Kinder im öffentlichen Raum

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Kinder im öffentlichen Raum
22     Stadt

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       Erfahrungen einer Kinderbeauftragten

       Kinder im öffentlichen Raum
       Kinder im öffentlichen Raum? – Was bedeutet das? Während für Erwachsene der                        Vor allem aber enthält die Handreichung
       öffentliche Raum relativ einfach zu definieren ist, braucht es für Kinder einen                  Grundsatzblätter zu den Kinderrechten,
       Perspektivenwechsel! Denn für sie beginnt – zumal, wenn sie noch sehr jung sind                  zum Kinderspiel, zum Nachbarschaftsrecht,
       – der öffentliche Raum bereits an der Wohnungstüre. Zum „kinderöffentlichen                      und sie bietet Hinweise, wie sich Konflikte
       Raum“ gehören also schon der Hausflur, der Hauseingang, der Hof, der Spielplatz                  konstruktiv lösen lassen.
       der Wohnanlage oder das „Abstandsgrün“, das Wohnumfeld. Erwachsene bezeich-                        Diese Informationen - und die damit
       nen das eher als „halböffentlichen“ oder gar noch privaten Raum.                                 einhergehende Stärkung des Selbstbewusst-
                                                                                                        seins von Kindern und Familien - haben sich
          Erst mit zunehmendem Alter erschließen       Aspekten der Nutzung kinderöffentlicher und      bewährt: Nach Veröffentlichung der Hand-
       sich Kinder den erweiterten öffentlichen        auch anderer öffentlicher Räume zu tun.          reichung sind die Anfragen zu Konflikten
       Raum, und das höchst unterschiedlich.                                                            im Wohnumfeld zunächst stark zurückge-
          Neben dem Wohnumfeld sind für Kinder          Jeder einzelnen Anfrage                         gangen.
       besonders wichtig die „kinderöffentlichen        wird nachgegangen
       Räume“ Schule, Schulhof, Schulweg, Kinder-                                                        Kinderwirklichkeit und
       tagesstätte, Sportverein und Freizeitstätte.      Wie kann das Büro der Kinderbeauftrag-          kinderöffentliche Räume heute
       Vermutlich sind sie weitaus bedeutsamer als     ten darauf reagieren? Zunächst bearbeiten
       „richtige“ öffentliche Plätze, Straßen, Grün-   wir die einzelnen Anfragen, fragen nach,            Bei der „Bundeskonferenz der Kinderin-
       anlagen oder andere Orte des öffentlichen       informieren, klären rechtliche Rahmenbe-         teressenvertretungen“ in Salzgitter Ende
       Raumes. Hier verbringen sie den größten         dingungen, geben Tipps, wie sich Kinder und      November 2011 warnten viele der Teilneh-
       Teil des Tages.                                 Familien selbst helfen können, und beraten.      menden vor einer besorgniserregenden Ent-
                                                       So versuchen wir, dazu beizutragen, dass sich    wicklung: Es wird zwar allgemein begrüßt,
        Kinderspiel und „Kinderlärm“                   die Situation für die Kinder und Familien        dass Ganztagsschulen und Ganztagsbetreu-
        wesentlich für „kinderöffentlichen             unmittelbar verbessert.                          ung ausgeweitet werden. Doch sollte man
        Raum“                                                                                           dabei nicht die aus dem Blick verlieren, um
                                                        Von Einzelanfragen zu stadtweiten               die es dabei geht – die Kinder! Die Kinder-
          In „kinderöffentlichen Räumen“ spielen        Impulsen und Initiativen                        beauftragten aus vielen deutschen Städten
       vor allem zwei Aspekte eine wichtige Rolle:                                                      plädierten deshalb dafür, bundesweit und auf
       „Spiel“ und „Kinderlärm“. Spielend und sich        Darüber hinaus werden regelmäßig alle         kommunaler Ebene die Qualität von Schulen
       bewegend nutzen Kinder diese Räume – und        Anfragen statistisch ausgewertet. So lässt       und Betreuungseinrichtungen verstärkt aus
       dabei treffen sie sich besonders gerne mit      sich erkennen, welche Themen Münchner            Kinderperspektive zu „prüfen“: Wie kind-
       anderen Kindern. Das geht nicht immer ge-       Kinder und Familien vorrangig beschäfti-         gerecht sind sie und wie wohl fühlen sich
       räuschlos vor sich. Mit anderen Worten: Wir     gen, mit welchen Fragen und Problemen sie        die Mädchen und Jungen in diesen „kinder-
       haben es – nicht nur, aber doch oft – auch      sich auseinandersetzen, welche Defizite          öffentlichen Räumen“? Dabei sind Kinder
       mit „Konflikten“ zu tun: mit Nutzungskon-       es gibt.                                         unbedingt zu beteiligen!
       flikten, mit Nachbarschaftskonflikten, mit         Weil mehr als 50 Prozent aller Anfragen mit      Einen Beleg für die Notwendigkeit dieses
       Machtkonflikten und mit der Verdrängung         dem kinderöffentlichen Raum „Wohnumfeld“         Perspektivenwechsels gibt es auch in Mün-
       von Schwächeren durch Stärkere. Und häufig      zu tun hatten, haben wir die „Post von der       chen: Etliche Anträge beim letzten Kinder-
       auch mit Informations- und Kommunikati-         Kinderbeauftragten“ entwickelt, eine Hand-       und Jugendforum im Rathaus drehten sich
       onsproblemen.                                   reichung, die juristisch fundiert, aber doch     um die Verbesserung der „Wohlfühl-Qualität“
          Rund die Hälfte aller Anfragen und Be-       gut verständlich Handlungsoptionen für die       in der Schule: Es ging um saubere Toiletten,
       schwerden an die Ombudsstelle des Büros der     häufigsten Konfliktfelder im Wohnumfeld          Wasserspender und (besonders häufig!) um
       Kinderbeauftragten haben mit diesen beiden      aufzeigt.                                        Spielmöglichkeiten.

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Kinder im öffentlichen Raum
Stadt                23

 Zwei neue Ansätze, um „Kinderor-
 te“ in München sichtbar zu machen

  Wichtige „kinderöffentliche Räume“ auf
Kinderfreundlichkeit zu prüfen, ist das eine.
Mindestens ebenso wichtig ist es, dass sich
die Bildungs- und Betreuungseinrichtungen
verstärkt in den Stadtteil und die ganze
Stadt öffnen, insbesondere, wenn sich Kinder
dort den größten Teil des Tages aufhalten.
Gemeinsam mit Kindern sollte verstärkt
der öffentliche Raum erkundet, entdeckt,
bewertet und natürlich auch „angeeignet“
werden.
  Das Büro der Kinderbeauftragten hat
deshalb gemeinsam mit vielen Kooperations-
partnern (nicht zuletzt dem Kreisjugendring)
2011 zwei Initiativen gestartet, um den
                                                 Auch auf der Straße bewegen sich Kinder, konkurrieren aber häufig mit Autofahrern.
kinderöffentlichen Raum zu stärken, um           Manchmal braucht es Aktionen wie eine Geschwindigkeitsmessung der Polizei mit
Kinderorte besser ins Bewusstsein zu rücken      Kindern, um auf die Belange der Heranwachsenden aufmerksam zu machen.
und somit auch besser erreichbar zu machen
und durch Kinder nutzen zu lassen.              Spiellandschaft Stadt, der Bezirksausschuss,
                                                die REGSAM-Fachbasis, Kindertagesstätten,                  „Schätze“ im kinderöffentlichen
 Kinderorte im Stadtteil sichtbar               die Stadtbibliothek sowie vereinzelt Schulen               Raum entdecken
 machen! - Pilotprojekt zum                     - und natürlich viele Kinder.
 Weltkindertag in Laim                                                                                     „Kinderorte in München sichtbar ma-
                                                 Orte zum Toben und Menschen                             chen!“ – unter diesem Motto startete am 30.
  „Also ich find‘s toll, dass ich hier mal       zum Loben                                               November außerdem der „Münchner Spiele-
meine Meinung sagen darf, ob das Spielen in                                                              Schatz“. Er führt an 73 wichtige Kinderorte
meiner Gegend gut ist! Ich glaube nicht, dass     Alle Personen und Orte, die der kritischen             in München, eine Schatz-Karte gibt erste
Erwachsene das so gut können wie Kinder.        Bewertung durch die Kinder-Jury stand-                   Hinweise, wo sie zu finden sind. Dort sind
                                                hielten, bekamen auf dem Weltkindertag                   Sammel-Karten mit unterschiedlichsten
                                                feierlich eine Urkunde oder ein Gütesiegel               Spielideen zu ergattern. Jedes Kind, jede
                                                verliehen. Um Verbesserungen der anderen                 Familie hat so Gelegenheit, unsere Stadt
                                                „kinderöffentlichen Räume“ will sich nun der             mit ihren vielen „Kinderorten“ spielerisch
                                                Bezirksausschuss verstärkt kümmern.                      kennenzulernen.

