Kohlenstoff kann Klimaschutz - Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen
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02 Carbon Management Strategie NRW Editorial 03 6 c Carbon Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen Liebe Leserinnen und Leser, „Wir können zukünftig nicht die weltweiten Kohlenstoffdioxidemissionen erreichen auch 2021 ein neues Rekordhoch und schädigen unser Klima mit immer deutlicher spürbaren Folgen. Und das längst nicht auf Kohlenstoff verzichten. mehr nur in den südlicheren Regionen der Welt, die zunehmend durch Hitzewellen, unbe- herrschbare Brände und Trinkwasserknappheit unter den Folgen der globalen Erwärmung Und das müssen wir auch leiden. Auch hier in Nordrhein-Westfalen bekommen wir durch sturzflutartige Regenfälle und Hochwasser, die für viele Bürgerinnen und Bürger im Sommer katastrophale Konse- quenzen hatten, inzwischen ein Gefühl für das Ausmaß der drohenden Klimakatastrophe. nicht. Aber wir müssen ganz Verständlich und nachvollziehbar also, dass Kohlenstoff, englisch Carbon, nicht gerade den besten Ruf genießt – insbesondere, wenn durch den Einsatz von fossilen Rohstoffen anders damit umgehen. klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO 2) entsteht. Kohlenstoff selbst hingegen ist für uns lebensnotwendig – wörtlich, weil Kohlenstoff nach Wasserstoff und Sauerstoff das wichtigste Element im menschlichen Körper und in der Natur ist. Aber auch die Grund produkte unserer modernen Industriegesellschaft wie Stahl, Aluminium, Zement oder Dafür brauchen wir neue Kunststoff bestehen aus Kohlenstoff oder benötigen ihn, um hergestellt werden zu können. Technologien und Prozesse, Wir können also auch zukünftig nicht auf Kohlenstoff verzichten. Und das müssen wir auch nicht. Aber wir müssen ganz anders damit umgehen. Dafür brauchen wir neue Technologien und Prozesse, die mit weniger oder teilweise auch ganz ohne Kohlen- die mit weniger oder teilwei- stoff auskommen. Und wir brauchen andere Kohlenstoffquellen, vor allem in Form von sekundären Rohstoffen, die im Sinne einer Kreislaufwirtschaft oder Circular Economy se auch ganz ohne Kohlen- wieder und wieder verwendet werden – anstelle von fossilen Rohstoffen. Dass dies die Industrie vor große Herausforderungen stellt, ist uns natürlich bewusst – stoff auskommen.“ nicht zuletzt, weil neue Technologien häufig sehr viel mehr Energie benötigen und der Einsatz von grünem Strom oder grünem Wasserstoff zurzeit noch höhere Kosten ver- ursacht. Doch zugleich liegen in solchen innovativen Lösungen für die klimafreundliche Produktion unserer Grundstoffe und die Transformation in eine Low Carbon Industry enorme internationale Wettbewerbschancen. 6 6 c Genau deshalb möchten wir jetzt einen Impuls setzen, ein neues Verständnis von und einen neuen Umgang mit Kohlenstoff zu etablieren. Wir zeigen in der Carbon Manage- c ment Strategie NRW, wie der Übergang in eine nachhaltige Kohlenstoffwirtschaft in Carbon Nordrhein-Westfalen gelingen kann, welche Herausforderungen dabei bestehen und wie wir diese überwinden können. Ich lade Sie ganz herzlich ein, jetzt mit uns gemeinsam eine Industrie zu gestalten, in der Kohlenstoff nicht nur als Problem, sondern auch als Carbon Teil der Lösung gesehen wird. Die Zeit drängt. Aber: Unter Druck entstehen Diamanten – natürlich aus Kohlenstoff. Ich wünsche Ihnen eine spannende und informative Lektüre! Prof. Dr. Andreas Pinkwart Prof. Dr. Andreas Pinkwart Minister für Wirtschaft, I nnovation, Minister für Wirtschaft, I nnovation, Digitalisierung und Energie Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen des Landes Nordrhein-Westfalen
04 Carbon Management Strategie NRW Inhalt 05 Inhalt 01 08–15 Zusammenfassung 02 16–19 Einleitung 17–18 2.1 Motivation und Ziele 19 2.2 Einordnung 03 20–27 Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie
06 Carbon Management Strategie NRW Inhalt 07 04 28–55 06 Ansätze zur Transformation 70–75 in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen Vorreiter beim Carbon Management: Projekte in Nordrhein-Westfalen 30–31 4.1 Potenziale und Grenzen der Dekarbonisierung 32–34 4.2 Defossilisierung mit Biomasse: Gut, aber nicht beliebig skalierbar 07 76–85 Erforderliche Rahmenbe dingungen und Instrumente, um richtig durchzustarten 34–35 4.3 Sekundärrohstoffnutzung: Kern 77–78 36–53 der industriellen Transformation 7.1 Green Deal und Klimaschutzgesetze 4.4 CCX: Voraussetzung für eine 78–79 klimaneutrale Industrie in Nordrhein-Westfalen 7.2 Rechtlicher Rahmen für die Ver wendung alternativer Kohlenstoffe 54–55 80–85 4.5 Fazit: Leitlinien für den n achhaltigen 7.3 Rahmenbedingungen im Umgang mit Kohlenstoff in Nordrhein-Westfalen Kontext des EU ETS 05 56–69 08 Branchenfokus: Chemie und Zement 86–93 Unser Weg in eine Low Carbon Industry: 57–65 Der Carbon Management Plan für Nord- 5.1 Carbon Management in der chemischen rhein-Westfalen Industrie in Nordrhein-Westfalen 66–69 94 Ausblick 5.2 Carbon Management in der Z ementindustrie 96 Anhang 102 Quellenverzeichnis in Nordrhein-Westfalen 114 Impressum
08 Carbon Management Strategie NRW Zusammenfassung 09 Mit der Carbon Management Strategie NRW verfolgt das grund stehen dabei die Abkehr von der weiteren Ausbeu- Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung tung fossiler Kohlenstoffquellen und der wirtschaftliche und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE) Umgang mit nachhaltigen alternativen Kohlenstoffquel- das Ziel, die Transformation in eine Low Carbon Industry len. Dadurch werden gleichermaßen die CO2 -Emissionen in Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen, um die Klima in Nordrhein-Westfalen gesenkt, die Versorgung der nord- schutzziele zu erreichen und den Industriestandort rhein-westfälischen Industrie mit Rohstoffen gesichert Nordrhein-Westfalen zu stärken. Es werden Ansätze und und Wettbewerbsvorteile durch eine frühzeitige Einfüh- Leitplanken zum nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff rung innovativer Prozesstechnologien geschaffen, die mit in Nordrhein-Westfalen vorgestellt und Maßnahmen ent- neuen Chancen für Unternehmen verknüpft sind – zum wickelt, die eine zukunftsfähige Kohlenstoffwirtschaft Beispiel für die starke Basis der Anlagenbauer in Nord- in unserem Bundesland unterstützen sollen. Im Vorder- rhein-Westfalen. 01 08–15 Zusammenfassung Fossiler Kohlenstoff ist derzeit noch das Rückgrat unserer Industrie. P Das Erreichen der Klimaschutzziele bei gleichzeitigem Erhalt von Wohl- stand und Wettbewerbsfähigkeit in einer Industriegesellschaft erfor- dert eine umfassende Transforma- Es bestehen neben der Dekarbonisierung, also dem vollständigen Verzicht auf Kohlen- tion industrieller Prozesse. Ebenso stoff, drei Ansätze, um den Umgang mit Kohlenstoff klimaneutral zu gestalten: ist dafür ein verändertes Wirtschaf- ten mit Energie, Rohstoffen und CO2 vonnöten. J Defossilisierung (Ersatz von fossilem Kohlenstoff durch Biomasse) J Nutzung von Sekundärrohstoffen (Recycling) J Carbon Capture and X (CO2-Abscheidung, -Transport, -Nutzung und -Speicherung)
10 Carbon Management Strategie NRW Zusammenfassung 11 Abbildung 1: Ansätze und Handlungsfelder zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen HANDLUNGSFELD IV Gesellschaftlicher Diskurs Kohlenstoff hat vielfältige Einsatzfelder und -zwecke in Wertschöpfungspfade beleuchtet. Alternative Wert- der Industrie. Somit gibt es auch keine pauschale Lösung schöpfungspfade, also solche, die nicht auf fossilen Roh- HANDLUNGSFELD II für die Transformation. Vielmehr muss branchenspezi- stoffen und konventionellen Technologien oder Prozessen Nachhaltige Kohlenstoffnutzung fisch nach Möglichkeiten gesucht werden, um die