KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Weltwirtschaft im Herbst 2021 - Kiel Institute for the World ...

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KIELER KONJUNKTUR-BERICHTE - Weltwirtschaft im Herbst 2021 - Kiel Institute for the World ...
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

KIELER
KONJUNKTUR-
BERICHTE

Weltwirtschaft
im Herbst 2021

Abgeschlossen am 23. September 2021
                                       © Daniel Wolcke / IfW Kiel

                                                                       Nr. 81 (2021|Q3)
Klaus-Jürgen Gern, Philipp Hauber, Stefan Kooths,
und Ulrich Stolzenburg

                                                                          Forschungszentrum
                                                                    Konjunktur und Wachstum
                                                                                       1
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      INHALTSVERZEICHNIS

      Erholungspfad mit Stolpersteinen

         Überblick ............................................................................................................................ 3
            Pandemieentwicklung nach wie vor konjunkturprägend .............................................. 4
            Lieferengpässe bremsen Welthandel und Industrieproduktion .................................... 5
            Weiterhin expansive Geld- und Finanzpolitik .............................................................. 9
         Die Prognose im Einzelnen .............................................................................................. 14
            Vorübergehend langsameres Expansionstempo in den Vereinigten Staaten ............ 14
            Weniger schwungvolle Expansion in China .............................................................. 17
            Zeitweise gedämpfte Konjunkturerholung in der Europäische Union ........................ 18
            Japan: Weiter deutliche Dämpfung der Konjunktur durch Corona ............................. 21
            Das Vereinigte Königreich schreitet voran auf dem Weg in die Normalität ................ 22
            Pandemiebedingte Schwächephasen in den Schwellenländern ............................... 24
      Literatur ........................................................................................................................... 28

                                                                                                                                                    2
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      ERHOLUNGSPFAD MIT STOLPERSTEINEN

      Von Klaus-Jürgen Gern, Philipp Hauber, Stefan Kooths und Ulrich Stolzenburg

      Die Dynamik der weltweiten Konjunkturerholung hat           Überblick
      sich im ersten Halbjahr 2021 als Folge von neuen Co-
      vid-19-Schüben und Problemen in den Lieferketten            Die Weltwirtschaft expandierte im ersten
      deutlich verlangsamt. Die Bremsfaktoren bleiben zwar        Halbjahr 2021 insgesamt nur noch in mode-
      vorerst wirksam, die Weltproduktion steigt nach dem         ratem Tempo, bei sehr unterschiedlichem
      historischen Einbruch im vergangenen Jahr dennoch           Verlauf in den einzelnen Regionen. Nach einer
      kräftig. Allerdings haben wir unsere Erwartung für den      deutlichen Verlangsamung im ersten Quartal hat
      Zuwachs der Weltproduktion in diesem Jahr (auf Ba-          sich die weltwirtschaftliche Dynamik im zweiten
      sis von Kaufkraftparitäten) von 6,7 Prozent auf 5,9         Vierteljahr nochmals etwas abgeschwächt. Die
      Prozent reduziert. Den Produktionsanstieg im Jahr           Weltproduktion stieg saisonbereinigt gegenüber
      2022 haben wir demgegenüber um 0,2 Prozentpunkte            dem Vorquartal nur noch mit einer Rate von rund
      auf 5,0 Prozent hochrevidiert. Auch im Jahr 2023 wird
                                                                  0,5 Prozent (Abbildung 1). Insgesamt nahm die
      die weltwirtschaftliche Aktivität mit 3,8 Prozent vo-
                                                                  globale Produktion im ersten Halbjahr etwas
      raussichtlich nochmals recht kräftig zunehmen. Die In-
                                                                  langsamer zu als im Durchschnitt der Jahre vor
      flation auf der Verbraucherebene hat im laufenden
      Jahr weltweit stark angezogen. Maßgeblich dafür wa-         der Corona-Krise. Damit legte die Erholung von
      ren aber wohl vor allem temporäre Faktoren, so dass         dem im ersten Halbjahr 2020 verzeichneten
      der Preisauftrieb im Verlauf des kommenden Jahres           Konjunktureinbruch eine Pause ein. Hierzu tru-
      wieder zurückgehen dürfte und eine ausgeprägte              gen zum einen hohe Infektionszahlen in vielen
      Straffung der Geldpolitik im Prognosezeitraum nicht         Ländern und die zu ihrer Eindämmung ergriffe-
      zu erwarten ist. Es gibt aber preistreibende Faktoren       nen Maßnahmen bei, zum anderen zuneh-
      wie die Anspannungen an den Produktmärkten und in           mende Probleme in den Lieferketten, welche
      den Logistiknetzen oder die hohe aufgestaute Kauf-          den Aufschwung der Industrieproduktion dämpf-
      kraft, die sich als stärker und nachhaltiger herausstel-    ten. Die Corona-Pandemie bremste die Konjunk-
      len könnten als erwartet und damit das Risiko, dass
                                                                  tur in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften
      sich die Inflation verfestigt. In dem Fall wäre ein rest-
      riktiver geldpolitischer Kurs angezeigt, mit negativen      Abbildung 1:
      Folgen für die Konjunktur.                                  Weltwirtschaftliche Aktivität

                                                                        Prozent                                            Index
                                                                    9                                                              102
                                                                                                    Bruttoinlandsprodukt

                                                                    6                                                              101

                                                                    3                                                              100

                                                                    0                                                              99

                                                                   -3                                                              98
                                                                                   IfW-Indikator (rechte Skala)

                                                                   -6                                                              97

                                                                   -9                                                              96
                                                                     2007   2009    2011    2013   2015    2017   2019     2021

                                                                   Quartalsdaten; saisonbereinigt; Indikator be-rechnet auf Basis
                                                                   von Stimmungsindikatoren aus 42 Ländern; Bruttoinlands-
                                                                   produkt: preisbereinigt,    Veränderung      gegenüber    dem
                                                                   Vorquartal, 46 Länder, gewichtet nach Kaufkraftparität.

                                                                   Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen;
                                                                   Berechnungen des IfW Kiel.

                                                                                                                                         3
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      vor allem in den ersten Monaten des laufenden                       ersten Quartal 2021 als Folge einer neuen Welle
      Jahres. Ab dem Frühjahr belebte sie sich in die-                    der Pandemie fast zum Stillstand gekommen
      sem Länderkreis dann deutlich angesichts zu-                        war, legte das Bruttoinlandsprodukt dieser Län-
      meist stark sinkender Fallzahlen und rascher                        dergruppe im Zuge der Lockerung der Infekti-
      Fortschritte bei der Durchimpfung der Bevölke-                      onsschutzmaßnahmen und einer zunehmenden
      rung. Demgegenüber verschlechterte sich die                         Normalisierung der wirtschaftlichen Aktivität im
      pandemische Situation in vielen Schwellenlän-                       zweiten Quartal wieder kräftig zu (Abbildung 3).
      dern im Verlauf des Jahres, so dass die wirt-                       Das Profil der Entwicklung war allerdings in den
      schaftliche Aktivität im zweiten Quartal stärker                    einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Nahezu
      belastet wurde als zu Jahresbeginn. Die unter-                      ungebremst, mit Quartalszuwächsen von jeweils
      schiedlichen Konjunkturtendenzen spiegeln sich                      reichlich 1,5 Prozent, expandierte die gesamt-
      in den Unternehmensumfragen: Während sich                           wirtschaftliche Produktion im bisherigen Verlauf
      die Stimmung in den fortgeschrittenen Volkswirt-                    des Jahres in den Vereinigten Staaten, wozu
      schaften im Frühjahr deutlich aufgehellt hat und                    auch erhebliche fiskalische Impulse beitrugen. In
      bis zuletzt trotz einer leichten Abschwächung im                    Europa schwächte sich die Konjunktur hingegen
      längerfristigen Vergleich sehr positiv blieb, hat                   im Winterhalbjahr deutlich ab. Hier hatten starke
      sie sich in den Schwellenländern in den vergan-                     Infektionswellen zu besonders einschneidenden
      genen Monaten wieder deutlich verschlechtert                        neuerlichen Beschränkungen von sozialen Kon-
      (Abbildung 2).                                                      takten und wirtschaftlicher Aktivität geführt. Mit
                                                                          deren Lockerung und angesichts rascher Impf-
       Abbildung 2:                                                       fortschritte belebte sich die gesamtwirtschaftli-
       Unternehmenszuversicht nach Ländergruppen                          che Produktion insbesondere im Dienstleis-
             Index
                                                                          tungssektor im Frühjahr zügig, und das Niveau
       102                                                                der Produktion vom Herbst wurde wieder deut-
                                                                          lich übertroffen. In Japan, wo die Infektionszah-
       101
                                                                          len weniger stark sanken und der Anteil der ge-
       100                                                                impften Bevölkerung niedriger war, fiel die Bele-
                                                                          bung im zweiten Quartal hingegen weniger dy-
        99
                                                                          namisch aus, so dass hier der Produktionsrück-
        98                                                                gang vom ersten Quartal bis zum Sommer noch
                                                                          Abbildung 3:
        97
                                                                          Gesamtwirtschaftliche Entwicklung in den G7
        96                                                                        Prozent                  BIP
                           Welt                                            12
                                                                                                           Inländische Verwendung
                           Fortgeschrittene Volkswirtschaften              10
        95
                           Entwicklungs- und Schwellenländer
                                                                            8
        94
                                                                            6
          2007    2009   2011   2013    2015   2017    2019   2021
                                                                            4
       Monatsdaten, saisonbereinigt; teilweise geschätzt; auf der Basis
       der im IfW-Indikator enthaltenen Stimmungsindikatoren für 42         2
       Länder (34 fortgeschrittene Volkswirtschaften und 8
       Schwellenländer).                                                    0

