InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster

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InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
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                                                                                            APRIL 2021

der Arbeitsgemeinschaft Eine-Welt-Gruppen im Bistum Münster und in der Evangelischen Kirche von Westfalen

ARBEITSBEDINGUNGEN WELTWEIT

  KAKAO BIS MÜLLHALDE                 SÜSS STATT BITTER                   TEXTILINDUSTRIE
  Ausbeuterische Kinderarbeit         Orangen ohne Sklaverei und Gift     Menschenwürdige Arbeit
InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
AUS DEM INHALT

KINDERARBEIT     Fakten
                 Kinderarbeit weltweit bekämpfen	                                   4
                 Es geht nur ums Überleben, so oder so!
                 Kinderarbeit in Indien                                              5
                 Freiwilligendienst in Paraguay
                 Begegnungen mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen               6
                 „Dann kann Gogo für uns kochen.“
                 Ein Gesicht von Kinderarbeit aus Simbabwe                          8
                 Dein Plastik ist mein Reis
                 Am „schmutzigsten Ort der Welt“ türmt sich weltweiter Müll         9
                 Kinderarbeit in Kongo
                 Die Handy-Aktion NRW und das Bildungsangebot von la tienda        10
                 Zerstörte Kinderseelen
                 Kinderprostitution12
                 Lieferkettengesetz soll Menschenrechte fördern
                 Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika                     13

FAIRER HANDEL    Süß statt bitter
                 Orangen ohne Sklaverei und ohne Gift                              14
                 Faire Orangen aus Kalabrien so weit das Auge reicht
                 Beispielhafte Aktivitäten aus Recklinghausen, Lippstadt und Rheine 15
                 Buchtipp
                 Gilles Reckinger: Bittere Orangen –
                 Ein neues Gesicht der Sklaverei in Europa                         17

MENSCHENRECHTE   Globalisierung einer menschenwürdigen Arbeit
                 KAB und KönzgenHaus verstärken Bündnisarbeit                      18
                 Zwangsarbeit in Xinjiang stoppen!
                 China duldet massive Menschenrechtsverletzungen                   19

                 Die Schwächsten zahlen die Corona-Zeche
                 Unzählige Textilarbeiterinnen stehen vor dem Nichts 20
                 Sensibilisierung am Beispiel der globalen Bekleidungsindustrie
                 Modernisierung der Bildungsmaterialien „TrikotTausch"             22

TIPPS & TRENDS   Filmtipps                                                          24
                 EU-Lieferkettengesetz verdient öffentliche Aufmerksamkeit          26
                 Fortbildung für Ehrenamtliche in der Eine-Welt-Arbeit		            27
                 MISEREOR und Brot für die Welt setzen ein Zeichen für Ökumene      28
                 AKTION Würde und Gerechtigkeit e.V. erhält Preis                   29
                 Ökumenischer Kirchentag lädt zu einem digitalen Programm ein       30
                 Einladung zum Pilgerweg für Klimagerechtigkeit                     31
InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
VORWORT

Liebe Engagierte in der AG Eine-Welt-Gruppen,
trotz und besonders wegen Corona geht der Einsatz für eine gerechtere Welt weiter.
Dies zeigt der INFODIENST, der in dieser Ausgabe einen inhaltlichen Fokus auf men-
schenwürdige Arbeit und das große Problem der Kinderarbeit setzt. Wir haben diesen
Schwerpunkt gewählt, weil die Corona-Pandemie und die damit verbundene wirtschaft-
liche Krise die Situation für viele Millionen Menschen verschlechtern und Kinderarbeit
zunehmen wird. Zudem hat die UNO das Jahr 2021 zum „Internationalen Jahr der
Abschaffung der Kinderarbeit“ ausgerufen. Auch die Faire Woche im September setzt
einen Schwerpunkt auf das UN-Ziel „Menschenwürdige Arbeit“. Dieses Jahr soll einen
Anstoß geben, um das UN-Entwicklungsziel zu erreichen, die Kinderarbeit weltweit bis
2025 komplett abzuschaffen (SDG 8.7).

Dies ist ein hoher Anspruch angesichts der sich verschlimmernden Situation. Corona
stürzt viele Familien in Armut; Einkommensmöglichkeiten oder Arbeitsplätze gehen
verloren, beispielsweise im Tourismus oder in der Textilindustrie. Immer mehr Kinder
sind dadurch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen – bei sehr schlech-
ter Bezahlung und unter unwürdigen Bedingungen. Kinder sind billiger als die Eltern
und dies wird ausgenutzt. So rechnet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) damit,
dass bis zu 300.000 Kinder in Lateinamerika und der Karibik durch die Coronavi-
rus-Pandemie in Kinderarbeit abrutschen könnten. Die wirtschaftlichen Auswirkungen
der Gesundheitskrise könnten die Regionen in dieser Hinsicht um ein Jahrzehnt zu-
rückwerfen, nach 25 Jahren des Fortschritts im Kampf gegen Kinderarbeit.

Angesichts dieser Situation sind wir aufgefordert, unser Engagement weiter zu verstär-
ken gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, unter denen Millionen Kinder,
Näherinnen in Textilfabriken, Wanderarbeiter auf Orangen- und Tomatenplantagen in
Südeuropa, aber auch Arbeiterinnen und Arbeiter in den Schlachthöfen hier bei uns
leiden.

Neben dem Einsatz für gerechtere Arbeitsbedingungen bleibt auch das Engagement für
ein starkes Lieferkettengesetz in Deutschland und der EU sowie öko-fairer Einkauf und
Beschaffung ein unverzichtbarer Bestandteil der Eine-Welt-Arbeit. Es macht Hoffnung,
dass dort in den letzten Monaten einiges in Bewegung gekommen ist. Auch hiervon
können Sie in dieser INFODIENST-Ausgabe lesen!

Persönlich freue ich mich, dass mit Judith Wüllhorst, der neuen Leiterin der Fachstelle
Weltkirche im Bischöflichen Generalvikariat Münster, die Zusammenarbeit der letz-
ten Jahre so wunderbar fortgeführt werden kann. Gemeinsam werden wir den INFO-
DIENST künftig zu unterschiedlichen thematischen Schwerpunkten gestalten und
hoffen, dass dies gute Resonanz bei Ihnen als Leserinnen und Leser findet.

Eine anregende Lektüre und Kraft und Zuversicht in diesen
Zeiten wünscht

Katja Breyer
InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
KINDERARBEIT

