Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe - Nordrhein-Westfalen - Wirtschaft NRW
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02 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW „Wir stehen am Beginn einer umfassenden Trans- formation, deren Erfolg vor allem von innovativen, forschungs- und techno logiegetriebenen Lösungen abhängt.“ Prof. Dr. Andreas Pinkwart Minister für Wirtschaft, I nnovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen
Editorial 03 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe Nordrhein-Westfalen Liebe Leserinnen und Leser, der Pfad Richtung Klimaneutralität, den es mit enormen Anstrengungen bis zum Jahr 2045 zu beschreiten gilt, erfordert einen tiefgreifenden Wandel in allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Wir stehen am Beginn einer umfassenden Transformation, deren Erfolg vor allem von innovativen, forschungs- und technologiegetriebenen Lösungen abhängt. Auch der Mobili- tätssektor muss hierzu seinen Beitrag erbringen und mit neuen Konzepten und innovativen Technologien klimafreundlich werden. Um Mobilität in all ihren Facetten – vom Reisen bis zum internationalen Waren- verkehr – in einer klimaneutralen Zukunft zu sichern, benötigen wir einen Ersatz für fossile Kraftstoffe. Neben der Elektromobilität und dem Einsatz von Wasser- stoff sind synthetische Kraftstoffe hierfür ein entscheidendes Element. Sie ermöglichen nicht nur klimaneutrale Mobilität, etwa im Luftverkehr, sondern sind auch ein wesentlicher Enabler für eine klimaneutrale Industrie in Nordrhein- Westfalen. Um die Produktion und den Einsatz der synthetischen Kraftstoffe voranzutreiben, benötigen wir große Demonstrationsanlagen hier vor Ort und gleichzeitig, um den hohen Bedarf zu decken, internationale Kooperationen für den Import. Für die Unternehmen und für unser Land liegen darin große Chan- cen: Wir wollen die Potenziale für in Nordrhein-Westfalen entwickelte Anlagen und Ideen in einem wachsenden globalen Markt für Klimaschutztechnologien heben. So machen wir Nordrhein-Westfalen zum Modellstandort für die Wert- schöpfungsketten der Zukunft. Mit dem vorliegenden Handlungskonzept verdeutlichen wir, welche Rolle synthe- tische Kraftstoffe für den Pfad Richtung Klimaneutralität bis 2045 haben können, und zeigen gleichzeitig die sich daraus entwickelnden Chancen für unseren Raffinerie- und Industriestandort auf. Mit unserem Aktionsplan bringen wir diese Ideen in die Umsetzung und laden Sie herzlich ein, gemeinsam an einer klima neutralen Zukunft zu arbeiten. In diesem Sinne wünsche ich eine informative wie inspirierende Lektüre. Prof. Dr. Andreas Pinkwart Minister für Wirtschaft, I nnovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen
04 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Inhalt 06–09 Executive Summary 01 10–11 Synthetische Kraftstoffe – ein wichtiger Baustein der klimaneutralen Transformation 02 12–15 Der politische Rahmen 13 2.1 Europäische Union 14 2.2 Bundesebene – die Power to Liquid (PtL) Roadmap 15 2.3 Nordrhein-Westfalen 03 16–31 Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 19–22 3.1 Wie werden synthetische Kraftstoffe hergestellt? 23–24 3.2 Einsatzfelder synthetischer Kraftstoffe 25–31 3.3 Wann sind synthetische Kraftstoffe k limaneutral?
Inhalt 05 04 32–39 Forschung und Entwicklung 33–35 4.1 Übersicht der Universitäten und Hochschulen in NRW 36–37 4.2 Allianz von Wissenschaft und I ndustrie made in NRW – 38–39 Verbundprojekte 4.3 Forschung und Industrie – internationale Partnerschaften 05 40–59 Synthetische Kraftstoffe – neue Wertschöpfungsketten 41–46 5.1 Nordrhein-Westfalen als Produktions standort synthetischer Kraftstoffe 47–59 5.2 Internationale Märkte 06 60–65 Aktionsplan 66 Quellenverzeichnis 67 Impressum
06 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 06–09 Executive Summary P Synthetische Kraftstoffe werden im Energiemix der Zukunft und für die Erreichung der Klimaschutzziele eine wesentliche Rolle spielen.
Executive Summary 07 Mit dem Handlungskonzept zeigt das Ministerium für Wirt- synthetischer Kraftstoffe gezielt gefördert werden können. schaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Mit e rneuerbarem Strom, Wasser und Kohlenstoffdioxid Nordrhein-Westfalen (MWIDE) auf, wo ihr Einsatz sinnvoll können klimafreundliche Kraftstoffe wie synthetisches ist und wie Nordrhein-Westfalen die sich bietenden öko- Kerosin oder Diesel hergestellt werden. Sie gleichen in nomischen und ökologischen Chancen nutzen kann. Mit ihren Eigenschaften den fossilen Kraftstoffen und können dem Handlungskonzept stellt das MWIDE einen Aktions- deshalb in bestehenden Motoren eingesetzt werden. plan, der aufzeigt, wie die Produktion und der Einsatz Abbildung 1: Produktionsprozess synthetischer Kraftstoffe (vereinfacht) Industrielle Punktquellen, Biomasse, Abscheidung aus der Umgebungsluft H2O Mobilität Wasser CO2 H2 Syntheseverfahren Raffinerie-Umwandlung/ Elektrolyse Infrastruktur Erneuerbarer Strom Chemische Industrie Eigene Darstellung
08 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Die Kernaussagen des Handlungskonzepts sind: 1 Synthetische Kraftstoffe sind ein wichtiger Baustein zur Erreichung der Klima- schutzziele in Nordrhein- Westfalen. 2Synthetische Kraftstoffe sollten ins- 3 Der Bedarf an synthetischen Kraft- besondere in den Bereichen eingesetzt stoffen wird in Nordrhein-Westfalen werden, in denen eine Elektrifizierung voraussichtlich bei 139 TWh pro Jahr oder der direkte Einsatz von Wasser- in 2050 liegen. Davon werden aktuellen stoff nicht oder nur sehr schwer möglich Prognosen zufolge 129 TWh pro Jahr ist. Dazu zählen der (Langstrecken-) nach Nordrhein-Westfalen importiert Flugverkehr, die (Hochsee-)Schifffahrt und 10 TWh vor Ort hergestellt werden.1 und die Nutzung in der chemischen Industrie als Grundstoff. 4 Vor allem im Luftverkehr wird es auch 5 Die Nachfrage nach synthetischen noch langfristig Bedarf an fl üssigen Kraftstoffen steigt signifikant Kraftstoffen mit einer hohen Ener- voraussichtlich erst ab 2030. Die giedichte geben, genauso wie in der langen Investitionszyklen erfordern chemischen Industrie an Grundstoffen. jedoch, dass bereits jetzt in den Diese Nachfrage muss durch klima- Aufbau von Produktionsanlagen freundliche Produkte – wie synthe und Infrastruktur investiert wird. tische Kraftstoffe – gedeckt werden.
