Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit: Professionstheoretische Annäherung Perspektiven für die Praxis
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Klinische Sozialarbeit als Fachsozialarbeit: Professionstheoretische Annäherung Perspektiven für die Praxis Prof. Dr. Silke Birgitta Gahleitner - www.gahleitner.net
Was erwartet Sie … 1. Klinische Sozialarbeit: Ein Beispiel 2. Klinische Sozialarbeit: Entstehung 3. Klinische Sozialarbeit: State of the Art
Wo sind wir … 1. Klinische Sozialarbeit: Ein Beispiel 2. Klinische Sozialarbeit: Entstehung 3. Klinische Sozialarbeit: State of the Art
Zum Beispiel Trauma Fachkräfte der Sozialen Arbeit … sind großflächig mit der Versorgung traumatisierter KlientInnen betraut zeigen im Traumabereich geballte Berufserfahrung und komplexe Wissensbestände haben jedoch häufig ein anderes Selbst- und Fremdverständnis
Interviews mit Fachkräften „Traumata an sich wurden hier von uns aus nicht bearbeitet, … weil das ist einfach auch nicht so unser Setting, dafür sind wir auch nicht ausgebildet“ (Herr A.) „Hier herrscht eine hohe Fachlichkeit … kein Fall … gleicht dem anderen, weil die Hintergründe für Kindesvernachlässigung, Kindesmisshandlung, kindeswohlgefährdene Situationen mannigfaltig sind, multikomplex … “ (Herr B.)
Defizit im Selbstverständnis Defizit nicht in fehlender Handungskompetenz, sondern fehlendem klinischen Hintergrundwissen und Selbstverständnis Klinische, also traumabegleitende und traumabearbeitende Anteile werden nicht wahrgenommen und wertgeschätzt klinischer Part wird anderen Berufsgruppen zugewiesen ⇒Interviews mit Betroffenen
KATA-TWG-Studie Geschlecht m‰nnlich 42.1% 57.9% Stichproben- beschreibung weiblich Migration Altersverteilung Zusammenfassung: 60 ohne M = 17.1 76.4% MD = Frequency 40 17.2 SD = 1.7 23.6% 20 mit 0 14 16 18 20 22 Alter in Jahren
Hypothesen aus den Interviews I. TWGs behandeln Jugendliche mit komplexen Problemlagen II. Basisbestandteil des ‚Therapeutischen Milieus’ ist die Alltagsarbeit, Bindungs– und Beziehungarbeit stellt die Kernkompetenz dar, Strukturgebung bietet das fundamentales Gegenüber dazu III. Therapie, Elternarbeit und geglückte Vernetzung bieten die Chance, Veränderungsprozesse aus dem geschützten Raum in den Lebensalltag zu befördern IV. Qualifikationsprofil von TWGs: Beziehungs-, Fach- und Systemkompetenz sowie personelle, disziplinäre und methodische Vielfalt im Team V. Risiken und Nebenwirkungen: nicht zu verhindern, aber zu bedenken
Was wirkt … … ist das unmittelbare und im Alltag stattfindende umfassende Betreuungsangebot als „Basis des Therapeutischen Milieus“ „Sie waren halt … für einen da … mit denen man sich auch normal unterhalten konnte, was ich dann auch fast ein bisschen komisch fand, schwer für mich anzunehmen … aber das macht es dann auch aus … “ (Bewohner Claus) „Das Pädagogische halt war sehr im Alltag gewesen und ein Vorteil, weil die haben mit mir dann halt tagtäglich umgehen … müssen, und ich habe mich dadurch ja auch selbst kennen gelernt und gemeinsam auch Lösungen gefunden, in bestimmten Situationen zu reagieren.“ (Bewohnerin Bettina)
Was wirkt … … ist professionelle Bindungs- und Beziehungsarbeit als Kernkompetenz zur Gestaltung des ‚Therapeutischen Milieus’, durch welches hindurch die Arbeit inmitten des Alltags geschieht „So haben wir unser Angebot auch extra gestrickt, auch mit diesem Bezugsbetereuungssystem … also auch so`n Stück nachbeeltert werden und korrigierende Beziehungserfahrungen machen können … das ist eine große Ressource, die wir bieten, die Bezugsbetreuung, die also schon sehr individuell dann auch arbeitet“ (Betreuerin Charlotte)
Was wirkt … … ist angemessene Strukturgebung – sie bietet als fundamentales Gegenüber den notwendigen Sozialisationsrahmen „Und dadurch dass ich dort diesen Rahmen hatte, wo ich mich ständig überwinden musste, irgendwas erledigen musste, irgendwo hinfahren musste, irgendwelche Verpflichtungen, fiel es mir dann auch leichter mit der Schule, …die ich irgendwie dann genauso gehandhabt habe“ (Bewohner Claus) „ … ah da kuckt einer auf mich haargenau, man kriegt dann auch Vertrauen … “ (Bewohner Dirk)