    Fakten
    Kinderarbeit welt-
    weit bekämpfen
    Ob in den Goldminen Burkina
    Fasos, beim Kakaoanbau in Côte
    d’Ivoire, auf Fischerbooten im
    Senegal, in den Textilfabriken
    Bangladeschs oder als Soldatinnen
    und Soldaten in Krisengebieten,       rung und niedrige Weltmarktpreise     schützen und Kinderrechte umzu-
    mehr als 152 Millionen Kinder         für Rohstoffe und Agrarprodukte       setzen. Doch das reicht leider nicht
    sind heute gezwungen zu arbeiten.     spielen eine Rolle. Deswegen ist      aus. Kinderarbeit kann nur aus-
    Dabei geht es um Kinder, die zwi-     ein ganzheitlicher Ansatz notwen-     gerottet werden, wenn die struktu-
    schen fünf und 17 Jahren alt sind     dig, um Kinderarbeit zu bekämp-       rellen Ursachen von Kinderarbeit
    und die bis zur völligen Erschöp-     fen.                                  angegangen werden. Natürlich
    fung arbeiten müssen, anstatt zur                                           dürfen sich Kinder in einem rei-
    Schule zu gehen, weil ihre Eltern     Instrumente zur Bekämpfung von        chen Land wie Deutschland über
    und Familienangehörigen in extre-     Kinderarbeit                          eine Tafel Schokolade oder ein
     mer Armut leben und nicht in der     Die Internationale Arbeitsorga-       schickes T-Shirt freuen. Aber die-
     Lage sind, sie zu ernähren. Die      nisation (ILO) hat zwei Konventi-     se Freude soll nicht auf Kosten
4    Befürchtung ist groß, dass auf-
     grund der wirtschaftlichen Folgen
                                          onen zum Schutz der Kinder ver-
                                          abschiedet: Die Konvention 138, die
                                                                                des Leidens von Kindern in Côte
                                                                                d’Ivoire oder Bangladesch entste-
     der Covid-19-Pandemie wieder         das Mindestalter in der Beschäf-      hen. Das Institut SÜDWIND will
     mehr Kinder gezwungen werden         tigung festlegt, und die Konventi-    deswegen die strukturellen Ursa-
    zu arbeiten.                          on 182, die das Verbot und Besei-     chen für Kinderarbeit bekämpfen.
                                          tigung der „schlimmsten Formen        Dies sind beispielsweise zu nied-
    Hart arbeitende Kinder sind vor       der Kinderarbeit“ festlegt. Zu den    rige Weltmarktpreise für Rohstoffe
    allem Kinder von Bauernfamilien       „schlimmsten Formen der Kinder-       und landwirtschaftliche Produkte,
    – nicht nur in armen Ländern,         arbeit“ zählen die Vereinten Natio-   fehlende Marktzugänge, unge-
    sondern auch in Mitteleinkom-         nen Sklaverei und sklavenähnliche     rechte Handelspolitik. Der Schwer-
    mensländern. Sieben von zehn          Abhängigkeiten,       Zwangsarbeit    punkt liegt dabei auf der Aufwer-
    arbeitenden Kindern sind in der       einschließlich des Einsatzes von      tung von Wertschöpfungsketten
    Landwirtschaft beschäftigt. In Län-   Kindersoldaten, Kinderprostitution    in den Ländern, die einen hohen
    dern mit bewaffneten Konflikten       und Kinderpornographie, kriminel-     Anteil an arbeitenden Kindern in
    und Naturkatastrophen ist Kin-        le Tätigkeiten wie den Missbrauch     Exportsektoren wie Kakaoanbau
    derarbeit stärker ausgeprägt als in   von Kindern als Drogenkuriere so-     oder Textilien haben. Das bedeu-
    anderen Ländern. Mehr als 70 Pro-     wie andere Formen der Arbeit, die     tet, dass höhere Preise und Löhne
    zent der arbeitenden Kinder leben     die Sicherheit und Gesundheit der     gezahlt werden müssen, aber auch
    in Afrika. Ein Drittel der Kinder,    Kinder gefährden können.              mehr Wertschöpfungsstufen in
    die arbeiten müssen, haben keinen                                           den Ländern verbleiben. Das ist
    Zugang zum Bildungssystem.            Was kann getan werden?                eine unverzichtbare Bedingung,
                                          Auch zivilgesellschaftliche Organi-   damit Familien in armen Ländern
    Die Hauptursache für Kinderarbeit     sationen können einen wichtigen       von ihrer Arbeit in Würde leben
    ist Armut. Es wäre allerdings ein     Beitrag leisten, um Kinderarbeit zu   und ihre Kinder in die Schule ge-
    Fehler, das Problem allein auf das    bekämpfen. In der Agenda 2030         hen können.
    unzureichende Einkommen von           wurde die Abschaffung von Kinder-
    Familien zu reduzieren. Auch kul-     arbeit bis zum Jahr 2030 als Ziel                    Dr. Pedro Morazán
    turelle Faktoren, schwache Regie-     formuliert. Viele Organisationen      Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
    rungsinstitutionen, Umweltzerstö-     sammeln Spenden, um Kinder zu                       SÜDWIND-Institut
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KINDERARBEIT

Es geht nur ums Überleben, so oder so!
Kinderarbeit in Indien
Trotz des Wirtschaftsbooms in           einfach. Die Eltern wollten, dass
den letzten 25 Jahren lebt fast         ihre Kinder lieber arbeiten gehen
ein Drittel aller Inder unter der       und etwas verdienen, damit den
Armutsgrenze. Auch die raschen          Familien geholfen würde. Aber
Entwicklungen, beispielsweise           nach und nach gelang es uns
im IT- oder Automobil-Bereich,          jedoch, ein paar Familien davon zu
haben nicht zur Beseitigung dieser      überzeugen, ihre Kleinen zu uns
Armut beigetragen. Kinderarbeit         zu schicken, und so begann unser
ist eine direkte Folge davon.           Projekt ”Little Scholars School”.
                                        Maniram im Bild ist 16 Jahre alt.
Zwar herrscht in Indien Schul-          Seine Eltern haben ihn vor vier
pflicht, aber Menschen aus den          Jahren aus der staatlichen Schule
Slums oder ländlichen Gebieten          genommen und auf die Straße
sehen häufig keine andere Mög-          geschickt, um Tee an vorbeifahren-
lichkeit, als ihre Kinder aus den       de Autofahrer und Passanten zu
Schulen zu nehmen und arbeiten          verkaufen. Wir fragten ihn, warum
zu lassen, um die Familie zu er-        er nicht mehr zur Schule gehe. Er
nähren. Oft aus existentieller Not      sagte, dass er seine Eltern und vier   hätten, damit die Kinder zu
werden Kinder von ihren Eltern
sogar an Kinderhändler verkauft,
                                        Geschwister unterstützen wolle.
                                        Der Vater sei Tageslohnarbeiter
                                                                               uns in die Schule kommen und
                                                                               nicht arbeiten gehen müssen.
                                                                                                                    5
die die Kinder für einen sehr           und verdiene wenig. Für seine          Bei uns bekommen sie ihre
geringen oder gar keinen Lohn           Zukunft habe er keine Pläne oder       Uniformen, Schuhe, Bücher,
arbeiten lassen.                        Ideen. Es ginge nur ums Überle-        Arbeitsmaterialien und sogar ein
                                        ben, so oder so!                       gesundes Mittagessen. Später
Kinder sind unter anderem in                                                   kümmern wir uns um ihre weitere
Glas- und Streichholzschachtelfa-       Ein paar andere Kinder, die bei        schulische Bildung und ihr Wohl-
briken, in Schlossereien, in der        uns waren, arbeiten heutzutage         ergehen. Wir besuchen die Eltern
Teppich- und Tabakindustrie, im         in Ziegeleien und sogar bei der        in den Slums und bleiben in regel-
Bergbau und Steinbruch, in Zie-         Müllsammlung! Es gibt Tausende,        mäßigem Kontakt mit ihnen.
gelöfen und Teegärten tätig. Die        ja sogar Millionen solcher Fälle
Arbeit ist oft geschlechtsspezifisch,   in Indien. Klar, Armut ist die         In der Politik muss viel mehr
wobei Mädchen mehr Hausarbeit           Hauptursache für Kinderarbeit,         getan werden, um ausbeuterische
und Heimarbeit leisten, während         aber Sucht, Krankheit oder Be-         Kinderarbeit in Indien zu stoppen:
Jungen häufiger in Lohnarbeit           hinderung in der Familie und ein       Die Gesetze gegen Kinderarbeit
beschäftigt sind. Im Allgemeinen        Mangel an Bildungsressourcen           müssen weiter verschärft und
nehmen die Arbeitsbelastung und         sind auch Faktoren.                    strenger durchgesetzt werden.
die Dauer der Arbeitszeit mit zu-                                              Darüber hinaus ist es wichtig, die
nehmendem Alter der Kinder zu.          Was kann man dagegen tun? Wir          extreme Armut zu bekämpfen.
                                        fühlen uns ziemlich hilflos ange-      Die Bekämpfung von Armut und
Vor 18 Jahren habe ich ein kleines      sichts dieser anscheinend großen       Ungleichheit ist entscheidend für
Projekt gestartet in Dehradun,          unüberwindbaren Problematik!           die Beendigung der Kinderarbeit
Nordindien, um Arbeiter, die in         Aber nach dem Motto „Eine kleine       in Indien.
Slums unweit meines Hauses              Menge reicht weit!“ versuchen
lebten, dazu zu bringen, ihre           wir mit einigen Familien aus den                        Romesh Modayil
kleinen Kinder bei uns zu las-          Slums zusammen zu arbeiten.                              Regionalpfarrer
sen, während sie ihre tägliche          Einigen Familien geben wir den           Amt für Mission, Ökumene und
Arbeit verrichteten. Es war nicht       Betrag, den die Kinder verdient            kirchliche Weltverantwortung
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KINDERARBEIT

    Freiwilligendienst in Paraguay

    Begegnungen mit arbeitenden Kindern
    und Jugendlichen
    Im Rahmen unseres entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes, den
    wir von August 2019 bis März 2020 in den Einrichtungen der Callescue-
    la in Asunciòn und Ciudad del Este in Paraguay absolviert haben, sind
    wir dem Thema „Kinderarbeit“ auf unterschiedliche Art und Weise be-
    gegnet, haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, manche stereoty-
    pe Vorstellungen kritisch hinterfragt und neue Erkenntnisse gewonnen.
    Während des Dienstes hatten wir die Möglichkeit, die Lebensrealitäten
    arbeitender Kinder und Jugendlicher in Ciudad del Este und Asunciòn
    kennenzulernen und möchten diese Erfahrungen aus unserer europä-
    isch-privilegierten Perspektive teilen.

    Für uns passt der Begriff „Kinderarbeit“, der eher negativ besetzt ist,
    nicht für die Tätigkeiten der arbeitenden Kinder und Jugendlichen, mit
    denen wir in Kontakt standen. Deswegen wollen wir gerne in diesem
    Bericht von der Arbeit der NATs sprechen (Niño/as Adolescentes Traba-
    jadores; deutsch: arbeitende Kinder und Jugendliche).