                                                                            -2
       Quelle: OECD, Main Economic Indicators; nationale Quellen;
       Berechnungen des IfW Kiel.                                           -4

                                                                            -6
      Pandemieentwicklung nach wie vor kon-                                 -8
      junkturprägend                                                       -10

      In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften                           -12
                                                                                 2012       2014    2016         2018     2020
      erholte sich die Wirtschaft im zweiten Quartal
                                                                          Quartalsdaten; preis- und saisonbereinigt; Veränderung gegen-
      von dem zu Jahresbeginn verzeichneten                               über dem Vorquartal; G7: Vereinigte Staaten, Japan, Kanada,
      Rückschlag. Nachdem die Erholung der ge-                            Deutschland, Frankreich, Italien und Vereinigtes Königreich.

      samtwirtschaftlichen Produktion in der Gruppe                       Quelle: OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des
                                                                          IfW Kiel.
      der fortgeschrittenen Volkswirtschaften im

                                                                                                                                          4
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      nicht wieder wettgemacht wurde. In den anderen      Abbildung 4:
      fortgeschrittenen   Volkswirtschaften     Asiens    Mobilitätsdaten in ausgewählten Ländern

      schwächte sich die Konjunktur im Verlauf des               Prozent
      ersten Halbjahres sogar deutlich ab. Hier war die
      Produktion im ersten Quartal aber auch noch            0
      kräftig gestiegen.
      In den Schwellenländern wurde die Konjunk-           -20
      turerholung im Zuge neuer Infektionswellen
      unterbrochen. Der kräftige Anstieg des Brutto-
      inlandsprodukts, der in der zweiten Hälfte des       -40
      vergangenen Jahres in nahezu allen Schwellen-
      ländern verzeichnet worden war, setzte sich im
      ersten Halbjahr 2021 nicht mehr fort. Aufgrund       -60

      eines coronabedingten neuerlichen schweren
                                                                                                      Euroraum
      wirtschaftlichen Einbruchs in Indien dürfte die                                                 UK
                                                           -80
      Produktion dieser Ländergruppe im zweiten                                                       USA
      Quartal sogar gesunken sein. Auch in anderen                                                    Indien
                                                                                                      Lateinamerika
      asiatischen Schwellenländern und in Lateiname-      -100
      rika bremsten gestiegene Infektionszahlen die          1.1.20 1.4.20 1.7.20 1.10.20 1.1.21 1.4.21 1.7.21 1.10.21
      wirtschaftliche Aktivität spürbar. In China nahm     Tagesdaten, Einzelhandel und Freizeiteinrichtungen,
      das Bruttoinlandsprodukt im Quartalsvergleich        Abweichung ggü. gleichem Wochentag im Zeitraum Januar bis
                                                           Februar.
      zwar stärker zu als zu Beginn des Jahres, der
                                                           Quelle: Google Covid-19 Mobility Report.
      Zuwachs blieb aber verglichen mit den vor der
      Pandemie im Trend verzeichneten Raten mäßig.
                                                          Lieferengpässe bremsen Welthandel und
      Mobilitätsdaten deuten auf nachlassende             Industrieproduktion
      wirtschaftliche Effekte der Pandemie hin.
                                                          Der weltweite Warenhandel wurde durch au-
      Google-Daten zur Mobilität im Gastgewerbe und
      im Freizeitbereich können als Indikator für die     ßergewöhnliche Ereignisse gebremst, ope-
                                                          riert aber wohl auch an der Kapazitätsgrenze.
      Aktivität in den personennahen Dienstleistungen
                                                          Der vom niederländischen Institut CPB erfasste
      herangezogen werden, die besonders unter den
      pandemiebedingten Einschränkungen gelitten          Welthandel mit Waren hat sich von dem pande-
                                                          miebedingten Einbruch rasch erholt und über-
      haben. Sie zeichnen ein differenziertes Bild mit
                                                          stieg sein Vorkrisenniveau im März und April die-
      einer fortgeschrittenen Normalisierung in vielen
      Ländern, nicht zuletzt in Europa, während in an-    ses Jahres bereits um knapp 5 Prozent. Seitdem
                                                          hat er sich allerdings nicht weiter erhöht (Abbil-
      deren Ländern, wie den Vereinigten Staaten und
                                                          dung 5). Der Aufschwung des internationalen
      Japan, in diesem Bereich immer noch ein deut-
      lich vermindertes Aktivitätsniveau vorherrscht,     Warenhandels – nach einer längeren Phase der
                                                          Stagnation – war nicht zuletzt dadurch bedingt,
      verglichen mit der Zeit vor der Krise. Auch wenn
                                                          dass sich Nachfrage von personennahen
      die Infektionswellen der vergangenen Monate in
      einigen Ländern erhebliche Auswirkungen hat-        Dienstleistungen, deren Konsum durch admi-
                                                          nistrative Maßnahmen und Verhaltensänderun-
      ten, besonders deutlich im Fall von Indien,
                                                          gen zur Eindämmung der Pandemie beeinträch-
      scheint der Einfluss auf die Mobilität inzwischen
      geringer zu sein als am Beginn der Krise. Insbe-    tigt war, auf handelbare Güter verlagert hat, die
                                                          zu einem großen Teil direkt oder indirekt (in
      sondere haben die zuletzt wieder höheren Fall-
                                                          Form von Vorprodukten) im Ausland produziert
      zahlen in Europa bislang nicht zu einem deutli-
      chen Rückgang der Mobilität im betrachteten         werden, insbesondere im asiatischen Raum. Der
                                                          jüngst verzeichnete Verlust an Handelsdynamik
      Sektor geführt (Abbildung 4).
                                                          ist nun wohl auch darauf zurückzuführen, dass
                                                          sich die Konsumstruktur zu normalisieren be-
                                                          gonnen hat. Darüber hinaus dürfte auch eine

                                                                                                                         5
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Rolle spielen, dass die Kapazitäten im Seever-                   Abbildung 6:
      kehr – seien es Schiffskapazitäten, Container-                   Containerfrachtraten, ausgewählte Strecken
      verfügbarkeiten oder Abfertigungskapazitäten in                            US-Dollar
      den Häfen – offenbar kaum noch in der Lage                       25000
      sind, zusätzliche Volumen zu bewältigen. Hie-                                              China/Ostasien-Nordeuropa
      rauf deutet die Entwicklung der Frachtraten hin,                                           China/Ostasien-Nordamerika

      die sich bereits seit Ende 2020 drastisch erhöht                 20000                     Nordeuropa-China/Ostasien

      haben (Abbildung 6). Die Anspannungen im Lo-                                               Nordamerika-China/Ostasien
                                                                                                 Europa-Nordamerika
      gistikgefüge zeigen sich auch darin, dass sich
      der Anteil der Schiffskapazität, die zwar beladen,               15000
      aber nicht in Fahrt ist, seit Beginn der Krise etwa
      verdoppelt hat und weitaus höher ist als normal
      – ein Indikator für das Ausmaß der Belastungen                   10000
      des Systems durch Staus (Abbildung 7). Im Ver-
      lauf dieses Jahres wurde die Situation zusätzlich
      verschärft durch einzelne Ereignisse von erheb-
                                                                        5000
      licher Tragweite, wie die fast eine Woche wäh-
      rende Sperrung des Suezkanals infolge einer
      Schiffshavarie Ende März oder die zeitweise
                                                                            0
      Schließung beträchtlicher Abfertigungskapazitä-                           2018          2019           2020             2021
      ten in großen chinesischen Häfen im Sommer
                                                                       Monatsdaten. Nordamerika: bezieht sich auf Strecken zur
      als Folge von Corona-Infektionen einzelner Ar-                   Ostküste.
      beiter. Aufgrund geschlossener Häfen und Ter-
                                                                       Quelle: Freigthos Baltic Index.
      minals sowie langer Wartezeiten vor den verblie-
      benen Abfertigungskapazitäten lag das Fracht-
      volumen im Roten Meer – der wichtigsten See-                     Abbildung 7:
      Handelsroute zwischen China und Europa – im                      Blockierte Schiffskapazität

      August 20 Prozent niedriger, als unter normalen
                                                                            Prozent
      Umständen zu erwarten gewesen wäre (Stamer
      2021).                                                            5

       Abbildung 5:
       Welthandel
                                                                        4
               2012=100
        140
                       Welthandel insgesamt
                       Industrieländer
        130            Entwicklungs-und Schwellenländer                 3

        120

                                                                        2
        110

        100
                                                                        1

         90

                                                                        0
         80
                                                                         2015          2016   2017   2018     2019     2020     2021

         70
           2007   2009    2011   2013    2015     2017   2019   2021   Monatsdaten. Anteil der Frachtkapazität der weltweiten
                                                                       Containerseeschiffahrt, die beladen ist, aber nicht unterwegs.
       Monatsdaten; preis- und saisonbereinigt.
                                                                       Quelle: Berechnungen von Vincent Stamer (IfW Kiel) mit Daten
       Quelle: CPB, World Trade Monitor; Berechnungen des IfW Kiel.    Fleetmon.com.

