InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
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infodienst APRIL 2021 der Arbeitsgemeinschaft Eine-Welt-Gruppen im Bistum Münster und in der Evangelischen Kirche von Westfalen ARBEITSBEDINGUNGEN WELTWEIT KAKAO BIS MÜLLHALDE SÜSS STATT BITTER TEXTILINDUSTRIE Ausbeuterische Kinderarbeit Orangen ohne Sklaverei und Gift Menschenwürdige Arbeit
AUS DEM INHALT KINDERARBEIT Fakten Kinderarbeit weltweit bekämpfen 4 Es geht nur ums Überleben, so oder so! Kinderarbeit in Indien 5 Freiwilligendienst in Paraguay Begegnungen mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen 6 „Dann kann Gogo für uns kochen.“ Ein Gesicht von Kinderarbeit aus Simbabwe 8 Dein Plastik ist mein Reis Am „schmutzigsten Ort der Welt“ türmt sich weltweiter Müll 9 Kinderarbeit in Kongo Die Handy-Aktion NRW und das Bildungsangebot von la tienda 10 Zerstörte Kinderseelen Kinderprostitution12 Lieferkettengesetz soll Menschenrechte fördern Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika 13 FAIRER HANDEL Süß statt bitter Orangen ohne Sklaverei und ohne Gift 14 Faire Orangen aus Kalabrien so weit das Auge reicht Beispielhafte Aktivitäten aus Recklinghausen, Lippstadt und Rheine 15 Buchtipp Gilles Reckinger: Bittere Orangen – Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa 17 MENSCHENRECHTE Globalisierung einer menschenwürdigen Arbeit KAB und KönzgenHaus verstärken Bündnisarbeit 18 Zwangsarbeit in Xinjiang stoppen! China duldet massive Menschenrechtsverletzungen 19 Die Schwächsten zahlen die Corona-Zeche Unzählige Textilarbeiterinnen stehen vor dem Nichts 20 Sensibilisierung am Beispiel der globalen Bekleidungsindustrie Modernisierung der Bildungsmaterialien „TrikotTausch" 22 TIPPS & TRENDS Filmtipps 24 EU-Lieferkettengesetz verdient öffentliche Aufmerksamkeit 26 Fortbildung für Ehrenamtliche in der Eine-Welt-Arbeit 27 MISEREOR und Brot für die Welt setzen ein Zeichen für Ökumene 28 AKTION Würde und Gerechtigkeit e.V. erhält Preis 29 Ökumenischer Kirchentag lädt zu einem digitalen Programm ein 30 Einladung zum Pilgerweg für Klimagerechtigkeit 31
VORWORT Liebe Engagierte in der AG Eine-Welt-Gruppen, trotz und besonders wegen Corona geht der Einsatz für eine gerechtere Welt weiter. Dies zeigt der INFODIENST, der in dieser Ausgabe einen inhaltlichen Fokus auf men- schenwürdige Arbeit und das große Problem der Kinderarbeit setzt. Wir haben diesen Schwerpunkt gewählt, weil die Corona-Pandemie und die damit verbundene wirtschaft- liche Krise die Situation für viele Millionen Menschen verschlechtern und Kinderarbeit zunehmen wird. Zudem hat die UNO das Jahr 2021 zum „Internationalen Jahr der Abschaffung der Kinderarbeit“ ausgerufen. Auch die Faire Woche im September setzt einen Schwerpunkt auf das UN-Ziel „Menschenwürdige Arbeit“. Dieses Jahr soll einen Anstoß geben, um das UN-Entwicklungsziel zu erreichen, die Kinderarbeit weltweit bis 2025 komplett abzuschaffen (SDG 8.7). Dies ist ein hoher Anspruch angesichts der sich verschlimmernden Situation. Corona stürzt viele Familien in Armut; Einkommensmöglichkeiten oder Arbeitsplätze gehen verloren, beispielsweise im Tourismus oder in der Textilindustrie. Immer mehr Kinder sind dadurch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen – bei sehr schlech- ter Bezahlung und unter unwürdigen Bedingungen. Kinder sind billiger als die Eltern und dies wird ausgenutzt. So rechnet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) damit, dass bis zu 300.000 Kinder in Lateinamerika und der Karibik durch die Coronavi- rus-Pandemie in Kinderarbeit abrutschen könnten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesundheitskrise könnten die Regionen in dieser Hinsicht um ein Jahrzehnt zu- rückwerfen, nach 25 Jahren des Fortschritts im Kampf gegen Kinderarbeit. Angesichts dieser Situation sind wir aufgefordert, unser Engagement weiter zu verstär- ken gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, unter denen Millionen Kinder, Näherinnen in Textilfabriken, Wanderarbeiter auf Orangen- und Tomatenplantagen in Südeuropa, aber auch Arbeiterinnen und Arbeiter in den Schlachthöfen hier bei uns leiden. Neben dem Einsatz für gerechtere Arbeitsbedingungen bleibt auch das Engagement für ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland und der EU sowie öko-fairer Einkauf und Beschaffung ein unverzichtbarer Bestandteil der Eine-Welt-Arbeit. Es macht Hoffnung, dass dort in den letzten Monaten einiges in Bewegung gekommen ist. Auch hiervon können Sie in dieser INFODIENST-Ausgabe lesen! Persönlich freue ich mich, dass mit Judith Wüllhorst, der neuen Leiterin der Fachstelle Weltkirche im Bischöflichen Generalvikariat Münster, die Zusammenarbeit der letz- ten Jahre so wunderbar fortgeführt werden kann. Gemeinsam werden wir den INFO- DIENST künftig zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten gestalten und hoffen, dass dies gute Resonanz bei Ihnen als Leserinnen und Leser findet. Eine anregende Lektüre und Kraft und Zuversicht in diesen Zeiten wünscht Katja Breyer
KINDERARBEIT Fakten Kinderarbeit welt- weit bekämpfen Ob in den Goldminen Burkina Fasos, beim Kakaoanbau in Côte d’Ivoire, auf Fischerbooten im Senegal, in den Textilfabriken Bangladeschs oder als Soldatinnen und Soldaten in Krisengebieten, rung und niedrige Weltmarktpreise schützen und Kinderrechte umzu- mehr als 152 Millionen Kinder für Rohstoffe und Agrarprodukte setzen. Doch das reicht leider nicht sind heute gezwungen zu arbeiten. spielen eine Rolle. Deswegen ist aus. Kinderarbeit kann nur aus- Dabei geht es um Kinder, die zwi- ein ganzheitlicher Ansatz notwen- gerottet werden, wenn die struktu- schen fünf und 17 Jahren alt sind dig, um Kinderarbeit zu bekämp- rellen Ursachen von Kinderarbeit und die bis zur völligen Erschöp- fen. angegangen werden. Natürlich fung arbeiten müssen, anstatt zur dürfen sich Kinder in einem rei- Schule zu gehen, weil ihre Eltern Instrumente zur Bekämpfung von chen Land wie Deutschland über und Familienangehörigen in extre- Kinderarbeit eine Tafel Schokolade oder ein mer Armut leben und nicht in der Die Internationale Arbeitsorga- schickes T-Shirt freuen. Aber die- Lage sind, sie zu ernähren. Die nisation (ILO) hat zwei Konventi- se Freude soll nicht auf Kosten 4 Befürchtung ist groß, dass auf- grund der wirtschaftlichen Folgen onen zum Schutz der Kinder ver- abschiedet: Die Konvention 138, die des Leidens von Kindern in Côte d’Ivoire oder Bangladesch entste- der Covid-19-Pandemie wieder das Mindestalter in der Beschäf- hen. Das Institut SÜDWIND will mehr Kinder gezwungen werden tigung festlegt, und die Konventi- deswegen die strukturellen Ursa- zu arbeiten. on 182, die das Verbot und