    Callescuela bedeutet übersetzt „Straßenschule“ und ist eine Nichtregie-
    rungsorganisation, die mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen und
    ihren Familien in verschiedenen „comunidades“ (deutsch: Gemeinden)
    arbeitet. Zu ihrer Arbeit gehört die Unterstützung bei der Grundversor-
6   gung der NATs und deren Familien sowie Nachhilfe-Angebote, Kinder-
    betreuung, Frühförderung, Freizeitmaßnahmen, Aufklärung, Familien-
    beratung, bürokratische Unterstützung der Familien bei verschiedenen
    Ämtern, Vermittlung beziehungsweise Konfliktlösung zwischen den
    Bewohnern der „comunidades“ und der Stadtverwaltung. Dabei liegt ihr
    Fokus auf der schulischen Förderung und Unterstützung bei den Ein-
    schreibungen der Kinder an den öffentlichen Schulen. Darüber hinaus
    begleitet die Callescuela eine Organisation, gegründet von arbeitenden
    Kindern und Jugendlichen (NATs, s) für arbeitende Kinder und Jugend-
    liche. Diese nennt sich CONNAT’s (Coordinación Nacional de los Niñas
    y Niños Adolescentes Trabajadores, deutsch: nationale Koordination von
    arbeitenden Kindern und Jugendlichen). Die Mitarbeiterinnen und Mit-
    arbeiter der Callescuela unterstützen die CONNAT’s darin, sich selbst zu
    mobilisieren und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen.

    Das zentrale Ziel der CONNAT’s ist dabei nicht die Beendigung der Tä-
    tigkeiten der NATs, sondern die Bewahrung und Einhaltung ihrer Rechte
    beziehungsweise die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen. So lautet
    zum Beispiel eine Parole bei ihren Demonstrationen: „SÍ AL TRABAJO
    DIGNO“ (deutsch: Ja zur würdevollen Arbeit).

    Die Arbeitsplätze der NATs sind sehr vielfältig. Zum einen gibt es viele,
    die ihren Familien im Haushalt unter die Arme greifen und beispielswei-
    se auf ihre jüngeren Geschwister aufpassen, kochen und putzen, wäh-
    rend ihre Eltern arbeiten. Zum anderen arbeiten sie auf dem Markt oder
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KINDERARBEIT

an Straßenständen, wo sie verschiedene Lebensmittel verkaufen. Weitere
Kinder und Jugendliche verdienen sich etwas dazu als Schuhputzerinnen
und Schuhputzer am Busbahnhof oder als Friseurinnen und Friseure.

Die CONNAT’s leistet viel Öffentlichkeitsarbeit, um die Gesellschaft für
zentrale Themen zu sensibilisieren. Des Weiteren kooperieren und soli-
darisieren sie sich mit anderen sozialen Bewegungen, wie zum Beispiel
der Frauenbewegung, Indigenen Bewegungen und Umweltschutz.

Einer der Hauptbeweggründe der NATs fürs Arbeiten ist, dass die Kinder
und Jugendlichen ihre Familie einerseits finanziell unterstützen wollen,
aber dies andererseits auch schlichtweg müssen, da die Eltern der Fami-
lie nicht in der Lage sind, die Existenzgrundlage ausreichend zu sichern.
Aufgrund häufig fehlender Kinderbetreuungsmöglichkeiten wachsen
einige NATs im sehr jungen Alter in die Arbeitswelt hinein, da sie von
ihren Eltern mit zur Arbeit genommen werden müssen.

Während unseres Freiwilligendienstes haben wir einige Lebensverhält-
nisse der NATs näher kennenlernen dürfen und sind uns im Klaren darü-
ber, dass wir nur einen Bruchteil der Komplexität begreifen konnten und
hier nur aus unserer rein subjektiven Sicht berichten können. Besonders
hat uns überrascht, dass die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir zu
tun gehabt haben, so gut wie alle halbtags zur Schule gehen und nicht
                                                                              7
ganztags arbeiten. Sofern sie nicht in der Schule sind oder arbeiten, neh-
men sie die Angebote der Callescuela in Anspruch. Zudem ist uns ein ho-
her Grad an Disziplin und Verantwortungsbewusstsein der Kinder und
Jugendlichen aufgefallen, weswegen sie in bestimmten Situationen für
ihr Alter viel „erwachsener“ wirkten als Gleichaltrige, die nicht arbeiten
müssen. Am eindrucksvollsten war für uns die Haltung einiger NATs
bezüglich ihrer Arbeitsstellen. Sie erzählten uns voller Stolz, was sie an
dem Tag gemacht haben und gingen recht offen mit den Umständen
ihrer Arbeit um.

Uns sind Einzelfälle begegnet, die zum Teil unseren anfänglichen Er-
wartungen von erschöpften Kindern nahe kamen, welche uns sehr zum
Nachdenken angeregt und uns noch stärker unsere eigenen Privilegien
vor Augen geführt haben. Jedoch hat uns der Großteil der Lebensreali-
täten der NATs eine neue Seite von arbeitenden Kindern und Jugend-
lichen gezeigt. In der Hinsicht hat uns die Zeit in Paraguay mit der Calle-
scuela und den NATs sehr geprägt.

                                           Lina Serras und Merle Wagner
                      Freiwillige der Evangelischen Kirche von Westfalen
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KINDERARBEIT

    „Dann kann Gogo für uns kochen.“
    Ein Gesicht von Kinderarbeit
    aus Simbabwe
    Die Großmutter, liebevoll mit dem Shona-Wort „Gogo“ von ihren vier En-
    keln genannt, sitzt in ihrem Rundhaus vor dem Regal mit ihrem Geschirr.
    Auf den mit Sorghum gefüllten Säcken sitzen ihr Mann und ihr Enkel
    Daniel.

    Daniel ist 13 Jahre alt. Er lebt im Dorf Burure, Gokwe Nord in Simbabwe.
    Die lutherische Kirche hat hier in den 1980er Jahren eine Dorfansiedlung
    begleitet. Die Martin-Luther-Sekundarschule, die Daniel besucht, gehört zu
    dem Schulbildungsangebot der lutherischen Kirche. Ich hatte die Schullei-
    terin Eve Mzenda und Victor Maramwidze gebeten, mit mir das Zuhause
    eines Schülers der Martin-Luther-Sekundarschule zu besuchen.

    Als Daniel und seine Großeltern beginnen, über ihr Leben und ihren All-
    tag zu erzählen, fange ich an mein stereotypes und romantisches Bild ei-
    ner afrikanischen Großfamilie zu hinterfragen. „Ich stehe spätestens um
    4 Uhr auf, wenn die Felder bestellt werden müssen. Ich versorge die Tiere
    und versuche dann oft auch noch zu pflügen. Holz und Wasser müssen
    meine jüngeren Geschwister am Nachmittag besorgen. Dann kann Gogo
    morgens für uns etwas kochen. Sie sieht nicht mehr viel. Aber kochen
    kann sie noch.“

8   Der Großvater nickt. Seit einiger Zeit geht es ihm so schlecht, dass er die
    schwere Arbeit auf den kleinen Feldern nicht mehr leisten kann. „Und wo
    sind Daniels Eltern?“ Der Großvater zuckt die Schultern. „Der Vater ist vor
    drei Jahren nach Südafrika gegangen. Danach haben wir nichts mehr von
    ihm gehört. Daniels Mutter hat Glück und arbeitet bei Kadoma Textiles.
    Aber sie verdient nicht viel Geld und darum kann sie auch nicht viel schi-
    cken. Ohne Daniels Arbeit auf den Feldern hätten wir nicht genug.“

    Sobald die Schule zu Ende ist, arbeitet Daniel wieder auf den Feldern. Zeit,
    die Hausarbeiten zu erledigen und zu lernen, bleibt ihm kaum. Pflügen,
    pflanzen, jäten, ernten. Die Regenzeit war gut gewesen. Stolz klettert Da-
    niel auf den offenen Speicher, in dem der Mais gelagert wird. Die Ernte
    war ertragreich. „Ich konnte sogar etwas verkaufen, sodass ich in diesem
    Jahr meine Schulgebühren bezahlen konnte und die Schule nicht verlas-
    sen musste. Und es ist genug übrig, damit Gogo für uns kochen kann.“
    Statistiken über die Einkommens- und Lebensverhältnisse der 320 Schüle-
    rinnen und Schüler in Burure gibt es nicht. Die Schulleiterin Eve Mzenda
    schätzt, dass etwa 25 bis 30 Schülerinnen und Schüler der Martin-Luther-Se-
    kundarschule unter ähnlichen Bedingungen wie Daniel leben.