                                                 Zweite Pilotphase „Kinderorte im                        Jana Frädrich, Kinderbeauftragte
                                                 Stadtteil sichtbar machen“ startet                      der Landeshauptstadt München
                                                 2012                                                    E-Mail: kinderbeauftragte.soz@muenchen.de
                                                                                                         www.muenchen.de/kinderbeauftragte
                                                  Nach dem Auftakt in Laim soll der „er-
                                                weiterte Weltkindertag“ auch in anderen                  * Die Landeshauptstadt München hat die
                                                Münchner Stadtbezirken umgesetzt werden.                   UN-Kinderrechtskonvention als Kommu-
 Kinder-Stadtteil-Forscher unterwegs:           Bewerbungen für eine zweite Pilotphase                     ne freiwillig anerkannt und zu einer der
 Spielplätze im öffentlichen Raum wer-          werden bis Mitte Dezember 2011 entgegen                    Grundlagen der städtischen Kinder- und
 den genauso unter die Lupe genommen            genommen.                                                  Familienpolitik gemacht.
 und auf Kinderfreundlichkeit unter-
 sucht wie halböffentliche und private
 Spielräume.

Wer denkt denn schon daran, dass wir zum
                                                                                                                                                   ein
Beispiel auf Bäume klettern wollen und auf                                                                                         Jedes Kind hat
                                                                                                                                     Recht auf Spiel,
                                                                                                                                                 d Ku ltur.
dem Spielplatz deshalb auch Kletterbäume                                                                                        Freizeit, Ruhe un
                                                                                                                                                   -Konvention
brauchen?“ - Ferdinand (10 Jahre) ist ein be-                                                                                   (Artikel 31 der UN
                                                                                                                                                  des Kindes)
                                                                                                                                 über die Rechte
geistertes Mitglied der Laimer Kinderjury.
   Zwei Tage lang war er zusammen mit an-
deren 8- bis 13-Jährigen in Laim unterwegs,               Mach mit beim Münchner Spiele-Schatz!
um kinderfreundliche Erwachsene zu inter-
                                                          Lerne ein Jahr lang mit dem Münchner Spiele-Schatz unsere Stadt kennen und sammle viele Spiel-
viewen und öffentliche oder private Spielorte             ideen dabei! 73 warten auf dich und deine Familie, an mindestens 73 Kinder-Orten in München.
unter die Lupe zu nehmen. Vorher konnten
                                                          Nähere Informationen: www.muenchen.de/kinderbeauftragte
alle Kinder aus dem Bezirk mehrere Wochen
lang auf hervorragende und weniger gute
„Kinderorte im Stadtteil“ hinweisen. Dieses               Alle Materialien zum Mitspielen:
breit angelegte Projekt zur Förderung der                 Kinderbeauftragte der Landeshauptstadt München
Beteiligung bei der Spielraumentwicklung                  Severinstraße 2, 81541 München

von Kindern dauerte vom Weltspieltag (28.                 Kinder- und Familieninformation im Rathaus
                                                          Marienplatz 8 (Stadt-Information)
Mai) bis zum Weltkindertag (20. September).
Beteiligt waren die Arbeitsgemeinschaft
                                                 LHM_11006_RZ_Anzeige_111122.indd 2                                                                    22.11.11 17:07

                                                                                                                                                                        8|11
Kinder im öffentlichen Raum
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       Gibt es Perspektiven für die Münchner Jugend, die Stadt gleichberechtigt nutzen zu können?

       Jugend in der Stadt
       Es braucht einen gesellschaftlichen
       Konsens darüber, dass die Jugend als
       Teil der Gesellschaft selbst bestimmte
       Bedürfnisse hat und diese auch ausle-
       ben darf. Jede Lebensphase hat ihre
       eigene Ausprägung. Nur wird dies von
       den Erwachsenen, die mit ihrer Sicht
       der Dinge das Zusammenleben bestim-
       men, eingeengt gesehen. Dabei stehen
       die Bedürfnisse der Erwachsenen im
       Privatleben, in der Arbeitswelt, im
       Bildungswesen bis hin zu Architektur
       und Städtebau im Vordergrund. Hinzu
       kommen die Einhaltung verschiedener
       Gesetze und Normen, die Selbstver-
       wirklichungsideen der Planer und In-
       vestoren, die Wünsche der Politik, die
       Maßgaben der wirtschaftlichen und
       finanziellen Rahmenbedingungen und

                                                                                                                                                           Foto: Musisch Kreative Werkstatt
       die Nachbarinteressen.

          Alles spricht heute von Partizipation,
       sie hat in der Stadtgesellschaft allerdings
       auch Grenzen. Demokratische Mitwirkung
       gibt es erst ab 18 Jahre, Antragsrechte in
       Bürgerversammlungen oder beim Bezirks-
       ausschuss gibt es für unter 18-Jährige auch
       nicht. Jugendliche, die sich meist schon              Damit sind wir an einem Punkt angekom-         auf, die durch den demografischen Wandel
       als gleichberechtigte Erwachsene sehen,             men zu fragen, inwieweit Partizipation dafür     entstanden sind. Eines davon ist das Hand-
       haben nur mittelbar über „großzügigerwei-           sorgen kann, dass insbesondere den Inter-        lungsfeld „Raum“. Zur Konkretisierung
       se“ eingeführte Partizipationsmethoden              essen Jugendlicher genügend Raum in der          und praktischen Umsetzung der Leitlinie
       die Möglichkeit, ihre Meinung zu äußern.            gestalteten und sich weiter entwickelnden        im Handlungsfeld Raum ist das Leitprojekt
       Was dann berücksichtigt wird, obliegt dann          Stadt eingeräumt wird. Deutlich werden die       „Kinder- und familienfreundliches Wohnen“
       wiederum dem formalen Verfahren, das von            Probleme und Konflikte mit den Lebensge-         im Jahr 2007 begonnen worden. Mittlerweile
       Erwachsenen vollzogen wird.                         wohnheiten der Jugendlichen besonders im         liegen Ergebnisse von Untersuchungen in
          Die Stadtentwicklungskonzeption PER-             öffentlichen Raum. München ist eine der          Münchner Stadtteilen vor, die auch konkret
       SPEKTIVE MÜNCHEN befasst sich auch mit              am höchsten verdichtet gebauten Städte           zu Jugendbelangen Aussagen treffen. Wich-
       diesen Fragen. Sie zeigt Perspektiven für die       Deutschlands. Hinzu kommt, dass bei der          tig dabei ist, dass zum Wohnen nicht nur
       wirtschaftliche, soziale, räumliche und regio-      Gestaltung der Freiflächen für Erholung und      die Wohnung, sondern auch das nutzbare
       nale Entwicklung der Stadt auf. Die demogra-        Stadtdurchgrünung, aber auch bei der Gestal-     Wohnumfeld und die ergänzenden quartiers-
       fische Entwicklung und die sich wandelnden           tung der Aufenthaltsflächen wie insbesonde-      und stadtteilbezogenen Angebote für Kinder,
       Lebensweisen der Münchner Bevölkerung               re die repräsentativen Plätze vor Einkaufs-      Jugendliche und Familien gehören.
       einschließlich der der Jugendlichen werden          zentren oder in der Mitte der Wohnquartiere         Im Abschlussbericht von Empirica (2008)
       dabei beleuchtet. Ziel ist es auch, eine stärkere   und Stadtteile jugendadäquates Mobiliar          für die Wüstenroth-Stiftung heißt es zum
       sozialräumliche Polarisierung zu vermeiden.         nicht oder ungenügend berücksichtigt wurde       Wohnumfeld in Bezug auf die Jugend: „Da
          Wichtig dabei ist, dass auf der einen Seite      bzw. wird. Es ist ja kein neues Phänomen, dass   Jugendliche i.d.R. Orte aufsuchen, die re-
       durch kontinuierliche Information durch             Erwachsene bzw. Berufstätige und Kinder in       lativ weit vom Elternhaus entfernt sind
       die Stadtentwicklungs- und Stadtplanung             den Abendstunden zu Hause sind, während          (keine soziale Kontrolle), sollten hier ent-
       Transparenz und Vertrauen geschaffen wer-           Jugendliche in den späteren Abend- und           sprechende Orte (mit den Jugendlichen
       den. Sie sind Grundlage für einen erfolgrei-        teilweise Nachtstunden sich draußen in           gemeinsam) geplant werden, so dass keine
       chen Dialog der zahlreichen privaten und            öffentlichen Räumen treffen – mit den Ne-        unnötigen Konflikte entstehen. Wenn dies
       öffentlichen Akteure der Stadtentwicklung.          beneffekten Lärm, Verunreinigung, teilweise      nicht geschieht, besteht die Gefahr, dass
       Prägendes Merkmal der PERSPEKTIVE MÜN-              auch Sachbeschädigung usw.                       Kinderspielplätze oder Bushaltestellen von
       CHEN ist daher eine kontinuierliche, breit            Betrachtet werden deshalb im Folgenden         Jugendlichen frequentiert werden, wodurch
       angelegte Öffentlichkeitsarbeit, um das             zwei wesentliche Handlungsfelder, in denen       Konflikte mit den eigentlich vorgesehenen
       Interesse aller Bürgerinnen und Bürger von          in München versucht werden soll, zu mehr         Nutzergruppen vorprogrammiert sind.“ Diese
       jung bis alt an einem engagierten Dialog über       jugendadäquatem Planen und Bauen sowie           Erfahrung zeigt sich auch in München.
       die Zukunft Münchens zu fördern.                    gesellschaftlichem Miteinander zu kommen.           Im Abschlussbericht des Münchner Gut-
          Auf der anderen Seite braucht es in kon-                                                          achtens von empirica (Sept. 2008) wird
       kreten Projekten, nach Maßgabe der spezi-            Kinder- und familienfreundliches                zusätzlich festgehalten: „Bei Angeboten
       fischen Rahmenbedingungen, Information               Wohnen                                          für Jugendliche reicht es nicht, Freiflächen
       und Beteiligung der Bürger/innen und für                                                             zur Verfügung zu stellen. Speziell in ‚über-
       die Berücksichtigung der Belange der Kinder           Die Leitlinie Kinder- und Familienpolitik      forderten Nachbarschaften’ (z.B. Probleme
       und Jugendlichen entsprechende Partizipa-           der PERSPEKTIVE MÜNCHEN greift mit ih-           mit Arbeitslosigkeit) sind konkrete Projekte
       tionswege.                                          ren Leitprojekten wichtige Aufgabenfelder        mit Jugendlichen notwendig. Die Gruppe der