Besei- chen für Kinderarbeit bekämpfen. tigung der „schlimmsten Formen Dies sind beispielsweise zu nied- Hart arbeitende Kinder sind vor der Kinderarbeit“ festlegt. Zu den rige Weltmarktpreise für Rohstoffe allem Kinder von Bauernfamilien „schlimmsten Formen der Kinder- und landwirtschaftliche Produkte, – nicht nur in armen Ländern, arbeit“ zählen die Vereinten Natio- fehlende Marktzugänge, unge- sondern auch in Mitteleinkom- nen Sklaverei und sklavenähnliche rechte Handelspolitik. Der Schwer- mensländern. Sieben von zehn Abhängigkeiten, Zwangsarbeit punkt liegt dabei auf der Aufwer- arbeitenden Kindern sind in der einschließlich des Einsatzes von tung von Wertschöpfungsketten Landwirtschaft beschäftigt. In Län- Kindersoldaten, Kinderprostitution in den Ländern, die einen hohen dern mit bewaffneten Konflikten und Kinderpornographie, kriminel- Anteil an arbeitenden Kindern in und Naturkatastrophen ist Kin- le Tätigkeiten wie den Missbrauch Exportsektoren wie Kakaoanbau derarbeit stärker ausgeprägt als in von Kindern als Drogenkuriere so- oder Textilien haben. Das bedeu- anderen Ländern. Mehr als 70 Pro- wie andere Formen der Arbeit, die tet, dass höhere Preise und Löhne zent der arbeitenden Kinder leben die Sicherheit und Gesundheit der gezahlt werden müssen, aber auch in Afrika. Ein Drittel der Kinder, Kinder gefährden können. mehr Wertschöpfungsstufen in die arbeiten müssen, haben keinen den Ländern verbleiben. Das ist Zugang zum Bildungssystem. Was kann getan werden? eine unverzichtbare Bedingung, Auch zivilgesellschaftliche Organi- damit Familien in armen Ländern Die Hauptursache für Kinderarbeit sationen können einen wichtigen von ihrer Arbeit in Würde leben ist Armut. Es wäre allerdings ein Beitrag leisten, um Kinderarbeit zu und ihre Kinder in die Schule ge- Fehler, das Problem allein auf das bekämpfen. In der Agenda 2030 hen können. unzureichende Einkommen von wurde die Abschaffung von Kinder- Familien zu reduzieren. Auch kul- arbeit bis zum Jahr 2030 als Ziel Dr. Pedro Morazán turelle Faktoren, schwache Regie- formuliert. Viele Organisationen Wissenschaftlicher Mitarbeiter am rungsinstitutionen, Umweltzerstö- sammeln Spenden, um Kinder zu SÜDWIND-Institut
KINDERARBEIT Es geht nur ums Überleben, so oder so! Kinderarbeit in Indien Trotz des Wirtschaftsbooms in einfach. Die Eltern wollten, dass den letzten 25 Jahren lebt fast ihre Kinder lieber arbeiten gehen ein Drittel aller Inder unter der und etwas verdienen, damit den Armutsgrenze. Auch die raschen Familien geholfen würde. Aber Entwicklungen, beispielsweise nach und nach gelang es uns im IT- oder Automobil-Bereich, jedoch, ein paar Familien davon zu haben nicht zur Beseitigung dieser überzeugen, ihre Kleinen zu uns Armut beigetragen. Kinderarbeit zu schicken, und so begann unser ist eine direkte Folge davon. Projekt ”Little Scholars School”. Maniram im Bild ist 16 Jahre alt. Zwar herrscht in Indien Schul- Seine Eltern haben ihn vor vier pflicht, aber Menschen aus den Jahren aus der staatlichen Schule Slums oder ländlichen Gebieten genommen und auf die Straße sehen häufig keine andere Mög- geschickt, um Tee an vorbeifahren- lichkeit, als ihre Kinder aus den de Autofahrer und Passanten zu Schulen zu nehmen und arbeiten verkaufen. Wir fragten ihn, warum zu lassen, um die Familie zu er- er nicht mehr zur Schule gehe. Er nähren. Oft aus existentieller Not sagte, dass er seine Eltern und vier hätten, damit die Kinder zu werden Kinder von ihren Eltern sogar an Kinderhändler verkauft, Geschwister unterstützen wolle. Der Vater sei Tageslohnarbeiter uns in die Schule kommen und nicht arbeiten gehen müssen. 5 die die Kinder für einen sehr und verdiene wenig. Für seine Bei uns bekommen sie ihre geringen oder gar keinen Lohn Zukunft habe er keine Pläne oder Uniformen, Schuhe, Bücher, arbeiten lassen. Ideen. Es ginge nur ums Überle- Arbeitsmaterialien und sogar ein ben, so oder so! gesundes Mittagessen. Später Kinder sind unter anderem in kümmern wir uns um ihre weitere Glas- und Streichholzschachtelfa- Ein paar andere Kinder, die bei schulische Bildung und ihr Wohl- briken, in Schlossereien, in der uns waren, arbeiten heutzutage ergehen. Wir besuchen die Eltern Teppich- und Tabakindustrie, im in Ziegeleien und sogar bei der in den Slums und bleiben in regel- Bergbau und Steinbruch, in Zie- Müllsammlung! Es gibt Tausende, mäßigem Kontakt mit ihnen. gelöfen und Teegärten tätig. Die ja sogar Millionen solcher Fälle Arbeit ist oft geschlechtsspezifisch, in Indien. Klar, Armut ist die In der Politik muss viel mehr wobei Mädchen mehr Hausarbeit Hauptursache für Kinderarbeit, getan werden, um ausbeuterische und Heimarbeit leisten, während aber Sucht, Krankheit oder Be- Kinderarbeit in Indien zu stoppen: Jungen häufiger in Lohnarbeit hinderung in der Familie und ein Die Gesetze gegen Kinderarbeit beschäftigt sind. Im Allgemeinen Mangel an Bildungsressourcen müssen weiter verschärft und nehmen die Arbeitsbelastung und sind auch Faktoren. strenger durchgesetzt werden. die Dauer der Arbeitszeit mit zu- Darüber hinaus ist es wichtig, die nehmendem Alter der Kinder zu. Was kann man dagegen tun? Wir extreme Armut zu bekämpfen. fühlen uns ziemlich hilflos ange- Die Bekämpfung von Armut und Vor 18 Jahren habe ich ein kleines sichts dieser anscheinend großen Ungleichheit ist entscheidend für Projekt gestartet in Dehradun, unüberwindbaren Problematik! die Beendigung der Kinderarbeit Nordindien, um Arbeiter, die in Aber nach dem Motto „Eine kleine in Indien. Slums unweit meines Hauses Menge reicht weit!“ versuchen lebten, dazu zu bringen, ihre wir mit einigen Familien aus den Romesh Modayil kleinen Kinder bei uns zu las- Slums zusammen zu arbeiten. Regionalpfarrer sen, während sie ihre tägliche Einigen Familien geben wir den Amt für Mission, Ökumene und Arbeit verrichteten. Es war nicht Betrag, den die Kinder verdient kirchliche Weltverantwortung