                                                             Kerstin Hemker
                  Stellvertretende Vorsitzende des Partnerschaftskomitees des
               Evangelischen Kirchenkreises Steinfurt-Coesfeld-Borken mit der
                Ost-Diözese der Evangelisch Lutherischen Kirche in Simbabwe
InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
KINDERARBEIT

Dein Plastik ist mein Reis
Am „schmutzigsten Ort der Welt“ türmt
sich weltweiter Müll
Fast jedes zehnte Kind weltweit ist von Kinderarbeit betroffen. Eines von
ihnen ist Charles: Auf den Philippinen arbeitet er zu sklavenartigen Be-
dingungen, um zu überleben.

Jeden Tag springt Charles in das verschmutzte Hafenbecken von Manila.
Jeden Tag sucht er in dem bakterienverseuchten Wasser nach altem Pla-
stik. Und jeden einzelnen Tag geht es für den Jungen in dem Elendsviertel
Tondo ums blanke Überleben. „Happyland“ wird der Slum in der phi-
lippinischen Hauptstadt genannt. Zynisch, denn glücklich ist im größten
Elendsviertel der Stadt niemand.

„Wir müssen das machen, sonst haben wir Zuhause nicht genug zu es-
sen“, sagt Charles. Wenn er zwischen dem Müll genügend Plastik findet,
verkauft er es für umgerechnet wenige Cents weiter. War seine Ausbeute
gut, kann er am Abend für sich und seine Familie eine Portion Reis kaufen.
Wenn nicht, dann müssen sie hungern. Charles wohnt mit seiner Fami-
lie in einer der winzigen Wellblechhütten, die direkt über dem Wasser im
Hafen Manilas gebaut wurden. Unter ihnen schwimmt ein Gebräu aus
giftigen Abfällen und Exkrementen – ein Abwassersystem gibt es nicht.
Etwa 2.000 Familien müssen unter diesen menschenunwürdigen Bedin-
gungen in der Müllhalde Manilas leben. Statt zur Schule zu gehen oder mit      Auch missio Aachen setzt in die-
anderen zu spielen, arbeiten Charles und viele weitere Kinder als moder-
ne Sklaven: Kinderarbeit wegen einer Portion Reis, inmitten von giftigen
                                                                               sem Jahr ein Zeichen gegen Aus-
                                                                               beutung an Kindern und moder-
                                                                                                                     9
Abfällen. Abfälle, die aus Europa – auch aus Deutschland – stammen. Am         ne Sklaverei. So eröffnet im Juni
„schmutzigsten Ort der Welt“ türmt sich sein weltweiter Müll.                  die Aktion Schutzengel die Kam-
                                                                               pagne „Eine Welt. Keine Sklaverei.“
Wir alle können etwas dafür tun, das Leben der Kinder in Manila zu verbes-     mit einer internationalen Fachkon-
sern. Verbrauchen wir in Deutschland weniger Plastikmüll, verschmutzen         ferenz mit Entwicklungsminister
wir die Meere weniger. Und auch Charles muss nicht mehr im verseuchten         Dr. Gerd Müller. Neben Kinderar-
Hafenbecken aufwachsen. Um die Situation vor Ort zusätzlich zu verbes-         beit stellt die Kampagne der Aktion
sern, engagiert sich Benediktinerin Schwester Mary John Mananzan für           Schutzengel weitere Formen von
die Müllkinder von Manila: So konnte die Ordensfrau mithilfe des katho-        moderner Sklaverei in den Mittel-
lischen Hilfswerks missio Aachen Ende 2020 das Kinderzentrum Shelter           punkt, wie der Ausbeutung philip-
of Joy eröffnen. Auch Charles hat dort endlich die Chance auf ein besseres     pinischer Migrantenarbeiterinnen
Leben: „Wir finden es toll hier und kommen, so oft es geht. Arbeiten müs-      und -arbeiter von ihren Arbeitge-
sen wir jetzt nicht mehr.“                                                     bern im Ausland, Menschenhandel
                                                                               oder Zwangsprostitution. Mit poli-
Doch noch immer wird unsere Hilfe gebraucht, denn weltweit teilen viele        tischer Arbeit, Bildungsangeboten
Kinder das Schicksal von Charles: Aktuell sind laut der Internationalen Ar-    und       Beteiligungsmöglichkeiten
beitsorganisation (ILO) 152 Millionen Jungen und Mädchen von Kinderarbeit      können wir alle dafür sorgen, mo-
betroffen. Durch die Corona-Pandemie hat sich die Lage noch verschlechtert.    derne Sklaverei – nicht nur auf den
Die Schulen mussten schließen, gleichzeitig verloren viele Eltern wegen Aus-   Philippinen, sondern weltweit – zu
gangsbeschränkungen ihre Jobs. Nun müssen die Kinder selbst mithelfen,         beenden.
die Familien zu ernähren. Viele Kinder und Familien benötigen unsere Un-       www.missio-hilft.de/schutzengel
terstützung demnach dringender denn je. Daher hat die UN das Jahr 2021
zum Internationalen Jahr zur Abschaffung von Kinderarbeit ausgerufen.
InfodienstAPRIL 2021 - Bistum Münster
KINDERARBEIT

     Kinderarbeit in Kongo
     Die Handy-Aktion NRW und das Bildungsangebot
     von la tienda
     Seit einigen Jahren versucht die Handy-Aktion     ten, viele von ihnen in der Kobaltgewinnung.
     NRW durch das Sammeln von alten Handys            Es ist nicht ungewöhnlich, Kinder in einem
     das fachgerechte Recycling zu gewährleisten.      Alter von fünf bis acht Jahren bei der Arbeit
     Insbesondere sollen die Rechte von Kindern        anzutreffen. Sie graben den Boden um, bre-
     geschützt und gefördert werden, die in der De-    chen Steine, sortieren, waschen oder transpor-
10   mokratischen Republik Kongo im Abbau von
     Rohstoffen arbeiten, die für Handys unerläss-
                                                       tieren die Mineralien. Sie haben keine Chance
                                                       auf Bildung, sondern sie sind Opfer der Aus-
     lich sind. Jedes Handy enthält 60 Rohstoffe,      beutung. Da sie dünn und klein sind, können
     darunter 30 Metalle. Aus Kongo kommen Ko-         sie in die engen und tiefen Stollen bis zu 30
     balt für die Akkus (mehr als 60 Prozent der       Meter tief gehen. Erwachsene beuten sie we-
     Weltproduktion) und Coltan für die Konden-        gen ihrer Verletzlichkeit und Unwissenheit
     satoren (etwa 80 Prozent der Weltreserve).        aus. Diese Arbeiten sind für Kinder extrem ge-
                                                       fährlich. Erdrutsche führen zu tödlichen Ver-
     Diese Erze befinden sich im östlichen Teil des    letzungen. Gegen die Unternehmen Apple,
     Kongos auf einer Fläche von etwa 1.500 km         Tesla, Google, Dell und Microsoft wird derzeit
     von Norden nach Süden. Ursprünglich war           in Washington ein Prozess geführt. Eine inter-
     ihr Abbau industriell geprägt. Er ist seit Ende   nationale Anwaltsvereinigung setzt sich für 14
     der 1980er Jahre industriell und handwerk-        kongolesische Familien ein, deren Kinder in
     lich. Im Vergleich zu Kobalt, das nur zu 20       den Kobaltminen starben, behindert, verletzt
     Prozent handwerklich gewonnen wird, wird          oder ausgebeutet wurden.
     Coltan hauptsächlich handwerklich abgebaut.       Kinder arbeiten zu lassen, als wären sie Er-
     Männer, Frauen und Kinder arbeiten in den         wachsene, ist ein eklatanter Verstoß gegen die
     Minen, um die Rohstoffe unter unmensch-           Kinderrechtskonvention. Hinzu kommt, dass
     lichen, gesundheitsgefährdenden Bedin-            Mädchen sexueller Gewalt ausgesetzt sind und
     gungen und zu niedrigen Löhnen zu fördern.        Kinder als Kindersoldaten eingesetzt werden,
     Aktuelle und verlässliche Statistiken sind        um die Bodenschätze zu sichern, mit denen
     schwer zu erhalten, vor allem im Nordosten,       die Rebellenführer ihre Geschäfte finanzieren.
     wo es viele bewaffnete Gruppen gibt. UNICEF       Der Hightech-Boom seit Ende 1990 hat zu
     schätzte 2014, dass rund 40.000 Mädchen           einem enormen Bedarf an strategischen Roh-
     und Jungen in den Minen im Südkongo arbei-        stoffen geführt, die im Ostkongo zu finden
KINDERARBEIT

sind. Seitdem gibt es immer wieder Kriege und bewaffnete Konflikte, in
die auch die Nachbarländer Burundi, Ruanda und Uganda involviert sind.
Ein Bewusstsein für diese problematische Verstrickung unserer Handys
versucht neben dem katholischen Hilfswerk missio auch das Bildungspro-
jekt „Von der Produktion bis zur Elektroschrottdeponie – Dein Smartphone
heute und morgen“ des münsterschen Weltladens la tienda zu schaffen.
Ziel des Projektes ist es, das öffentliche Bewusstsein für Ungerechtigkeiten
im Welthandelssystem im Sinne der Ziele für nachhaltige Entwicklung
der Vereinten Nationen (SDGs) zu wecken. In Kooperation mit dem Insti-
tut für Didaktik der Geographie der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster wurden Workshops für Schulklassen der Jahrgangsstufen 8 bis 12
erarbeitet und erprobt. Am Beispiel des Smartphones werden Problema-
tiken, wie der Rohstoffabbau in Kongo im Zusammenhang mit der Wert-
schöpfungskette näher veranschaulicht. Es sind insgesamt vier verschie-
dene Workshopkonzepte entstanden – zur globalen Wertschöpfungskette
des Smartphones, zum Kupferabbau in Chile und zum Rohstoffabbau in
Kongo.
Auch die Handy-Aktion NRW ist ein wichtiger Schritt für den Schutz von
Menschenrechten und unserer Umwelt. Ihre Wirkung findet auf vier Ebe-
nen statt.

