3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land

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3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
3.19

                          ZEITSCHRIFT FÜR LÄNDLICHE ENTWICKLUNG

                                                                               Klimafreundliche
                                                                               ­Lebensmittel
                                                                               Innovationsanalyse zum
                                                                               Klimaschutz in der Lebensmittel-­
                                                                               Wertschöpfungskette

                                                                               Biodiversität:
                                                                               Ein bisschen „schlampert“
                                                                               kann sehr nützlich sein!
                                                                               Ein LE-Projekt setzt sich mit alten
                                                                               und neuen Idealen auseinander

                                                                               Stürme, Trockenheit,
                                                                               Schädlinge
www.zukunftsraumland.at

                                                                               und Schneelast
                                                                               Klimabedingte Herausforderungen
                                                                               in der Forstwirtschaft

                                                                               Vorreiter für
                                                                               den ­Klimaschutz
                                                                               Gemeinden und Regionen schließen
                                                                               sich zu Modellregionen zusammen

                          Österreichische Post AG / MZ 16Z040734 M
                          ARGE Vernetzungsstelle LE 14–20
                          Handelskai 92 / Gate 1 / 3. OG / Top CF, 1200 Wien
                          Retouren an Postfach 100, 1350 Wien
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
02                     Inhalt // Intro // Abbildungsnachweis

                                                                                                                                 Der Betrieb „RIBES – Mit Liebe zum Saft“ war im Juni Ziel
                                                                                                                                 einer Exkursion des Begleitausschusses LE 14–20. Vertreterinnen
                                                                                                                                 und Vertreter von Ministerien, Interessenverbänden und
                                                                                                                                 ­Programmabwicklungsstellen begleiten die Umsetzung des
                                                                                                                                  ­Programms für ländliche Entwicklung LE 14–20 und fassen
                                                                                                                                   die erforder­lichen Beschlüsse. Im Betrieb von Franz und Gudrun
                                                                                                                                   Schriebl ­werden auf 50 Hektar Johannis- und Aroniabeeren
                                                                                                                                   ­angebaut und zu Säften, Gelee und Essig verarbeitet. Über das
                                                                                                                                    Programm LE 14–20 wurden eine neue, leistungsstarke Obst­
                                                                                                                                    presse und der Umbau des Tanklagers finanziert. www.ribes.at

		INHALT
      02 _  RIBES – Mit Liebe zum Saft //
		          Aus der Praxis der Netzwerkarbeit //
		          Abbildungsverzeichnis
     03 _ LE konkret // Geleitwort // Projektdatenbank:
		 Kooperation mit Netzwerk Kulinarik
    04 _ Innovationsanalyse „Klimaschutz für die
		 österreichische Landwirtschaft“
     05 _ Vier Grundvoraussetzungen für aktiven
		 Klimaschutz in der Lebensmittelproduktion
06 / 07 _ Konkrete Ansatzpunkte für aktiven
		 Klimaschutz in der Lebensmittelkette:

                                                                              Aus der Praxis der Netzwerkarbeit
		          Sechs Innovationsfelder
    08 _ EIP-AGRI-Projekt „Abgestufter
		 Wiesenbau“ // Factbox EIP-AGRI
    09 _ Interview mit LK-Präsidentin Michaela 		                             Mit fortschreitender Programmumsetzung                           Eines der größten Projekte des Netzwerks
		 Langer-Weninger // Interview mit                                           ­ändern sich auch die Inhalte, die über die                        im laufenden Jahr ist die Innovationsanalyse
		 Andreas Abfalter                                                            Medien des Netzwerks Zukunftsraum Land                            „Klimafreundliche Lebensmittel“, die im
     10 _ Biodiversität: Das Problem mit den                                   transportiert werden. Für eine Reihe von                          Rahmen unseres Jahresschwerpunkts Klima-
		 Emotionen                                                                   Maßnahmen des Programms LE 14–20 liegen                           wandel erarbeitet wurde. Die Ergebnisse
       11 _ Ordentlich! Schlampert.                                            bereits Evaluierungen vor. In der letzten                         ­finden Sie auf den Seiten 4 bis 7. Im Hinblick
 12 / 13 _ Standpunkte: Mobilität im ländlichen                                Ausgabe der Netzwerkzeitschrift haben wir                          auf Strategien zur Klimawandelanpassung
		 Raum                                                                        ausführlich über die Halbzeitevaluierung                           stellen wir auf einer weiteren Doppelseite
      14 _ Klimabedingte Herausforderungen                                     ­berichtet. Im Rahmen unseres Cross-Media-­                        das EIP-­AGRI-Projekt über den abgestuften
		 in der Forstwirtschaft                                                       Konzepts eignet sich für die Verbreitung                          Wiesenbau vor – durch die vertiefende
      15 _ Grafik: Entwicklung des Schadholzanfalls 		                          der einzelnen Studien vor allem der                               ­Analyse a  ­ us­gewählter Einzelprojekte soll die
		 seit 1944 // Seit 1990 Anstieg des Borken-                                   ­Netzwerk-Newsletter. Im Juni-Newsletter                           Netz­werk-­­Projektdatenbank eine qualitative
		 käferbefalls                                                                  ­informierten wir Sie über die Studie, die                        ­Ergänzung finden. Ankündigen dürfen
     16 _ Gemeinden und Regionen werden klimafit                                  sich mit den Potenzialen sozialer Innovation                 wir auch eine Zusammenarbeit mit dem
      17 _ Holzwelt Murau: One-Stop-Shop 		                                       im Rahmen von LEADER beschäftigt, im                         Netzwerk ­Kulinarik, womit ein großer und
		 im Energiebereich // Aus den LEADER-                                           ­August-Newsletter über Studien, die sich                    ­wichtiger Teil der ländlichen Entwicklung
		 Regionen                                                                        mit der Entwicklung der Biodiversität                        auch auf der Netzwerk-Projektdatenbank
   18/ 19 _      Expertinnen- und Expertenforum:                                   ­auseinandersetzen. Alle Newsletter finden                   ­abgebildet werden wird (mehr auf Seite 3).
		               Die Handlungserfordernisse beim                                    Sie auf unserer Website, die Evaluierungs­                      Ihr Netzwerkteam: Karl Bauer //
		               Klimawandel                                                        berichte werden auf www.bmnt.gv.at/                             Luis Fidlschuster // Michael Fischer //
      20 _       Europa // Demnächst // Impressum                                   land/laendl_entwicklung/evaluierung ver­                        Georg Keuschnigg // Gertraud Leimüller //
                                                                                    öffentlicht.                                                    Gerald Pfiffinger // Johanna Rohrhofer

              ABBILDUNGSNACHWEIS Cover: Österreichische Hagelversicherung | Seite 2: oben: www.ribes.at | Seite 3: Porträt: BMNT/Paul Gruber, links: Lungaugold | Seite 4: Hintergrund:
              photo­case.de/Judywie | Seite 6: Hintergrund: iStock/enviromantic | Seite 7: Hintergrund: iStock/enviromantic | Seite 8: oben: Biokompetenzzentrum Schlägl | Seite 9: Hintergrund:
              ­Biokompetenzzentrum Schlägl, Porträt oben: LK OÖ, Porträt unten: Andreas Abfalter | Seite 10: Hintergrund: Mathias Scholz, Porträt: Johannes Maurer, rechts unten: Geert Gratama |
              Seite 11: Hintergrund: Mathias Scholz, rechts unten: Rupert Pessel | Seite 12: Hintergrund: iStock/Nastco/roccomontoya, Porträt links: Alex Gretter, Porträt rechts: privat | Seite 13:
              Hintergrund: iStock/Nastco/roccomontoya/Hein Nouwens, Porträt links oben: Rosinak & Partner ZTGmbH, Porträt links unten: privat, Porträt rechts: Chuk Nnamdi | Seite 14: oben:
              LKÖ/Martin Höbarth, Porträt links: BMNT/Paul Gruber | Seite 15: Hintergrund: LKÖ/Martin Höbarth | Seite 16: WeinFranz, Porträts: Umweltbundesamt/B. Gröger | Seite 17: rechts oben:
              Tom Lamm, unten: ­energiebuendel-imst.at | Seite 18: Hintergrund: photocase.de/vicuschka, Porträt links: Wuppertal Institut/VisLab/Sabine Michaelis, Porträt rechts: LK Steiermark |
              Seite 19: Hintergrund: photocase.de/vicuschka, Porträt links: Seminarhotel Biorestaurant Retter/Pöllauberg, Porträt rechts: privat | Seite 20: oben: iStock/republica, Porträt: Europäisches
              Parlament, unten: iStock/mdesigner125
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
LE konkret // Aus dem Netzwerk // Geleitwort                                    03