KINDERARBEIT Freiwilligendienst in Paraguay Begegnungen mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen Im Rahmen unseres entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes, den wir von August 2019 bis März 2020 in den Einrichtungen der Callescue- la in Asunciòn und Ciudad del Este in Paraguay absolviert haben, sind wir dem Thema „Kinderarbeit“ auf unterschiedliche Art und Weise be- gegnet, haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, manche stereoty- pe Vorstellungen kritisch hinterfragt und neue Erkenntnisse gewonnen. Während des Dienstes hatten wir die Möglichkeit, die Lebensrealitäten arbeitender Kinder und Jugendlicher in Ciudad del Este und Asunciòn kennenzulernen und möchten diese Erfahrungen aus unserer europä- isch-privilegierten Perspektive teilen. Für uns passt der Begriff „Kinderarbeit“, der eher negativ besetzt ist, nicht für die Tätigkeiten der arbeitenden Kinder und Jugendlichen, mit denen wir in Kontakt standen. Deswegen wollen wir gerne in diesem Bericht von der Arbeit der NATs sprechen (Niño/as Adolescentes Traba- jadores; deutsch: arbeitende Kinder und Jugendliche). Callescuela bedeutet übersetzt „Straßenschule“ und ist eine Nichtregie- rungsorganisation, die mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen und ihren Familien in verschiedenen „comunidades“ (deutsch: Gemeinden) arbeitet. Zu ihrer Arbeit gehört die Unterstützung bei der Grundversor- 6 gung der NATs und deren Familien sowie Nachhilfe-Angebote, Kinder- betreuung, Frühförderung, Freizeitmaßnahmen, Aufklärung, Familien- beratung, bürokratische Unterstützung der Familien bei verschiedenen Ämtern, Vermittlung beziehungsweise Konfliktlösung zwischen den Bewohnern der „comunidades“ und der Stadtverwaltung. Dabei liegt ihr Fokus auf der schulischen Förderung und Unterstützung bei den Ein- schreibungen der Kinder an den öffentlichen Schulen. Darüber hinaus begleitet die Callescuela eine Organisation, gegründet von arbeitenden Kindern und Jugendlichen (NATs, s) für arbeitende Kinder und Jugend- liche. Diese nennt sich CONNAT’s (Coordinación Nacional de los Niñas y Niños Adolescentes Trabajadores, deutsch: nationale Koordination von arbeitenden Kindern und Jugendlichen). Die Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter der Callescuela unterstützen die CONNAT’s darin, sich selbst zu mobilisieren und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Das zentrale Ziel der CONNAT’s ist dabei nicht die Beendigung der Tä- tigkeiten der NATs, sondern die Bewahrung und Einhaltung ihrer Rechte beziehungsweise die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. So lautet zum Beispiel eine Parole bei ihren Demonstrationen: „SÍ AL TRABAJO DIGNO“ (deutsch: Ja zur würdevollen Arbeit). Die Arbeitsplätze der NATs sind sehr vielfältig. Zum einen gibt es viele, die ihren Familien im Haushalt unter die Arme greifen und beispielswei- se auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen, kochen und putzen, wäh- rend ihre Eltern arbeiten. Zum anderen arbeiten sie auf dem Markt oder
KINDERARBEIT an Straßenständen, wo sie verschiedene Lebensmittel verkaufen. Weitere Kinder und Jugendliche verdienen sich etwas dazu als Schuhputzerinnen und Schuhputzer am Busbahnhof oder als Friseurinnen und Friseure. Die CONNAT’s leistet viel Öffentlichkeitsarbeit, um die Gesellschaft für zentrale Themen zu sensibilisieren. Des Weiteren kooperieren und soli- darisieren sie sich mit anderen sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel der Frauenbewegung, Indigenen Bewegungen und Umweltschutz. Einer der Hauptbeweggründe der NATs fürs Arbeiten ist, dass die Kinder und Jugendlichen ihre Familie einerseits finanziell unterstützen wollen, aber dies andererseits auch schlichtweg müssen, da die Eltern der Fami- lie nicht in der Lage sind, die Existenzgrundlage ausreichend zu sichern. Aufgrund häufig fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten wachsen einige NATs im sehr jungen Alter in die Arbeitswelt hinein, da sie von ihren Eltern mit zur Arbeit genommen werden müssen. Während unseres Freiwilligendienstes haben wir einige Lebensverhält- nisse der NATs näher kennenlernen dürfen und sind uns im Klaren darü- ber, dass wir nur einen Bruchteil der Komplexität begreifen konnten und hier nur aus unserer rein subjektiven Sicht berichten können. Besonders hat uns überrascht, dass die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir zu tun gehabt haben, so gut wie alle halbtags zur Schule gehen und nicht 7 ganztags arbeiten. Sofern sie nicht in der Schule sind oder arbeiten, neh- men sie die Angebote der Callescuela in Anspruch. Zudem ist uns ein ho- her Grad an Disziplin und Verantwortungsbewusstsein der Kinder und Jugendlichen aufgefallen, weswegen sie in bestimmten Situationen für ihr Alter viel „erwachsener“ wirkten als Gleichaltrige, die nicht arbeiten müssen. Am eindrucksvollsten war für uns die Haltung einiger NATs bezüglich ihrer Arbeitsstellen. Sie erzählten uns voller Stolz, was sie an dem Tag gemacht haben und gingen recht offen mit den Umständen ihrer Arbeit um. Uns sind Einzelfälle begegnet, die zum Teil unseren anfänglichen Er- wartungen von erschöpften Kindern nahe kamen, welche uns sehr zum Nachdenken angeregt und uns noch stärker unsere eigenen Privilegien vor Augen geführt haben. Jedoch hat uns der Großteil der Lebensreali- täten der NATs eine neue Seite von arbeitenden Kindern und Jugend- lichen gezeigt. In der Hinsicht hat uns die Zeit in Paraguay mit der Calle- scuela und den NATs sehr geprägt. Lina Serras und Merle Wagner Freiwillige der Evangelischen Kirche von Westfalen
KINDERARBEIT „Dann kann Gogo für uns kochen.“ Ein Gesicht von Kinderarbeit aus Simbabwe Die Großmutter, liebevoll mit dem Shona-Wort „Gogo“ von ihren vier En- keln genannt, sitzt in ihrem Rundhaus vor dem Regal mit ihrem Geschirr. Auf den mit Sorghum gefüllten Säcken sitzen ihr Mann und ihr Enkel Daniel. Daniel ist 13 Jahre alt. Er lebt im Dorf Burure, Gokwe Nord in Simbabwe. Die lutherische Kirche hat hier in den 1980er Jahren eine Dorfansiedlung begleitet. Die Martin-Luther-Sekundarschule, die Daniel besucht, gehört zu dem Schulbildungsangebot der lutherischen Kirche. Ich hatte die Schullei- terin Eve Mzenda und Victor Maramwidze gebeten, mit mir das Zuhause eines Schülers der Martin-Luther-Sekundarschule zu besuchen. Als Daniel und seine Großeltern beginnen, über ihr Leben und ihren All- tag zu erzählen, fange ich an mein stereotypes und romantisches Bild ei- ner afrikanischen Großfamilie zu hinterfragen. „Ich stehe spätestens um 4 Uhr auf, wenn die Felder bestellt werden müssen. Ich versorge die Tiere und versuche dann oft auch noch zu pflügen. Holz und Wasser müssen meine jüngeren Geschwister am Nachmittag besorgen. Dann kann Gogo morgens für uns etwas kochen. Sie sieht nicht mehr viel. Aber kochen kann sie noch.“ 8 Der Großvater nickt. Seit einiger Zeit geht es ihm so schlecht, dass er die schwere Arbeit auf den kleinen Feldern nicht mehr leisten kann. „Und wo sind Daniels Eltern?“ Der Großvater zuckt die Schultern. „Der Vater ist vor drei Jahren nach Südafrika gegangen. Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört. Daniels Mutter hat Glück und arbeitet bei Kadoma Textiles. Aber sie verdient nicht viel Geld und darum kann sie auch nicht viel schi- cken. Ohne Daniels Arbeit auf den Feldern hätten wir nicht genug.“ Sobald die Schule zu Ende ist, arbeitet Daniel wieder auf den Feldern. Zeit, die Hausarbeiten zu erledigen und zu lernen, bleibt ihm kaum. Pflügen, pflanzen, jäten, ernten. Die Regenzeit war gut gewesen. Stolz klettert Da- niel auf den offenen Speicher, in dem der Mais gelagert wird. Die Ernte war ertragreich. „Ich konnte sogar etwas verkaufen, sodass ich in diesem Jahr meine Schulgebühren bezahlen konnte und die Schule nicht verlas- sen musste. Und es ist genug übrig, damit Gogo für uns kochen kann.“ Statistiken über die Einkommens- und Lebensverhältnisse der 320 Schüle- rinnen und Schüler in Burure gibt es nicht. Die Schulleiterin Eve Mzenda schätzt, dass etwa 25 bis 30 Schülerinnen und Schüler der Martin-Luther-Se- kundarschule unter ähnlichen Bedingungen wie Daniel leben. Kerstin Hemker Stellvertretende Vorsitzende des Partnerschaftskomitees des Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken mit der Ost-Diözese der Evangelisch Lutherischen Kirche in Simbabwe
