahren hinzugekommen
Überblick über die Werkzeugpalette der molekularen           sind die Designer-Nukleasen. Die im aktuellen Fokus
Biotechnologie:                                              der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auf-
                                                             merksamkeit stehenden zielgerichteten Genscheren
                                                             stellen eine Sonderform der Restriktionsendonukleasen
DNA vervielfältigen: Ein häufig verwendetes Kopier-          dar. Auch sie besitzen eine DNA-Sequenz-Aufspür-Ein-
verfahren für DNA ist die Polymerase-Kettenreaktion          heit und eine DNA-Schneidefunktion. Mithilfe dieser
(Polymerase Chain Reaction – PCR). Sie erlaubt es, sehr      Genscheren lässt sich Erbinformation auch in lebenden
geringe Mengen eines bestimmten DNA-Abschnitts zu            Zellen gezielt schneiden und verändern. Dieses potente
vervielfältigen, bis er in gut nachweisbarer Konzentration   Verfahren wird Genom-Editierung genannt. Die Er-
vorliegt und einen Nachweis in visueller Form oder in        kennungssequenz der Designer-Nukleasen kann darauf
weiteren, höhere Ausgangsmengen erfordernden mole-           „programmiert“ werden, einen beliebigen frei zu be-
kularbiologischen Experimenten erlaubt. Der Nachweis         stimmenden Ort im Genom von Organismen anzusteu-
der Nukleinsäuren des SARS-CoV-2-Erregers erfolgt            ern und dort einen ganz gezielten Schnitt zu setzen. Die
beispielsweise mithilfe eines PCR-basierten Tests.           derzeit bekannteste Genschere ist CRISPR-Cas.

DNA im Reagenzglas bearbeiten: Damit man DNA im              Proteine erzeugen: Dank moderner Verfahren lassen
Labor bearbeiten kann, wird sie aus Organismen isoliert      sich DNA-Stränge heute auch chemisch im Labor von
oder sie wird chemisch synthetisiert. Zur Lagerung, Ver-     Synthese-Automaten Molekül für Molekül zusammen-
vielfältigung und weiteren Verwendung in Experimenten        setzen und in vorhandene DNA-Sequenzen einfü-
wird sie in stabile Plasmide eingefügt. Diese Plasmide,      gen. Richtig eingesetzt, können gentechnische bzw.
auch Vektoren genannt, sind extrachromosomale DNA-           molekularbiologische Verfahren dazu genutzt werden,
Ringe und lassen sich je nach Beschaffenheit wiederum        um die Erbsubstanz von Zellen zu verändern und die
in eine Vielzahl Bakterien oder andere Organismen ein-       Zellen dazu zu veranlassen, spezifische vom Experi-
schleusen. Sie werden an die entsprechenden Nachkom-         mentator gewünschte Proteine gezielt herzustellen:
men ihrer Trägerorganismen weitervererbt. Auf diese          Dazu wird die entsprechende DNA als der molekulare
Weise kann man DNA-Moleküle vervielfältigen und über         Bauplan eines Enzyms in Zellen eingeschleust und die
Genscheren (sogenannte Restriktionsenzyme) weiter            korrespondierende mRNA wird an den Ribosomen zur
analysieren, bearbeiten und neu zusammensetzen. Ne-          Herstellung des gewünschten Proteins eingesetzt. Zur
ben Plasmiden werden auch weitere ähnliche Strukturen        Optimierung der Funktionalität von Enzymen mit Blick
eingesetzt, die größere DNA-Fragmente beherbergen            auf ihre Reaktionseigenschaften unter verschiedenen
können (Cosmide, Bakterielle Artifizielle Chromosomen        Umgebungen (zum Beispiel Temperatur, pH-Wert,
– BACs).                                                     Wasserlöslichkeit) wird Protein Engineering betrieben.
                                                             Dieser Begriff beschreibt einen Methoden-Mix, der
DNA gezielt verändern: Mithilfe der vor mehr als             zum Austausch von Aminosäuren des Enzyms führt
40 Jahren entdeckten Restriktionsenzyme (präziser:           und die enzymatischen Eigenschaften für den Einsatz
Restriktionsendonukleasen) lässt sich DNA in Experi-         in bestimmten Prozessen optimiert. Konsequent und
menten im Reagenzglas (in vitro) schneiden und durch         geplant angewendet können mithilfe dieser Techniken
das Entfernen arteigener oder Einfügen artfremder            Zellen und Organismen zu Höchstleistungen im Sinne
DNA-Sequenzen umschreiben und somit umfunktio-               einer biotechnologischen Anwendung und Produktion
nieren. Das Verbinden (Ligieren) der DNA-Fragmente           getrimmt werden.
geschieht mithilfe von DNA-Ligasen. Das Schneiden der
DNA durch Restriktionsenzyme erfolgt je nach Typ (Typ
Züchten und archivieren

