KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Weltwirtschaft im Herbst 2021 - Kiel Institute for the World ...
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KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) KIELER KONJUNKTUR- BERICHTE Weltwirtschaft im Herbst 2021 Abgeschlossen am 23. September 2021 © Daniel Wolcke / IfW Kiel Nr. 81 (2021|Q3) Klaus-Jürgen Gern, Philipp Hauber, Stefan Kooths, und Ulrich Stolzenburg Forschungszentrum Konjunktur und Wachstum 1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) INHALTSVERZEICHNIS Erholungspfad mit Stolpersteinen Überblick ............................................................................................................................ 3 Pandemieentwicklung nach wie vor konjunkturprägend .............................................. 4 Lieferengpässe bremsen Welthandel und Industrieproduktion .................................... 5 Weiterhin expansive Geld- und Finanzpolitik .............................................................. 9 Die Prognose im Einzelnen .............................................................................................. 14 Vorübergehend langsameres Expansionstempo in den Vereinigten Staaten ............ 14 Weniger schwungvolle Expansion in China .............................................................. 17 Zeitweise gedämpfte Konjunkturerholung in der Europäische Union ........................ 18 Japan: Weiter deutliche Dämpfung der Konjunktur durch Corona ............................. 21 Das Vereinigte Königreich schreitet voran auf dem Weg in die Normalität ................ 22 Pandemiebedingte Schwächephasen in den Schwellenländern ............................... 24 Literatur ........................................................................................................................... 28 2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) ERHOLUNGSPFAD MIT STOLPERSTEINEN Von Klaus-Jürgen Gern, Philipp Hauber, Stefan Kooths und Ulrich Stolzenburg Die Dynamik der weltweiten Konjunkturerholung hat Überblick sich im ersten Halbjahr 2021 als Folge von neuen Co- vid-19-Schüben und Problemen in den Lieferketten Die Weltwirtschaft expandierte im ersten deutlich verlangsamt. Die Bremsfaktoren bleiben zwar Halbjahr 2021 insgesamt nur noch in mode- vorerst wirksam, die Weltproduktion steigt nach dem ratem Tempo, bei sehr unterschiedlichem historischen Einbruch im vergangenen Jahr dennoch Verlauf in den einzelnen Regionen. Nach einer kräftig. Allerdings haben wir unsere Erwartung für den deutlichen Verlangsamung im ersten Quartal hat Zuwachs der Weltproduktion in diesem Jahr (auf Ba- sich die weltwirtschaftliche Dynamik im zweiten sis von Kaufkraftparitäten) von 6,7 Prozent auf 5,9 Vierteljahr nochmals etwas abgeschwächt. Die Prozent reduziert. Den Produktionsanstieg im Jahr Weltproduktion stieg saisonbereinigt gegenüber 2022 haben wir demgegenüber um 0,2 Prozentpunkte dem Vorquartal nur noch mit einer Rate von rund auf 5,0 Prozent hochrevidiert. Auch im Jahr 2023 wird 0,5 Prozent (Abbildung 1). Insgesamt nahm die die weltwirtschaftliche Aktivität mit 3,8 Prozent vo- globale Produktion im ersten Halbjahr etwas raussichtlich nochmals recht kräftig zunehmen. Die In- langsamer zu als im Durchschnitt der Jahre vor flation auf der Verbraucherebene hat im laufenden Jahr weltweit stark angezogen. Maßgeblich dafür wa- der Corona-Krise. Damit legte die Erholung von ren aber wohl vor allem temporäre Faktoren, so dass dem im ersten Halbjahr 2020 verzeichneten der Preisauftrieb im Verlauf des kommenden Jahres Konjunktureinbruch eine Pause ein. Hierzu tru- wieder zurückgehen dürfte und eine ausgeprägte gen zum einen hohe Infektionszahlen in vielen Straffung der Geldpolitik im Prognosezeitraum nicht Ländern und die zu ihrer Eindämmung ergriffe- zu erwarten ist. Es gibt aber preistreibende Faktoren nen Maßnahmen bei, zum anderen zuneh- wie die Anspannungen an den Produktmärkten und in mende Probleme in den Lieferketten, welche den Logistiknetzen oder die hohe aufgestaute Kauf- den Aufschwung der Industrieproduktion dämpf- kraft, die sich als stärker und nachhaltiger herausstel- ten. Die Corona-Pandemie bremste die Konjunk- len könnten als erwartet und damit das Risiko, dass tur in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sich die Inflation verfestigt. In dem Fall wäre ein rest- riktiver geldpolitischer Kurs angezeigt, mit negativen Abbildung 1: Folgen für die Konjunktur. Weltwirtschaftliche Aktivität Prozent Index 9 102 Bruttoinlandsprodukt 6 101 3 100 0 99 -3 98 IfW-Indikator (rechte Skala) -6 97 -9 96 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Quartalsdaten; saisonbereinigt; Indikator be-rechnet auf Basis von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern; Bruttoinlands- produkt: preisbereinigt, Veränderung gegenüber dem Vorquartal, 46 Länder, gewichtet nach Kaufkraftparität. Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen; Berechnungen des IfW Kiel. 3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) vor allem in den ersten Monaten des laufenden ersten Quartal 2021 als Folge einer neuen Welle Jahres. Ab dem Frühjahr belebte sie sich in die- der Pandemie fast zum Stillstand gekommen sem Länderkreis dann deutlich angesichts zu- war, legte das Bruttoinlandsprodukt dieser Län- meist stark sinkender Fallzahlen und rascher dergruppe im Zuge der Lockerung der Infekti- Fortschritte bei der Durchimpfung der Bevölke- onsschutzmaßnahmen und einer zunehmenden rung. Demgegenüber verschlechterte sich die Normalisierung der wirtschaftlichen Aktivität im pandemische Situation in vielen Schwellenlän- zweiten Quartal wieder kräftig zu (Abbildung 3). dern im Verlauf des Jahres, so dass die wirt- Das Profil der Entwicklung war allerdings in den schaftliche Aktivität im zweiten Quartal stärker einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Nahezu belastet wurde als zu Jahresbeginn. Die unter- ungebremst, mit Quartalszuwächsen von jeweils schiedlichen Konjunkturtendenzen spiegeln sich reichlich 1,5 Prozent, expandierte die gesamt- in den Unternehmensumfragen: Während sich wirtschaftliche Produktion im bisherigen Verlauf die Stimmung in den fortgeschrittenen Volkswirt- des Jahres in den Vereinigten Staaten, wozu schaften im Frühjahr deutlich aufgehellt hat und auch erhebliche fiskalische Impulse beitrugen. In bis zuletzt trotz einer leichten Abschwächung im Europa schwächte sich die Konjunktur hingegen längerfristigen Vergleich sehr positiv blieb, hat im Winterhalbjahr deutlich ab. Hier hatten starke sie sich in den Schwellenländern in den vergan- Infektionswellen zu besonders einschneidenden genen Monaten wieder deutlich verschlechtert