KINDERARBEIT Dein Plastik ist mein Reis Am „schmutzigsten Ort der Welt“ türmt sich weltweiter Müll Fast jedes zehnte Kind weltweit ist von Kinderarbeit betroffen. Eines von ihnen ist Charles: Auf den Philippinen arbeitet er zu sklavenartigen Be- dingungen, um zu überleben. Jeden Tag springt Charles in das verschmutzte Hafenbecken von Manila. Jeden Tag sucht er in dem bakterienverseuchten Wasser nach altem Pla- stik. Und jeden einzelnen Tag geht es für den Jungen in dem Elendsviertel Tondo ums blanke Überleben. „Happyland“ wird der Slum in der phi- lippinischen Hauptstadt genannt. Zynisch, denn glücklich ist im größten Elendsviertel der Stadt niemand. „Wir müssen das machen, sonst haben wir Zuhause nicht genug zu es- sen“, sagt Charles. Wenn er zwischen dem Müll genügend Plastik findet, verkauft er es für umgerechnet wenige Cents weiter. War seine Ausbeute gut, kann er am Abend für sich und seine Familie eine Portion Reis kaufen. Wenn nicht, dann müssen sie hungern. Charles wohnt mit seiner Fami- lie in einer der winzigen Wellblechhütten, die direkt über dem Wasser im Hafen Manilas gebaut wurden. Unter ihnen schwimmt ein Gebräu aus giftigen Abfällen und Exkrementen – ein Abwassersystem gibt es nicht. Etwa 2.000 Familien müssen unter diesen menschenunwürdigen Bedin- gungen in der Müllhalde Manilas leben. Statt zur Schule zu gehen oder mit Auch missio Aachen setzt in die- anderen zu spielen, arbeiten Charles und viele weitere Kinder als moder- ne Sklaven: Kinderarbeit wegen einer Portion Reis, inmitten von giftigen sem Jahr ein Zeichen gegen Aus- beutung an Kindern und moder- 9 Abfällen. Abfälle, die aus Europa – auch aus Deutschland – stammen. Am ne Sklaverei. So eröffnet im Juni „schmutzigsten Ort der Welt“ türmt sich sein weltweiter Müll. die Aktion Schutzengel die Kam- pagne „Eine Welt. Keine Sklaverei.“ Wir alle können etwas dafür tun, das Leben der Kinder in Manila zu verbes- mit einer internationalen Fachkon- sern. Verbrauchen wir in Deutschland weniger Plastikmüll, verschmutzen ferenz mit Entwicklungsminister wir die Meere weniger. Und auch Charles muss nicht mehr im verseuchten Dr. Gerd Müller. Neben Kinderar- Hafenbecken aufwachsen. Um die Situation vor Ort zusätzlich zu verbes- beit stellt die Kampagne der Aktion sern, engagiert sich Benediktinerin Schwester Mary John Mananzan für Schutzengel weitere Formen von die Müllkinder von Manila: So konnte die Ordensfrau mithilfe des katho- moderner Sklaverei in den Mittel- lischen Hilfswerks missio Aachen Ende 2020 das Kinderzentrum Shelter punkt, wie der Ausbeutung philip- of Joy eröffnen. Auch Charles hat dort endlich die Chance auf ein besseres pinischer Migrantenarbeiterinnen Leben: „Wir finden es toll hier und kommen, so oft es geht. Arbeiten müs- und -arbeiter von ihren Arbeitge- sen wir jetzt nicht mehr.“ bern im Ausland, Menschenhandel oder Zwangsprostitution. Mit poli- Doch noch immer wird unsere Hilfe gebraucht, denn weltweit teilen viele tischer Arbeit, Bildungsangeboten Kinder das Schicksal von Charles: Aktuell sind laut der Internationalen Ar- und Beteiligungsmöglichkeiten beitsorganisation (ILO) 152 Millionen Jungen und Mädchen von Kinderarbeit können wir alle dafür sorgen, mo- betroffen. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage noch verschlechtert. derne Sklaverei – nicht nur auf den Die Schulen mussten schließen, gleichzeitig verloren viele Eltern wegen Aus- Philippinen, sondern weltweit – zu gangsbeschränkungen ihre Jobs. Nun müssen die Kinder selbst mithelfen, beenden. die Familien zu ernähren. Viele Kinder und Familien benötigen unsere Un- www.missio-hilft.de/schutzengel terstützung demnach dringender denn je. Daher hat die UN das Jahr 2021 zum Internationalen Jahr zur Abschaffung von Kinderarbeit ausgerufen.
KINDERARBEIT Kinderarbeit in Kongo Die Handy-Aktion NRW und das Bildungsangebot von la tienda Seit einigen Jahren versucht die Handy-Aktion ten, viele von ihnen in der Kobaltgewinnung. NRW durch das Sammeln von alten Handys Es ist nicht ungewöhnlich, Kinder in einem das fachgerechte Recycling zu gewährleisten. Alter von fünf bis acht Jahren bei der Arbeit Insbesondere sollen die Rechte von Kindern anzutreffen. Sie graben den Boden um, bre- geschützt und gefördert werden, die in der De- chen Steine, sortieren, waschen oder transpor- 10 mokratischen Republik Kongo im Abbau von Rohstoffen arbeiten, die für Handys unerläss- tieren die Mineralien. Sie haben keine Chance auf Bildung, sondern sie sind Opfer der Aus- lich sind. Jedes Handy enthält 60 Rohstoffe, beutung. Da sie dünn und klein sind, können darunter 30 Metalle. Aus Kongo kommen Ko- sie in die engen und tiefen Stollen bis zu 30 balt für die Akkus (mehr als 60 Prozent der Meter tief gehen. Erwachsene beuten sie we- Weltproduktion) und Coltan für die Konden- gen ihrer Verletzlichkeit und Unwissenheit satoren (etwa 80 Prozent der Weltreserve). aus. Diese Arbeiten sind für Kinder extrem ge- fährlich. Erdrutsche führen zu tödlichen Ver- Diese Erze befinden sich im östlichen Teil des letzungen. Gegen die Unternehmen Apple, Kongos auf einer Fläche von etwa 1.500 km Tesla, Google, Dell und Microsoft wird derzeit von Norden nach Süden. Ursprünglich war in Washington ein Prozess geführt. Eine inter- ihr Abbau industriell geprägt. Er ist seit Ende nationale Anwaltsvereinigung setzt sich für 14 der 1980er Jahre industriell und handwerk- kongolesische Familien ein, deren Kinder in lich. Im Vergleich zu Kobalt, das nur zu 20 den Kobaltminen starben, behindert, verletzt Prozent handwerklich gewonnen wird, wird oder ausgebeutet wurden. Coltan hauptsächlich handwerklich abgebaut. Kinder arbeiten zu lassen, als wären sie Er- Männer, Frauen und Kinder arbeiten in den wachsene, ist ein eklatanter Verstoß gegen die Minen, um die Rohstoffe unter unmensch- Kinderrechtskonvention. Hinzu kommt, dass lichen, gesundheitsgefährdenden Bedin- Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt sind und gungen und zu niedrigen Löhnen zu fördern. Kinder als Kindersoldaten eingesetzt werden, Aktuelle und verlässliche Statistiken sind um die Bodenschätze zu sichern, mit denen schwer zu erhalten, vor allem im Nordosten, die Rebellenführer ihre Geschäfte finanzieren. wo es viele bewaffnete Gruppen gibt. UNICEF Der Hightech-Boom seit Ende 1990 hat zu schätzte 2014, dass rund 40.000 Mädchen einem enormen Bedarf an strategischen Roh- und Jungen in den Minen im Südkongo arbei- stoffen geführt, die im Ostkongo zu finden