Executive Summary 09 6 Synthetische Kraftstoffe sollen klimaneutral produziert werden, um einen maximalen Beitrag zum Klimaschutz leisten zu können. Das bedeutet langfristig, dass die Produktion auf grünem Wasserstoff basiert und das benötigte CO2 aus biogenen Quellen oder durch Abscheidung aus der Umgebungsluft gewonnen wird und einen ge- schlossenen Kohlenstoffkreislauf bildet. Auch der Anlagenbetrieb und der Transport müssen klimaneutral erfolgen. Um den Markthochlauf anzustoßen, ist aber eine Übergangsphase notwendig, in der auch blauer Wasserstoff und CO2 aus industriellen Prozessen eingesetzt wird. 7 Synthetische Kraftstoffe werden ein global 8 Die globale Nachfrage nach gehandeltes Produkt sein. Der größte Kos- Klimaschutztechnologien tenfaktor bei der Herstellung synthetischer bietet einen Absatzmarkt Kraftstoffe sind die Stromgestehungskosten. für in Nordrhein-Westfalen Synthetische Kraftstoffe werden deshalb entwickelte Anlagen, voraussichtlich überwiegend in Regionen mit Komponenten und Ideen. großen Potenzialen für erneuerbare Stromer- zeugung hergestellt werden. Um die Bedarfe in Nordrhein-Westfalen sicherstellen zu können, müssen rechtzeitig internationale Partnerschaften aufgebaut werden. 9 Synthetische Kraftstoffe bieten wich- 10 Cross-industrielle Kooperationen tige industriepolitische Chancen für sind der Schlüssel für den sektor- Nordrhein-Westfalen. Sie werden Teil übergreifenden Transformations- der Transformationsprozesse der prozess in Richtung Klimaneutra Raffinerien und chemischen Industrie lität 2045. Nordrhein-Westfalen in Nordrhein-Westfalen und erschließen wird Modellstandort für innovative diesen neue Geschäftsmodelle. Power-to-X-Wertschöpfungsketten.
10 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 01 10–11 Synthetische Kraftstoffe – ein wichtiger Baustein der klimaneutralen Trans formation P Das Jahr 2021 bedeutet für den Klimaschutz vor allem eins: schärfere Zielsetzungen.
Synthetische Kraftstoffe – ein wichtiger Baustein der klimaneutralen Transformation 11 Deutschland hat nach dem Urteil des Bundesverfassungs- Im derzeit noch hinterherhinkenden Verkehrssektor gerichts im Juni seine Klimaschutzziele deutlich nach üssen deshalb jetzt weitere Weichen gestellt werden, m oben korrigiert: für das Jahr 2030 minus 65 Prozent statt um auch Klimaneutralität bis 2045 herstellen zu können. minus 55 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 1990. Für das Jahr 2040 wurde ein Zwischenziel von minus 88 Prozent Neben der weiterhin notwendigen Erhöhung der Ver- ergänzt. Im Jahr 2045 soll schließlich Treibhausgasneutra- kehrseffizienz und der Entwicklung neuer Mobilitätskon- lität erreicht sein – und damit fünf Jahre früher als bislang zepte bieten sich hierfür auch alternative Kraftstoffe und geplant. Als erstes Bundesland hat Nordrhein-Westfalen Antriebe an. Im Fokus steht bisher die Elektromobilität. die Bundesziele im Juli 2021 in die Neufassung des Klima- Es bleiben allerdings auch Anwendungsfälle, bei denen schutzgesetzes Nordrhein-Westfalen übernommen. Auch eine direkte Elektrifizierung nicht oder nur sehr schwer die Klimaschutzziele auf europäischer Ebene wurden umsetzbar ist und auch direkt auf Wasserstoff basierende angezogen und mit „Fit for 55“ hat die EU-Kommission Antriebe keine Option sind. Strombasierte, synthetische ein umfangreiches Gesetzespaket vorgelegt, welches Kraftstoffe sind daher ein möglicher Weg, um eine klima- den Regulierungsrahmen der europäischen Energie- und gerechte Mobilität auch im Flug- und Schiffsverkehr zu Klimapolitik an das europäische Klimaschutzziel anpassen gewährleisten. Neben dem Verkehrssektor können syn- soll. Bis zum Jahr 2030 sollen die Treibhausgasemissionen thetische Kraftstoffe – bzw. die Zwischenprodukte – auch der EU um 55 Prozent – statt bisher 40 Prozent – reduziert als Ausgangsstoff in der Industrie eingesetzt werden und werden. Ambitionierte Klimaschutzziele allein reichen aber so einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von CO2 -Emis- nicht aus. Mindestens genauso wichtig ist ihre effektive sionen in der industriellen Produktion leisten. Umsetzung. Es muss jede Möglichkeit genutzt werden, um die CO 2 -Emissionen in den nächsten Jahrzehnten konti- Die Wasserstoff-Roadmap NRW aus dem Jahr 2020 hat nuierlich weiter zu senken. Nordrhein-Westfalen ist hier gezeigt, wie viel Potenzial in Power-to-X-Technologien mit einer Reduktion der Treibhausgasemissionen um 45 (PtX-Technologien) gerade für das Industrieland Nord- Prozent bis 2020 im Vergleich zum Jahr 1990 schon auf rhein-Westfalen steckt. Dieses Handlungskonzept knüpft einem guten Kurs. Um das nächste Ziel – minus 65 Pro- nahtlos daran an und nimmt strombasierte, synthetische zent bis 2030 – zu schaffen, gilt es, heute die Grundla- Kraftstoffe – und damit ein Wasserstoff-Folgeprodukt – gen für die Transformation des Energiesystems zu legen in den Blick. Die Stärken Nordrhein-Westfalens als und konkrete Handlungspläne zu entwerfen – wie es Innovations- und Raffineriestandort mit einer hohen die Landesregierung bereits 2020 mit der Wasserstoff- Dichte an hervorragenden Universitäten, Hochschu- Roadmap zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft vor- len und Forschungseinrichtungen sowie einer Vielzahl gemacht hat. Die gleiche Stoßrichtung verfolgt nun das an innovativen Industrieunternehmen ist für unser Handlungskonzept synthetische Kraftstoffe: Es bietet Bundesland die Chance, die Technologieentwicklung einen konkreten Aktionsplan, der aufzeigt, wie syntheti- und Produktion von synthetischen Kraftstoffe gezielt sche Kraftstoffe eine sinnvolle Ergänzung bei den Klima- in Nordrhein-Westfalen zu etablieren und unseren schutzbemühungen der Landesregierung sein können. Industriestandort somit zu stärken. Ein starkes Profil bei Klimaschutztechnologien festigt nicht nur Arbeits- Klar ist: Synthetische Kraftstoffe sind für die plätze in der Industrie und macht sie zukunftsfest. Sie rreichung der Klimaschutzziele ein wesentlicher E bietet darüber hinaus Chancen für die gesamte Zuliefe- Baustein. Der achte Monitoring-Bericht zur Energiewende rer- und Komponentenindustrie in Nordrhein-Westfalen. zeigt erneut eine Tendenz auf, die bereits in den vorherigen Gerade die vielschrittige Wertschöpfungskette syntheti- Jahren klar erkennbar war: Der Verkehrssektor entwickelt scher Kraftstoffe ermöglicht eine nachhaltige Stärkung sich gegenläufig zu den Zielen des deutschen Energiekon- der Wirtschaft und Arbeitsplätze. Nordrhein-Westfalen zepts bzw. der Klimaschutzziele. Während beispielsweise kann seine Stärke im Maschinen- und Anlagenbau dafür die Ziele im Stromsektor voraussichtlich erreicht werden, nutzen, innovative Technologien wettbewerbsfähig auf müssen die CO 2 -Emissionen im Verkehrssektor noch er- dem Exportmarkt zu platzieren. Allerdings stehen den heblich gesenkt werden. Betrug der Treibhausgasausstoß vielen Vorteilen synthetischer Kraftstoffe derzeit auch 1990 in Deutschland 164 Mio. Tonnen CO2, waren es 2020 noch einige Herausforderungen gegenüber: die man- immer noch 146 Mio. Bis 2030 gilt es, das Tempo bei der gelnde Effizienz ihrer Herstellung und ihre fehlende Reduktion der Emissionen im Verkehrssektor erheblich zu irtschaftlichkeit. Mit dem Handlungskonzept wollen W steigern. Denn 2030 sollen auf diesen Sektor planmäßig wir deshalb vor allem den Markthochlauf anreizen nur noch 85 Mio. Tonnen CO 2 entfallen. Grundsätzlich und gezielt Optimierungspotenziale heben. gilt: Die Energiewende und das Erreichen der Klima- schutzziele werden nur gelingen, wenn die Reduktions- ziele in allen Sektoren gleichermaßen erreicht werden.
12 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 02 12–15 Der politische Rahmen P Der erfolgreiche Markthochlauf synthetischer Kraftstoffe kann nur gelingen, wenn der politische Rahmen stimmt und ehrgeizige Ziele vorgibt.