neuerlichen Beschränkungen von sozialen Kon- (Abbildung 2). takten und wirtschaftlicher Aktivität geführt. Mit deren Lockerung und angesichts rascher Impf- Abbildung 2: fortschritte belebte sich die gesamtwirtschaftli- Unternehmenszuversicht nach Ländergruppen che Produktion insbesondere im Dienstleis- Index tungssektor im Frühjahr zügig, und das Niveau 102 der Produktion vom Herbst wurde wieder deut- lich übertroffen. In Japan, wo die Infektionszah- 101 len weniger stark sanken und der Anteil der ge- 100 impften Bevölkerung niedriger war, fiel die Bele- bung im zweiten Quartal hingegen weniger dy- 99 namisch aus, so dass hier der Produktionsrück- 98 gang vom ersten Quartal bis zum Sommer noch Abbildung 3: 97 Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den G7 96 Prozent BIP Welt 12 Inländische Verwendung Fortgeschrittene Volkswirtschaften 10 95 Entwicklungs- und Schwellenländer 8 94 6 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 4 Monatsdaten, saisonbereinigt; teilweise geschätzt; auf der Basis der im IfW-Indikator enthaltenen Stimmungsindikatoren für 42 2 Länder (34 fortgeschrittene Volkswirtschaften und 8 Schwellenländer). 0 -2 Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen; Berechnungen des IfW Kiel. -4 -6 Pandemieentwicklung nach wie vor kon- -8 junkturprägend -10 In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften -12 2012 2014 2016 2018 2020 erholte sich die Wirtschaft im zweiten Quartal Quartalsdaten; preis- und saisonbereinigt; Veränderung gegen- von dem zu Jahresbeginn verzeichneten über dem Vorquartal; G7: Vereinigte Staaten, Japan, Kanada, Rückschlag. Nachdem die Erholung der ge- Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich. samtwirtschaftlichen Produktion in der Gruppe Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel. der fortgeschrittenen Volkswirtschaften im 4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) nicht wieder wettgemacht wurde. In den anderen Abbildung 4: fortgeschrittenen Volkswirtschaften Asiens Mobilitätsdaten in ausgewählten Ländern schwächte sich die Konjunktur im Verlauf des Prozent ersten Halbjahres sogar deutlich ab. Hier war die Produktion im ersten Quartal aber auch noch 0 kräftig gestiegen. In den Schwellenländern wurde die Konjunk- -20 turerholung im Zuge neuer Infektionswellen unterbrochen. Der kräftige Anstieg des Brutto- inlandsprodukts, der in der zweiten Hälfte des -40 vergangenen Jahres in nahezu allen Schwellen- ländern verzeichnet worden war, setzte sich im ersten Halbjahr 2021 nicht mehr fort. Aufgrund -60 eines coronabedingten neuerlichen schweren Euroraum wirtschaftlichen Einbruchs in Indien dürfte die UK -80 Produktion dieser Ländergruppe im zweiten USA Quartal sogar gesunken sein. Auch in anderen Indien Lateinamerika asiatischen Schwellenländern und in Lateiname- -100 rika bremsten gestiegene Infektionszahlen die 1.1.20 1.4.20 1.7.20 1.10.20 1.1.21 1.4.21 1.7.21 1.10.21 wirtschaftliche Aktivität spürbar. In China nahm Tagesdaten, Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen, das Bruttoinlandsprodukt im Quartalsvergleich Abweichung ggü. gleichem Wochentag im Zeitraum Januar bis Februar. zwar stärker zu als zu Beginn des Jahres, der Quelle: Google Covid-19 Mobility Report. Zuwachs blieb aber verglichen mit den vor der Pandemie im Trend verzeichneten Raten mäßig. Lieferengpässe bremsen Welthandel und Mobilitätsdaten deuten auf nachlassende Industrieproduktion wirtschaftliche Effekte der Pandemie hin. Der weltweite Warenhandel wurde durch au- Google-Daten zur Mobilität im Gastgewerbe und im Freizeitbereich können als Indikator für die ßergewöhnliche Ereignisse gebremst, ope- riert aber wohl auch an der Kapazitätsgrenze. Aktivität in den personennahen Dienstleistungen Der vom niederländischen Institut CPB erfasste herangezogen werden, die besonders unter den pandemiebedingten Einschränkungen gelitten Welthandel mit Waren hat sich von dem pande- miebedingten Einbruch rasch erholt und über- haben. Sie zeichnen ein differenziertes Bild mit stieg sein Vorkrisenniveau im März und April die- einer fortgeschrittenen Normalisierung in vielen Ländern, nicht zuletzt in Europa, während in an- ses Jahres bereits um knapp 5 Prozent. Seitdem hat er sich allerdings nicht weiter erhöht (Abbil- deren Ländern, wie den Vereinigten Staaten und dung 5). Der Aufschwung des internationalen Japan, in diesem Bereich immer noch ein deut- lich vermindertes Aktivitätsniveau vorherrscht, Warenhandels – nach einer längeren Phase der Stagnation – war nicht zuletzt dadurch bedingt, verglichen mit der Zeit vor der Krise. Auch wenn dass sich Nachfrage von personennahen die Infektionswellen der vergangenen Monate in einigen Ländern erhebliche Auswirkungen hat- Dienstleistungen, deren Konsum durch admi- nistrative Maßnahmen und Verhaltensänderun- ten, besonders deutlich im Fall von Indien, gen zur Eindämmung der Pandemie beeinträch- scheint der Einfluss auf die Mobilität inzwischen geringer zu sein als am Beginn der Krise. Insbe- tigt war, auf handelbare Güter verlagert hat, die zu einem großen Teil direkt oder indirekt (in sondere haben die zuletzt wieder höheren Fall- Form von Vorprodukten) im Ausland produziert zahlen in Europa bislang nicht zu einem deutli- chen Rückgang der Mobilität im betrachteten werden, insbesondere im asiatischen Raum. Der jüngst verzeichnete Verlust an Handelsdynamik Sektor geführt (Abbildung 4). ist nun wohl auch darauf zurückzuführen, dass sich die Konsumstruktur zu normalisieren be- gonnen hat. Darüber hinaus dürfte auch eine 5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Rolle spielen, dass die Kapazitäten im Seever- Abbildung 6: kehr – seien es Schiffskapazitäten, Container- Containerfrachtraten, ausgewählte Strecken verfügbarkeiten oder Abfertigungskapazitäten in US-Dollar den Häfen – offenbar kaum noch in der Lage 25000 sind, zusätzliche Volumen zu bewältigen. Hie- China/Ostasien-Nordeuropa rauf deutet die Entwicklung der Frachtraten hin, China/Ostasien-Nordamerika die sich bereits seit Ende 2020 drastisch erhöht 20000 Nordeuropa-China/Ostasien haben (Abbildung 6). Die Anspannungen im Lo- Nordamerika-China/Ostasien Europa-Nordamerika gistikgefüge zeigen sich auch darin, dass sich der Anteil der Schiffskapazität, die zwar beladen, 15000 aber nicht in Fahrt ist, seit Beginn der Krise etwa verdoppelt hat und weitaus höher ist als normal – ein Indikator für das Ausmaß der Belastungen 10000 des Systems durch Staus (Abbildung 7). Im Ver- lauf dieses Jahres wurde die Situation zusätzlich verschärft durch einzelne Ereignisse von erheb- 5000 licher Tragweite, wie die fast eine Woche wäh- rende Sperrung des Suezkanals infolge einer Schiffshavarie Ende März oder die zeitweise 0 Schließung beträchtlicher Abfertigungskapazitä- 2018 2019 2020 2021 ten in großen chinesischen Häfen im Sommer Monatsdaten. Nordamerika: bezieht sich auf Strecken zur als Folge von Corona-Infektionen einzelner Ar- Ostküste. beiter. Aufgrund geschlossener Häfen und Ter- Quelle: Freigthos Baltic Index. minals sowie langer Wartezeiten vor den verblie- benen Abfertigungskapazitäten lag das Fracht- volumen im Roten Meer – der wichtigsten See- Abbildung 7: Handelsroute zwischen China und Europa – im Blockierte Schiffskapazität August 20 Prozent niedriger, als unter normalen Prozent Umständen zu erwarten gewesen wäre (Stamer 2021). 