                                                                                                                                        6
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Der Aufschwung der Industrieproduktion ist               Drittel in den Index eingehen, bewegten sich in
      infolge von Angebotsengpässen und logisti-               den vergangenen drei Monaten in einem engen
      schen Problemen unterbrochen worden. Die                 Band um rund 70 US-Dollar je Barrel der Sorte
      weltweite Warenproduktion hatte ihr Vorkrisenni-         Brent. Der Beschluss der OPEC, im Verein mit
      veau bereits im Herbst des vergangenen Jahres            Russland die Förderung entsprechend der er-
      wieder erreicht und übertraf es zu Beginn des            warteten Nachfragesteigerung anzuheben, lässt
      Jahres 2021 um rund 3,5 Prozent. Seither hat sie         eine ausreichende Markversorgung erwarten,
      allerdings nicht weiter zugenommen. Sie stag-            zumal die Produktion außerhalb der OPEC deut-
      nierte nicht nur in den fortgeschrittenen Volks-         lich zunehmen dürfte. Wir rechnen damit, dass
      wirtschaften, sondern auch in den Schwellenlän-          sich die Lagerbestände im Prognosezeitraum
      dern, die in der Regel eine dynamischere Indust-         nicht weiter verringern und die Preise in den
      rieproduktion aufweisen. In China war sie im             kommenden Quartalen leicht zurückgehen. Für
      Frühjahr sogar spürbar rückläufig. Hier dürfte           2023 unterstellen wir reale Konstanz (Abbil-
      eine Rolle gespielt haben, dass wieder vermehrt          dung 8). Besonders stark haben im bisherigen
      Maßnahmen ergriffen wurden, um aufkeimen-                Verlauf dieses Jahres die Industrierohstoffe zu-
      den Corona-Infektionen zu begegnen. Wichtiger            gelegt, teilweise haben sie ihre historischen
      ist aber wohl das Abklingen der Sonderkonjunk-           Höchststände von vor rund zehn Jahren über-
      tur für sogenannte Pandemiegüter (Schutzklei-            troffen. Vieles spricht dafür, dass das Preisni-
      dung, Masken etc.) und Elektronikprodukte, von           veau bei einigen Industrierohstoffen für längere
      der chinesische Produzenten besonders profi-             Zeit sehr hoch bleiben wird (Gern 2021a). Bei
      tiert hatten. In den fortgeschrittenen Volkswirt-        anderen Rohstoffen haben sich indes bereits
      schaften ist die Schwäche der Industrieproduk-           deutliche Preiskorrekturen ergeben, etwa bei
      tion indes im Wesentlichen nicht nachfrageindu-          Bauholz oder Eisenerz, das zuletzt kaum noch
      ziert. Vielmehr fällt es den Produzenten zuneh-          höher notierte als im Jahr 2019. Insgesamt rech-
      mend schwer, dem Bedarf gerecht zu werden,               nen wir für die Rohstoffe ohne Energie mit etwas
      weil die Kapazitäten ausgelastet sind, oder Vor-         nachgebenden Preisen im kommenden Jahr.
      produkte fehlen bzw. nur zu Preisen erhältlich
      sind, die eine rentable Produktion verhindern. 1         Abbildung 8:
      Weltweit ist der Mangel an Halbleiterprodukten           Rohstoffpreise
      ein restringierender Faktor, der noch längere
                                                                     2015=100                                    US-Dollar
      Zeit bedeutsam bleiben dürfte, da die Hersteller         250                Rohstoffpreise ohne Energie                140
      von Computerchips ihre Produktion nur langsam                               Ölpreis (rechte Skala)
                                                                                                                             120
      an die gestiegene Nachfrage anpassen können.             200
      Andere Engpässe, die sich zwischenzeitlich ge-                                                                         100
      zeigt haben, etwa bei Baumaterialien oder Che-
                                                               150
      miegrundstoffen, könnten sich hingegen rascher                                                                         80

      auflösen, sofern die Logistiksysteme wieder rei-
                                                                                                                             60
      bungslos funktionieren und ein gesteigertes An-          100

      gebot zu akzeptablen Kosten zu den Kunden ge-                                                                          40
      bracht werden kann.                                       50
                                                                                                                             20
      Verstärkter Inflationsdruck
                                                                 0                                                           0
      Die Rohstoffpreise sind stark gestiegen,                    2012     2014     2016     2018     2020      2022
      dürften ihren aktuellen Höhepunkt aber über-
      schritten haben. Der HWWI-Index für Rohstoff-            Monatsdaten; Rohstoffpreise: HWWI-Index auf US-Dollarbasis;
                                                               Ölpreis: Spotpreis Sorte Brent. Grau schattiert: Prognose des IfW
      preise hat sich seit Frühjahr 2020 mehr als ver-         Kiel.
      doppelt. Zuletzt sind die Notierungen allerdings         Quelle: International Petroleum Exchange           via   Refinitiv
                                                               Datastream; HWWI, Rohstoffpreisindex.
      insgesamt nicht mehr gestiegen. Die Rohöl-
      preise, die mit einem Gewicht von mehr als zwei

      1 Vgl. Ademmer et al. (2021) für eine Analyse der Lie-   Produktion im Verarbeitenden Gewerbe besonders
      ferengpässe in Deutschland, wo die Diskrepanz zwi-       augenfällig ist.
      schen steigenden Auftragseingängen und sinkender

                                                                                                                                    7
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Die Nahrungsmittelpreise könnten dauerhaft           historischen Erfahrungen bei einem solch kräfti-
      hoch bleiben. Auch die Preise für viele Agrar-       gen Rohstoffpreisschub zu erwarten gewesen
      rohstoffe sind in letzter Zeit deutlich gestiegen.   wäre. Um die gegenwärtige Inflationsentwick-
      Bei vielen Produkten wie Baumwolle und Kaut-         lung zu erklären, bedarf es bislang also keiner
      schuk liegen sie zwar noch innerhalb der             außergewöhnlichen Erklärungsansätze wie Lie-
      Schwankungsbreiten der letzten Jahre, die No-        ferengpässe oder verändertes Preissetzungs-
      tierungen wichtiger Nahrungsmittel auf dem           verhalten bei Erzeugern oder im Handel. Nach
      Weltmarkt sind dagegen in die Nähe ihrer histo-      historischem Muster wird der Preisschub bei den
      rischen Höchststände gestiegen, im Falle von         Erzeugerpreisen wieder abklingen, sobald der
      Mais und Sojabohnen sogar deutlich darüber.          Anstieg der Rohstoffpreise zum Ende gekom-
      Dies ist vor allem auf witterungsbedingt schwa-      men ist.
      che Ernteaussichten in wichtigen Erzeugerlän-
      dern zurückzuführen, wobei spekulative Händler        Abbildung 9:
      die daraus resultierenden zukünftigen Versor-          Verbraucher- und Erzeugerpreise in den OECD-Län-
      gungsengpässe antizipieren und somit frühzeitig       dern
                                                                  Prozent                                            Prozent
      einpreisen. Hohe Weltmarktpreise für Grund-
                                                            15                       Verbraucherpreise                           80
      nahrungsmittel sind insbesondere ein Problem                                   Erzeugerpreise
      für die Entwicklungs- und Schwellenländer, in                                  Rohstoffpreise (rechte Skala)
      denen Nahrungsmittel einen vergleichsweise                                                                                 60
                                                            10
      großen Anteil am repräsentativen Warenkorb
      ausmachen, so dass die Inflation dadurch stark                                                                             40
      beeinflusst wird und ein bedeutsamer Teil der
      Bevölkerung sogar in existenzielle Nöte geraten        5
                                                                                                                                 20
      kann. In der Vergangenheit haben sich die Preis-
      spitzen an den Nahrungsmittelmärkten regelmä-
                                                                                                                                 0
      ßig umgekehrt, wenn in Jahren mit guten Ernten         0
      die Produktion den Verbrauch überstieg und die
      Lagerbestände wieder aufgefüllt werden konn-                                                                               -20