LE konkret
Wachsende Zahl von                                  50.000 Betriebe setzen
­Bioschlachthöfen                                   auf ­Biodiversität
Anfang September ist der Neubau der                 50.000 Betriebe nahmen im Vorjahr an der
­Sonnberg Biofleisch GmbH in Oberösterreich         Maßnahme „Umweltgerechte und biodiver-
 in Betrieb gegangen, in Tirol hat die Bio-         sitätsfördernde Bewirtschaftung“ (UBB) teil.
 metzgerei Juffinger die Schlacht-, Zerle-          Sie legten auf 65.000 Hektar (2,8 Prozent

                                                                                                      Geleitwort
 gungs- und Lagerungskapazitäten erweitert.         der Landwirtschaftsfläche, ohne Almen)
 Im Vorjahr wurde der erste Salzburger              ­Biodiversitätsflächen an. Die Erhaltung von
 ­Bioschlachthof am Bergbauernhof Tromört            Landschaftselementen wird mit Stand 2018
  im Lungau eröffnet, in Oberösterreich              auf knapp 1,6 Millionen Hektar umgesetzt
  hat die Firma Hütthaler umfassend in die           (1,1 Millionen Hektar UBB-Flächen, 484.000       Weichenstellungen
  Biofleisch­produktion investiert. Alle Projekte    Hektar ÖPUL-Bioflächen). Mehr auf
  finden Sie auf www.zukunftsraumland.at/­           www.zukunftsraumland.at/aktuell/326.             Auf EU-Ebene werden die Vorschläge zur
  projekte.                                                                                           ­Ausgestaltung der künftigen Gemeinsamen
                                                    Klimawandel: Meilenstein                           ­Agrarpolitik (GAP) weiterhin intensiv diskutiert.
                                                    in der Waldforschung                                Zentrale Themen sind die grüne Umwelt­
                                                    Die Waldschäden infolge des Klimawandels            architektur und die erhöhte Umwelt- und Klima­
                                                    und von Schädlingsinvasionen sind bereits           ambition sowie das neue ergebnisorientierte
                                                    enorm. Im Rahmen eines Forschungsprojek-            Umsetzungsmodell. Die inhaltliche Ausge­
                                                    tes, das von der steirischen Landesregierung        staltung hängt eng mit dem mehrjährigen
                                                    in Zusammenarbeit mit der Landwirt-                 ­Finanzrahmen zusammen: Nur mit ausreichen-
                                                    schaftskammer und den Land- und Forst­               der Finanzierung können auch zukünftig
                                                    betrieben ­beauftragt wurde, sammeln mehr            ­ehrgeizige Programme weitergeführt werden.
                                                    als 100 Expertinnen und Experten der BOKU                        Österreich hat mit seinem bisherigen
                                                    wissenschaftliche Daten über den Wald,                Mix von agrarischen Maßnahmen, Umwelt- und
                                                    ­indem sie Böden und Vegetation unter­                ­Klimamaßnahmen und starken Programmen
                                                     suchen. Das Ergebnis wird eine Planungs-              für die ländlichen Räume gute Erfahrungen
                                                     und Beratungsunterlage sein.                          ­gemacht. Wie die Halbzeitevaluierung des
                                                                                                            ­Programms LE 14–20 gezeigt hat, wachsen
                                                    Bioenergie auf dem Weg                                   die ländlichen Räume in Österreich stärker als
                                                    zur Nummer eins                                          die städtischen, auch wenn noch ein Rückstand
                                                    Biomasse hat das Potenzial, zum bundesweit               ­aufzuholen ist. Damit sind wir in Europa aber
                                                    bedeutendsten Energieträger zu avancieren                 nicht die Regel, sondern die Ausnahme! Bemer-
                                                    und könnte mittelfristig Erdöl und Erdgas                 kenswert ist unter anderem, dass die umge­
                                                    überholen. Wie der Österreichische Biomas-                setzten Maßnahmen auch die Wertschöpfung
                                                    severband im Bioenergie-Atlas 2019 schreibt,              in den Ballungsräumen steigern und somit
                                                    könnte der Biomasseanteil bis 2030 um                     die gesamte Volkswirtschaft unterstützen.
                                                    35 Prozent erhöht werden. Derzeit ist nicht                      Nach der Auftaktveranstaltung zum öster-
                                                    die Verfügbarkeit, sondern die Aufnahme­                  reichischen GAP-Strategieplan im Mai 2019
                                                    fähigkeit der Märkte das limitierende                     wird nun an den Grundlagen für den Strategie-
Die Produkte des Bioschlachthofs                    ­Moment. Mehr auf www.biomasseverband.at/                 plan gearbeitet. Die Ausarbeitung des GAP-­
Tromörthof werden unter dem                          oesterreichischer-biomasse-verband-­setzt-auf-           Strategieplans wird in Zusammenarbeit mit
Markennamen Lungaugold vertrieben.
                                                     fakten.                                                  ­allen involvierten Partnerinnen und Partnern
                                                                                                               der Landwirtschaft und der ländlichen Räume
                                                                                                               ­erfolgen. Die Verantwortung für die Umsetzung
Projektdatenbank: Kooperation                       somit mit einem Klick gefunden werden. Sie sind             wird zukünftig mehr als bisher im eigenen
mit Netzwerk Kulinarik                              zudem über das reguläre Suchsystem ­unserer                 Land liegen. Ich sehe das als Chance, die Ziel­
Über eine Kooperation mit dem Netzwerk              Website auffindbar. Wir freuen uns auf die                  setzungen noch präziser als bisher auf unseren
­Kulinarik wird die Projektdatenbank des            Zusammen­arbeit mit dem Netzwerk ­Kulinarik!                Bedarf abzustellen und die Abwicklung so
 ­Netzwerks Zukunftsraum Land noch vielfältiger.                                                                ­einfach wie möglich zu gestalten.
  Die Projekte aus dem Kulinarikbereich, die ­
  bereits seit September eingepflegt werden,                      NETZ                                Johannes Fankhauser
  ­erhalten eine eigene Kachel und eine eigene                    WERK                                Leiter der Sektion Landwirtschaft
   ­Farbe, sie sind verschlagwortet und können                    KU L I N A R I K                    und ländliche Entwicklung
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
04                   Schwerpunktthema Klimawandel

Eine Innovationsanalyse für die österreichische Landwirtschaft:

Aktiver Klimaschutz durch
­klimafreundliche Lebensmittel
Der Klimawandel ist aktuell in aller Munde, Klimaschutzmaßnahmen
werden für die Landwirtschaft, die Lebensmittelbranche sowie
­Verbraucherinnen und Verbraucher ­immer relevanter. Im Auftrag
 des Bundesministeriums für Nachhaltigkeit und Tourismus (BMNT)
 hat das Netzwerk Zukunftsraum Land deshalb untersucht, wo
 ­diesbezüglich von der heimischen Urproduktion bis hin zum Konsum
  von Lebensmitteln im Haushalt wichtige Innovationspotenziale liegen.

 80 Prozent des landwirtschaftlichen               Deshalb ist es das Gebot der Stunde, schon
 ­Ertrages in Österreich sind von stabilen         heute Produktions- und Nachweis­systeme
  ­Wetter- bzw. konstanten Klimabedingungen        zum aktiven Klimaschutz aufzubauen.
   ab­hängig. In den letzten Jahren zeigen sich    Damit soll jedoch nicht nur Antwort auf die
   jedoch bereits vermehrt die Auswirkungen        künftig zu erwartenden Entwicklungen
   des Klimawandels: Zunehmende Wetter­            ­gegeben werden. Der landwirtschaft­liche
   extreme wie beispielsweise Unwetter mit          Sektor hat dadurch auch die Chance, eine
   Hagel, Stark­regenfälle und Überschwem-          ­aktiv richtungsweisende Rolle ein­zunehmen
mungen ver­ursachen Ertragsausfälle,                 und gesamtgesellschaftliche ­Verantwortung
die in manchen Fällen für die agrarischen            zu übernehmen. Nur so kann das Fort­
Betriebe sogar existenzbedrohend sind.               bestehen der landwirtschaftlichen Betriebe,
       Die Landwirtschaft ist vom Klimawandel        die an Grund und Boden gebunden sind,
jedoch nicht nur betroffen, sondern ver­             auch für die nächsten Generationen
ursacht ihn selbst mit. Der Sektor ist für           ­gesichert werden.
10,3 Prozent aller Treibhausgasemissionen                        Allerdings agiert die Landwirtschaft
(THG) in Österreich verantwortlich. Um                nicht als isolierter Player, sondern ist Teil
die österreichischen Klimaziele bis 2030              ­eines Wertschöpfungssystems von Lebens­
zu ­erreichen, sind neue staatliche Vorgaben           mittel­erzeugung und -verbrauch. Nur
für die Verursacherinnen und Verursacher               durch i­ ntensivierte Zusammenarbeit aller
von THG-Emissionen zu erwarten.                        wesentlichen ­Akteurinnen und Akteure
Darüber hinaus ist davon auszugehen,                   ­inklusive öffent­licher Hand, Forschung und
dass Konsumentinnen und K      ­ onsumenten             Wissenschaft können die österreichischen
in Zukunft vermehrt nachweislich klima­                 ­Klimaziele ­erreicht und THG-Emissionen
freundliche ­Produkte nach­fragen werden,                ­reduziert ­werden. Die Innovationsanalyse
weil sie selbst einen aktiven Beitrag                     zeigt ­deshalb Rahmenbedingungen, Voraus­
zum Klimaschutz ­leisten wollen. Gleichzeitig             setzungen und Innovationspotenziale für
werden neue ­Akteurinnen und Akteure                      ­aktiven K ­ limaschutz im gesamten Lebens-
wie Start-ups – ­unterstützt durch neue                    mittel-Wertschöpfungssysstem von der
­Technologien – ­traditionelle landwirtschaft-             ­Ur­produktion bis zum Konsum auf. Mithilfe
 liche Prozesse und Methoden weiterent­                     der ­Analyse soll die Entwicklung innovativer
 wickeln und neue Produkte auf den Markt                    ­Lösungen im ­Zusammenhang mit Klima-
 bringen.                                                    schutz in Ö
                                                                       ­ sterreich unterstützt werden. q
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
Schwerpunktthema Klimawandel                                05

