Klimaschutzziele Die Reform des europäischen Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der Europäischen Union

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Klimaschutzziele Die Reform des europäischen Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der Europäischen Union
Klimaschutzziele
Die Reform des europäischen Emissionshandels
im Kontext der mittel- und langfristigen
Klimaschutzziele der Europäischen Union

                                       Deutsche
                                       Emissionshandelsstelle
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Internet: www.dehst.de

Stand: November 2013

Mitwirkende: Hanna Arnold, Claudia Gibis, Christoph Kühleis, Konrad Raeschke-Kessler, Frank Wolke
Inhaltsverzeichnis

1 Ausgangslage........................................................................................................................... 5

2 Mittel- und langfristige Klimaschutzziele der EU und ihre Implikationen für den ETS................... 8

  2.1 EU Klima-Roadmap für eine emissionsarme Wirtschaft bis 2050.............................................. 8

  2.2 Szenario 1: Status Quo.......................................................................................................... 11

  2.3 Szenario 2: Gleicher Minderungsbeitrag von ETS und Nicht-ETS ab 2020................................ 12

  2.4 Szenario 3: Kosteneffiziente Aufteilung der Minderungsleistung gemäß der Klima-Roadmap... 13

  2.5 Auswirkungen des Szenarios 3 auf den Abbau der Überschüsse............................................. 14

  2.6 Szenario 4: Die Krise nutzen - frühes Handeln bei der Minderung im
      EU-ETS (vor 2020)................................................................................................................. 15

4 Vorschläge zur Reform des ETS ab 2020.................................................................................... 17

  4.1 Ausweitung des EU-ETS auf andere Sektoren.......................................................................... 17

  4.2 Weitere Beschränkung der Zulassung von Offsets................................................................... 19

  4.3 Preisbasierte Angebotssteuerung.......................................................................................... 20

  4.4 Mengenbasierte Angebotssteuerung..................................................................................... 21

5 Nationale Maßnahmen als Ersatz für einen wirkungslosen Emissionshandel.............................. 22

6 Politischer Zeitplan.................................................................................................................. 24

7 Fazit und offene Fragen............................................................................................................. 24
4   Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
1      Ausgangslage
Das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (EU-ETS) droht derzeit, seine Rolle
als Leitinstrument der europäischen Klimapolitik zu verlieren, weil infolge der in der 2.
Handelsperiode aufgelaufenen Überschüsse von ca. 1,7 Mrd. Emissionsberechtigungen der
Preis für Emissionsberechtigungen auf gegenwärtig drei bis vier Euro pro Tonne Kohlendioxid
(CO2) eingebrochen ist (kurzfristig lag der Preis sogar darunter). Während das Cap (die
Emissionsobergrenze) einschließlich der zulässigen Mengen an Projektgutschriften auf Basis
höherer Wachstumserwartungen festgelegt wurde, ist die Nachfrage insbesondere infolge von
Produktionsrückgängen der Industrie zurückgegangen. Darüber hinaus senkte das große Angebot
günstiger Projektgutschriften aus so genannten CDM/JI-Projekten (internationale Klimaschutzprojekte
nach den Regeln des Kyoto-Protokolls) die Preise. Damit hat der EU-ETS seine Funktion, über das
Cap und den CO2-Preis emissionsarme Technologien und Verfahren gegenüber emissionsintensiven
Technologien und Verfahren wettbewerbsfähiger zu machen und so Anreize für emissionsarme
Produktionsweisen zu setzen, aktuell weitgehend verloren.

Das Instrument insgesamt hat dadurch auch international an Glaubwürdigkeit eingebüßt,
da angesichts der hohen Überschüsse im System und der daraus resultierenden niedrigen
Preise möglicherweise bis weit in die 3. Handelsperiode (2013-2020) hinein keine weiteren
Minderungsanstrengungen der am EU-ETS teilnehmenden Wirtschaftszweige erforderlich sind. Einige
Nichtregierungsorganisationen (NGO) fordern daher bereits die Abschaffung eines ihrer Meinung
nach nutzlosen Systems1. Auf internationaler Ebene hat die Europäische Union (EU) insgesamt ihre
Rolle als Vorreiterin in der Klimapolitik in Frage gestellt, weil sie ihr Klimaziel für 2020 (20 Prozent)
vor allem als Folge einer Wirtschaftskrise und nicht als Folge einer ambitionierten Klimapolitik bereits
heute erreicht hat. Ein Beharren auf dem 20-Prozent-Minderungsziel käme einer „verlorenen Dekade“
(WWF, Eurelectric) für den Klimaschutz gleich. Die Anreizwirkung der CO2-Preise ist gegenwärtig
nicht ausreichend, um unternehmerische Entscheidungen über Produktionsweisen und Investitionen
von emissionsintensiven Brennstoffen, Technologien oder Verfahren in Richtung emissionsärmerer
Produktionsweisen zu lenken. Die Klimaziele über 2020 hinaus sind rechtlich (noch) nicht bindend,
so dass auch hierdurch keine sichere Grundlage für Investitionen in Emissionsminderungen gegeben
wird. Neue Minderungspflichten werden frühestens 2015 für die Zeit ab 2020 vereinbart.

Um die langfristigen Klimaschutzziele der EU zu erreichen, muss jedoch bereits heute in
klimafreundliche und energieeffiziente Technologien investiert werden, um Lock-in-Effekte zu
mildern, die in späteren Jahren entweder ein Erreichen der Klimaziele unmöglich machen2 oder
aber die Vermeidungskosten (wegen noch nicht abgeschriebener „Fehlinvestitionen“) substanziell
erhöhen. Dies gilt besonders für den europäischen Energiesektor, in dem in den kommenden
zehn Jahren erhebliche Ersatz- oder Neuinvestitionen getätigt werden müssen3 und in dem die
Investitionszyklen lang sind: Mit der Planung und dem Bau fossiler Kraftwerke heute werden auch
zentrale Weichen für die Höhe der Emissionen im Jahr 2050 gestellt.

Bis 2050 will die EU ihre Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 senken.
Die „Klima-Roadmap“ (Roadmap for a Competitive Low Carbon Economy in 2050)4 von März 2011
legt neben diesem Langfristziel auch Zwischenziele fest (2030: 40 Prozent, 2040: 60 Prozent), die
von allen Mitgliedstaaten außer Polen unterstützt wurden. Ende März 2013 hat die Europäische
Kommission ein „Grünbuch“ für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 vorgelegt, in dem u.a.
das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren,

1   „Scrap the ETS“ ist ein Zusammenschluss von 114 Umwelt-NGOs, die wegen dessen Wirkungslosigkeit und mangelnder
    Funktionsfähigkeit die Abschaffung des EU ETS fordern. www.scrap-the-euets.makenoise.org
2   Nach dem World Energy Outlook 2012 sind bereits über 80 Prozent der bei einem 2-Grad-Ziel zulässigen Emissionen mit
    der gegenwärtigen Infrastruktur vorgezeichnet.
3   Vgl. z.B. EU Energy Road Map bis 2050
4   COM(2011) 112

                       Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU   5
zur Diskussion gestellt worden ist. Viele Interessengruppen, auch das Umweltbundesamt (UBA),
    haben Stellungnahmen abgegeben, die von der Europäischen Kommission ausgewertet werden.
    Dagegen wurden für die Zeit bis 2020 die Minderungsziele und jährlichen Emissionsobergrenzen
    (Caps) für den Emissionshandel in der Emissionshandelsrichtlinie (EH-Richtlinie) und für den nicht-
    Emissionshandelsbereich in der Effort Sharing Decision (ESD) bereits festgelegt.

