HOFFNUNGSTRÄGER AUCH ZUM SCHUTZ VOR SARS-COV-2
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Titel Genbasierte Impfstoffe Hoffnungsträger auch zum Schutz vor SARS-CoV-2 Sichere und effektive Impfstoffe gelten als der Schlüssel für die Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Neben konventionellen Ansätzen erlangen genbasierte Verfahren einen neuen Stellenwert. Theoretisch bieten sie Vorteile, ihre Bewährungsprobe steht aus. D ie Impfstoffentwicklung zess ist aufwendig“, so Prof. Dr. rer. Nukleinsäuren, die den humanen zum Schutz vor dem Coro- nat. Klaus Cichutek, Präsident des Zellen als Bauanleitung dienen. Sie navirus SARS-CoV-2 läuft Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) in Lan- induzieren die Expression von be- auf Hochtouren. Obwohl der Erre- gen, der Zulassungsbehörde für liebigen Antigenen und können so- ger vor Jahresbeginn praktisch un- Impfstoffe in Deutschland. „Bei mit potente humorale als auch zel- bekannt war, hatten Pharmaunter- den inaktivierten Impfstoffen zum luläre Immunantworten induzieren. nehmen und Institutionen Ende Beispiel müssen die Erreger unter Die Fähigkeit, beide Arme des Im- März bereits 35 Impfstoffprojekte hohen Sicherheitsbedingungen ge- munsystems zu aktivieren, macht angemeldet (1). Bis Redaktions- nau spezifiziert werden. Dann wird nukleinsäurebasierte Impfstoffe schluss ist ihre Zahl weltweit auf das Saatgut hergestellt, in großen sehr attraktiv. Diese Vakzinen ha- 168 gewachsen (2, 3); 7 davon wer- Mengen angezüchtet und danach ben zudem intrinsische Adjuvanzei- den maßgeblich in Deutschland vo- erst inaktiviert“ (5). genschaften (6). rangetrieben, 5 werden hierzulande „Impfstoffe mit unterschiedlich unterstützt (4) (Kasten). Weltweit Genbasierte Impfstoffe mit starker Immunantwort, die sich werden 12 Impfstoffkandidaten be- unterschiedlichen Konzepten für Menschen mit geschwächtem reits in klinischen Studienprogram- Als schnellere Lösung gelten gen- Immunsystem, Schwangere oder men mit Freiwilligen erprobt (Gra- basierte Impfstoffe, bei denen die Kinder eignen, sind wünschens- fik): Eins davon ist Ende April in geschilderten Prozesse entfallen. wert. Auch hängt von der verwen- Deutschland gestartet; im Juni sol- Seit vielen Jahren verfolgen die deten Methode möglicherweise len erste Daten von rund 200 gesun- Forscher daher das Konzept, den die Dauer der Immunität ab, zu der den Menschen zwischen 18 und 55 Körper die Impfantigene selbst her- eine Vakzine verhilft“, erklärte Ci- Jahren vorliegen. Weitere klinische stellen zu lassen. Diese mRNA-, chutek. Da der Körper das Antigen Studien sind angekündigt. DNA- und Vektorimpfstoffe unter- wie eine Kopiermaschine selbst Die Unternehmen und For- scheiden sich in der Art der geneti- produziert, kann man zudem schungsinstitute arbeiten auf unter- schen Information und wie diese in „nach dem Gentechnikgesetz oder schiedliche Impfstofftypen hin die Zellen gelangt: Bei Vektorimpf- der Biostoffverordnung unter re- (Kasten). Im klassischen Ansatz stoffen wird das Genmaterial in duzierten Sicherheitsbedingungen enthält eine Vakzine als Antigen in- harmlose Trägerviren (wie das Mo- arbeiten“, so Cichutek (5). Der aktivierte Viren (Totimpfstoff ) oder dified-Vaccinia-Ankara-Virus) ein- Ansatz der genbasierten Impfstof- abgeschwächte Viren (attenuierte gebaut, die als Impfstoff injiziert fe gilt auch als vielversprechend, Impfstoffe), virale Proteine oder werden (Kasten). Dieser Vakzine- da diese relativ schnell in großen auch Impfviren mit „aufgepflanz- typ wurde zum Schutz vor Dengue- Mengen produziert und – sollte ten“ SARS-CoV-2-Hüllproteinen. Fieber und Ebola zugelassen. der Erreger mutieren – abgewan- Foto: LeoPatrizi/iStock Sie lösen die Immunreaktion mit Demgegenüber enthalten mRNA- delt werden können. Bildung von Antikörpern und und DNA-Impfstoffe „lediglich“ Als weiteres „Plus“ gilt, dass die T-Zellen aus. „Ihr Herstellungspro- ausgewählte Virusgene in Form von übertragenen Gene mit dem natürli- A 1100 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020