      ten. Es besteht jedoch die Gefahr, dass ungüns-        -5
      tige Witterungsbedingungen aufgrund der globa-                                                                             -40
      len Erwärmung eher die Regel als die Ausnahme
      werden, wodurch die Produktivität der Landwirt-       -10                                                                  -60
      schaft in den kommenden Jahren weltweit sin-             2007    2009   2011     2013    2015      2017    2019     2021
      ken und die Preise dauerhaft steigen könnten.
                                                            Monatswerte. Veränderung gegenüber dem Vorjahr.
      Die Erzeugerpreise nahmen sehr kräftig zu,            Quelle: OECD Main Economic Indicators,                   Internationaler
      aber im Einklang mit der Entwicklung der              Währungsfonds Primary Commodity Prices.
      Rohstoffpreise. In den fortgeschrittenen Volks-
      wirtschaften haben sich die Erzeugerpreise im
      Verlauf der letzten zwölf Monate drastisch er-       Der starke Anstieg der Verbraucherpreisin-
      höht. Im Juli waren sie OECD-weit um rund 12         flation reflektiert vor allem temporäre Fakto-
      Prozent höher als ein Jahr zuvor. Dies ist der der   ren... Die Inflation in den fortgeschrittenen
      stärkste Anstieg seit Anfang der 1980er Jahre.       Volkswirtschaften, die als Folge der Krise zu-
      Die Erzeugerpreise haben in der Regel einen en-      nächst gesunken war, hat inzwischen stark an-
      gen Zusammenhang mit den Rohstoffpreisen.            gezogen. In den G7-Ländern insgesamt lag die
      Nimmt man den derzeit verzeichneten drasti-          Inflationsrate im August bei 3,9 Prozent; im Eu-
      schen Anstieg der Rohstoffpreise mit ins Bild,       roraum stieg sie im August auf 3,0 Prozent, in
      zeigt sich, dass die gegenwärtige Preisentwick-      den Vereinigten Staaten liegt sie bereits seit drei
      lung auf der Produzentenebene dem histori-           Monaten bei über 5 Prozent. Zu einem Teil ist
      schen Muster folgt (Abbildung 9). Auch die Zu-       der Anstieg der Inflationsrate Basiseffekten ge-
      nahme der Inflation auf der Verbraucherebene         schuldet, da die Preise ein Jahr zuvor im Zuge
      entspricht bislang dem, was nach den                 der      Krise      gesunken       waren.       Im

                                                                                                                                       8
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Vorjahresvergleich ist ein beträchtlicher Teil des    Abbildung 10:
      Preisanstiegs insbesondere dem wieder höhe-           Überschussersparnis
      ren Ölpreis geschuldet. Bei der Kernrate ist die
                                                                  Prozent
      Beschleunigung des Preisauftriebs bislang noch         12
                                                                                                     USA
      moderat, wenn man davon absieht, dass in den                                                   Japan
      Vereinigten Staaten einzelne Güterpreise im Zu-        10                                      Euroraum

      sammenhang mit der Pandemie temporär starke
                                                              8
      Anstiege verzeichnen. Preisdruck erzeugen
      auch die stark erhöhten Container-Frachtraten.          6
      Überträgt man Schätzungen aus dem Frühjahr
      (OECD 2021) über die Inflationswirkung der ge-          4
      stiegenen Frachtraten auf die gegenwärtige Si-
      tuation, könnten sie für sich genommen zu ei-           2

      nem Anstieg der Verbraucherpreise um knapp
                                                              0
      0,5 Prozent innerhalb eines Jahres führen. In-                I       II   III   IV   I   II     III   IV   I      II
      soweit die gegenwärtigen Angebotsengpässe in                           2019                2020                 2021
                                                             -2
      den kommenden Monaten allmählich überwun-
      den werden, wird sich allerdings auch der Preis-       Quartalsdaten, kalender- und saisonbereinigt. Kumuierte
                                                             Abweichung der Ersparnis von hypothtischen Werten auf
      auftrieb mit der Zeit wieder abschwächen.              Basis der durchschnittlichen Sparquote in den Jahren 2016-
                                                             2019.
      …aber es bestehen Risiken für eine nachhal-
                                                             Quellen: Eurostat Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen,
      tige Verstärkung des Preisauftriebs. Die kräf-         Bureau of Economic Analysis Personal Income and Outlays,
      tigen Impulse der Finanzpolitik und die weiter         OECD, Cabinet Office Japan.

      stark expansiv ausgerichtete Geldpolitik könnten
      die Nachfrage so stark anregen, dass das Ange-       Weiterhin expansive Geld- und Finanzpoli-
      bot nicht rasch genug ausgeweitet werden kann        tik
      und der Preisauftrieb weiter angeheizt wird.         Die Geldpolitik der großen Notenbanken
      Schon gegenwärtig zeichnen sich in einigen           bleibt expansiv ausgerichtet und wird nur
      Ländern Engpässe am Arbeitsmarkt ab. Zu be-          sehr vorsichtig gestrafft. Die Notenbanken in
      denken ist zudem, dass die privaten Haushalte        den fortgeschrittenen Volkswirtschaften haben
      während der Krise in großem Umfang zusätzli-         ihre expansiven Maßnahmen Ende des vergan-
      che Ersparnisse gebildet haben. Bis zuletzt war      genen Jahres vor dem Hintergrund wieder stei-
      die Sparquote in den großen fortgeschrittenen        gender Infektionsraten nochmals ausgeweitet
      Volkswirtschaften höher als in den Jahren vor        oder die Erwartungen für den Zeitpunkt einer
      der Krise. Berechnet man die so entstandene          Straffung nach hinten verschoben. So wurde das
      Überschussersparnis als Differenz zwischen ak-       Volumen der Anleihekaufprogramme im Euro-
      tueller Ersparnis und hypothetischer Ersparnis,      raum und im Vereinigten Königreich erhöht und
      die sich bei Anwendung der Vorkrisensparquote        deren Laufzeiten verlängert. In den Vereinigten
      ergibt, so belief sie sich im Verhältnis zum Brut-   Staaten erwirbt die Notenbank seit Ende 2020
      toinlandsprodukt zuletzt auf eine Größenord-         wie angekündigt monatlich Wertpapiere im Um-
      nung von 6 Prozent im Euroraum, mehr als 7           fang von durchschnittlich 120 Mrd. US-Dollar.
      Prozent in Japan sowie reichlich 11 Prozent in       Nachdem die Fed bereits im vergangenen Jahr
      den Vereinigten Staaten (Abbildung 10). Würde        eine neue Interpretation des Inflationsziels kom-
      dieses Sparpolster in nennenswertem Umfang           muniziert hatte, nach der das Zinsniveau noch
      zum Nachholen von Konsumausgaben genutzt,            längere Zeit extrem niedrig bleiben kann, auch
      sobald die pandemische Situation es erlaubt,         wenn die Referenzgröße (die Rate des Deflators
      würde der Inflationsdruck wohl weiter zunehmen       des privaten Verbrauches) über 2 Prozent klet-
      (Beckmann et al. 2021).

                                                                                                                              9
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      tert, hat nun auch die EZB ein symmetrisches In-              In den Schwellenländern hat die geldpoliti-
      flationsziel verkündet, das eine weniger rasche               sche Straffung bereits begonnen. Angesichts
      Reaktion auf steigende Inflationsraten erwarten               stark gestiegener Inflationsraten und zum Teil
      lässt. Da die langfristigen Zinsen in den vergan-             auch als Reaktion auf Abwärtsdruck auf den
      genen Monaten angesichts erneut steigender In-                Wechselkurs hat eine Reihe von Schwellenlän-
      fektionsraten und damit verbunden zunehmen-                   dern die Leitzinsen inzwischen bereits erhöht,
      der konjunktureller Unsicherheit wieder gesun-                zum Teil auch mehrfach. Beispiele sind Russ-
      ken sind, ist auch von dieser Seite gegenwärtig               land, Brasilien und die Türkei (Abbildung 12).
      keine Straffung der Geldpolitik zu erwarten (Ab-              Gemessen an den gegenwärtigen Inflationsra-
      bildung 11). Sofern das Szenario, dass sich die               ten sind die Zinsen aber in der Regel immer noch
      Inflation nach Abklingen der Basiseffekte wieder              niedrig.
      in der Nähe des Inflationsziels bewegt, nicht als
      Makulatur erweist, ist für den Prognosezeitraum                Abbildung 12:
                                                                     Geldpolitik in Schwellenländern
      noch nicht mit einer Anhebung der Leitzinsen im
      Euroraum zu rechnen, während das Volumen                        15
                                                                                          Diffusionsindex
      der im Rahmen des Anleihekaufprogramms                                              Gleitender Durchschnitt (3 Monate)
      PEPP monatlich erworbenen Wertpapiere wohl
                                                                      10
      ab dem Winterhalbjahr 2021/22 allmählich redu-
      ziert werden wird. In den Vereinigten Staaten                                                Restriktivere Geldpolitik
      wird die Notenbank wohl gegen Ende dieses                        5