Der politische Rahmen 13 2.1Europäische Union Im Rahmen der ehrgeizigen Zielsetzungen des Europäi- Im Rahmen der Initiative „ReFuelEU Aviation“ will die Euro- schen Grünen Deals sieht die Europäische Kommission päische Kommission insbesondere auch die Nutzung von vor, die verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen nachhaltigen alternativen Flugkraftstoffen (Sustainable bis zum Jahr 2050 um 90 Prozent zu verringern. Im Zuge Aviation Fuels – SAF) stärken, indem sie Beimischungs- des am 14.07.2021 vorgestellten Legislativpakets „Fit for quoten festlegt. Kraftstofflieferanten sollen verpflichtet 55“ wird in diesem Sinne nicht zuletzt auch die Förderung werden, alle fünf Jahre die Beimischung von nachhaltigen synthetischer Kraftstoffe als wichtige Maßnahme zur Kraftstoffen zu steigern: 2 Prozent sollen es zunächst bis Emissionseinsparung im Verkehrsbereich gesehen. So 2025 sein, 63 Prozent dann im Jahr 2050. Hinzu kommt werden konkret im Rahmen der überarbeiteten Erneuer- eine Quote für synthetische Kraftstoffe nicht-biogenen bare-Energien-Richtlinie (2018/2001) eine Anhebung Ursprungs, angefangen von 0,7 Prozent ab 2030 bis hin zu der energiebasierten Zielvorgaben für fortschrittliche 28 Prozent bis 2050. Flughäfen mit mehr als 1 Mio. Passa- Biokraftstoffe sowie Biogas und die Einführung einer giere im Jahr sollen verpflichtet werden, die Infrastruktur Zielvorgabe für erneuerbare Kraftstoffe nicht biogenen für die Lieferung, Lagerung und Betankung von alternati- Ursprungs vorgeschlagen. ven Kraftstoffen zur Verfügung zu stellen. Abbildung 2: Ziele für Sustainable Aviation Fuels (SAF) der Initiative „ReFuelEU Aviation“2 (in Prozent des Kraftstoffmixes) 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2% 5 % 0,7 % 20 % 5 % 32 % 8 % 38 % 11 % 63 % 28 % Nachhaltige Flugkraftstoffe Spezifische Unterquote für synthetische Kraftstoffe nicht-biogenen Ursprungs Für den Seeverkehr will man ebenfalls die Nutzung und Mit der Überarbeitung der Richtlinie über den Aufbau der Produktion nachhaltiger alternativer Kraftstoffe anregen, Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (2014/94) will die um den Schwerölverbrauch in diesem Sektor signifikant Kommission zudem die Standardisierung und flächen- zu reduzieren. Anders als in der Luftfahrt werden mit der deckende Ausweitung der Kraftstoffinfrastruktur in allen Initiative „ReFuelEU Maritime“ jedoch keine konkreten EU-Mitgliedsstaaten insbesondere für Elektro- und Was- Beimischungsquoten vorgeschrieben, sondern eine Ober- serstoffmobilität sicherstellen. grenze für den CO 2 -Gehalt der Energiequelle für Schiffe mit einer Tonnage von über 5000 festgelegt. Diese Eine zügige Umsetzung der längerfristigen Quotenre- soll alle fünf Jahre weiter reduziert werden, beginnend in gelung in nationales Recht (Bundes-Immissionsschutz- 2025 mit 2 Prozent und endend im Jahr 2050 mit 75 Pro- gesetz – BImSchG) ist ein geeigneter Hebel, um bei der zent weniger CO2 -Gehalt. Marktentwicklung die nötige Planungs- und Investitions- sicherheit für Produzenten zu schaffen.
14 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 2.2 Bundesebene – die Power to Liquid (PtL) Roadmap Aufbauend auf der Nationalen Wasserstoffstrategie Damit wird in der PtL-Roadmap noch keine feste Quote hat die Bundesregierung 2021 eine Power to Liquid veranlagt, sondern die Mengen ermittelt, die es für den (PtL) Roadmap veröffentlicht. Diese zielt ausschließlich Einsatz von 2 Prozent synthetischen Kerosins am gesam- auf strombasiertes, synthetisches Kerosin ab. Ziel der ten Kerosinumsatz benötigt. Die Zielmenge soll mittels Roadmap ist der Einsatz von 200.000 Tonnen syntheti- Unterstützung der technologischen Entwicklung, Festle- schen Kerosins im deutschen Luftverkehr im Jahr 2030. gung von Nachhaltigkeitskriterien und der Förderung des 200.000 Tonnen pro Jahr entsprechen einer Quote von 2 Markthochlaufs erreicht werden. Prozent des Kerosinabsatzes in Deutschland im Jahr 2019. Abbildung 3: Geplanter Hochlauf der Absatzmenge3 2026 2028 2030 0 50.000 100.000 150.000 200.000 PtL-Kerosin in Tonnen
Der politische Rahmen 15 Der Markthochlauf soll durch folgende Aktivitäten unterstützt werden: J Festlegung verbindlicher Ziele für den Ein- und Absatz von erneuerbarem Kerosin auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene J Schaffen der regulatorischen Rahmen- bedingungen für einen selbsttragenden Markt für PtL-Kerosin J Förderung der synthetischen Kerosin-Produktion 2.3 Nordrhein-Westfalen Mit der Wasserstoff-Roadmap NRW hat das MWIDE 2020 Bereitstellung von grünem Wasserstoff. Bis 2025 sollen den Grundstein für PtX-Technologien gelegt. Die Carbon erste Elektrolyseanlagen für die industrielle Wasserstoff- Management Strategie NRW (CMS) legt zudem die Leit- produktion in Betrieb gehen und die benötigte Infrastruk- planken zum nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff in tur aufgebaut werden. Nordrhein-Westfalen und enthält Maßnahmen, die eine zukunftsfähige Kohlenstoffwirtschaft unterstützen sollen. Im Vordergrund der CMS stehen die Abkehr von der weiteren Ausbeutung fossiler Kohlenstoffquellen und Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe stehen in einer der wirtschaftliche Umgang mit nachhaltigen alternati- engen Beziehung zueinander, allein schon der Tatsache ven Kohlenstoffquellen. Insbesondere in Hinblick auf die geschuldet, dass Wasserstoff ein Ausgangsstoff für die (petro-)chemische Industrie wird die Ausschöpfung neuer Erzeugung von synthetischen Kraftstoffen darstellt. In Wertschöpfungspotenziale auf Basis von Carbon Capture einigen Anwendungsbereichen stellen Wasserstoff und and Usage (CCU)-Anwendungen in den Blick genommen, synthetische Kraftstoffe Alternativen zueinander dar, so durch die die nordrhein-westfälische Chemie langfristig z. B. im Schwerlastverkehr. Die erfolgreiche Umsetzung von einer Kohlenstoffquelle zu einer Kohlenstoffsenke der Wasserstoff-Roadmap NRW ist die Grundlage, um werden könnte. Das größte Marktpotenzial weisen dabei auch Potenziale synthetischer Kraftstoffe in Nordrhein- synthetische Kraftstoffe auf. Westfalen nutzen zu können. Sie ist der Fahrplan für eine zuverlässige, ausreichende und möglichst kostengünstige
16 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 03 16–31 Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder P Synthetische Kraftstoffe erfordern ganz neue Produktionsverfahren. Statt Erdöl sind Strom, Wasser und CO2 gefragt.