5 Abbildung 5: Welthandel 4 2012=100 140 Welthandel insgesamt Industrieländer 130 Entwicklungs-und Schwellenländer 3 120 2 110 100 1 90 0 80 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 70 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Monatsdaten. Anteil der Frachtkapazität der weltweiten Containerseeschiffahrt, die beladen ist, aber nicht unterwegs. Monatsdaten; preis- und saisonbereinigt. Quelle: Berechnungen von Vincent Stamer (IfW Kiel) mit Daten Quelle: CPB, World Trade Monitor; Berechnungen des IfW Kiel. Fleetmon.com. 6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Der Aufschwung der Industrieproduktion ist Drittel in den Index eingehen, bewegten sich in infolge von Angebotsengpässen und logisti- den vergangenen drei Monaten in einem engen schen Problemen unterbrochen worden. Die Band um rund 70 US-Dollar je Barrel der Sorte weltweite Warenproduktion hatte ihr Vorkrisenni- Brent. Der Beschluss der OPEC, im Verein mit veau bereits im Herbst des vergangenen Jahres Russland die Förderung entsprechend der er- wieder erreicht und übertraf es zu Beginn des warteten Nachfragesteigerung anzuheben, lässt Jahres 2021 um rund 3,5 Prozent. Seither hat sie eine ausreichende Markversorgung erwarten, allerdings nicht weiter zugenommen. Sie stag- zumal die Produktion außerhalb der OPEC deut- nierte nicht nur in den fortgeschrittenen Volks- lich zunehmen dürfte. Wir rechnen damit, dass wirtschaften, sondern auch in den Schwellenlän- sich die Lagerbestände im Prognosezeitraum dern, die in der Regel eine dynamischere Indust- nicht weiter verringern und die Preise in den rieproduktion aufweisen. In China war sie im kommenden Quartalen leicht zurückgehen. Für Frühjahr sogar spürbar rückläufig. Hier dürfte 2023 unterstellen wir reale Konstanz (Abbil- eine Rolle gespielt haben, dass wieder vermehrt dung 8). Besonders stark haben im bisherigen Maßnahmen ergriffen wurden, um aufkeimen- Verlauf dieses Jahres die Industrierohstoffe zu- den Corona-Infektionen zu begegnen. Wichtiger gelegt, teilweise haben sie ihre historischen ist aber wohl das Abklingen der Sonderkonjunk- Höchststände von vor rund zehn Jahren über- tur für sogenannte Pandemiegüter (Schutzklei- troffen. Vieles spricht dafür, dass das Preisni- dung, Masken etc.) und Elektronikprodukte, von veau bei einigen Industrierohstoffen für längere der chinesische Produzenten besonders profi- Zeit sehr hoch bleiben wird (Gern 2021a). Bei tiert hatten. In den fortgeschrittenen Volkswirt- anderen Rohstoffen haben sich indes bereits schaften ist die Schwäche der Industrieproduk- deutliche Preiskorrekturen ergeben, etwa bei tion indes im Wesentlichen nicht nachfrageindu- Bauholz oder Eisenerz, das zuletzt kaum noch ziert. Vielmehr fällt es den Produzenten zuneh- höher notierte als im Jahr 2019. Insgesamt rech- mend schwer, dem Bedarf gerecht zu werden, nen wir für die Rohstoffe ohne Energie mit etwas weil die Kapazitäten ausgelastet sind, oder Vor- nachgebenden Preisen im kommenden Jahr. produkte fehlen bzw. nur zu Preisen erhältlich sind, die eine rentable Produktion verhindern. 1 Abbildung 8: Weltweit ist der Mangel an Halbleiterprodukten Rohstoffpreise ein restringierender Faktor, der noch längere 2015=100 US-Dollar Zeit bedeutsam bleiben dürfte, da die Hersteller 250 Rohstoffpreise ohne Energie 140 von Computerchips ihre Produktion nur langsam Ölpreis (rechte Skala) 120 an die gestiegene Nachfrage anpassen können. 200 Andere Engpässe, die sich zwischenzeitlich ge- 100 zeigt haben, etwa bei Baumaterialien oder Che- 150 miegrundstoffen, könnten sich hingegen rascher 80 auflösen, sofern die Logistiksysteme wieder rei- 60 bungslos funktionieren und ein gesteigertes An- 100 gebot zu akzeptablen Kosten zu den Kunden ge- 40 bracht werden kann. 50 20 Verstärkter Inflationsdruck 0 0 Die Rohstoffpreise sind stark gestiegen, 2012 2014 2016 2018 2020 2022 dürften ihren aktuellen Höhepunkt aber über- schritten haben. Der HWWI-Index für Rohstoff- Monatsdaten; Rohstoffpreise: HWWI-Index auf US-Dollarbasis; Ölpreis: Spotpreis Sorte Brent. Grau schattiert: Prognose des IfW preise hat sich seit Frühjahr 2020 mehr als ver- Kiel. doppelt. Zuletzt sind die Notierungen allerdings Quelle: International Petroleum Exchange via Refinitiv Datastream; HWWI, Rohstoffpreisindex. insgesamt nicht mehr gestiegen. Die Rohöl- preise, die mit einem Gewicht von mehr als zwei 1 Vgl. Ademmer et al. (2021) für eine Analyse der Lie- Produktion im Verarbeitenden Gewerbe besonders ferengpässe in Deutschland, wo die Diskrepanz zwi- augenfällig ist. schen steigenden Auftragseingängen und sinkender 7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Die Nahrungsmittelpreise könnten dauerhaft historischen Erfahrungen bei einem solch kräfti- hoch bleiben. Auch die Preise für viele Agrar- gen Rohstoffpreisschub zu erwarten gewesen rohstoffe sind in letzter Zeit deutlich gestiegen. wäre. Um die gegenwärtige Inflationsentwick- Bei vielen Produkten wie Baumwolle und Kaut- lung zu erklären, bedarf es bislang also keiner schuk liegen sie zwar noch innerhalb der außergewöhnlichen Erklärungsansätze wie Lie- Schwankungsbreiten der letzten Jahre, die No- ferengpässe oder verändertes Preissetzungs- tierungen wichtiger Nahrungsmittel auf dem verhalten bei Erzeugern oder im Handel. Nach Weltmarkt sind dagegen in die Nähe ihrer histo- historischem Muster wird der Preisschub bei den rischen Höchststände gestiegen, im Falle von Erzeugerpreisen wieder abklingen, sobald der Mais und Sojabohnen sogar deutlich darüber. Anstieg der Rohstoffpreise zum Ende gekom- Dies ist vor allem auf witterungsbedingt schwa- men ist. che Ernteaussichten in wichtigen Erzeugerlän- dern zurückzuführen, wobei spekulative Händler Abbildung 9: die daraus resultierenden zukünftigen Versor- Verbraucher- und Erzeugerpreise in den OECD-Län- gungsengpässe antizipieren und somit frühzeitig dern Prozent Prozent einpreisen. Hohe Weltmarktpreise für Grund- 15 Verbraucherpreise 80 nahrungsmittel sind insbesondere ein Problem Erzeugerpreise für die Entwicklungs- und Schwellenländer, in Rohstoffpreise (rechte Skala) denen Nahrungsmittel einen vergleichsweise 60 10 großen Anteil am repräsentativen Warenkorb ausmachen, so dass die Inflation dadurch stark 40 beeinflusst wird und ein bedeutsamer Teil der Bevölkerung sogar in existenzielle Nöte geraten 5 20 kann. In der Vergangenheit haben sich die Preis- spitzen an den Nahrungsmittelmärkten regelmä- 0 ßig umgekehrt, wenn in Jahren mit guten Ernten 0 die Produktion den Verbrauch überstieg und die Lagerbestände wieder aufgefüllt werden konn- -20 ten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ungüns- -5 tige Witterungsbedingungen aufgrund der globa- -40 len Erwärmung eher die Regel als die Ausnahme werden, wodurch die Produktivität der Landwirt- -10 -60 schaft in den kommenden Jahren weltweit sin- 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 ken und die Preise dauerhaft steigen könnten. Monatswerte. Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Die Erzeugerpreise nahmen sehr kräftig zu, Quelle: OECD Main Economic Indicators, Internationaler aber im Einklang mit der Entwicklung der Währungsfonds Primary Commodity Prices. Rohstoffpreise. In den fortgeschrittenen Volks- wirtschaften haben sich die Erzeugerpreise im Verlauf der letzten zwölf Monate drastisch er- Der starke Anstieg der Verbraucherpreisin- höht. Im Juli waren sie OECD-weit um rund 12 flation reflektiert vor allem temporäre Fakto- Prozent höher als ein Jahr zuvor. Dies ist der der ren... Die Inflation in den fortgeschrittenen stärkste Anstieg seit Anfang der 1980er Jahre. Volkswirtschaften, die als Folge der Krise zu- Die Erzeugerpreise haben in der Regel einen en- nächst gesunken war, hat inzwischen stark an- gen Zusammenhang mit den Rohstoffpreisen. gezogen. In den G7-Ländern insgesamt lag die Nimmt man den derzeit verzeichneten drasti- Inflationsrate im August bei 3,9 Prozent; im Eu- schen Anstieg der Rohstoffpreise mit ins Bild, roraum stieg sie im August auf 3,0 Prozent, in zeigt sich, dass die gegenwärtige Preisentwick- den Vereinigten Staaten liegt sie bereits seit drei lung auf der Produzentenebene dem histori- Monaten bei über 5 Prozent. Zu einem Teil ist schen Muster folgt (Abbildung 9). Auch die Zu- der Anstieg der Inflationsrate Basiseffekten ge- nahme der Inflation auf der Verbraucherebene schuldet, da die Preise ein Jahr zuvor im Zuge entspricht bislang dem, was nach den der Krise gesunken waren. Im 8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Vorjahresvergleich ist ein beträchtlicher Teil des Abbildung 10: Preisanstiegs insbesondere dem wieder höhe- Überschussersparnis ren Ölpreis geschuldet. Bei der Kernrate ist die Prozent Beschleunigung des Preisauftriebs bislang noch 12 USA moderat, wenn man davon absieht, dass in den Japan Vereinigten Staaten einzelne Güterpreise im Zu- 10 Euroraum sammenhang mit der Pandemie temporär starke 8 Anstiege verzeichnen. Preisdruck erzeugen auch die stark erhöhten Container-Frachtraten. 6 Überträgt man Schätzungen aus dem Frühjahr (OECD 2021) über die Inflationswirkung der ge- 4 stiegenen Frachtraten auf die gegenwärtige Si- tuation, könnten sie für sich genommen zu ei- 2 nem Anstieg der Verbraucherpreise um knapp 0 0,5 Prozent innerhalb eines Jahres führen. In- I II III IV I II III IV I II soweit die gegenwärtigen Angebotsengpässe in 2019 2020 2021 -2 den kommenden Monaten allmählich überwun- den werden, wird sich allerdings auch der Preis- Quartalsdaten, kalender- und saisonbereinigt. Kumuierte Abweichung der Ersparnis von hypothtischen Werten auf auftrieb mit der Zeit wieder abschwächen. Basis der durchschnittlichen Sparquote in den Jahren 2016- 2019. …aber es bestehen Risiken für eine nachhal- Quellen: Eurostat Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, tige Verstärkung des Preisauftriebs. Die kräf- Bureau of Economic Analysis Personal Income and Outlays, tigen Impulse der Finanzpolitik und die weiter OECD, Cabinet Office Japan. stark expansiv ausgerichtete Geldpolitik könnten die Nachfrage so stark anregen, dass das Ange- Weiterhin expansive Geld- und Finanzpoli- bot nicht rasch genug ausgeweitet werden kann tik und der Preisauftrieb weiter angeheizt wird. Die Geldpolitik der großen Notenbanken Schon gegenwärtig zeichnen sich in einigen bleibt expansiv ausgerichtet und wird nur Ländern Engpässe am Arbeitsmarkt ab. Zu be- sehr vorsichtig gestrafft. Die Notenbanken in denken ist zudem, dass die privaten Haushalte den fortgeschrittenen Volkswirtschaften haben während der Krise in großem Umfang zusätzli- ihre expansiven Maßnahmen Ende des vergan- che Ersparnisse gebildet haben. Bis zuletzt war genen Jahres vor dem Hintergrund wieder stei- die Sparquote in den großen fortgeschrittenen gender Infektionsraten nochmals ausgeweitet Volkswirtschaften höher als in den Jahren vor oder die Erwartungen für den Zeitpunkt einer der Krise. Berechnet man die so entstandene Straffung nach hinten verschoben. So wurde das Überschussersparnis als Differenz zwischen ak- Volumen der Anleihekaufprogramme im Euro- tueller Ersparnis und hypothetischer Ersparnis, raum und im Vereinigten Königreich erhöht und die sich bei Anwendung der Vorkrisensparquote deren Laufzeiten verlängert. In den Vereinigten ergibt, so belief sie sich im Verhältnis zum Brut- Staaten erwirbt die Notenbank seit Ende 2020 toinlandsprodukt zuletzt auf eine Größenord- wie angekündigt monatlich Wertpapiere im Um- nung von 6 Prozent im Euroraum, mehr als 7 fang von durchschnittlich 120 Mrd. US-Dollar. Prozent in Japan sowie reichlich 11 Prozent in Nachdem die Fed bereits im vergangenen Jahr den Vereinigten Staaten (Abbildung 10). Würde eine neue Interpretation des Inflationsziels kom- dieses Sparpolster in nennenswertem Umfang muniziert hatte, nach der das Zinsniveau noch zum Nachholen von Konsumausgaben genutzt, längere Zeit extrem niedrig bleiben kann, auch sobald die pandemische Situation es erlaubt, wenn die Referenzgröße (die Rate des Deflators würde der Inflationsdruck wohl weiter zunehmen des privaten Verbrauches) über 2 Prozent klet- (Beckmann et al. 2021). 