Nut- basieren, weisen in Abhängigkeit von Kohlenstoffquelle HANDLUNGSFELD I HANDLUNGSFELD III zung von und den Verzicht auf Kohlenstoff nachhaltig und Anwendungsfall deutliche Unterschiede auf. Bei de- Reduzierung der Kohlenstoffintensität CO2-Management zu gestalten. Aus diesem Grund werden in der Carbon ren Betrachtung steht insbesondere ihre Nachhaltigkeit Management Strategie NRW auch verschiedene, auf im Fokus, die nicht allein anhand der Kohlenstoffquelle alternativen Kohlenstoffquellen basierende industrielle bestimmt werden kann. Defossilisierung Carbon Capture and X Dekarbonisierung (Ersatz von fossilem (CO2 -Abscheidung, -Transport, Kohlenstoff durch Biomasse) -Nutzung und -Speicherung) (Verzicht auf Kohlenstoff) Die für die Beurteilung der N achhaltigkeit Nutzung von Sekundärrohstoffen (Recycling) heranzuziehenden Kriterien sind umfassender: Verzicht auf Kohlenstoff Klimaneutraler Umgang mit Kohlenstoff J CO - und Energiebilanz des Wertschöpfungspfades 2 regulatorische und organisatorische Gegebenheiten, Handlungsfeld I: Reduzierung der Kohlenstoffintensität die die nachhaltige Kohlenstoffnutzung derzeit ebenso in der nordrhein-westfälischen Industrie hemmen wie bilanzielle, werden wir kurzfristig angehen, Wir möchten die Verringerung der Kohlenstoffintensität um die schnelle Transformation in eine zukunftsfähige, in der Industrie ermöglichen und die Umwandlung von zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft in Nordrhein-Westfalen J Stofflicher Bedarf an Wasserstoff im Zuge der einer High Carbon Industry in eine Low Carbon Industry beschleunigen. Der vollständige Verzicht auf Kohlenstoff zu ermöglichen. Umwandlung und Produktherstellung ist längerfristig in solchen Bereichen erforderlich, die Handlungsfeld III: CO2 -Management einer Dekarbonisierung grundsätzlich zugänglich sind. Wir werden uns dafür einsetzen, dass geeignete Optionen Seitens der Landesregierung unterstützte Entwicklun- zur Abscheidung, zum Transport, zur Nutzung und zur gen, wie der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, der Speicherung von Kohlenstoffdioxid nutzbar werden. Diese J Qualität, Schädlichkeit und Marktpotenzial des Ausbau von Wind- und Solarenergie, der Ausbau von Energieinfrastrukturen wie Netzen und Speichern sowie müssen ergebnisoffen und zügig geprüft werden, um deren zeitnahe und langfristige Beiträge zur Emissionsre- resultierenden Produktes die Förderung kohlenstofffreier Prozesse und Techno- duktion zu ermöglichen, ohne die unsere Klimaschutzziele logien, begleiten die Dekarbonisierungsanstrengungen nicht zu erreichen sind. Dafür, dass die rechtlichen Rah- der Industrie. menbedingungen geschaffen werden, werden wir uns auf Bundesebene einsetzen. Zeitgleich werden wir die CO2 -In- Handlungsfeld II: frastrukturplanung in Nordrhein-Westfalen vorantreiben. Nachhaltige Kohlenstoffnutzung in Zwei Branchen stehen bei der Transformation in eine zur A bscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 Nordrhein-Westfalen Handlungsfeld IV: Gesellschaftlicher Diskurs Low Carbon Industry besonders im Fokus. Zum einen die hier auch langfristig von Bedeutung sein. Wir wollen einen nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff in Wir wollen die Einbeziehung der Gesellschaft in Nordrhein- chemische Industrie, die zwar auf Kohlenstoff angewie- Nordrhein-Westfalen etablieren. Dazu zählt der adäquate Westfalen durch frühzeitige Einbindung, transparente sen ist, jedoch aufgrund des CO2 -Verwertungspotenzials Nordrhein-Westfalen wird im Rahmen des Carbon Umgang mit Biomasse ebenso wie der gezielte Ausbau Informationen und nachvollziehbare, einvernehmlich eine Branche sein könnte, die sich von einer CO 2 -Quelle Managements Aktivitäten in vier Handlungsfeldern der sekundären Rohstoffbasis und die (Weiter-)Entwick- gestaltbare Prozesse auf eine neue Ebene heben. Die