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 17 Synthetische Kraftstoffe werden im Gegensatz zu Benzin Das Handlungskonzept adressiert im Schwerpunkt und Diesel nicht aus Erdöl, sondern aus erneuerbarem strombasierte, synthetische Kraftstoffe, die mittels Strom, Wasser und CO2 gewonnen. Somit wird der er- Elektrolyse und Syntheseverfahren zu Kraftstoffen neuerbare Strom mittels PtL-Verfahren in flüssige Form weiterverarbeitet werden. Bei ihrem Transport können umgewandelt. Neben strombasierten, synthetischen grundsätzlich bestehende Infrastrukturen genutzt wer- Kraftstoffen gibt es noch weitere, alternative Kraftstoffar- den.4 Sie sind deshalb gut international handelbar und ein ten. Dazu zählen fortschrittliche Biokraftstoffe der dritten weiterer Weg, erneuerbare Energien zu transportieren. Generation oder der direkte Einsatz von Wasserstoff. Blauer Wasserstoff Von blauem Wasserstoff ist die Rede, wenn die Her- stellung auf Erdgas mittels Dampfreformierung basiert. Nach der Dampfreformierung wird das CO2 abgeschieden und langfristig gespeichert.
18 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Grüner Wasserstoff Grüner Wasserstoff wird durch Strom aus erneuerbaren Energien in Elektrolyseuren hergestellt. Elektrolyseure benötigen Strom, um Wasser (H2O) in seine Be- standteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O2) zu zerlegen.
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 19 3.1 Wie werden synthetische Kraftstoffe h ergestellt? Zur Herstellung wird zunächst ein Wasserstoff-Kohlen Für die Synthese strombasierter Kraftstoffe kommen monoxid- oder Wasserstoff-Kohlendioxid-Gemisch erzeugt derzeit zwei Routen in Frage: die Fischer-Tropsch-Synthe- und anschließend mittels Katalyse zu Kohlenwasserstoffen se und die Methanol-Synthese. Je nach Modifikation und umgewandelt.5 Der Prozess beginnt mit der Wasserstoff- anschließender Weiterverarbeitung kann ein vielfältiges Elektrolyse, bei der Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff Produktportfolio abgebildet werden. Das Produkt nach gespalten wird. Für das Verfahren kommt Strom zum Ein- der Fischer-Tropsch-Synthese ist ein e-Crude. Es muss im satz. Der dadurch gewonnene Wasserstoff, der grundsätz- Anschluss noch zu E-Diesel, E-Benzin oder E-Kerosin raf- lich selbst als Kraftstoff für Brennstoffzellenanwendungen finiert werden. Der andere Weg zu flüssigen Kraftstoffen oder in Verbrennungskraftmaschinen dienen könnte, wird führt über die Methanol-Synthese. Methanol kann dann dann mit CO2 zu Kohlenwasserstoffen umgewandelt. Das entweder als Basischemikalie in der chemischen Indus- CO2 kann entweder aus biogenen Quellen oder durch CO2 - trie eingesetzt werden oder weiterverarbeitet werden. Abscheidung aus der Umgebungsluft gewonnen werden Methanol kann zu den Kraftstoffen Dimethylether (DME), (nähere Informationen im Unterkapitel 3.3). Oxymethylenether (OME), Octanol und Butanol weiter- verarbeitet werden. Derzeit kann nach der Europäischen Norm für Ottokraftstoffe EN 228 bis zu 3 Volumenprozent anderen Kraftstoffen beigemischt werden. In anderen Ländern gibt es bereits Normierungen für eine höhere Beimischung von Methanol. Abbildung 4: Herstellungsprozess Fischer-Tropsch-Synthese6 Benzin, Kerosin, CO2 Diesel Wärme Reverse Wassergas- CO Fischer-Tropsch- Veredelung Shift-Reaktion Synthese CxHYOH H2 H2O Beinhaltet: Hydrocracken, H2O Isomerisierung und Destillation Eigene Darstellung, basierend auf Agora Energiewende.
20 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Abbildung 5: Herstellungsprozess Methanol-Synthese7 Benzin, Kerosin, Diesel Wärme CO2 Methanol-Synthese CH3OH Veredelung und Umwandlung H2 Kann auch direkt verwendet werden H2O H2O Beinhaltet: DME/OME-Synthese, Olefin-Synthese, Oligomerisierung und Eigene Darstellung, basierend auf Agora Energiewende. Hydrotreating
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 21 Biomasse to Liquid (BtL) Eine weitere Möglichkeit, Kraft- stoffe mittels Syntheseverfahren herzustellen, ist auf Basis von Biomasse. BtL-Kraftstoffe basieren auf biogenen Rohstoffen. Die eingesetzte Biomasse sollte nicht aus hierfür angebauten Pflanzen gewonnen werden, sondern aus ohnehin anfallen- den Reststoffen. Im ersten Schritt wird die Biomasse mittels Pyrolyse vorbehandelt und anschließend in Synthesegas um- gewandelt. Danach ist es möglich, mittels Syntheseverfahren Kraftstoffe herzustellen. Auch hier kann sowohl die Fischer- Tropsch- als auch die Methanol-Synthese eingesetzt werden. Für eine weitergehende CO2-neutrale Produktion kommen fes- te Reststoffe aus der Forst- und Landwirtschaft und der Indust- rie (z. B. Holzabfälle) in Frage.8 Das Potenzial für die Herstellung von Kraftstoffen auf Basis von BtL-Verfahren hängt maßgeblich von den verfügbaren biogenen Reststoffen ab. Solarkraftstoffe Neben der Herstellung von PtL- und BtL-Kraftstoffen gibt es einen weiteren Technologiepfad für die Erzeugung alternativer Kraftstoffe, der sich für die Produktion in sonnenreichen Gebieten eig- net: Solarkraftstoffe. Die Gewinnung der Solarenergie kann beispiels- weise thermochemisch erfolgen und anschließend ein solares Synthe- segas erzeugt werden. Eine Elektrolyse wird hier nicht benötigt. Das Synthesegas kann wiederum mittels der Methanol-Synthese und der Fischer-Tropsch-Synthese zu Kraftstoffen weiterverarbeitet werden. Als Ausgangsstoff wird hier Solarenergie benötigt. Diese Art der Herstel- lung bietet sich deshalb nur in Regionen mit hoher Sonneneinstrahlung an. Allerdings besteht hierbei das Potenzial, die benötigten Technologien in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln, herzustellen und anschließend in sonnenreiche Regionen zu exportieren. Dort wiederum können kosten- günstig PtL-Produkte hergestellt werden und perspektivisch zurück nach Nordrhein-Westfalen exportiert werden.9
22 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Abbildung 6: Synthetische Kraftstoffe – Technologiepfade ROH- PROZESS- TREIB- STOFFE ZWISCHENPRODUKTE STOFFE Methanol PtX EE- Elektrolyse H2 Strom Benzin/Diesel MtG CO2 Synthese- etc. Wasser gas (CO/ CO2/H2) DME, OME, Octanol, Butanol Fischer-Tropsch- Synthese Kerosin/Diesel, Schmierstoffe etc. Fermentation Höhere Alkohole (z. B. Butanol) Solar Wasserstoff HT-Wärme (CSP) CO2 Fuels Wasser Licht Thermische Vergasung von Biomasse Pyrolyse BtX Biomasse Fermentation Ethanol, Methan Eigene Darstellung