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                           ETS Emissionen                                        Gesamtemissionen ohne Luftverkehr
                           ETS Cap (EU 27)                                       Cap Nicht-ETS
                           Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

    Abbildung 1:         Historische Emissionen der 27 EU-Staaten und Cap (ETS/ESD) im Vergleich zur Klima-Roadmap

    Für den Emissionshandel ergibt sich hieraus Handlungsbedarf, da der in der EH-Richtlinie
    festgelegte Reduktionspfad bzw. jährliche Kürzungsfaktor des Caps von 1,74% nicht ausreicht,
    um – bei ungefähr gleichbleibender Aufteilung der Minderungsleistung (Effort Sharing) zwischen
    ETS und Nicht-ETS-Sektoren – diese mittel- und langfristigen Minderungsziele zu erreichen. Der
    Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) hatte bereits in seinem Sondergutachten „Wege zu
    100 % erneuerbaren Stromversorgung“ von Januar 2011 darauf verwiesen, dass die derzeitigen
    Reduktionsziele im EU-ETS das langfristige Ziel einer Gesamtreduktion von 80 bis 95 Prozent nicht
    zu erreichen vermögen. Sie entsprechen weder einem nachhaltigen Entwicklungspfad noch sind sie
    stringent genug, um Unternehmen zu durchgreifenden Maßnahmen zu bewegen.

    Das Umfeld, in dem klimapolitische Entscheidungen getroffen werden, ist derzeit jedoch ungünstig
    für eine ambitionierte EU weite Klimapolitik: Die wirtschaftliche Entwicklung hat sich in einigen
    Mitgliedstaaten noch nicht von der Wirtschafts- und Finanzkrise erholt und ein internationales
    Klimaabkommen, das alle wichtigen Industrie- und Schwellenländer ab 2020 umfasst, wird gerade
    erst verhandelt. Daher besteht in Wirtschaftskreisen teilweise die Befürchtung, dass ein weiterer
    klimapolitischer Alleingang der EU die europäische Industrie einseitig stark belasten und zu Carbon
    Leakage führen würde, das heißt zur Verlagerung der industriellen Produktion und der zugehörigen
    Emissionen von der EU in Nicht-EU-Länder mit geringeren Umweltstandards. Diese Situation wird
    durch die Umwälzungen in der US-Energieversorgung verschärft, die durch die Ausbeutung der
    Schiefergasvorkommen zu substanziell niedrigeren Energiepreisen in den USA geführt haben (bei
    sinkenden Emissionen durch den Ersatz von Kohle durch Gas).

6    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
Maßnahmen, die direkt oder indirekt zu einer Erhöhung der europäischen Energiepreise führen, sind
daher derzeit politisch schwer durchsetzbar.

In dieser Situation sollten sich die politischen Entscheidungsträger die Vorteile eines starken
Emissionshandels bewusst machen: Der Emissionshandel bietet den Unternehmen im Vergleich
zu anderen klimapolitischen Instrumenten ein sehr großes Maß an Flexibilität und Zugang zu
günstigen Vermeidungspotenzialen. Über die Verknüpfung von Emissionshandelssystemen bietet
er außerdem die Chance, Staaten mit einzubeziehen, die sich bisher aus Angst vor dem Verlust von
Wettbewerbsfähigkeit und Entwicklungsperspektiven nicht zu ambitionierten Minderungszielen
verpflichten wollten.

Auch die Europäische Kommission und eine große Zahl von EU-Mitgliedstaaten sehen daher
Handlungsbedarf, um die europäische Klimapolitik auf das langfristige Klimaschutzziel bis 2050
auszurichten und die Anreizfunktion und Glaubwürdigkeit des Emissionshandels als Leitinstrument
der EU-Klimapolitik wiederherzustellen.

Die Europäische Kommission hat den Mitgliedstaaten verschiedene Vorschläge gemacht, die in
diesem Papier näher beleuchtet und bewertet werden sollen:

▸▸ Mai 2010 – Anhebung des 2020-Klimaziels auf 30 Prozent (so genanntes Set aside):
   Wurde vom Europäischen Rat, u.a. von Polen im Juni 2011 abgelehnt.
▸▸ März 2011 – Roadmap for a Competitive Low Carbon Economy in 2050:
   Mit Ausnahme von Polen haben alle Mitgliedstaaten im Europäischen Rat im März 2012
   zugestimmt.
▸▸ Juli/November 2012/Juli 2013 – Backloading, d.h. zeitliche Verschiebung von Auktionsmengen:
   Der Vorschlag wurde in 1. Lesung des Europäischen Parlaments am 16.04.2013 abgelehnt und
   in die Ausschüsse zurückdelegiert. Deutschland hatte sich im Vorfeld der Entscheidung nicht
   auf eine nationale Position einigen können, was als maßgeblich für das Scheitern des Vorschlags
   interpretiert wurde. Am 03.07.2013 wurde ein modifizierter Vorschlag schließlich vom EU-
   Parlament angenommen; am 08.11.2013 stimmte der Rat einem Kompromissvorschlag zur
   Änderung der EH-RL zu, so dass diese im Rahmen des Mitentscheidungsverfahrens angenommen
   werden kann.
▸▸ November 2012 – Vorschläge für strukturelle Maßnahmen:
   Im Carbon Market Report hat die Europäische Kommission sechs Maßnahmen zur dauerhaften
   Beseitigung der Überschüsse im EU-ETS vorgeschlagen, deren Vor- und Nachteile in der
   Stakeholder-Beteiligung diskutiert wurden. (Stakeholder-Treffen am 01.03. und 19.04.2013).
▸▸ März 2013 – Vorlage eines Grünbuchs zu Klima- und Energiepolitiken bis 2030 (zur Konsultation
   bis Juni 2013)
Während das Backloading kurzfristig dazu dienen sollte, das Vertrauen der Märkte in den
Emissionshandel wiederherzustellen und Zeit für weitere Maßnahmen zu gewinnen, sind die
anderen Maßnahmen struktureller Natur mit langfristiger Wirkung und benötigen mehr Zeit für
die Untersuchung der Detailausgestaltung, die Prüfung der Auswirkungen sowie für die politische
Meinungsbildung, Verhandlung und Entscheidungsfindung. Die strukturellen Maßnahmen zur
Reform des EU-ETS werden voraussichtlich frühestens 2015/2016 verhandelt und entschieden, wenn
das neue Gesamtklimaschutzziel der EU festgeschrieben ist.

Angesichts der bislang wenig erfolgreichen Debatte zu Änderungen im Emissionshandel auf
europäischer Ebene beginnen parallel einzelne Mitgliedstaaten, über nationale Maßnahmen zur
Stärkung der Anreizwirkung des Emissionshandels nachzudenken. Solange solche Maßnahmen
jedoch nationale Alleingänge bleiben und nicht durch entsprechende Cap-Anpassungen im EU-
ETS berücksichtigt werden, tragen diese Maßnahmen weder zum Klimaschutz bei noch dazu, die
internationale Glaubwürdigkeit der europäischen Klimapolitik wieder herzustellen. Deutschland
sollte sich daher künftig aktiv und konstruktiv in die Debatte zur Reform des EU-ETS einbringen.

                   Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU   7
Das vorliegende Diskussionspapier richtet sich an politische Entscheidungsträger und die
    interessierte Fachöffentlichkeit. Es enthält konkrete Empfehlungen, welche Maßnahmen nicht und
    welche grundsätzlich geeignet sind, um den europäischen Emissionshandel zu stärken und auf
    den mittel- und langfristigen Klimazielpfad zu bringen. Dieses Papier soll als Ausgangsbasis für die
    weitere Diskussion dienen, innerhalb derer detaillierte und ausgereifte Politikvorschläge erarbeitet
    werden können und müssen.

    2        Mittel- und langfristige Klimaschutzziele der EU und ihre
             Implikationen für den ETS
    Die mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU werden zum Teil losgelöst von der Frage
    der Reaktivierung des ETS diskutiert, sind aber thematisch eng verbunden und mit unmittelbarer
    Auswirkung auf den ETS.

    Der Vorschlag, das Klimaziel für 2020 von 20 Prozent auf 30 Prozent gegenüber 1990 anzuheben,
    wird aus politischer Sicht zunehmend unrealistischer. Zwar war diese Möglichkeit noch in den
    Vorschlägen der Europäische Kommission zur strukturellen Reform des EU-ETS enthalten,
    jedoch thematisiert das Grünbuch diese Option mittlerweile nur noch am Rande. Die Debatte auf
    europäischer Ebene verschiebt sich daher in Richtung der mittelfristigen Ziele bis 2030, obwohl das
    UBA nach wie vor empfiehlt, bereits das Ziel für 2020 anzuheben.