      Jahres beginnen, ihre Wertpapierkäufe zu ver-
      ringern und im Jahr 2023 erste Zinserhöhungen                    0
      vornehmen. Für Japan ist der Inflationsdruck
      weiterhin vergleichsweise gering und mit einer
                                                                       -5
      Straffung der Geldpolitik im Prognosezeitraum
      nicht zu rechnen. Diese ist indes außerhalb der
      großen Währungsräume bereits in einigen klei-                   -10
      neren fortgeschrittenen Volkswirtschaften er-
                                                                                                  Expansivere Geldpolitik
      folgt. So haben in Europa Ungarn und Tsche-
                                                                      -15
      chien und in Asien Südkorea ihre Leitzinsen in
      den vergangenen Wochen angehoben.
                                                                      Monatsdaten. Der Diffusionsindex entspricht der Anzahl der
       Abbildung 11:                                                  Zentralbanken, die in einem gegebenen Monat die Zinsen
                                                                      erhöhten minus der Anzahl der Zentralbanken, die in einem
       Renditen auf 10-jährige Staatsanleihen                         gegebenen Monat die Zinsen senkten. Enthaltene
            Prozent                                                   Schwellenländer: Argentinien, Brasilien, Chile, China,
        4                                                             Indonesien, Indien, Kolumbien, Mexiko, Malaysia, Peru,
                                                         USA          Philippinen, Russland, Südafrika, Thailand, Türkei.
                                                         Euroraum
                                                                      Quelle: Bank of International Settlements (BIS); Berechnungen
                                                         Japan        des IfW Kiel.
        3

        2

                                                                    Die Finanzpolitik stimuliert auch während der
        1                                                           laufenden Erholung zunächst noch weiter.
                                                                    Die Regierungen haben in den fortgeschrittenen
                                                                    Volkswirtschaften – und in geringerem Umfang
        0
                                                                    auch in vielen Schwellenländern – umfangreiche
                                                                    Mehrausgaben und Steuerstundungen be-
       -1                                                           schlossen, um die wirtschaftlichen Folgen der
         2016         2017   2018     2019        2020     2021     Pandemie und der zu ihrer Bekämpfung ergriffe-
       Monatswerte (letzter Wert: August 2021).                     nen Maßnahmen zu mildern. Diese haben zu-
       Quelle: Federal Reserve, EZB, MoF Japan.                     sammen mit konjunkturbedingten Einnahmeaus-
                                                                    fällen die Fehlbeträge in den Staatshaushalten

                                                                                                                                      10
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      im vergangenen Jahr enorm erhöht (Abbil-            Ausgabenprogramme zur Stärkung der Infra-
      dung 13). Auch im laufenden Jahr werden um-         struktur oder zur Verringerung des CO2-Aussto-
      fangreiche fiskalische Stützungsprogramme           ßes wirken aber weiter expansiv. In den Schwel-
      wirksam. Diese gehen weit über die Finanzie-        lenländern werden die im vergangenen Jahr
      rung verbleibender pandemiebedingter Lasten         stark gestiegenen Budgetdefizite trotz der wirt-
      hinaus, die im Verlauf dieses Jahres mit fort-      schaftlichen Erholung nur allmählich reduziert,
      schreitender Normalisierung der wirtschaftlichen    wobei häufig – wie in den fortgeschrittenen
      Aktivität deutlich rückläufig sind. So werden in    Volkswirtschaften – längerfristige Ausgabenpro-
      den Vereinigten Staaten und im Euroraum,            gramme aufgesetzt worden sind, die vor allem
      ebenso wie im Vereinigten Königreich und in ge-     auf eine Stärkung der Infrastruktur zielen (IMF
      ringerem Maße in Japan, die strukturellen Defi-     2021).
      zite in diesem Jahr trotz der fortschreitenden
                                                          Ausblick: Aufschwung setzt sich durch
      konjunkturellen Erholung nochmals deutlich zu-
      nehmen. Auch in den kommenden Jahren wir-           Weitere Wellen der Pandemie und Angebots-
      ken die beschlossenen Programme expansiv,           engpässe bleiben zunächst Bremsen für die
      während die strukturellen Defizite mit dem Fort-    Erholung der Weltwirtschaft – die Produktion
      fall der pandemiebedingten Stützungsmaßnah-         steigt nach dem historischen Einbruch im
      men deutlich kleiner werden. Im Euroraum            vergangenen Jahr dennoch kräftig. Die Dyna-
      kommt zu den pandemiebedingten Wirtschafts-         mik der weltweiten Konjunkturerholung hat sich
      hilfen das 2020 beschlossene umfangreiche EU-       im ersten Halbjahr 2021 als Folge von neuen Co-
      Programm „Next Generation EU“ hinzu, das im         vid-19-Schüben und Problemen in den Lieferket-
      Verlauf des Prognosezeitraums zunehmend             ten deutlich verlangsamt. Wir rechnen ange-
      wirksam werden wird (Boysen-Hogrefe 2021).          sichts der stark ansteckenden Delta-Variante
      Im kommenden Jahr dürften die fiskalischen Kri-     des Virus auch für die kommenden Monate mit
      seninterventionsmaßnahmen bei dann voraus-          neuen Infektionswellen, welche die Konjunktur
      sichtlich kräftiger Konjunktur zwar auslaufen,      vor allem dort spürbar belasten werden, wo die
      während         der      Krise      beschlossene    Impfquoten noch zu gering sind, um auf Eindäm-
       Abbildung 13:
                                                          mungsmaßnahmen verzichten zu können. Aber
       Staatliche Finanzierungssalden in großen fortge-   auch ohne staatliche Maßnahmen dürften hohe
       schrittenen Volkswirtschaften                      Inzidenzen das Konsumklima belasten und die
                                                          weitere Normalisierung in den kontaktintensiven
                                                          Dienstleistungsbereichen verzögern. Mit zuneh-
                                                          mendem Impffortschritt und der damit verbunde-
                                                          nen Verringerung der Infektionsrisiken werden
                                                          sich die Rahmenbedingungen aber in den kom-
                                                          menden Monaten weiter verbessern, wenngleich
                                                          die Annäherung an ein Normalniveau der Ge-
                                                          schäftstätigkeit in den Bereichen, die in der bis-
                                                          herigen gesamtwirtschaftlichen Erholung noch
                                                          zurückhängen, wie Tourismus, Reiseverkehr
                                                          und Unterhaltungsgewerbe, wohl länger brau-
                                                          chen wird, als wir im Juni erwartet haben. Auch
                                                          die aus Lieferengpässen resultierenden Brems-
                                                          wirkungen haben sich als hartnäckiger erwiesen
                                                          als in unserer damaligen Prognose unterstellt.
                                                          So haben wir unsere Erwartung für den Zuwachs
                                                          der Weltproduktion (auf Basis von Kaufkraftpari-
                                                          täten) in diesem Jahr deutlich von 6,7 Prozent
                                                          auf 5,9 Prozent reduziert; der Einbruch um 3,1
                                                          Prozent aus dem vergangenen Jahr wird damit
                                                          gleichwohl mehr als wettgemacht. Den Produkti-
                                                          onsanstieg im Jahr 2022 haben wir

                                                                                                               11
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      demgegenüber um 0,2 Prozentpunkte auf 5,0                         zulegen und auch im Jahr 2023 mit einer Rate
      Prozent hochrevidiert. Auch im Jahr 2023 wird                     von 2,6 Prozent rascher expandieren als im mit-
      die weltwirtschaftliche Aktivität mit 3,8 Prozent                 telfristigen Trend (Tabelle 2). In den Vereinigten
      voraussichtlich nochmals recht kräftig zuneh-                     Staaten dürfte die Zuwachsrate mit 5,7 Prozent
      men (Tabelle 1). Auf der Basis von Marktwech-                     in diesem und 4,9 Prozent im nächsten Jahr
      selkursen ergeben sich Veränderungsraten der                      noch höher ausfallen als im Durchschnitt der
      globalen Produktion von 5,8 Prozent in diesem                     Ländergruppe, was nicht zuletzt auf starke fiska-
      und 4,9 bzw. 3,4 Prozent in den nächsten beiden                   lische Impulse zurückzuführen ist. Der Zuwachs
      Jahren. Für den weltweiten Warenhandel rech-                      in der EU ist mit 5 Prozent im Jahr 2021 zwar nur
      nen wir trotz der nur schwachen Zunahme im                        wenig kleiner, der im Vereinigten Königreich mit
      Verlauf für dieses Jahr mit einem Zuwachs um                      6,3 Prozent sogar höher, er folgt aber jeweils ei-
      reichlich 10 Prozent. Für das kommende Jahr er-                   nem stärkeren Einbruch der Aktivität im Jahr
      warten wir einen Anstieg um 3 Prozent, für 2023                   2020. Das Vorkrisenniveau der Produktion, das
      einen Zuwachs um 3,3 Prozent. Trotz des im                        in den Vereinigten Staaten bereits im zweiten
      vergangenen Jahr verzeichneten Rückgangs um                       Quartal 2021 überschritten wurde, wird bei die-
      5,3 Prozent wird er damit sogar höher ausfallen                   ser Prognose in der EU erst zu Beginn des
      als vor der Krise erwartet.                                       nächsten Jahres und im Vereinigten Königreich
                                                                        erst Ende 2022 erreicht. Bei alledem verringert
      In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften
                                                                        sich die Arbeitslosigkeit sukzessive weiter und
      setzt sich die Erholung über den gesamten
                                                                        dürfte im Jahr 2023 in vielen Ländern nur noch
      Prognosezeitraum fort. Die gesamtwirtschaftli-
                                                                        wenig höher sein als vor der Krise. Die Inflation
      che Produktion dürfte in diesem und im nächsten
                                                                        auf der Verbraucherebene geht im Verlauf des
      Jahr in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften
                                                                        kommenden Jahres wieder zurück und liegt im
      insgesamt mit 5,2 bzw. 4,4 Prozent sehr kräftig
                                                                        Jahr 2023 vermutlich in etwa bei 2 Prozent.