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 23 3.2 Einsatzfelder synthetischer Kraftstoffe Synthetische Kraftstoffe können als Reinkraftstoffe oder Gerade im Flugverkehr scheint eine Elektrifizierung mit als Beimischung zu konventionellen Kraftstoffen in her- Batterien, aber auch mit Wasserstoffbrennstoffzellen, kömmlichen Verbrennungsmotoren eingesetzt werden. schwierig umsetzbar. Erste Entwicklungen beschränken Es ist keine Änderung der Motorentechnik notwendig, es sich auf Kurzstreckenflüge. Die sehr hohen Energiebe- können durch eine Anpassung der Motorentechnik aller- darfe für Langstreckenflüge mit Strahlantrieb können vo dings noch Effizienzverbesserungen sowie Emissionsre- raussichtlich nur mit synthetischen Kraftstoffen gedeckt duktionen erreicht werden. Ein Einsatz im Mobilitätssek- werden, sodass E-Kerosin trotz der geringeren Effizienz tor ist deshalb einfach und schnell umsetzbar. (WtW) hier die zu präferierende Lösung darstellt.13 Auf- grund des Handlungsdrucks und fehlender Alternativen Synthetische Kraftstoffe sind rein technisch für den können im Flugverkehr, bei zunächst begrenzter Verfüg- Einsatz in allen Bereichen der Mobilität geeignet. Aller- barkeit von synthetischen Kraftstoffen, bereits früher dings ist die Herstellung von synthetischen Kraftstoffen als in anderen Bereichen in der Mobilität synthetische energieaufwendig und mit hohen Verlusten verbunden. Kraftstoffe zum Einsatz kommen. Die Entwicklung neuer Die Einschätzungen zu Umwandlungseffizienzen liegen Antriebstechnologien und der Bau neuer Flugzeuge zwischen 45 und 63 Prozent. Dazu kommen weitere wären beim Einsatz synthetischer Kraftstoffe nicht nötig. Energieverluste durch den Transport und den Wirkungs- Auch die vorhandene Infrastruktur könnte weitergenutzt grad des Verbrennungsmotors. Synthetische Kraftstoffe werden. Bei Langstreckenflügen werden auch künftig haben damit eine ca. fünffach geringere Energieeffizienz flüssige Energieträger mit einer hohen Energiedichte bei einer Well-to-Wheel(WtW)-Betrachtung als bei der di- gebraucht. Wie sich der Kerosinbedarf bei Kurz- und rekten Nutzung von Strom in einem batterieelektrischen Mittelstreckenflügen entwickeln wird, hängt auch davon Fahrzeug.10 Bei der Nutzung von gasförmigem, grünen ab, ob ein Modal Shift zur Bahn vorgenommen werden Wasserstoff liegt die Umwandlungseffizienz bei immerhin wird. Wie hoch der Kerosinbedarf insgesamt sein wird, 61 Prozent, mit einem Potenzial bis zu 70 Prozent.11 Um ist deshalb abhängig davon, wie sehr sich alternative klimaneutral zu sein, müssen synthetische Kraftstoffe Mobilitätskonzepte durchsetzen. auf Basis von erneuerbaren Energien hergestellt werden. Ihre geringe Energieeffizienz erfordern bei der Produktion Auch in der See- und Binnenschifffahrt werden Bedarfe große Strommengen. Langfristig sollte zusätzlich das für an synthetischen Kraftstoffen erwartet. Aufgrund der die Produktion benötigte CO2 aus der Luft abgeschieden hohen Energiebedarfe ist nur eine teilweise Elektrifizie- werden oder aus biogenen Quellen kommen und somit rung durch Batterien oder Wasserstoffbrennstoffzellen einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf bilden. Die möglich, sodass auch in Zukunft flüssige Energieträger Kohlenstoffquelle hat direkten Einfluss auf die Effizienz in zum Einsatz kommen müssen. Dies gilt insbesondere für der Herstellung. Derzeit verschlechtert Direct Air Capture die internationale Seeschifffahrt sowie große Binnen- (DAC) den Gesamtwirkungsgrad um 10 Prozentpunkte schiffe. Für die Kanalschifffahrt sowie kleine Schiffe, die im Vergleich zur Nutzung vorhandener Punktquellen aus in und zwischen Häfen fahren, werden voraussichtlich Industrie oder Biomasse.12 elektrische Lösungen zur Verfügung stehen. Auch hier wird der Bedarf durch die Entwicklung der Verkehrsleis- Synthetische Kraftstoffe haben die gleiche hohe tung des Sektors beeinflusst. So erhöht sich der Bedarf Energiedichte wie konventionelle Kraftstoffe und an synthetischen Kraftstoffen in Szenarien, in denen eignen sich so insbesondere für den Einsatz in Be- ein Shift im Güterverkehr von der Straße auf die reichen mit hohen Energiebedarfen, die nicht durch Wasserstraße angenommen wird. 14 Zusätzlich ist die batterie- oder brennstoffzellenelektrische Lösungen Branche durch lange Investitionszyklen gekennzeichnet, defossilisiert werden können. sodass auch in Zukunft ein Bestand an Schiffen mit Ver- brennungsmotoren zu erwarten ist, der zur Erreichung der Klimaziele mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden muss.
24 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Im Straßenverkehr werden synthetische Kraftstoffe voraussichtlich maximal in der Bestandsflotte des Güterverkehrs mit verbleibenden Verbrennermotoren oder in Spezialanwendungen mit hohem Energie- bedarf, wie Baumaschinen, der Landwirtschaft oder im Militär, Anwendung finden. 15 Je höher die nötigen Reichweiten und das Gewicht der betrachteten Anwen- dung sind, umso größer wird der Bedarf an synthetischen Kraftstoffen sein. Der prognostizierte Bedarf im Stra- ßenverkehr hängt im Wesentlichen von den Entwicklun- gen bei den Elektrifizierungstechnologien Batterie und Brennstoffzelle ab.16 Für die Fahrzeugklassen N1 und N2 Synthetische Kraftstoffe sind eine sinnvolle und sind hier bereits Lösungen verfügbar. Anwendungen im wichtige Ergänzung zu batterieelektrischen Fahr- Bereich N3 werden gerade erst entwickelt. In Szenarien, zeugen und dem direkten Einsatz von Wasserstoff. in denen weitere Innovationen erwartet werden, ver- Die Umwandlungsverluste sind hoch und deshalb ein ringert sich der Bedarf an synthetischen Kraftstoffen wichtiger Faktor, da erneuerbare Energien noch nicht entsprechend. ausreichend verfügbar sind. Der Einsatz muss mit Be- dacht gewählt werden. Entscheidend sind die jeweili- Weitere Bedarfe für PtX-Produkte ergeben sich in der gen Leistungsanforderungen und die zur Verfügung chemischen Industrie. Hier werden synthetische Kraft- stehenden Alternativen. Wie groß der Einsatz synthe- stoffe aber nicht als Energieträger, sondern als Aus- tischer Kraftstoffe bei den jeweiligen Endanwendungen gangsstoff verwendet. Bisher konventionell produzierte sein wird, kann derzeit noch nicht genau beziffert werden. Basischemikalien wie Methanol oder Ammoniak müssen Fest steht aber: Sie werden gerade bei ehrgeizigen Klima- künftig auf Basis von grünem Wasserstoff hergestellt wer- zielen eine Rolle spielen. Die chemische Industrie wird den. Zusätzlich stellt Naphtha einen wichtigen Ausgangs- weiterhin einen hohen Bedarf an Methanol und Naphtha stoff für die chemische Industrie dar. Dieser wird derzeit aufweisen, in der Luftfahrt wird die Nachfrage nach in Raffinerien aus Rohöl produziert. Durch ihre geografi- Kerosin bei Langstrecken bestehen bleiben und auch sche Nähe zu wichtigen Chemiestandorten kommt den die Seeschifffahrt wird zum Teil noch auf flüssige Kraft- Raffinerien in Nordrhein-Westfalen hier eine besondere stoffe angewiesen sein. Das Land Nordrhein-Westfalen Bedeutung zu. Auch hier werden künftig PtX-Produkte forciert den E insatz synthetischer Kraftstoffe dort, als Ausgangsstoffe für eine klimaneutrale Produktion ge- wo effizientere Technologien keine oder nur sehr nutzt werden.17 schwer Anwendung finden können. Eine ausschließ- liche Fokussierung auf ein Endprodukt ist aber in Anbe- tracht der technischen Abhängigkeiten in der Produktion und den künftigen Bedarfen nicht zielführend.