Was wirkt … … ist Therapie - eingebettet in den Gesamt-Kontext - mit den Eltern wie deren Kindern, mit der Chance Veränderungsprozesse aus dem geschützten Raum sorgsam in den Lebensalltag zu befördern „Es kommt meistens charaktermäßig an … da wo die Jungs dann einmal wöchentlich runter gehen und mit dem Psychotherapeuten dann kucken, ob`s gut geht. Und der arbeitet dann auch mit ihnen diese Vergangenheit auf und verarbeitet sie dann auch mit ihnen. Und das ist praktisch ’ne Unterstützungsleistung. ja. Dadurch meinte ich: gut machst das mal, probierst es“ (Bewohner Dirk)
Was wirkt … … ist eine Berücksichtigung dyadischer und systemischer Aspekte für das Gelingen von Hilfeprozessen in der stationären Jugendhilfe „Das, was mir geholfen hat, ist, glaube ich, so ein Netz aus Klinik, WG und Schule gewesen … also die drei Faktoren mussten zusammen wirken. Ich bin damals auf ein Betreuerteam von sechs Personen gestoßen … und es war deutlich, es war ein Team, es war eine Linie … egal wen man anspricht … man war schnell aufgehoben … und ich hatte auch ganz schnell zwei Bezugsbetreuer, … zu denen man so einen persönlichen Bezug hat … das … sind halt viele kleine Sachen, die sich so verknüpfen … so war das dann alles so ein bisschen verbunden, Therapie, WG und Schule“ (Bewohnerin Felicitas).
Interdisziplinäres Arbeiten (Monika Fey, 2010)
Wo sind wir … 1. Klinische Sozialarbeit: Ein Beispiel 2. Klinische Sozialarbeit: Entstehung 3. Klinische Sozialarbeit: State of the Art
Soziale Arbeit und Gesundheit? Unabhängig vom Reichtum eines Landes, abhängig von der herrschenden Ungleichheit in einer Gesellschaft, steigt die Krankheits- und Mortalitätsrate
Center for Disease Control Was bewirkt vorzeitige Sterblichkeit? 20 % biologische Prädisposition 20 % Umwelt (physische, chemische) 10 % Krankheiten 50 % Lebensweisen (CDC 1984, zit. n. Schmid, 2009)
WHO ‚treatment gap‘ Berichte der WHO (1946-2001) zeigen auf: psychosoziale Faktoren als wichtigen Mediator zwischen Benachteiligung und Gesundheit (vgl. auch Mielck, 2005) Versorgungs-Defizite auf Seiten der sozialen Komponente (vgl. auch Homfeldt & Sting, 2006) Entwicklung von adäquaten Versorgungsformen nötig (vgl. auch Großmaß, 2006; Pauls, 2004)
Bifokale Versorgung (Pauls, 2004, 2008)
Adäquate Unterstützung … bzgl. Gesundheit und … in der jeweiligen Krankheit Lebenssituation muss effektiv in den verschiedenen eine Verbesserung der Dimensionen des psychosozialen Passung menschlichen unterstützen: Lebens in der vorhandenen gesellschaftlichen Chancenstruktur
Historie 1998: Themenheft 'Klinische Sozialarbeit' (BdW) 2000: DGS-Symposion und DVSK-Bundeskongress 2001: Gründung der Zentralstelle ZKS; Fachartikel 2002: Sammelbände Dörr und Gödecker-Geenen/Nau 2003: Gründung der Sektion KlinSA; Studiengänge KlinSA 2004: Lehrbuch Pauls; weitere Monographien und Reader 2005: Start der Fachzeitschrift 'Klinische Sozialarbeit‘ 2006: Forschungsprojekte; Online-Publikationen 2007: European Center for Clinical Social Work ECCSW 2008: Start der Jahrbücher ‚Klinische Sozialarbeit‘
Ursprüngliche Historie 1920: Richmond, Wronsky, Salomon etc. (case work) NATIONALSOZIALISMUS 1960: Clinical Social Work - Antwort auf Prozesse (USA) 1968: Abgrenzung der Sozialen Arbeit von klin. Disziplinen 1970: Spaltung in „people helper“ und „society changer “ (USA) 1978: CSW eigene Profession (größte Gruppe in den USA) „Facing the risk of disqualification, the clinical social work movement came into being and gave rise to a national professional association. Since that time, clinical social workers have been united by the goal to achieve equal standing with doctors and psychologists through high quality standards in the health system.“ (Graziano 2006, S. 8)
