KMU und die Einführung von ERP-Systemen - OBT AG
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Treuhand | Steuer- und Rechtsberatung Wirtschaftsprüfung | Unternehmensberatung Informatik-Gesamtlösungen KMU und die Einführung von ERP-Systemen Ein Leitfaden für die unternehmerische Praxis mit IT-unterstützter Ressourcenplanung und -steuerung Alexander Fust | Urs Fueglistaller | Reto Schaffner | Michael Ammann Überarbeitete Auflage 2020 www.kmu.unisg.ch www.obt.ch
Inhaltsverzeichnis 1 Vorwort 1 2 Zusammenfassung 3 3 Einleitung 7 3.1 Wieso sollen sich KMU mit der IT beschäftigen? 7 3.2 Ziel des Leitfadens 8 4 KMU und ERP-Systeme 9 4.1 Was sind Auslöser für den Einsatz neuer ERP-Systeme? 10 4.2 Wie sieht die Evaluation von ERP-Systemen aus? 12 4.2.1 Grundlegende Gedanken 12 4.2.2 Evaluationsprozess 15 4.2.2.1 Zielsetzung 15 4.2.2.2 Aufnahme der Ist-Prozesse und Definition der Soll-Prozesse 16 4.2.2.3 Definition der Anforderungen und des Pflichtenhefts 17 4.2.2.4 Technologie, IT-Infrastruktur und das Thema der Cloud 17 4.2.2.5 Auswahl der Anbieter 20 4.2.2.6 Entscheidungs- und Evaluationskriterien 21 4.3 Worauf sollten Sie in der Implementierungsphase achten? 22 4.4 Wie kann Ihr zukünftiges ERP-System aussehen (Weiterentwicklung)? 25 5 Schlussbetrachtung und Fazit 27 6 Literaturverzeichnis 28 7 Portrait der Interviewpartner und Danksagung 31 8 Portrait der OBT AG und des KMU-HSG 34 OBT AG 34 KMU-HSG 35 9 Lasten- / Pflichtenheft 37
1 Vorwort Der stete technologische und wirtschaftliche Wandel ist überall in einer Dominanz zu spüren, die im wirtschaftlichen wie auch privaten Alltag allgegenwärtig ist. Das Beispiel, einen Flug via Smartphone im selbststeuernden Auto buchen zu können, mag als etwas marktschreierisch wirken. Dadurch wird jedoch klar, welche Systeme miteinander kom- munizieren müssen, welche technologischen Anforderungen erfüllt sind und wie wenig bei den Prozessen der Mensch noch zur Wertschöpfung beitragen muss. Bei einem KMU ist es ähnlich: Einen Tag nach Monatsende möchte der Abteilungsleiter wissen, wie sein Profitcenter finanziell gewirtschaftet hat, bei welchen Kundengruppen besonders viel verkauft wurde oder weshalb Produktionsketten ins Stocken gerieten usw. Aufgrund des Wandels, der Überzeugung des Unternehmers sowie des zunehmenden Drucks von aussen – Kunden, Lieferanten, Konkurrenten, aber auch Behörden – werden Prozesse mittels ausgeklügelter Technologien optimiert oder komplett neu erschaffen. Dabei spielt die IT von KMU eine zentrale Rolle, etwa wenn es um ERP-Systeme (Planung der Unter- nehmensressourcen) geht. Das Kürzel ERP (Enterprise Resource P lanning) bezeichnet die unternehmerische Aufgabe, Ressourcen wie Kapital, Personal, Betriebsmittel, Mate- rial, Informations- und Kommunikationstechnik sowie IT-Systeme im Sinn des Unterneh- menszwecks rechtzeitig und bedarfsgerecht zu planen und zu steuern. In der KMU-Praxis sehen wir bei verschiedenen von uns untersuchten Firmen, dass ERP-Projekte sehr unterschiedlich evaluiert und umgesetzt werden und dass es typische Phasen und Stolpersteine in der Einführung und Weiterentwicklung von ERP-Systemen zu beachten gibt. Grund genug für uns, um einen Leitfaden für die KMU-Praxis zu erstel- len. Es geht uns beim Leitfaden um die Klärung, was dabei besonders beachtet werden muss. Dabei richten sich unsere Ausführungen an die Unternehmensleitung von KMU und weniger an IT- / Programmierungsexperten. Um Ihren Wissenstransfer zu verbessern, haben wir die einzelnen Kapitel mit Reflexionsfragen, Beispielen und Checklisten ange- reichert. Wir hoffen, dass wir damit einen Mehrwert für Sie als Unternehmer bieten können, wenn Sie in Zukunft vor einem neuen ERP-Projekt stehen werden. St.Gallen, im Oktober 2016 Überarbeitete Auflage 2020 Urs Fueglistaller, Alexander Fust, Reto Schaffner und Michael Ammann Vorwort | 1
Abkürzungsverzeichnis BI Business Intelligence (vereinfacht gesagt verfolgt BI das Ziel, Daten zu gewinnen, die für die Führung eines Unternehmens wichtig sind) BPaaS Business Process as a Service CAD Computer Aided Design = rechnerunterstütztes Konstruieren CRM Customer Relationship Management (Kundenbeziehungsmanagement) ERP Enterprise Resource Planning (oft ein IT-System zur Ressourcenplanung, um die betrieblichen Abläufe zu steuern) FiBu Finanzbuchhaltung IaaS Infrastructure as a Service IT Information Technology oder Informationstechnik KMU Klein- und Mittelunternehmen MES Manufacturing Execution System (Produktionssteuerung, Fertigungskontrolle) PaaS Platform as a Service SaaS Software as a Service SLA Service Level Agreement SOA Serviceorientierte Architektur (Prozessmodelle eines Unternehmens werden genau nachgebildet)
2 Zusammenfassung KMU stehen vor einer grossen Herausforderung, sich zieht. Die Auslöser wie auch die möglichen wenn es sich um neue ERP-Systeme1 handelt: Soll Nachteile zeigen auf, dass sich eine intensive Aus- in ein neues ERP-System investiert werden? Wie einandersetzung mit dem Thema lohnt, damit man soll vorgegangen werden? Welches ERP-System das richtige ERP-System erhält. ist die beste Lösung? Um Ihnen als Unternehmer 2 bei dieser Herausforderung behilflich sein und einen Prozess bei ERP-Projekten Überblick geben zu können, haben wir die folgende Die Evaluationsphase Frage ins Zentrum gestellt: Wenn die Entscheidung gefallen ist, ein neues Sys- tem einzuführen, stellt sich die Frage, ob ein externer Worauf müssen Unternehmer achten, wenn sie Evaluations- bzw. Implementierungspartner für die ein neues ERP-System einführen möchten? Auswahl und Implementierung des ERP-Systems beauftragt werden soll oder ob dies intern geregelt Diese Frage wird unterteilt in die Auslöser für die wird. Unabhängig von diesem Entscheid sollten in- Einführung eines neuen ERP-Systems und in den tern ein Projektleiter und ein Projektteam bestimmt Prozess von ERP-Projekten (Evaluation, Implemen- werden, die das Projekt begleiten und somit auch tierung und Betrieb / Weiterentwicklung). dessen Umsetzung kontrollieren. Eine der grössten Herausforderungen ist neben den knappen IT- Auslöser für neue ERP-Lösungen Budgets, dass den Mitarbeitenden genügend Die Einführung neuer ERP-Systeme kann vereinfacht Ressourcen zur Verfügung gestellt und dass sie gesagt entweder durch den Wunsch nach Optimie- vom Tagesgeschäft entlastet werden können. Es rungen oder nach Anpassung eines ERP-Systems an kann davon ausgegangen werden, dass intern etwa die aktuelle Situation eines Unternehmens erwogen drei Mal mehr Stunden als bei einem externen werden. Die nachfolgende Auflistung zeigt die ver- Berater anfallen. Es lohnt sich somit, die anfallenden schiedenen Auslöser: Stunden bei den Mitarbeitenden zu budgetieren. O ptimierungspotenzial (Reduzierung von Insel- Nach diesen vorgängigen Überlegungen geht es lösungen und Medienbrüchen) darum, die Zielsetzung darzulegen, die Ist- und