                                                         physiologischen Grundlagen ihre Züchtungserfolge
Neben Mikroorganismen stehen insbesondere grüne
                                                         beruhten. Erst die Entdeckungen und Innovationen der
Pflanzen als Ressourcen im Fokus der Bioökonomie und
                                                         Genetik und der Molekularbiologie haben es ermög-
der Biotechnologie. Die Pflanzenzüchtungsforschung
                                                         licht, das äußere Erscheinungsbild einer Pflanze in
ist der Teilbereich der Lebenswissenschaften, der sich
                                                         Zusammenhang mit den zugrundeliegenden moleku-
mit der Züchtung ertragreicher und widerstandsfähi-
                                                         laren Vorgängen zu bringen und die Eigenschaften von
ger Nutzpflanzen beschäftigt. Die Werkzeugkiste der
                                                         Pflanzen gezielt und unter erheblich geringerem Zeit-
Pflanzenzüchter hat sich in den vergangenen Jahrzehn-
                                                         aufwand zu verändern. Um zu neuen Kulturpflanzen
ten stark vergrößert. Tausende Jahre lang betrachteten
                                                         zu gelangen, die ertragreich und zugleich widerstands-
Züchter alleinig die „äußeren“ Merkmale ihrer Pflanzen
                                                         fähig gegen Krankheiten, Schädlinge und extreme Wit-
(Phänotyp). Heute prägt der Blick ins Erbgut, ange-
                                                         terung sind, sind drei Schritte zentral: Zunächst geht es
trieben von Genomforschung und Biotechnologie, die
                                                         darum, die genetische Vielfalt zu erhöhen (Variation)
Innovationen in der Pflanzenzüchtung. So entstehen
                                                         – zum Beispiel, indem Pflanzen mit verschiedenen vor-
Pflanzen, die gezielter an den Klimawandel anpasst
                                                         teilhaften Eigenschaften miteinander gekreuzt werden.
sind und zugleich hohe Ernteerträge liefern.
                                                         Dann werden unter den Nachkommen diejenigen mit
                                                         den gewünschten Eigenschaften ausgewählt (Selek-
                                                         tion). Die per Auslese gewonnenen Pflanzen werden
Vor 10.000 Jahren hat der Mensch begonnen, Wild-
                                                         dann in einem dritten Schritt weiter vermehrt und auf
pflanzen auszuwählen, sie nutzbar zu machen und
                                                         die zuverlässigen Eigenschaften geprüft. Am Ende des
anzubauen. Dabei wurden solche Pflanzen ausgesucht
                                                         Prozesses steht eine neue Sorte.
und vermehrt, die gewünschte Eigenschaften aufwie-
sen, also vor allem gute und sichere Erträge unter den
                                                         Fortschritte in der Pflanzengenomforschung
jeweils vorherrschenden Anbaubedingungen erbrach-
                                                         Die Züchtung per Auslese wurde zu Beginn des 20.
ten. Dieser Prozess dauerte oft sehr lange und unsere
                                                         Jahrhunderts durch die gezieltere, wissensbasierte
Vorfahren verstanden lange Zeit nicht, auf welchen
ZÜCHTEN UND ARCHIVIEREN                                                                                         13