Rahmenbedingungen für aktiven ­Klimaschutz
durch Lebensmittel aus der Landwirtschaft
Veränderung braucht entsprechende Rahmenbedingungen. Um einen Markt für klimafreundliche Lebens-
mittel in Österreich zu schaffen, bedarf es nicht nur der Bemühungen des landwirtschaftlichen Sektors.
­Alle Beteiligten bis hin zu den Konsumentinnen und Konsumenten sind gefragt, ihren Beitrag zu einer
 klima­freundlichen ­Wert­schöpfung in der Lebensmittelproduktion zu leisten. Im Rahmen von Interviews
 mit Expertinnen und Experten wurden vier G  ­ rundvoraussetzungen identifiziert, die als unverzichtbares
 ­Fundament dazu dienen, aktiven Klimaschutz in der Lebensmittelproduktion aufzubauen.

Rahmenbedingungen

  Daten und Modelle zur Abschätzung der                                    Klimabewusstsein auf allen Ebenen
 ­Treibhausgasemissionen bereitstellen                                     gezielt stärken

 Der einzelne Landwirtschafts-, Verarbeitungs- und Gastronomie­            Der globale Klimawandel ist für viele ein sehr abstraktes Thema,
 betrieb kann aktuell nicht nachvollziehen, wie viele THG-Emissionen       ­Zusammenhänge zwischen individuellem Verhalten (z. B. dem Kauf
 er verursacht. Ebenso wenig können Konsumentinnen und Konsumen-            eines bestimmten Produkts), der Entstehung von THG und deren
 ten beim Einkauf erkennen, welchen CO2-Fußabdruck ein ­bestimmtes          ­Einfluss auf den Klimawandel sind komplex und oft nicht transpa-
 Lebensmittel hat. Es fehlt an einfachen Entscheidungs­hilfen und kos-       rent nachzuvollziehen. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen
 tengünstigen Möglichkeiten, die THG-Emissionen unterschiedlicher            mithilfe innovativer Bildungs- und Kommunikationsformate praxis-
 Prozesse bzw. Lebensmittel zu berechnen. Derartige Berechnungs-             nah und leicht verständlich über die Zusammenhänge zwischen
 möglichkeiten und eine verständliche Aufbereitung mithilfe digitaler        ­ihrem persönlichen Verhalten und dem Klimawandel informiert
 Tools können entscheidend dazu beitragen, ­positive Verhaltens­              ­werden, um im Alltag bewusste Entscheidungen treffen zu können.
 veränderungen zu initiieren. Wesentliche Voraussetzung sind wissen-           Auch für Landwirtinnen und Landwirte müssen Angebote geschaffen
 schaftlich fundierte und gut zugängliche ­Klimadaten und -modelle.            werden, sich zielgruppenspezifisch aufbereitetes Wissen zum
                                                                               ­Klimaschutz aneignen zu können.

  Open-Innovation-Projekte und Forschungs­
  partnerschaften zu klimafreundlichen                                     Klimaschutz aktiv fordern und fördern
 ­Lebensmitteln ermöglichen

                                                                           Wesentlich ist auch die Rolle der öffentlichen Hand, die mit Unter-
 Komplexe Problemstellungen wie Klimaschutz benötigen ein                  stützungsleistungen und finanziellen Anreizen die Attraktivität
 ­koordiniertes, gemeinsames Vorgehen und eine übergreifende               von Klimaschutzmaßnahmen für die Landwirtinnen und Landwirte
  ­Zusammenarbeit aller wesentlichen Akteurinnen und Akteure               erhöht. Ökologisches Wirtschaften der landwirtschaftlichen
   im Lebens­mittel-Wertschöpfungssystem. Es braucht innovative            ­Betriebe darf nicht zu einem ökonomischen Nachteil werden.
   Austauschformate, in denen miteinander und ergebnisoffen                 Dies erfordert, dass Klimaschutzaspekte in alle Fördermaßnahmen
   ­diskutiert wird. Ein derartiger systematischer Austausch kann           von Bund und Ländern eingebettet werden, was unter Umständen
    dazu beitragen, Lösungen zu finden, die für alle von Nutzen sind.       auch eine völlige Neuausrichtung von Förderprogrammen mit
    Vor allem in der Kommunikation und ­Kooperation von landwirt-           sich bringen kann. M
                                                                                               ­ ittel- und langfristig bedarf es darüber hinaus
    schaftlichen Betrieben untereinander, aber auch mit verarbeitenden      auch neuartiger ­Förderprogramme für Forschung und Innovation,
    Betrieben und Handelsunternehmen sowie den Bereichen Gastro­            in denen gemeinsam neue klimafreundliche Technologien,
    nomie und Gemeinschaftsverpflegung liegt enormes Innovations­           Verfahren und Bewirtschaftungsmethoden entwickelt werden,
    potenzial. Neuartige Forschungs- und Innova­tionspartnerschaften        die praxistauglich sind.
    können sicherstellen, dass entwickelte ­Lösungen für landwirtschaft-
    liche Betriebe in ihrer Arbeitsrealität umzusetzen sind.
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
06                  Schwerpunktthema Klimawandel

Konkrete Ansatzpunkte für aktiven
Klimaschutz in der Lebensmittelkette
Im Rahmen der Innovationsanalyse „Klimafreundliche Lebensmittel“
wurden sechs Innovationsfelder identifiziert, welche die wesentlichen Hebel
für mehr Klimaschutz in Lebensmittel­produktion und -verbrauch darstellen.
Diese Innovationsfelder sprechen gezielt alle Teile des Lebensmittel-­
Wertschöpfungssystems direkt an und zeigen so auf, dass jeder im Kampf
für mehr Klimaschutz ­Verantwortung übernehmen kann.

Innovationsfelder

 Klimafreundliche Fütterung und Haltung
 von Nutztieren

 Tierische Lebensmittel haben ein signifkant höheres Treibhaus­
 gaspotenzial als pflanzliche Lebensmittel (ausgenommen Reis).
 ­Innovative, praxistaugliche Tierhaltungs- und Fütterungskonzepte,
  die sowohl tierwohlorientiert als auch klimafreundlich sind, können
  in Zukunft dazu beitragen, klimaschädliche Emissionen in der Tier-
  haltung zu verringern. Ein möglicher Ansatz ist z. B. die Umstellung
  auf 100 Prozent regionale Futtermittel. Dafür sprechen nicht nur
  die positiven Umweltauswirkungen, sondern auch eine erhöhte in-
  ländische Wertschöpfung und eine verminderte Importabhängigkeit.
  Ein weiterer Ansatzpunkt in der tierischen Produktion ist der richtige
  Umgang mit Wirtschaftsdünger in Bezug auf Lagerung und Aus­
  bringungsmethode. Die größte Hebelwirkung liegt aber darin,
  den Konsum tierischer Lebensmittel in Österreich langfristig auf
  ein klimaverträgliches Ausmaß zu senken.