Soll- Wachstum und fehlende Unterstützung bei der Prozesse zu definieren und daraus ein Lasten-/Pflich- Umsetzung der Unternehmensstrategie tenheft zu erstellen, das als Grundlage für die Anfrage Marktnotwendigkeit (z.B. Wunsch eines Kunden) bei ERP-Anbietern dient. In der Zielsetzung sollten Notwendigkeit, das aktuelle System an die auch das zukünftige Geschäftsmodell und die Vision veränderten Bedürfnisse des Unternehmens der Firma einbezogen werden, da ein ERP-System anzupassen langfristig in Betrieb sein wird. Idealerweise bietet das ERP-System einen strategischen Vorteil und trägt Bevor ein neues ERP-Projekt in Angriff genommen zu einer verbesserten Wettbewerbsposition bei. wird, sollte überlegt werden, ob nicht ein Update des aktuellen ERP-Systems für die Bedürfnisse des Unternehmens ausreichen würde. Für den Fall, dass ein Update nicht ausreicht, gehen wir auch auf die Nachteile von ERP-Projekten ein: Sie sind mit einem gewissen Fehlschlagrisiko behaftet, rechnen sich 1 RP-Systeme (Enterprise Resource Planning) unterstützen E erst mittel- bis langfristig und sind für die ganze Or- die Ressourcenplanung von Unternehmen, indem einzelne oder mehrere Module wie das Rechnungswesen, der Verkauf, ganisation aufwändig – neben dem Tagesgeschäft. der Einkauf oder die Produktionsplanung miteinander Es wird davon ausgegangen, dass ERP-Systeme kommunizieren. etwa 10 bis 15 Jahre im Einsatz sind, wodurch die 2 Der Einfachheit halber wird manchmal die männliche Form Entscheidung auch eine langfristige Bindung nach verwendet, wobei darin auch die weibliche eingeschlossen ist. Zusammenfassung | 3
Um eine bessere Übersicht über die ERP-Anwen ochmals unterstrichen wird. Mit einem guten n dungen gewinnen zu können, bietet es sich an, be- Konzept kann jedoch dagegengehalten werden. freundete Unternehmer zu besuchen und sich ihre Lösung zeigen zu lassen. Die Zielsetzung resultiert In der Implementierungsphase ist es besonders in einer Zieldefinition. wichtig, dass die Termine und der vereinbarte Kostenrahmen eingehalten werden, was durch ein Danach folgen die Analyse der Ist-Prozesse und eine Projektcontrolling gewährleistet werden kann. Der daraus abgeleitete Entwicklung der Soll-Prozesse. Projektleiter übernimmt dabei eine tragende Rolle Es gilt, die Prozesse vom Anfang (z.B. Kundenanfra- und muss dementsprechend ausgewählt werden. gen) bis zum Ende (z.B. Auslieferungen an Kunden) Auch intern müssen genügend Ressourcen für durchzuspielen und die Mitarbeitenden zu fragen, das Projekt zur Verfügung stehen. Das Projektteam was sie bei den einzelnen Prozessschritten genau sollte Personen beinhalten, die ein bereichsüber- machen. Daraus ergeben sich Verbesserungspoten- greifendes Verständnis mitbringen. Um den Mit ziale, die zu den Soll-Prozessen führen. Es empfiehlt arbeitenden dabei zu helfen, die Angst vor Neuem sich, diese Soll-Prozesse sowie die ERP-Anforde- zu überwinden, empfiehlt es sich, durch Change rungen zusammen mit den Mitarbeitenden zu ent- Management wie z.B. Workshops eine positive wickeln. Daraus folgt das Lasten- / Pflichtenheft mit Erwartungshaltung unter den Mitarbeitenden zu Muss- und Kann-Kriterien. kultivieren. Gegebenenfalls muss die IT-Infrastruktur an die An- Im Zusammenhang mit der Datenmigration soll sprüche des ERP-Systems angepasst werden, was bereits vorgängig überlegt werden, welche Daten eine Investition nach sich zieht. Hier stellt sich auch migriert werden sollen und ob dies Sinn macht. die Frage, ob eine Cloud-Lösung Ihre Anforderungen besser erfüllen kann. Denn neben einzelnen Nach- Schliesslich folgen die Abnahme und die Einführung, teilen haben solche Lösungen durchaus gewichtige welche durch eine Schulung der Mitarbeitenden Vorteile. Bei Cloud-Modellen wird im Groben unter- begleitet wird. Es kann eine schrittweise Einführung schieden zwischen der Infrastruktur (z.B. Server), oder eine Einführung in der ganzen Firma an einem die ausgelagert wird (IaaS – Infrastructure as a Ser- bestimmten Stichtag gewählt werden. vice), und Applikationen, die extern bezogen werden (SaaS – Software as a Service). Die Weiterentwicklungsphase Die Investitionen in ein ERP-System sind meist Bei der Auswahl der Anbieter empfiehlt es sich, hoch. Daher sollte darauf geachtet werden, dass gemäss einem Evaluationstrichter vorzugehen, etwa die ERP-Lösung auch in Zukunft noch weiterent- zehn Anbieter anzuschreiben und danach zwei bis wickelt wird und damit zukunftsfähig bleibt. Dazu drei Systeme eingehend zu prüfen und sich diese soll überlegt werden, wie sich das gewählte Ge- live zeigen zu lassen. Der ERP-Partner muss genau schäftsmodell in der Zukunft weiterentwickeln und verstehen, was Sie möchten. Bei der Entscheidung ob der ERP-Anbieter diese Anforderungen zur eige- für eines der Systeme kann es sinnvoll sein, intern nen Zufriedenheit erfüllen kann. und extern verschiedene Meinungen einzuholen. Als Ergänzung zur ERP-Standardlösung können Auch gilt es zu entscheiden, wie der Betrieb gestal auch individuelle Anpassungen vorgenommen wer- tet werden soll: Wie soll der Support des ERP- den, was sich jedoch im Preis niederschlägt. Anbieters geregelt werden? Und wie möchten Sie es mit der Wartung resp. Updates handhaben? Wenn immer möglich sollte auf Standard-Software gesetzt werden, da sich dies langfristig im Rahmen Die folgende Abbildung soll die ausgeführten der Softwarewartung und -weiterentwicklung posi- Aspekte übersichtlich und einführend darstellen. tiv auszahlt. Die Implementierungsphase Nach der Auswahl des ERP-Anbieters gilt es, das ERP- System zu implementieren. Auf Seiten des ERP-Anbieters übernimmt in den meisten Fällen ein Projektleiter die Implementierung. Dabei wird ein Leistungsbeschrieb erstellt, der die technischen An forderungen enthält. Darauf folgen die Konzeption und Tests. Als grösste Stolpersteine gelten in dieser Phase unklar formulierte oder vergessene Anforderun gen, wodurch die Wichtigkeit der Evaluationsphase 4 | Zusammenfassung
Auslöser für die Einführung neuer ERP-Systeme Optimierungspotenzial (Reduzierung von Insellösungen und Medienbrüchen) Wachstum und fehlende Unterstützung bei der Umsetzung der Unternehmensstrategie Marktnotwendigkeit (z.B. Wunsch von Kunden) Notwendigkeit, das aktuelle System an die veränderten Bedürfnisse eines Unternehmens anzupassen Prozess bei ERP-Projekten Evaluation Implementierung Betrieb/Weiterentwicklung Update für die alte Version? Festhalten des Leistungs Ein ERP-System wird im Durch- Interne Evaluation oder beschriebs (technisch) schnitt 10 bis 15 Jahre genutzt Zusammenarbeit mit einem Konzeption / Design / Tests Weiterentwicklung des Evaluationsexperten? Datenmigration ERP-Systems in Zukunft Zusammenstellung des Projekt- Realisierung Veränderungen der Bedürfnisse teams Projektcontrolling des Unternehmens Referenzbesuche Stolpersteine (v. a. unklar (Geschäftsmodell) Genügend interne Ressourcen formulierte oder Support durch den bereitstellen (vs. Tagesgeschäft) vergessene Anforderungen) ERP-Anbieter? Zielsetzung definieren (Passung Angst vor Neuem Updates / Wartung für zukünftiges Geschäftsmodell) Einführungsleitfaden Ist-Prozesse definieren Schulung der Mitarbeitenden Soll-Prozesse entwickeln Lasten- / Pflichtenheft erstellen IT-Infrastruktur (intern, Cloud, IaaS, SaaS) Evaluationstrichter (rund zehn ERP-Anbieter anfragen, zwei bis drei eingehend prüfen) Standardlösung vs. Individualprogrammierung Vertragsverhandlungen Abbildung 1: Einführende Übersicht der Themen Zusammenfassung | 5