KINDERARBEIT sind. Seitdem gibt es immer wieder Kriege und bewaffnete Konflikte, in die auch die Nachbarländer Burundi, Ruanda und Uganda involviert sind. Ein Bewusstsein für diese problematische Verstrickung unserer Handys versucht neben dem katholischen Hilfswerk missio auch das Bildungspro- jekt „Von der Produktion bis zur Elektroschrottdeponie – Dein Smartphone heute und morgen“ des münsterschen Weltladens la tienda zu schaffen. Ziel des Projektes ist es, das öffentliche Bewusstsein für Ungerechtigkeiten im Welthandelssystem im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) zu wecken. In Kooperation mit dem Insti- tut für Didaktik der Geographie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster wurden Workshops für Schulklassen der Jahrgangsstufen 8 bis 12 erarbeitet und erprobt. Am Beispiel des Smartphones werden Problema- tiken, wie der Rohstoffabbau in Kongo im Zusammenhang mit der Wert- schöpfungskette näher veranschaulicht. Es sind insgesamt vier verschie- dene Workshopkonzepte entstanden – zur globalen Wertschöpfungskette des Smartphones, zum Kupferabbau in Chile und zum Rohstoffabbau in Kongo. Auch die Handy-Aktion NRW ist ein wichtiger Schritt für den Schutz von Menschenrechten und unserer Umwelt. Ihre Wirkung findet auf vier Ebe- nen statt. 1. Beteiligung von Telekom und Teqcyle am fachgerechten Recycling von Althandys. Die Telekom kümmert sich um die Überprüfung des Zu- stands, die Löschung der Daten und die Reparatur der Handys, die noch brauchbar sind. Nicht mehr brauchbare Handys werden zur Rückge- winnung bestimmter Rohstoffe (Kupfer, Gold, Eisen und teilweise Pla- tin) an Teqcyle (München) geschickt. Für jedes alte Handy erhält die Sammelaktion 50 Cent. 2. Mit dem Erlös aus der Sammlung werden drei Projekte zum Schutz der Menschenrechte finanziert, darunter „Gitarren statt Gewehre“ in Kon- 11 go. Um Kindersoldaten wieder einzugliedern, erhalten sie eine Ausbil- dung im Gitarrenbau. 3. Die Handy-Aktion hat sehr viele Menschen erreicht. Familien, Schulen, Firmen, Kirchen (Kirchenkreise und -gemeinden), Unternehmen sowie soziale und politische Einrichtungen sammeln mit. 4. Gesellschaftliche Anerkennung. 2020 hat der Rat für Nachhaltige Ent- wicklung der Handy-Aktion NRW einen Preis verliehen. Sie war eines der 40 Siegerprojekte, die bundesweit zum „Projekt Nachhaltigkeit 2021“ gewählt wurden. Im Jahr 2021, das zum Internationalen Jahr zur Abschaffung der Kinderar- beit erklärt wurde, ist die Teilnahme an der Handy-Aktion wichtiger denn je. In jedem Handy sieht man menschliche Gesichter, die arbeiten, insbesonde- re Kinder, bei Abbau von Rohstoffen, die in die Produkte eingehen, die wir konsumieren. Dieser Sichtweise führt zu Bewusstsein über die Menschen- rechtsverletzung und zum Engagement für den Kinderrechtschutz. Informationen Dr. Jean-Gottfried Motumbo www. handyaktion-nrw.de Regionalpfarrer Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weiterentwicklung
KINDERARBEIT Zerstörte Kinderseelen Kinderprostitution Projekte in Südafrika, Tansania, Prostitution hält sich nicht an solche Kongo und in Indonesien gefördert, Verbote, sie geht weiter. Jetzt aber die die Prävention mit oft beschei- eben im Verborgenen, sodass Sozial- denen Mitteln vorantreiben. arbeiterinnen und Streetworker den direkten Draht zu den Opfern nur Kinderprostitution ist ein weites über Umwege aufnehmen können. Feld. Fast ausnahmslos aber ist klar: Kein Kind macht irgendetwas frei- Es gibt selbstverständlich auch die willig in dieser Hinsicht, alle werden Online-Beratung für Kinder und dazu gezwungen. Aber Kinder sind Jugendliche, die sich auf diese Wei- viel mehr als Erwachsene emotional se direkt an die Beratungsstellen und körperlich von anderen abhän- wenden können. Streetworkerinnen gig. Das macht sie umso verwund- und Streetworker haben in den barer. Täterinnen und Täter wissen vergangenen Monaten festgestellt, genau, wie sie sich die Kinder und dass es gegenüber Vor-Coronazeiten Jugendlichen gefügig machen. Die doch mehr minderjährige Prostitu- Die gegenwärtigen Debatten um Muster sind fast immer gleich. Am ierte gibt. Diese haben darüber hi- Missbrauch in der katholischen Ende stehen immer zerstörte Kin- naus auch einen schwereren Stand, Kirche (ehrlicherweise muss auch derseelen. sie sind einem erhöhten Druck von die evangelische mitgenannt sein) Freiern ausgesetzt, die ihre Notlage lassen auch die Frage nach Kinder- Das war schon vor der Corona-Pan- natürlich schamlos ausnutzen wol- prostitution in den Fokus rücken. demie so. Die weltweiten Lockdo- len. Diese besonders schweren Ver- wns haben freilich die Lage für die 12 brechen an Kindern hat es zwar schon immer gegeben, sie gelten Betroffenen verschärft. Zum Bei- spiel sind in Deutschland die Ord- In den vielen Diskussionen um Öffnungen des öffentlichen Lebens zugleich weltweit als Tabu. Inter- nungsämter vollständig mit der Ver- werden die missbrauchten Kinder national agierende Verbrechersyn- folgung der Infizierten und deren und Jugendlichen sicherlich nicht dikate haben es durch die sozialen Umfeld beschäftigt, da gibt es kaum an erster Stelle stehen. Und doch Medien heute leichter, unkontrolliert Überprüfungen von Bordellen oder sind sie in besonderem Maße Opfer aufzutreten und Kinder beziehungs- entsprechenden Orten, vielleicht der weltweiten Lage. weise Jugendliche auszubeuten, in oberflächlich auf Hygienemaß- diesem Fall für immer zu zerstören. nahmen. Aber ob beispielsweise Es ist Zeit, sie in den Blick zu neh- minderjährige Mädchen irgendwo men. Der Arbeitskreis gegen Kinderpro- versteckt ausgebeutet werden, wird stitution in der Evangelischen Kir- kaum entdeckt werden. Pfarrer Martin Domke che von Westfalen (Ak-KiPro) ist Leiter des Eine Welt Zentrums ursprünglich als ein westfälischer Die meisten Beratungsstellen von Herne Ableger der internationalen Orga- Caritas oder Diakonie und anderen nisation ECPAT (End Child Prosti- Organisationen gehen auch davon tution Action Network) entstanden. aus, dass das Abgleiten in die Illega- Er hat sich zunächst eher auf die lität, das bereits angefangen hat, sich Folgen des Sextourismus konzen- nach der Aufhebung der Maßnah- triert, dann aber immer mehr Part- men nicht so einfach wieder wird nerorganisationen gestärkt, die sich zurückdrehen lasse. Die Möglich- in Ländern des globalen Südens der keiten, Kindern und Jugendlichen Vorbeugung gegen die sexuelle Aus- mit wirksamen Mitteln helfen zu beutung von Kindern und Jugend- können, schwinden je länger die lichen widmen. So hat der AkKiPro Kontaktverbote bestehen. Denn die