    Für den ETS sind bei der Festsetzung des 2030-Ziels neben der Höhe des Ziels (vorgeschlagen sind 40
    Prozent gegenüber 1990) zwei Aspekte entscheidend:

    ▸▸ die Aufteilung der Minderungsleistung zwischen ETS und Nicht-ETS Sektoren (Effort Sharing)
    ▸▸ die Höhe der zugelassenen Gutschriften aus den Kompensationsmechanismen (Offsets)
    Das Grünbuch enthält zu diesen Aspekten noch keine konkreten Vorschläge.

    Im Folgenden werden die Zwischenziele 2020/2030 im Kontext der langfristigen Klimaschutzziele bis
    2050 untersucht und verschiedene Szenarien für eine mögliche Aufteilung der Minderungsleistung
    von ETS- und Nicht-ETS-Sektoren für die 27 Mitgliedstaaten der EU (EU 27)5 dargestellt. Die Szenarien
    basieren auf eigenen Berechnungen; Abweichungen zu den Veröffentlichungen der Kommission sind
    daher möglich.

    2.1          EU Klima-Roadmap für eine emissionsarme Wirtschaft bis 2050
    In der Klima-Roadmap vom März 2011 hat die Europäische Kommission einen kosteneffizienten
    Minderungspfad für die EU hergeleitet, nach dem die internen Emissionen der EU bis 2020
    um 25 Prozent, bis 2030 um 40 Prozent, bis 2040 um 60 Prozent und bis 2050 um 80 Prozent
    gegenüber 1990 sinken müssen. Demnach liegt das gegenwärtige Minderungsziel der EU von 20
    Prozent der Treibhausgasemissionen bis 2020 nicht auf dem langfristigen Minderungspfad bis
    2050 (siehe Abbildung 2). Aufgrund des wenig ambitionierten Caps im EU-ETS und der dadurch
    angesammelten Überschüsse, die in die 3. Handelsperiode übertragen werden dürfen, entfernen sich
    die tatsächlichen Emissionen in der EU weiter von dem langfristig als kosteneffizient angesehenen
    Zielpfad.

    5     Kroatien wurde aufgrund nicht verfügbarer Daten nicht in die Betrachtung aufgenommen.

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                    ETS (EU 27)                                               Nicht-ETS
                    Projektgutschriften ETS                                   Projektgutschriften non-ETS
                    Überschuss 2008-2012                                      Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

Abbildung 2:       Aktuelle Minderungsziele im Vergleich zur Klima-Roadmap

Abbildung 2 zeigt den aktuellen Minderungspfad der Emissionsobergrenzen für die ETS-Sektoren
sowie nach ESD für die Nicht-ETS-Sektoren, der EU 27 für 2013-2020 im Vergleich zur Klima-
Roadmap. Zusätzlich zu den jährlichen Caps ist die noch mögliche Nutzung von Projektgutschriften
aus den Kyoto-Mechanismen abgebildet. Die zugelassenen Offsetquoten für den Zeitraum 2013-2020
belaufen sich für den Emissionshandel auf jährlich durchschnittlich ca. 75 Mio. (grau dargestellt), für
den Nicht-ETS-Bereich beträgt die Menge durchschnittlich ca. 97 Mio. jährlich (hellblau dargestellt)6.
Das Gesamtcap des ETS erhöht sich demzufolge. In der 3. Handelsperiode des Emissionshandels
können darüber hinaus die in der 2. Handelsperiode aufgelaufenen Überschüsse (hellgrün
dargestellt) genutzt werden.7 Dies führt dazu, dass die tatsächlichen Emissionen sich noch weiter von
dem langfristigen Zielpfad entfernen können. Die Abbildung zeigt deutlich, dass die EU 27 schon
momentan deutlich über dem langfristigen Zielpfad der Klima-Roadmap bis 2050 liegt.

Die Europäische Kommission führt in ihrer Folgenabschätzung einer Entkarbonisierung der EU
(Impact Assessment) zu verschiedenen Politikmaßnahmen Berechnungen zur kosteneffizienten
Aufteilung der Minderungsleistung auf die Sektoren (ETS und Nicht-ETS) durch. Anders als bei den
Zielen der Roadmap und der 2. Verpflichtungsperiode des Kyoto Protokolls, für die das Bezugsjahr
1990 gilt, werden die Minderungsziele für den ETS- und Nicht-ETS-Bereich in Bezug zum Basisjahr
2005 angegeben. Das ist darauf zurück zuführen, dass für das Jahr 2005 erstmals verlässliche Daten
für die Treibhausgasemissionen der ETS-Anlagen erhoben wurden. Darüber hinaus bietet das Jahr
2005 eine aktuellere Ausgangslage zur Berechnung der kosteneffizienten Aufteilung zwischen den
beiden Sektoren.

6   Theoretisch können im ETS in 2013-2020 noch ca. 600 Mio. Projektgutschriften genutzt werden, die genaue Menge
    ist aufgrund der Quoten für Neuanlagen, die sich an den verifizierten Emissionen orientiert, nicht bezifferbar (interne
    Berechnung E 1.6 gemäß Richtlinie 2003/87/EG Art. 11a (8)5, Decision 406/2009/EG Art.5 (4)).
7   Für die Grafik wurden die Überschüsse (1,7 Mrd. EUA geschätzt bis Ende 2012) gleichmäßig auf die Jahre 2013-2020
    verteilt. Nicht berücksichtigt wurde hier, dass die Überschüsse im Verlauf der 3. Handelsperiode weiter ansteigen
    können.

                          Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU          9
Für die makroökonomischen Analysen im Impact Assessment nutzt die Europäische Kommission
     vor allem drei Energiemarkt- bzw. Treibhausgasmodelle (PRIMES, POLES, GAINS), in denen
     verschiedene Energiepreis-, Technologie- und Klimapolitikszenarien modelliert werden. Den
     verschiedenen Szenarien liegen vorher definierte Annahmen zur Verfügbarkeit und zu den Kosten
     von Vermeidungstechnologien zu Grunde.8

     Aus der Modellierung ergibt sich auch ein für alle Sektoren einheitlicher Kohlenstoffpreis, der
     Änderungen in Technologiewahl und Nachfrageverhalten induziert. Anhand der Ergebnisse werden
     die jeweiligen (kosteneffizienten) Minderungsbeiträge der Sektoren abgeleitet. Für das 20-Prozent-
     Ziel bis 2020 wurde eine Minderung von 21 Prozent für den ETS und von zehn Prozent für die Nicht-
     ETS-Sektoren gegenüber 2005 als kosteneffizient gewertet und im Klimapaket für 2020 festgehalten.
     Im Impact Assessment zur Klima-Roadmap 2050 geht die Europäische Kommission davon aus, dass
     auch nach 2020 ein größerer Beitrag des EU-ETS zur Minderungsleistung kosteneffizient ist. Je nach
     Szenario sollten die Emissionen im ETS um durchschnittlich rund 90 Prozent gegenüber 2005, die
     Emissionen in den Nicht-ETS-Sektoren um durchschnittlich rund 69 Prozent sinken (bis 2030 wäre
     das Verhältnis –45 Prozent/–30 Prozent).

     Bemerkenswert ist, dass das in der Klima-Roadmap genannte 80-Prozent-Ziel bis 2050 sowie
     die Zwischenziele für 2030 und 2040 sich auf interne Emissionsminderungen beziehen, das
     heißt, die Minderungen müssen innerhalb der EU erbracht werden und können nicht z.B. durch
     Projektgutschriften aus Drittländern kompensiert werden. Zwar wird im vorgelegten Grünbuch das
     40-Prozent-Ziel auch als EU internes Ziel benannt, jedoch werden zusätzliche Minderungsoptionen
     durch Gutschriften nicht erwähnt, sondern es findet sich lediglich der Hinweis, dass die Zulässigkeit
     von internationalen Gutschriften bewertet werden muss.