Pflanzenzüchtung abgelöst. Sie kombiniert neueste        stimmte Marker in den Pflanzen nachweisbar, deutet
Erkenntnisse aus der angewandten Genetik und Mole-       das darauf hin, dass die untersuchten Nachkommen
kularbiologie mit Methoden der modernen Agrartech-       die gewünschte Genvariante tatsächlich geerbt haben.
nik sowie nachhaltigem Bodenmanagement. Neben            Durch den gezielten Erbgut-Check kann bereits bei
dem Kreuzen von Pflanzen wurden Veränderungen im         jungen Pflanzen oder Keimlingen festgestellt werden,
Erbgut von Nutzpflanzen auch künstlich ausgelöst. Die    welche von ihnen für die Weiterzucht geeignet sind.
klassische Mutagenese bediente sich dabei chemischer     Der Züchtungsaufwand konnte hierdurch in den ver-
Substanzen oder physikalischer Methoden, um an zu-       gangenen Jahren bereits erheblich verringert werden.
fälligen Orten im Erbgut Veränderungen auszulösen.       Manche Züchtungsziele lassen sich mittels der zuvor
Damals musste eine große Menge an genetisch zufällig     beschriebenen Kreuzungsverfahren nicht erreichen,
veränderten Nachkommen erzeugt werden, um in             da die jeweilige Pflanzenart nicht über die gewünsch-
weiteren Schritten dann diejenigen Pflanzen zu iden-     ten Eigenschaften verfügt. Diese Herausforderung
tifizieren, die die gewünschten Merkmale ausprägten.     wird mithilfe der grünen Gentechnik seit den 1980er
Oftmals mussten dabei mehrere Runden aus Mutation        Jahren adressiert.
und Selektion durchlaufen werden, um den gewünsch-
ten Züchtungserfolg zu erzielen. Dieser Prozess war      Mithilfe der klassischen grünen Gentechnik können
arbeits- und zeitintensiv. Durch die Fortschritte der    artfremde Gene in das Erbgut von Pflanzen einge-
Molekulargenetik, vor allem bei der Erbgutanalyse,       schleust werden, die grundsätzlich aus jedem belie-
haben sich die Methoden der molekularen Pflanzen-        bigen Organismus stammen können. In der nachfol-
züchtung in den vergangenen Jahrzehnten enorm wei-       genden Generation fügen Züchter dann zusätzliche
terentwickelt. Die Verfahren zur Sequenzierung von       Merkmale hinzu, zum Beispiel zur Produktion
Erbinformation ermöglichen es zum Beispiel, selbst       gewünschter Inhaltsstoffe, um die Nahrungs- oder
komplexe und riesige Genome, wie sie gerade für viele    Futterqualität zu steigern. Während beim Einsatz
Nutzpflanzen wie Weizen und Gerste typisch sind,         klassischer Methoden der Gentechnik neue Gene nur
schnell und kostengünstig zu analysieren. Auf der        an zufälligen Orten ins Erbgut einer Pflanze eingefügt
Basis solcher Datensätze können die Ausleseprozesse      werden können, haben sich mit der Entwicklung ziel-
deutlich effizienter als bisher gesteuert und vorange-   gerichteter Genscheren neue Möglichkeiten eröffnet
trieben werden.                                          (vgl. S. 11). Besonders die CRISPR-Cas-Technologie hat
                                                         die Forschungslabore rund um die Welt im Sturm er-
Molekulare Züchtungsverfahren im Fokus                   obert. Mit den neuen Präzisionswerkzeugen wird eine
Zugleich steht Forschenden heutzutage eine Fülle         gezielte Mutagenese möglich. Züchter erhalten so we-
von Analyse-Werkzeugen zur Verfügung, mit denen          sentlich schneller und zielgerichteter als bisher ertrag-
sich Prozesse in Zellen, Stoffwechselprodukte und        reiche Nutzpflanzensorten, die besser gegen Schäd-
die Funktion einzelner Gene untersuchen lassen. Auf      linge, Krankheiten oder Wetterextreme gewappnet
diese Weise können Molekularbiologen interessante        sind und weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel
Merkmalsausprägungen bei Pflanzen (Phänotyp) mit         benötigen. Molekulare Züchtungsverfahren können
bestimmten Abschnitten im Genom (Genotyp) in             daher einen wichtigen Beitrag für eine Bioökonomie
Verbindung bringen. Zudem hilft die exakte Kenntnis      leisten, die Lösungen für die Welternährung, Ressour-
des genauen Aufbaus des Genoms dabei, das Erb-           cennutzung und den Klimawandel bereitstellt.
gut mithilfe sogenannter Marker, also molekularen
Orientierungsposten, abzustecken. Solche Marker –        Biologische Vielfalt bewahren
Chromosomenbereiche, Genregionen oder einzelne           Für eine nachhaltige Züchtung neuer Nutzpflan-
Gene – werden in der Regel gemeinsam mit einem ge-       zensorten ist genetische Vielfalt von großer Bedeu-
wünschten Merkmal vererbt. Molekulare Marker sind        tung. In „alten“ Pflanzensorten und in Wildformen
deshalb für die sogenannte Präzisionszüchtung, auch      schlummert diese Vielfalt. In sogenannten Genbanken
Smart Breeding genannt, von zentraler Bedeutung.         werden Samen und Gewebe von Tausenden Pflanzen
Hierbei werden Nachkommen gekreuzter Pflanzen            langfristig gelagert – sie sind Archive der globalen
bereits in sehr frühem Stadium ihrer Entwicklung in      Biodiversität, die für mehr Vielfalt auf den Äckern der
molekulardiagnostischen Tests überprüft. Sind be-        Zukunft sorgen können.
14                                                                                                DIE WERKZEUGE DER BIOÖKONOMIE