KINDERARBEIT Lieferkettengesetz soll Menschenrechte fördern Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika men, welches zumindest das Aller- notwendigste wie Nahrungsmittel, Gesundheitsversorgung, Schulbe- such, Transport, Kommunikation und kleine Rücklagen abdeckt. Um die Einkommen auf dieses Ni- veau zu heben, zahlen zum Beispiel Fairtrade oder Rainforest Allian- Kontakt ce Prämien über den Weltmarkt- Isabellhinaus. preis UllrichBislang reichen diese koordination@saubere-kleidung.de aber bei weitem nicht aus, um ein www.saubere-kleidung.de existenzsicherndes Einkommen zu garantieren, und höhere Prämien Im Herbst 2020 wurde eine neue chend hohes Einkommen zu erzie- lassen sich am Markt nicht durch- Studie über die Zahl der im Kakao- len und so auch angemessene Löhne setzen. Dabei würde selbst eine Ver- sektor arbeitenden Kinder veröffent- zahlen zu können. Diese Argumen- doppelung des Kakaopreises durch licht. Demnach arbeiten in der Côte tation ist allerdings nicht stichhaltig, höhere Prämien pro Tafel Vollmilch- d’Ivoire (Elfenbeinküste) und Ghana denn die Rechnung stößt auf zwei schokolade nur wenige Cent kosten. knapp 1,6 Millionen Kinder im Ka- große Hindernisse: kaosektor unter Bedingungen, die Dennoch scheuen viele Unter- ihnen schaden. Diese beiden Län- Um die Produktivität zu steigern, nehmen diese wenigen Cent. Der der sind die wichtigsten Kakaopro- duzenten weltweit, etwas mehr als müssten Bäuerinnen und Bauern erheblich in ihre Plantagen inves- Preiskampf auf den Supermarktre- galen ist hart, und ein großer Teil 13 die Hälfte des Kakaos wird dort an- tieren, wofür den meisten schlicht der Schokolade wird über Sonder- gebaut. Die Arbeit führt dazu, dass das Geld fehlt. Darüber hinaus führt angebote verkauft. Viele namhafte der Schulbesuch be- oder verhindert eine deutliche Steigerung der Pro- Schokoladenunternehmen fordern wird und gefährdet die Gesund- duktivität zu höheren Erntemengen inzwischen ein Einschreiten des heit der Kinder: Sie erleiden Verlet- und damit zu einem Überangebot Gesetzgebers. Dieser soll über ein zungen bei der Arbeit, sie tragen zu an Kakao. Die Folge wären sinkende Lieferkettengesetz vorschreiben, schwere Lasten und fast ein Drittel Kakaopreise. Dabei ist der niedrige dass alle Unternehmen in ihrer Lie- kommt mit Pestiziden in Berüh- Kakaopreis, der in den letzten Jahr- ferkette Menschenrechte beachten rung. Die Datenerhebung fand vor zehnten inflationsbereinigt dras- müssen. Dazu gehören existenzsi- der Coronakrise statt, sodass davon tisch gefallen ist, eine Hauptursache chernde Einkommen und Löhne. auszugehen ist, dass die Zahl der ar- für die Armut im Kakaosektor. Die Bundesregierung hat einen Ent- beitenden Kinder seither noch deut- wurf für ein Lieferkettengesetz vor- lich gestiegen ist. Zwar können die Anbaumethoden gelegt. Dies ist ein erster wichtiger von Bäuerinnen und Bauern in der Schritt. Aber das Gesetz genügt aus Dass dies ein unhaltbarer Zustand Tat verbessert werden, sie benötigen menschenrechtlicher Perspektive ist, sehen die Unternehmen ein. zudem eine bessere Unterstützung nicht den Anforderungen. Viele der Unternehmen vertreten durch ihre jeweiligen Regierungen. die Ansicht, Hauptursache für die Aber das allein wird nicht reichen. Friedel Hütz-Adams Probleme sei eine zu geringe Pro- Aus der Perspektive des SÜD- Wissenschaftlicher Mitarbeiter am duktivität. Daher fordern sie, dass WIND-Institutes ist daher ein Kakao- SÜDWIND-Institut Bäuerinnen und Bauern langfri- preis notwendig, der ein existenzsi- stig mindestens doppelt so viel pro cherndes Einkommen ermöglicht. Informationen Hektar ernten sollen, um ein ausrei- Darunter verstehen wir ein Einkom- www.lieferkettengesetz.de
FAIRER HANDEL Süß statt bitter Orangen ohne Sklaverei und ohne Gift Arbeitsverträgen und zahlt ihnen Tariflöhne sowie Sozialbeiträge. Der Verein erhält Orangen nur von Öko-Betrieben und organisiert den Verkauf an Bioläden und Gruppen solidarischen Konsums. Auch die Waldenserkirche in Ita- lien, eine Partnerkirche der west- fälischen Landeskirche, setzt sich für die Wanderarbeiter ein – im Rahmen des Programms Mediter- ranean Hope. „Kalabrien und das Gebiet von Rosarno sind eines der am stärksten benachteiligten Gebiete Europas. Das organisier- te Verbrechen dort kontrolliert oft mit Gewalt wichtige Bereiche der Von Anfang Dezember bis März ka- Ohne die Erntehelfer aus Sub- Politik und Wirtschaft“, berichtet men im Rahmen der “Orangen-Ak- sahara-Afrika würde die ohnehin Paolo Naso, Koordinator von „Me- tion” etwa 47 Tonnen öko-fairer schwache kalabrische Wirtschaft diterranean Hope“. „Wir verhelfen Orangen aus Kalabrien nach zusammenbrechen. Die Abneh- denjenigen, die ausgegrenzt sind, Westfalen, ins Ruhrgebiet und mer der Früchte sind multinatio- zu ihren Menschenrechten. Wir 14 an den Niederrhein. Sie wurden über Weltläden, Kirchen- und nale Konzerne und Handelsketten. Sie diktieren den Bauern die Prei- möchten zeigen, dass ein anderes Kalabrien existiert, dass die Mafia Pfarrgemeinden, Kirchenkreise, se, die nicht einmal die Produk- sowie auch Ausbeutung überwun- Naturkostläden, Kitas und diako- tionskosten decken. So bezahlen den werden können." nische Einrichtungen verkauft oder große Handelsketten nur 12 Cent verteilt. Geliefert wurden die Oran- pro Kilogramm Orangen. Die Pro- So geht ein Teil des Erlöses der gen von „SOS Rosarno“, einem duktionskosten liegen bei minde- Orangen-Aktion an das Projekt Verein, der die Menschen- und Ar- stens 20 Cent/kg. Deshalb haben „Lichter auf Rosarno“ von „Me- beitsrechte der Erntehelfer in Süd- die Bäuerinnen und Bauern nur diterranean Hope“: Die Erntehel- italien stärkt. zwei Möglichkeiten: entweder die fer werden auf dem Weg zu ihrem Früchte auf den Plantagen verfau- Arbeitsplatz, den Plantagen, häufig Von November bis April helfen len zu lassen oder die Tagelöhner Opfer von Verkehrsunfällen, weil rund 2.500 Wanderarbeiter, meist auszubeuten. ihre Fahrräder unbeleuchtet sind. afrikanische Geflüchtete, bei der In dem Projekt werden ihre Fahr- Orangenernte in und um Rosar- Überall in Südeuropa schuften räder mit Lampen ausgestattet und no, eine Kleinstadt in Kalabrien. Migranten für Hungerlöhne auf in ihren Zeltsiedlungen Solarlam- Sie arbeiten als Tagelöhner auf den Obst- und Gemüseplantagen. Die- pen installiert. Ein Teil des Erlöses umliegenden Plantagen für etwa 25 se moderne Sklaverei ist eine Folge aus dem Orangenverkauf wird für Euro am Tag. Kein Lohn, von dem des globalen Wettbewerbs. Doch in dieses Projekt verwendet. man anständig leben, geschweige Rosarno entstand eine Keimzelle Für Anfang Dezember 2021 ist die denn eine Miete bezahlen könnte. des Widerstands: Eine Gruppe von nächste Orangen-Aktion geplant. Die Erntehelfer hausen bei Kälte in Aktivisten, Landwirten und Ernte- Zelten oder Containern unter er- helfern gründete den Verein „SOS Katja Breyer bärmlichen und menschenunwür- Rosarno“. „SOS Rosarno“ beschäf- Amt für Mission, Ökumene und digen Bedingungen. tigt die Migranten mit regulären kirchliche Weltverantwortung