      Tabelle 1:
      Bruttoinlandsprodukt und Verbraucherpreise in der Welt 2021-2023
                                                  Gewicht       Bruttoinlandsprodukt                        Verbraucherpreise
                                                               2021       2022       2023            2021          2022       2023
      Weltwirtschaft                                  100        5,9        5,0       3,8             4,4           3,9        3,6
      darunter
      Fortgeschrittene Länder                        44,5        5,1        4,3       2,5             2,8           2,4         1,9
      China                                          18,7        8,2        5,4       5,2             1,0           2,3         2,3
      Lateinamerika                                   6,5        6,7        3,3       3,1            10,8           7,7         7,2
      Indien                                          7,7        8,3       10,2       7,7             5,0           5,4         5,0
      Ostasiatische Schwellenländer                   5,0        3,4        6,7       6,4             2,0           2,3         2,6
      Russland                                        3,1        4,7        3,3       2,3             5,9           4,9         4,7
      Afrika                                          2,9        4,2        4,6       3,9             7,9          10,1         9,2

      Nachrichtlich:
      Welthandelsvolumen (Waren)                                       10,1       3,0      3,3
      Weltwirtschaft (gewichtet gemäß
      Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2019 in                              5,8       4,9      3,4      3,8          3,4         3,0
      US-Dollar)
      Prozent. Gewicht: gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 nach Kaufkraftparität. — Bruttoinlandsprodukt, Verbraucher-
      preise: Veränderungen gegenüber dem Vorjahr; Ostasiatische Schwellenländer: Thailand, Malaysia, Indonesien und Philippi-
      nen; Fortgeschrittene Länder: Die Werte stimmen nicht notwendigerweise mit denen in Tabelle 3 überein, da der Länderkreis
      hier breiter gefasst ist und ein anderes Konzept bei der Gewichtung verwandt wird.
      Quelle: IMF, International Financial Statistics; OECD, Main Economic Indicators; Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt:
      Prognose des IfW Kiel

                                                                                                                                      12
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Tabelle 2:
      Bruttoinlandsprodukt, Verbraucherpreise, und Arbeitslosenquote in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften
                                Gewicht     Bruttoinlandsprodukt        Verbraucherpreise          Arbeitslosenquote
                                              2021      2022      2023     2021      2022     2023      2021     2022      2023
      Europäische Union               36,0     5,0       4,4       2,7      2,4       2,2      2,0       7,4      6,5       6,1
       Euroraum                       29,2     5,1       4,4       2,4      2,2       1,9      1,7       7,6      6,8       6,4
       Schweden                        1,0     4,0       3,4       2,3      1,8       1,5      1,5       8,5      7,1       6,5
       Polen                           2,3     5,1       4,7       3,6      4,2       3,9      4,0       3,5      2,8       2,7

      Vereinigtes Königreich           5,6      6,3       4,3      1,6       0,9      1,7       1,9      4,8       4,5      4,2
      Schweiz                          1,1      3,4       2,6      1,3       0,5      1,0       1,0      5,3       5,0      4,8
      Norwegen                         0,6      2,4       2,7      1,6       3,0      1,8       1,8      5,1       4,8      4,6

      Vereinigte Staaten              37,3      5,7       4,9      2,6       4,3      3,2       2,3      5,5       4,3      3,8
      Kanada                           3,4      5,6       4,2      2,7       3,0      2,7       2,2      7,6       6,8      6,4

      Japan                            9,6      2,1       2,5      1,5      -0,2      1,3       0,8      2,8       2,7      2,5
      Südkorea                         4,0      3,6       3,5      3,2       2,3      2,0       1,6      3,7       3,2      3,0
      Australien                       2,3      4,7       3,4      3,0       3,0      2,5       2,1      5,4       4,8      4,6

      Aufgeführte Länder            100,0        5,2     4,4        2,6      2,9      2,5        2,0      5,8       5,0      4,6
      Prozent. Gewicht gemäß Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2020 in US-Dollar. — Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Verände-
      rung gegenüber dem Vorjahr. — Verbraucherpreise: Veränderung gegenüber dem Vorjahr, Europäische Union und Norwe-
      gen: harmonisierter Verbraucherpreisindex (HVPI). — Arbeitslosenquote: standardisiert nach dem ILO-Konzept. Ländergrup-
      pen gewichtet auf der Grundlage der Erwerbspersonenzahl von 2020.
      Quelle: Eurostat, VGR; OECD, Main Economic Indicators; IMF World Economic Outlook Database; Statistics Canada, Cana-
      dian Economic Account; grau hinterlegt: Prognose des IfW Kiel.

      Konjunkturelle Abwärtsrisiken resultieren                       reaktion realisieren. Wahrscheinlicher ist aber
      nicht nur aus der Ungewissheit über den                         wohl, dass die Krise zu einer Veränderung der
      Fortgang der Pandemie. Gegenwärtig scheint                      Politik der chinesischen Regierung führt, welche
      die Pandemie dort ihren Schrecken zu verlieren,                 die Kreditexpansion stärker als bislang begrenzt
      wo die Impfraten hinreichend hoch sind. Vor die-                und zu einer nachhaltigen Reduzierung der
      sem Hintergrund werden sich die konjunkturel-                   Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft
      len Aussichten in dem Maße verbessern, wie                      führt. Schließlich scheint das Bedürfnis der Ver-
      weltweit Fortschritte bei den Impfkampagnen ge-                 einigten Staaten, die wirtschaftliche Expansion
      macht werden. Neue Virusvarianten könnten al-                   Chinas und die damit verbundene Vergrößerung
      lerdings zu weiteren Infektionswellen führen und                ihres internationalen politischen Einflusses zu
      insbesondere dann die Wiedereinführung von                      begrenzen, auch unter der neuen amerikani-
      Infektionsschutzmaßnahmen erfordern, wenn                       schen Regierung Bestand zu haben. Angesichts
      bestehende Impfstoffe an Wirksamkeit verlieren.                 der zunehmenden politischen Spannungen
      Risiken resultieren zudem aus den finanzwirt-                   scheint der neuerliche Rückgriff auf handelspoli-
      schaftlichen Folgen der Pandemie. So bleibt ab-                 tische Maßnahmen zur Durchsetzung eigener
      zuwarten, wie sich die Solvenz der Unterneh-                    Interessen an Wahrscheinlichkeit zu gewinnen.
      men entwickelt, wenn staatliche Zuschüsse und
                                                                      Aufwärtsrisiken gibt es für die Konjunktur,
      Kreditprogramme zurückgefahren und tempo-
                                                                      aber auch für die Inflation. Ein Aufwärtsrisiko
      räre Schuldenmoratoria beendet werden (Gern
                                                                      für die Konjunktur bildet der Aufwuchs an Er-
      2021b), die bislang einen Anstieg der Konkurse
                                                                      sparnis der privaten Haushalte in der Krise.
      verhindert haben. Unklar sind derzeit die Folgen
                                                                      Sollte diese zurückgestaute Kaufkraft in größe-
      der finanziellen Probleme einzelner großer chi-
                                                                      rem Umfang im Prognosezeitraum in Güternach-
      nesischer Konglomerate. Zwar schätzen Exper-
                                                                      frage umgesetzt werden als von uns unterstellt,
      ten die Wahrscheinlichkeit eines Zusammen-
                                                                      würden die Anspannungen an Güter- und Ar-
      bruchs mit starken gesamtwirtschaftlichen Rück-
                                                                      beitsmärkten wohl zunehmen und in der Folge
      wirkungen als gering ein, doch ist nicht auszu-
                                                                      die Inflation weiter zunehmen. Auch würde ein
      schließen, dass sich die seit längerem beschrie-
                                                                      starker Rückgang der Sparquote der privaten
      benen Risiken aus der in den vergangenen Jah-
                                                                      Haushalte mit steigenden Investitionen zusam-
      ren ins Enorme gewachsenen Verschuldung der
                                                                      mentreffen, was wohl am Kapitalmarkt steigende
      chinesischen Unternehmen in einer Ketten-