     Im Folgenden werden verschiedene in der Praxis diskutierte Szenarien zum Cap-Verlauf bzw. zur
     Aufteilung der Minderungsleistung zwischen ETS- und Nicht-ETS-Sektoren betrachtet, die einfach
     hergeleitet werden können und ein grundsätzlich politisch vorstellbares Spektrum der jeweiligen
     Minderungsbeiträge abbilden. Da die Szenarien im Zusammenhang mit der Diskussion um das
     Klimapaket für 2030 aus dem Grünbuch der Europäischen Kommission entwickelt wurden, variieren
     die ersten drei Szenarien nur im Zeitraum nach 2020 (d.h. keine Änderung des Klimaziels für 2020).
     In einem vierten Szenario wird darüber hinaus untersucht, welchen Beitrag der Emissionshandel
     bereits vor 2020 durch eine höhere Minderungsleistung erbringen kann.

     Das übergeordnete Ziel aller Szenarien ist die Minderung der THG Emissionen der EU 27 um
     80 Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990 (wobei es sich um ein Mindestziel handelt). Szenario
     1 beschreibt den Status Quo ausgehend vom ETS und schreibt den linearen Kürzungsfaktor
     von 1,74 Prozent, wie er momentan in der EH-Richtlinie festgeschrieben ist, bis 2050 fort.
     Szenario 2 untersucht den Cap-Verlauf, wenn ETS und Nicht-ETS jeweils den gleichen jährlichen
     absoluten Minderungsbeitrag ab 2020 leisten. Szenario 3 beschreibt die nach der Klima-Roadmap
     kosteneffiziente Minderungsaufteilung von ETS und Nicht-ETS. Szenario 4 untersucht schließlich,
     wie die EU über eine Anhebung des linearen Kürzungsfaktors im ETS ab 20169 bis 2020 eine
     30-prozentige Minderung ihrer Emissionen erzielen könnte.

     Für eine Debatte von EU-Zielen, die in den internationalen Kontext eingebracht werden, müsste
     darüber hinaus eine Betrachtung zusätzlicher Minderungsanstrengungen außerhalb der EU mit
     entsprechenden Szenarien erfolgen. Insofern sind die hier folgenden Darstellungen nur bezogen
     auf eine interne EU-Sicht und erfassen nicht den ganzen Kontext möglicher Minderungsaktivitäten
     aus der EU heraus. Daher hat die Europäische Kommission neben dem Beteiligungsverfahren zum

     8     Bei den Kostenschätzungen handelt es sich immer um Zeitpunktbetrachtungen, hier von März 2011, die im Zuge der
           Verhandlungen um das Klimapaket 2030 aktualisiert werden müssten. So fordert auch das DIW eine aktualisierte
           Berechnung für das Grünbuch 2030 (Wochenbericht Nr. 29/2013).
     9     Eine rückwirkende Anhebung des Kürzungsfaktors ab 2013 ist unrealistisch. Angesichts der notwendigen politischen
           und gesetzgeberischen Prozesse gehen wir davon aus, dass 2016 das früheste mögliche Datum für eine Anpassung ist.

10       Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
Grünbuch auch ein weiteres Beteiligungsverfahren zu den internationalen Pflichten eingeleitet.
Interessant wäre folglich bei einer weiteren Analyse auch

▸▸ die Berücksichtigung von Netto-Transfers bei einem Linking verschiedener Systeme und
▸▸ die Anrechnung von Gutschriften und anderen Minderungsaktivitäten aus regionalen
   Emissionshandelssystemen, neuen Marktmechanismen oder sonstigen Maßnahmen.

2.2           Szenario 1: Status Quo
Wird der Minderungspfad des Emissionshandels durch das um 1,74 Prozent jährlich sinkende
Cap ab 2013 fortgeschrieben, so lassen sich die langfristigen Minderungsziele der EU nur durch
einen stärkeren Anteil der Nicht-ETS Sektoren an der Minderungsleistung erreichen. Die jährliche
Verringerung des Emissionsbudgets im Nicht-ETS-Bereich beträgt ab 2013 22 Mio. im Vergleich
zur jährlichen Minderung des ETS von 37,4 Mio. Ab 2020 müssten die Nicht-ETS-Sektoren bei
gleichbleibender jährlicher Minderung des ETS (37,4 Mio.) jährlich 70 Mio. und ab 2030 74 Mio.
mindern, um eine langfristige Minderung der Treibhausgasemissionen von 80 Prozent bis 2050
zu ermöglichen. Rund 60 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen 2050 wären dem ETS
zuzuschreiben und 40 Prozent den Nicht-ETS Sektoren (ein nahezu umgekehrtes Verhältnis zur
Aufteilung der Emissionen 2005).

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1000

   0
       2013                2018                  2023            2028                 2033            2038              2043               2048

              Szenario 1 - EU ETS - status quo           Szenario 1 - Nicht-ETS - status quo         Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

                                                             ETS                                                       Nicht-ETS
                                  2013-2020        2020-2030     2030-2040        2040-2050       2013-2020    2020-2030       2030-2040      2040-2050
Verringerung des
                                                            1.385                                                         2.336
Emissionsbudgets
 absolut                                   262             374             374              374        156             699            741           741
 jährlich                                 37.4            37.4            37.4             37.4         22              70             74            74
 ggü. Basis 2005                          21%             38%             54%              71%         10%             34%            59%           84%
LKF                                     1,74%           1,74%           1,74%            1,74%

Abbildung 3:           Szenario 1 - Fortlaufender Kürzungsfaktor von 1,74 Prozent im ETS; Nicht-ETS-Minderung
                       erhöht sich entsprechend der Langfrist-Ziele, Angaben in Mio. Tonnen CO2e

                               Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU                           11
2.3           Szenario 2: Gleicher Minderungsbeitrag von ETS und Nicht-ETS ab 2020
     Szenario 2 zeigt die Aufteilung bei Erreichen des 80-Prozent-Ziels mit gleichen absoluten jährlichen
     Minderungsbeiträgen des ETS und Nicht-ETS ab 2020 (d.h. gleicher absoluter Reduzierung der
     Emissionsbudgets). Ab 2020 müssten ETS und Nicht-ETS die Emissionen um jeweils 51 Mio. pro
     Jahr und ab 2030 57 Mio. pro Jahr mindern, um 2050 die Treibhausgasemissionen der EU 27 um
     80 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Der durchschnittliche lineare Kürzungsfaktor der ETS-
     Sektoren läge demnach bei 2,39 Prozent für den Zeitraum 2013-2050 oder 2,56 Prozent für 2020-
     2050. Im Vergleich zu Szenario 1 müsste der Emissionshandel in diesem Szenario deutlich mehr
     mindern. Der Anteil an den gesamten Treibhausgasemissionen 2050 läge bei ca.11 Prozent für den
     ETS und 89 Prozent für den Nicht-ETS.

     5000

     4000

     3000

     2000

     1000

        0
            2013               2018                    2023            2028                 2033              2038              2043              2048

              Szenario 2 - EU ETS - gleicher Beitrag          Szenario 2 - Nicht-ETS - gleicher Beitrag       Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

                                                                   ETS                                                        Nicht-ETS
                                      2013-2020          2020-2030      2030-2040        2040-2050        2013-2020   2020-2030        2030-2040      2040-2050
     Verringerung des
                                                                  1.913                                                          1.807
     Emissionsbudgets
       absolut                                  262              537             557               557         156            537             557            557
       jährlich                                  37               54              56                56          22             54              56             56
       ggü. Basis 2005                         21%              45%             70%               94%          10%            28%             47%            66%
     LKF                                     1,74%            2,49%           2,59%             2,59%
       durchschnittlich
                                                                  2,40%
       2013-2050
       durchschnittlich
                                                                  2,56%
       2020-2050

     Abbildung 4:          Szenario 2 - Gleicher jährlicher absoluter Minderungsbeitrag von ETS und Nicht-ETS ab 2020,
                           Angaben in Mio. Tonnen CO2e

12    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
2.4           Szenario 3: Kosteneffiziente Aufteilung der Minderungsleistung gemäß
              der Klima-Roadmap
Szenario 3 stellt die von der Europäischen Kommission als kosteneffizient bewertete Aufteilung
der Minderungsleistungen zwischen ETS- und Nicht-ETS-Sektoren dar. Die Kommission geht davon
aus, dass ein größerer Minderungsbeitrag des ETS im Vergleich zum Nicht-ETS auch nach 2020
kosteneffizient ist. Die Modellierung der Roadmap empfiehlt eine Minderung der ETS-Emissionen
um ca. 45 Prozent bis 2030 und ca. 90 Prozent bis 2050 (jeweils gegenüber 2005). Demgegenüber
müssten die Emissionen der Nicht-ETS-Sektoren bis 2030 um ca. 30 Prozent, bis 2050 um ca. 69
Prozent gemindert werden (ebenfalls gegenüber 2005). In diesem Szenario würden dem ETS 2050 ca.
20 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen und dem Nicht-ETS rund 80 Prozent zuzurechnen
sein.