9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) tert, hat nun auch die EZB ein symmetrisches In- In den Schwellenländern hat die geldpoliti- flationsziel verkündet, das eine weniger rasche sche Straffung bereits begonnen. Angesichts Reaktion auf steigende Inflationsraten erwarten stark gestiegener Inflationsraten und zum Teil lässt. Da die langfristigen Zinsen in den vergan- auch als Reaktion auf Abwärtsdruck auf den genen Monaten angesichts erneut steigender In- Wechselkurs hat eine Reihe von Schwellenlän- fektionsraten und damit verbunden zunehmen- dern die Leitzinsen inzwischen bereits erhöht, der konjunktureller Unsicherheit wieder gesun- zum Teil auch mehrfach. Beispiele sind Russ- ken sind, ist auch von dieser Seite gegenwärtig land, Brasilien und die Türkei (Abbildung 12). keine Straffung der Geldpolitik zu erwarten (Ab- Gemessen an den gegenwärtigen Inflationsra- bildung 11). Sofern das Szenario, dass sich die ten sind die Zinsen aber in der Regel immer noch Inflation nach Abklingen der Basiseffekte wieder niedrig. in der Nähe des Inflationsziels bewegt, nicht als Makulatur erweist, ist für den Prognosezeitraum Abbildung 12: Geldpolitik in Schwellenländern noch nicht mit einer Anhebung der Leitzinsen im Euroraum zu rechnen, während das Volumen 15 Diffusionsindex der im Rahmen des Anleihekaufprogramms Gleitender Durchschnitt (3 Monate) PEPP monatlich erworbenen Wertpapiere wohl 10 ab dem Winterhalbjahr 2021/22 allmählich redu- ziert werden wird. In den Vereinigten Staaten Restriktivere Geldpolitik wird die Notenbank wohl gegen Ende dieses 5 Jahres beginnen, ihre Wertpapierkäufe zu ver- ringern und im Jahr 2023 erste Zinserhöhungen 0 vornehmen. Für Japan ist der Inflationsdruck weiterhin vergleichsweise gering und mit einer -5 Straffung der Geldpolitik im Prognosezeitraum nicht zu rechnen. Diese ist indes außerhalb der großen Währungsräume bereits in einigen klei- -10 neren fortgeschrittenen Volkswirtschaften er- Expansivere Geldpolitik folgt. So haben in Europa Ungarn und Tsche- -15 chien und in Asien Südkorea ihre Leitzinsen in den vergangenen Wochen angehoben. Monatsdaten. Der Diffusionsindex entspricht der Anzahl der Abbildung 11: Zentralbanken, die in einem gegebenen Monat die Zinsen erhöhten minus der Anzahl der Zentralbanken, die in einem Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen gegebenen Monat die Zinsen senkten. Enthaltene Prozent Schwellenländer: Argentinien, Brasilien, Chile, China, 4 Indonesien, Indien, Kolumbien, Mexiko, Malaysia, Peru, USA Philippinen, Russland, Südafrika, Thailand, Türkei. Euroraum Quelle: Bank of International Settlements (BIS); Berechnungen Japan des IfW Kiel. 3 2 Die Finanzpolitik stimuliert auch während der 1 laufenden Erholung zunächst noch weiter. Die Regierungen haben in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften – und in geringerem Umfang 0 auch in vielen Schwellenländern – umfangreiche Mehrausgaben und Steuerstundungen be- -1 schlossen, um die wirtschaftlichen Folgen der 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Pandemie und der zu ihrer Bekämpfung ergriffe- Monatswerte (letzter Wert: August 2021). nen Maßnahmen zu mildern. Diese haben zu- Quelle: Federal Reserve, EZB, MoF Japan. sammen mit konjunkturbedingten Einnahmeaus- fällen die Fehlbeträge in den Staatshaushalten 10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) im vergangenen Jahr enorm erhöht (Abbil- Ausgabenprogramme zur Stärkung der Infra- dung 13). Auch im laufenden Jahr werden um- struktur oder zur Verringerung des CO2-Aussto- fangreiche fiskalische Stützungsprogramme ßes wirken aber weiter expansiv. In den Schwel- wirksam. Diese gehen weit über die Finanzie- lenländern werden die im vergangenen Jahr rung verbleibender pandemiebedingter Lasten stark gestiegenen Budgetdefizite trotz der wirt- hinaus, die im Verlauf dieses Jahres mit fort- schaftlichen Erholung nur allmählich reduziert, schreitender Normalisierung der wirtschaftlichen wobei häufig – wie in den fortgeschrittenen Aktivität deutlich rückläufig sind. So werden in Volkswirtschaften – längerfristige Ausgabenpro- den Vereinigten Staaten und im Euroraum, gramme aufgesetzt worden sind, die vor allem ebenso wie im Vereinigten Königreich und in ge- auf eine Stärkung der Infrastruktur zielen (IMF ringerem Maße in Japan, die strukturellen Defi- 2021). zite in diesem Jahr trotz der fortschreitenden Ausblick: Aufschwung setzt sich durch konjunkturellen Erholung nochmals deutlich zu- nehmen. Auch in den kommenden Jahren wir- Weitere Wellen der Pandemie und Angebots- ken die beschlossenen Programme expansiv, engpässe bleiben zunächst Bremsen für die während die strukturellen Defizite mit dem Fort- Erholung der Weltwirtschaft – die Produktion fall der pandemiebedingten Stützungsmaßnah- steigt nach dem historischen Einbruch im men deutlich kleiner werden. Im Euroraum vergangenen Jahr dennoch kräftig. Die Dyna- kommt zu den pandemiebedingten Wirtschafts- mik der weltweiten Konjunkturerholung hat sich hilfen das 2020 beschlossene umfangreiche EU- im ersten Halbjahr 2021 als Folge von neuen Co- Programm „Next Generation EU“ hinzu, das im vid-19-Schüben und Problemen in den Lieferket- Verlauf des Prognosezeitraums zunehmend ten deutlich verlangsamt. Wir rechnen ange- wirksam werden wird (Boysen-Hogrefe 2021). sichts der stark ansteckenden Delta-Variante Im kommenden Jahr dürften die fiskalischen Kri- des Virus auch für die kommenden Monate mit seninterventionsmaßnahmen bei dann voraus- neuen Infektionswellen, welche die Konjunktur sichtlich kräftiger Konjunktur zwar auslaufen, vor allem dort spürbar belasten werden, wo die während der Krise beschlossene Impfquoten noch zu gering sind, um auf Eindäm- Abbildung 13: mungsmaßnahmen verzichten zu können. Aber Staatliche Finanzierungssalden in großen fortge- auch ohne staatliche Maßnahmen dürften hohe schrittenen Volkswirtschaften Inzidenzen das Konsumklima belasten und die weitere Normalisierung in den kontaktintensiven Dienstleistungsbereichen verzögern. Mit zuneh- mendem Impffortschritt und der damit verbunde- nen Verringerung der Infektionsrisiken werden sich die Rahmenbedingungen aber in den kom- menden Monaten weiter verbessern, wenngleich die Annäherung an ein Normalniveau der Ge- schäftstätigkeit in den Bereichen, die in der bis- herigen gesamtwirtschaftlichen Erholung noch zurückhängen, wie Tourismus, Reiseverkehr und Unterhaltungsgewerbe, wohl länger brau- chen wird, als wir im Juni erwartet haben. Auch die aus Lieferengpässen resultierenden Brems- wirkungen haben sich als hartnäckiger erwiesen als in unserer damaligen Prognose unterstellt. So haben wir unsere Erwartung für den Zuwachs der Weltproduktion (auf Basis von Kaufkraftpari- täten) in diesem Jahr deutlich von 6,7 Prozent auf 5,9 Prozent reduziert; der Einbruch um 3,1 Prozent aus dem vergangenen Jahr wird damit gleichwohl mehr als wettgemacht. Den Produkti- onsanstieg im Jahr 2022 haben wir 11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) demgegenüber um 0,2 Prozentpunkte auf 5,0 zulegen und auch im Jahr 2023 mit einer Rate Prozent hochrevidiert. Auch im Jahr 2023 wird von 2,6 Prozent rascher expandieren als im mit- die weltwirtschaftliche Aktivität mit 3,8 Prozent telfristigen Trend (Tabelle 2). In den Vereinigten voraussichtlich nochmals recht kräftig zuneh- Staaten dürfte die Zuwachsrate mit 5,7 Prozent