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 25 3.3 Wann sind synthetische Kraftstoffe klimaneutral? Damit synthetische Kraftstoffe einen echten Bei- CO2 aus industriellen trag zum Klimaschutz leisten, müssen sie langfristig klimaneutral hergestellt werden. Aber auch auf dem P rozessen Weg zu einer vollständig klimaneutralen Produktion können synthetische Kraftstoffe schon einen Beitrag CO2 kann aus fossilen Verbrennungsprozessen und indus- zum Klimaschutz leisten, wenn die CO2 -Bilanz insge- triellen Punktquellen gewonnen werden. Hierfür kommen samt besser ist als die von fossilen Kraftstoffen. Technologien wie Absorption, Adsorption, chemisches Loo- ping, Membran-Gastrennung oder Gashydrat-Technologien Um die Klimabilanz bewerten zu können, sind viele in Frage.19 CO2 aus industriellen Punktquellen wird mittel- einzelne Punkte entlang der Produktionskette und fristig noch verfügbar sein. Prozessbedingte Emissionen des Bilanzierungsrahmens wichtig. Der Strom für die werden als CO2 -Emissionen definiert, bei denen das CO2 Elektrolyse muss aus erneuerbaren Quellen kommen. als Produkt einer chemischen Reaktion entsteht, die keine Gleichzeitig bestimmen die Stromgestehungskosten Verbrennung ist.20 Beispiele finden sich in der Roheisen- die Wirtschaftlichkeit und sind deshalb ein entschei- herstellung, Zement- und Kalkproduktion und der Chemie- dender Faktor bei der Wahl künftiger Standorte für branche. Im Rahmen der klimaneutralen Transformation die Wasserstoffproduktion. Allerdings sind sonnen- der Industrie werden zwar große Mengen CO2 eingespart. reiche Regionen nicht zwingend auch wasserreiche Aber dennoch ist heute bereits klar, dass im klimaneutralen Regionen. Das für die Elektrolyse benötigte Wasser Nordrhein-Westfalen im Jahr 2045 trotzdem immer noch darf deshalb weder die lokale Trinkwasserversorgung unvermeidbare Emissionen anfallen werden. Unter unver- noch bestehende Ökosysteme beinträchtigen bzw. aus meidbar sind die CO2 -Mengen zu verstehen, deren Entste- dem Gleichgewicht bringen. 18 Eine Lösung können hier hung trotz Optimierung des Produktionsverfahrens oder Meerentsalzungsanlagen sein, die dann wiederum nur des Produktes nicht vermieden werden kann und bei denen mit zusätzlichem, erneuerbarem Strom betrieben werden keine alternativen Prozesse und keine alternativen Produkte sollten. Auch das CO2 kann aus unterschiedlichen Quellen oder Ressourcen für denselben Anwendungsfall verfügbar kommen. Je nach Bezugsquelle ändern sich die Bilanz sind bzw. deren Potenziale zu stark begrenzt sind. Die ver- und auch die Effizienz. Da die Wertschöpfungskette bleibenden industriellen CO2 -Mengen in einem klimaneut- synthetischer Kraftstoffe global ausgestaltet sein ralen Nordrhein-Westfalen belaufen sich nach derzeitigem wird, braucht es vor allem auch Nachhaltigkeits- Kenntnisstand je nach Szenario auf 7 bis 35 Mio. Tonnen. standards bzw. ein Zertifizierungssystem innerhalb Auf die Höhe der verbleibenden CO2 -Mengen hat in Nord- und außerhalb des EU-Rechtsraums. rhein-Westfalen unter anderem auch die Entwicklung der Steamcracker einen großen Einfluss. Zum jetzigen Zeit- punkt kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass durch technische Innovationen auch diese Mengen zumin- dest teilweise in Zukunft vermeidbar sind. Die Nutzung von CO 2 aus industriellen Prozessen zur Produktion von synthetischen Kraftstoffen in Nordrhein- Westfalen ist vor allem für die Übergangsphase attraktiv. Die Nutzungsdauer des CO 2 wird verlängert, es handelt sich allerdings trotzdem nicht um einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf. Von CO 2 -Neutralität kann nur gesprochen werden, wenn das für die Produktion ver- wendete CO2 einen geschlossenen Kreislauf mit der Atmosphäre bildet, sprich vorher aus der Atmosphä- re abgeschieden wurde oder von biogenen Quellen gewonnen wurde. Außerdem muss vermieden werden, dass hier eine Pfadabhängigkeit angelegt wird, die eine Vermeidung von CO2 -Produktion unattraktiv macht und somit das Erreichen der Klimaschutzziele gefährdet.21
26 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Graues CO2 Graues CO2 entsteht bei der Verwertung fossiler Kohlenstoffe (Erdöl, Erdgas, Kohle, Kalk). Die Nutzung von grauem CO2 zur H erstellung von Produkten, in w elchen der Kohlenstoff nicht permanent chemisch gebunden ist, ist daher nicht klimaneutral. Dennoch können durch den Einsatz von grauem CO2 die Gesamtemis- sionen gesenkt werden, wenn dadurch konventionelle fossile Kohlen- stoffquellen, deren Verwertung zur Entstehung weiterer CO2-Mengen führen würde, reduziert werden. Mittel- und langfristig sollte graues CO2 somit nur in Anwendungen zum Einsatz kommen, in denen eine (zeitnahe) Freisetzung ausgeschlossen werden kann. CO2 aus biogenen Quellen Direct Air Capture (DAC) Für den CO 2 -Bezug aus biogenen Quellen bieten sich Bei der Abscheidung von CO2 aus der Umgebungsluft Biogasanlagen, Bioethanol-Anlagen und Biomasseheiz- können – anders als bei Nutzung von industriellen kraftwerke an. Die Nutzung von Biomasse wird als Abgasen – diffuse Quellen verwendet werden. Bei der klimaneutral betrachtet, sofern bei der Verwertung sogenannten Direct-Air-Capture(DAC)-Technologie wird maximal so viel CO2 frei wird, wie beim Wachstum Umgebungsluft mittels Ventilatoren auf ein Sorptions- aufgenommen wurde. mittel geleitet. Im Anschluss muss das CO2 gebunden werden. Dies kann entweder durch absorbierende oder adsorbierende Substanzen erfolgen. Das CO2 wird dann wieder vom Sorptionsmittel getrennt. Für DAC lassen sich grob zwei Technologie-Gruppen definieren: DAChighTemp und DAClowTemp.22 Bei DAChighTemp-Verfahren wird CO2 als Calciumcarbonat gebunden und anschließend mittels Kalzinierung weiter- behandelt, sodass am Ende CO2 in konzentrierter Form zur Verfügung steht. Für die Kalzinierung sind sehr hohe
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 27 Grünes CO2 Grünes CO2 entsteht bei der Verwertung biogener Kohlenstoffe (Biomasse). Die Nutzung von grünem CO2 ist unter denselben Umständen klimaneutral wie die Nutzung von Biomasse selbst. Auch Anwendungen, in welchen das CO2 nicht permanent chemisch gebunden wird, wie z. B. synthetische Kraftstoffe, können somit auf Basis von grünem CO2 klimaneutral gestaltet werden. Ersetzt das grüne CO2 fossile Kohlenstoffquellen oder kommt bei der Herstellung von Produkten zum Einsatz, in denen der Kohlenstoff permanent che- misch gebunden ist, ist sogar von einem (zeitweisen) positiven Klima- effekt auszugehen. Temperaturen (850 bis 1000 Grad Celsius) notwendig.23 Kohlenstoffkreislauf zu produzieren. Mithilfe der DAC- Die kanadische Firma Carbon Engineering betreibt eine Technologie kann aber nicht nur CO 2 der Atmosphäre Demonstrationsanlage mit diesem Verfahren. Den Ener- entzogen werden, um es für die Produktion synthetischer giebedarf deckt sie mit Erdgas. Laut Angaben der Firma Kraftstoffe zu verwenden. DAC hat perspektivisch das Carbon Engineering kann die Anlage auf 1 Mio. CO2 pro Potenzial, „negative Emissionen“ zu erzielen (Direct Jahr skaliert werden. Der Einsatz von Erdgas führt jedoch Air Capture and Storage – DACCS). dazu, dass für jede Tonne CO2, die aus der Umgebungsluft abgeschieden wird, wieder eine halbe Tonne fossiles CO2 Den vielen Vorteilen der DAC-Technologie stehen einige freigesetzt wird. Dieses wird zwar durch einen zusätzli- Herausforderungen gegenüber. Neben der bisher ausge- chen Nachverbrennungsprozess nur teilweise freigesetzt, bliebenen Skalierung, der Uneinigkeit über die technische aber es handelt sich hierbei nach derzeitigem Stand trotz- Reife, den Verbesserungspotenzialen bei der Energieeffizi- dem nicht um einen komplett geschlossenen Kohlenstoff- enz und der fehlenden Wirtschaftlichkeit ist auch die CO2 - kreislauf. Bei DAClowTemp-Verfahren wird das CO2 in einer Effizienz nur unter bestimmten Voraussetzungen gegeben. Aminlösung adsorbiert und bei einer T emperatur von ca. Bisher gibt es einige Demonstrationsanlagen und modu- 100 Grad Celsius regeneriert. Der Energiebedarf ist gerin- lare Anlagen, ein großskaliger Einsatz wurde bisher aber ger und in manchen Fällen ist die Nutzung der Abwärme noch nicht umgesetzt. Die Kosten pro Tonne CO2 liegen je aus Elektrolyseanlagen, Industrie- oder Syntheseanlagen nach Verfahren derzeit zwischen 500 und 1000 Euro. Für möglich. 