skiz- in Zukunft zu einer CO2 -Senke wandelt. Zum anderen die aufnehmen, um die Transformation in eine Low Carbon lung von Carbon-Capture-and-Usage-Anwendungen. zierte Transformation der Industrie geht sicherlich mit um- Zementindustrie, in der die CO2 -Entstehung im Zuge der Industry – auf Basis der oben genannten Ansätze zum Die Voraussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaften fassenden Veränderungen einher, die auch der Akzeptanz kalkbasierten Klinkerherstellung auch zukünftig nicht Verzicht auf beziehungsweise klimaneutralen Umgang mit Kohlenstoff ist eine technologieoffene Abwägung in der Gesellschaft bedürfen. Gerade deshalb wollen wir vermieden werden kann. Deshalb wird die Möglichkeit mit Kohlenstoff – weiter zu beschleunigen. der verschiedenen alternativen Wertschöpfungspfade – die Zukunft unseres Bundeslandes mit den Bürgerinnen sowohl im Vergleich zu dem jeweiligen konventionel- und Bürgern gemeinsam und auf Augenhöhe gestalten. len Prozess als auch untereinander. Ökonomische,
12 13 Abbildung 2: Carbon Management Plan NRW Niedersachsen Carbon Management Strategie NRW 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 2045 Niederlande M1 Gezielte Entwicklung kohlenstofffreier Technologien und Prozesse in NRW M2 Beschleunigter Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in NRW M3 Ausbau der Versorgung NRWs mit erneuerbaren Energien M1 Nachhaltige Nutzung bio- logischer Ressourcen in NRW F1 Ambitioniertere Anpassung des rechtlichen HANDLUNGSFELD I Rahmens zum CO2-Handling in Deutschland J Reduzierung der M1 Kohlenstoffintensität CO2-Transportinfrastruktur für NRW M2 Nationale und internationale CCX-Kooperationen mit NRW HANDLUNGSFELD II J Nachhaltige F2 Adäquate Förderlandschaft Kohlenstoffnutzung für eine Low Carbon Industry F1 Level Playing Field und Carbon-Leakage-Schutz HANDLUNGSFELD III M3 J CO -Management 2 Förderwettbewerb „CCU-Modellregionen in NRW“ M2 Carbon Monitoring in NRW HANDLUNGSFELD IV J Gesellschaftlicher Diskurs M3 Benchmark nachhaltiger Wert- schöpfungspfade mit Fokus auf NRW Maßnahme Forderung M1 Carbon Education in NRW F1 Sustainable Carbon Label F3 Ausbau der sekundären Rohstoffbasis Hessen
14 Carbon Management Strategie NRW Zusammenfassung 15 3 Den nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff zu etablieren, Die Landesregierung unterstützt die Transformation stellt für die nordrhein-westfälische Industrie eine erheb- in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen liche Chance dar. Als Vorreiter im Bereich Low Carbon bereits durch die zielgerichtete Förderung von Schlüssel- Den Unternehmen der Kreis- Industry können entscheidende Wettbewerbsvorteile ge- projekten für die nachhaltige Kohlenstoffnutzung, die laufwirtschaft kommt eine schaffen werden: Durch die früh- beziehungsweise vorzei- Positionierung gegenüber der Bundesregierung und der tragende Rolle zu. Starke tige Reaktion auf die immer stärkere Nachfrage nach grü- Europäischen Kommission und die bundesweit einzig- Allianzen mit der Industrie nen Produkten und den steigenden regulatorischen und artige Landesinitiative IN4climate.NRW, welche Akteuren Die Industrie in Nordrhein-Westfalen müssen aufgebaut und neue ökonomischen Druck zur Erreichung der Klimaschutzziele aus Industrie, Wissenschaft und Politik eine Plattform zur braucht eine andere Rohstoffbasis: Geschäftsmodelle entwickelt (beispielsweise durch steigende CO 2 -Preise oder den gemeinschaftlichen Erarbeitung innovativer Strategien Sekundärrohstoffe sollten insgesamt werden, um die Verfügbarkeit Wegfall kostenloser Zuteilungen im EU ETS) sowie durch für eine klimaneutrale Industrie bietet. Vorrang haben vor Biomasse und CO2. und die stoffliche Verwertung 4 die Entwicklung von Carbon-Management-Blaupausen Kreislaufwirtschaft ist der zentrale von Abfällen zu maximieren. und