                                                                                                                                   13
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Zinsen zur Folge hätte. In einem solchen Umfeld      Congressional Budget Office allerdings immer
      könnte zur Einhegung der Inflation eine rasche       noch -1,7 Prozent.
      Straffung der Geldpolitik notwendig werden. Da
                                                           Abbildung 14:
      die Staaten allerdings auf niedrige Realzinsen       Bruttoinlandsprodukt in den Vereinigten Staaten
      angewiesen sind, um die Last der Verschuldung               Kettenindex (2010 = 100)                          Prozent
      erträglich zu halten, befänden sich die Noten-
                                                                                                    Veränderung
      banken in einer heiklen Situation, in der sie ge-     130                                     Niveau
                                                                                                                                5,0
      nötigt sein könnten, ihre Politik an fiskalischen
      Notwendigkeiten und nicht am Ziel der Preisni-
      veaustabilität auszurichten (Fiedler et al. 2020).    120                                                                 0,0
      Denn angesichts der stark gestiegenen Staats-
      verschuldung würden sich die fiskalischen Spiel-
      räume rasch verringern, wenn sich die Finanzie-       110                                                                 -5,0
      rungsbedingungen an den Kapitalmärkten merk-
      lich verschlechtern sollten. Vor allem in hochver-
      schuldeten Schwellenländern könnte dies kri-          100                                                                 -10,0

      senhafte Anpassungen erforderlich machen.
                                                                     2,3         -3,4        5,7         4,9         2,6
                                                             90                                                                 -15,0
                                                                  I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV I II III IV
      Die Prognose im Einzelnen
                                                                    2019        2020        2021        2022         2023

                                                            Quartalsdaten,  preis-,   kalender-  und   saisonbereinigt,
      Vorübergehend langsameres Expansions-                 Veränderung gegenüber dem Vorquartal (rechte Skala).
      tempo in den Vereinigten Staaten                      Gerahmt: Jahresdaten, Veränderung gegenüber dem Vorjahr in
                                                            Prozent.
      Die gesamtwirtschaftliche Produktion hat im           Quelle: Bureau of Economic Analysis; grau hinterlegt: Prognose
                                                            des IfW Kiel.
      ersten Halbjahr des laufenden Jahres deut-
      lich zugenommen und ihr Vorkrisenniveau
                                                           Für das dritte Quartal zeichnet sich eine ver-
      bereits überschritten. Nach einer tiefen, aber
                                                           haltenere Expansion ab. Während die Ein-
      kurzen Rezession im vergangenen Jahr, die laut
                                                           kaufsmanagerindizes des Institute for Supply
      National Bureau of Economic Research von
                                                           Management für das Verarbeitende Gewerbe
      Februar bis April dauerte, setzte eine konjunktu-
                                                           und die Dienstleister weiter auf einen kräftigen
      relle Erholung ein, die sich im ersten Halbjahr
                                                           Aufschwung hindeuten, hat sich die Stimmung
      2021 ungebrochen fortsetzte. Das Bruttoinlands-
                                                           unter den Verbrauchern wohl auch wegen wie-
      produkt expandierte sowohl im ersten wie im
                                                           der höherer Infektions- und Todeszahlen merk-
      zweiten Quartal mit einer Rate von reichlich 1,5
                                                           lich eingetrübt. Auch harte Konjunkturindikato-
      Prozent gegenüber der Vorperiode und war da-
                                                           ren signalisieren, dass die hohe Expansionsdy-
      mit bereits um knapp 1 Prozent höher als vor der
                                                           namik des ersten Halbjahrs im laufenden Quar-
      Krise (Abbildung 14). Der private Verbrauch
                                                           tal nicht gehalten werden kann. So ging der pri-
      übertraf den Stand von Ende 2019 um 3 Prozent,
                                                           vate Konsum im Juli leicht zurück; die Sparquote
      die Ausrüstungsinvestitionen sogar um 6 Pro-
                                                           stieg erneut an. Die nominalen Einzelhandel-
      zent. Bei den Exporten konnte bislang hingegen
                                                           sumsätze, die bereits für den August vorliegen,
      nur knapp die Hälfte des pandemiebedingten
                                                           waren um knapp ein Prozent niedriger als im
      Einbruchs wettgemacht werden. Besonders
                                                           Durchschnitt des Vorquartals. Im Automobilbau
      schwach entwickelten sich die Investitionen in
                                                           verlief die Produktion wohl auch wegen Lie-
      Wirtschaftsbauten, die sich bis zuletzt kaum er-
                                                           ferengpässen in den vergangenen Monaten er-
      holten. Hier schlägt zu Buche, dass sich die
                                                           ratisch: So folgten von Monat zu Monat auf kräf-
      Schieferölförderung stark verringert hat und nur
                                                           tige Zuwächse erneute Einbrüche. Im Verarbei-
      allmählich erholt. Insgesamt bildete sich die Un-
                                                           tenden Gewerbe insgesamt blieb die Aktivität
      terauslastung der gesamtwirtschaftlichen Pro-
                                                           hingegen aufwärtsgerichtet. Alles in allem rech-
      duktionskapazitäten aber rasch zurück. Die Pro-
                                                           nen wir für das laufende Quartal mit einem Zu-
      duktionslücke betrug im zweiten Quartal des lau-
                                                           wachs des Bruttoinlandsprodukts um 0,8 Pro-
      fenden Jahres laut Berechnungen des
                                                           zent.

                                                                                                                                        14
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Der Arbeitsmarkt hat sich noch nicht voll-                          hinweg stattfindet, die Zeit braucht. Darauf deu-
      ständig von dem Corona-Schock erholt. Zwar                          ten Unternehmensbefragungen hin (Anayi et al.
      bildete sich die Arbeitslosenquote zuletzt erneut                   2021).
      zurück. Der Beschäftigungsaufbau verlang-
                                                                          Im Vorjahresvergleich war die Inflation zu-
      samte sich jedoch spürbar: Wurden im Juni und
                                                                          letzt sehr hoch, in der laufenden Entwicklung
      Juli noch jeweils knapp eine Million neue Stellen
                                                                          hat der Preisauftrieb aber bereits merklich
      geschaffen, nahm die Beschäftigung im August
                                                                          nachgelassen. Der Anstieg der Verbraucher-
      nur noch um knapp 240 000 Personen zu. In der
                                                                          preise lag in den Sommermonaten bei über 5
      Gastronomie und im Einzelhandel sank die Be-
                                                                          Prozent (Abbildung 16). Neben dem Basiseffekt
      schäftigung sogar. Insgesamt haben immer
                                                                          der wieder auf das Vorkrisenniveau gestiegenen
      noch knapp vier Prozent weniger Menschen eine
                                                                          Ölpreise hatten vor allem enorm hohe Preisstei-
      Arbeitsstelle als vor der Pandemie (Abbil-
                                                                          gerungen bei wenigen Güterkategorien wie Ge-
      dung 15). Auch die Partizipationsrate liegt mit
                                                                          brauchtwagen, Flugreisen oder Hotelübernach-
      58,1 Prozent noch deutlich unter ihrem Vorkri-
                                                                          tungen zu dem starken Anstieg der Inflation bei-
      senniveau (61,1 Prozent). Gleichzeitig klagen
                                                                          getragen (Hauber 2021). So nahmen die Ver-
      immer mehr Unternehmen über Personaleng-
                                                                          braucherpreise allein im zweiten Quartal um an-
      pässe, und die Zahl der offenen Stellen ist seit
                                                                          nualisiert 8,4 Prozent gegenüber dem Vorquartal
      Beginn des Jahres sprunghaft gestiegen. Eine
                                                                          zu. Am aktuellen Rand hat die Inflation inzwi-
      mögliche Erklärung für diese Entwicklung stellt
                                                                          schen deutlich nachgelassen, nicht zuletzt weil
      die im Rahmen des „CARES Act“ und „American
                                                                          die Preise in den genannten Produktgruppen
      Rescue Plan Act“ bis Anfang September gel-
                                                                          teilweise sogar deutlich sanken. Im Juli und Au-
      tende Erhöhung der Arbeitslosenversicherung
                                                                          gust lag der monatliche Anstieg des Verbrau-
      dar, die Erwerbspersonen möglicherweise von
                                                                          cherpreisindex nur noch bei 5,8 bzw. 3,3 Prozent
      der Arbeitsaufnahme abhält.2 Ein weiterer Grund
                                                                          (annualisiert). Die von vielen Beobachtern und
      für die im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen
                                                                          der Federal Reserve geteilte Einschätzung
      Produktion schleppende Erholung am Arbeits-
                                                                          scheint sich bislang zu bestätigen, dass die ak-
      markt könnte sein, dass trotz der kurzen Dauer
                                                                          tuell sehr hohen Inflationsraten vor allem Basis-
      der Rezession und der interruptiven Natur des
                                                                          effekten sowie Sonderfaktoren im Zusammen-
      Schocks derzeit eine Reallokation von Arbeits-
                                                                          hang      mit     Lieferengpässen     und    der
      kräften über Firmen, Branchen und Regionen
                                                                           Abbildung 16:
          Abbildung 15:                                                    Inflation in den Vereinigten Staaten
          Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten                                                   Verbraucherpreise
                                                                                Prozent
                                                                            6                       Kernindex Verbraucherpreise
               Prozent                                  Millionen                                   Deflator des privaten Verbrauchs
          20                                                        155
                         Arbeitslosenquote                                                          Kernindex Deflator
                         Beschäftigung (rechte Skala)                       5
                                                                    150