6 | Einleitung
3 Einleitung 3.1 Wieso sollen sich KMU mit der Alltag betrachtet und könnte ohne ERP-System IT beschäftigen? nicht einmal mehr im Ansatz gemeistert werden. Im Investitionen in die IT sind in vielen Firmen hoch und Zusammenhang mit dem ganzen Waren- und Infor- bilden einen bedeutenden Faktor, wenn es um die mationsfluss wird auch als Überbegriff von Supply Effizienzsteigerung geht. Über Unternehmen a ller Chain Management gesprochen. Branchen hinweg sind die IT-Kosten pro Firma in den letzten Jahren stark gestiegen. Den hohen und Für Unternehmer sind Investitionen in ERP-Projekte gestiegenen Investitionen stehen der Nutzen und nicht alltäglich. Die Tragweite in Bezug auf die Kosten Investitionen die Notwendigkeit der IT gegenüber. So lassen sich wie auch die Auswirkungen auf die betriebliche Praxis in ERP- Projekte durch die IT Effizienzverbesserungen erzielen, wo- wie etwa Prozesse von Unternehmen können sehr sind nicht durch Prozesse schlanker und kostengünstiger ge- gross und umfassend sein. Vor dem Hintergrund alltäglich. staltet werden können (Dumslaff et al., 2014). Je der Wichtigkeit und der Nicht-Alltäglichkeit solcher nach Bedürfnislage werden Routineaufgaben auto- Projekte setzen wir uns mit dieser Thematik aus matisiert, unnötige Lagerhaltung vermieden und die einander und bieten Unternehmern eine Hilfe. Es Zusammenarbeit von Teams auch an verschiedenen sollen die wichtigsten Aspekte rund um das Thema Standorten verbessert. Des Weiteren sind fortwäh- von neuen ERP-Projekten erfasst werden, damit ERP-Systeme rende Investitionen in die IT in verschiedenen Bran- sich die Unternehmer einen Überblick verschaffen unterstüt- chen unverzichtbar, um im Wettbewerb bestehen können. Dies beinhaltet auch die Analyse der eige- zen die zu können oder weil der Kunde einfach voraussetzt, nen Prozesse, die am Anfang eines ERP-Projekts Ressourcen planung. dass sie getätigt werden. Im Fachjargon wird bei steht. diesen IT-Projekten von ERP-Systemen gesprochen. ERP-Systeme (Enterprise Resource Planning = Unternehmensressourcenplanung) bestehen aus einem oder mehreren miteinander kommunizieren- den IT-Systemen, welche die Ressourcenplanung von Unternehmen unterstützen und steuern (Link 2015; Osterhage 2014, S.5). Sie beinhalten ein oder mehrere Module wie Finanz- und Rechnungswesen, Marketing, Logistik, Verkauf, Einkauf, Produktions- planung, Personalmanagement oder Lagerverwal- tung (Link, 2015). Von zentraler Bedeutung bei ERP-Systemen ist nun, dass diese Module mit einander kommunizieren können. Eine ausserplan mässige Expresslieferung einer Maschine an einen Kunden löst gleichzeitig in der Produktions-, Einkaufs-, Logistik- und Personalplanung entsprechende Vor- gaben aus, die von der Geschäftsleitung bis hin zum Mitarbeitenden in der Beschaffung berücksichtigt werden müssen – und das innert Sekunden. Was früher ganze Betriebe beinahe zum Erliegen brachte oder mit einem lapidaren «Geht nicht» gegenüber dem Expressbesteller endete, wird heute als überle- benssichernde Selbstverständlichkeit im (hektischen) Einleitung | 7
3.2 Ziel des Leitfadens Dieser Leitfaden soll folgende Frage beantworten: Worauf müssen Unternehmer achten, wenn sie ein neues ERP-System einführen möchten? Zu jeder Frage Wir haben uns auf Fragestellungen fokussiert, die sollen die in der Praxis von Unternehmern als sehr wichtig relevantes- empfunden werden. Dabei ist es nicht unser Ziel, ten Aspekte beleuchtet alle Facetten der einzelnen Fragen in jedem Detail werden. zu durchleuchten. Vielmehr möchten wir zu jeder Frage die relevantesten Aspekte darlegen und für Sie Hinweise zusammenstellen, die Ihnen bei neuen ERP-Projekten helfen sollen. Diese Publikation ist an all jene Unternehmer in KMU gerichtet, die sich nicht als IT-Experten verstehen und keine bis wenig Erfahrung mit der Evaluation und Einführung von neuen ERP-Systemen haben. Es ist uns wichtig, dass Sie mit unserem Leitfaden konkrete Anhalts- punkte erhalten. Der Leitfaden soll somit praxis tauglich sein und pragmatische Lösungen aufzeigen. Zu diesen Fragen haben wir unsere eigenen Erfah- rungen eingebracht und verschiedene Personen in- terviewt, um die Thematik breiter zu durchleuchten und neue Erkenntnisse zu erhalten. Wir haben Ex- perten gewählt, die ERP-Systeme evaluieren und umsetzen, damit wir ihre langjährige Expertise zu diesen Fragen einbringen können. Zudem haben wir KMU interviewt, die entweder vor oder nach der Einführung eines ERP-Systems stehen und somit die Sicht von KMU einbringen. Deshalb finden Sie an einigen Stellen im Text Zitate unserer Interview- partner. 8 | Einleitung
4 KMU und ERP-Systeme Wenn es um die Einführung eines ERP-Systems valuation, Implementierung sowie Betrieb und E geht, erscheinen uns einige Fragen als äusserst Weiterentwicklung von ERP-Systemen (Eigenmann, relevant (siehe Abbildung 2). 2012). Diese drei Phasen können weiter unterteilt werden (siehe Abbildung 3, Schmitz und Biermann, Während sich die erste Frage damit auseinander- 2007). setzt, wieso sich Unternehmer die Frage nach einer neuen ERP-Lösung stellen, beziehen sich die drei Die in der Abbildung 2 aufgeführten Fragen werden letzten Fragen im Groben auf den Prozess von wir in den nachfolgenden Kapiteln beantworten. 1. Was sind Auslöser für die Ein- 2. Wie sieht die Evaluation von führung neuer ERP-Lösungen? ERP-Lösungen aus? Worauf müssen Unternehmer achten, wenn sie ein neues ERP-System einführen möchten? 4. Wie kann Ihr zukünftiges 3. Worauf sollten Sie in der Imple- ERP-System aussehen mentierungsphase achten? (Weiterentwicklung)? Abbildung 2: Die Hauptfragen unserer Publikation Evaluation Implementierung Betrieb/Weiterentwicklung Update für eine alte Version? Festhaltung des Leistungs Betreuung Projektinitiierung / Definition beschriebs Weiterentwicklung Arbeitsgruppe Konzeption Wartung / Updates Definition Ist- und Soll-Prozesse Design Definition von Anforderungen Test Evaluation und Realisierung Beschaffungsentscheidung Einführung / Schulung Betrieb Abbildung 3: Prozess bei ERP-Projekten KMU und ERP-Systeme | 9