Klimaschutz-Technologien für die ganze Welt. Mit der Carbon Management Strategie setzt das M WIDE Schlüssel für die Transformation und nun den entscheidenden Impuls, um die nachhaltige die Voraussetzung für den wettbe- Kohlenstoffwirtschaft in der nordrhein-westfälischen werbsfähigen Umbau der Wertschöp- Industrie zu starten. fungsketten. Nur durch eine zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft können die Ziele Klima- und Ressourcenschutz vereint 5 werden. Recycling muss „der“ zentrale Stoffstrom der nordrhein-westfäli- schen Industrie werden – dafür müs- sen auf Bundesebene entsprechende Kernaussagen und Eckpunkte im Überblick Anreize gesetzt und Vorgaben zur Normung gemacht werden. Wir brauchen eine CO2 -Infrastruk- tur in Nordrhein-Westfalen und 2 über die Landesgrenzen hinaus, die CCU und CCS möglich macht. CO2 -basierte Produkte sind Die Planung und Entwicklung weder automatisch „grün“ dieser werden wir mit Hochdruck noch nachhaltig: Unternehmen vorantreiben. Von der Bundesre- sind bei der Umsetzung von gierung fordern wir zugleich, dass In spezifischen – auch indus Projekten und der Technologie- die erforderlichen rechtlichen Vor- Kohlenstoff ist das Rückgrat triellen – Teilbereichen ist eine auswahl dazu angehalten, den aussetzungen geschaffen werden. der Industrie in Nordrhein- „echte“ Dekarbonisierung aber gesamten Kohlenstofflebens- Westfalen: Die nordrhein- möglich. Diese Potenziale wollen zyklus sowie insbesondere westfälische Industrie kann und wir heben: Anwendungen, die auch die Energieeffizienz zu 6 soll nicht vollständig dekarboni- dekarbonisiert werden können, betrachten. siert, also vom K ohlenstoff „be- sollten auch dekarbonisiert wer- Eine Elektrifizierung von Prozessen freit“, werden. Der Kohlenstoff, den. Die Industrie muss daher ist nicht immer die beste Wahl. Denn der zukünftig eingesetzt wird, gezielt kohlenstofffreie Prozesse in manchen Prozessen führt Elektri- und die Art, wie er eingesetzt und Technologien entwickeln. fizierung zu einer Verschlechterung wird, müssen allerdings nach- der CO2 -Bilanz oder zieht unver- haltig sein. hältnismäßig hohe Energieaufwände 1 nach sich. Alternative Prozessrouten müssen daher generell immer tech- nologieoffen und ganzheitlich be- trachtet und bezüglich ihrer Eignung abgewogen werden. 7
16 Carbon Management Strategie NRW Einleitung 17 2.1Motivation und Ziele Kohlenstoff ist allgegenwärtiger Bestandteil industrieller Wertschöpfungsprozesse. Als häufigstes, reaktions- freudigstes und in vielen Verbindungen vorkommendes Element auf der Erde übernimmt Kohlenstoff zugleich mehrere Funktionen. So kommen kohlenstoffhaltige Roh- stoffe in der Industrie bei weitem nicht nur zum Einsatz, um Wärme oder Strom zu erzeugen. Vielmehr überneh- men sie neben ihrer Funktion als Energieträger gleicher- maßen Funktionen als prozesstechnische Hilfsmittel, 02 etwa als Reduktionsmittel in der Stahlherstellung, oder dienen als Grundstoffe zur Herstellung von Produkten wie zum Beispiel Arzneimitteln oder Kunststoffen. 16–19 Fossile Rohstoffe sind besonders kohlenstoffhaltig und bilden bislang die Basis industrieller Fertigung. Der Einsatz von fossilen Einleitung Ressourcen führt dazu, dass Aus Steinkohle hergestellter Koks wird zum Beispiel als Reduktionsmittel bei der Stahlherstellung benötigt und immer neue, zusätzliche Erdöl und Erdgas, die aus Kohlenwasserstoffverbindun- Mengen CO2 in die Atmo- P Kohlenstoff ist unverzichtbar. Wir müssen aber viel bewusster gen bestehen, sind die stofflichen Hauptbestandteile beinahe aller chemischen Produkte und Kraftstoffe. Während die energetische Nutzung zum Teil schon durch sphäre eingebracht werden. damit umgehen – um das Klima erneuerbare Energien ersetzt wird, ist Kohlenstoff als zu schützen, um die Rohstoffver- Roh- oder Hilfsstoff in der Industrie derzeit noch fast Ohne einen veränderten