24 Im Besonderen bei dem DAClowTemp-Verfahren die Rentabilität einer großtechnischen Anlage ist der ent- sind noch Effizienzsteigerungen möglich, da es sich um ein sprechend zu erwartende Absatzmarkt entscheidend. vergleichsweise neues Verfahren handelt. DAC ermöglicht es, synthetische Kraftstoffe mit einem geschlossenen
28 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Abbildung 7: Beispielhafte Darstellung synthetischer Kraftstoffe als Teil eines Kohlenstoffkreislaufes25 EE-Erzeugung C Elektrolyse Wasserstoff H2 DAC Prozess- Synthetische emissionen Kohlenwasserstoffe Biomasse Endanwendungen Endanwendungen
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 29 CO2 -Effizienz von DAC-Anlagen und NRW-Perspektiven Die CO2-Konzentration in der Umgebungsluft ist wesentlich geringer als bei industriellen Punktquellen oder gar bei Kraftwerken. Zum Vergleich: Bei der Abscheidung von CO2 aus einem Kraftwerk ist die CO2-Konzentration 250 bis 300 Mal höher als bei der Abscheidung aus der Umgebungsluft. Theoretisch ist der Energiebedarf bei Abscheidung aus der Umgebungsluft 2 bis 4 Mal höher.26 Nicht nur der Strom für die Wasserstoff-Elektrolyse sollte aus erneu- erbaren Energien kommen, sondern auch der Energiebedarf von DAC-Anlagen damit gedeckt werden. Ein weiterer Aspekt, der deshalb bei der Weiter- entwicklung der Technologie in den Fokus genommen werden sollte, ist die Energieeffizienz. Hier müssen noch die Effizienzpotenziale gehoben werden. Eine der ersten kommerziellen DAC-Anlagen wird von dem in Nordrhein- Westfalen ansässigen Schweizer Unternehmen Climeworks produziert. Das Unternehmen arbeitet mit dem DAClowTemp-Verfahren und bietet bereits kommerziell modulare DAC-Anlagen an, die theoretisch skalierbar sind. Inwieweit sich Nordrhein-Westfalen zukünftig für DAC-Anlagen im breiten Maßstab eignet, ist allerdings noch fraglich. So ist eine Abscheidung aus der Luft derzeit mit 600 bis 1000 Euro pro Tonne CO2 noch um ein Vielfaches teurer als die Abscheidung aus industriellen Punktquellen. Allerdings sollte die Entwicklung von DAC-Anlagen vorangetrieben werden, da sie langfristig nicht nur bei der Produktion synthetischer Kraftstoffe zum Einsatz kommen können, sondern auch bei DACCS. Um den Markthochlauf frühzeitig anzukurbeln, hat die Wasserstoff-Roadmap NRW blauen Wasserstoff als Brückentechnologie auf dem Weg zur grünen Wasserstoffwirtschaft definiert. Mindestens mittel- fristig ist auch eine Nutzung von grauem CO2 sinnvoll. Die Nutzung von grünem CO2 kann bereits früher als DAC erfolgen. DAC-Technologien und der Anlagenbau sollen gefördert werden, sodass langfristig hier alle Potenziale ausgeschöpft werden können.
30 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Für Nordrhein-Westfalen ergibt sich deshalb folgender CO2- und H2-Nutzungsfahrplan: Abbildung 8: Fahrplan für die CO2 - und H2 -Nutzung KURZFRISTIG LANGFRISTIG MITTELFRISTIG graues CO2 grünes CO2 Direct Air Capture blauer H2 grüner H2 Eigene Darstellung
Synthetische Kraftstoffe: Herstellung, Eigenschaften und Anwendungsfelder 31 Die Kernaussagen des Kapitels: 1 Synthetische Kraftstoffe sollen vor allem da eingesetzt werden, wo tech- nisch keine andere Möglichkeit be- steht: (Langstrecken-)Flugverkehr, (See-)Schifffahrt und als Grund- stoff in der chemischen Industrie. 2 Auf lange Sicht sollten synthetische Kraftstoffe klimaneutral hergestellt werden, um einen maximalen Beitrag 3 zum Klimaschutz zu leisten. Lang- fristig sollten sie deshalb basierend auf grünem H2, grünem CO2 und CO2 durch Abscheidung aus der Um- gebungsluft produziert werden. Für einen erfolgreichen Markthochlauf, ist aber eine Übergangsphase sinn- voll in der auch blauer H2 und graues Es braucht auf europäischer CO2 genutzt wird. Ebene ein effizientes Zertifi- zierungssystem. Langfristig muss sich auch international auf eine harmonisierte Zerti- fizierung geeinigt werden.
32 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 04 32–39 Forschung und Entwicklung P Forschung und Entwicklung sind der Schlüssel für den Erfolg synthetischer Kraft- stoffe. Die hervorragende Forschungslandschaft in Nordrhein-Westfalen ist ein zentraler Standortfaktor.
Forschung und Entwicklung 33 Die Herstellung synthetischer Kraftstoffe basiert auf Der Forschung in Nordrhein-Westfalen kommt damit eine einer vielschrittigen und komplexen Prozesskette. Schlüsselrolle zu bei dem Bestreben, Klimaschutz und Forschung und Entwicklung kommt deshalb gerade hier wirtschaftliche Stärke gemeinsam voranzubringen. eine Schlüsselrolle zu: Sie ermöglicht technische Inno- vationen und erkennt Optimierungspotenziale. Ist die In Nordrhein-Westfalen findet sich eine – weltweit wohl technische Machbarkeit in vielen Bereichen grundsätzlich einzigartige – Konzentration von absoluter Grundlagen- erforscht, besteht bei der großskaligen Umsetzung der forschung bis hin zur anwendungsorientierten Forschung. Bedarf an wissenschaftlicher Begleitung. Die Forschung Mit bereits laufenden Verbundprojekten beweist Nord- ist der starke Partner der Industrie bei der Entwicklung rhein-Westfalen außerdem, wie eine starke Allianz von neuer Klimaschutztechnologien und damit unabdingbar Forschung und Wirtschaft gestaltet wird. Damit hat das für die Positionierung auf dem Weltmarkt. Land im Bereich Forschung und Entwicklung zu syntheti- schen Kraftstoffen eine Führungsrolle inne. 4.1 Übersicht der Universitäten und Hochschulen in NRW Kopernikus-Projekt Power-to-X (P2X) Ein wichtiges Leitprojekt ist das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kopernikus-Pro- jekt Power-to-X (P2X). Das Konsortium besteht aus 18 Forschungseinrichtungen und 27 Industrieunterneh- men und wird durch das FZ Jülich und die RWTH Aachen koordiniert. Zentrale Forschungsthemen sind u. a. mittel- und großskalige Elektrolysesysteme zur Herstellung von Wasserstoff aus überschüssigem Wind- und Solarstrom so- wie die Erprobung verschiedener Prozessrouten für Power- to-Liquid und Power-to-Chemicals (z. B. Methanol, Fischer- Tropsch-Fuels, Alkohole höherer Ordnung), die Entwicklung von Prozessdesigns, Pilot- und Demonstrationsprojekten, Konzepte für Wasserstoff-Tankstellen sowie den Transport von Wasserstoff und der Vergleich alternativer Umwand- lungspfade anhand von CO2 -Fußabdruck und Kosten.