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Kinder im öffentlichen Raum
Stadt                               25

„freien Radikalen“ können nicht über Schu-        über alle gesellschaftlichen Schichten. Den      werden. Hier können die Ergebnisse des
len oder Freizeiteinrichtungen gewonnen           Bedarfen und Gewohnheiten kann zwar              Bundesmodellprogramms „Wir kümmern uns
werden …“                                         durch stadtplanerische oder gestalterische       selbst“ zu neuen Wegen für eine frühzeitige
  Des Weiteren heißt es: „Die in den drei         Maßnahmen begegnet werden. Nötig ist aber        und niedrigschwellige Konfliktbearbeitung
untersuchten Stadtvierteln einstimmig geäu-       ein gesamtstädtisches Vorgehen.                  einbezogen werden.
ßerte Unzufriedenheit mit den Aufenthalts-
möglichkeiten für Schulkinder von 12 bis           Mediation im öffentlichen Raum                   Abschließende Betrachtung
13 Jahren und für Jugendliche ab 14 Jahren
zeigt, worauf man bei einer kinder- und ju-          Ein Ergebnis der Untersuchungen im Rah-          Die Landeshauptstadt München hat im
gendfreundlichen Gestaltung der Stadtviertel      men des Leitprojekts „Kinder- und familien-      Jahr 2010 aufgrund der Ergebnisse des
achten muss:                                      freundliches Wohnen“ ist, dass unbedingt         Leitprojekts einhellig Empfehlungen für
■ Bei Neubaugebieten sollten Angebote für         in Bezug auf die nachbarschaftlichen und         kinder- und familienfreundliches Wohnen
  Jugendliche, auch wenn der Anteil der Ju-       quartiersbezogenen Konflikte durch nicht         beschlossen. Die Empfehlungen enthalten
  gendlichen bei Erstbezug noch gering ist,       gesellschaftskonforme Nutzung der Spiel-,        rund 150 Kriterien für die Bereiche Wohnung,
  eingeplant werden (Flächenpotentiale).          Bewegungs- und Aufenthaltsflächen ver-           Wohnumfeld, Nachbarschaft, Quartier und
■ Es reicht nicht aus, wenn Jugendtreffs          stärkt Anstrengungen unternommen werden          Stadtteil. Die Belange der Jugendlichen
  stadtübergreifend vorhanden sind. In den        sollten.                                         sind entsprechend der oben zitierten Er-
  Stadtvierteln vor Ort müssen Treffpunkte           Das Sozialreferat wurde mit dem Bericht       gebnisse aus den Gutachten berücksichtigt.
  für Jugendliche integriert werden. Es geht      zum Leitprojekt im Jahr 2010 beauftragt,         Wir können hoffen, dass mit der Umsetzung
  nicht um aufwändige Trefforte, sondern          zur Schulung von 13 ehrenamtlichen Medi-         der Empfehlungen die Stadt auch jugend-
  eher um flexible Angebote, die je nach          ator/inn/en die Personalkapazität für das        freundlicher wird. Auf dem Weg dahin sind
  Veränderung der Altersstruktur angepasst        Konflikt- und Mediationsmanagement - Stelle      Jugendliche einzubeziehen, aktivierende
  werden können.                                  für Gemeinwesenmediation – SteG - im Amt         Methoden der Beteiligung sind anzuwenden
■ In den Stadtvierteln mit einem hohen            für Wohnen und Migration um 10 Wochen-           - allerdings generationenübergreifend, denn
  Anteil Jugendlicher müssen – v.a. wenn          stunden zu erhöhen. Bei den Bemühungen,          funktionierende Nachbarschaften und Stadt-
  es sich um benachteiligte Nachbarschaften       Nachbarschaften und Netzwerkbildung zu           teile brauchen alle Beteiligten: von jung bis
  handelt – Aufenthaltsmöglichkeiten für          fördern, ist außerdem REGSAM einzubinden.        alt, Politik, Verwaltung, Öffentlichkeit, alle
  Jugendliche v.a. bei schlechtem Wetter          SteG vermittelt bei Konflikten im gesamten       gesellschaftlichen Vereine, Initiativen und
  angeboten werden.                               Stadtgebiet, v.a. in den Bereichen Nach-         Gruppen.
■ In Stadtteilen mit vielen Jugendlichen          barschaft, Wohnumfeld, Stadtteil, Schule,
  ohne finanzielle Mobilität muss es auch         Kindertagesstätten und Ausbildung. Daneben       Kurt Damaschke
  Angebote geben, wie z.B. Disko oder Ju-         bietet SteG Fortbildungen und Workshops,         Stellvertretender Bereichsleiter HA I/21
  gendclub.“                                      z.B. zum Thema „präventives Konfliktma-          Soziale Grundsatzfragen, Infrastruktur und
                                                  nagement“ auch im interkulturellen Kontext       PERSPEKTIVE MÜNCHEN
   Nicht nur Jugendliche ohne entsprechende       an. Ziel ist es, dass Konfliktparteien selbst    Kinder-, Jugend- und Familienbeauftragter des
finanzielle Mittel nutzen die öffentlichen        eine einvernehmliche Lösung finden und           Referats für Stadtplanung und Bauordnung
Räume. Die Gewohnheiten verteilen sich            Institutionen in ihrer Arbeit unterstützt

Projekt „Schwarz-Weiß-Buch“

Platz da! - Raum in der Stadt
„Mach sichtbar, was vielleicht ohne
dich nie wahrgenommen worden wäre“.
(Robert Bresson)

  Rückblick: 2009 kaperten Jugendliche
unter dem Motto „Platz da!“ den Münchner
Odeonsplatz, um mit einem „Sleep-in“ auf
die Situation junger Menschen in der Lan-
deshauptstadt hinzuweisen und für eine
jugendfreundlichere Stadt zu kämpfen. Sie
forderten ihr Recht auf einen Platz im öf-
fentlichen Raum und selbstverantwortlich
gestaltbare Freiräume ein.
                                                                                                                                                    Foto: Tom Rausch