MEDIZINREPORT chen Abbau der Zellen wieder aus dem Körper verschwinden, wäh- rend die Impfwirkung bleibt. Konzepte der verschiedenen Bei anderen Immunisierungs- konzepten baut man auf gentech- Vakzinetypen nisch oder synthetisch hergestellte, ungefährliche Bestandteile des ● Inaktiviertes Virus (Totimpfstoffe): aus Patienten isolierte SARS-CoV-2- SARS-CoV-2-Virus (Subunit-Impf- Erreger werden in Zellkulturen vermehrt, die für die Herstellung von Impfstoffen stoffe, Peptid-Impfstoffe) (Grafik). zugelassen sind, und in Hochreinräumen chemisch und physikalisch inaktiviert. Derzeit geht man davon aus, dass ● Abgeschwächtes Lebendvirus (Lebendimpfstoffe): Sehr geringe Erreger- sich „eine Handvoll“ Impfstoff- mengen werden durch Zellpassagen, genetische Manipulation oder Mutagenese Kandidaten unterschiedlicher Art so stark abgeschwächt (attenuiert), dass sich die Impfviren im Körper zwar noch bei diesem Wettlauf durchsetzen eine Zeit lang vermehren, die Krankheit bei immunkompetenten Impflingen aber wird. nicht mehr auslösen können. ● Subunit-Impfstoffe: Hoch gereinigte oder gentechnisch hergestellte Impfstoffe, Nutzen und mögliche Risiken die nur die für die Immunantwort notwendigen Bestandteile enthalten. Sie sind von DNA-Impfstoffen nebenwirkungsärmer, teilweise aber nicht so wirksam, weshalb oft eine Kombination Für DNA-Impfstoffe wird die mit Adjuvanzien oder Wiederholungsimpfungen erforderlich sind. DNA-Sequenz des gewünschten ● Peptidimpfstoffe: Identifikation und Herstellung immunogener Proteinfragmen- te des Virus, zum Beispiel ein Teil des SARS-CoV-2-Spike-Proteins, der Capsid- Antigens in ein bakterielles Plas- Struktur oder der Rezeptorbindedomäne, in der sich SARS-CoV-1 und SARS- mid eingefügt. Das Plasmid wird CoV-2 unterscheiden. nach Injektion des Impfstoffs in ● Vektorimpfstoffe: Für den Menschen harmlose Viren – wie das Modified-Vac- der Zielzelle aufgenommen und cinia-Ankara-Virus (MVA), das Vesicular Stomatitis Virus (VSV) oder das Adenovi- abgelesen; dort soll das fremde rus (Ad) – sollen das Erbmaterial des SARS-CoV-2-Virus in menschliche Zellen Antigen hergestellt werden. Einige einschleusen, die daraufhin Antigene produzieren und dem Abwehrsystem präsen- DNA-Impfstoffe gelangen durch tieren. In der Gruppe der Vektorimpfstoffe gibt es zwei verschiedene Ansätze: Elektroporation in die Zielzelle. a) Nichtreplizierende virale Vektoren: Die Fähigkeit des Vektors, sich zu re- Dabei sorgen kurze elektrische Im- plizieren, wurde entfernt. Es muss die notwendige Menge an Viren gespritzt pulse im Moment der intramusku- werden, um die Immunantwort auszulösen. lären Impfung dafür, dass die Zell- b) Replizierende virale Vektoren: Die Fähigkeit des Vektors, sich zu replizie- membranen für die fremde DNA ren, bleibt erhalten und wird nur reduziert. Das Virus kann sich im Körper in durchlässig werden. DNA-Impf- einer verminderten Geschwindigkeit vermehren und eine Immunantwort aus- stoffe benötigen in der Regel star- lösen, bis das Immunsystem „aufholt“ und die Viren zerstört. ke Adjuvanzien, damit sie eine Bei Vektorimpfstoffen handelt es sich regulatorisch um gentechnisch veränder- wirksame Immunantwort auslösen te Arzneimittel, was mit erheblichem Zulassungsaufwand verbunden