 Erzeugung und Nutzung von erneuerbarer Energie
 für die Lebensmittelproduktion

 Klimafreundliche Energiekonzepte sind für die Lebensmittel-Liefer-
 kette künftig unerlässlich. Für die Landwirtschaft, aber auch für
 ­Verarbeitungsbetriebe, Supermärkte oder die Gastronomie bietet
  sich der Bezug von erneuerbarer Energie wie etwa Strom aus der
  ­eigenen Photovoltaikanlage an. Um den erzeugten Strom rund um
   die Uhr nutzen zu können, werden ergänzend effiziente und leistbare
   Speichertechnologien benötigt. Hier bedarf es noch weiterer For-
   schung und Entwicklung, um bereits vorhandene Ansätze marktfähig
   und auch für kleine landwirtschaftliche Betriebe finanziell leistbar
   zu machen. Auch im Bereich der Mobilität ‒ besonders beim
   ­landwirtschaftlichen Maschineneinsatz ‒ besteht u. a. durch den
    ­Umstieg auf Elektromobilität großes Potenzial, künftig ohne fossile
     Energieträger auszukommen.
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
Schwerpunktthema Klimawandel                                 07

  ­ eduktion und Vermeidung von Lebensmittel­
  R                                                                          Reduktion und Vermeidung von Verpackungen
  abfällen, Ernte- und Produktionsresten                                    ­sowie Entwicklung von Verpackungsalternativen

  Derzeit werden in Österreich pro Haushalt und Jahr 300 bis 400 Euro       Die Menge von Verpackungen, vor allem aus Kunststoff, ist in den
  an Lebensmitteln weggeworfen. Dies stellt nicht nur ein mora-             letzten Jahrzehnten massiv angestiegen. Die Verwendungsdauer
  lisch-ethisches Problem dar, sondern ist auch schlecht für das Klima:     ist in der Regel jedoch nur sehr kurz, vieles kann nicht oder nur in
  Produktion, Transport, Verarbeitung sowie Entsorgung von Nah-             schlechter Qualität recycelt werden ‒ mit negativen Auswirkungen
  rungsmitteln sind mit einem hohen Energieaufwand verbunden. Hier          für das Klima. Die Entwicklung von umweltfreundlichen Alternativen
  ist mehr Bewusstseinsbildung bei den Konsumentinnen und Konsu-            zu Plastikverpackungen, aber auch zu Verpackungen überhaupt ist
  menten erforderlich: Viele Abfälle können durch richtige Lagerung         daher mittel- und langfristig unumgänglich. Es braucht im Handel
  und gezielteren Einkauf vermieden werden. Zur Verbesserung der            alternative Verpackungsmöglichkeiten und Optionen zur Kennzeich-
  Klimabilanz kann auch die Wiederverwertung von Lebensmittelab-            nung von Produkten, wie z. B. durch Laser. Auch die (Wieder-)Ein­
  fällen sowie Ernte- und Produktionsresten beitragen. Beispielsweise       führung von Mehrwegsystemen kann Verpackungsmüll reduzieren.
  können sich Urprodukte, die aufgrund ihrer Optik nicht vom Handel         Desgleichen werden in der Gemeinschaftsverpflegung und im
  abgenommen werden, noch hervorragend für die Weiterverarbei-              ­Außer-Haus-Verzehr innovative, im Alltag umsetzbare ­Konzepte für
  tung eignen. Dafür sind neuartige Vermarktungs- und Logistik­              die Vermeidung von Verpackungen benötigt, wie z. B. die Umstellung
  konzepte notwendig, welche die Abstimmung entlang der Wert-                auf kurze, regional fokussierte Versorgungsketten, von denen auch
  schöpfungskette, z. B. zwischen den landwirtschaftlichen und den           die regionale Landwirtschaft profitiert.
  verarbeitenden Betrieben, erleichtern.

                                                                             Ausbau und Erweiterung des klimafreundlichen
   Klimafreundliche Produktion von pflanzlichen                             ­Lebensmittelangebots
  ­Lebensmitteln

                                                                                Hohes Potenzial für CO2-Einsparungen liegt im Konsum von Lebens-
  Durch richtige Bewirtschaftung in Ackerbau, Grünland sowie ­              mitteln: Würde sich die Bevölkerung regional und saisonal sowie
  Obst- und Gemüsebau lassen sich nicht nur Treibhausgase ver­              überwiegend pflanzlich ernähren, ­könnten THG-Emissionen deutlich
  ringern, ­sondern sogar CO2 lässt sich aktiv binden. Es gibt bereits      reduziert werden. Beim verbleibenden Fleischkonsum sollte mög-
  zahlreiche vielversprechende Ansätze wie z. B. ganzjährige Begrü-         lichst auf ganzheitlich verwertetes, regionales Fleisch in hoher
  nung und optimiertes Fruchtfolgemanagement. Diese klimafreundli-          ­Qualität zurückgegriffen werden. Um sich klimafreundlich ernähren
  chen Bewirtschaftungsmethoden gilt es einerseits gezielt (weiter)          zu können, benötigen Kundinnen und Kunden einfachen Zugang
  zu entwickeln und zu testen, andererseits bedarf es einer gezielten,       zu Lebensmitteln mit kleinem CO2-Fußabdruck, die auch entspre-
  praxisnahen Verbreitung des bereits vorhandenen Wissens unter              chend gekennzeichnet sind. Neue Produkte (wie z. B. österreichisches
  den Landwirtinnen und Landwirten mittels moderner Formate.                 Wintergemüse – siehe dazu auch die Fact-Box), aber auch neue
  Auch der vermehrte Einsatz von innovativen Technologien wie                ­Produktionsweisen (wie Vertical Farming) sind innovative
  Precision und Smart Farming oder vertikaler Landwirtschaft und              ­Möglichkeiten zur Erweiterung des ­Angebots. Zusätzlich sind
  von Kreislaufsystemen (z. B. Hydrokulturen, Aquaponics) können               neue ­klimaschonende Vertriebskonzepte ­gefragt. Online-Tools und
  zur Reduktion des Ressourceneinsatzes in der Produktion beitragen.           -Plattformen können im Bereich der U  ­ r­produktion, vorrangig in
  Derartige ­Systeme sind in der Lage, als Ergänzung der bisherigen            der Direktvermarktung und der Ver­arbeitung, dabei unterstützen,
  Produktion ganzjährige Ertragsmöglichkeiten für die Betriebe                 die ­Logistik sinnvoll zu bündeln und so die THG-Emissionen
  zu eröffnen.                                                                 in Transport und Lagerung so gering wie möglich zu halten.

 Operationelle Gruppe Weiterentwicklung                                   United Against Waste
­Biowintergemüse                                                          Auf united-against-waste.at, einer österreichischen Plattform von
Das LE-finanzierte EIP-Projekt sucht Lösungen für konkrete Problem­       ­Unternehmen, Bund, Ländern, Wissenschaft und NGOs, wird Beratung
stellungen beim Anbau von heimischem Biowintergemüse in Österreich.        zur ­Optimierung des Wareneinsatzes sowie ein Selbstschnelltest
Denn durch den Anbau von heimischem Biowintergemüse kann                   für Gastronomie, Hotellerie und Gemeinschaftsverpflegung angeboten.
das in den Wintermonaten zur Verfügung stehende Angebot an                 Mit diesem können Betriebe errechnen, wie viel Geld sie mit einer
­Gemüse­sorten und -raritäten ressourcenschonend erweitert werden.         ­Reduktion des ­Lebensmittelabfalls einsparen könnten.
 Mehr Informationen unter zukunftsraumland.at/projekte/1481
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
08                  Projektvorstellung Klimawandel

                                                                                                         Weitere Informationen zum
                                                                                                         EIP-AGRI-Projekt finden Sie hier:
                                                                                                         www.zukunftsraumland.at/projekte/1486
                                                                                                         www.biokompetenzzentrum.at/forschung/
                                                                                                         forschung-wiesenbau.html

                                                                                                         Den Leitfaden mit konkreten Handlungs­
                                                                                                         empfehlungen finden Sie zum kostenlosen
                                                                                                         Download hier:
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                                                                                                         wiesenbau.html

           EIP-AGRI-Projekt „Abgestufter Wiesenbau“:

           Durch differenzierte Nutzung
           von Grünland zu mehr Ertrag
Wertvolles Grundfutter und zahlreiche              Klimatische Veränderungen wie zum                   lichkeit einer differenzierten Bewirtschaf-
­ökologische Funktionen zeichnen die rund          ­Beispiel Trockenperioden und Starkregen            tung betriebseigener Grünlandflächen
 1,35 Millionen Hektar Grünland in Österreich       zwingen Landwirtinnen und Landwirte                ­getestet. Ertragsbetonte und extensivere
 aus und machen es zu einem unverzicht­             ­häufig, die Nutzungshäufigkeit von Grün-           Flächen sollen durch angepasste Nutzung
 baren Element der österreichischen Land-            landflächen zu erhöhen. Bis zu fünfmal             und Düngung etabliert und/oder erhalten
 wirtschaft. Der fortschreitende Klimawandel         im Jahr werden Grünlandflächen in Öster-           werden. Mit abgestuftem Wiesenbau können
 und die Tendenz, immer mehr Ertrag aus              reich g­ eerntet. Die vorhandenen Flächen          sich Pflanzen- und Tierbestände erholen,
 der gleichen Fläche zu gewinnen, setzen das         ­eines ­Betriebs werden häufig gleichförmig             und es lässt sich eine zeitgemäße ertrags­
 Grünland unter Druck. Diesem Spannungs-              bewirtschaftet. Diese einheitliche Bewirt-        betonte Nutzung sicherstellen. Somit wirkt
 feld zwischen nachhaltiger Grünlandbewirt-           schaftung verbunden mit häufigerem                sich der abgestufte Wiesenbau nicht nur
 schaftung bei gleichzeitiger Ertragssiche-           Mähen und Abernten führt in der landwirt-         ­positiv auf die Erträge, sondern auch auf den
 rung hat sich eine Gruppe rund um                    schaftlichen Praxis oft zu Problemen in            ­Klimaschutz und die Artenvielfalt aus. Trotz
 landwirtschaftliche Betriebe in Oberöster-           der Nährstoff­versorgung der Böden. Betrof-         dieser Vorteile wird diese Bewirtschaftungs-
 reich, das Biokompetenzzentrum Schlägl,              fen davon sind s­ owohl ­konventionelle als         form allerdings bisher kaum in der Praxis
 das Forschungsinstitut für biologischen              auch Biobetriebe.                                   angewendet.
 Landbau (FiBL), die HBLFA Raumberg-­                     In dem EIP-AGRI-Projekt „Nachhaltige                   In einem Leitfaden hat daher die Pro-
 Gumpenstein, die Landwirtschaftskammer               Grünlandbewirtschaftung durch abgestuften           jektgruppe klar formuliert, wie abgestufte
 Oberösterreich und BirdLife, gewidmet.               Wiesenbau“ wurde deshalb die Praxistaug-            ­Grünlandbewirtschaftung im eigenen
                                                                                                           ­Betrieb umgesetzt werden kann. Im Rahmen
                                                                                                            des EIP-AGRI-Projekts haben 13 sowohl
                                                                                                            ­konventionell als auch biologisch wirtschaf-
                                                                                                             tende Grünlandbetriebe in Oberösterreich
              EIP-AGRI steht für „Europäische Innova­tionspartnerschaft für landwirtschaft­liche             die abgestufte Grünland­bewirtschaftung ge-
               Produktivität und Nachhaltigkeit“. Dabei handelt es sich um ein K  ­ onzept zur               testet und das Konzept unter fachlicher Be-
               ­Förderung von Innovation in der Land- und Forstwirtschaft. In Ö ­ sterreich wird die         gleitung ihren Anforderungen angepasst.
                EIP-AGRI seit 2015 erfolgreich im Rahmen des Programms LE 14–20 umgesetzt.                   Die aus der praktischen Umsetzung gewon-
                Vier Aufrufe zur ­Ein­reichung von innova­tiven Projekten sind ergangen. Inzwischen          nenen Erkenntnisse ­bildeten die Basis für
                haben sich 29 sogenannte Operationelle Gruppen formiert, um innovative Projekte              den Leitfaden zur ­Umsetzung des abgestuf-
                für die österreichische Landwirtschaft u­ mzusetzen. Die ersten Gruppen haben          ten Wiesenbaus. q
              ihre ­Arbeit bereits ab­geschlossen, darunter auch die Operationelle Gruppe
              ­„Abgestufter Wiesenbau“. Jene aus dem 4. Aufruf ­haben gerade erst begonnen.
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
Projektvorstellung Klimawandel                             09

            Weiterentwicklung der österreichischen Grünland­wirtschaft
            Im Gespräch mit der Präsidentin der Landwirtschaftskammer Oberösterreich,
            LAbg. Michaela Langer-Weninger

Frau Langer-Weninger, welchen Fragen und Problemen           ­ tärkung der Futterproduktion auf Flächen mit gutem
                                                             S
stehen Grünlandbetriebe heute gegenüber?                     Ertragspotenzial und erzeugt gleichzeitig mehr Bio­
Die Grünlandwirtschaft steht heute unter erheblichem         diversität auf extensiven Flächen. Dadurch gestaltet sich
Druck. Einerseits soll und muss das Grünland seine           die Grünlandbewirtschaftung sowohl regional als auch
Funktion als Futtergrundlage der österreichischen            betriebstypisch individuell. Sinn, Nutzen und Hinter-
­Rinder-, Schaf- und Ziegenwirtschaft erfüllen, anderer-     gründe müssen jedenfalls noch besser vermittelt wer-
 seits werden die Anforderungen und Ansprüche der            den, damit dieses herausfordernde und anspruchsvolle
 ­Gesellschaft im Hinblick auf Umweltschutz und Biodi-       Konzept in der Praxis breiter ausgerollt werden kann.
  versität an die Landwirtschaft generell, und da speziell   Das ist mit Sicherheit ein langfristiges Projekt.
  an die Grünlandwirtschaft, immer mehr. Dazu kommt
  noch der Klimawandel, der die Grünlandwirtschaft           Was ist Ihrer Meinung nach das Besondere an diesem
  vor enorme Herausforderungen stellt. Wir haben Gebie-      EIP-AGRI-Projekt?
  te, in denen die Grünlandbauern aufgrund massiven          Das Projekt wird vom Schulwesen und praktizierenden
  Schädlingsbefalls momentan buchstäblich mit dem            Landwirten getragen. In der Praxis wird Wissen gene-
  ­Rücken zur Wand stehen.                                   riert, das dann im Rahmen der Schule gleich an die künf-
                                                             tigen Bewirtschafterinnen und Bewirtschafter weiter­
Sie unterstützen das EIP-AGRI-Projekt zum abgestuften        gegeben werden kann. Konzeptuell stammt das Thema ja
Wiesenbau. Worin sehen Sie konkret das Potenzial             aus unserem Haus, das stets bestrebt ist, Rückkopplun-
für österreichische Grünlandbetriebe?                        gen zwischen Bildung und Umsetzung, zwischen Theorie
Jedes Projekt, das dazu beiträgt, die Grünlandwirtschaft     und gelebter Praxis herzustellen. Ich denke, dass diese
in Österreich weiterzuentwickeln, ist uns willkommen.        Art von Forschung sehr fruchtbringend sein kann, denn
Der abgestufte Wiesenbau ist ein Konzept, das die            Forschung soll ja nicht abgehoben im Elfenbeinturm
­eingangs erwähnten Anforderungen in gewisser Weise          passieren, sondern umsetzungsorientiert sein, Nutzen
 ­zusammenführt. Abgestufter Wiesenbau führt zur             stiften und uns insgesamt weiterbringen. q

            Umsetzung: Schritt für Schritt …
            Im Gespräch mit dem EIP-AGRI-Projektleiter Andreas Abfalter (FiBL)

Herr Abfalter, das Konzept des abgestuften Wiesenbaus        Im Zuge des Projekts konnten sowohl Erfahrungen
unterstützt die landwirtschaftlichen Betriebe dabei,         als auch Erkenntnisse über die praktische Umsetzung
­ökologisch nachhaltig zu wirtschaften, ohne dabei           der Wiesenbewirtschaftung in Betrieben ­gewonnen und
 ­Ertragseinbußen verzeichnen zu müssen. Was würden          daraus Empfehlungen für die Auswahl und Umstellung
  Sie Landwirtinnen und Landwirten raten, bei der            der Flächen sowie weiterführende Schritte entwickelt
  ­Umstellung auf abgestufte Grünlandbewirtschaftung         ­werden. Diese wurden in einem Leitfaden mit Hand-
   als Erstes in Angriff zu nehmen?                           lungsempfehlungen zusammengeführt, welcher über
   Der erste Schritt bei der Umstellung zur abgestuften       den Onlineshop des FiBL Österreich zum kosten­losen
   Wiesenbewirtschaftung sollte sein, sich verstärkt mit      Herunterladen zur Verfügung steht.
   dem eigenen Betrieb und dessen Flächen zu beschäfti-
   gen. Es müssen unter Berücksichtigung der Nähr­stoff­     Sie haben gemeinsam mit Ihrer Operationellen Gruppe
   verfügbarkeit Entscheidungen über potenzielle ­Flächen    das EIP-AGRI-Projekt zum abgestuften Wiesenbau
   sowohl für Intensivierungs- als auch für Extensivie-      ­umgesetzt. Wie waren Ihre Erfahrungen in der Zusam-
   rungsmaßnahmen getroffen werden. Ein im Zuge des           menarbeit von Praxis und Wissenschaft?
   Projekts entwickeltes Berechnungs- und Planungstool        Wissenschaft in Praxis umzusetzen braucht stets eine
   soll die Entscheidungsfindung unter­stützen.               gewisse Flexibilität, um auf unvorhersehbare Herausfor-
                                                              derungen gut reagieren zu können. Von der Zusammen-
Welche weiteren wesentlichen Erkenntnisse oder                arbeit der Partnerinnen und Partner aus unterschied­
­Empfehlungen konnten Sie aus dem Projekt ableiten?           lichen Fachbereichen hat das Projekt enorm profitiert. q
3.19 Netzwerk Zukunftsraum Land
10                Umwelt