4.1 Was sind Auslöser für den Einsatz neuer Ähnlich verhält es sich mit Insellösungen. Im Laufe Medienbrüche ERP-Systeme? der Zeit können sich unterschiedliche Umsysteme führen zu Zeit- und In den meisten Fällen arbeitet eine Firma bereits mit entwickeln (z.B. Buchhaltung, Branchensoftware, Effizienz- einem ERP-System. Es können verschiedene Grün- Software für den Lohnlauf etc.). Häufig sind die verlusten. de vorliegen, weshalb dieses ERP-System erweitert Schnittstellen unklar und eine Verknüpfung der Da- oder ersetzt werden soll: ten ist nur durch ein Drittsystem (z.B. Excelliste fürs Optimierungspotenzial (Reduzierung von Controlling oder die Lohnabrechnung) oder durch Insellösungen und Medienbrüchen) manuelles Abtippen möglich. Somit kann auch das Wachstum und fehlende Unterstützung bei Vorhandensein von Insellösungen oder Medien der Umsetzung der Unternehmensstrategie brüche einen Grund liefern, in neue ERP-Systeme Marktnotwendigkeit (z.B. Kunden) zu investieren und die bestehenden Lösungen zu Notwendigkeit, das aktuelle System an die integrieren. veränderten Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen «Es ging darum, die Excellisten und die Fehleranfälligkeit abzubauen. Wir wollten à jour bleiben und auch aufgrund Wichtig scheint uns dabei auch die Haltung des Un- des Wachstums eine moderne Lösung haben, die unseren ternehmers gegenüber ERP-Systemen zu sein, die Bedürfnissen entspricht. Einzelne Excellisten bleiben noch wir am Schluss des Kapitels adressieren möchten. im Einsatz.» Annemarie Corrodi, Allco AG Optimierungspotenzial Das Analysie- Die Auseinandersetzung mit den eigenen Prozessen Wachstum und fehlende Unterstützung bei ren der eige- und möglichen Prozessverbesserungen alleine birgt der Umsetzung der Firmenstrategie nen Prozesse viel Optimierungspotenzial. Mit Hilfe des ERP- Falls das aktuelle ERP-System die Umsetzung der Durch das als grosse Systems können Prozesse automatisiert und Infor Firmenstrategie zu wenig unterstützt, kann eine Er- Firmenwachs- Chance. tum und die mationen bereitgestellt werden, die vorher oft müh- neuerung angezeigt sein. Dies kann darin begrün- Internationa- sam zusammengetragen werden mussten. Dies det sein, dass aufgrund des Firmenwachstums lisierung ent- bringt neben der Prozessoptimierung auch eine oder der Internationalisierung die alte ERP-Lösung stehen neue Effizienzsteigerung mit sich. So kann etwa ein ERP- nicht mehr den Bedürfnissen entspricht. Die Un- Bedürfnisse. System gewährleisten, dass ein Prozess immer ternehmensleitung hat etwa aufgrund des Wachs- gleich ausgeführt wird (Leiting, 2012, S.49) und so- tums keine aktuellen Zahlen über den Geschäfts- mit in einer vergleichbaren Qualität resultiert – sofern gang und läuft somit Gefahr, die Firma im Blindflug Automati- dieser Prozess durch die Mitarbeitenden auch so zu steuern. sieren von gelebt wird. Im Verkauf und in der Produktion weisen Prozessen und die Prozesse unserer Erfahrung nach am häufigsten Verbesserung der Qualität. Verbesserungspotenzial auf. Solche Prozessverbes- serungen können in guten wie auch in schlechten Optimierungspotenzial Unternehmenszeiten vorgenommen werden und bieten neben der Investition meist eine erhöhte Pro- ERP-System deckt das aktuel- zesssicherheit. le Bedürfnis nicht mehr ab Weiter hören wir von den Unternehmern häufig, Gründe für neue Marktnotwendigkeit dass die Prozesse zwar gut abgebildet seien, doch ERP-Systeme die Mitarbeitenden würden sie nicht in der aufge- führten Form umsetzen. Es können verschiedene Wachstum und Umsetzung Umsysteme wie Excellisten oder Worddokumen der Firmenstrategie te vorhanden sein, die händisch und mit viel Aufwand nachgeführt werden, Quellen von Fehlern darstellen Haltung des und den Arbeitsfluss unterbrechen. So können be- Unternehmers stimmte neue, angepasste oder im Laufe der Zeit gelebte Prozesse im Unternehmen eine Anpassung Abbildung 4: Verschiedene Auslöser für die Einführung etwa im ERP-System notwendig machen. neuer ERP-Lösungen im Überblick 10 | KMU und ERP-Systeme
ERP-System deckt das aktuelle Bedürfnis Marktnotwendigkeit nicht mehr ab Veränderungen im Markt, veränderte Kundenbedürf- Zu diesem Thema lassen sich vier Aspekte unter- nisse oder neue gesetzliche Anforderungen können scheiden: dazu führen, dass Prozesse angepasst und / oder automatisiert werden müssen. Zudem kann der 1. Es könnte sein, dass das aktuelle ERP-System Markt auch ein bestimmtes dominantes Design von veraltet ist, so dass dadurch die Bedürfnisse nicht Prozessen fordern, welches die Kunden erwarten. mehr gedeckt werden und eine Veränderung not- Dadurch kann eine Anpassung der eigenen Prozes- wendig wird. Z.B. könnte die Vereinheitlichung se notwendig werden und somit die Einführung ei- von Formularen und Dokumenten angezeigt sein nes neuen ERP-Systems erforderlich machen. Dies- oder die Unternehmensführung möchte die Daten bezüglich kann auch ein neues Kundenbedürfnis oder aufbereitung für die Finanzübersicht automati eine Anfrage von Kunden der Treiber für eine neue sieren. Leistung sein, die angepasste Prozesse erfordert. 2. Die Kosten für ein notwendiges Update können Haltung des Unternehmers das Bedürfnis wecken, das ERP-System zu beur- Die Haltung der unternehmerisch handelnden Per- Soll in das teilen und weiterzuentwickeln. sönlichkeit ist entscheidend, wenn es darum geht, alte oder in ein neues ob ein neues ERP-System eingeführt werden soll ERP-System 3. Die Unzufriedenheit mit dem aktuellen Anbieter oder nicht. Oft ist der Unternehmer der Treiber bei investiert oder mit der Software könnte dazu führen, dass solchen Neuerungen. Deshalb stellt sich die Frage werden? ein Wechsel ins Auge gefasst wird. Hierzu kann an Sie: Sehen Sie ein ERP-System als Kostentreiber, auch der Umstand relevant sein, ob der Anbieter als einen Prozessoptimierer oder als «Enabler» von die Software überhaupt zu Ihrer Zufriedenheit Neuem? Daraus ergibt sich auch die Frage, ob in weiterentwickelt (siehe Kapitel 4.4) und ob häufige das alte System investiert und neue Module dazu- Ausfälle vorhanden sind. gekauft oder ob ein gänzlich neues System etabliert werden sollte. Bei der Beantwortung dieser Frage 4. Die Arbeitgeberattraktivität könnte leiden, da muss im Auge behalten werden, ob das aktuelle die Mitarbeitenden mit dem Status quo der Pro- ERP-System die Umsetzung der Vision der Firma in zesse unzufrieden sind. Auch dies könnte ein Zukunft unterstützen kann. Auslöser für die Einführung eines neuen ERP- Systems sein. Die nachfolgende Tabelle fasst die Vor- und Nach- teile von ERP-Systemen zusammen, wobei eine Auswahl der wichtigsten Aspekte getroffen wurde. Neben Vorteilen wie etwa der Effizienz stehen Nachteile, die mit Kosten oder Risiken zusammen- hängen. Vorteile Nachteile Effizientere Abläufe Starke Standardisierung von Prozessen (Al-Mashari & Al-Mudimigh, 2003, S.21) (Gronau, 2004, S.5) Auseinandersetzung mit den firmeneigenen Prozessen Jährliche Kosten für Lizenzen, Upgrades und externe Berater (Al-Mashari & Al-Mudimigh, 2003, S.21) (Dowlatshahi, 2005, S.3572) Unterstützung der Führung durch Kennzahlen Hoher finanzieller Aufwand (Winter, 2009, S.93) (Keil & Robey, 2001, S.87f.) Erhöhte Transparenz im Unternehmen Schulungsaufwand (Laughlin, 1999, S.33) Voraussetzung für weitere Systeme (z.B. Webshop, CRM) Lange Amortisation von etwa fünf bis sechs Jahren (Stein, 1999) Hohe Projektrisiken und Risiko für Fehlschläge (Muscatello et al., 2006, S.62) Tabelle 1: Vor- und Nachteile von ERP-Systemen KMU und ERP-Systeme | 11