ist. Vor allem können (7). Bisher sind DNA- muss das Risikopotenzial des verwendeten Vektors ergründet werden. Impfstoffe nur in der Tiermedizin ● DNA-Impfstoffe: Die DNA-Sequenz des gewünschten Antigens wird in ein zugelassen (8). bakterielles Plasmid eingefügt. Das Plasmid wird nach Injektion des Impfstoffs in Als denkbare Nachteile gelten der Zielzelle aufgenommen, abgelesen und soll dort als fremdes Antigen herge- eine zufällige Integration von plas- stellt werden. DNA-Impfstoffe benötigen in der Regel starke Adjuvanzien, damit sie midischer DNA in das Genom des eine wirksame Immunantwort auslösen können. Bisher sind erste DNA-Impfstoffe Wirts: Die Integration könnte eine nur in der Tiermedizin zugelassen. verstärkte Tumorbildung infolge ● mRNA-Impfstoffe: Die mRNA codiert für ein Protein, das in einer Zelle per einer Aktivierung von Onkogenen Translation hergestellt wird und als Antigen wirkt (ausführliche Darstellung s. Text). oder Deaktivierung von Tumor- ● Virusartige Partikel: Bei virusartigen Partikeln handelt es sich quasi um leere Virushüllen. Sie werden in Zelllinien generiert und anschließend als Impfstoff be- suppressorgenen induzieren, oder nutzt. Die Viruspartikel können sich im menschlichen Gewebe nicht vermehren, da Autoimmunkrankheiten (z. B. Lu- sie keine Nukleinsäure enthalten. pus erythematodes) hervorrufen. Cichutek erachtet diese These als Andere Impfstoffe (z. B. Tuberkulose) entkräftet an: „Wir haben bei den ● Bacillus Calmette-Guerin (BCG): Ein abgeschwächter Lebendimpfstoff, der aus DNA-Impfstoffen lange Jahrzehn- einem Isolat von Mykobacterium bovis gewonnen wird. Der Impfstoff aktiviert nicht te damit verbracht, einem theoreti- nur eine Immunität gegen Tuberkulose, sondern schützt auch gegen andere Erreger schen Risiko nachzugehen, das (z. B. Influenza, HPV oder RSV). Die Eignung des alten Tuberkulose-Impfstoffs BCG, sich dann am Tier und in klini- der in Deutschland schon lange nicht mehr eingesetzt wird, soll erprobt werden. schen Prüfungen eigentlich nie be- ● Die Unternehmen Vakzine Projekt Management (Deutschland) und Serum Insti- wahrheitet hat“ (5). tute of India erproben den Tuberkulose-Impfstoff VPM1002, der am Berliner Derzeit arbeitet die Pharmamin- Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie entwickelt worden ist, aber noch keine dustrie an DNA-Impfstoffen gegen Zulassung hat. Die COVID-19-Studie soll an deutschen Kliniken mit älteren Men- etwa zwanzig Krankheiten, darun- schen und Beschäftigten im Gesundheitswesen durchgeführt werden. ter Influenza, Aids, Hepatitis B und Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020 A 1101
MEDIZINREPORT GRAFIK sind nach Injektion stabil und kön- nen zusammen mit der mRNA in SARS-CoV-2-Vakzinetypen und ihr Prüfungsstatus (nach 2) Stand 18. Mai 2020 Zellen eindringen. Das von den RNA 19 1 1 Zellen mithilfe der mRNA gebil- dete Antigen wird Immunzellen DNA 11 1 präsentiert und löst die Produktion Nicht-replizierender viraler Vektor 14 1 1 von neutralisierenden Antikörpern Replizierender viraler Vektor 15 sowie von spezifischen T-Zellen Inaktiviert 4 2 aus. Lebend-attenuiert 3 Zwar lässt sich durch LNP die Protein subunit 50 Invivo-Lebensdauer der mRNA Andere/unbekannt 40 5 verlängern, allerdings können er- Vorklinisch Phase I Phase I/II Phase II Phase III hebliche Modifikationen auch mit einer verringerten Effizienz der Impfstoffe einhergehen. Hierbei gilt C, Tollwut, humane T-Zell-Leukä- ellen Publikation, dass es bestimm- es, eine gute Balance zu finden: mie sowie das Zervixkarzinom. te Epitope gibt, die zwischen Denn die Immunantwort darf weder SARS-CoV-1 und SARS-CoV-2 zu stark