FAIRER HANDEL Faire Orangen aus Kalabrien so weit das Auge reicht Beispielhafte Aktivitäten aus Recklinghausen, Lippstadt und Rheine Drei Gruppen, die an der Orangen- gerechnet. So bestellten Pfarreien, schmack erfreuten, gab es nicht aktion beteiligt sind, haben dem Info-Dienst ihre Erfahrungen mit- Kindertagesstätten, die Stadt und etliche Privatpersonen insgesamt unbedingt Bewusstsein dafür, dass die süßen Früchte für die 15 geteilt – alle drei sind überwältigt 90 Kisten. Allen waren die Arbeits- Menschen, die sie anbauen und von der Qualität, dem Geschmack bedingungen wichtig, unter denen ernten, das Leben oft sehr bitter und dem Absatz, den sie erzie- die Früchte geerntet werden.“ machen. Das änderte sich schlag- len. „An eine große Aktion hatte Auch Margot Bell, Pfarrerin im Ru- artig durch „SOS Rosarno“ – auch ich nicht gedacht, als im Herbst hestand in Lippstadt, ist überwäl- in Lippstadt und Umgebung.“ So 2020 die Anfrage kam, ob ich be- tigt von dem enormen Zuspruch kaufte nicht nur der Evangelische reit sei, Orangen aus Kalabrien zu aus der Bevölkerung: „Als in der Kirchenkreis Soest-Arnsberg fast bestellen. Eher hatte ich an eine letzten Vorweihnachtszeit Oran- 2.000 Kilogramm Orangen, die Su- kleine Solidaritätsaktion gedacht. gen wieder mit ihrem süßen Ge- perintendent Dr. Manuel Schilling Die Mindestbestellmenge von fünf Kisten Orangen (das sind 50 Kilo- gramm) erschien mir schon ziem- lich hoch zu sein“, berichtet Maria Voß von der Arbeitsgemeinschaft der Eine-Welt-Kreise im Stadtko- mitee der Katholiken in Reckling- hausen. Erste zaghafte Anrufe bei Bekannten brachten Überra- schendes: Eine Kiste Orangen war für die meisten kein Problem. „In den nächsten Tagen brach dann eine Welle von Bestellungen über mich herein. Damit hatte ich nicht
FAIRER HANDEL son im Herbst freuen“, sagt Mar- got Bell. Es scheint den Menschen in Lippstadt nicht egal zu sein, wie die Dinge, die sie konsumieren, er- zeugt und vermarktet werden. „Da wir so viele positive Rückmel- dungen und Nachfragen nach fair gehandelten Orangen hatten, ha- ben wir beschlossen, uns im Fe- bruar 2021 erneut an der Aktion zu beteiligen,“ erklärt Pfarrerin im Ruhestand Kerstin Hemker, Bot- schafterin für Brot für die Welt. Ge- meinsam mit der Aktionsgemein- schaft Solidarische Welt (ASW e.V.) in Rheine, wurden im vergangenen Dezember allein für Rheine 220 Kilogramm Bio-Orangen von der Genossenschaft „SOS Rosarno“ im italienischen Kalabrien bezo- gen. „Toll, dass wir beim zweiten Mal fast 400 Kilogramm bestellen konnten. Nicht nur Mitglieder un- seres Vereins haben sich beteiligt, sondern auch Vertreter aus evange- lischen und katholischen Kirchen- gemeinden sowie Mitglieder aus 16 dem Forum für Menschenrechte und Nachhaltigkeit und dem Chor Signale“, freut sich auch Michael Remke-Smeenk, Vorsitzender der ASW Rheine. Die Aktion sei ein Beispiel für die Forderung nach einer Sorgfaltspflicht von Unter- nehmen in der Lieferkette von Produkten, wie sie auch das Euro- paparlament unterstützt, ist sich Beate Steffens, Aktion Humane Welt Rheine, sicher. Maria Voß weiß schon jetzt: „Bei der nächsten Aktion im Herbst 2021 wollen wir wieder dabei sein. Damit das gelingen kann, wer- den wir versuchen, Strukturen zu zusammen mit vielen Helfenden städter Unverpacktladen Granél. schaffen, damit Bestellung, Vertei- zu Weihnachten an die Gemeinden „Fast alle Erstkundinnen und -kun- lung und Rechnungsstellung auf verteilte, sondern auch sehr viele den aus Lippstadt, Soest, Werl und mehrere Schultern verteilt werden Lippstädterinnen und Lippstädter Umgebung sind zu Stammkunden können und damit eine komplika- wollten das Projekt spontan un- geworden und es kommen stän- tionslose Abwicklung der Aktion terstützen und kauften ein großes dig weitere dazu, die sich nach möglich wird.“ Kontingent an Orangen im Welt- der jetzt erstmal letzten Lieferung laden Lippstadt und in dem Lipp- schon auf den Start der neuen Sai- Gundis Jansen-Garz
FAIRER HANDEL Buchtipp Gilles Reckinger: Bittere Orangen – Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa Auf Lampedusa hat man sie an Land gehen sehen, er- schöpft und traumatisiert von der Flucht. Viele der Men- schen aus afrikanischen Ländern, die ihre Hoffnung auf ein freies Leben in Europa gesetzt hatten, sind nie aus Italien herausgekommen. Sie stecken fest in einer neuen Sackgasse: den süditalienischen Orangenplanta- gen. Während ihrer Asylverfahren stehen Geflüchtete in Italien ohne Papiere und ohne Rechte buchstäblich auf der Straße. Die nahen Plantagen sind oft ihre ein- zige Chance auf einen Job. Offen verachtet von der Be- völkerung, untergebracht in Slums und fern jeder me- dizinischer Versorgung pflücken sie zwölf Stunden am Tag Orangen. Für 150 Euro im Monat – sofern sie das Glück haben, morgens auf dem „Arbeitsstrich" aufge- lesen zu werden. Gilles Reckinger ist immer wieder nach Rosarno, eine kleine Stadt in Italiens Stiefelspitze, gereist, um die Ar- beits- und Lebensbedingungen der migrantischen Ern- tehelfer zu dokumentieren. In vielen Gesprächen ist er den Menschen nahe gekommen, die festgesetzt sind in 17 extremer Prekarisierung ohne jede Option. Nicht ein- mal die auf Rückkehr in ihr Herkunftsland. Das Buch ist im Peter Hammer Verlag er- schienen und kann bei der Bundeszentrale für politische Bildung erworben werden. Preis: 4,50 Euro, zuzüglich Versandkosten