34 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW Abbildung 9: Übersicht der Universitäten und Hochschulen in NRW 1 RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM Lehrstuhl für Technische Chemie Themenschwerpunkt sind industriell relevante Prozesse, zu denen auch energietechnische Frage- stellungen gehören. Im Bereich Power-to-X zählt hierzu die Entwicklung geeigneter Katalysatoren. Niederlande 2 VIRTUELLES INSTITUT STROM ZU GAS UND WÄRME (VI SGW) Am VI SGW wird die Machbarkeit von Synthese- routen wie der Fischer-Topsch-Synthese unter- sucht. Hierzu bündelt es die Kompetenzen aus sieben Forschungseinrichtungen zu Energietechnik und -wirtschaft. 3 MAX-PLANCK-INSTITUT 1 2 FÜR CHEMISCHE ENERGIEKONVERSION 3 Abteilung Molekulare Katalyse Hier findet Grundlagenforschung statt, um Rohstoffe als Basis für chemische Produkte und Kraftstoffe zu nutzen. Im Vordergrund steht dabei das Verständnis von molekularen 4 Prinzipien der Katalyse. 5 4 WUPPERTAL INSTITUT (WI) 6 Zukünftige Energie- und Industriesysteme 7 Das WI untersucht zum Beispiel im Projekt MENA- Fuels die Rolle der MENA Region (Middle East/North Africa) bei der Versorgung Deutschlands und der EU mit synthetischen Kraftstoffen und deren Vorpro- dukten. Am Ende der Laufzeit soll ein Leitfaden mit Handlungsoptionen für die Erforschung, Entwick- lung, Produktion, Nutzung und Markteinführung von synthetischen Kraftstoffen stehen. Das Projekt ist Teil der Förderinitiative „Energiewende im Verkehr: Belgien Sektorkopplung durch die Nutzung strombasier- ter Kraftstoffe“des Bundesministeriums für Rheinland-Pfalz Wirtschaft und Energie (BMWi).
Forschung und Entwicklung 35 Niedersachsen 5 DEUTSCHES ZENTRUM FÜR LUFT- UND RAUM- FAHRT (DLR) Projekt Future Fuels Am DLR wird die Herstellung synthetischer Kraftstoffe mit konzentrierter Sonnenenergie in Verbindung mit einem Hochtemperatur- Elektrolyseur erforscht. 6 FORSCHUNGSZENTRUM JÜLICH Institut für Energie- und Klimaforschung (IEK) Die Forschung am IEK deckt Fragestellungen zur Elektrolyse, zu Brennstoffzellen, zur Wasser- stoff-Infrastruktur, zur Kraftstoffsynthese und Systemtechnik sowie zur techno-ökonomischen Systemanalyse ab. 7 RWTH AACHEN Fuel Science Center (FSC) & Lehrstuhl für Thermodynamik mobiler Energiewandlungs- systeme (TME) Am FSC wird an Grundlagen und Methoden zur Entwicklung von alternativen Kraftstoffen aus erneuerbarem Strom und biobasierten Kohlen- Hessen stoffquellen geforscht. Der Forschungsschwer- punkt des TME im Bereich synthetische Kraft- stoffe liegt hingegen auf Methanol. Themen sind die Standardisierung von Methanol-Kraftstoffen, die Methanol-Produktion über regenerative Pfade, die Handhabung von Methanol sowie die notwendige Infrastruktur. Verbundprojekte Universitäten und Hochschulen
36 Handlungskonzept Synthetische Kraftstoffe NRW 4.2 Allianz von Wissenschaft und Industrie made in NRW – Verbundprojekte Forschung kommt erst dann richtig zum Tragen, wenn sie Die ersten Projekte – wie auch C3-Mobility – sind bereits ihren Weg in die Anwendung findet. Hier ist Nordrhein- im Herbst 2018 gestartet. Sie alle betrachten die Her- Westfalen Vorreiter: Starke Partnerschaften zwischen stellung, den Transport oder die Nutzung strombasier- Forschung und Industrie machen Nordrhein-West ter Kraftstoffe aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Der falen zum Innovationsland. Gerade in der jetzigen Pha- Schwerpunkt des Projekts ist die Nutzung und Weiter- se sind integrierte Ansätze notwendig, die Technologien verarbeitung von Methanol zu neuen regenerativen erproben, neue Materialien testen und die verschiedenen Kraftstoffen für Benzin- und Dieselmotoren: DME, OME, Perspektiven des komplexen Themas synthetische Kraft- Octanol, Butanol sowie Methanol to Gasoline. stoffe gemeinsam denken. Nordrhein-Westfalen bietet diese Ansätze und ist damit ein hervorragender Standort, Das EU-Projekt ALIGN-CCU hat als Ziel, eine Blaupause um synthetische Kraftstoffe weiter voranzubringen. einer Kohlendioxidwirtschaft aufzubauen. Hierfür werden in Demonstrations- und industriellen Anlagen CO 2 -Ab- Mit einer innovativen Versuchsanlage am Standort Marl scheidung, -Transport, -Speicherung und -Nutzung unter- erforschen Siemens und Evonik im Projekt Rheticus CO2 sucht. Ebenso werden die Akzeptanz untersucht und als alternativen Rohstoff für die Herstellung von Spezial- Maßnahmen erarbeitet. In Nordrhein-Westfalen wird chemikalien. Die Anlage kombiniert erstmals erneuerbare eine CCU-Anlage an dem Kraftwerk Niederaußem von Energien, Elektrolyseverfahren und Fermentation. Sie RWE im Demonstrationsmaßstab betrieben. Weitere Pro- ermöglicht so die Zusammenführung von Energie- und jektpartner sind unter anderem FEV, die RWTH Aachen Chemiesektor und den Zugang zu einer klimafreund- und das FZ Jülich. Insgesamt wirken 34 Industrie- und licheren Gestaltung der chemischen Industrie. Forschungspartner in sechs europäischen Regionen mit. Das gemeinsame Projekt C3 -Mobility (Closed Carbon Das Projekt Carbon2Chem erforscht, wie aus Hüttenga- Cycle Mobility) von FEV, Ford und dem FZ Jülich ist einer sen der Stahlproduktion wertvolle Vorprodukte für Kraft- von insgesamt 15 Forschungsverbünden der Forschungs- stoffe, Kunststoffe oder Düngemittel werden. Carbon- initiative „Energiewende im Verkehr“ des Bundesministe- 2Chem soll 20 Millionen Tonnen des jährlichen deutschen riums für Wirtschaft und Energie. Die Initiative bildet eine CO2 -Ausstoßes der Stahlbranche wirtschaftlich nutzbar Schnittstelle zwischen dem Energie- und dem Verkehrs- machen. Die zweite Phase von Carbon2Chem wird die ent- sektor. So können für die Erforschung neuer und stromba- wickelten Verfahren für die großtechnische Umsetzung sierter Kraftstoffe für den Transport zu S traße, zu Wasser validieren und so die Grundlage für den emissionsarmen und zu Luft vielfältige Synergien genutzt und interdis- Betrieb legen. Projektpartner sind u.a. die Thyssenkrupp ziplinäre Ansätze vernetzt werden. Auch die politischen AG, Covestro, RWTH Aachen, Ruhr-Universität Bochum Handlungsoptionen zum Erreichen der Klimaschutzziele LEAT, Fraunhofer UMSICHT, Lhoist, Evonik, Remondis. von Paris werden durch die Sektorkopplung von Energie und Verkehr erweitert.
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