noch zu schwach ausfallen. mRNA-Impfungen versprechen hoch konserviert sind (10). Das „Das war ein Schwerpunkt unse- ein besseres Sicherheitsprofil könnte bedeuten, dass Impfungen, rer Forschung in den letzten 10 Jah- Ein Weg, zufällige DNA-Insertio- die auf solche Epitope abzielen, ren“, erklärt Sahin. „Die RNA muss nen zu verhindern, sind Boten- kreuz-protektiv wirken, also Schutz so beschaffen sein, dass sie auch RNA-(mRNA-)basierte Vakzinen. gegenüber verschiedenen Corona- dann, wenn sie in geringen Mengen Hierfür werden RNA-Sequenzen viren und neu auftretenden Virus- in den Körper gelangt, in ausrei- ausgewählt und synthetisiert, die mutationen vermitteln könnten. chender Menge in ein Protein über- Proteine oder Proteinabschnitte „Die Mutationen und Polymor- setzt wird. Wir benötigen mittler- (Peptide) des Erregers codieren. phismen sind gerade im Spikepro- weile nur noch millionstel Gramm Die Verwendung von mRNA als teinbereich nicht so frequent. Wir mRNA, um die gewünschte Wir- Impfstoff wurde zunächst nur zö- gehen davon aus, dass sich das Vi- kung zu erreichen. Und das ist jetzt gernd entwickelt. Das lag vor allem rus pro Zeiteinheit ohne Selektions- besonders wichtig, da wir sehr daran, dass RNA-Moleküle sehr druck eines Impfstoffs nicht drama- schnell für viele Menschen einen schnell enzymatisch abgebaut wer- tisch verändern wird“, erklärt Prof. Impfstoff benötigen“, erklärt Sahin den. Als Vorteile erachtet man ein Dr. med. Ugur Sahin, Geschäftsfüh- weiter. „Das heißt, wenige Kilo- deutlich besseres Sicherheitsprofil rer der translationalen Onkologie an gramm mRNA-Wirkstoff könnten und geringere Nebenwirkungen. der Universitätsmedizin Mainz so- ausreichen, um viele Millionen Aufgrund der definierten Halb- wie Gründer und Vorstandschef von Menschen zu impfen.“ wertszeit von mRNA-Molekülen in BioNTech. Dadurch, dass eine grö- vivo ist darüber hinaus die Dosie- ßere Fläche des Spikeproteins als Dosisfindung kann sich um rung wesentlich leichter zu steuern Kandidaten für die Impfentwick- Zehnerpotenzen unterscheiden als bei DNA (9). lung genutzt würde, könne man da- Allerdings gibt es bei der genauen Für die Impfstoffentwicklung von ausgehen, dass zumindest im Dosierung noch Unsicherheit. Sie zum Schutz vor COVID-19 kommt Zeitraum von 6, 12, 18 Monaten könne zwischen einem ein- und dem Spikeprotein der Proteinhülle keine dramatischen Veränderungen dreistelligen Mikrogrammbereich von SARS-CoV-2 eine zentrale beobachtet würden: „Das Virus liegen. „Und dadurch, dass wir Rolle zu. Wie auch bei anderen Co- muss die Fitness behalten, an sei- zwei Zehnerpotenzen Unterschied ronaviren erfordert der Zelleintritt nen Rezeptor binden zu können. haben können, bedeutet das auch die konzertierte Aktion von Rezep- Dementsprechend kann es sich für die Grundmenge an Material, torbindung und proteolytischen nicht allzu sehr leisten, aus der was man herstellen muss, ganz un- Prozessierung des trimeren Ober- Struktur herauszumutieren“, fasst terschiedliche Voraussetzungen.“ flächen-Spike-Glykoproteins (S). Sahin zusammen (5). Diese Frage könne aus seiner Sicht Für die Impfstoffentwicklung ist Nachdem ein scheinbar sehr gu- wahrscheinlich sicherer „im Juni, es wichtig, die Struktur des S-Pro- tes Target für Impfstoffe identifi- Juli, August“ beantwortet werden. teins von SARS-CoV-2 zu verste- ziert ist, muss der Impfstoff aber Vom Biotechunternehmen Cure- hen. Interessant sind dabei be- auch an sein Ziel im Körper gelan- Vac aus Tübingen, kommt in die- stimmte Epitope, also Molekülab- gen. Da mRNA in vivo relativ in- sem Zusammenhang jedoch bereits schnitte, gegen die im Zuge einer stabil ist, wird sie zur Impfstoffher- jetzt eine gute Nachricht. Das Un- Immunantwort Antikörper oder stellung mit bestimmten Lipidstof- ternehmen hat bekannt gegeben, T-Zellen gebildet werden. Wissen- fen so umhüllt, dass letztlich soge- dass sein mRNA-Impfstopffkandi- schaftlerinnen des Paul-Ehrlich-In- nannte Lipidnanopartikel (LNP) dat bei präklinischen Versuchen be- stituts (PEI) berichten in einer aktu- mit mRNA entstehen. Diese LNP reits bei einer Dosierung von 2 µg A 1102 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020