4.2.1 Grundlegende Gedanken Fragen an Sie zur Reflexion Es muss nicht immer ein ganz neues ERP-System Könnte auch W ieso möchten Sie in ein neues ERP-System eingeführt werden. Zuerst sollte überlegt werden, ein Update des alten investieren? ob nicht bereits die aktuelle Version des ERP- ERP-Systems Was soll nach dem Abschluss des Systems durch ein Update, das teilweise durch ausreichen? ERP-Projekts anders als vorher sein? einen Wartungsvertrag inkludiert ist, die Bedürf Wie stehen Sie selbst zu Investitionen in ein nisse abdeckt. ERP-System? Wie stehen Ihre Mitarbeitenden zu Automati- Falls ein neues ERP-System eingeführt werden soll, sierungen, ausgelöst durch das ERP-System? möchten wir vor dem Evaluationsprozess einführend Sehen Sie die Einführung eines ERP-Systems die folgenden vier Aspekte adressieren; als ein strategisches Projekt? 1. Frage, ob die Evaluation durch einen externen Sind Sie bereit, viel Zeit in die Evaluation und Experten begleitet werden soll Begleitung des ERP-Projekts zu investieren? 2. Internes Projektteam Sind Sie bereit, die nötigen finanziellen wie 3. Zeitlicher Aufwand auch personellen Ressourcen für das neue 4. Herausforderungen im Prozess ERP-Projekt bereitzustellen? Soll die Evaluation extern in Auftrag gegeben werden? Schwierigkeiten bei der Auswahl eines geeigneten Möchten Sie ERP-Anbieters und bei der Definition der Anforde die Evalua- tion selbst rungen können Gründe dafür sein, die ERP-Evalua durchführen 4.2 Wie sieht die Evaluation von tion zu einem sogenannten Evaluationspartner aus oder extern ERP-Systemen aus? zulagern. Folgende Fragen scheinen uns für diese vergeben? Im vorrangehenden Kapitel wurden verschiede- Überlegung relevant: ne Gründe genannt, welche zur Notwendigkeit 1. Fühlen Sie sich sicher im Umgang mit ERP-Sys- führen können, ein ERP-System einzuführen oder temen? ein bereits bestehendes System abzulösen und so- 2. Haben Sie oder Ihre Mitarbeitenden Erfahrung mit eine ERP-Evaluation zu starten. In diesem Kapi- mit der Evaluation und der Einführung von ERP- tel möchten wir die Evaluation von ERP-Systemen Systemen? näher erläutern. 3. W ie sieht Ihre zeitliche Verfügbarkeit oder die Ihrer Mitarbeitenden aus, um das Projekt zu leiten? Der Markt für ERP-Lösungen ist sehr vielfältig. Ne- ben den bekannten und grossen Anbietern gibt es Ein Evaluationspartner kann Ihnen als Kunde eine eine Vielzahl kleinerer Software-Hersteller, die vor nicht zu unterschätzende Vorleistung abnehmen. In allem branchenspezifische Versionen entwickeln. der Regel werden zuerst die Prozesse analysiert, Oft fehlen KMU das Know-how sowie die personel- Vorschläge für Prozessoptimierungen erarbeitet len Ressourcen, um bei diesem riesigen Angebot und anhand Ihrer Bedürfnisse ein Pflichtenheft er- das passende System hinsichtlich technologischer stellt. Auch vertragliche und rechtliche Überprüfun- Konzepte und Funktionen auswählen zu können. Die gen können Bestandteile der externen Evaluations- Vergleichbarkeit der verschiedenen Systeme ist für phase sein. den Laien oft unklar. Dass diese Frage der richtigen Auswahl jedoch von grosser Bedeutung ist, zeigen Gleichwohl sind solche Mandate meist mit einem nicht nur die Kosten, sondern auch die zukünftige nicht zu unterschätzenden und im Vorfeld zu berück- Bedeutung des ERP-Systems. So sind nach Aus- sichtigenden finanziellen Aufwand verbunden. Aus- sagen von Heiner Ackermann ERP-Systeme in der serdem muss man sich vorerst für den optimalen Regel 10 bis 15 Jahre in Betrieb. Evaluationspartner entscheiden. Die Unsicherheit, ob man den bestmöglichen, einen neutralen und Wesentliches Ziel des Auswahlprozesses ist es, das auch einen branchenerfahrenen Partner gewählt hat, Risiko einer falschen Systemwahl zu reduzieren. ist gegeben. Ein systematisches Vorgehen bei der Auswahl ist daher wichtig. Als Faustregel gilt, dass die Kosten für die Auswahl des richtigen ERP-Systems etwa 10% der Gesamtkosten betragen dürfen (Gronau 2012). 12 | KMU und ERP-Systeme
«Projekte wie die Evaluation und die Einführung einer ERP- werden (Trovarit, 2015). Für die Vorbereitung der Lösung gehören in der Regel nicht zum Tagesgeschäft einer Einführung entfällt bis zu 50% dieser Zeit. Der zeit- Organisation. Gleichzeitig ist die Tragweite der Entschei- liche Aufwand ist zudem abhängig von den Spezifi- dungen in diesen Projekten gross. Kunden sind auf eine gut kationen, der Grösse des Unternehmens und den funktionierende Partnerschaft mit dem ERP-Anbieter ange- Anforderungen des Geschäfts (z.B. Filialen, Interna- wiesen. Denn ERP-Systeme sind nicht statisch, sondern tionalität). Somit wird klar, dass es sich bei einem müssen die Entwicklung einer Organisation unterstützen. ERP-Projekt um eine grössere Investition handelt. Den Grundstein dafür legt man mit der Evaluation. Daher Es wird davon ausgegangen, dass der interne ist eine sorgfältige und professionelle Herangehensweise Aufwand zwischen ein und drei Mal höher sein wird elementar.» als der extern verrechnete Beratungsaufwand Heiner Ackermann, Heiner Ackermann Consulting AG (Siegenthaler, 2012, S.14). «Ein Evaluationsexperte hat den Marktüberblick. Er unter- «Einer der wesentlichsten Erfolgsfaktoren sind zwei gute stützt bei der Definition der Prozesse und Anforderungen. Projektleiter (intern und extern), welche die Firma und die Damit erkennt und vermeidet er Risiken. Er ist somit ein Lösung gut kennen. Sie geniessen intern wie extern Ver- Versicherungsschutz für den Kunden.» trauen, delegieren Aufgaben und kontrollieren ihre Aus- Dr. Martin Brogli, 2BCS AG führung. Sie sollen kommunizieren, falls etwas nicht im Standard abgebildet werden kann. Oft werden intern die Welche Falls Sie zum Schluss kommen, dass Sie die Eva- IT-Zuständigen dafür ausgewählt, doch müssen sie nicht Referenzen luation von ERP-Anbietern extern in Auftrag geben zwingend die geeignetsten Personen dafür sein. Ideal sind weist der wollen, folgt die Qual der Wahl: Wen sollen Sie Personen, welche die Waren- und Werteflüsse kennen.» Evaluations- partner vor? auswählen? Dazu empfehlen wir, Referenzen einzu- Dr. Martin Brogli, 2BCS AG holen und zu prüfen, ob die Externen bereits eine Einführung in Ihrer Branche durchgeführt haben. «Welche Rolle üben die Key User (Mitglieder des Projekt- teams) nach der Inbetriebnahme aus? Sie unterstützen Wer soll intern an der Evaluation beteiligt sein? die