1. Beteiligung von Telekom und Teqcyle am fachgerechten Recycling von
   Althandys. Die Telekom kümmert sich um die Überprüfung des Zu-
   stands, die Löschung der Daten und die Reparatur der Handys, die noch
   brauchbar sind. Nicht mehr brauchbare Handys werden zur Rückge-
   winnung bestimmter Rohstoffe (Kupfer, Gold, Eisen und teilweise Pla-
   tin) an Teqcyle (München) geschickt. Für jedes alte Handy erhält die
   Sammelaktion 50 Cent.
2. Mit dem Erlös aus der Sammlung werden drei Projekte zum Schutz der
   Menschenrechte finanziert, darunter „Gitarren statt Gewehre“ in Kon-
                                                                                                         11
   go. Um Kindersoldaten wieder einzugliedern, erhalten sie eine Ausbil-
   dung im Gitarrenbau.
3. Die Handy-Aktion hat sehr viele Menschen erreicht. Familien, Schulen,
   Firmen, Kirchen (Kirchenkreise und -gemeinden), Unternehmen sowie
   soziale und politische Einrichtungen sammeln mit.
4. Gesellschaftliche Anerkennung. 2020 hat der Rat für Nachhaltige Ent-
   wicklung der Handy-Aktion NRW einen Preis verliehen. Sie war eines
   der 40 Siegerprojekte, die bundesweit zum „Projekt Nachhaltigkeit
   2021“ gewählt wurden.

Im Jahr 2021, das zum Internationalen Jahr zur Abschaffung der Kinderar-
beit erklärt wurde, ist die Teilnahme an der Handy-Aktion wichtiger denn je.
In jedem Handy sieht man menschliche Gesichter, die arbeiten, insbesonde-
re Kinder, bei Abbau von Rohstoffen, die in die Produkte eingehen, die wir
konsumieren. Dieser Sichtweise führt zu Bewusstsein über die Menschen-
rechtsverletzung und zum Engagement für den Kinderrechtschutz.

                                                                               Informationen
Dr. Jean-Gottfried Motumbo                                                     www. handyaktion-nrw.de
Regionalpfarrer
Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weiterentwicklung
KINDERARBEIT

     Zerstörte Kinderseelen
     Kinderprostitution
                                             Projekte in Südafrika, Tansania,          Prostitution hält sich nicht an solche
                                             Kongo und in Indonesien gefördert,        Verbote, sie geht weiter. Jetzt aber
                                             die die Prävention mit oft beschei-       eben im Verborgenen, sodass Sozial-
                                             denen Mitteln vorantreiben.               arbeiterinnen und Streetworker den
                                                                                       direkten Draht zu den Opfern nur
                                             Kinderprostitution ist ein weites         über Umwege aufnehmen können.
                                             Feld. Fast ausnahmslos aber ist klar:
                                             Kein Kind macht irgendetwas frei-         Es gibt selbstverständlich auch die
                                             willig in dieser Hinsicht, alle werden    Online-Beratung für Kinder und
                                             dazu gezwungen. Aber Kinder sind          Jugendliche, die sich auf diese Wei-
                                             viel mehr als Erwachsene emotional        se direkt an die Beratungsstellen
                                             und körperlich von anderen abhän-         wenden können. Streetworkerinnen
                                             gig. Das macht sie umso verwund-          und Streetworker haben in den
                                             barer. Täterinnen und Täter wissen        vergangenen Monaten festgestellt,
                                             genau, wie sie sich die Kinder und        dass es gegenüber Vor-Coronazeiten
                                             Jugendlichen gefügig machen. Die          doch mehr minderjährige Prostitu-
     Die gegenwärtigen Debatten um           Muster sind fast immer gleich. Am         ierte gibt. Diese haben darüber hi-
     Missbrauch in der katholischen          Ende stehen immer zerstörte Kin-          naus auch einen schwereren Stand,
     Kirche (ehrlicherweise muss auch        derseelen.                                sie sind einem erhöhten Druck von
     die evangelische mitgenannt sein)                                                 Freiern ausgesetzt, die ihre Notlage
     lassen auch die Frage nach Kinder-      Das war schon vor der Corona-Pan-         natürlich schamlos ausnutzen wol-
       prostitution in den Fokus rücken.     demie so. Die weltweiten Lockdo-          len.
       Diese besonders schweren Ver-         wns haben freilich die Lage für die
12     brechen an Kindern hat es zwar
       schon immer gegeben, sie gelten
                                             Betroffenen verschärft. Zum Bei-
                                             spiel sind in Deutschland die Ord-
                                                                                       In den vielen Diskussionen um
                                                                                       Öffnungen des öffentlichen Lebens
       zugleich weltweit als Tabu. Inter-    nungsämter vollständig mit der Ver-       werden die missbrauchten Kinder
       national agierende Verbrechersyn-     folgung der Infizierten und deren         und Jugendlichen sicherlich nicht
     dikate haben es durch die sozialen      Umfeld beschäftigt, da gibt es kaum       an erster Stelle stehen. Und doch
     Medien heute leichter, unkontrolliert   Überprüfungen von Bordellen oder          sind sie in besonderem Maße Opfer
     aufzutreten und Kinder beziehungs-      entsprechenden Orten, vielleicht          der weltweiten Lage.
     weise Jugendliche auszubeuten, in       oberflächlich auf Hygienemaß-
     diesem Fall für immer zu zerstören.     nahmen. Aber ob beispielsweise            Es ist Zeit, sie in den Blick zu neh-
                                             minderjährige Mädchen irgendwo            men.
     Der Arbeitskreis gegen Kinderpro-       versteckt ausgebeutet werden, wird
     stitution in der Evangelischen Kir-     kaum entdeckt werden.                                  Pfarrer Martin Domke
     che von Westfalen (Ak-KiPro) ist                                                       Leiter des Eine Welt Zentrums
     ursprünglich als ein westfälischer      Die meisten Beratungsstellen von                                       Herne
     Ableger der internationalen Orga-       Caritas oder Diakonie und anderen
     nisation ECPAT (End Child Prosti-       Organisationen gehen auch davon
     tution Action Network) entstanden.      aus, dass das Abgleiten in die Illega-
     Er hat sich zunächst eher auf die       lität, das bereits angefangen hat, sich
     Folgen des Sextourismus konzen-         nach der Aufhebung der Maßnah-
     triert, dann aber immer mehr Part-      men nicht so einfach wieder wird
     nerorganisationen gestärkt, die sich    zurückdrehen lasse. Die Möglich-
     in Ländern des globalen Südens der      keiten, Kindern und Jugendlichen
     Vorbeugung gegen die sexuelle Aus-      mit wirksamen Mitteln helfen zu
     beutung von Kindern und Jugend-         können, schwinden je länger die
     lichen widmen. So hat der AkKiPro       Kontaktverbote bestehen. Denn die
KINDERARBEIT

Lieferkettengesetz soll Menschenrechte fördern
Kinderarbeit auf Kakaoplantagen in Westafrika
                                                                                   men, welches zumindest das Aller-
                                                                                   notwendigste wie Nahrungsmittel,
                                                                                   Gesundheitsversorgung, Schulbe-
                                                                                   such, Transport, Kommunikation
                                                                                   und kleine Rücklagen abdeckt.