MEDIZINREPORT positive Ergebnisse erzielen konn- von benötigt. Dadurch würden viele te. „Es ist bemerkenswert, dass wir Entwicklungsschritte und gegebe- mit dem Impfstoffkandidaten in der nenfalls auch klinische Prüfungen Lage waren, derart gute Resultate eingespart und ein schnelles Rea- mit einer solch niedrigen Dosis zu gieren auf neue Erreger(varianten) erzielen. Die Ergebnisse verdeutli- möglich. „Es ist einfach, im Labor chen erneut das Potenzial unserer die RNA-Sequenz und damit den mRNA-Technologie“, so Dr. Ma- Virenbauplan zu verändern. Da- riola Fotin-Mleczek, Chief Techno- durch wird es möglich, in kurzer logy Officer von CureVac. Das Un- Zeit verschiedene Impfstoffe zu ternehmen habe bereits große Wirk- produzieren. Solch eine Plattform- stoffmengen für diesen Impfstoff- technologie ist von unschlagbarem kandidaten hergestellt. (11). Vorteil, sollte das Virus mutieren“, Dass mRNA als Impfstoff grund- sagt Prof. Jörg Vogel, Direktor des sätzlich funktioniert, weiß man im Instituts für Molekulare Infektions- Prinzip schon seit mehr als 30 Jah- biologie (IMIB) der Universität Foto: NIAID ren. Für die pharmazeutische Nut- Würzburg und des Helmholtz-Insti- zung und Optimierung dieses Prin- tuts für RNA-basierte Infektions- zips waren jedoch sehr viele wis- forschung (HIRI). Zudem ließen senschaftliche und technologische Neben der Suche nach einem SARS-CoV-2-Virus- sich RNA-Impfstoffe vergleichs- Fortschritte notwendig. Es gibt bis- COVID-Impfstoff laufen derzeit partikel, die aus weise günstig und schnell in großer her allerdings noch keinen zugelas- gut zwei Dutzend klinische Studien einem Patienten Menge produzieren. „Sie müssen isoliert wurden, in senen Impfstoff auf mRNA-Basis. der Phase I und II mit den Indika- nicht gekühlt werden, sind stabil einer transmissions- Zum einen sind Pharmaunterneh- tionen Krebs, monogenetische Erb- elektronenmikros- und somit einfach zu transportie- men erst seit einigen Jahren auf die leiden und Infektionskrankheiten kopischen Aufnahme. ren.“ innovative Technologie aufmerk- (Tollwut, Zika, Chikungunya, Cy- Während der laufenden Untersu- sam geworden. Zum anderen sind tomegalie, Influenza). chungen müssen noch zentrale Fra- Zulassungsstudien extrem teuer gen geklärt werden. Beispielsweise und konnten bisher durch die in der Plattformtechnologien sind der ist die Bestimmung von immunolo- Regel vergleichsweise kleinen Bio- Schlüssel für Pandemien gischen Biomarkern notwendig, um technologie-Unternehmen nicht al- Ein großer Vorteil der mRNA-Tech- Parameter für die Schutzwirkung lein gestemmt werden. Die Finan- nologie besteht darin, dass man das beim Menschen definieren zu kön- zierungsfrage hat sich durch die jet- Molekül ohne tierische Zusätze her- nen. So waren Antikörper gegen zige Pandemie entschärft. stellt und nur geringe Mengen da- SARS zwar noch mehrere Jahre lang im Körper von infizierten Per- sonen nachweisbar, bei MERS- CoV dagegen ebbte diese Immuni- Forschung in Deutschland (4) tät schon im Verlauf weniger Mona- Folgende Unternehmen und Institute (Braunschweig): weiteres Projekt auf Basis te ab. Ähnlich