            Das Problem mit den Emotionen
            Die schön gepflegte Landschaft ist ein gesellschaftliches Ideal, das im Natur-
            schutz Probleme bereitet. Dieses Ideal verhindert oft das Anlegen von Bio­
            diversitätsflächen als Rückzugsräume für Tiere, weil diese in den Augen vieler
            Menschen schlampig ausschauen. Nur eines von vielen Beispielen ist der Satz
            ­eines Bauern, der bei einer Beratung am Hof gefallen ist: „Ja, ich kann schon
             ­einen Wiesenstreifen stehen lassen, aber das geht nur ganz hinten beim Wald,
              wo die Mama nicht mehr hinkommt. Weil die darf das nicht sehen.“ Johannes Maurer

                                                                                              Das Projekt „Ordentlich! Schlampert.“
Man kommt schnell ins Gerede                    ­ andschaft ist nicht allein ein Ausschnitt
                                                L                                             stellt der menschlichen Wahrnehmung
                                                                                              von Schlampigkeit die Ordnung der
Es ist eine lustige Geschichte, aber dahinter   der Erdoberfläche mit allen Tieren und
                                                                                              Natur gegenüber.
steckt ein Konflikt, der tief in der Gesell-    Pflanzen, sondern auch das, was wir emotio-
schaft verankert ist. Wenn Bäuerinnen und       nal damit verbinden. Landschaft ist
Bauern, aber auch Hausgärtnerinnen und          damit auch Erinnerung an Erlebnisse und
Hausgärtner Flächen ungemäht lassen, müs-       Gerüche aus u   ­ nserer Kindheit, sie wird
sen sie teilweise nicht nur gegen Abneigung     durch ­Brauchtum und Vorstellungen
in der eigenen Familie ankämpfen, sie kom-      geformt, die uns von klein auf weiter­-
men auch bei den Nachbarn oder im Dorf          gegeben werden.
schnell ins Gerede. Das führt oftmals dazu,            Aus dem historischen Gedächtnis der
dass auf „schlampige“ Flächen lieber ver-       ­Gesellschaft ­ergibt sich, dass wir mit
zichtet wird. Nicht aus wirtschaftlichen         ­ordentlich ge­mähten Landschaften eine
Gründen, nicht weil eine solche Entschei-         vitale, lebende, glückliche Region
dung schwer in den Arbeitsalltag integrier-       ­verbinden. Dort aber, wo wilde Ecken
bar ist, sondern schlicht aus dem Gedanken         und Wegraine ­ungemäht bleiben,
heraus, was denn da die Nachbarn sagen             entsteht in uns das Gefühl von ­
werden, wenn eine Fläche nicht mehr                Niedergang: Die Bauern schaffen
­gemäht wird.                                      es nicht mehr, die Landschaft
                                                   zu pflegen, weil sie überfordert
Landschaft im Kopf                                 oder zu wenige sind. Die Leute
Der Schweizer Soziologe Lucius Burckhardt          ziehen weg, die Region stirbt –
formulierte einen umfassenden Land-                Vorgänge, die sich so in der
schaftsbegriff: „Landschaft ist in den Köpfen      Vergangenheit auch durchaus
der Betrachter zu suchen.“ Das bedeutet,           beobachten ließen.
Umwelt                    11

                                                  Ordentlich! Schlampert.
                                                  Nachdem wir unzählige Male den Satz „Aber      Die Insektenshow im Wirtshaus
                                                  wie werden denn da die Nachbarn reden!“ ge-    Um auch kritische Menschen zu erreichen,
                                                  hört hatten, überlegten wir, eine Gruppe von   gingen wir mit der interaktiven Show
                                                  Landwirtinnen und Landwirten, Ökologin-        ­„Insektenleben“ ins Wirtshaus. Mit viel
                                                  nen und Ökologen, wie wir auch die emotio-      ­Humor und unter Einbeziehung des Publi-
                                                  nale Ebene der Menschen erreichen können.        kums erzählten Wolfgang Suske und Georg
                                                  Aus diesen Überlegungen entstand das von         Derbuch dabei aus dem Leben von Insekten
                                                  Bund und EU geförderte Projekt „Ordentlich!      und Spinnen. „Ich hatte einen Vortrag
                                                  Schlampert.“ Die Doppeldeutigkeit des            über Insekten erwartet. Aber dass es zu
                                                  ­Namens ist gewollt. Die ungemähten Flächen      einer solch kurzweiligen und interessanten
                                                   und Streifen schauen ordentlich schlampert      Liveshow kam, mit dem habe ich nicht
                                                   aus, aber hinter der menschlichen Wahrneh-      ­gerechnet“, sagte eine der Zuhörerinnen
                                                   mung der Schlampigkeit steckt eine tiefer­       aus Lechaschau in Tirol. Und darum ging es
                                                   gehende Ordnung der Natur. Diesen Kontrast       uns: Wir wollten in gemütlicher Atmosphäre
                                                   zwischen Schlampigkeit und Ordnung zeigt         dem Gefühl der Schlampigkeit eine Neugier-
                                                   „Ordentlich! Schlampert.“ auf und regt an,       de auf das spannende Leben der Insekten
                                                   den eigenen Wertekanon zu hinterfragen.          in den Blühstreifen gegenüberstellen.

                                                  Die Natur hat ihre Ordnung                     Der begehbare Schlampertatsch
                                                  Zu Beginn holten wir in fünf ungewöhnli-       Herzstück der Kampagne ist der Schlamper-
                                                  chen Seminaren systematisch die Meinun-        tatsch, ein faszinierender Infostand.
                                                  gen von Bäuerinnen und Bauern zum Thema        Der Schlampertatsch sieht aus wie eine
                                                  Biodiversitätsflächen ein. Dabei entstanden    alte, überständige Wiese. Betritt man ihn,
                                                  Wirtshaussprüche, „Red zruck“-Antworten        taucht man in die verborgene Welt ­dieses
                                                  auf kritische Äußerungen und humorvolle        Wiesenstreifens ein und sieht kunstvolle
Eikokon der                                       Zeichnungen.                                   ­Kokons von Spinnen, architektonisch aufge-
Feenlämpchenspinne                                     Aus diesen Erfahrungen und einer paral-    baute Schmetterlingseier, in Reih und Glied
                                                  lel dazu durchgeführten Studie erstellten       abgelegte Eier von Käfern usw. Der Schlam-
                                                  wir eine Wanderausstellung. Diese in Form       pertatsch zieht durch sein s­ pektakuläres
                                                  einer vierseitigen Säule gestaltete Ausstel-    ­Äußeres die Menschen auf Märkten und
Das ganze Dorf muss dabei sein                    lung kommt mit wenigen Worten aus. Auf           ­Festen an und ermöglicht so, mit ihnen ins
 Aufgrund der heute intensiveren Bewirt-          den ersten beiden Seiten werden Bilder von        Gespräch zu kommen. Ein erster Schritt.
 schaftung haben sich Strukturen der Land-        „schlampigen“ Flächen gezeigt, um bei den             Das Projekt „Ordentlich! Schlampert.“
 schaft aber verändert. Ungemähte Streifen        Betrachterinnen und Betrachtern Emotionen         wurde im Mai 2019 abgeschlossen.
 oder Raine verweisen vielfach auf eine gute      auszulösen. Auf den folgenden beiden Seiten       Der Schlampertatsch ist noch im Einsatz,
 landwirtschaftliche Praxis, in der Bäuerin-      wird mit der kurzen Botschaft „Die Natur          und es wird auch weitere Aufführungen
 nen und Bauern aktiv Lebensraum für Tiere        hat ihre Ordnung“ der Schlampigkeit die           der Wirtshausshow geben. q
 schaffen, die es in den eigentlichen Kulturen    Ordnung der Natur gegenübergestellt. Damit
 aufgrund der intensiven und schnelleren          erschließt sich dem eigenen Empfinden eine
 ­Bewirtschaftung schwer haben. Schlampig-        mögliche andere Wahrnehmung und ein tief       Termine und weitere Infos unter
  keit in der Landschaft bedeutet somit           verankertes Bild wird ins Wanken gebracht.     www.ordentlich-schlampert.at.
  ­ordentliche Landwirtschaft. Rational können
   wir das rasch begreifen, aber auf der            Im Inneren des
   Gefühls­ebene lehnen wir es trotzdem ab.         Schlampertatschs
                                                    entdeckt man die
       Naturschutzberatung sollte daher
                                                    Schönheit und
   immer auch auf einer emotionalen Ebene           Ordnung der Natur.
   statt­finden, und das nicht nur bei Bäuerin-
nen und Bauern. Das ganze Dorf muss
­Biodiversitätsflächen mittragen. Tut es das
 nicht, kommen Bäuerinnen und Bauern
 schnell ins Gerede. Unter diesen Umständen
 werden Landwirtinnen und Landwirte nicht
 lange und mit wenig Freude etwas für die
 Tiere stehen ­lassen. q
12                                                    Standpunkte

Das Auto stehen lassen:

Wie gehen wir mit unseren
Mobilitätserfordernissen um?
Im ländlichen Raum war persönliche Mobilität immer schon eine
­Herausforderung. Ohne Auto geht vieles nicht. Jetzt kommt der Klimawandel
 dazu und macht ein schlechtes Gewissen, wenn man sich einfach ins
 Auto setzt und losfährt. Wir haben fünf Personen mit unterschiedlichen
 ­beruflichen Hintergründen gefragt, wie sie sich dem Thema stellen.