Züchten und archivieren

 Hybridzüchtung                                                    Merkmale: Die Hybridzüchtung beruht auf der Kreuzung gene-
                                                                   tisch möglichst unterschiedlicher Elternlinien einer bestimmten
                                                                   Pflanzenart. Als Folge erhält man Nachkommen (Hybride), die be-
                                                                   sonders kräftig im Wuchs, widerstandsfähiger und ertragreicher
                                                                   sind als herkömmliche Pflanzen. Dieser Effekt wird Heterosis ge-
                                                                   nannt. Er geht bei den Nachkommen der Hybride wieder verloren.
                                                                   Die molekularen Ursachen der Heterosis sind noch nicht vollum-
                                                                   fänglich verstanden.

                                                                   Verwendung: Viele Nutzpflanzen-Sorten sind durch Hybrid-
                                                                   züchtung entstanden. Hybridsaatgut muss immer wieder neu von
                                                                   den Züchtern hergestellt werden.
 Beispiele: Standard bei Mais (Foto); verbreitet bei Roggen, Zu-
 ckerrübe, Raps, Sonnenblume und Tomaten; noch selten bei
 Weizen

 Präzisionszüchtung/                                               Merkmale: Diagnostisches Verfahren, das molekulare Marker im
                                                                   Erbgut von Pflanzen nachweist, die gekoppelt mit gewünschten
 Smart Breeding                                                    genetischen Eigenschaften vererbt werden. Durch den Erbgut-
                                                                   Check lässt sich viel schneller und zuverlässiger erkennen, ob
                                                                   eine Pflanze interessante Merkmale im Erbgut trägt oder nicht.
                                                                   Die Züchter müssen dadurch nicht mehr warten, bis die Pflanzen
                                                                   ausgewachsen sind, um sie anhand äußerlicher Merkmale auf das
                                                                   Vorhandensein der gewünschten Eigenschaft zu überprüfen.