                                                                                   Um die Einkommen auf dieses Ni-
                                                                                   veau zu heben, zahlen zum Beispiel
                                                                                   Fairtrade oder Rainforest Allian-
                                                                                    Kontakt
                                                                                   ce  Prämien über den Weltmarkt-
                                                                                    Isabellhinaus.
                                                                                   preis     UllrichBislang reichen diese
                                                                                    koordination@saubere-kleidung.de
                                                                                   aber  bei weitem nicht aus, um ein
                                                                                    www.saubere-kleidung.de
                                                                                   existenzsicherndes     Einkommen zu
                                                                                   garantieren, und höhere Prämien
Im Herbst 2020 wurde eine neue          chend hohes Einkommen zu erzie-            lassen sich am Markt nicht durch-
Studie über die Zahl der im Kakao-      len und so auch angemessene Löhne          setzen. Dabei würde selbst eine Ver-
sektor arbeitenden Kinder veröffent-    zahlen zu können. Diese Argumen-           doppelung des Kakaopreises durch
licht. Demnach arbeiten in der Côte     tation ist allerdings nicht stichhaltig,   höhere Prämien pro Tafel Vollmilch-
d’Ivoire (Elfenbeinküste) und Ghana     denn die Rechnung stößt auf zwei           schokolade nur wenige Cent kosten.
knapp 1,6 Millionen Kinder im Ka-       große Hindernisse:
kaosektor unter Bedingungen, die                                                   Dennoch scheuen viele Unter-
ihnen schaden. Diese beiden Län-        Um die Produktivität zu steigern,          nehmen diese wenigen Cent. Der
der sind die wichtigsten Kakaopro-
duzenten weltweit, etwas mehr als
                                        müssten Bäuerinnen und Bauern
                                        erheblich in ihre Plantagen inves-
                                                                                   Preiskampf auf den Supermarktre-
                                                                                   galen ist hart, und ein großer Teil
                                                                                                                            13
die Hälfte des Kakaos wird dort an-     tieren, wofür den meisten schlicht         der Schokolade wird über Sonder-
gebaut. Die Arbeit führt dazu, dass     das Geld fehlt. Darüber hinaus führt       angebote verkauft. Viele namhafte
der Schulbesuch be- oder verhindert     eine deutliche Steigerung der Pro-         Schokoladenunternehmen fordern
wird und gefährdet die Gesund-          duktivität zu höheren Erntemengen          inzwischen ein Einschreiten des
heit der Kinder: Sie erleiden Verlet-   und damit zu einem Überangebot             Gesetzgebers. Dieser soll über ein
zungen bei der Arbeit, sie tragen zu    an Kakao. Die Folge wären sinkende         Lieferkettengesetz     vorschreiben,
schwere Lasten und fast ein Drittel     Kakaopreise. Dabei ist der niedrige        dass alle Unternehmen in ihrer Lie-
kommt mit Pestiziden in Berüh-          Kakaopreis, der in den letzten Jahr-       ferkette Menschenrechte beachten
rung. Die Datenerhebung fand vor        zehnten inflationsbereinigt dras-          müssen. Dazu gehören existenzsi-
der Coronakrise statt, sodass davon     tisch gefallen ist, eine Hauptursache      chernde Einkommen und Löhne.
auszugehen ist, dass die Zahl der ar-   für die Armut im Kakaosektor.              Die Bundesregierung hat einen Ent-
beitenden Kinder seither noch deut-                                                wurf für ein Lieferkettengesetz vor-
lich gestiegen ist.                     Zwar können die Anbaumethoden              gelegt. Dies ist ein erster wichtiger
                                        von Bäuerinnen und Bauern in der           Schritt. Aber das Gesetz genügt aus
Dass dies ein unhaltbarer Zustand       Tat verbessert werden, sie benötigen       menschenrechtlicher Perspektive
ist, sehen die Unternehmen ein.         zudem eine bessere Unterstützung           nicht den Anforderungen.
Viele der Unternehmen vertreten         durch ihre jeweiligen Regierungen.
die Ansicht, Hauptursache für die       Aber das allein wird nicht reichen.                      Friedel Hütz-Adams
Probleme sei eine zu geringe Pro-       Aus der Perspektive des SÜD-                Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
duktivität. Daher fordern sie, dass     WIND-Institutes ist daher ein Kakao-                      SÜDWIND-Institut
Bäuerinnen und Bauern langfri-          preis notwendig, der ein existenzsi-
stig mindestens doppelt so viel pro     cherndes Einkommen ermöglicht.             Informationen
Hektar ernten sollen, um ein ausrei-    Darunter verstehen wir ein Einkom-         www.lieferkettengesetz.de
FAIRER HANDEL

     Süß statt bitter
     Orangen ohne Sklaverei und ohne Gift
                                                                                  Arbeitsverträgen und zahlt ihnen
                                                                                  Tariflöhne sowie Sozialbeiträge.
                                                                                  Der Verein erhält Orangen nur von
                                                                                  Öko-Betrieben und organisiert den
                                                                                  Verkauf an Bioläden und Gruppen
                                                                                  solidarischen Konsums.

                                                                                  Auch die Waldenserkirche in Ita-
                                                                                  lien, eine Partnerkirche der west-
                                                                                  fälischen Landeskirche, setzt sich
                                                                                  für die Wanderarbeiter ein – im
                                                                                  Rahmen des Programms Mediter-
                                                                                  ranean Hope. „Kalabrien und das
                                                                                  Gebiet von Rosarno sind eines
                                                                                  der am stärksten benachteiligten
                                                                                  Gebiete Europas. Das organisier-
                                                                                  te Verbrechen dort kontrolliert oft
                                                                                  mit Gewalt wichtige Bereiche der
     Von Anfang Dezember bis März ka-       Ohne die Erntehelfer aus Sub-         Politik und Wirtschaft“, berichtet
     men im Rahmen der “Orangen-Ak-         sahara-Afrika würde die ohnehin       Paolo Naso, Koordinator von „Me-
     tion” etwa 47 Tonnen öko-fairer        schwache kalabrische Wirtschaft       diterranean Hope“. „Wir verhelfen
       Orangen aus Kalabrien nach           zusammenbrechen. Die Abneh-           denjenigen, die ausgegrenzt sind,
       Westfalen, ins Ruhrgebiet und        mer der Früchte sind multinatio-      zu ihren Menschenrechten. Wir
14     an den Niederrhein. Sie wurden
       über Weltläden, Kirchen- und
                                            nale Konzerne und Handelsketten.
                                            Sie diktieren den Bauern die Prei-
                                                                                  möchten zeigen, dass ein anderes
                                                                                  Kalabrien existiert, dass die Mafia
       Pfarrgemeinden, Kirchenkreise,       se, die nicht einmal die Produk-      sowie auch Ausbeutung überwun-
       Naturkostläden, Kitas und diako-     tionskosten decken. So bezahlen       den werden können."
     nische Einrichtungen verkauft oder     große Handelsketten nur 12 Cent
     verteilt. Geliefert wurden die Oran-   pro Kilogramm Orangen. Die Pro-       So geht ein Teil des Erlöses der
     gen von „SOS Rosarno“, einem           duktionskosten liegen bei minde-      Orangen-Aktion an das Projekt
     Verein, der die Menschen- und Ar-      stens 20 Cent/kg. Deshalb haben       „Lichter auf Rosarno“ von „Me-
     beitsrechte der Erntehelfer in Süd-    die Bäuerinnen und Bauern nur         diterranean Hope“: Die Erntehel-
     italien stärkt.                        zwei Möglichkeiten: entweder die      fer werden auf dem Weg zu ihrem
                                            Früchte auf den Plantagen verfau-     Arbeitsplatz, den Plantagen, häufig
     Von November bis April helfen          len zu lassen oder die Tagelöhner     Opfer von Verkehrsunfällen, weil
     rund 2.500 Wanderarbeiter, meist       auszubeuten.                          ihre Fahrräder unbeleuchtet sind.
     afrikanische Geflüchtete, bei der                                            In dem Projekt werden ihre Fahr-
     Orangenernte in und um Rosar-          Überall in Südeuropa schuften         räder mit Lampen ausgestattet und
     no, eine Kleinstadt in Kalabrien.      Migranten für Hungerlöhne auf         in ihren Zeltsiedlungen Solarlam-
     Sie arbeiten als Tagelöhner auf den    Obst- und Gemüseplantagen. Die-       pen installiert. Ein Teil des Erlöses
     umliegenden Plantagen für etwa 25      se moderne Sklaverei ist eine Folge   aus dem Orangenverkauf wird für
     Euro am Tag. Kein Lohn, von dem        des globalen Wettbewerbs. Doch in     dieses Projekt verwendet.
     man anständig leben, geschweige        Rosarno entstand eine Keimzelle       Für Anfang Dezember 2021 ist die
     denn eine Miete bezahlen könnte.       des Widerstands: Eine Gruppe von      nächste Orangen-Aktion geplant.
     Die Erntehelfer hausen bei Kälte in    Aktivisten, Landwirten und Ernte-
     Zelten oder Containern unter er-       helfern gründete den Verein „SOS                           Katja Breyer
     bärmlichen und menschenunwür-          Rosarno“. „SOS Rosarno“ beschäf-        Amt für Mission, Ökumene und
     digen Bedingungen.                     tigt die Migranten mit regulären          kirchliche Weltverantwortung
FAIRER HANDEL