sorgung zu sichern und um wett- ausschließlich fossilen Ursprungs. Vor dem Hintergrund bewerbsfähig zu bleiben. der Verschärfung der Klimaschutzziele ist daher eine Umgang mit Kohlenstoff schnellstmögliche Abkehr von fossilen Kohlenstoffen notwendig. Dies gilt in besonderem Maße für das Indus in der Industrie können die trieland Nordrhein-Westfalen. Klimaschutzziele daher nicht Mit gut 22 Prozent Anteil an den Treibhausgasemissionen Nordrhein-Westfalens rangiert die Industrie auf Platz 2 erreicht werden. unter den Sektoren (Platz 1: Energiewirtschaft mit knapp 45 Prozent).1 Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021, in dem die teilweise Verfassungswidrigkeit der nationalen Klimaschutzziele entschieden wurde2, und der daraufhin erfolgten Änderung des nationalen Klima- schutzgesetzes, die der Bundesrat nur acht Wochen später bestätigte3, hat sich der Druck nochmal deutlich erhöht. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bereits 2045 die Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen. Dazu wurden die Emissionsreduktionsziele in den einzelnen Sektoren deutlich verschärft. Auch Nordrhein- Westfalen hat sich mit der am 1. Juli 2021 im Landtag beschlossenen Novelle des Klimaschutzgesetzes aus dem Jahr 2013 als erstes Bundesland den ambitionierten Zielen der Bundesregierung angeschlossen.
18 Carbon Management Strategie NRW Einleitung 19 2.2 Einordnung Aber nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes muss die ersorgung der Industrie zu sichern, Klimaschutz zu V Die vorliegende Carbon Management Strategie Nord- zu den europäischen und deutschen Klimaschutzzielen Nutzung fossiler Ressourcen deutlich reduziert werden. betreiben und die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie- rhein-Westfalen behandelt die Transformation der nord- leisten können. Die Energieversorgungsstrategie wird im Auch die grundsätzliche Begrenztheit des globalen Vor- standorts Nordrhein-Westfalen zu erhalten. rhein-westfälischen Industrie von einer fossilen in eine November 2021 in aktualisierter Fassung vorgestellt. rats an fossilen Ressourcen macht es erforderlich, dass weitgehend defossile, kohlenstoffreduzierte und dennoch vor allem die heutige intensive Nutzung der Rohstoffe Um den eingangs geschilderten Herausforderungen zu wettbewerbsfähige Wirtschaftsweise. Es werden alter- Die Verfügbarkeit von sauberem Wasserstoff ist entschei- Erdöl, Erdgas und Kohle in allen Sektoren sukzessive begegnen, sollen im Rahmen der Carbon Management native, nachhaltige industrielle Wertschöpfungsketten be- dend für eine Low Carbon Industry. Aufbauend auf den zurückgehen muss. Strategie NRW Leitlinien zum nachhaltigen Umgang mit leuchtet, um den Übergang in eine Low Carbon Industry in Wasserstoffstrategien der Europäischen Union (EU) und Kohlenstoff in Nordrhein-Westfalen erarbeitet werden. Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen und einen Beitrag des Bundes wurde Ende 2020 die Wasserstoff-Roadmap Für die nordrhein-westfälische Industrie bedeutet dies, Im Vordergrund stehen dabei die Abkehr von zukünftig zur Erreichung der Klimaschutzziele zu leisten.4 des Landes Nordrhein-Westfalen7 veröffentlicht und darin dass innovative Technologien und Verfahren, eine zu substituierenden fossilen Kohlenstoffquellen und der die Chancen und Herausforderungen, Handlungsfelder alternative Rohstoffbasis und ein nachhaltiger Umgang wirtschaftliche Umgang mit nachhaltigen, alternativen Das 2019 vorgestellte Industriepolitische Leitbild des und Ziele beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in mit Kohlenstoff erforderlich sind, um die rohstoffliche Kohlenstoffquellen. Landes Nordrhein-Westfalen5, mit welchem die Landes- Nordrhein-Westfalen und beim Einsatz von Wasserstoff in regierung den Industriestandort Nordrhein-Westfalen den Sektoren Industrie, Mobilität