Abbildung 5 zeigt deutlich, dass der aktuelle ETS-Kürzungsfaktor von 1,74 Prozent weit von dem
kosteneffizienten Pfad entfernt ist und dass im Jahrzehnt 2021-2030 deutlich mehr gemindert
werden müsste, um wieder auf den kosteneffizienten Pfad zu gelangen: Der lineare Kürzungsfaktor
müsste bis 2030 auf 2,51 Prozent jährlich ansteigen, um ab 2030 auf 2,35 Prozent zurückzugehen.

5000

4000

3000

2000

1000

   0
       2013                2018               2023                2028              2033                  2038                2043               2048

              Szenario 3 - EU ETS - nach Klima-Roadmap      Szenario 3 - Nicht-ETS - nach Klima-Roadmap          Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

                                                             ETS                                                             Nicht-ETS
                                  2013-2020      2020-2030        2030-2040       2040-2050      2013-2020           2020-2030       2030-2040      2040-2050
Verringerung des
                                                             1.814                                                              1.887
Emissionsbudgets
  absolut                                 262               540             506           506              156               587             572            572
  jährlich                                 37                54              51            51               22                59              57             57
  ggü. Basis 2005                        21%               45%             68%           90%               10%               30%             50%            69%
LKF                                    1,74%             2,51%           2,35%         2,35%
  durchschnittlich
                                                            2,28%
  2013-2050
  durchschnittlich
                                                            2,40%
  2020-2050

Abbildung 5:           Szenario 3 - Kosteneffiziente Aufteilung der Minderungsleistung gemäß der Klima-Roadmap (ETS-
                       Minderung bis 2050 um 90 % gegenüber 2005 , Nicht-ETS um 69 Prozent, ETS-Minderung bis
                       2030 um 45 Prozent, Nicht-ETS um 30 Prozent gegenüber 2005), Angaben in Mio. Tonnen CO2e

                              Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU                                    13
2.5       Auswirkungen des Szenarios 3 auf den Abbau der Überschüsse
     Die Abbildung 6 zeigt den Cap-Verlauf des Emissionshandels im Szenario der Europäischen
     Kommission mit einer Minderung der Emissionen um 45 Prozent bis 2030 auf Basis 2005. Die VET-
     Emissionen 2013 (verifizierte Emissionen) wurden anhand des Durchschnitts 2005-2012 geschätzt,
     und die angesammelten Überschüsse 2008-2012 betragen 1,7 Mrd. EUA. Werden die Emissionen
     konstant fortgeschrieben, so wären die Überschüsse 2022 abgebaut. Erwartet man jedoch einen
     Emissionsrückgang über den Zeitraum und nimmt man einen konstanten Rückgang von jährlich
     einem Prozent an, werden die Überschüsse merklich erst ab 2020 abgebaut und ab 2025 gänzlich aus
     dem Markt verschwinden.

     2500

     2000

     1500

     1000

      500

        0
            2013        2015           2017          2019     2021      2023            2025          2027             2029

                           ETS Cap (EU 27)                                Projektgutschriften

                           Überschuss bei Emissionsrückgang               Überschuss bei gleichbleibenden Emissionen

     Abbildung 6:     Abbau der Überschüsse in Szenario 3, Angaben in Mio. Tonnen CO2e

     Die großen Abweichungen zwischen Szenario 1 (Fortführen des 1,74-Prozent-Kürzungsfaktors) und
     dem von der Europäischen Kommission in der Klima-Roadmap vorgeschlagenen Szenario 3 deuten
     darauf hin, dass ein 40-Prozent-Ziel nicht mit einem unveränderten Kürzungsfaktor vereinbar ist, weil
     dies zu einer unverhältnismäßigen (und von der Kommission nicht als kosteneffizient gewerteten)
     Belastung der Nicht-ETS-Sektoren führen würde.
     Bei einer Annahme des 40-Prozent-Ziels für 2030 wäre daher unabhängig vom endgültigen Effort-
     Sharing-Verhältnis ein spätestens ab 2020 deutlich verschärfter Kürzungsfaktor für den EU-ETS zu
     erwarten. Eine frühzeitige Festlegung auf dieses Ziel würde somit bereits in der 3. Handelsperiode ein
     deutliches Knappheitssignal aussenden, auch wenn die Erarbeitung der konkreten Regelwerke, inkl.
     Festlegung der Caps für ETS und Nicht-ETS erst zum Ende der Handelsperiode erfolgen würde.

     Andererseits wird auch deutlich, dass die Anhebung des Kürzungsfaktors allein den ETS zwar auf den
     langfristigen Minderungspfad bringt, die Überschüsse jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt aus
     dem Markt beseitigt (je nach Annahme zur künftigen Emissionsentwicklung 2022 oder später). Dies
     kann dazu führen, dass z.B. aufgrund von Lock-in-Effekten die Vermeidungskosten nach Abbau der
     Überschüsse drastisch ansteigen.

14    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
2.6           Szenario 4: Die Krise nutzen - frühes Handeln bei der Minderung im
              EU-ETS (vor 2020)
Die bestehenden Überschüsse im System legen nahe, dass im EU-ETS kurzfristig, d.h. bis 2020,
deutlich mehr gemindert werden kann, als von der gegenwärtigen Gesetzgebung vorgesehen.
Auch die momentanen Emissionen der ETS-Sektoren zeigen deutlich, dass das 20-Prozent-Ziel
bereits heute fast erreicht ist. Das Erreichen eines 30-Prozent-Ziels bis 2020 ist nun zu niedrigeren
Kosten als ursprünglich angenommen möglich. Auch wenn sich mit der Veröffentlichung des
Grünbuchs der Fokus auf 2030 verschoben hat, soll ein 4. Szenario untersuchen, wie die EU 27 ihre
Treibhausgasemissionen bis 2020 um 30 Prozent reduzieren könnte, wenn das Ziel im ETS (also das
Cap) entsprechend angepasst wird ohne eine Änderung der nach ESD festgelegten Ziele der Nicht-
ETS- Sektoren.

5000

4000

3000

2000

1000

   0
       2013          2018               2023                 2028             2033              2038                 2043             2048

                      EU ETS bei Minderungsziel 30 % bis 2020                          Szenario 1 - EU ETS - status quo

                      Szenario 4 - EU ETS - ambitioniert ab 2016                       Zielpfad Klima-Roadmap (EU 27) 80 % bis 2050

                                2013      2014        2015          2016    2017     2018       2019        2020          2030     2040      2050
Verringerung des Emissionsbudgets
Szenario 1 - Status quo
  jährlich                                  37,4        37,4         37,4     37,4     37,4       37,4        37,4          37,4     37,4      37,4
  ggü. 2005                       9%        11%         13%          14%      16%      18%        19%         21%           38%      54%       71%
  LKF                                     1,74%       1,74%        1,74%    1,74%    1,74%      1,74%       1,74%         1,74%    1,74%     1,74%
Szenario 4 - ETS ambitioniert
  jährlich                                  37,4        37,4        140,6   140,6     140,6      140,6       140,6          34,6     34,6      34,6
  ggü. Basis 2005                 9%        11%         13%          19%     25%       31%        38%         44%           59%      75%       90%
  LKF                                     1,74%       1,74%        6,53%     6,53    6,53%      6,53%       6,53%         1,61%    1,61%     1,61%

Abbildung 7:        ETS ambitioniert - ETS leistet die zusätzliche Minderung zur Erreichung des 30-Prozent-Ziels
                    allein, Angaben in Mio. Tonnen CO2e

                            Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU                          15
Zwei Möglichkeiten sind grundsätzlich denkbar. Entweder wird das Cap rückwirkend von 2013-2020
     reduziert, oder die Cap-Reduzierung beginnt zu einem späteren Zeitpunkt. Im ersten Fall würde dies
     für den ETS bedeuten, dass der lineare Kürzungsfaktor von 1,74 Prozent pro Jahr auf 4,14 Prozent pro
     Jahr angehoben werden müsste (geltend für den Zeitraum 2013-2020)10. Zu prüfen wäre, inwieweit
     eine rückwirkende Änderung rechtlich überhaupt zulässig ist. Fraglich wäre auch die politische
     Durchsetzbarkeit eines solchen Szenarios.