kurzlebig scheint die arbeiten an eigenen Impfstoffen: des MVA Immunantwort auf die eng mit ● BioNTech + Pfizer (Mainz): SARS-CoV-2 verwandten Corona- Phase-I/IIa-Studie mit mRNA-Impfstoff läuft Andere Impfstoffprojekte werden viren zu sein, die schon länger in ● CureVac (Tübingen): unterstützt von: der Bevölkerung kursieren, aber startet Phase-I/IIa-Studien mit ● Universität Gießen: arbeitet im nur milde Erkältungen auslösen. mRNA-Impfstoff im Juni 2020 OpenCorona-Konsortium unter Leitung ● Prime Vector Technologies (Tübingen): des Karolinska-Instituts, Schweden Für öffentliche Wahrnehmung arbeitet an Impfstoff auf DNA-Basis ● Merck (Darmstadt): unterstützt Produktion nicht schnell genug ● LeukoCare (Planegg): arbeitet mit eines Impfstoffs der Universität Oxford: Trotz der vielen Ungewissheiten ReiThera und Univercell an Impfstoff auf Phase-I-Studie läuft sei es „sensationell, wie schnell Basis von Adenoviren ● Bayer (Leverkusen): hält Kapazitäten vor, momentan die Entwicklung von ● ARTES Biotechnology (Langenfeld): um die Produktion eines Impfstoffs Impfstoffen vorangeht“, sagt Prof. arbeitet an Impfstoff, der Virus-like Particles unterstützen zu können Dr. med. Stephan Becker, Direktor (VLP) mit zwei Proteinen des SARS-CoV-2 ● Richter-Helm BioLogics (Hamburg): des Instituts für Virologie an der enthält. produziert Plasmide für den Impfstoff von Universität Marburg. „In der öf- ● Deutsches Zentrum für Infektionsforschung Inovio (USA) fentlichen Wahrnehmung ist das (Braunschweig) + Uni München + Uni ● Vibalogics (Cuxhaven): produziert klinisches alles nicht schnell genug. Aber das Marburg + UKE Hamburg + IDT Biologika Prüfmaterial für den Impfstoffkandidaten von geht nicht anders, Impfstoffe brau- (Dessau): Projekt mit Vektorvirus MVA Pfizer chen einfach ihre Zeit.“ Becker ● Deutsches Zentrum für Infektionsforschung und sein Team sind an der Ent- wicklung eines Subunit-Impfstof- A 1104 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020
MEDIZINREPORT fes beteiligt, der im September in reich sein; etwa wenn eine gefähr- Ein Beispiel sei der erste Ma- die erste Phase der klinischen Prü- liche Nebenwirkung übersehen sernvirus-Totimpfstoff, nach dessen fung gehen wird; sie arbeiten dafür wird, weil sie erst Monate nach Anwendung es im Falle von Ma- am Deutschen Zentrum für Infekti- der klinischen Prüfung auftritt serninfektionen zu schweren Er- onsforschung mit anderen Wissen- oder sehr selten ist – und daher krankungen kam. Bei dem seit Lan- schaftlern zusammen. erst bei tausendfacher Anwen- gem eingesetzten Masernlebend- Letztendlich, so sehen es viele, dung unter der Bevölkerung beob- impfstoff kommt diese Komplikati- die derzeit an der Impfstoffentwick- achtet wird. on hingegen nicht mehr vor. lung beteiligt sind, ist es nicht ent- „Impfstoffe sind eigentlich all- scheidend, wer mit dem ersten Zulassung von Impfstoffen ist umfassend reguliert. Das macht es Impfstoff die Zulassung erreicht, immer eine Gratwanderung vielleicht auch manchmal schwer, sondern dass möglichst viele Impf- Die Zulassung eines Impfstoffs ist Vakzinekandidaten tatsächlich in stoffe die Zulassung erreichen und für die verantwortlichen Mediziner die Zulassung zu bringen“, fasst unter Nutzung vieler Produktions- in den Gesundheitsinstitutionen da- PEI-Präsident Cichutek die Situati- anlagen hergestellt werden können. her immer eine Gratwanderung: Sie on zusammen (5). Dennoch gibt er Einige Unternehmen und For- müssen das Verfahren so schnell sich zuversichtlich, dass bis Ende schungsinstitute haben bereits an- wie möglich gestalten – ohne dabei des Jahres konkret über die Zulas- gekündigt, ihre