Faire Orangen aus Kalabrien so weit das Auge reicht
Beispielhafte Aktivitäten aus Recklinghausen, Lippstadt
und Rheine

Drei Gruppen, die an der Orangen-      gerechnet. So bestellten Pfarreien,   schmack erfreuten, gab es nicht
aktion beteiligt sind, haben dem
Info-Dienst ihre Erfahrungen mit-
                                       Kindertagesstätten, die Stadt und
                                       etliche Privatpersonen insgesamt
                                                                             unbedingt Bewusstsein dafür,
                                                                             dass die süßen Früchte für die
                                                                                                                 15
geteilt – alle drei sind überwältigt   90 Kisten. Allen waren die Arbeits-   Menschen, die sie anbauen und
von der Qualität, dem Geschmack        bedingungen wichtig, unter denen      ernten, das Leben oft sehr bitter
und dem Absatz, den sie erzie-         die Früchte geerntet werden.“         machen. Das änderte sich schlag-
len. „An eine große Aktion hatte       Auch Margot Bell, Pfarrerin im Ru-    artig durch „SOS Rosarno“ – auch
ich nicht gedacht, als im Herbst       hestand in Lippstadt, ist überwäl-    in Lippstadt und Umgebung.“ So
2020 die Anfrage kam, ob ich be-       tigt von dem enormen Zuspruch         kaufte nicht nur der Evangelische
reit sei, Orangen aus Kalabrien zu     aus der Bevölkerung: „Als in der      Kirchenkreis Soest-Arnsberg fast
bestellen. Eher hatte ich an eine      letzten Vorweihnachtszeit Oran-       2.000 Kilogramm Orangen, die Su-
kleine Solidaritätsaktion gedacht.     gen wieder mit ihrem süßen Ge-        perintendent Dr. Manuel Schilling
Die Mindestbestellmenge von fünf
Kisten Orangen (das sind 50 Kilo-
gramm) erschien mir schon ziem-
lich hoch zu sein“, berichtet Maria
Voß von der Arbeitsgemeinschaft
der Eine-Welt-Kreise im Stadtko-
mitee der Katholiken in Reckling-
hausen. Erste zaghafte Anrufe
bei Bekannten brachten Überra-
schendes: Eine Kiste Orangen war
für die meisten kein Problem. „In
den nächsten Tagen brach dann
eine Welle von Bestellungen über
mich herein. Damit hatte ich nicht
FAIRER HANDEL

                                                                                son im Herbst freuen“, sagt Mar-
                                                                                got Bell. Es scheint den Menschen
                                                                                in Lippstadt nicht egal zu sein, wie
                                                                                die Dinge, die sie konsumieren, er-
                                                                                zeugt und vermarktet werden.

                                                                                „Da wir so viele positive Rückmel-
                                                                                dungen und Nachfragen nach fair
                                                                                gehandelten Orangen hatten, ha-
                                                                                ben wir beschlossen, uns im Fe-
                                                                                bruar 2021 erneut an der Aktion
                                                                                zu beteiligen,“ erklärt Pfarrerin im
                                                                                Ruhestand Kerstin Hemker, Bot-
                                                                                schafterin für Brot für die Welt. Ge-
                                                                                meinsam mit der Aktionsgemein-
                                                                                schaft Solidarische Welt (ASW e.V.)
                                                                                in Rheine, wurden im vergangenen
                                                                                Dezember allein für Rheine 220
                                                                                Kilogramm Bio-Orangen von der
                                                                                Genossenschaft „SOS Rosarno“
                                                                                im italienischen Kalabrien bezo-
                                                                                gen. „Toll, dass wir beim zweiten
                                                                                Mal fast 400 Kilogramm bestellen
                                                                                konnten. Nicht nur Mitglieder un-
                                                                                seres Vereins haben sich beteiligt,
                                                                                sondern auch Vertreter aus evange-
                                                                                lischen und katholischen Kirchen-
                                                                                gemeinden sowie Mitglieder aus
16                                                                              dem Forum für Menschenrechte
                                                                                und Nachhaltigkeit und dem Chor
                                                                                Signale“, freut sich auch Michael
                                                                                Remke-Smeenk, Vorsitzender der
                                                                                ASW Rheine. Die Aktion sei ein
                                                                                Beispiel für die Forderung nach
                                                                                einer Sorgfaltspflicht von Unter-
                                                                                nehmen in der Lieferkette von
                                                                                Produkten, wie sie auch das Euro-
                                                                                paparlament unterstützt, ist sich
                                                                                Beate Steffens, Aktion Humane
                                                                                Welt Rheine, sicher.
                                                                                Maria Voß weiß schon jetzt: „Bei
                                                                                der nächsten Aktion im Herbst
                                                                                2021 wollen wir wieder dabei sein.
                                                                                Damit das gelingen kann, wer-
                                                                                den wir versuchen, Strukturen zu
     zusammen mit vielen Helfenden        städter Unverpacktladen Granél.       schaffen, damit Bestellung, Vertei-
     zu Weihnachten an die Gemeinden      „Fast alle Erstkundinnen und -kun-    lung und Rechnungsstellung auf
     verteilte, sondern auch sehr viele   den aus Lippstadt, Soest, Werl und    mehrere Schultern verteilt werden
     Lippstädterinnen und Lippstädter     Umgebung sind zu Stammkunden          können und damit eine komplika-
     wollten das Projekt spontan un-      geworden und es kommen stän-          tionslose Abwicklung der Aktion
     terstützen und kauften ein großes    dig weitere dazu, die sich nach       möglich wird.“
     Kontingent an Orangen im Welt-       der jetzt erstmal letzten Lieferung
     laden Lippstadt und in dem Lipp-     schon auf den Start der neuen Sai-                   Gundis Jansen-Garz
FAIRER HANDEL

Buchtipp
Gilles Reckinger:
Bittere Orangen – Ein neues Gesicht
der Sklaverei in Europa
Auf Lampedusa hat man sie an Land gehen sehen, er-
schöpft und traumatisiert von der Flucht. Viele der Men-
schen aus afrikanischen Ländern, die ihre Hoffnung
auf ein freies Leben in Europa gesetzt hatten, sind nie
aus Italien herausgekommen. Sie stecken fest in einer
neuen Sackgasse: den süditalienischen Orangenplanta-
gen. Während ihrer Asylverfahren stehen Geflüchtete
in Italien ohne Papiere und ohne Rechte buchstäblich
auf der Straße. Die nahen Plantagen sind oft ihre ein-
zige Chance auf einen Job. Offen verachtet von der Be-
völkerung, untergebracht in Slums und fern jeder me-
dizinischer Versorgung pflücken sie zwölf Stunden am
Tag Orangen. Für 150 Euro im Monat – sofern sie das
Glück haben, morgens auf dem „Arbeitsstrich" aufge-
lesen zu werden.

Gilles Reckinger ist immer wieder nach Rosarno, eine
kleine Stadt in Italiens Stiefelspitze, gereist, um die Ar-
beits- und Lebensbedingungen der migrantischen Ern-
tehelfer zu dokumentieren. In vielen Gesprächen ist er
den Menschen nahe gekommen, die festgesetzt sind in
                                                                                                             17
extremer Prekarisierung ohne jede Option. Nicht ein-
mal die auf Rückkehr in ihr Herkunftsland.

                                                              Das Buch ist im Peter Hammer Verlag er-
                                                              schienen und kann bei der Bundeszentrale für
                                                              politische Bildung erworben werden.
                                                              Preis: 4,50 Euro, zuzüglich Versandkosten
MENSCHENRECHTE

                         Globalisierung einer menschenwürdigen Arbeit
                         KAB und KönzgenHaus verstärken Bündnisarbeit
                                                                                   rechtigkeiten sind in der Struktur der kapita-
                                                                                   listischen Wirtschaftsweise „eingeschrieben“,
                                                                                   in der die Arbeit zur Ware und von der Person
                                                                                   entkoppelt wird. Es herrscht eine „strukturelle
                                                                                   Respektlosigkeit“ gegenüber der Würde der Ar-
                                                                                   beit!

                                                                                   Die Coronapandemie hat all das zugespitzt
                                                                                   und zu Tage treten lassen. Die Verteilung der
                                                                                   Macht und die geltenden Herrschaftsverhält-
                                                                                   nisse sind ungerecht.