                                                                   Verwendung: Pflanzenbetriebe setzen Reihentests auf moleku-
                                                                   lare Marker routinemäßig zur Qualitätssicherung und für die Prä-
                                                                   zisionszüchtung neuer Sorten ein.
 Beispiele: Resistenzzüchtung bei Kartoffeln und Sonnenblu-
 men; Sortenzüchtung bei Tomaten

 Zellkulturtechnik                                                 Merkmale: Aus pflanzlichen Gewebestücken oder teilungsfähigen
                                                                   Zellen lassen sich vollständige Pflanzen gewinnen. Dazu werden
                                                                   die Gewebe auf Nährböden und unter sterilen Bedingungen mit
                                                                   einem Phytohormon-Mix behandelt und kultiviert. Durch diese In-
                                                                   vitro-Vermehrung entstehen genetisch identische Ableger – soge-
                                                                   nannte Klone.

                                                                   Verwendung: Diese Labortechnologie eignet sich besonders zur
                                                                   Vermehrung von Pflanzen, die über andere Wege schwer zu ver-
                                                                   mehren sind.

 Beispiele: Massenvermehrung von Kartoffel- und Erdbeer-
 sorten sowie tropischen Orchideen; Obstgehölze; beschleu-
 nigte Züchtung von diploiden Pflanzen aus haploiden Pollen
 (doppelt-haploide Pflanzen)
ZÜCHTEN UND ARCHIVIEREN                                                                                                              15

 Merkmale: Mithilfe gentechnischer Methoden wird Erbmaterial
 in das Erbgut von Lebewesen eingeschleust. Das kann ein artfrem-
                                                                                                   Klassische
 der DNA-Abschnitt aus anderen Lebewesen sein, oder er stammt
 von der gleichen Art. Nach dem Gentransfer wird das Erbmaterial
                                                                                                 Gentechnik/
 an zufälliger Stelle in das Genom eingebaut und abgelesen.                                      Gentransfer
 Verwendung: Mittels Gentransfer werden transgene Pflanzen
 für die Grundlagenforschung hergestellt. Zudem wird das Ver-
 fahren für die Züchtung gentechnisch veränderter Nutzpflanzen
 eingesetzt.

                                                                      Beispiele: Soja mit gentechnisch eingeführter Herbizid-Toleranz;
                                                                      Mais mit gentechnisch eingeführter Resistenz gegen Schadinsek-
                                                                      ten (Produktion des Bt-Proteins); Goldener Reis mit neuer Gense-
                                                                      quenz für Provitamin A

Merkmale: Dazu zählt vor allem die Genom-Editierung: Mithilfe
programmierbarer Genscheren lassen sich DNA-Abschnitte aus
                                                                                       Neue
dem Erbgut lebender Zellen präzise ausschneiden und einfügen.
So lassen sich gezielt Gene ab- oder anschalten, einfügen oder
                                                                          Züchtungstechniken
entfernen. Die bekannteste Genschere ist CRISPR-Cas.

Verwendung: Mit den neuen molekularen Züchtungstechniken
lassen sich gezielt Veränderungen in das Erbgut von Nutzpflanzen
einbringen. Die Verfahren sind effizient, schnell und kostenspa-
rend. Punktgenaue Veränderungen unterscheiden sich oft nicht
von natürlich auftretenden Mutationen.

                                                                      Beispiele: Mehltauresistenter Wein; glutenfreier Weizen; ge-
                                                                      gen den TR4-Pilz resistente Bananen, gegen mehrere Pilze
                                                                      resistenter Weizen (Foto)

Merkmale: Genbanken sind große Sammlungen von biologi-
schem Material, in denen die genetische Vielfalt der Pflanzen und                                    Genbanken
Tiere langfristig gelagert und erhalten wird. Bei Pflanzen werden
zumeist Samen, bei Tieren Keimzellen archiviert.
                                                                                                      Bioarchive
Verwendung: Genbanken spielen eine bedeutende Rolle für den
Erhalt der weltweiten biologischen Vielfalt. Sie sind wichtige Res-
sourcen für die Forschung und die Züchtung neuer Sorten.