men (Tabelle 1). Auf der Basis von Marktwech- in diesem und 4,9 Prozent im nächsten Jahr selkursen ergeben sich Veränderungsraten der noch höher ausfallen als im Durchschnitt der globalen Produktion von 5,8 Prozent in diesem Ländergruppe, was nicht zuletzt auf starke fiska- und 4,9 bzw. 3,4 Prozent in den nächsten beiden lische Impulse zurückzuführen ist. Der Zuwachs Jahren. Für den weltweiten Warenhandel rech- in der EU ist mit 5 Prozent im Jahr 2021 zwar nur nen wir trotz der nur schwachen Zunahme im wenig kleiner, der im Vereinigten Königreich mit Verlauf für dieses Jahr mit einem Zuwachs um 6,3 Prozent sogar höher, er folgt aber jeweils ei- reichlich 10 Prozent. Für das kommende Jahr er- nem stärkeren Einbruch der Aktivität im Jahr warten wir einen Anstieg um 3 Prozent, für 2023 2020. Das Vorkrisenniveau der Produktion, das einen Zuwachs um 3,3 Prozent. Trotz des im in den Vereinigten Staaten bereits im zweiten vergangenen Jahr verzeichneten Rückgangs um Quartal 2021 überschritten wurde, wird bei die- 5,3 Prozent wird er damit sogar höher ausfallen ser Prognose in der EU erst zu Beginn des als vor der Krise erwartet. nächsten Jahres und im Vereinigten Königreich erst Ende 2022 erreicht. Bei alledem verringert In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften sich die Arbeitslosigkeit sukzessive weiter und setzt sich die Erholung über den gesamten dürfte im Jahr 2023 in vielen Ländern nur noch Prognosezeitraum fort. Die gesamtwirtschaftli- wenig höher sein als vor der Krise. Die Inflation che Produktion dürfte in diesem und im nächsten auf der Verbraucherebene geht im Verlauf des Jahr in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften kommenden Jahres wieder zurück und liegt im insgesamt mit 5,2 bzw. 4,4 Prozent sehr kräftig Jahr 2023 vermutlich in etwa bei 2 Prozent. Tabelle 1: Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt 2021-2023 Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise 2021 2022 2023 2021 2022 2023 Weltwirtschaft 100 5,9 5,0 3,8 4,4 3,9 3,6 darunter Fortgeschrittene Länder 44,5 5,1 4,3 2,5 2,8 2,4 1,9 China 18,7 8,2 5,4 5,2 1,0 2,3 2,3 Lateinamerika 6,5 6,7 3,3 3,1 10,8 7,7 7,2 Indien 7,7 8,3 10,2 7,7 5,0 5,4 5,0 Ostasiatische Schwellenländer 5,0 3,4 6,7 6,4 2,0 2,3 2,6 Russland 3,1 4,7 3,3 2,3 5,9 4,9 4,7 Afrika 2,9 4,2 4,6 3,9 7,9 10,1 9,2 Nachrichtlich: Welthandelsvolumen (Waren) 10,1 3,0 3,3 Weltwirtschaft (gewichtet gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 in 5,8 4,9 3,4 3,8 3,4 3,0 US-Dollar) Prozent. Gewicht: gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 nach Kaufkraftparität. — Bruttoinlandsprodukt, Verbraucher- preise: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr; Ostasiatische Schwellenländer: Thailand, Malaysia, Indonesien und Philippi- nen; Fortgeschrittene Länder: Die Werte stimmen nicht notwendigerweise mit denen in Tabelle 3 überein, da der Länderkreis hier breiter gefasst ist und ein anderes Konzept bei der Gewichtung verwandt wird. Quelle: IMF, International Financial Statistics; OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel 12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Tabelle 2: Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, und Arbeitslosenquote in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften Gewicht Bruttoinlandsprodukt Verbraucherpreise Arbeitslosenquote 2021 2022 2023 2021 2022 2023 2021 2022 2023 Europäische Union 36,0 5,0 4,4 2,7 2,4 2,2 2,0 7,4 6,5 6,1 Euroraum 29,2 5,1 4,4 2,4 2,2 1,9 1,7 7,6 6,8 6,4 Schweden 1,0 4,0 3,4 2,3 1,8 1,5 1,5 8,5 7,1 6,5 Polen 2,3 5,1 4,7 3,6 4,2 3,9 4,0 3,5 2,8 2,7 Vereinigtes Königreich 5,6 6,3 4,3 1,6 0,9 1,7 1,9 4,8 4,5 4,2 Schweiz 1,1 3,4 2,6 1,3 0,5 1,0 1,0 5,3 5,0 4,8 Norwegen 0,6 2,4 2,7 1,6 3,0 1,8 1,8 5,1 4,8 4,6 Vereinigte Staaten 37,3 5,7 4,9 2,6 4,3 3,2 2,3 5,5 4,3 3,8 Kanada 3,4 5,6 4,2 2,7 3,0 2,7 2,2 7,6 6,8 6,4 Japan 9,6 2,1 2,5 1,5 -0,2 1,3 0,8 2,8 2,7 2,5 Südkorea 4,0 3,6 3,5 3,2 2,3 2,0 1,6 3,7 3,2 3,0 Australien 2,3 4,7 3,4 3,0 3,0 2,5 2,1 5,4 4,8 4,6 Aufgeführte Länder 100,0 5,2 4,4 2,6 2,9 2,5 2,0 5,8 5,0 4,6 Prozent. Gewicht gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 in US-Dollar. — Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Verände- rung gegenüber dem Vorjahr. — Verbraucherpreise: Veränderung gegenüber dem Vorjahr, Europäische Union und Norwe- gen: harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). — Arbeitslosenquote: standardisiert nach dem ILO-Konzept. Ländergrup- pen gewichtet auf der Grundlage der Erwerbspersonenzahl von 2020. Quelle: Eurostat, VGR; OECD, Main Economic Indicators; IMF World Economic Outlook Database; Statistics Canada, Cana- dian Economic Account; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. Konjunkturelle Abwärtsrisiken resultieren reaktion realisieren. Wahrscheinlicher ist aber nicht nur aus der Ungewissheit über den wohl, dass die Krise zu einer Veränderung der Fortgang der Pandemie. Gegenwärtig scheint Politik der chinesischen Regierung führt, welche die Pandemie dort ihren Schrecken zu verlieren, die Kreditexpansion stärker als bislang begrenzt wo die Impfraten hinreichend hoch sind. Vor die- und zu einer nachhaltigen Reduzierung der sem Hintergrund werden sich die konjunkturel- Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft len Aussichten in dem Maße verbessern, wie führt. Schließlich scheint das Bedürfnis der Ver- weltweit Fortschritte bei den Impfkampagnen ge- einigten Staaten, die wirtschaftliche Expansion macht werden. Neue Virusvarianten könnten al- Chinas und die damit verbundene Vergrößerung lerdings zu weiteren Infektionswellen führen und ihres internationalen politischen Einflusses zu insbesondere dann die Wiedereinführung von begrenzen, auch unter der neuen amerikani- Infektionsschutzmaßnahmen erfordern, wenn schen Regierung Bestand zu haben. Angesichts bestehende Impfstoffe an Wirksamkeit verlieren. der zunehmenden politischen Spannungen Risiken resultieren zudem aus den finanzwirt- scheint der neuerliche Rückgriff auf handelspoli- schaftlichen Folgen der Pandemie. So bleibt ab- tische Maßnahmen zur Durchsetzung eigener zuwarten, wie sich die Solvenz der Unterneh- Interessen an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. men entwickelt, wenn staatliche Zuschüsse und Aufwärtsrisiken gibt es für die Konjunktur, Kreditprogramme zurückgefahren und tempo- aber auch für die Inflation. Ein Aufwärtsrisiko räre Schuldenmoratoria beendet werden (Gern für die Konjunktur bildet der Aufwuchs an Er- 2021b), die bislang einen Anstieg der Konkurse sparnis der privaten Haushalte in der Krise. verhindert haben. Unklar sind derzeit die Folgen Sollte diese zurückgestaute Kaufkraft in größe- der finanziellen Probleme einzelner großer chi- rem Umfang im Prognosezeitraum in Güternach- nesischer Konglomerate. Zwar schätzen Exper- frage umgesetzt werden als von uns unterstellt, ten die Wahrscheinlichkeit eines Zusammen- würden die Anspannungen an Güter- und Ar- bruchs mit starken gesamtwirtschaftlichen Rück- beitsmärkten wohl zunehmen und in der Folge wirkungen als gering ein, doch ist nicht auszu- die Inflation weiter zunehmen. Auch würde ein schließen, dass sich die seit längerem beschrie- starker Rückgang der Sparquote der privaten benen Risiken aus der in den vergangenen Jah- Haushalte mit steigenden Investitionen zusam- ren ins Enorme gewachsenen Verschuldung der mentreffen, was wohl am Kapitalmarkt steigende chinesischen Unternehmen in einer Ketten- 13