Produktionskapazi- ein hohes Risiko einzugehen, dass sung eines Impfstoffes gegen das täten für einen COVID-19-Impf- der Impfstoff Schaden anrichtet. SARS-CoV-2-Virus gesprochen stoff auszuweiten. Andere werden Denn „in der Geschichte der Impf- werden könne. „Ich gehe davon ihre Impfstoffe bereits großtech- stoffe gibt es einige Beispiele für aus, dass es in Deutschland außer nisch produzieren, während die Er- Vakzinen mit zu starken Nebenwir- der im April gestarteten klinischen probung mit Freiwilligen noch läuft kungen und für solche, mit denen Prüfung drei weitere von Impfstoff- – auch auf die Gefahr hin, die pro- das Ziel eines sicheren Schutzes kandidaten geben wird“, prognosti- duzierte Ware entsorgen zu müssen, nicht erreicht werden konnte, son- ziert Cichutek. falls die Studienergebnisse negativ dern Schaden verursacht wurde“, Allen Verantwortlichen ist trotz- ausfallen sollten (4). erklären die Deutsche Gesellschaft dem eine gewisse Zurückhaltung In der Summe dauern die klini- für Virologie (GfV) und die Deut- anzumerken: „Trotz der vielfachen schen Studien mehrere Monate sche Gesellschaft für Immunologie nationalen und internationalen Ak- bis mehrere Jahre. Diese Schritte (DGfI) in einer gemeinsamen Pres- tivitäten bei der Suche nach Impf- abzukürzen, kann extrem risiko- semitteilung (12). stoffen zum Schutz vor COVID-19 dürfen wir keine Wunder erwar- ten“, sagte Bundesforschungsmins- terin Anja Karliczek am 11. Mai bei Impfstoff gegen COVID-19 muss für alle zugänglich sein der Ankündigung eine Sonderpro- Am 4. Mai hat die Europäische Kommission im dürfe. Egoistische Interessen von Staaten gramms ihres Hauses für die Impf- Rahmen einer Online-Spendenkonferenz 7,4 oder Gewinnerwartungen von Firmen dürften stoffentwicklung in Höhe von 750 Milliarden Euro für die Entwicklung von Corona- nicht über das Leben von Menschen gestellt Millionen Euro. „Wir müssen uns tests, Medikamenten und Impfstoffen eingesam- werden. auf eventuelle Rückschläge einstel- melt. Dabei ging es, wie zahlreiche Politiker be- Auch die internationale Impfallianz Gavi hatte len.“ Denn es sei durchaus möglich, tonten, nicht nur darum, dass im Kampf gegen Ende April gefordert, dass die internationale Ge- dass die ersten SARS-CoV-2-Impf- die Pandemie Medikamente und Impfstoffe meinschaft dafür sorgen müsse, dass ein Coro- stoffe nicht alle Erwartungen hin- möglichst rasch verfügbar gemacht werden. naimpfstoff, sobald er zugelassen sei, in ausrei- sichtlich ausreichender und langan- Wichtig sei auch, dass ein Impfstoff allen Men- chender Menge produziert und weltweit dort zur haltender Immunreaktion erfüllen schen zugutekomme, wenn er einmal entwickelt Verfügung gestellt werde, wo er am nötigsten werden. worden sei, erklärte Bundeskanzlerin Angela gebraucht werde. Zusätzlich müssten Prioritäten Allerdings ist man wohl zum Er- Merkel (CDU) im Vorfeld. gesetzt werden, welche Gruppen und Regionen folg verdammt, denn „ohne einen Mit der Forderung nach globaler Solidarität einen Impfstoff zuerst erhalten sollten. Gavi plä- SARS-CoV-2-Impfstoff werden wir hatten sich kurz zuvor bereits zahlreiche dierte dafür, zunächst das Gesundheitspersonal nie wieder normal leben können“, Hilfsorganisationen, darunter Ärzte ohne zu impfen. resümiert der Mitentdecker des Grenzen, Brot für die Welt, Misereor und Me- Bereits am 21. April hatten die 193 Mitglied- Ebola-Virus und genesener CO- dico International, an die Kanzlerin gewendet. staaten der Vereinten Nationen (UN) einen VID-19-Patient Prof. Peter Piot, der Die mit öffentlichen Geldern entwickelten Me- „gleichberechtigten“ Zugang zu künftigen Impf- die renommierte London School