  2011 wurde „Platz da!“ mit dem Foto-Pro-
jekt „Schwarz-Weiß-Buch“ weitergeführt.
Die Thematik ist nicht minder aktuell: Der
Wandel und zunehmende Verlust von Wohn-            Der Schwarz-Weiß-Truck am Stachus
Raum, LebensRaum, SpielRaum und Freiraum
für junge Menschen in München.                    Freiräume finden und wo dies nicht möglich ist,   ein mediengeneriertes Bild - als kriminelle
  Idee des politischen Foto-Projekts war, durch   was ihnen nicht gefällt an unserer Stadt und     Schläger auf, oder sie werden als angepasst
Gegenüberstellung von Extremen, durch „ne-        wo etwas verbessert werden sollte.               betrachtet und fallen schlicht nicht aus dem
gativ-positiv-Fotopaare“, den Jugendlichen           Neben diesen Ergebnissen - den Fotos -        Rahmen und damit auch nicht auf, werden als
eine Möglichkeit zu geben, ihre differenzierte    waren auch andere Aspekte tragend: Gerade        unkritisch und nicht kreativ-produktiv in der
Sicht auf München, auf ihre Lebenswelt zu         in München ist die Sicht auf Jugendliche oft     Stadtgesellschaft gesehen. Das Projekt wollte
zeigen und zu verdeutlichen, was ihnen in         geprägt durch Extreme: Sie werden entwe-         hier eine entschiedene Gegenposition ein-
ihrer Umgebung gefällt, wo sie als Jugendliche    der als störend empfunden, fallen - durch        nehmen und den jungen Münchner/inne/n

                                                                                                                                                                       8|11
Kinder im öffentlichen Raum
26     Stadt

       eine Basis dafür bieten: Jugendliche sind
       durchaus kritische Rezipienten ihrer Le-
       bensumgebung und kreative Gestalter ihrer
       Umwelt, die Platz im öffentlichen Raum
       einnehmen möchten.
         Das Projekt wollte den Jugendlichen ein
       Sprachrohr sein für die Auseinandersetzung
       mit der eigenen Lebensumgebung und dabei
       verdeutlichen, dass Partizipation etwas nützt
       – um auf Missstände aufmerksam zu machen
       und den Münchner/inne/n andere Bilder
       der Jugend zu zeigen. Auf jugendpolitischer       Sicherer Platz - gefährlicher Platz
       Ebene bieten die Ergebnisse gutes Ausgangs-
       material, um mit Stadtplaner/inne/n und            Des Weiteren prägen Bilder und Medien         Einrichtungen. Das Bedürfnis der Jugendli-
       Politiker/inne/n ins Gespräch über eine          unsere Gesellschaft wie nie zuvor und sind im   chen, hier erwünscht zu sein und sich frei
       jugendfreundliche Stadtentwicklung zu            Alltag Jugendlicher fest verankert. Das Pro-    bewegen zu können wurde deutlich.
       kommen.                                          jekt konnte diese Voraussetzungen nützen,          Überraschend häufig wurden Grünflächen,
                                                        die web2.0-Partizipation in die Projektarbeit   Parks und Natur in München fotografiert und
        Die Umsetzung                                   einbeziehen. Die Website hatte dabei vor-       positiv bewertet!
                                                        rangig eine qualitative Herangehensweise;          Neben allgemeinen, stadtteilbezogenen
          Die Dokumentation des „jungen Münchens“       die Bilder und deren Aussage, die Gedanken      Bildern erreichten uns auch Fotos zu be-
       geschah mittels Fotografie. Die Bilder wurden    und Kommentare der Jugendlichen standen         stimmten Themen. Mit viel Engagement be-
       zunächst auf der Homepage www.platzda.           im Vordergrund. Zusätzlich aber konnten die     teiligte sich z.B. die Gruppe „Rassismus und
       info gesammelt. Das Projekt richtete sich an     Bilder in einer München-Karte lokalisiert       Diskriminierung in München“ im politischen
       Jugendliche zwischen 14 und 26 Jahren aus        und hinterlegt werden, so dass ein virtueller   Feld oder die Gruppe der „Sozialen Rehabilita-
       Freizeitstätten, Verbänden, dem schulischen      Stadtplan ein Teil der Sozialraumrecherche      tion“, die auf die städtischen Missstände für
       Kontext und natürlich an Einzelpersonen.         war. Wichtig war außerdem die Zuordnung der     Jugendliche mit Behinderung hinwies. Auch
       Begleitet wurde die Aktionsphase durch eine      Fotografien zu Stadtbezirken, mit denen sich    das Thema Naturschutz wurde behandelt.
       Vielzahl von Workshops.                          die Jugendlichen stark identifizierten.            Unter dem Nickname „preal“ erreichte uns
          Die Dokumentation mittels Fotografie er-                                                      eine Vielzahl von Fotos aus dem Leben eines
       möglichte es vielen Jugendlichen, am Projekt      Das Ergebnis und die                           minderjährigen unbegleiteten Flüchtlings
       teilzunehmen: Zum einen spricht Fotografie        mobile Ausstellung                             in München, der den Betrachtenden völlig
       als visuelle Ausdrucksform direkt an, unab-                                                      neue, schockierende Einblicke in eine sonst
       hängig von etwaigen Sprachbarrieren. Sie            Bei Beendigung der Foto-Phase Ende Juli      abgeschottete Welt ermöglichte und sie für
       schafft es, ohne Worte etwas zu erzählen und     waren 180 Bildpaare auf der Website einge-      die dortigen Probleme sensibilisierte.
       kann so eine nonverbale Brücke zwischen          gangen. Die höchste Beteiligung konnte bei         Ein schöner Abschluss war die mobile
       unterschiedlichen Lebenswelten sein.             den Freizeitstätten verzeichnet werden. Aber    Ausstellung im Herbst. Ziel war es, durch
          Zum anderen kam es nicht auf eine tech-       auch aus dem schulischen Kontext, z.B. vom      Partizipation Jugendlicher die Öffentlich-
       nisch perfekte Umsetzung an, das Projekt         Gisela-Gymnasiums oder der Hauptschule          keit auf Missstände und „Wohlfühl-Orte“ in
       wollte vielmehr Raum für den individuellen       am Winthirplatz, erreichten uns Bildpaare       der Stadt aufmerksam zu machen und zur
       Blickwinkel bieten und somit auch einen          – ebenso von einzelnen Jugendlichen.            Diskussion anzuregen. Um diese Öffentlich-
       Zugang zu jugendlichen Wahrnehmungskri-             Die meisten Bilder zeigen einen allge-       keit zu erreichen, wurden die Fotos in einer
       terien eröffnen.                                 meinen Einblick in die direkte Umgebung         Wanderausstellung an zentralen Plätzen
          Jugendliche sollten an die Öffentlichkeit     innerhalb des Stadtteils und die dortige        den Münchner/inne/n vorgestellt und auf
       tragen, was sie beschäftigt und wie sie ihre     Lebenswelt der jungen Fotograf/inn/en.          einer Leinwand gebührend präsentiert.
       Umwelt wahrnehmen - Fotografie vermag            Die Erlebniswelt scheint also vor allem der     Durch schriftliche Kommentare konnten
       dies, denn sie setzt eine intensive Ausein-      Nahraum zu sein. Viele Jugendliche haben        auch die Passanten ihre Sicht verdeutlichen
       andersetzung mit der Umgebung und deren          hier deutlich und auch sehr praxisnah zum       und festhalten, was ihnen in ihrem Stadt-
       Wahrnehmung voraus; die Kamera bietet die        Ausdruck gebracht, wo sie unzureichende         viertel gefällt und was dringend verbessert
       Möglichkeit einer neuen Sicht aus einem          Voraussetzungen vorfinden und was sie als       werden sollte – und dieses Angebot wurde
       anderen Blickwinkel.                             positiv in ihrer Umgebung sehen.                rege genutzt! Rückmeldungen zum Projekt
          „Wenn man sich die Zeit nimmt, um den            Auffällig waren die monetären Vorausset-     kamen hier ganz unvermittelt: einige der
       Lebensraum zu erforschen, versteht man           zungen für eine Teilhabe am urbanen Raum        jungen Fotograf/inn/en kamen, um ihre
       plötzlich, was er mit einem macht. Dabei         und die Möglichkeit einer Ausweitung der ei-    Bilder Freunden zu zeigen, Passant/inn/en
       kann die Kamera die Zeugin des Erlebten          genen Lebenswelt. Sind diese Voraussetzungen    nahmen sich Zeit, die Bilder zu betrachten
       sein“, schrieb die Mitarbeiterin ein Freizeit-   nicht gegeben, verweilen die Jugendlichen oft   und zu kommentieren und einige kamen,
       stätte über ihre Foto-Aktion.                    in Gelegenheitsstrukturen auch außerhalb von    nachdem sie von der Ausstellung gelesen
                                                                                                        hatten, gezielt, um die jugendliche Sicht auf
                                                                                                        ihren Stadtteil zu sehen.
                                                                                                           Motivierend waren auch die Gespräche mit
                                                                                                        gerade älteren Münchner/inne/n, die sich
                                                                                                        sehr interessiert zeigten und vor Ort verblüfft
                                                                                                        waren, welche Fotos sie hier sehen konnten
                                                                                                        – die ein neues, kritisches, vielseitiges Bild
                                                                                                        eines jungen Münchens sahen und deren Bild
                                                                                                        der Münchner Jugendlichen sich dabei auch
                                                                                                        ein Stück wandelte!