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Zinsen zur Folge hätte. In einem solchen Umfeld Congressional Budget Office allerdings immer könnte zur Einhegung der Inflation eine rasche noch -1,7 Prozent. Straffung der Geldpolitik notwendig werden. Da Abbildung 14: die Staaten allerdings auf niedrige Realzinsen Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten angewiesen sind, um die Last der Verschuldung Kettenindex (2010 = 100) Prozent erträglich zu halten, befänden sich die Noten- Veränderung banken in einer heiklen Situation, in der sie ge- 130 Niveau 5,0 nötigt sein könnten, ihre Politik an fiskalischen Notwendigkeiten und nicht am Ziel der Preisni- veaustabilität auszurichten (Fiedler et al. 2020). 120 0,0 Denn angesichts der stark gestiegenen Staats- verschuldung würden sich die fiskalischen Spiel- räume rasch verringern, wenn sich die Finanzie- 110 -5,0 rungsbedingungen an den Kapitalmärkten merk- lich verschlechtern sollten. Vor allem in hochver- schuldeten Schwellenländern könnte dies kri- 100 -10,0 senhafte Anpassungen erforderlich machen. 2,3 -3,4 5,7 4,9 2,6 90 -15,0 I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV Die Prognose im Einzelnen 2019 2020 2021 2022 2023 Quartalsdaten, preis-, kalender- und saisonbereinigt, Vorübergehend langsameres Expansions- Veränderung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala). tempo in den Vereinigten Staaten Gerahmt: Jahresdaten, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in Prozent. Die gesamtwirtschaftliche Produktion hat im Quelle: Bureau of Economic Analysis; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. ersten Halbjahr des laufenden Jahres deut- lich zugenommen und ihr Vorkrisenniveau Für das dritte Quartal zeichnet sich eine ver- bereits überschritten. Nach einer tiefen, aber haltenere Expansion ab. Während die Ein- kurzen Rezession im vergangenen Jahr, die laut kaufsmanagerindizes des Institute for Supply National Bureau of Economic Research von Management für das Verarbeitende Gewerbe Februar bis April dauerte, setzte eine konjunktu- und die Dienstleister weiter auf einen kräftigen relle Erholung ein, die sich im ersten Halbjahr Aufschwung hindeuten, hat sich die Stimmung 2021 ungebrochen fortsetzte. Das Bruttoinlands- unter den Verbrauchern wohl auch wegen wie- produkt expandierte sowohl im ersten wie im der höherer Infektions- und Todeszahlen merk- zweiten Quartal mit einer Rate von reichlich 1,5 lich eingetrübt. Auch harte Konjunkturindikato- Prozent gegenüber der Vorperiode und war da- ren signalisieren, dass die hohe Expansionsdy- mit bereits um knapp 1 Prozent höher als vor der namik des ersten Halbjahrs im laufenden Quar- Krise (Abbildung 14). Der private Verbrauch tal nicht gehalten werden kann. So ging der pri- übertraf den Stand von Ende 2019 um 3 Prozent, vate Konsum im Juli leicht zurück; die Sparquote die Ausrüstungsinvestitionen sogar um 6 Pro- stieg erneut an. Die nominalen Einzelhandel- zent. Bei den Exporten konnte bislang hingegen sumsätze, die bereits für den August vorliegen, nur knapp die Hälfte des pandemiebedingten waren um knapp ein Prozent niedriger als im Einbruchs wettgemacht werden. Besonders Durchschnitt des Vorquartals. Im Automobilbau schwach entwickelten sich die Investitionen in verlief die Produktion wohl auch wegen Lie- Wirtschaftsbauten, die sich bis zuletzt kaum er- ferengpässen in den vergangenen Monaten er- holten. Hier schlägt zu Buche, dass sich die ratisch: So folgten von Monat zu Monat auf kräf- Schieferölförderung stark verringert hat und nur tige Zuwächse erneute Einbrüche. Im Verarbei- allmählich erholt. Insgesamt bildete sich die Un- tenden Gewerbe insgesamt blieb die Aktivität terauslastung der gesamtwirtschaftlichen Pro- hingegen aufwärtsgerichtet. Alles in allem rech- duktionskapazitäten aber rasch zurück. Die Pro- nen wir für das laufende Quartal mit einem Zu- duktionslücke betrug im zweiten Quartal des lau- wachs des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 Pro- fenden Jahres laut Berechnungen des zent. 14
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Der Arbeitsmarkt hat sich noch nicht voll- hinweg stattfindet, die Zeit braucht. Darauf deu- ständig von dem Corona-Schock erholt. Zwar ten Unternehmensbefragungen hin (Anayi et al. bildete sich die Arbeitslosenquote zuletzt erneut 2021). zurück. Der Beschäftigungsaufbau verlang- Im Vorjahresvergleich war die Inflation zu- samte sich jedoch spürbar: Wurden im Juni und letzt sehr hoch, in der laufenden Entwicklung Juli noch jeweils knapp eine Million neue Stellen hat der Preisauftrieb aber bereits merklich geschaffen, nahm die Beschäftigung im August nachgelassen. Der Anstieg der Verbraucher- nur noch um knapp 240 000 Personen zu. In der preise lag in den Sommermonaten bei über 5 Gastronomie und im Einzelhandel sank die Be- Prozent (Abbildung 16). Neben dem Basiseffekt schäftigung sogar. Insgesamt haben immer der wieder auf das Vorkrisenniveau gestiegenen noch knapp vier Prozent weniger Menschen eine Ölpreise hatten vor allem enorm hohe Preisstei- Arbeitsstelle als vor der Pandemie (Abbil- gerungen bei wenigen Güterkategorien wie Ge- dung 15). Auch die Partizipationsrate liegt mit brauchtwagen, Flugreisen oder Hotelübernach- 58,1 Prozent noch deutlich unter ihrem Vorkri- tungen zu dem starken Anstieg der Inflation bei- senniveau (61,1 Prozent). Gleichzeitig klagen getragen (Hauber 2021). So nahmen die Ver- immer mehr Unternehmen über Personaleng- braucherpreise allein im zweiten Quartal um an- pässe, und die Zahl der offenen Stellen ist seit nualisiert 8,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal Beginn des Jahres sprunghaft gestiegen. Eine zu. Am aktuellen Rand hat die Inflation inzwi- mögliche Erklärung für diese Entwicklung stellt schen deutlich nachgelassen, nicht zuletzt weil die im Rahmen des „CARES Act“ und „American die Preise in den genannten Produktgruppen Rescue Plan Act“ bis Anfang