Enduser, sind Kontaktpersonen gegenüber dem Lie- Wer leitet das Eine wichtige Frage ist auch, wer intern an der Eva- feranten und sammeln zukünftige Anforderungen an die Projekt intern luation beteiligt sein sollte. Intern treffen die unter- Lösung.» und wer ist im schiedlichen Meinungen und Anforderungen von Dr. Martin Brogli, 2BCS AG Projektteam? Nutzern und Entscheidern aufeinander. Finanzleiter, Informatikleiter, Personalleiter, Verwaltungsrat, Pro- «Der Zeitaufwand der eigenen Mitarbeitenden für eine duktionsleiter: Sie alle werden die Merkmale und ERP-Einführung kann grob folgendermassen gerechnet Anforderungen des Systems unterschiedlich prio werden: Pro eingesetzte Stunde des externen ERP- risieren, was zu Konflikten bei der Entscheidung Anbieters fallen etwa zwei bis drei Mal so viele Stunden führen, jedoch auch Schwachstellen des Systems bei den eigenen Mitarbeitenden an.» aufdecken kann. Bereits zu Beginn der Auswahl Jakob Mettler, METTEX AG phase sollte festgelegt werden, wer für das Projekt verantwortlich ist, wer Mitglied des Projektteams Als Investition kann mit etwa 10’000 bis 15’000 Fran- Als Investition ist, wer den Projektablauf kontrolliert und wer auf ken pro User gerechnet werden (Siegenthaler, 2012). können 10’000 bis 15’000 welche Weise während des Projekts informiert Die Kosten können in Einführungs- und Unterhalts- Franken pro werden soll. kosten aufgeteilt werden: User gerech- net werden. Mit wie viel zeitlichem Aufwand sollten Sie allgemein rechnen? Einführungskosten Unterhaltskosten Der interne Eine Einführung eines ERP-Systems ist mit einem Software (Lizenzen) Software-Updates Zeitaufwand grossen Aufwand verbunden. Dies betrifft nicht ist in der Dienstleistungen für Auswahl, Support nur die direkten Kosten des Systems, sondern auch Anpassung, Einführung Regel drei Mal so hoch die eigenen personellen Ressourcen im Zusam Investitionskosten: Hardware Dienstleistungen für wie derjenige menhang mit der Vorbereitung / Evaluation und der den Betrieb beim externen Einführung des ERP-Systems, aber auch der Daten- Berater. aufbereitung und -migration. Während der Vorberei- Tabelle 2: Kosten für die Einführung und den Unterhalt von tungsphase sind die Inputs von Ihnen und Ihren ERP-Systemen (Siegenthaler, 2012) Mitarbeitenden gefragt – somit steht auch weniger Zeit für das Tagesgeschäft zur Verfügung. Auch ist die Abbildung der Geschäftsprozesse meist ein nicht ganz triviales Unterfangen. Bei der Einführung einer neuen ERP-Lösung kann durchschnittlich mit einem Zeitaufwand von 8 bis 14 Monaten gerechnet KMU und ERP-Systeme | 13
«Grob geschätzt kann mit etwa 10’000 Franken pro User M angelnde Kompetenz des Implementierungs- gerechnet werden, wobei dies nach Branche und Unterneh unternehmens (Branchen-Know-how, mensgrösse variieren kann. Als Beispiel kann eine Firma Software-Know-how, Projekteinführungs- mit 50 Usern dienen. Die Kosten belaufen sich insgesamt Know-how) auf 0.5 Mio.: Hohe Anforderungen an die Leitung des – Etwa 40% davon sind Lizenzkosten, ERP-Projekts – 50% Dienstleistungen und Zu wenig straff geführtes Projekt – 10% werden für Hardware ausgegeben (z.B. Server, (Kostenüberschreitungen) neue PC, Barcode-Scanner). Veränderungen beim Implementierungs- In diesem Beispiel wendet der Implementierungspartner unternehmen während des Prozesses etwa 125 Tage auf. Der Kunde sollte damit rechnen, dass Differenzen innerhalb des Projektteams er etwa drei Mal so viele Tage intern investieren wird. In Schwierigkeit der Erfolgsmessung diesem Beispiel wären das 375 Tage.» Dr. Martin Brogli, 2BCS AG Es ist gut, wenn Sie sich dieser Herausforderungen bereits während der Evaluation bewusst sind. So Mehrere Die Höhe der Kosten bei Angeboten ist sehr unter- können Sie bei einem allfälligen Auftreten richtig Offerten schiedlich, wodurch Sie gut beraten sind, mehrere darauf reagieren. e inholen. Offerten einzuholen (Siegenthaler, 2012, S.13). Es empfiehlt sich auch, nach den Gesamtkosten (Inves- titions- und Unterhaltskosten) zu fragen. Zielsetzung definieren Definition der Zielsetzung «Moderne Vergütungsmodelle, z.B. ERP-Software-Abos, ermöglichen eine höhere Flexibilität und Unabhängigkeit. Services können schnell und unkompliziert in Anspruch genommen werden. Die Abrechnung erfolgt nutzungs Prozesse und abhängig (z.B. monatlich). Im Vergleich zu klassischen Aufgaben definieren Aufnahme der Ist-Prozesse L izenzmodellen belastet das Abo-Modell die Liquidität Probleme, Verbesserungen bedeutend weniger.» Entwicklung der Heiner Ackermann, Heiner Ackermann Consulting AG Soll-Prozesse Zuordnen IT-Unter- Was sind die grössten Herausforderungen stützung zu Prozessen Pflichtenheft bei der Evaluation und der Einführung von ERP-Systemen? In der Literatur und Praxis können die folgenden Lösung suchen Herausforderungen und Misserfolgsfaktoren unter- Marktangebot eingrenzen schieden werden (Bischof, 2015; Eigenmann, 2012; Ausschreibung Umble et al., 2003): Drehbuch / Prototyping Misserfolgs- Zu wenig personelle Ressourcen neben Vertrag faktoren und dem Tagesgeschäft und weiteren Projekten Herausforde- Knappes IT-Budget Abbildung 5: Vorgehen für die Evaluation rungen. Notwendigkeit, die Gesamtkosten zu berück- (in Anlehnung an Siegenthaler, 2012, S.54) sichtigen (inkl. Betrieb über mehrere Jahre) Unterschätzung der Komplexität des ERP-Evaluationsprozesses «Bei der Evaluation sollen nicht nur die direkten Kosten Falsche / unzureichende Definition der betrachtet, sondern auch die TCO (Total Cost of Owner- Anforderungen ship = gesamte Kosten über die Nutzungsdauer) konkreti- Unübersichtlichkeit des ERP-Markts siert werden.» Widerstand der Anwender bzgl. der Dr. Martin Brogli, 2BCS AG Veränderung / Erwartungen werden nicht kommuniziert / Mitarbeitende werden nicht ins «Wir haben die Optionen und die Konsequenzen ange- Boot geholt schaut und in die Gesamtplanung integriert. Wie lange Risiken im Hinblick auf interne Prozess- geht der Prozess? Was kostet es uns? Wie viele Stunden anpassungen müssen die Mitarbeitenden aufwenden? Welche anderen Projekte haben wir während jener Zeit noch am Laufen?» David Ganz, Ganz Gruppe 14 | KMU und ERP-Systeme