                                                                                                        Kathrin Bautz,
        Guten Appetit!?
                                                                                                        Projekt Schwarz-Weiß-Buch, KJR

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Kinder im öffentlichen Raum
Stadt                                             27

„Wer will fleißige Handwerker sehn,...“

Kinder bauen „ihre“ Stadt
Insgesamt 40 Kinder – aus verschie-
denen Gruppen der Musisch Kreativen
Werkstatt und Schülerinnen und Schü-
lern aus den Ganztagesklassen der
Grundschule an der Walliser Straße –
bauten in einem gemeinsamen Projekt
mit „ihre“ Stadt aus Ton. Mit großem
Erfolg wurde das Ergebnis im Mai 2011
in einer viertägigen Ausstellung in der
Grundschule präsentiert. Rund 350

                                                                                                                                                  Fotos: Musisch Kreative Werkstatt
Gäste, Lehrkräfte und Klassen bewun-
derten das Kunstwerk. Die Reaktionen
waren überwältigend: „So etwas haben
wir noch nie gesehen“, „Erstaunlich
was die Kinder mit diesem Werk ge-
schaffen haben“ und „Da bekomme ich
auch gleich Lust, mit Ton zu arbeiten“,
äußerten sich die Besucher/innen.

   Wer bereit ist, gedanklich oder stimmhaft,    integrieren. Der Plantreff der LHSt München        Was im Ergebnis zu sehen war, mochte
das Kinderlied „Wer will fleißige Handwerker     bietet Münchner Schülerinnen und Schülern        erstaunen. Auch wenn vielen Gebäuden der
sehn, der muss zu uns Kindern gehen“ anzu-       hier jährlich eine große Plattform zur aktiven   rechte Winkel fehlt und manches verspielter
stimmen, bekommt in vielerlei Hinsicht ein       Mitwirkung an den schwierigen Prozessen der      und bunter erscheint als in der Realität,
passendes Bild vom lustvollen Prozess der        Gestaltung und Entwicklung einer sozialen        waren die Kinder nicht von der Motivation
Entstehung dieser Stadt, die aus unzähligen      Stadt. Die jungen Stadtbewohner/innen fin-       geleitet, eine phantastische Vision einer
selbstgefertigten Tonziegeln im buchstäbli-                                                       Stadt darzustellen. Vielmehr entstand ein
chen Sinn „Stein auf Stein“ aus dem Boden         Xaver, Simon: „Jede Stadt braucht               realitätsnahes Abbild des Lebensumfelds
wuchs.                                            ein Fußballstadion.“                            von Stadtkindern. Ein Umfeld, das die Er-
                                                                                                  wachsenen ihren Bedürfnissen entsprechend
 Janis, Tobias: „Unsere Kirche ist               den kreative und originelle Ausdrucksformen      gestalten und den Kindern nur eine Chance
 ein Ort für alle Religionen.“                   dafür, wie sie „ihre Stadt“ wahrnehmen, wie      offeriert: in einem mühevollen Prozess der
                                                 sie sie sich wünschen oder was sie zu ihrer      Selbstaneignung zu lernen, sich darin zu-
   Zu Wohnhäusern mit Vorgärten fügten           Verbesserung selbst beitragen können. Die        rechtzufinden.
sich ein Geisterturm, ein Spiralhaus, ein        beteiligten Kinder wurden für ihr kreatives
Flughafen mit Tower, ein Fußballstadion, eine    Werk von der Jury mit dem zweiten Platz           Jessika: „Wir brauchen noch
Kirche für alle Religionen, Spielplätze und      ausgezeichnet und „ihre“ Stadt wurde im           Brücken, um über die Straße zu
Bäume, Straßen und Brücken, ein Schwimm-         Plantreff öffentlich ausgestellt.                 kommen.“
bad, eine Konzertwiese, eine Bushaltestelle,
diverse Fahrzeuge und vieles mehr – nur auf       Julian: „In meinem Haus wohnen                    Beeinflusst es unsere Sichtweise, wenn wir
die Idee, eine Schule zu bauen, kam keines        die Geister.“                                   sehen, wie Kinder ihrer Vorstellung von einer
der Kinder.                                                                                       lebenswerten Stadt gestalterisch Ausdruck
                                                    Die Stadt aus Ton wurde als gruppenü-         verleihen, die so sehr mit der der Erwach-
 Eva-Maria: „Mein Springbrunnen                  bergreifendes, gemeinschaftliches Projekt        senen übereinstimmt? Welche erstaunliche
 soll immer sprudeln.“                           gestaltet. Kleine Gruppen von zwei bis drei      Anpassungsleistung haben Kinder dabei
                                                 Kindern bauten an einzelnen Gebäuden. Wa-        bereits im Grundschulalter vollbracht?
  Während einzelne Gebäude zu einer ganzen       ren längere Bauzeiten erforderlich, wurden
Stadt zusammenwuchsen, sprudelten die            sie von anderen Kleingruppen fertiggestellt       Candas: „Ich kenne alle Haltestel-
Ideen immer weiter, bis die Gruppe nach einer    oder farblich vervollständigt. Diese Herange-     len der U3. Ich liebe Straßenbah-
dreimonatigen Schaffenszeit beschloss, das       hensweise machte es möglich, unterschied-         nen. Unsere Stadt braucht eine
Projekt abzuschließen. Die Objekte wurden        lichen Begabungen individuell gerecht zu          Straßenbahnlinie 4.“
nur partiell glasiert und die Tonsteine nicht    werden und bewirkte eine außergewöhnliche
verstrichen. Dadurch ist der Prozess der         Dynamik, die diesem Projekt in allen Phasen        Steht die Lern- und Anpassungsbereit-
Herstellung gut sichtbar und gibt dem Werk       eigen war.                                       schaft der Kinder auf einer Seite der Bilanz,
seinen besonderen Charme.                                                                         sollte sie auf der anderen Seite vom Willen
                                                                                                  der Erwachsenen, sich für die Bedürfnisse
 Tobias: „Auf der Konzertwiese                                                                    der Kinder zu interessieren, ausgeglichen
 spielt gerade eine Band.“                                                                        werden. Eine „kindergerechte Stadt“ ist ohne
                                                                                                  die Bereitstellung aktiver Beteiligungsfor-
  Nachdem die Ausstellung in der Grund-                                                           men an Gestaltungsprozessen für Kinder
schule so erfolgreich war, bot sich unverhofft                                                    nicht realisierbar. Das zeigen sie uns mit
die Gelegenheit, das Projekt beim Münchner                                                        diesem Projekt.
Schulwettbewerb zur Stadtentwicklung ein-
zureichen, der seit diesem Jahr verstärkt dar-                                                    Artur Bürgel,
auf setzt auch Beiträge aus außerschulischen                                                      Musisch Kreative Werkstatt, KJR
Bildungsbereichen in den Wettbewerb zu

                                                                                                                                                                                      8|11
Kinder im öffentlichen Raum
28     Stadt

       Neuer Jugendverband im KJR - Free Arts of Movement e.V.

       Gemeinsam für die individuelle
       Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum
       Freiheit und Unabhängigkeit sind Be-
       griffe, die mit der modernen westlichen
       Kultur untrennbar verwoben sind. Von
       daher verwundert es nicht, wenn die in-
       dividuelle Unabhängigkeit in alle All-
       tagsbereiche diffundiert und von den
       Individuen auch eingefordert wird.