of dikamente und Impfstoffe müssten gerecht stoffen gegen das neuartige Coronavirus ver- Hygiene & Tropical Medicine leitet verteilt werden und die Menschen erreichen, langt. Eine entsprechende Resolution verab- (13). Dr. med. Vera Zylka-Menhorn die am stärksten gefährdet seien, heißt es in schiedete die UN-Vollversammlung in New York Dustin Grunert einem offenen Brief. Das bedeute, dass es einstimmig. Deren Resolutionen sind allerdings auf die Mittel gegen COVID-19 keine Patente im Gegensatz zu denen des UN-Sicherheitsrats Literatur im Internet: und keine Vorrechte bei der Verteilung geben völkerrechtlich nicht bindend. afp/HK www.aerzteblatt.de/lit2120 oder über QR-Code. A 1106 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020
MEDIZINREPORT Zusatzmaterial Heft 21/2020, zu: Genbasierte Impfstoffe Hoffnungsträger auch zum Schutz vor SARS-CoV-2 Sichere und effektive Impfstoffe gelten als der Schlüssel für die Bekämpfung der COVID-19- Pandemie. Neben konventionellen Ansätzen erlangen genbasierte Verfahren einen neuen Stellenwert. Theoretisch bieten sie Vorteile, ihre Bewährungsprobe steht aus. Literatur 1. Zylka-Menhorn V; SARS-CoV-2-Impfstoff: 12. Gemeinsame Stellungnahme der Gesell- Forschung mit geeinten Kräften. Dtsch schaft für Virologie (GfV) und der Deut- Arztebl 2020; 117(13): A-660 / B-562 schen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) 2. COVID-19 vaccine development pipeline. zur Entwicklung einer Impfung gegen CO- Vaccine Centre London School of Hygiene VID-19 vom 8. Mai 2020. & Tropical Medicine. https://vac-lshtm.shiny https://www.g-f-v.org/node/1285 apps.io/ncov_vaccine_landscape/ 13. Tageszeitung WELT vom 13.05.2020. Last updated on 11 May 2020. 3. WHO: DRAFT landscape of COVID-19can- didate vaccines. https://www.who.int/who- documents-detail/draft-landscape-of-co- vid-19-candidate-vaccines. Last updated on 15 Mayl 2020 4. Verband der forschenden Azneimittelher- steller (vfa); Pressemitteilung Nr. 9 vom 5. Mai 2020. https://www.vfa.de/de/arzneimit tel-forschung/woran-wir-forschen/impfstoffe- zum-schutz-vor-coronavirus-2019-ncov 5. Science Media Center press briefing 27. April 2020. RNA-Impfstoffe: der schnellste Weg zum Impfschutz gegen SARS-CoV-2? https://www.sciencemediacenter.de/filead min/user_upload/Press_Briefing_Zubehoer/ virPB_Transkript_RNA-Impfstoffe.pdf 6. Roier S, Petsch B; Design und Funktions- weise von mRNA-basierten Impfstoffen zum Schutz vor Infektionskrankheiten. Trillium Immunologie 3/2019. https://www.trillium. de/zeitschriften/trillium-immunologie/archiv/ ausgaben-2019/heft-32019/aus-der-grund- lagenforschung/design-und-funktionsweise- von-mrna-basierten-impfstoffen-zum- schutz-vor-infektionskrankheiten.html 7. Hobernik D, Bros M; DNA Vaccines - How Far From Clinical Use? Int. J. Mol. Sci. 2018, 19, E3605. doi: 10.3390/ijms19113605. 8. Jadzary SD, et al.; Recent advances in deli- very of veterinary DNA vaccines against avian pathogens. Vet Res. 2018; 50: 78. Published online 2019 Oct 10. doi: 10.1186/s13567–019–0698-z 9. Probst J; Immuntherapie: Messenger RNA- basierte Impfstoffe zur Behandlung von Krebserkrankungen. Biospektrum 2007; 1: 49–51. https://www.biospektrum.de/blatt/ d_bs_pdf&_id=932394 10. Karamloo F, König R (2020): SARS-CoV-2 immunogenicity at the crossroads. Allergy 2020 May 13 [Epub ahead of print]. 11. Pressemitteilung von CureVac am 14. Mai 2020. https://www.curevac.com/de/news/cu revac-s-optimized-mrna-platform-provides- positive-pre-clinical-results-at-low-dose-for- coronavirus-vaccine-candidate. A6 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 117 | Heft 21 | 22. Mai 2020
Sie können auch lesen