4.2.2 Evaluationsprozess «Wir unterscheiden Basis-, Leistungs- und Begeisterungs- Nach den einführenden Bemerkungen beleuchten faktoren. Basisanforderungen sind Anforderungen, die von wir den Evaluationsprozess. Folgende Prozesse Anwendern als selbstverständlich angesehen werden. Eine können unterschieden werden (Siegenthaler, 2012, Nichterfüllung führt unmittelbar zu Unzufriedenheit. Diese S.54): sind schwierig zu ermitteln und werden in Evaluationen häufig übersehen. Wir legen die für uns wichtigsten Aspekte dar, die Leistungsfaktoren sind Anforderungen, an denen eine Lö- wir in den folgenden Unterkapiteln ausführen werden: sung bewusst gemessen wird. Je besser ein ERP-Produkt 1. Zielsetzung / Strategie / Make or Buy die Leistungsfaktoren abdeckt, desto höher ist die Akzep- 2. Aufnahme der Ist-Prozesse und Definition tanz bei den Anwendern. der Soll-Prozesse Begeisterungsfaktoren sind Faktoren, die für den Anwen- 3. Definition der Anforderungen und des Lastenhefts der hilfreich sind und mit denen er nicht gerechnet hat. 4. Technologie / IT-Infrastruktur / Cloud Damit können sich ERP-Anbieter von anderen Produkt 5. Auswahl ERP-Anbieter anbietern absetzen und dem Kunden eine Weiterentwick- 6. Entscheidungskriterien lung ermöglichen.» Heiner Ackermann, Heiner Ackermann Consulting AG 4.2.2.1 Zielsetzung Die Zielsetzung erscheint uns als eine der wichtigs- Welche Anforderungen haben Sie in Zukunft an ten Fragen bei der Evaluation von ERP-Lösungen. das ERP-System? Was möchten Sie mit dem ERP-System erreichen? Werden Sie Filialen im Ausland haben? Wird sich Ihr Geschäft verändern? Vision und Die Vision und die Strategie des Unternehmens Strategie der sollten als Basis für die Auswahl des ERP-Systems Das sind wichtige Aspekte, wenn es um die Evalua Firma dienen dienen. Es geht darum, dass die Firma durch das tion des richtigen ERP-Systems geht. als Basis für das ERP- ERP-System idealerweise einen Wettbewerbsvor- System. teil erhält. Der Nutzen des ERP-Systems in Bezug «Was wird auf das Geschäftsmodell in Zukunft zukommen? auf die Umsetzung der Strategie steht im Mittel- Um dies zu klären, empfehlen wir, das Business-Modell punkt. Wie wird das ERP-System genutzt, um einen Canvas von Alexander Osterwalder zu verwenden. Mit die- Mehrwert zu schaffen? Diese Diskussion zeigt, dass sem Modell werden die richtigen, ganzheitlichen Fragen es sich bei einem ERP-System um ein strategisches gestellt und das Geschäftsmodell lässt sich auf einfache Projekt handelt, das die ganze Organisation betrifft Art und Weise visualisieren. Veränderungen am Geschäfts- und auch gewissermassen definiert, wie die Firma modell haben Konsequenzen auf die Prozesse und IT- in Zukunft arbeiten wird. Systeme diese gilt es frühzeitig zu erkennen, damit die notwendigen Schritte eingeleitet werden können.» «Da das ERP-System die ganze Firma betrifft und ein stra- Dr. Martin Brogli, 2BCS AG tegisches Projekt ist, muss die Geschäftsleitung involviert sein. Die erfolgreichsten Projekte sind oft jene, bei denen «Es ist wichtig, eine Zukunftssicht einzunehmen und die ein Mitglied der Geschäftsleitung die Projektleitung inne- Ziele und Strategie einzubeziehen. Wie wird das Geschäfts- hat. Eine neue ERP-Lösung betrifft alle Abteilungen.» modell der Zukunft aussehen und wie sieht der Blick für die Jakob Mettler, METTEX AG nächsten acht Jahre aus?» Jakob Mettler, METTEX AG «Welche Bedeutung hat das ERP-System für uns? Können wir uns damit strategisch differenzieren (z.B. Kosten Wir empfehlen Ihnen, befreundete Unternehmer Besuchen Sie führerschaft oder Mehrwert für die Kunden)? Wir entschie- zu besuchen, die bereits ein ERP-System ein Unternehmer, die bereits den uns dafür, ein erprobtes System zu kaufen, das in unserer geführt haben, damit Sie von ihren Erfahrungen ERP-Systeme Branche umgesetzt wurde. Wir denken, dass wir mit dem p rofitieren können. Der Vergleich mit anderen eingeführt ERP-System langfristig keinen Wettbewerbsvorteil haben. ERP-Systemen gibt Ihnen wertvolle Einblicke und haben. Wir wissen aber, dass wir mit der Zeit strategische Nach- Ideen für mögliche Lösungen. Fragen nach den Er- teile hätten, wenn wir es nicht eingeführt hätten.» folgsfaktoren oder den Dingen, die sie das n ächste David Ganz, Ganz Gruppe Mal anders machen würden, können dabei zielfüh- rend sein. Auch könnten Sie sich das ERP-System Das ERP-Sys- Das ERP-System ist ein strategisches Projekt und anhand von konkreten Beispielen vorführen lassen, tem soll das sollte somit langfristig Bestand haben. Deshalb soll- damit Sie eine Vorstellung der Funktionalität haben. aktuelle und te das ERP-System das aktuelle und zukünftige Andere Informationsquellen sind das Internet, zukünftige Ge- schäftsmodell Geschäftsmodell abdecken können. Nutzen Sie Messen (z.B. Topsoft), Infomaterial der Anbieter abdecken. somit einen Blickwinkel z.B. für die nächsten Jahre. (Schmitz und Biedermann, 2007) oder die Übersicht KMU und ERP-Systeme | 15
von Anbietern auf www.topsoft.ch. Diesbezüg- Falls Sie an einer Standardlösung interessiert sein Wie sehen die lich empfehlen wir auch das Buch von Marcel sollten, ist zu prüfen, ob alle Anforderungen abge- Schnittstellen zu anderen Siegenthaler (2012, siehe Literaturverzeichnis), das deckt werden oder ob sie mittels Schnittstellen Programmen ausgewählte Anbieter und konkrete Fälle auflistet. z.B. an die Finanzlösung angebunden werden soll. aus? Dies ist Zudem soll auch geprüft werden, ob weitere Funk- auch wichtig Im Zusammenhang mit dem Ziel stellt sich auch die tionen, etwa jene der elektronischen Dossier für Kosten für Frage nach der Art der Entwicklung. Dazu fallen uns verwaltung, miteinbezogen werden können, um zukünftige Updates. drei Fragen ein: Prozesse mit Kunden und Lieferanten elektronisch 1. Wären Sie bereit, eine Eigenentwicklung (In- abwickeln zu können. house-Lösung) zu tragen, bei der Ihre eigenen Programmierer das ERP-System entwickeln (ist «Wir haben vieles beim Standard gelassen.» eher selten)? Annemarie Corrodi, Allco AG 2. Möchten Sie eine möglichst standardisierte L ösung einkaufen und Ihre Prozesse ein wenig daran an- «Das ERP-System umfasst oft ein ERP mit Basisanforde- passen? rungen, ein ERP der Branche, eine Speziallösung (Zusatz 3. Möchten Sie, dass möglichst Ihre aktuell geleb- paket und Schnittstellen) sowie Individualprogrammierung.» ten und gewünschten Prozesse im ERP-System Jakob Mettler, METTEX AG abgebildet werden und sind Sie bereit, gewisse Individualisierungen vorzunehmen? Die Zieldefinition sollte formal auf einer DIN-A4- Seite festgehalten werden und die folgenden Punk- Die erste Frage bezieht sich darauf, ob Sie die Ent- te enthalten (Gronau, 2012): wicklung selbst übernehmen (Make) oder ob Sie Ausgangssituation diese Aufgabe an einen externen Partner übertra- Angestrebte organisatorische Verbesserungen gen möchten (Buy). Eine Eigenentwicklung ist sehr Angestrebte technische Verbesserungen kostenintensiv und birgt grosse Risiken. Zieltermin Angestrebte Verbesserung der Wettbewerbs- Ist eine Stan- Die geringsten direkten Kosten ergeben sich aus der position dardlösung Nutzung einer Standardlösung. Es stellt sich dabei Voraussichtliches Budget zielführend? jedoch die Frage, ob diese Standardlösung die Pro- zesse Ihrer Firma und Ihre Bedürfnisse genügend gut abdeckt. Ansonsten werden die Folgekosten Fragen an Sie zur Reflexion aufgrund von ineffizienten Prozessen relativ hoch, Welche Ziele sollen mit dem neuen ERP erreicht jedoch ist eine Individualisierung mit grossen Mehr- werden? kosten verbunden (auch bei zukünftigen Updates, Welcher