          Diese Tendenz hält auch in der Welt des
       Sports Einzug und verwirklicht sich in der
       Form neuer Trendsportarten wie Parkour,
       Tricking, Slacklining, X-Diving, Breakdance,
       u.v.m. Diese verschiedenen Bewegungsfor-
       men haben eine große und entscheidende
       Gemeinsamkeit: sie teilen das Konzept einer
       „freien Bewegungskunst“ und damit be-
       stimmte gemeinsame Eigenschaften wie: die
       kreative und individuelle Gestaltung der Be-
       wegungen, die zunehmende Unabhängigkeit
       von Sportanlagen sowie die weitestgehende
       Unabhängigkeit der Ausübung von Geräten
       oder Mitspielenden. Die Ausübung dieser Dis-     Selbstbeherrschung und Selbstmotivation             Und damit sind wir wieder am Anfang und
       ziplinen verändert nicht nur die körperliche     einhergeht. Gerade diese Kompetenzen sind es     bei der großen Gemeinsamkeit, welche die
       Dimension des Menschen, sondern die Prakti-      dann also auch, die Parkour für den modernen     „freien Bewegungskünste“ verbindet: die
       zierenden beginnen ihr Umfeld mit „anderen       Menschen so attraktiv und wertvoll machen:       individuelle Gestaltungs- und Ausübungs-
       Augen“ zu sehen. Dies kann man nicht nur         die Praktizierenden lernen nicht nur, sich       freiheit, die dem Anspruch des modernen
                                                        frei und sicher in ihrem Umfeld zu bewegen,      Menschen nach Individualität und Unab-
                                                        sondern sie lernen darüber hinaus, eigene        hängigkeit gerecht werden und diesen oft
                                                        Grenzen zu erfahren, diese zu respektieren       erst praktikabel machen. Diese Bewegungs-
                                                        und sie schließlich zu überwinden. Parkour       formen zu etablieren, sie zu fördern und
                                                        generiert also nicht nur eine bisher ungekann-   weiterzuentwickeln ist das Anliegen des 2008
                                                        te individuelle Bewegungsfreiheit im öffentli-   gegründeten Vereins „Free Arts of Movement
                                                        chen Raum, sondern liefert ganz automatisch      e.V.“ (FAM). FAM ist hauptsächlich in Mün-
                                                        auch noch die geistige Stärke, in unserer        chen, aber auch im süddeutschen Raum und
                                                        modernen Gesellschaft mental zu überleben        vereinzelt sogar im hohen Norden (Berlin)
                                                        und Selbstverantwortung zu übernehmen.           tätig und umfasst mittlerweile rund 120
                                                        Wenn also ein Parkour-Läufer seine Welt mit      Mitglieder. Die Vereinsaktivitäten bestehen
                                                        anderen Augen sieht, so geht es dabei nicht      aus dem Angebot eines regelmäßigen Hal-
       auf die bloße Ausschau nach „potenziell-         nur um die physische Bewegungsfreiheit, die      lentrainings in der Schleißheimer Straße,
       beturnbaren“ Übungsgeräten abtun, sondern        ihm Parkour liefert, sondern es geht vor allem   einem Outdoortrainingsangebot, diversen
       sollte versuchen, dessen tiefere Dimension       auch um die individuelle geistige Freiheit,      Fortbildungen und Workshops sowie der
       nachzuvollziehen. Dazu ist ein kleiner Exkurs    selbst zu entscheiden, selbst zu definieren,      regelmäßigen Präsenz auf öffentlichen Ver-
       in die Welt des Parkour unabdinglich:            wie man sich durch sein Umfeld bewegt.           anstaltungen wie bspw. dem Sportfestival auf
          Parkour ist die Kunst der „effizienten Fort-                                                    dem Königsplatz oder dem Outdoorfestival
       bewegung“, die es streng genommen gibt, seit                                                      im Olympiastadion, der Etablierung eines
       der Mensch begann, sein natürliches Umfeld                                                        methodischen Lehr- und Übungsstandards
       zu erkunden, denn wer nicht in der Lage ist,                                                      durch Unterstützung der deutschlandweit
       effi zient vor Gefahren zu fl iehen, hat auf                                                        ersten Parkourtrainerausbildung und der
       Dauer keine Überlebenschance. Die Moderne                                                         jährlichen Ausrichtung der sog. FAM-Jam,
       gewährt dem Menschen eine oft fragwürdige                                                         bei der weit über hundert sportbegeisterte
       Gewalt über die Natur, und Flucht ist in un-                                                      Jugendliche aus den verschiedenen oben
       seren Breitengraden zu einem irrelevanten                                                         genannten „freien Bewegungskünsten“ für
       Relikt geworden, das nur im Spiel der Kinder                                                      ein Wochenende zusammenkommen, um ge-
       noch seine Berechtigung findet. Der moderne                                                        meinsam zu trainieren, sich auszutauschen
       Mensch ist zunehmend dabei, seine angebore-                                                       und ein gute Zeit miteinander zu verbringen.
       nen Fähigkeiten zugunsten der Anforderun-                                                         Besonders freuen sich die Mitglieder von FAM
       gen der modernen Industriegesellschaft zu                                                         über die kürzlich erfolgte Aufnahme in den
       verlernen. Doch gerade junge Menschen sehen                                                       Kreisjugendring München-Stadt und blicken
       sich einer immer stärkeren mentalen Belas-                                                        der Kooperation mit den über 60 anderen
       tung ausgesetzt. In diesem Kontext ist es von                                                     Verbandspartnern erwartungsvoll entgegen.
       entscheidender Bedeutung, dass der Erwerb                                                         Mehr Infos zu FAM unter www.famjam.org
       körperlicher Kompetenzen immer mit der Aus-
       bildung mentaler Stärken wie Selbstvertrauen,                                                     Christian Schmid, FAM

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Kinder im öffentlichen Raum
Stadt                                29

Sport in der Stadt

Von Radlrowdys und Traceuren
Zunehmend verlagern sich sportliche
Aktivitäten mitten in die Stadt. Dies
führt zu interessanten und spannenden
Entwicklungen, die hier - mangels Wis-
sen - gar nicht alle aufgeführt werden
können. Skateboarden, BMX, Citygolf,
Bumerang und Hackysack - es gibt so
viele irre Sportarten für die Stadt.

 Der Radlrowdy I

  Es ist super, dass immer mehr Leute mit
dem Rad fahren. Sie tun dies nicht nur auf
dem gemütlichen Hollandrad, sondern mit
wesentlich flotteren Geräten. Das führt
schon bei normaler Fitness schnell zu Ge-
schwindigkeiten um 30 km/h. Das Münchner
Radwegenetz ist allerdings weder auf die
hohe Anzahl der Radfahrer noch für die
gefahrenen Geschwindigkeiten ausgelegt.
Es gibt natürlich auch Wahnsinnige auf
zwei Rädern, aber in München überwiegt
der tägliche Wahnsinn einer unzureichend
ausgebauten Radinfrastruktur. Die große
polizeiliche und mediale Hetzjagd auf alle
Radler des letzten Sommers wurde wohl von
der Automobilindustrie gesponsert.
  Der Bund Naturschutz www.bn-muenchen.
de weist mit seiner Aktion „Münchens wahn-

                                                                                                                                                      Foto: Yvonne Koch
witzigste Radlerfallen“ auf die täglichen Pro-
bleme beim Radfahren, Kurioses, Gefährliches
und erhebliche bauliche Mängel hin.