Wo sind wir … 1. Klinische Sozialarbeit: Ein Beispiel 2. Klinische Sozialarbeit: Entstehung 3. Klinische Sozialarbeit: State of the Art
Klinische Sozialarbeit … entwickelt konstruktive Veränderungsimpulse für traumatisierte Kinder und Jugendliche im Kontext ihrer Umfeld- und Lebensbedingungen Versteht komplexe Traumafolgestörungen als im Wesentlichen kumulativ, biografisch und in soziokulturellen Milieus verankert widmet sich insbesondere schwer erreichbaren KlietnInnen in Multiproblemsituationen entwirft dialogische Hilfeformen sowie geeignete Settings zum Abbau bio-psycho-sozial bedingter Problemlagen (Pauls & Mühlum, 2005; Gahleitner & Hahn, 2008, 2009, 2010; Pauls, 2004)
Arbeitsfelder: Beispiele ambulante Beratungsstellen Familien-, Kinder- und Jugendhilfe Fach-, Akut- und Rehakrankenhäuser Psychiatrie Altenarbeit und Gerontopsychiatrie ambulante und stationäre Suchthilfe Resozialisierung und Gefährdetenhilfe (Pauls, 2004)
Zusammenfassend … … sozial bedingte und sozial relevante chronische Belastungszustände …
Methodik (Sommerfeld et al., 2011)
I. Diagnostisch ‚Fälle‘ verstehen 1. operationalisierbare Diagnostik 2. biographische Diagnostik (rekonstruktiv) 3. Sozial- und Lebenswelt-Diagnostik (Passung) Biopsychosoziale Diagnose (mehrdimensionale Problem- und Ressourcenmatrix) (zum konkreten Vorgehen Gahleitner & Pauls, i. D.)
Ergebnis (Pauls, 2004, 2011)
Anforderungen an Diagnostik Soziale Diagnostik sollte: (1) … Komplexität und Strukturierung ermöglichen (2) … (Nicht-)Intervention fachlich begründen (3) … sich an Fragen der Inklusion orientieren (4) … Selbstaneignungsprozesse fördern (5) ... den Dialog unterstützen (Pantucek, 2008)
II. Mehrdimensional Behandeln (Sommerfeld & Hollenstein, 2008; vgl. Forschungsberichte http://www.fhnw.ch/sozialearbe it/ipw/publikationen/forschungsberichte)
Konstruktiv ... ... Veränderungsimpulse für den Einzelnen im Kontext seiner Umfeld- und Lebensbedingungen setzen ... Sozio-, Sozial-, Psychotherapie Begleitung und Betreuung Psychosoziale Beratung Krisenhilfe
... bei ... körperliche bzw. psychosomatische Erkrankungen und Behinderungen, aber auch … (Dauer-) Arbeitslosigkeit oder Armutslagen gesundheitliche Gefährdung, u. a. durch dauernde Retraumatisierungen soziale Bindungslosigkeit und Isolation Alkoholgefährdung oder –krankheit Stigmatisierung aufgrund sozialer Lage oder Vorstrafen unzureichende oder unsichere Unterkunft Wohnungslosigkeit oder drohende Wohnungslosigkeit Mittellosigkeit
Wir machen nicht alles … Notwendigkeit und Eigenart der klinisch- sozialarbeiterischen Intervention bemisst sich an der Indikation (z. B. vulnerable, schwer zugängliche Person, mehrfach belastete Person oder Familie) an der Vorgehensweise und Intensität (z. B. Krisenintervention, Beratung, Therapie, Soziale Unterstützung - Begleitung, Betreuung) am Nutzen für die behandelten Patienten (z. B. soziale Integration, Stärkung von Kompetenzen und Ressourcen, verringerter Leidensdruck, besonders hoher Bedarf an Prozesssteuerung und individueller psycho-sozialer Unterstützung)
Wir brauchen gute Ausbildung (Gestufte Fachlichkeit: Mühlum, 2009)
Thesen zur Fachsozialarbeit soziale Entwicklungen stellen generalistisches Selbstverständnis in Frage (Differenzierungsbedarf) erster berufsqualifizierender Abschluss generalistisch statt Zertifikaten verlässliche Standards (Master) Notwendigkeit unterscheidbarer Kompetenzstufen (GEW) vollakademischer Abschluss Bedingung (Promotion) Spezialisierung bedeutet nicht zwangsläufig Hierarchisierung, sondern interprofessionell „auf Augenhöhe“ zu arbeiten (Mühlum 2005, S. 186f.)
‚Modernisierung und Provokation‘ „Aufbauend auf der generalistischen Grundqualifikation dient eine fachgerechte Spezialisierung der Professionsentwicklung, der Handlungs- und Methodensicherheit, der Wirksamkeit und gesellschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit – auch im Interesse der KlientInnen“ (Albert Mühlum, 2011, S. 238)
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