     Um ein realistischeres Erreichen des 30-Prozent-Ziels zu gestalten, fokussiert die Betrachtung
     im folgenden auf einem Szenario in dem die Minderung daher erst 2016, also ab der Mitte der
     dritten Handelsperiode, angehoben wird. Es wird dadurch veranschaulicht, dass die EU durch eine
     frühzeitige Anhebung des Ambitionsniveaus im ETS, das aufgrund der vorhandenen Überschüsse mit
     nur geringfügiger zusätzlicher Belastung für die Unternehmen einhergehen würde, ein 30-Prozent-
     Ziel erreichen könnte und somit ihre Rolle als Vorreiter für den internationalen Klimaschutz
     wiedergewinnen und sich dem langfristigen Minderungspfad der Klima-Roadmap annähern könnte.

     Szenario 4 kommt zu dem Ergebnis, dass im EU-ETS die Minderung zwischen 2013 und 2020
     deutlich mehr, nämlich 1,55 Mrd. t CO2, als im Szenario 1 (Status Quo) beträgt. Die jährliche
     Minderungsmenge wäre in den Jahren 2016-2020 mit rund 141 Mio. knapp viermal so hoch wie
     zurzeit (37,4 Mio.). Angesichts der bestehenden Überschüsse von gegenwärtig knapp 2 Mrd.11
     sowie dem in der 3. Handelsperiode noch zur Verfügung stehenden Kontingent für die Nutzung von
     Projektgutschriften (ca. 75 Mio. pro Jahr) scheint dieses Ambitionsniveau aber durchaus erreichbar
     und angemessen.

     Bemerkenswert an diesem Szenario ist, dass nach 2020 die jährliche Minderungsleistung zur
     Erreichung des Langfristziels wieder spürbar abnimmt und auf einem ähnlichen Niveau als
     dem gegenwärtigen läge (35 Mio. pro Jahr, was einem linearen Kürzungsfaktor von 1,61 Prozent
     entspräche). Ein höheres, wegen der angesammelten Überschüsse aber leistbares Ambitionsniveau
     würde die Anstrengungen nach 2020 demnach erleichtern.

     Szenario 4 zeigt, dass das Minderungsziel von 30 Prozent bis 2020 innerhalb der ETS-Sektoren
     erfüllt werden könnte, da die zusätzliche Minderung weniger als den gegenwärtigen Überschüssen
     entspricht. Außerdem würde dieses Szenario den ETS dem langfristigen Minderungspfad der
     Klima-Roadmap näher bringen. Die Anhebung des Ambitionsniveaus kann zu geringeren Kosten
     als ursprünglich erwartet, erreicht werden und verhindert, dass in späteren Jahren drastische
     Minderungen erfolgen müssen. Darüber hinaus ist bei einem frühen Handeln die kumulierte
     Minderung über den Zeitraum 2013-2050 deutlich größer als bei einer späteren Anhebung der
     Minderungsleistung.

     3       VORSCHLÄGE ZUR REFORM DES EU-ETS VOR 2020
     Der im November 2012 vorgelegte Backloading-Vorschlag (Verschiebung der Versteigerung von 900
     Mio. EUA ans Ende der 3. Handelsperiode) ist als Maßnahme und politisches Signal gedacht, um
     kurzfristig wieder das Vertrauen in den ETS herzustellen und die vermehrt in den Markt gebrachten
     Zertifikatemengen 2012/2013 gleichmäßiger über den Zeitraum zu verteilen. Die Auswirkungen einer
     lediglich zeitlichen Verschiebung von Auktionsmengen auf den Preis, ohne dauerhafte Stilllegung
     der Zertifikate, dürften eher moderat sein, da die Zertifikatemengen bereits innerhalb der 3.
     Handelsperiode wieder in den Markt gegeben werden.

     10 Das Cap 2013 läge bereits 112 Mio. EUA niedriger als im Status Quo angesetzt.
     11 Die Differenz zwischen verfügbaren Emissionsberechtigungen und abgegebenen Projektgutschriften (EUA-2. HP plus
        CER/ERU) auf der einen und den verifizierten Emissionen (VET) auf der anderen Seite beträgt ca. 1,7 Mrd. EUA. Zusätzlich
        wurden in 2012 knapp 300 Mio. EUA-3. HP versteigert (Early Auctions und Versteigerungen aus der NER300), so dass die
        Überschüsse gegenwärtig rund 2 Mrd. betragen. Dieser Wert wird auch von der Europäischen Kommission kommuniziert.

16    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
Die Diskussion zur Reaktivierung des ETS wird sich daher verstärkt auf die strukturellen Maßnahmen
konzentrieren. Bei diesen lassen sich unterscheiden:

▸▸ Maßnahmen zum Abbau der angesammelten Überschüsse – prinzipiell immer noch im Laufe der
   3. Handelsperiode möglich
▸▸ Maßnahmen zur dauerhaften Stabilisierung des Systems (Vermeidung des Aufbaus von
   Überschüssen) – möglich erst ab der 4. Handelsperiode
Zu den erstgenannten Maßnahmen gehören das so genannte Set-aside (dauerhafte Stilllegung
von Zertifikaten), eine Verschärfung des Klimaziels für 2020 auf 30 Prozent und eine vorzeitige
Anpassung des linearen Kürzungsfaktors.
Ein Set-aside würde die Überschüsse auf dem Markt oder Teile davon am schnellsten abbauen
und wäre sicher eine geeignete Maßnahme. Bei dem modifizierten Backloading-Vorschlag von Juli
bzw. November 2013 bleibt eine endgültige Löschung der Backloading-Menge weiterhin denkbar. Die
Backloading-Entscheidung kann daher auch als erster Schritt zur Einleitung weiterer struktureller
Maßnahmen verstanden werden. Ein Beispiel dafür, wie ein Set-aside in der Praxis umgesetzt
werden kann bzw. wie aufgelaufene Überschüsse aus dem Markt genommen werden können, sind
die im Februar 2013 beschlossenen Reformmaßnahmen im RGGI-System (Regional Greenhouse Gas
Initiative) im Nordosten der USA (vgl. Abschnitt 4.4).

Auch eine Verschärfung des Klimaziels bis 2020 ist derzeit zwar eher unwahrscheinlich12, könnte
aber im Zuge der Überprüfung der Kyoto-Minderungsverpflichtungen bis Mitte 2014 noch zum Tragen
kommen, und wäre – wie die Ausführungen zu Szenario 4 in Abschnitt 2 zeigen – innerhalb der ETS-
Sektoren leistbar, da die Überschüsse aus der 2. Handelsperiode die zusätzliche Belastung abmildern
würden. Eine alleinige Verschärfung des Klimaziels mit entsprechender Reduzierung des Caps im
Emissionshandel würde allerdings erst nach 2020 zu einer Beseitigung der Überschüsse führen (vgl.
Abbildung 6 sowie Öko-Institut 2012).

Prinzipiell denkbar wäre außerdem im Kontext der Verhandlungen um das Klimapaket 2030 eine
Erhöhung des linearen Kürzungsfaktors für den ETS auf z.B. 2,35 Prozent bereits ab 2016, um den
ETS frühzeitig auf den mittel- und langfristigen Minderungspfad zu bringen und größere Sprünge im
Minderungspfad und technologische Lock-in- Effekte zu vermeiden (vgl. Szenario 3, Abschnitt 2).