Nutzen soll generiert werden? z.B. Mabert et al., 2003, S.304f.). Die Prüfung einer Wie gross soll das Optimierungspotenzial sein? Standardlösung macht aber auf alle Fälle Sinn. Sie Stellen Sie sich eine integrierte Lösung (es gibt können auch den Aspekt prüfen, möglichst viel nur ein ERP-System ohne Schnittstellen) vor beim Standard zu belassen. Je mehr das ERP- oder soll eine Sammlung spezialisierter Software System Ihren Anforderungen entspricht, desto ge- (Best of Breed) genutzt werden? ringer ist der Anpassungsaufwand (siehe dazu Lei- Stellen Sie sich vor, die ERP-Lösung sei schon ting, 2012, S.46 für eine Übersicht der Vor- und implementiert: Was muss alles gegeben sein? Nachteile der Standardisierung). Individualisierun- gen sind teuer und spätere Updates können bei indi- viduell programmierten Lösungen eventuell sogar 4.2.2.2 Aufnahme der Ist-Prozesse gleich teuer wie eine Neuentwicklung werden. und Definition der Soll-Prozesse Es muss dann nämlich bei Updates geprüft werden, Nach der Definition der Ziele sollen die Haupt Analysieren ob die Schnittstellen zu anderen Programmen prozesse analysiert werden, die etwa 80% der Auf- der Haupt- prozesse und funktionieren. Zudem ist die zukünftige Support- gaben ausmachen (Siegenthaler, 2012, S.54). Dazu Definition der möglichkeit bei Individuallösungen zu prüfen kann etwa ein Auftrag eines Kunden vom ersten Soll-Prozesse. (Siegenthaler, 2012). Kontakt bis zur Auslieferung durchgegangen wer- den (z.B. Unterscheidung in Neukunden und wieder- «Bei der Auswahl der ERP-Lösung war uns wichtig, dass kehrende Kunden). Dazu werden Workshops oder wir ein etabliertes System wählen. So können wir auch eher Interviews mit den betroffenen Personen durchge- davon ausgehen, dass wir auch neue Mitarbeitende finden, führt, damit die Prozesse abgebildet werden können die bereits bei anderen Firmen damit gearbeitet haben. Wir (z.B. in einem Ablaufdiagramm mit Darlegung der empfehlen, den Individualisierungsgrad so tief wie möglich genutzten Dokumente durch die Mitarbeitenden). zu halten und möglichst beim Standard zu bleiben.» Folgende Fragen können bei der Aufnahme der Roland Flammer, Ganz Gruppe Prozesse relevant sein (Leiting, 2012, S.25ff.): 16 | KMU und ERP-Systeme
Was genau machen sie? «Wir haben am Anfang ein Wunschkonzert vollzogen und Warum machen sie es (so)? den Fächer bewusst breit gelassen. Wir fragten die Abtei- Was nützt das Prozessergebnis dem Kunden? lungsleiter, was sie möchten, und haben somit die Bedürf- Woher erhalten Sie Ihre Informationen? nisfelder eruiert. […] In der zweiten Phase kam der Plausi- bilisierungsprozess: Was macht Sinn und was weniger aus Weitere Infos zur Prozessbeschreibung befinden sich finanzieller, zeitlicher und personeller Sicht? Was ist ‹nice z.B. in Leiting (2012, S.26ff.) oder Osterhage (2014, to have› und was ‹need to have›?» S.10ff.) und es können IT-Referenzmodelle von den David Ganz, Ganz Gruppe Software-Herstellern für das Prozessdesign als Werkzeug angefragt werden (Leiting, 2012, S.39). Wir empfehlen Ihnen, ein Budget aufzustellen. Darin sollen jedoch nicht nur die direkten Kosten beschrie- Bei den Ist-Prozessen kann nun über die Stärken ben werden, sondern auch die internen Stunden und Schwächen diskutiert werden, um darauf auf- und weitere Aufwendungen. Beschränken Sie sich bauend die Soll-Prozesse zu definieren. Es empfiehlt dabei auf das Wesentliche. Es soll kein «Wunsch- sich, die Soll-Prozesse zusammen mit den relevan- konzert» sein, denn gerade «ausserordentliche» ten Personen zu entwickeln. Wünsche können viel kosten und führen dazu, dass das Projekt überladen wird und somit von Anfang an Danach soll geprüft werden, wie die IT die Prozes- zum Scheitern verurteilt sein könnte. se unterstützen kann. Welche Prozesse haben eine hohe Wiederholfrequenz und würden von einer Ein Pflichtenheft soll pragmatisch sein, was auch Vereinheitlichung mit grösserer Effizienz und Quali bedingt, dass es aufgrund hunderten von Seiten tätsverbesserung profitieren? Besonders bei kleinen nicht unüberschaubar wird. Trotzdem bedarf die Unternehmen müssen nicht alle Prozessschritte Definition der Anforderungen einer intensiven Prü- durch die IT übernommen werden, sondern sie fung. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist die korrekte, können auch ohne IT-Unterstützung ablaufen (Sie- exakte, messbare und qualitativ ausreichende Be- genthaler, 2012, S.55f.). Es stellt sich die Frage, wie schreibung der Anforderungen, damit später keine oft einzelne Prozesse genutzt werden und ob sich Überraschungen auftreten. eine Automatisierung überhaupt lohnen würde. 4.2.2.4 Technologie, IT-Infrastruktur und das 4.2.2.3 Definition der Anforderungen und Thema Cloud des Pflichtenhefts Als Nächstes soll evaluiert werden, ob die Techno- Definition Das Lastenheft soll die für Ihren Betrieb relevanten logie und die IT-Infrastruktur den Ansprüchen des von Muss- Anforderungen schriftlich und messbar festhalten. ERP-Systems genügen. Dazu sollten Sie sich min- und Kann- Die Anforderungen an das neue ERP-System sol- destens drei Fragen stellen: Kriterien. len spezifisch festgelegt werden und die tatsäch- 1. Muss die aktuelle IT-Infrastruktur (z.B. Server, lichen Bedürfnisse der Firma wiedergeben. Der weitere Hardware) aufgrund der neuen Anforde- Inhalt ist dabei wichtiger als die Form und wird in rungen des ERP-Systems ersetzt und erneuert Muss- und Kann-Kriterien unterteilt. Soll etwa das werden? ERP-System als Informationslieferant oder als reines 2. Möchten Sie von mehreren Standorten aus auf Datenablagesystem dienen? Diese Beschreibung das ERP-System zugreifen? geht über das Qualitätssystem hinaus. Es geht um 3. Wie stehen Sie zum Thema Cloud-Lösung? die Prozesslandschaft und das Definieren von Soll- Prozessen.3 Anpassung der IT-Infrastruktur Bei der Einführung eines neuen ERP-Systems soll Sollte die IT- «Unsere Berater sind Prozessprofis. Nur ein starker Fokus geprüft werden, ob die aktuelle IT-Infrastruktur Infrastruktur (Server etc.) auf die Prozesse und die daraus abgeleiteten Anforderun- noch genügt oder ob etwa neue Server oder wei- im Zuge des gen können die Grundlage für ein Pflichtenheft sein.» tere Hardware wie Barcode-Scanner eingekauft ERP-Projekts Dr. Martin Brogli, 2BCS AG werden müssen. erneuert werden? Das heisst, es geht somit um den automatischen und stufengerechten Versand wichtiger Informatio- nen, der durch das ERP-System gewährleistet wer- den soll. Dabei soll auch der Softwareanbieter eine Idee dazu erhalten, wie sich die Firma beschreibt und wie sie strukturiert ist (Quade & Leimstoll, 2015). Der Anbieter erhält dadurch einen besseren Eindruck 3 ür ein Beispiel einer detaillierten Anforderung sei auf F davon, wie Ihr Unternehmen «tickt». Siegenthaler (2012, S.56) verwiesen. KMU und ERP-Systeme | 17
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