 Der Radlrowdy II
                                                   Eigentümern und der Polizei. Ganz legal wird      Seiltanzen sehr ähnlich ist, benötigt wird.
   Mountainbikefahren ist erst am Berg so          es wohl nie werden, aber es gibt schon ein paar   In der Regel werden in München Lowlines,
richtig sinnvoll. München ist zwar die Berg-       ganz ordentliche und von den Eigentümern          Rodeolines oder Jumplines gespannt. Keine
steigerhauptstadt Deutschlands, aber an            geduldete Spots. Damit diese erhalten bleiben,    Ahnung, was das ist? Dann einfach mal in den
stadtnahen Bergen nicht reich gesegnet.            gibt es aus der Szene heraus seit diesem Jahr     Englischen Garten gehen und zuschauen oder
Weder der Müllberg, Olympiaberg noch der           den Münchner Bouldering Appell der Regeln         bei YouTube „slackline“ eingeben. Stress gibt
Perlacher Muggl wollen richtig alpine Ge-          für das Stadtbouldern aufstellt und Selbst-       es bei diesem Sport eigentlich sehr selten.
fühle aufkommen lassen. Daher fährt der            beschränkungen der Kletterer festlegt (siehe      Die Sportler/innen sollten aber auf einen
Mountainbiker zum Training gerne an der            http://buildering-muenchen.de).                   entsprechenden Baumschutz achten, damit
Isar. Mountainbiken macht erst auf den Trails,                                                       dies auch in Zukunft so bleibt.
wo Fahrtechnik und Geschicklichkeit richtig         Der Traceur
launig trainiert werden können, richtig Spaß.                                                         Sport in der Stadt - Das SUP
Grad blöd, dass es sich hier um ein Natur-           Im Unterschied zum Kletterer ist der
schutzgebiet und ab Grünwald sogar um ein          Traceur nicht so auf die Senkrechte fixiert.        Schon sehr cool ist “stand up paddling”
Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebiet handelt. Es       Parkour kann grundsätzlich überall in urba-       (SUP). Im Prinzip muss man sich dazu nur
ist absolut unverständlich, warum es bis heute     nem Umfeld praktiziert werden. Der Traceur        auf ein Longboard (Wellensurfen) stellen
nicht gelungen ist, hier eine, die Freizeit- und   überwindet dabei alles Mögliche. In der Stadt     und mit einem langen Paddel Gas geben. Das
Naturschutzinteressen berücksichtigende            können dies Pfützen, Papierkörbe, Bänke,          geht auch ganz prima auf der Isar oder auf
Regelung zu finden. Einige legale Isartrails        Blumenbeete und Mülltonnen ebenso sein wie        einem der Seen rund um die Stadt. Neidische
verbunden mit einem Befahrungsverbot für           Bauzäune, Mauern, Litfaßsäulen, Garagen.          Blicke und eine ganz neue Sicht auf München
die restlichen Flächen wäre eine für alle Seiten   Zum unverbindlichen Zusehen empfiehlt sich        sind garantiert. Die SUP-Boards gibt es zu-
akzeptable und umsetzbare Lösung. Liebe            die Münchner Freiheit oder für ausführlichere     dem aufblasbar und damit wunderbar zum
Landeshauptstadt München: So schwer kann           Informationen die Homepage des neuen KJR-         Transportieren in der Stadt. Wer es selbst mal
das doch nicht sein, oder?                         Mitgliedsverbands „free arts of movement“         ausprobieren will, wendet sich am besten an
                                                   www.famjam.org (s. Artikel S. 28)                 das Erlebnispädagogische Zentrum Tchaka
 Citybouldern                                                                                        (www.tchaka.de)
                                                    Sport in der Stadt - Die Slackline
   Klettern an Gebäuden und Kunstwerken                                                              Gerhard Wagner,
macht Spaß und ist eine gute und vor allem            Zwei Bäume und ein Flachband mit hoher         Abteilung Jugendarbeit, KJR
kostenlose Trainingsmöglichkeit. Es führt          Reißfestigkeit und ein Spannsystem sind
leider gelegentlich zu Schwierigkeiten mit den     alles, was für diesen Balancesport, der dem

                                                                                                                                                                          8|11
Kinder im öffentlichen Raum
30     Stadt

       Neue Antworten auf eine alte Frage

       Wem gehört die Stadt 2.0?
       Das Internet in der Hosentasche verän-
       dert die Stadt. Wer heute noch zu den
       Leuten gehört, die über Handys in der
       Trambahn meckern, der hat wohl eine
       der bemerkenswertesten Entwicklun-
       gen in der Menschheitsgeschichte seit
       der Erfindung des Buchdrucks verpasst
       oder ordnet sie zumindest nicht richtig
       ein.

          Was zuerst mit einer Verbreitung des
       Telefonierens inklusive grausamer Klingel-
       töne und einer massiven Verschiebung des
       Verhältnisses von „öffentlich“ und „privat“
       begann, produziert mittlerweile ganz neue
       Gesellschaften.
          Während die urbanauten und auch viele
       andere Leute, die sich mit dem öffentlichen
       Raum in der Stadt beschäftigen, ursprüng-

                                                                                                                                                          Foto: urbanauten
       lich zu den Skeptikern der diversen mobilen
       Kommunikations-Spielformen gehörten, ist
       für uns in den letzten Jahren klar geworden,
       dass sich mit den mobilen Kommunikati-           Flash Mob „SLEEP IN“ im Haus der Kunst (im Hintergrund ein Werk von AiWeiWei)
       onsmöglichkeiten und dem Internet in der
       Hosentasche ganz neue Freiräume für öffent-     und vom Stadtrat beschlossene Kunsthappe-          der erste große Ausbruch einer neuen Organi-
       liches Leben erschließen lassen.                nings durchführen wollten, aber sie aufgrund       sationsform im Netz, die unsere Städte ganz
                                                       der Intervention der Genehmigungs- und             schnell real verändern wird. Facebook-Partys
        Der „öffentliche Zwischenraum“                 Sicherheitsbehörden oder auch privater Ei-         waren eine andere Form. Dabei handelt es sich
                                                       gentümer nicht durchführen durften.                um nicht mehr und nicht weniger als einen
          Eingeladen zum SPIELART Theaterfestival        Gleichzeitig stellten wir fest, dass wir nicht   öffentlich angelegten Termin auf Facebook,
       im Winter 2009, hatten wir dann endlich         die einzigen sind, die in diesem virtuell-         zu dem merkwürdigerweise mehrere tausend
       die Möglichkeit, unsere abstrakten Über-        realen Wilden Westen experimentieren und           Jugendliche zusagen und in erheblichen
       legungen über die befreiende Wirkung des        nachdenken. Bei der urbanauten-Tagung              Teilen auch real erscheinen.
       ubiquitären Internets in der überregulierten    „Die Vermessung des Urbanen 3.0“ in der Ev.           Vorgängerformate waren die Flashmobs.
       Enge der Stadt (die in München manchmal         Akademie Tutzing hatten wir aufgrund der           In der Zeit vor der „Mobilmachung“ des
       besonders eng ist) zu testen. Mit einer Se-     großartigen Unterstützung durch das „Jun-          Internets wurden via E-Mail-Listen spon-
       rie von Kunsthappenings unter dem Titel         ge Forum“ der Akademie die Möglichkeit,            tane Begegnungen an skurrilen Orten mit
       „Moment of Starling >>> SMS an 11832 >>>        Dutzende Denker und Praktiker aus dem              seltsamem Inhalt organisiert. Weltberühmt
       Follow @TWTflash“ betraten wir gemeinsam        „Zwischenraum“ einzuladen.                         wurde hier der „Grand Central Freeze“, bei
       mit jeweils 300 bis 400 Teilnehmenden an                                                           dem mehrere hundert Menschen spontan den
       vier Abenden den „öffentlichen Zwischen-         Twitter-Revolutionen                              New Yorker Hauptbahnhof zum Erstarren
       raum“, ein Raum, der entsteht, wenn die          und Facebook-Partys                               brachten (http://youtu.be/jwMj3PJDxuo).
       Menschen gleichzeitig im virtuellen und                                                            Tausendfach ist das inzwischen weltweit
       realen öffentlichen Raum präsent sind und          Während wir noch über unser vermeintlich        wiederholt worden. Ebenfalls in New York
       kommunizieren können.                           elfenbeinturm-künstlerisch unrelevantes            nahm die „Occupy Wall Street“-Bewegung
          Möglich wurde das, weil alle Teilnehmenden   Thema des „öffentlichen Zwischenraums“             ihren Ausgang, nicht umsonst erfunden von
       gleichzeitig via SMS, Twitter und Facebook      tagten, tauchte im Laufe des Wochenendes           den linken Päpsten der viralen Werbung von
       in einer Kommunikations-Wolke miteinander       plötzlich die Nachricht auf, dass der tunesi-      „adbusters“. Im Netz koordinierte Aufstände,
       verbunden waren und so untereinander kom-       sche Präsident Ben-Ali aufgrund der massiven       die sich gerne in Form von Zeltstädten in der
       munizieren und Informationen austauschen        Proteste vor allem der Jugend des Landes           realen Stadt niederschlagen, hat es nicht nur
       konnten. Koordiniert wurde die Kommunika-       geflohen sei. Einer unzufriedenen jungen           in Stuttgart, Frankfurt, Tel Aviv oder Madrid
       tions-Wolke des mobilen Flashmobs aus einer     Generation gelang es offenbar, mit Hilfe der       gegeben, sondern auch in mehreren hundert
       geheimen Zentrale in der Stadt. Wichtig war     neuen Freiheit im Netz und mit dem Netz auf        anderen Städten weltweit.
       uns das, weil wir nach Jahren der Auseinan-     dem Smartphone, sich zu organisieren, und             Mit diesem Phänomen beschäftigt sich
       dersetzung um Genehmigungen endlich ein         schon stürzt die erste Regierung. Was danach       auch die nächste Tagung der urbanauten
       künstlerisches Format für Interventionen im     kam, ist Geschichte. Diktatorische Regime in       in der Ev. Akademie in Tutzing unter dem
       öffentlichen Raum entwickeln wollten, das       Ägypten und Libyen wurden hinweggefegt.            Titel „Revolution im Zwischenraum“ von 23.
       ohne Genehmigungen auskommt.                    Ganz Nordafrika und der halbe Nahe Osten           bis 25. März 2012. Mehr Informationen zur
          So stürmten hunderte Teilnehmende kur-       scheinen in einem von virtuell-realen Mög-         Tagung und den Projekte der urbanauten im
       zerhand die Fünf Höfe im Feierabendtrubel,      lichkeiten katalysierten Umbruch hin zu            und über den „öffentlichen Zwischenraum“
       den Altstadtring während des Berufsverkehrs,    mehr Demokratie unterwegs zu sein. Was am          finden sich unter www.urbanaut.org.
       das Haus der Kunst oder die Sicherheitszone     Ende dabei herauskommt, kann noch keiner
       vor dem US-Konsulat (http://youtu.be/           vorhersagen.                                       Ulrike Bührlen und Benjamin David,
       vkU8OtJqQdQ). Alles Orte, wo wir in den Vor-       Doch auch in den westlichen Städten geht        die urbanauten
       jahren bereits vom Kulturreferat geförderte     die Entwicklung weiter. Stuttgart 21 war nur