          15                                                        145     4

                                                                    140     3

          10                                                        135
                                                                            2
                                                                    130
                                                                            1
           5                                                        125

                                                                    120     0

           0                                                        115    -1
            2012         2014      2016      2018       2020                 2012         2014     2016       2018        2020

          Monatsdaten; saisonbereinigt.                                    Monatswerte. Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Kernindex:
                                                                           ohne Energie und Nahrungsmittel.
          Quelle: US Department of Labor, Employment Situation.
                                                                           Quelle: US Department of Labor, Consumer Price Index.

      2 Eine überzeugende Evidenz für diese These gibt es                 Juni und Juli aus. Dort kam es in der Folge jedoch
      freilich nicht: In 26, überwiegend republikanisch re-               nicht zu einem schnelleren Beschäftigungsaufbau als
      gierten Bundesstaaten liefen die Zahlungen bereits im               in den übrigen Gliedstaaten (The Economist, 2021a).

                                                                                                                                        15
KIELER KONJUNKTURBERICHTE NR. 81 (2021|Q3)

      Normalisierung der Wirtschaft nach der Pande-         haben während der Pandemie sehr hohe Er-
      mie geschuldet und somit vorübergehender Na-          sparnisse gebildet, die im Prognosezeitraum
      tur sind. Einen Rückgang der Inflation erwarten       den Konsum stützen dürften. Zudem normali-
      auch die Finanzmarktteilnehmer. Allerdings            siert sich die wirtschaftliche Aktivität weltweit in
      rechnen sie aktuell für die kommenden fünf            den kommenden Jahren weiter, so dass die Aus-
      Jahre im Durchschnitt mit Anstiegen des Ver-          fuhren deutlich zulegen werden. Die Geldpolitik
      braucherpreisindex, die mit 2,5 Prozent etwas         bleibt expansiv und zusätzlichen Schub erhält
      über dem Inflationsziel der Notenbank von 2 Pro-      die Konjunktur von der Finanzpolitik. Alles in al-
      zent liegen.                                          lem rechnen wir mit Zuwächsen der gesamtwirt-
                                                            schaftlichen Produktion in Höhe von 4,9 und 2,6
      Die Geldpolitik wird im Prognosezeitraum
                                                            Prozent in den Jahren 2022 bzw. 2023, nach ei-
      nur allmählich gestrafft, seitens der Fiskalpo-
                                                            nem Anstieg von 5,7 im laufenden Jahr (Tabelle
      litik rechnen wir mit zusätzlichen Impulsen.
                                                            3). Bei dieser Konjunktur wird die Beschäftigung
      Vor dem Hintergrund der schleppenden Erho-
                                                            weiter ausgeweitet werden. Wie in den vergan-
      lung am Arbeitsmarkt und eines nach Einschät-
                                                            genen Rezessionen dürfte es aber auch diesmal
      zung der Notenbank nur temporär erhöhten
                                                            einige Zeit dauern, bis der Arbeitsmarkt sich voll-
      Preisauftriebs wird die geldpolitische Straffung
                                                            ständig erholt hat. Die Arbeitslosigkeit wird wohl
      wohl langsamer erfolgen als im Sommer von uns
                                                            erst zum Ende des Prognosezeitraums mit 3,8
      erwartet. Wir rechnen damit, dass der Offen-
                                                            Prozent wieder in etwa so niedrig sein wie vor
      marktausschuss des Federal Reserve Board
                                                            der Pandemie. Getrieben von Sonderfaktoren
      zum Ende des laufenden Jahres beginnt, seine
                                                            nehmen die Verbraucherpreise mit 4,3 Prozent
      Anleihekäufe im Umfang von etwa 120 Mrd. Dol-
                                                            in diesem Jahr außergewöhnlich stark zu. Im
      lar je Monat sukzessive zurückzufahren; erst ge-
                                                            weiteren Verlauf lässt der Preisauftrieb zwar
      gen Ende des Prognosezeitraums dürften dann
                                                            merklich nach, er bleibt aber auch wegen der zu-
      erste Zinserhöhungen folgen. Finanzpolitisch
                                                            nehmenden Auslastung der gesamtwirtschaftli-
      verhandelt der Kongress zurzeit über ein partei-
                                                            chen Produktionskapazitäten mit 3,2 bzw. 2,3
      übergreifendes Infrastrukturprogramm mit Mehr-
                                                            Prozent in den Jahren 2022 und 2023 höher als
      ausgaben im Umfang von etwa 250 Mrd. Dollar
                                                            in den vergangenen Jahren.
      (CBO 2021) sowie den zehnjährigen Haushalts-
      plan, der zusätzliche Defizite in Höhe von bis zu     Tabelle 3:
      1750 Mrd. Dollar vorsieht (Committee for a            Eckdaten zur Konjunktur in den Vereinigten Staaten
      Responsible Federal Budget 2021). Zum jetzi-                                          2020    2021    2022   2023
      gen Zeitpunkt ist jedoch noch unklar, in welchem      Bruttoinlandsprodukt             -3,4     5,7    4,9    2,6
      Umfang diese Vorhaben umgesetzt werden. In             Inländische Verwendung          -3,0     6,7    4,4    2,3
                                                               Private Konsumausgaben        -3,8     8,2    4,7    2,2
      unserer Prognose unterstellen wir etwas höhere           Staatsausgaben                 2,5     0,8    0,9    0,7
      Defizite im Bundeshaushalt als das Congressio-           Anlageinvestitionen           -2,7     8,6    3,3    4,2
      nal Budget Office in seiner jüngsten Prognose              Ausrüstungen                -8,3    14,4    3,7    3,5
                                                                 Geistige Eigentumsrechte     2,8     9,6    4,4    3,8
      annimmt, die sich an der aktuellen Gesetzeslage            Gewerbliche Bauten         -12,5    -6,8    3,8    7,3
      orientiert.                                                Wohnungsbau                  6,8    10,6    1,2    3,6
                                                               Vorratsveränderungen          -0,5    -0,2    0,6    0,0
      Die Zuwachsraten des Bruttoinlandspro-                 Außenbeitrag                    -0,4    -1,0    0,5    0,2
                                                               Exporte                      -13,6     5,3   10,6    6,2
      dukts nehmen im Prognosezeitraum ab, blei-               Importe                       -8,9    12,9    5,1    3,9
      ben jedoch über dem Potenzialwachstum.                Verbraucherpreise                 1,2     4,3    3,2    2,3
                                                            Arbeitslosenquote                 8,1     5,5    4,3    3,8
      Zwar wird die Produktion in der zweiten Jahres-       Leistungsbilanzsaldo             -2,5    -3,1   -2,3   -2,2
      hälfte wohl etwas langsamer zulegen als noch          Budgetsaldo (Bund)              -14,8   -14,0   -6,0   -5,2
      zuletzt. Dies ist jedoch in erster Linie auf eine
                                                            Bruttoinlandsprodukt: preisbereinigt, Veränderung gegen-
      temporäre Konsumzurückhaltung der privaten            über dem Vorjahr in Prozent. — Außenbeitrag, Vorratsver-
      Haushalte vor dem Hintergrund eines wieder            änderungen: Lundberg-Komponente. — Arbeitslosenquote:
                                                            in Prozent der Erwerbspersonen. — Leistungsbilanzsaldo,
      aufgeflammten Infektionsgeschehens zurück-            Budgetsaldo: in Prozent des nominalen Bruttoinlandspro-
      zuführen und nicht auf eine nachhaltige Kon-          dukts. — Budgetsaldo: Fiskaljahr.
      junkturschwäche. Denn die wesentlichen Auf-           Quelle: Bureau of Economic Analysis; US Department of La-
      triebskräfte bleiben intakt. So ist reichlich Kauf-   bor, Employment Situation and Consumer Price Index; US
                                                            Department of the Treasury, Monthly Treasury Statement;
      kraft vorhanden, denn die privaten Haushalte          Berechnungen des IfW Kiel; grau hinterlegt: Prognose des
                                                            IfW Kiel.

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