4     Vorschläge zur Reform des ETS ab 2020
Die Vorschläge der Europäischen Kommission in ihrem so genannten Carbon Market Report zielen
prioritär auf Maßnahmen, die noch in der 3. Handelsperiode, also vor 2020, Wirkung zeigen. Die
Vorschläge, die erst in der 4. Handelsperiode umgesetzt werden können, werden daher nur sehr
allgemein erläutert. Die Vorschläge sind mit weitreichenden und grundsätzlichen Eingriffen in den
EU-ETS verbunden, deren Ausgestaltung und Auswirkungen derzeit noch ziemlich unklar sind und
weiter untersucht werden müssten.

4.1       Ausweitung des EU-ETS auf andere Sektoren
Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Ausweitung des ETS auf andere Sektoren ist sehr
unbestimmt und nennt beispielsweise nicht, welche Sektoren mit einbezogen werden sollten, z.B.
Verkehr, Gebäude, Gewerbe oder Landwirtschaft. Allerdings bezieht sich der Vorschlag auf die
energie- bzw. brennstoffbezogenen Emissionen, so dass vorrangig vermutlich die Sektoren Verkehr
und Gebäude in Betracht kommen.

12 Generaldirektor Jos Delbeke, Generaldirektion Klimapolitik der Europäischen Kommission, hat nach einer Meldung des
   Branchendienstes Point Carbon vom 19.04.2013 eine Verschärfung des Klimaziels für 2020 ebenso ausgeschlossen wie
   eine Erweiterung des ETS auf andere Sektoren vor 2020.

                      Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU   17
Auch die Ausgestaltung wie z.B. die Frage, ob die Emissionen downstream (also anlagenbezogen)
     oder upstream (also ansetzend bei den Brennstoffverkäufern) einbezogen werden sollen, bleibt offen.

     Verschiedene Gründe können für die Einbeziehung weiterer Sektoren in den Emissionshandel
     sprechen:

     ▸▸ Sektoren wie Verkehr, Gebäude oder Landwirtschaft sind weniger konjunkturabhängigen
        Schwankungen unterworfen13 als die ETS-Sektoren Energie und Industrie. Die Einbeziehung dieser
        weniger konjunkturanfälligen Sektoren würde den ETS insgesamt daher weniger anfällig für
        konjunkturbedingte Schwankungen machen.
     ▸▸ Theoretisch führt ein größerer Anwendungsbereich zu einer insgesamt höheren Effizienz, da
        grundsätzlich zuerst die kostengünstigsten Vermeidungsmaßnahmen durchgeführt werden.
     ▸▸ Zumindest Verkehr und Gebäude sind weniger Carbon-Leakage-gefährdet als die gegenwärtigen
        ETS-Sektoren.
     ▸▸ Sektoren wie Verkehr und Gebäude sind wesentliche Emittenten, im Verkehr sogar mit wachsender
        Bedeutung.
     ▸▸ Der Schienenverkehr ist – neben dem Luftverkehr – bereits in den Emissionshandel einbezogen
        und ist somit im Modal Split (in der Verteilung des Transportaufkommens auf die verschiedenen
        Verkehrsmittel) gegenüber dem nicht elektrisch betriebenen Verkehr benachteiligt.
     ▸▸ Andere Emissionshandelssysteme beziehen weitere Sektoren mit ein, so dass bereits erste
        Erfahrungen vorliegen.14 Auch einige EU-Mitgliedsstaaten, z.B. Polen, haben sich in der
        Vergangenheit für den Einbezug des Verkehrssektors in den ETS stark gemacht.15
     Das Umweltbundesamt (UBA) sieht die Einbeziehung weiterer Sektoren in den EU-ETS
     derzeit jedoch eher kritisch. Die Publikation „Klimaschutz und Emissionshandel in der
     Landwirtschaft“ (2013) sieht allenfalls langfristig eine Option zum Einbezug der Landwirtschaft
     in den Emissionshandel, auf absehbare Zeit seien aber andere Instrumente geeigneter, um die
     Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft zu senken.

     Ein laufendes Forschungsvorhaben „Ausweitung des Emissionshandels auf neue Sektoren und
     Kleinemittenten“ (FKZ 3710 41 129) bewertet insbesondere die Einbeziehung des Verkehrs- und
     Gebäudesektors über ein Upstream-System derzeit eher kritisch, da in diesen Sektoren hohe
     Vermeidungskosten bei vergleichsweise niedrigen Preiselastizitäten vorliegen. Dies bedeutet, dass
     selbst hohe CO2-Preise nur zu geringfügigen Minderungen in diesen Sektoren führen würden.
     Für die „klassischen“ ETS-Sektoren hätte dies höhere Zertifikatspreise und entsprechend höhere
     Minderungsbeiträge zur Folge, was zu Diskussionen über die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den
     Sektoren führen könnte und dazu, dass möglicherweise Vermeidungsanstrengungen in den anderen
     Sektoren konterkariert würden, weil die Minderungen mit billigeren ETS-Zertifikaten erfüllt werden
     könnten (PBL Netherlands Environmental Agency 2013).

     13 Dafür würden andere Schwankungen, wie z.B. das Wetter, die Höhe der Emissionen beeinflussen.
     14 Beispiele: Kalifornien bezieht ab 2015 über einen Upstream-Ansatz auch Gas- und Öllieferanten in sein
        Emissionshandelssystem ein, also potenziell den Gebäude- und Verkehrssektor; Australien bezieht Gaslieferanten
        mit ein und Öllieferanten auf freiwilliger Basis (als Alternative zur Zahlung der Brennstoffsteuer). In Tokyo ist der
        Gebäudesektor mit einbezogen.
     15 So in einem nicht veröffentlichten Argumentationspapier „Future of the ETS up to 2030“ von April 2012.

18    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
4.2       Weitere Beschränkung der Zulassung von Offsets
Die im Zeitraum 2008-2012 im Vergleich zu einigen jüngeren Emissionshandelssystemen noch
hohe Quote16 für die Zulassung von Projektgutschriften aus den Kyoto-Mechanismen (so genannte
Offsets) sowie das große Angebot von Kompensationsprojekten mit in Folge sehr niedrigen Preisen für
Zertifikate aus CDM- und JI-Projekten (eine CER kostete 2013 weniger als 0,4 Euro, eine ERU weniger
als 0,2 Euro) haben wesentlich zu der Nutzung von Gutschriften im EU-ETS in der 2. Handelsperiode
beigetragen. Allerdings sind für den Zeitraum 2013-2020 nur sehr geringe weitere potenzielle
Offset-Mengen zugelassen, so dass sich für den Zeitraum 2008-2020 EU-weit eine maximal mögliche
Offset-Quote von ca. 6,6 Prozent bezogen auf das Gesamt-Cap ergibt.17 Während einige Autoren die
Nutzung von Gutschriften als wesentlichen Grund für die Überschüsse im EU-ETS ansehen (z.B.
Matthes/Herrmann 2012) und auch die Europäische Kommission den Kyoto-Mechanismen eine
wesentliche Rolle bei dem Aufbau der Überschüsse zuschreibt, sind die Überschüsse letztlich vor
allem dem wenig ambitionierten Cap und der noch immer andauernden Wirtschafts- und Finanzkrise
geschuldet. Während die Flexibilität über eine großzügige Zulassung von Projektgutschriften
durchaus gewollt war, so wurde die Wirkung der Gutschriften als faktische Erweiterung des Caps
nicht hinreichend geprüft. Die Kommission schlägt u.a. vor, ab der 4. Handelsperiode internationale
Zertifikate nur noch beschränkt oder gar nicht mehr zuzulassen. Damit sollen die Anreize für
Minderungen innerhalb der EU gestärkt werden. Abzuwägen ist dies gegen die Rolle marktbasierter
Mechanismen für das internationale Klimaregime (insbesondere marktbasierte Finanzierungsbeiträge
zum Klimaschutz sowie so genannte Co-benefits wie nachhaltige Entwicklung, Technologietransfer,
Kapazitätsbildung).