                                                                      Beispiele: Kulturpflanzen-Genbank in Gatersleben (Foto);
                                                                      Deutsche Genbank Zierpflanzen; Deutsche Genbank Obst;
                                                                      Leibniz-Institut DSMZ - Deutsche Sammlung von Mikroorga-
                                                                      nismen und Zellkulturen GmbH
Messen und analysieren

Das Vermessen und Analysieren von biologischen          Messungen angewiesen, um die Produktentwicklung
Prozessen ist für die Grundlagenforschung und die An-   zu optimieren und zu beschleunigen. So entstehen
wendung in innovativen Prozessen und Produkten von      riesige Mengen biologischer Daten, die man compu-
großer Bedeutung. Hochempfindliche Messmethoden         tergestützt auswerten und interpretieren kann.
und Hochdurchsatzverfahren ermöglichen es, Bio-
moleküle in Zellen und Organismen aufzuspüren, mit      Schnelle Erbgut-Analysen
höchster Präzision zu vermessen und in ihrer Gesamt-    Fortschritte in der Molekularbiologie und Labor-
heit zu erfassen.                                       technik waren für die Bioanalytik in den vergange-
                                                        nen Jahren wegweisend. Unter Omics-Technologien
                                                        werden maschinengestützte Hochdurchsatzverfahren
Biologische Prozesse und die Wechselwirkungen von       zusammengefasst, mit denen Biomoleküle wie DNA,
Biomolekülen sind äußerst komplex und noch dazu         RNA oder Proteine in einer biologischen Probe nahe-
für das menschliche Auge unsichtbar. Um ihnen und       zu vollständig analysiert werden können. Moderne
ihrer Wirkungsweise auf die Spur zu kommen, werden      DNA-Sequenziermaschinen liefern immer schneller
in den Biowissenschaften zahlreiche leistungsstarke     und günstiger Daten über die Zusammensetzung des
Messverfahren und Analyse-Werkzeuge eingesetzt.         Erbguts.
Sie erlauben es, biologische Prozesse in ihren mole-
kularen Details zu beobachten und zu vermessen.         Durch den Einsatz von automatisierten und hoch-
Bioanalytische Messverfahren sind nicht nur für die     gradig parallelen Verfahren ist die Genom-Sequen-
biomedizinische und klinische Forschung – etwa für      zierung ein bioanalytisches Routineverfahren der
die molekulare Diagnostik und die Wirkstoffent-         Genomforschung (Genomik) geworden. Ähnliche
wicklung – heute unverzichtbar. Auch die moderne        Entwicklungen gibt es in der Protein-Analyse. In der
Pflanzenzüchtung, die Lebensmittelindustrie oder die    Proteomik beschäftigen sich Forschende damit, die
biopharmazeutische Industrie sind auf zuverlässige      gesamte Vielfalt der Eiweißmoleküle in Zellen und
MESSEN UND ANALYSIEREN                                                                                         17