                                                                                                 Ein Plädoyer für
                                                                                                 den ­Fleckerlteppich
                          Die Tiroler Naturparke                                                 Die Wiener Stadtregierung möchte das
                          ­öffentlich erwandern                                                  ­individuelle Parkticket einführen und den
                          Nicht nur die globale Klimadiskussion,                                  „historisch gewachsenen Fleckerlteppich“
                          sondern ganz einfach der lokale Blick auf       Mona Harfmann,* 20,     entfernen. Weg mit den altbackenen,
                          Tirols Straßen genügt, um die Verkehrs­           Youth-Reporterin,     ­kategorischen Bezirksgrenzen – her mit
                          problematik tagtäglich zu ­„erleben“ –             ­Niederösterreich     den Schul-, Arbeits- und Kindergarten-
     Hermann Sonntag,
       ­Geschäftsführer   hier setzt das Projekt „WÖFFI – Wandern                                  Park­zonen! Das autoaffine Wien jubelt auf.
   Naturpark Karwendel    mit öffentlicher ­Anreise“ der Tiroler                                   Der Rest kann ob dieser Ansage nur den
                          ­Natur­parke an.                                                         Kopf schütteln. Timing ist alles, sagt man –
                                Im Naturpark Karwendel gibt es seit                                und in Zeiten des politisch immer mehr
                           fünf Jahren eine 98-seitige Wanderbro-                                  an B ­ edeutung gewinnenden Klimawandels
                           schüre, die das gesamte öffentliche                                     in diesem Fall wohl nichts. Denn: Wenn
                           ­Verkehrsangebot auf einen Blick sichtbar                               jede (Wienerin) bzw. jeder (Wiener) be-
                            macht und mit konkreten Wandertipps                                    ginnt, sich von nun an persönliche Park­
                            den ersten Schritt zum Umstieg auf um-                                 zonen zurechtzuzimmern, dann werden
                            weltfreundliches Reisen mit Bus und Bahn                               jegliche Ambitionen, Öffis zu verwenden,
                            ermöglicht. Die große Nachfrage ermutigte                              in Zukunft schwinden. Als langjährige
                            uns, dieses Konzept auf die anderen Tiroler                            ­Niederösterreicherin kann ich da nur
                            Naturparke zu übertragen und damit ge-                                  ­sagen: Bitte, liebe Stadt­bewohnerinnen
                            meinsam ein tolles Angebot zu erstellen.                                 und Stadtbewohner, g   ­ enießt ­weiterhin
                                Inzwischen trägt sich das erfolgreiche                               eure im Fünf-Minuten-­Takt ­fahrenden
                            Projekt der vielen Partnerinnen und Part-                                U-Bahnen! Nicht selber fahren müssen
                            ner aus Tourismus und Verkehr großteils                                  hat so seine Vorteile. Spritzwein trinken,
                            selbst und wird laufend aktualisiert.                                    zum Beispiel.
Standpunkte                         13

                        Drei bis vier Jahre länger leben
                        Etwa sieben Prozent aller Pkw-Wege der Österreiche-
                        rinnen und Österreicher enden schon nach einem
                        ­Kilo­meter. Eine ideale Fußwegdistanz. Untersuchungen
                         zeigen, dass die Lebenserwartung durchschnittlich
        Helmut Hiess,    drei bis vier Jahre höher liegt, wenn man sich 150 Minu-
    Rosinak & Partner    ten pro Woche bewegt. Genau dieses Pensum erreicht
­Ziviltechniker GmbH,    man, wenn man einen täglichen Hin- und Rückweg
                 Wien
                         von jeweils einem ­Kilometer Länge statt mit dem Auto
                         zu Fuß zurücklegen würde (BMVIT: Österreich unter-
                         wegs 2014).
                               Fast ein Fünftel aller Pkw-Wege geht über 2,5 km
                         nicht hinaus, und 40 Prozent sind kürzer als fünf km.
                         Ideale Distanzen für das Fahrrad und die Gesundheit:
                         Die Atemorgane werden trainiert, der Fettstoffwechsel
                         angekurbelt, das Immun­system gestärkt, der Rücken
                         ­gekräftigt und Glücks­hormone ausgeschüttet. Eigent-
                          lich ist es ganz leicht, das Auto einmal stehen zu
                          lassen, oder? Der Gesundheit zuliebe und zum Schutz
                          des Klimas!

                                                                                                               Den öffentlichen Verkehr
                                     Mit klimafreundlicher Mobili-                                             am Land aufrüsten!
                                     tät in die Sommerfrische                                                  Seit gut drei Jahren bin ich nun im Besitz
                                     Steigende Temperaturen und eine wahr-                                     des Führerscheins, keine drei Mal bin
                                     scheinliche Zunahme der Hitzetage                                         ich seitdem in Wien hinter dem Steuer
                                     sorgen vor allem in den Ballungsräumen                  Sharon Muska,*    ­gesessen. Und das nicht nur deshalb, weil
             Nadine Guggenberger,    für ­erhitzte Gemüter. Spontane Kurztrips               Youth-Reporter,    Autofahren nicht gerade zu meinen Lieb-
                     ­Klimawandel-   in kühle alpine oder seenahe Regionen                            Wien      lingsbeschäftigungen zählt, sondern
            anpassungsmanagerin,     werden immer beliebter! Aber bitte ohne                                    vor allem, weil die Notwendigkeit schlicht
             KLAR! Region Pongau
                                     Auto, denn etwa 75 Prozent der touristisch                                 nicht gegeben ist. Öffentliche Verkehrs-
                                     verursachten CO2-Emissionen sind dem                                       mittel bringen mich zuverlässig und güns-
                                     damit verbundenen Verkehr in Rechnung                                      tig überallhin, schonen überdies die Um-
                                     zu stellen. Über klima- und kundenfreund-                                  welt und hinterlassen deshalb ein gutes
                                     liche Mobilitätsangebote am Weg zur                                        Gewissen – bei Tag und bei Nacht. Besu-
                                     ­gewünschten Destination, aber auch wäh-                                   che ich aber die Verwandtschaft am Land,
                                      rend des Urlaubs freuen sich nicht nur die                                ist dort sogar die Autofahrt zum nächst­
                                      Gäste; auch die Bewohnerinnen und Be-                                     gelegenen Bahnhof unausweichlich. Zu
                                      wohner vor Ort profitieren von diesem                                     unregelmäßig sind die Intervalle der ört­
                                      ­erweiterten und optimierten Mobilitäts-                                  lichen Busverbindungen, zu weit entfernt
                                       angebot. Geschickt vermarktet kann sich                                  die einzelnen Bahnhöfe. Will man das
                                       eine Destination zudem einen Wettbe-         * Mehr über die Youth-­     ­Klima nachhaltig schonen, muss der
                                       werbsvorteil sichern und gleichzeitig          Reporter unter             ­öffentliche Verkehr im ländlichen Raum
                                       neue Arbeitsplätze schaffen. Somit werden      www.jugendportal.at/        rasch auf­gerüstet werden, um ernsthafte
                                                                                      youth-reporter
                                       neue Chancen durch Anpassung genutzt.                                      Alternativen zum Auto zu bieten.
14                 Forstwirtschaft

Stürme, Trockenheit, Schädlinge und Schneelast:

Klimabedingte Herausforderungen
in der Forstwirtschaft
            Die Klimaveränderung bringt neben einem langfristigen                                ­Innviertels sowie das gesamte Alpenvorland.
            ­Temperaturanstieg auch gehäuft kurzfristige Wetter­extreme                               Im Vergleich zu 2017 haben sich 2018 die
                                                                                                  Schäden durch den Borkenkäfer in Nieder-
             mit sich. Der Wald reagiert auf die Veränderungen seiner                             und Oberösterreich dramatisch erhöht. Die
             ­Umwelt langsam. Das macht ihn im Zusammenhang mit dem                               durch den Borkenkäfer geschädigte Holz-
              Klimawandel ­besonders anfällig für Schäden. Die klimabe-                          menge lag österreichweit bei 4,4 Millionen
                                                                                                 Efm. Das entspricht rund einem Viertel der
              dingten ­Herausforderungen, denen die Forstwirtschaft heute
                                                                                                 in Österreich jährlich geernteten Holzmenge.
              gegenübersteht, sind enorm. In den letzten ­Monaten häuften                        Für 2019 sind die Schadholzmengen durch
              sich Meldungen von Rekordschäden infolge von Stürmen,                              den Borkenkäfer noch nicht abschätzbar.
                                                                                                 Eine Entspannung ist derzeit nicht in Sicht,
              ­Trockenheit, Schädlingen und Schneelast. Johannes Schima
                                                                                                 und es ist möglich, dass die enorme Schad-
                                                                                                 holzmenge 2018 erreicht oder gar übertrof-
Im Zentrum der Diskussion steht dabei die          spürbar. In Nieder- und Oberösterreich         fen wird.
Fichte: Mit über 49 Prozent Flächenanteil im       fand der Borkenkäfer aufgrund des fehlen-          Die Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer
österreichischen Wald (auf die gesamte Er-         den Niederschlags optimale Bedingungen         im Süden Österreichs kämpften 2018 mit an-
tragswaldfläche bezogen) ist sie mit Abstand       vor und konnte sich dadurch außerge­          deren Katastrophen. In Osttirol und Kärnten
die bedeutendste Baumart. Messungen be­            wöhnlich stark ausbreiten. Die höchsten       vernichtete das Sturmtief Vaia im Herbst
legen, dass es der Fichte in Österreich in         Schäden mit 2,12 Millionen Erntefestmetern    ganze Waldstriche und Infrastruktur wie
­gewissen Regionen bereits zu heiß geworden        (Efm) wurden aus Niederösterreich gemel-      zum Beispiel Forststraßen. Allein in Kärnten
 ist. Sie wurde vom einstigen „Brotbaum“           det, ­wobei das Waldviertel am stärksten      betrug die Schadholzmenge durch Stürme
 der Forstwirtschaft vielerorts zum Problem-       ­betroffen war. Auch in Oberösterreich ver-   2018 1,1 Millionen Efm. Das Jahr 2019 begann
 baum, denn an ungeeigneten Standorten              zeichnete man einen borkenkäferbedingten     mit weiteren abiotischen Schäden in den
 ist sie besonders für Störungen anfällig.          Schadholzanfall von 1,26 Millionen Efm.      Wäldern: Außergewöhnliche Schneefälle
      Dies war im letzten Jahr für die österrei-    Hier waren die betroffenen Gebiete die       verursachten vor allem in Oberösterreich
 chische Forstwirtschaft besonders intensiv         ­tieferen Lagen des Mühl-, Hausruck- und     Schneebruch und Schneedruckschäden.
Forstwirtschaft                                                        15

                        Schadholzmengen durch Sturm, Schnee und Borkenkäfer
                        sowie Entwicklung der Lufttemperatur

                        in Mio. Vfm (Vorratsfestmetern)                                                                                                                                                                                                          oC

                        12,00                                                                                                                                                                                                                                     3

                                                                                                                                                                                                                                                                 2,5

                        10,00
                                                                                                                                                                                                                                                                  2

                                                                                                                                                                                                                                                                 1,5
                        8,00

                                                                                                                                                                                                                                                                  1

                        6,00                                                                                                                                                                                                                                     0,5

                                                                                                                                                                                                                                                                  0

                        4,00
                                                                                                                                                                                                                                                                –0,5

                                                                                                                                                                                                                                                                 –1
                        2,00

                                                                                                                                                                                                                                                                –1,5

                        0,00                                                                                                                                                                                                                                     –2
                                1944

                                       1946

                                              1948

                                                     1950

                                                            Ø 1952–65

                                                                        1967

                                                                                1969

                                                                                       1971

                                                                                              1973

                                                                                                     1975

                                                                                                            1977

                                                                                                                   1979

                                                                                                                          1981

                                                                                                                                  1983

                                                                                                                                         1985

                                                                                                                                                1987

                                                                                                                                                       1989

                                                                                                                                                              1991

                                                                                                                                                                     1993

                                                                                                                                                                            1995

                                                                                                                                                                                   1997

                                                                                                                                                                                          1999

                                                                                                                                                                                                 2001

                                                                                                                                                                                                        2003

                                                                                                                                                                                                               2005

                                                                                                                                                                                                                      2007

                                                                                                                                                                                                                             2009

                                                                                                                                                                                                                                    2011

                                                                                                                                                                                                                                           2013

                                                                                                                                                                                                                                                  2015

                                                                                                                                                                                                                                                         2017
                           Schaden durch Sturm und Schnee in Mio. Vfm                                                        Quelle: BFW/ZAMG

                           Schaden durch Borkenkäfer in Mio. Vfm
                           Lufttemperatur Österreich – Jahresmittelwert,                                                                                                           Seit 1990 Anstieg der Borken­
                           Abweichung zum Bezugszeitraum 1961–1990                                                                                                                 käfer-Schadholzmengen

Maßnahmenpaket Trockenheit                                                     rung des Programms für ländliche Entwick-                                                           Die Klimaänderung und ihre ­Aus­wirkungen
Solche Katastrophenereignisse in den                                           lung sollen durch Finanzumschichtungen                                                              beeinflussen den öster­reichischen Wald
­Wäldern erfordern rasches Handeln. Das                                        zusätzlich 8 Millionen Euro für Förderungen                                                         massiv. Bäume werden geschwächt und
 Schadholz muss schnellstmöglich e  ­ ntfernt                                  in den Schadgebieten zur Verfügung stehen.                                                          ­somit leichter anfällig für Schadinsekten
 werden. Das Maßnahmenpaket ­Trockenheit                                       Es wird auch einen speziellen Aufruf für                                                             bzw. -erreger. Seit 1990 ist den Daten
 für die Land- und Forstwirtschaft stellt                                      ­Förderprojekte zum Schutz der biologischen                                                          des Bundesforschungszentrums für Wald
 im Rahmen des Programms für ländliche                                          Vielfalt in den Schadgebieten geben, wo                                                             zufolge ein ­Anstieg der Borkenkäfer-­
 Entwicklung 35 Millionen Euro zur Unter-                                       ­Biotopholzinseln von stehendem Totholz                                                             Schadholzmengen zu ­verzeichnen. Nach
 stützung der Forstwirtschaft ­bereit. Die                                       im Ausmaß von rund 10 Prozent belassen                                                             dem Rekordjahr 2017 mit 3,3 Mio. fm
 Schwerpunkte liegen auf Sofortmaßnahmen                                         werden sollen, die gleichzeitig auch der                                                           ­(Festmetern), gefolgt von 4,4 Mio. fm 2018,
 zur Hintanhaltung weiterer Massenver­                                           CO2-Speicherung dienen.                                                                             ist für 2019 mit mindestens ähnlichen
 mehrungen der Käfer und auf der Wieder-                                              Für die Zukunft steht die Adaptierung                                                          ­Werten zu rechnen. Denn vor allem in den
 aufforstung der Wälder. Zusätzlich wurde                                        unserer Wälder an den Klimawandel an erster                                                          Borkenkäfer-Hotspots des Wald- und
 die Ausnahmeregelung zur Schadholz­                                             Stelle. Es gilt, die vielfältigen Waldleistungen,                                                    ­Mühlviertels ist es wieder trocken geblie-
 lagerung auf beihilfefähigen Flächen (ÖPUL-­                                    insbesondere die Nutz-, Schutz-, Wohlfahrts-                                                          ben. Auch der etwas kühlere Mai hat
 Flächen) bis Ende März 2020 ver­längert; die                                    und Erholungswirkung, sicherzustellen. Ziel                                                           nicht zur Abschwächung, sondern höchs-
 Errichtung von Nasslagern als Forstschutz-                                      ist ein vitaler, standortgerechter und an den                                                         tens zu einer zeitlichen Verschiebung
 maßnahme kann befristet mit bis zu 80 Pro-                                      Klimawandel angepasster Wald, der aktiv und                                                           beige­tragen. Vergleicht man die
 zent gefördert werden. Die F­ örderung bietet                                   nachhaltig bewirtschaftet wird. Denn nicht                                                            Temperatur­abweichung vom Mittelwert
 Waldbesitzerinnen und Waldbesitzern                                             zuletzt leisten stabile ­Wälder ­einen wichtigen                                                      im Bezugszeitraum 1961–1990 mit der
 einen Anreiz, bei der Schadholzaufarbeitung                                     Beitrag zum Klimaschutz. q                                                                            ­Borkenkäferschadholzkurve ist bereits
 ­Maßnahmen zu ergreifen. Konkret soll durch                                                                                                                                            ein ähnlicher Verlauf erkennbar. Statistiken
  ­vorbeugende Maßnahmen, Bekämpfungs-                                         Johannes Schima, stellvertretender Leiter der                                                            belegen den direkten Zusammenhang
   maßnahmen und chemischen Forstschutz                                        Sektion III ‒ Forstwirtschaft und Nachhaltigkeit                                                         von Temperaturabweichungen und Borken-
   eine Ausbreitung des Borkenkäfers verhin-                                   im Bundesministerium für Nachhaltigkeit und                                                              käferbefall.
   dert werden. Im Zuge der heurigen Ände-                                     Tourismus
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