8|11
Stadt             31

Praxisbeispiele aus der offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen

München neu entdecken
Die Jahresthemen der UN-Dekade haben
                                                    KJT Zeugnerhof
das Ziel, Aktivitäten zu den jeweiligen
Themen zu generieren und zu fokussie-               Die Stadt, in der wir leben
ren, Partner zu finden und zu vernetzen.
Das Dekadethema für das Jahr 2011 ist                  Wie lernen Kinder und Teenager Neues          Irrwegen und zu noch mehr Spaß.
das Thema „Stadt“. Ein spannendes The-              über den Stadtteil, in dem sie leben? Die-          Bei der Stadtteilerkundung erlebten die
ma, das im Hinblick auf Nachhaltigkeit              se Frage beschäftigte das Team vom KJT           Kinder und Teenager die Geschichte Berg
nicht gleich plausibel erscheint. In der            Zeugnerhof. Die Teilnehmenden sollten            am Laims. Zu Fuß erkundete die Gruppe
Stadt aber verdichten sich Herausforde-             aktiv ihren Stadtteil erkunden und dabei         zusammen mit einer Stadtführerin Berg
rungen der nachhaltigen Entwicklung.                Wissenswertes erfahren.                          am Laim. Lebendige Erzählungen von
Ob Mobilität oder Flächenverbrauch und                 Mit Hilfe des Kinderstadtteilplans Berg       wichtigen geschichtlichen Hintergründen,
-gestaltung, Klimaschutz oder Demogra-              am Laim und verschiedenen versteckten            so zum Beispiel über das Schulleben in der
phie, alle diese Handlungsfelder spielen            Hinweisen fanden die Entdecker/innen bei         Mädchenrealschule und von der Zeit des
im Lebensraum Stadt eine große Rolle.               einer Stadtteilrallye neben einem Schatz         zweiten Weltkriegs, fesselten die Zuhö-
Bildung für nachhaltige Entwicklung                 auch neue Orte und Plätze, die für Kinder        renden, so dass zwei Stunden wie im Flug
(BNE) kann am Beispiel Stadt zahlreiche             und Teenager interessant sind. Sie übten         vergingen.
Aspekte der Nachhaltigkeit thematisie-              alle das Lesen eines Stadtplans, und die
ren und dabei auch Kompetenzen wie die              Frage, wie der Plan gehalten werden muss,        Birgit Stieler, KJT Zeugnerhof, KJR
Fähigkeit zur Partizipation vermitteln.             um ans Ziel zu kommen, führte zu einigen

Mit dem Intermezzo auf Entdeckungsreise in München

Der Landtag ist keine Kirche
   Die Jugendlichen haben sich in ihrem
Stadtteil meist gut eingerichtet. Oft reicht für
sie ein durchlaufender Autobahnabschnitt,
um ihren Lebensraum selbst einzugrenzen.
Die genutzte Infrastruktur erweitert sich
vielleicht noch in den Bereich ihrer U-Bahn-
Stammstrecke.
   Die Millionenstadt in ihrer ganzen Dimen-
sion liegt nicht selten abseits ihres täglichen
Aktionsradius. Als das Intermezzo mit Jugend-
lichen letztes Jahr zu Besuch im Bayerischen
Landtag war, wurde dieser von einigen bis dato
als Kirche wahrgenommen. Was im Verständnis
der dort Tätigen vielleicht nicht vollkommen
falsch war. Andere historische Stätten, nam-
hafte Gebäude und herausragende Ereignisse
sind im Erfahrungshorizont der Jugendlichen
oft kein Thema. Dieses Jahr wollten wir hier       an einem späteren Termin die Altstadt. Vom        Qualität des heutigen Parks von allen Seiten
ein wenig nachbessern und uns in großem            Fußabdruck des Teufels über die Fahrt auf den     kennenzulernen. Im Informationszentrum
Stil in dieses Millionendorf begeben, um den       Rathausturm, den Besuch im Bürgermeister-         wurden wir bereits erwartet und der Pressefilm
Jugendlichen als Bürger und Bürgerinnen ihre       Büro und die Fotosafari auf den Alten Peter       aus dem Jahr 1972 sorgte dann auch für einiges
Stadt etwas näherzubringen. Als Grundlage          bis hin zur exotischen Einkaufszetteltour über    Schmunzeln bei den videoclipverwöhnten
diente auch der ausgerufene Schwerpunkt            den Viktualienmarkt und der großen Brotzeit       Gästen. Und für andächtiges Schweigen bei
BNE Stadt. Zur ersten Entdeckungstour galt         am Jüdischen Zentrum am St. Jakobs-Platz war      der Passage über das Attentat – war man doch
es, sechzehn Fahrräder und ihre dick bepack-       alles dabei. Mit der begeisterten Feststellung,   gerade noch am Ort des Geschehens gestanden.
ten Besitzer/innen über einen Bahnsteig zu         dass es in der City mehr gibt als den McDonalds   Mit dem Abschied vom Olympiapark endete
verteilen, um sie dann per U-Bahn in Richtung      am Stachus und man neben Cheeseburgern            dann auch das Programm für Fürstenrieder Ju-
Englischer Garten zu bringen. Eine zweiteilige     auch Wasabi-Käse und mit Honig gefüllte           gendliche, ihre Stadt als einen Ort zu begreifen
Rallye führte sie dort sowohl in den Süd- als      Bio-Gummibärchen essen kann.                      und zu erleben, der eine interessante, durchaus
auch den eher unbekannten Nordteil, um                Die letzte Tour führte kreuz und quer durch    erkundenswerte Geschichte vorzuweisen hat.
Pflanzen, Tiere, Geschichte und Möglichkei-         die olympische Geschichte der Stadt. Der Vor-     Und an dem es Plätze gibt, die es sich zu sehen
ten des größten europäischen Stadtgartens          mittag wurde dem Dorf gewidmet. Vom bunten        lohnt. Wo Orte abseits der wohl vertrauten
spielend zu erforschen. Um diese mit einer         Treiben der Student/inn/enwohnungen bis           U-Bahn-Stationen für Abwechslung und auch
nervenaufreibenden Isardurchquerung an             hin zur Gedenkstätte am zentralen Ort des         mal Sprachlosigkeit oder Nachdenklichkeit
vorher installierten Seilen zu krönen. Zum         Attentats 1972 an der Connollystraße 31. Ein      sorgen. In diesem Sinne wird das Intermezzo
Grillen fanden sich dann alle erschöpft im         Geschehen in der Geschichte der Stadt, das        die Stadtreisen für Jugendliche im nächsten
Nachtlager am Rumfordschlössl ein, wo noch         den Jugendlichen völlig unbekannt war und         Jahr mit neuen Zielen fortsetzen. Die bereits
mal die Erlebnisse Revue passierten, und von       sie sehr nachdenklich stimmte. Über die Au-       besuchten gibt es dann als Konzeptvorlagen
wo die Aktion am nächsten Tag nach dem             tobahnbrücke und den Coubertinplatz führte        für Multiplikator/inn/en.
Frühstück mit der Rückfahrt zum Intermezzo         nachmittags der Weg zu den Sportstätten. Bei
ihr Ende fand. Die zweite Gruppe erkundete         bestem Wetter gab es genug Möglichkeiten, die     Heiko Neumann, Intermezzo, KJR

                                                                                                                                                        8|11
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