MENSCHENRECHTE Globalisierung einer menschenwürdigen Arbeit KAB und KönzgenHaus verstärken Bündnisarbeit rechtigkeiten sind in der Struktur der kapita- listischen Wirtschaftsweise „eingeschrieben“, in der die Arbeit zur Ware und von der Person entkoppelt wird. Es herrscht eine „strukturelle Respektlosigkeit“ gegenüber der Würde der Ar- beit! Die Coronapandemie hat all das zugespitzt und zu Tage treten lassen. Die Verteilung der Macht und die geltenden Herrschaftsverhält- nisse sind ungerecht. Und das gilt für Deutschland und weltweit. Eine „Globalisierung der menschenwürdigen Arbeit“ ist angesichts der zunehmenden welt- weiten Spaltung notwendiger als je zuvor. Der Vorrang der Arbeit vor dem Kapital ist das christliche Gegenkonzept zur neoliberalen Aktivistin R.C. Mamani, Norbert Jansen und Agraringenieur R. Crespo Torrico aus Cochabamba/Bolivien bei der Tagung „Postwachstum als Modell für das Globalisierung. Die KAB war immer schon Gemeinwohl“ 2017 im KönzgenHaus. eine internationale Bewegung und das Könz- genHaus organisiert seit einigen Jahren in- Was ist würdige Arbeit? Was ist gerechte Ar- ternationale Tagungen, oft in Kooperation mit beit? Diese Fragen stellt sich die Katholische entwicklungspolitischen Akteuren. Faire Ar- 18 Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) seit mehr als 100 Jahren auf dem ethischen Fundament der beit und Gutes Leben sind weltweit ein Thema, wie beispielsweise die Tagung 2019 mit bolivia- christlichen Sozialverkündigung. Orientiert an nischen Partnern eindrucksvoll bestätigte. der biblischen Botschaft und der Gewissheit, dass Glaube und Gerechtigkeitshandeln zwei „Überleben in der Stadt“ wird Ende dieses Seiten derselben Medaille sind, bewährt sich Jahres eine Tagung anlässlich der Adveni- der methodische Dreischritt SEHEN-URTEI- at-Kampagne sein. Mit Akteuren innerhalb LEN-HANDELN in der verbandlichen Praxis und außerhalb der Kirchen wird weiterhin und leitet die Verantwortlichen im Könzgen- die Bündnisarbeit weiter verstärkt. Da die Bei- Haus in allen Seminaren und Veranstaltungen. spiele und aktuelle Anknüpfungspunkte leider Prekäre Arbeit, also atypische schlecht bezahl- nicht ausgehen, wird die Veranstaltungsreihe te Beschäftigung jenseits von „Normalarbeits- „(Un-)würdige Arbeit“ weitergeführt. Mit den verhältnissen“, nimmt zu, nicht nur in der Kampagnen zur angemessenen Bewertung Fleischindustrie, der ambulanten Pflege, der von Sorgearbeit, zum Grundeinkommen und Logistikbranche. Prekäre Arbeit grenzt aus Mindestlohn sowie zur Gemeinwohlökonomie durch fehlende Rechte, ungenügende Mitbe- sind KAB und KönzgenHaus auf dem Weg stimmungsmöglichkeiten, mangelnde Teilha- zum „Guten Leben“, aber der ist weit und stei- be und ist zutiefst ungerecht. nig – auch in kirchlichen Zusammenhängen. Wer profitiert davon? Die Missstände entste- Veranstaltungshinweise hen nicht zufällig. Sie sind eine direkte Folge www.könzgenhaus.de eines ungerechten Wirtschaftssystems, das die rücksichtslose Gewinnmaximierung zum Cre- Norbert Jansen do erhebt, unterfüttert und bestärkt von einer Geschäftsführer des KönzgenHauses „teilblinden“ Wirtschaftstheorie. Die Unge- in Haltern am See
MENSCHENRECHTE Zwangsarbeit in Xinjiang stoppen! China duldet massive Menschenrechtsverletzungen Die Autonome Region Xinjiang liegt Uigurinnen und Uiguren als Ar- im Nordwesten Chinas. Sie ist einer- beiterinnen und Arbeiter in ande- seits ein logistisches Drehkreuz für re Provinzen Chinas transferiert. die Eisenbahnverbindung der „Neu- Innerhalb Xinjiangs liegen die en Seidenstraße“ nach Zentralasien Fabriken oft in der Nähe der Um- und Europa. Andererseits ist sie erziehungslager, weil die Arbeit in seit Jahrzehnten von Unabhängig- den Fabriken offiziell als Teil der keitsbestrebungen und Protesten „Erziehung“ der Uiguren gilt. Wer- der Bevölkerungsmehrheit der Ui- den Uigurinnen als Arbeitskräfte gurinnen und Uiguren geprägt – in andere chinesische Provinzen ein „Pulverfass“, das China für den vermittelt, leben sie in staatlichen Erfolg der „Neuen Seidenstraße“ ‚Wohnheimen‘ auf dem Firmenge- unbedingt ruhig halten will. Dafür lände oder in der Nähe der Firmen nimmt China auch massive Men- unter permanenter Überwachung. schenrechtsverletzungen in Kauf. Zur Umerziehung gehören das ihre Wertschöpfungsketten verlan- Verbot der Religionsausübung, gen. Sie sollten nachfragen, welche Eine neue Phase der Unterdrü- des Kontaktes zu ihren Familien Maßnahmen die Unternehmen ge- ckung von Uigurinnen und Uiguren oder zu Freunden. Das internati- gen Zwangsarbeit unternommen Laut Chinas Statistischem Jahr- onale Bündnis zur Abschaffung haben. Die Unterdrückung der buch lebten im Jahr 2018 knapp 25 der Zwangsarbeit von Uigurinnen Uigurinnen und Uiguren in China Millionen Menschen in Xinjiang. und Uiguren, dem sich mittlerwei- darf nicht durch Aufträge aus Euro- Die größte Bevölkerungsgruppe le rund 300 zivilgesellschaftliche pa finanziert werden. bildet die türkisch-muslimische Organisationen aus 35 Ländern, Gruppe der Uiguren – mit rund elf Millionen Menschen. Sie steht im darunter das SÜDWIND-Institut, angeschlossen haben, schätzt das Sabine Ferenschild Wissenschaftliche Mitarbeiterin 19 Fokus der zunehmenden Unter- System so umfassend ein, dass am SÜDWIND-Institut drückung durch den chinesischen Zwangsarbeit mit großer Wahr- Zentralstaat. Eine stetig wachsende scheinlichkeit jede Branche in Xin- Kontrolle der Uigurinnen und Ui- jiang betrifft und jedes Produkt, guren und systematische Repres- das dort hergestellt wird. Lektüre sionen werden seit etlichen Jahren In Xinjiang wird mehr als 80 Pro- SÜDWIND-Fact Sheet: Zwangs- ergänzt durch ein System von Um- zent der chinesischen Baumwolle arbeit in Xinjiang. Europäische erziehungslagern. In diesen wer- angebaut, also rund 20 Prozent Unternehmen profitieren von den nach neueren Schätzungen der Weltproduktion. Zudem wur- der Unterdrückung der Uigu- eine bis 1,8 Millionen Uiguren je- den dort massiv Spinnereien und rinnen und Uiguren weils über Monate und Jahre fest- weitere textile Verarbeitungsstufen gehalten und ‚umerzogen‘. ausgebaut. Es ist also sehr wahr- SÜDWIND-Blog: Zwangsarbeit Anfang 2020 wies eine australische scheinlich, dass Zwangsarbeit in in Xinjiang stoppen! Studie nach, dass Uigurinnen und Xinjiang Teil der Lieferketten euro- Uiguren seit einigen Jahren nicht päischer Textilunternehmen ist. SÜDWIND-Studie: Fast Fashion nur „umerzogen“ werden, son- auf der Seidenstraße. Von „Made dern auch Zwangsarbeit für inter- Deshalb … in China“ zu „Managed by Chi- nationale Wertschöpfungsketten Unternehmen, die ihre Ware in na“ (erscheint April 2021) leisten müssen. Damit ist eine Deutschland verkaufen, müssen neue Phase erreicht. Internationale sicherstellen, dass keine Produkte SÜDWIND-Fact Sheet: Pulver- Unternehmen profitieren von der aus Zwangsarbeit in ihrem Ange- fass Xinjiang. Ruhe und Stabi- Ausbeutung der internierten Men- bot sind. Verbraucherinnen und lität für die Neue Seidenstraße schen. Zusätzlich wurden in den Verbraucher sollten von den Unter- (erscheint April 2021) letzten Jahren mindestens 80.000 nehmen mehr Transparenz über
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