Von der Kommission wird auch empfohlen, dass die Zulassung von Offsets an die Preisentwicklung
bzw. an einen Mechanismus zur Angebotssteuerung geknüpft wird und somit die Preis dämpfende
Funktion von Offsets bei hoher Nachfrage nach Emissionsrechten bewahrt wird, ohne bei schwacher
Nachfrage zu Überschüssen zu führen. Dabei stellt die Kommission auch eine Verbindung zu den
Klimaverhandlungen her: Im Falle günstiger Rahmenbedingungen, z.B. nach Abschluss eines
internationalen Abkommens mit Minderungsverpflichtungen für alle großen Emittenten, könnte
das Cap im EU-ETS gesenkt werden und gleichzeitig zur Preisdämpfung wieder für die Nutzung
von Offsets geöffnet werden. Großbritannien hat im Kontext der Diskussion um das Grünbuch zum
Energie- und Klimapaket 2030 ein derartiges Vorgehen vorgeschlagen, indem das 40-Prozent-Ziel der
EU für interne Minderungen bis 2030 auf 50 Prozent angehoben werden soll, wenn ein ambitioniertes
globales Klimaabkommen zustande kommt.18

Die Zulassung von Offsets muss auch im Hinblick auf die Zieldefinition und -erreichung gesehen
werden: Das für 2050 gesetzte Minderungsziel von 80 Prozent gegenüber 1990 ist ein internes Ziel,
d.h. die Minderungen müssen innerhalb der EU erfolgen (vgl. Low Carbon Roadmap). Gleiches gilt für
das 2030 avisierte Zwischenziel von 40 Prozent. Eine Zulassung von externen Gutschriften müsste
demzufolge mit einem schärferen Ziel verbunden werden, um sich nicht wieder vom Zielpfad der
Klima-Roadmap – 80 Prozent interne Minderung gegenüber 1990 – zu entfernen.

16 Die Nutzung von Projektgutschriften ist generell in der EHRL auf 50 Prozent der Minderungsleistung 2008-2020 begrenzt.
   Für Anlagenbetreiber gelten unterschiedliche Quoten: Betreiber von Bestandsanlagen können im Zeitraum 2008-2020
   Projektgutschriften in Höhe von zwischen elf und 22 Prozent (national unterschiedliche Quoten, ab 2013 mind. elf
   Prozent, durchschnittlich 15 Prozent) ihrer Zuteilungsmenge 2008-2012 einsetzen. Für Neuanlagen gilt eine Quote von
   4,5 Prozent ihrer jährlichen Emissionen. Allerdings hat Australien ebenfalls eine recht großzügige Quote von 50 Prozent
   bezogen auf die Emissionsmengen vorgesehen (die sich beim Verbinden mit der EU auf 12,5 Prozent reduziert).
17 Im Zeitraum 2008-2020 beträgt die Offset-Quote bezogen auf das Gesamt- Cap durchschnittlich ca. 6,6 Prozent (max.
   ca. 1,7 Mrd. bezogen auf ein EU-ETS-Cap von 25,7 Mrd. (ca. 10,4 Mrd. in der zweiten Handelsperiode zuzüglich ca. 15,3
   Mrd. in der dritten Handelsperiode).
18 Presseerklärung des DECC vom 28.05.2013 https://www.gov.uk/government/news/uk-urges-europe-on-50-ambition-on-
   emissions-reductions

                       Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU      19
Grundsätzlich ist der Vorschlag der Europäischen Kommission, die Nutzung von
     Kompensationsmechanismen ab der 4. Handelsperiode neu zu strukturieren, daher bedenkenswert.

     Ein vollständiger Verzicht auf Kompensationsmechanismen – auch in Verbindung mit
     Nettominderungen, wie derzeit im Rahmen des Neuen Marktmechanismus gefordert – scheint
     jedoch wenig sinnvoll. Denn Schwellen- und Entwicklungsländer knüpfen die Frage von
     eigenen Klimaschutzverpflichtungen an die Zusage von Finanztransfers für Investitionen in
     Minderungstechnologien, die auch oder sogar vor allem aus dem Privatsektor kommen müssen. Auf
     der anderen Seite fordern die europäischen Teilnehmer am Emissionshandel einen Ausgleich über
     kostengünstigere Minderungsmaßnahmen in Drittländern, um Wettbewerbsverzerrungen in Bezug
     auf die CO2-Kosten abzumildern.

     Allerdings ist zu erwarten, dass nach 2020 eine Reihe von Schwellenländern
     Emissionshandelssysteme etabliert haben (möglicherweise auf einzelne Sektoren beschränkt),
     so dass anstelle der projektbasierten Kompensationsmechanismen von heute oder auch der
     diskutierten sektoralen Marktmechanismen ein vollständiges oder partielles Linking von
     Emissionshandelssystemen in Industrie- mit denen in Schwellenländern wie z. B. China, Südkorea
     oder südamerikanischen „Pionieren“ (Brasilien? Chile?) treten kann. Dann wäre zumindest bei
     diesen Ländern Offsetting ein Teilaspekt von einem zusammenwachsenden Kohlenstoffmarkt mit
     verschiedenen selbstständigen, aber miteinander verlinkten Emissionshandelssystemen.
     Die Herausforderung für die 4. Handelsperiode wird daher sein, die Flexibilitätsmechanismen
     des EU-ETS und die Anknüpfmöglichkeit für andere Emissionshandelssysteme zu bewahren und
     anderseits sicherzustellen, dass die EU eine 40-prozentige Minderung bis 2030 intern erreicht.
     Für das Cap und die Budgets für den Nicht-ETS-Bereich müssen dementsprechend schärfere interne
     Mengenvorgaben gesetzt werden.

     Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Nutzung von Offsets (oder von
     Emissionsberechtigungen aus anderen Systemen) weder die internen Ziele noch die dafür
     erforderliche Anreizwirkung aushöhlt, sondern zu ambitionierten eigenen Zielen hinzutritt.

     4.3       Preisbasierte Angebotssteuerung
     In der Diskussion um die strukturellen Maßnahmen zur Reform des EU-ETS genießen die
     Vorschläge der Europäischen Kommission, einen Preismanagement-Mechanismus zur Reduzierung
     von Preisschwankungen und zur Vermeidung von Preisabstürzen einzuführen, besondere
     Aufmerksamkeit (vgl. auch die Diskussion in der Stakeholder-Beteiligung der Kommission am
     01.03.2013). Diskutiert werden insbesondere ein Mindestpreis bei den Versteigerungen und eine
     Preismanagement-Reserve, die bei Unterschreiten einer festzulegenden Preisgrenze eine bestimmte
     Menge in eine Reserve überführt, bei Überschreiten einer festzulegenden Preisobergrenze diese
     Mengen wieder freigibt.19 Einen derartigen Mechanismus gibt es beispielsweise im Emissionshandel
     in Kalifornien/Quebec sowie im nordamerikanischen RGGI-System.

     Für die Einführung eines Mindestpreises oder eines Preismanagement-Mechanismus spricht, dass
     ein Mindestpreis die Unsicherheit bezüglich des Zertifikatspreises mindern und somit dazu beitragen
     würde, die für Investitionen in klimafreundliche Technologien erforderliche Planungssicherheit
     herzustellen (vgl. auch PBL 2013). In Phasen unerwartet ausbleibender Nachfrage würde ein
     Mindestpreis sofort greifen, während eine Ex-post-Anpassung des Caps oder eine mengenorientierte
     Angebotssteuerung (vgl. 4.4) nur mit einer zeitlichen Verzögerung erfolgen kann.

     19 Der hier diskutierte Mindestpreis bei den Versteigerungen darf nicht verwechselt werden mit einer steuerähnlichen CO2-
        Abgabe, wie sie im April 2013 in Großbritannien eingeführt wurde, vgl. Abschnitt 5. Während ein Auktionsreservepreis
        bei Unterschreiten der Preisgrenze das Angebot verknappt, wirkt eine derartige Abgabe nicht auf das Angebot, sondern
        auf die Nachfrage nach Emissionsberechtigungen.

20    Die Reform des Emissionshandels im Kontext der mittel- und langfristigen Klimaschutzziele der EU
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