Organismen zu erfassen. Die Metabolomik wiederum            Multi-Organ-Chips miteinander kombinieren. So
vermisst die verschiedenen Stoffwechselprodukte             sollen künftig Miniatur-Modelle des menschlichen
(Metabolite) eines Organismus. Auch hierfür sind            Organismus entstehen. Die Multi-Organ-Chips dienen
moderne Messverfahren elementar. Etwa die Massen-           beispielsweise als Prüfstände für die Pharma- und
spektrometrie, mit der sich chemische Verbindungen          Kosmetikindustrie, um neue Substanzen zu testen.
nicht nur erkennen, sondern auch quantifizieren             Das erlaubt aussagekräftige Studien über die Wirkwei-
lassen.                                                     se von Substanzen und hilft, Tierversuche zu ergän-
                                                            zen und zu reduzieren.
Trend zum Miniatur-Format
Die omics-basierte Forschung profitiert auch vom            Das Erscheinungsbild durchmustern
Trend zur Miniaturisierung und Automatisierung,             Die Erbinformation verrät zum Beispiel etwas über
der in den Lebenswissenschaften schon seit Langem           die genetische Ausstattung einer Pflanze oder eines
im Gange ist. Immer häufiger werden Zellen oder             Tieres. In der modernen Züchtung rückt aber auch
Biomoleküle erfolgreich mit Mikrosystemtechnik              der Phänotyp immer stärker in den Fokus. Dieser
und Nanotechnologie kombiniert, um noch präzisere           offenbart, wie sich die genetische „Innenausstattung“
und schnellere Analysen von Bioprozessen durch-             tatsächlich in konkreten äußerlichen Merkmalen
zuführen. Dazu zählen Biochips, die auch Mikroar-           ausprägt.
rays genannt werden. Hier sind winzige Proben von
Biomolekülen auf Oberflächen aufgebracht. Biochips          Dies ist für Pflanzenzüchter – beispielsweise mit
werden hierzu meist mit Erbsubstanz wie DNA, RNA            Blick auf die Wechselwirkung einer Pflanze mit ihrer
oder Protein-Fragmenten bestückt. Sie können zum            Umwelt – von besonderer Bedeutung. In Phänotypi-
Beispiel wie ein Köder an einer Angel genutzt werden,       sierungsanlagen werden Pflanzen vollautomatisiert
um andockende Antikörper aus dem Blut von Patien-           in großer Stückzahl nach bestimmten Merkmalen
ten zu fischen.                                             durchmustert. Zum Einsatz kommen nicht-invasive
                                                            Verfahren, die die Gewächse schonend analysieren
Immer wichtiger wird zudem der Einsatz von Mikro-           – etwa bildgebende Verfahren wie Lichtmikrosko-
fluidik: Hierfür werden Chips mit Mikrokanälen              pie, die Positronen-Emissions-Tomografie oder die
konstruiert, durch die winzige Tröpfchen oder Zellen        Kernspinresonanz-Spektroskopie.
geführt werden. Wie am Fließband können die Tröpf-
chen hier systematisch modifiziert, mit biologischen        Biologische Systeme verstehen
Komponenten gefüllt und vermessen werden.                   Die genannten Hochdurchsatz-Analysetechniken
                                                            liefern enorme Datenmengen über Lebensprozesse.
Beispielhaft für eine Anwendung, die derzeit die            Diese auszuwerten und zu verknüpfen, ist das Ziel der
Biowissenschaften revolutioniert, ist die Einzelzell-       Systembiologie. Diese ganzheitliche Herangehenswei-
Analyse mithilfe von Mikrofluidik-Chips. Sequenzier-        se nutzt eine computergestützte Betrachtung mole-
techniken der neuesten Generation erlauben es, selbst       kularer Prozesse und strebt damit ein umfassendes
geringe Mengen an Erbsubstanz oder Proteine aus der         Verständnis von Lebensvorgängen an.
einzelnen Zelle zu erfassen. So lässt sich beispielsweise
messen, welche Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt
in einer Zelle aktiv sind. Damit können Forschende
das molekulare Profil einer Zelle ermitteln.

Den Trend zum Mini-Format spiegeln auch die soge-
nannten Organ-Chips wider. Hier wird Mikrosystem-
technik mit der Herstellung sogenannter Organoide
kombiniert: Gemeint sind damit lebende 3D-Mini-
Organsysteme, die mithilfe von Stammzellen ge-
wonnen werden. Verschiedene solcher Mini-Organe
lassen sich über einen Mikrokreislauf zu sogenannten
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