September gel- teilweise sogar deutlich sanken. Im Juli und Au- tende Erhöhung der Arbeitslosenversicherung gust lag der monatliche Anstieg des Verbrau- dar, die Erwerbspersonen möglicherweise von cherpreisindex nur noch bei 5,8 bzw. 3,3 Prozent der Arbeitsaufnahme abhält.2 Ein weiterer Grund (annualisiert). Die von vielen Beobachtern und für die im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen der Federal Reserve geteilte Einschätzung Produktion schleppende Erholung am Arbeits- scheint sich bislang zu bestätigen, dass die ak- markt könnte sein, dass trotz der kurzen Dauer tuell sehr hohen Inflationsraten vor allem Basis- der Rezession und der interruptiven Natur des effekten sowie Sonderfaktoren im Zusammen- Schocks derzeit eine Reallokation von Arbeits- hang mit Lieferengpässen und der kräften über Firmen, Branchen und Regionen Abbildung 16: Abbildung 15: Inflation in den Vereinigten Staaten Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten Verbraucherpreise Prozent 6 Kernindex Verbraucherpreise Prozent Millionen Deflator des privaten Verbrauchs 20 155 Arbeitslosenquote Kernindex Deflator Beschäftigung (rechte Skala) 5 150 15 145 4 140 3 10 135 2 130 1 5 125 120 0 0 115 -1 2012 2014 2016 2018 2020 2012 2014 2016 2018 2020 Monatsdaten; saisonbereinigt. Monatswerte. Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Kernindex: ohne Energie und Nahrungsmittel. Quelle: US Department of Labor, Employment Situation. Quelle: US Department of Labor, Consumer Price Index. 2 Eine überzeugende Evidenz für diese These gibt es Juni und Juli aus. Dort kam es in der Folge jedoch freilich nicht: In 26, überwiegend republikanisch re- nicht zu einem schnelleren Beschäftigungsaufbau als gierten Bundesstaaten liefen die Zahlungen bereits im in den übrigen Gliedstaaten (The Economist, 2021a). 15
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3) Normalisierung der Wirtschaft nach der Pande- haben während der Pandemie sehr hohe Er- mie geschuldet und somit vorübergehender Na- sparnisse gebildet, die im Prognosezeitraum tur sind. Einen Rückgang der Inflation erwarten den Konsum stützen dürften. Zudem normali- auch die Finanzmarktteilnehmer. Allerdings siert sich die wirtschaftliche Aktivität weltweit in rechnen sie aktuell für die kommenden fünf den kommenden Jahren weiter, so dass die Aus- Jahre im Durchschnitt mit Anstiegen des Ver- fuhren deutlich zulegen werden. Die Geldpolitik braucherpreisindex, die mit 2,5 Prozent etwas bleibt expansiv und zusätzlichen Schub erhält über dem Inflationsziel der Notenbank von 2 Pro- die Konjunktur von der Finanzpolitik. Alles in al- zent liegen. lem rechnen wir mit Zuwächsen der gesamtwirt- schaftlichen Produktion in Höhe von 4,9 und 2,6 Die Geldpolitik wird im Prognosezeitraum Prozent in den Jahren 2022 bzw. 2023, nach ei- nur allmählich gestrafft, seitens der Fiskalpo- nem Anstieg von 5,7 im laufenden Jahr (Tabelle litik rechnen wir mit zusätzlichen Impulsen. 3). Bei dieser Konjunktur wird die Beschäftigung Vor dem Hintergrund der schleppenden Erho- weiter ausgeweitet werden. Wie in den vergan- lung am Arbeitsmarkt und eines nach Einschät- genen Rezessionen dürfte es aber auch diesmal zung der Notenbank nur temporär erhöhten einige Zeit dauern, bis der Arbeitsmarkt sich voll- Preisauftriebs wird die geldpolitische Straffung ständig erholt hat. Die Arbeitslosigkeit wird wohl wohl langsamer erfolgen als im Sommer von uns erst zum Ende des Prognosezeitraums mit 3,8 erwartet. Wir rechnen damit, dass der Offen- Prozent wieder in etwa so niedrig sein wie vor marktausschuss des Federal Reserve Board der Pandemie. Getrieben von Sonderfaktoren zum Ende des laufenden Jahres beginnt, seine nehmen die Verbraucherpreise mit 4,3 Prozent Anleihekäufe im Umfang von etwa 120 Mrd. Dol- in diesem Jahr außergewöhnlich stark zu. Im lar je Monat sukzessive zurückzufahren; erst ge- weiteren Verlauf lässt der Preisauftrieb zwar gen Ende des Prognosezeitraums dürften dann merklich nach, er bleibt aber auch wegen der zu- erste Zinserhöhungen folgen. Finanzpolitisch nehmenden Auslastung der gesamtwirtschaftli- verhandelt der Kongress zurzeit über ein partei- chen Produktionskapazitäten mit 3,2 bzw. 2,3 übergreifendes Infrastrukturprogramm mit Mehr- Prozent in den Jahren 2022 und 2023 höher als ausgaben im Umfang von etwa 250 Mrd. Dollar in den vergangenen Jahren. (CBO 2021) sowie den zehnjährigen Haushalts- plan, der zusätzliche Defizite in Höhe von bis zu Tabelle 3: 1750 Mrd. Dollar vorsieht (Committee for a Eckdaten zur Konjunktur in den Vereinigten Staaten Responsible Federal Budget 2021). Zum jetzi- 2020 2021 2022 2023 gen Zeitpunkt ist jedoch noch unklar, in welchem Bruttoinlandsprodukt -3,4 5,7 4,9 2,6 Umfang diese Vorhaben umgesetzt werden. In Inländische Verwendung -3,0 6,7 4,4 2,3 Private Konsumausgaben -3,8 8,2 4,7 2,2 unserer Prognose unterstellen wir etwas höhere Staatsausgaben 2,5 0,8 0,9 0,7 Defizite im Bundeshaushalt als das Congressio- Anlageinvestitionen -2,7 8,6 3,3 4,2 nal Budget Office in seiner jüngsten Prognose Ausrüstungen -8,3 14,4 3,7 3,5 Geistige Eigentumsrechte 2,8 9,6 4,4 3,8 annimmt, die sich an der aktuellen Gesetzeslage Gewerbliche Bauten -12,5 -6,8 3,8 7,3 orientiert. Wohnungsbau 6,8 10,6 1,2 3,6 Vorratsveränderungen -0,5 -0,2 0,6 0,0 Die Zuwachsraten des Bruttoinlandspro- Außenbeitrag -0,4 -1,0 0,5 0,2 Exporte -13,6 5,3 10,6 6,2 dukts nehmen im Prognosezeitraum ab, blei- Importe -8,9 12,9 5,1 3,9 ben jedoch über dem Potenzialwachstum. Verbraucherpreise 1,2 4,3 3,2 2,3 Arbeitslosenquote 8,1 5,5 4,3 3,8 Zwar wird die Produktion in der zweiten Jahres- Leistungsbilanzsaldo -2,5 -3,1 -2,3 -2,2 hälfte wohl etwas langsamer zulegen als noch Budgetsaldo (Bund) -14,8 -14,0 -6,0 -5,2 zuletzt. Dies ist jedoch in erster Linie auf eine Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Veränderung gegen- temporäre Konsumzurückhaltung der privaten über dem Vorjahr in Prozent. — Außenbeitrag, Vorratsver- Haushalte vor dem Hintergrund eines wieder änderungen: Lundberg-Komponente. — Arbeitslosenquote: in Prozent der Erwerbspersonen. — Leistungsbilanzsaldo, aufgeflammten Infektionsgeschehens zurück- Budgetsaldo: in Prozent des nominalen Bruttoinlandspro- zuführen und nicht auf eine nachhaltige Kon- dukts. — Budgetsaldo: Fiskaljahr. junkturschwäche. Denn die wesentlichen Auf- Quelle: Bureau of Economic Analysis; US Department of La- triebskräfte bleiben intakt. So ist reichlich Kauf- bor, Employment Situation and Consumer Price Index; US Department of the Treasury, Monthly Treasury Statement; kraft vorhanden, denn die privaten Haushalte Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel. 16
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