                                                                                   Und das gilt für Deutschland und weltweit.
                                                                                   Eine „Globalisierung der menschenwürdigen
                                                                                   Arbeit“ ist angesichts der zunehmenden welt-
                                                                                   weiten Spaltung notwendiger als je zuvor. Der
                                                                                   Vorrang der Arbeit vor dem Kapital ist das
                                                                                   christliche Gegenkonzept zur neoliberalen
     Aktivistin R.C. Mamani, Norbert Jansen und Agraringenieur R. Crespo Torrico
     aus Cochabamba/Bolivien bei der Tagung „Postwachstum als Modell für das       Globalisierung. Die KAB war immer schon
     Gemeinwohl“ 2017 im KönzgenHaus.                                              eine internationale Bewegung und das Könz-
                                                                                   genHaus organisiert seit einigen Jahren in-
                         Was ist würdige Arbeit? Was ist gerechte Ar-              ternationale Tagungen, oft in Kooperation mit
                         beit? Diese Fragen stellt sich die Katholische            entwicklungspolitischen Akteuren. Faire Ar-
18                       Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) seit mehr als
                         100 Jahren auf dem ethischen Fundament der
                                                                                   beit und Gutes Leben sind weltweit ein Thema,
                                                                                   wie beispielsweise die Tagung 2019 mit bolivia-
                         christlichen Sozialverkündigung. Orientiert an            nischen Partnern eindrucksvoll bestätigte.
                         der biblischen Botschaft und der Gewissheit,
                         dass Glaube und Gerechtigkeitshandeln zwei                „Überleben in der Stadt“ wird Ende dieses
                         Seiten derselben Medaille sind, bewährt sich              Jahres eine Tagung anlässlich der Adveni-
                         der methodische Dreischritt SEHEN-URTEI-                  at-Kampagne sein. Mit Akteuren innerhalb
                         LEN-HANDELN in der verbandlichen Praxis                   und außerhalb der Kirchen wird weiterhin
                         und leitet die Verantwortlichen im Könzgen-               die Bündnisarbeit weiter verstärkt. Da die Bei-
                         Haus in allen Seminaren und Veranstaltungen.              spiele und aktuelle Anknüpfungspunkte leider
                         Prekäre Arbeit, also atypische schlecht bezahl-           nicht ausgehen, wird die Veranstaltungsreihe
                         te Beschäftigung jenseits von „Normalarbeits-             „(Un-)würdige Arbeit“ weitergeführt. Mit den
                         verhältnissen“, nimmt zu, nicht nur in der                Kampagnen zur angemessenen Bewertung
                         Fleischindustrie, der ambulanten Pflege, der              von Sorgearbeit, zum Grundeinkommen und
                         Logistikbranche. Prekäre Arbeit grenzt aus                Mindestlohn sowie zur Gemeinwohlökonomie
                         durch fehlende Rechte, ungenügende Mitbe-                 sind KAB und KönzgenHaus auf dem Weg
                         stimmungsmöglichkeiten, mangelnde Teilha-                 zum „Guten Leben“, aber der ist weit und stei-
                         be und ist zutiefst ungerecht.                            nig – auch in kirchlichen Zusammenhängen.

                         Wer profitiert davon? Die Missstände entste-              Veranstaltungshinweise
                         hen nicht zufällig. Sie sind eine direkte Folge           www.könzgenhaus.de
                         eines ungerechten Wirtschaftssystems, das die
                         rücksichtslose Gewinnmaximierung zum Cre-                                               Norbert Jansen
                         do erhebt, unterfüttert und bestärkt von einer                     Geschäftsführer des KönzgenHauses
                         „teilblinden“ Wirtschaftstheorie. Die Unge-                                          in Haltern am See
MENSCHENRECHTE

Zwangsarbeit in Xinjiang stoppen!
China duldet massive Menschenrechtsverletzungen
Die Autonome Region Xinjiang liegt     Uigurinnen und Uiguren als Ar-
im Nordwesten Chinas. Sie ist einer-   beiterinnen und Arbeiter in ande-
seits ein logistisches Drehkreuz für   re Provinzen Chinas transferiert.
die Eisenbahnverbindung der „Neu-      Innerhalb Xinjiangs liegen die
en Seidenstraße“ nach Zentralasien     Fabriken oft in der Nähe der Um-
und Europa. Andererseits ist sie       erziehungslager, weil die Arbeit in
seit Jahrzehnten von Unabhängig-       den Fabriken offiziell als Teil der
keitsbestrebungen und Protesten        „Erziehung“ der Uiguren gilt. Wer-
der Bevölkerungsmehrheit der Ui-       den Uigurinnen als Arbeitskräfte
gurinnen und Uiguren geprägt –         in andere chinesische Provinzen
ein „Pulverfass“, das China für den    vermittelt, leben sie in staatlichen
Erfolg der „Neuen Seidenstraße“        ‚Wohnheimen‘ auf dem Firmenge-
unbedingt ruhig halten will. Dafür     lände oder in der Nähe der Firmen
nimmt China auch massive Men-          unter permanenter Überwachung.
schenrechtsverletzungen in Kauf.       Zur Umerziehung gehören das            ihre Wertschöpfungsketten verlan-
                                       Verbot der Religionsausübung,          gen. Sie sollten nachfragen, welche
Eine neue Phase der Unterdrü-          des Kontaktes zu ihren Familien        Maßnahmen die Unternehmen ge-
ckung von Uigurinnen und Uiguren       oder zu Freunden. Das internati-       gen Zwangsarbeit unternommen
Laut Chinas Statistischem Jahr-        onale Bündnis zur Abschaffung          haben. Die Unterdrückung der
buch lebten im Jahr 2018 knapp 25      der Zwangsarbeit von Uigurinnen        Uigurinnen und Uiguren in China
Millionen Menschen in Xinjiang.        und Uiguren, dem sich mittlerwei-      darf nicht durch Aufträge aus Euro-
Die größte Bevölkerungsgruppe          le rund 300 zivilgesellschaftliche     pa finanziert werden.
bildet die türkisch-muslimische        Organisationen aus 35 Ländern,
Gruppe der Uiguren – mit rund elf
Millionen Menschen. Sie steht im
                                       darunter das SÜDWIND-Institut,
                                       angeschlossen haben, schätzt das
                                                                                            Sabine Ferenschild
                                                                                 Wissenschaftliche Mitarbeiterin
                                                                                                                    19
Fokus der zunehmenden Unter-           System so umfassend ein, dass                    am SÜDWIND-Institut
drückung durch den chinesischen        Zwangsarbeit mit großer Wahr-
Zentralstaat. Eine stetig wachsende    scheinlichkeit jede Branche in Xin-
Kontrolle der Uigurinnen und Ui-       jiang betrifft und jedes Produkt,
guren und systematische Repres-        das dort hergestellt wird.               Lektüre
sionen werden seit etlichen Jahren     In Xinjiang wird mehr als 80 Pro-        SÜDWIND-Fact Sheet: Zwangs-
ergänzt durch ein System von Um-       zent der chinesischen Baumwolle          arbeit in Xinjiang. Europäische
erziehungslagern. In diesen wer-       angebaut, also rund 20 Prozent           Unternehmen profitieren von
den nach neueren Schätzungen           der Weltproduktion. Zudem wur-           der Unterdrückung der Uigu-
eine bis 1,8 Millionen Uiguren je-     den dort massiv Spinnereien und          rinnen und Uiguren
weils über Monate und Jahre fest-      weitere textile Verarbeitungsstufen
gehalten und ‚umerzogen‘.              ausgebaut. Es ist also sehr wahr-        SÜDWIND-Blog: Zwangsarbeit
Anfang 2020 wies eine australische     scheinlich, dass Zwangsarbeit in         in Xinjiang stoppen!
Studie nach, dass Uigurinnen und       Xinjiang Teil der Lieferketten euro-
Uiguren seit einigen Jahren nicht      päischer Textilunternehmen ist.          SÜDWIND-Studie: Fast Fashion
nur „umerzogen“ werden, son-                                                    auf der Seidenstraße. Von „Made
dern auch Zwangsarbeit für inter-      Deshalb …                                in China“ zu „Managed by Chi-
nationale Wertschöpfungsketten         Unternehmen, die ihre Ware in            na“ (erscheint April 2021)
leisten müssen. Damit ist eine         Deutschland verkaufen, müssen
neue Phase erreicht. Internationale    sicherstellen, dass keine Produkte       SÜDWIND-Fact Sheet: Pulver-
Unternehmen profitieren von der        aus Zwangsarbeit in ihrem Ange-          fass Xinjiang. Ruhe und Stabi-
Ausbeutung der internierten Men-       bot sind. Verbraucherinnen und           lität für die Neue Seidenstraße
schen. Zusätzlich wurden in den        Verbraucher sollten von den Unter-       (erscheint April 2021)
letzten Jahren mindestens 80.000       nehmen mehr Transparenz über
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