und Energie beschrieben. dauerhaft zum weltweit führenden Innovationsmotor und zum modernsten, klima- und umweltfreundlichsten Die in Hinblick auf die Produktionsmenge und das Markt Industriestandort weltweit machen will, zeigt die Hand- volumen größte mögliche Carbon-Capture-and-Usage- Die zentralen Ziele, die wir mit dem lungsfelder und die Zielrichtung für eine kontinuierliche Anwendung (CCU-Anwendung) ist die Herstellung Weiterentwicklung des Industriestandorts Nordrhein- synthetischer Kraftstoffe für die Mobilität. Das Hand- Carbon Management in Nordrhein-Westfalen Westfalen auf. lungskonzept Synthetische Kraftstoffe Nordrhein-West- falen, das Ende 2021 vorgelegt wird, weist das zugehörige verfolgen, sind: Mit der Energieversorgungsstrategie Nordrhein- Marktpotenzial in Nordrhein-Westfalen aus und definiert Westfalen 6 wurden Mitte 2019 die wesentlichen Maßnahmen zur Unterstützung eines zielgerichteten J Senkung der CO -Emissionen in Nordrhein-Westfalen 2 Handlungsfelder beschrieben, die Nordrhein-Westfalen als innovativen Industrie- und Wirtschaftsstandort er- Markthochlaufs. J Langfristige Sicherstellung einer nachhaltigen rohstofflichen halten und stärken sollen und gleichzeitig einen Beitrag Versorgung der nordrhein-westfälischen Industrie J Erhalt und Stärkung des Industriestandorts Nordrhein-Westfalen 6 c Carbon Die Carbon Management Strategie NRW setzt den entscheidenden I mpuls, um die 6 c Transformation in eine Low Carbon I ndustry in Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen und damit lokal und global einen Beitrag zur Er- reichung der Klimaschutzziele und zum nach- haltigen U mgang mit Kohlenstoff zu leisten.
20 Carbon Management Strategie NRW Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie 21 Fossile Rohstoffe haben Kohlenstoff über geologische Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle (Stein- und Braun- Zeiträume – in der Regel über mehrere Hunderttausend kohle) zum Bezugsjahr 2019 die nachfolgend skizzierte Jahre oder länger – natürlich eingelagert. Infolge ihrer Datenlage ausweist. Nutzung wird dieser sicher konservierte Kohlenstoff plötzlich frei, lagert sich in sehr kurzer Zeit und in großen Erdöl ist mit einem Anteil von gut 35 Prozent am Primär- 03 Mengen in der Atmosphäre ein und wird so zum Haupt- energieverbrauch der wichtigste Energieträger Deutsch- treiber des Klimawandels. Sowohl aus Klimaschutzgrün- lands. Als einer der größten Mineralölverbraucher den als auch mit Blick auf die Endlichkeit dieser Ressour- weltweit ist Deutschland fast vollständig auf den Import 20–27 cen müssen fossile Kohlenstoffquellen daher künftig so weit wie möglich ersetzt werden. von Erdöl und Erdölprodukten angewiesen. Bei einem Verbrauch von 103 Millionen Tonnen Erdöl stammen nur knapp 2 Prozent aus inländischer Förderung – mit weiter Kohlenstoff: Das Rückgrat Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) legt seit 1980 in jährlicher Folge den Rohstoffsi- rückläufiger Tendenz. Es besteht somit beim Erdöl eine fast vollständige Importabhängigkeit. In Nordrhein-West- der nordrhein-westfälischen tuationsbericht für Deutschland8 vor, der für die fossilen falen wird kein Erdöl gefördert. Industrie P Zurzeit decken fast ausschließlich fos- 35 sile Rohstoffe die Bedürfnisse unserer Industriegesellschaft nach Strom, Wärme, Mobilität und einer Vielzahl von Dienstleistungen und Produkten – allen voran Erdöl, Erdgas und Kohle: Rohstoffe, die reich an dem wertvollen Element Kohlenstoff sind. Prozent der Energieversorgung Deutschlands wird derzeit durch Erdöl gedeckt.
22 Carbon Management Strategie NRW Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie 23 Erdgas ist derzeit mit einem Anteil von rund 25 Prozent am Im Jahr 2019 war Kohle mit einem Anteil von 17,9 Prozent Primärenergieverbrauch der zweitwichtigste Energieträger (Steinkohle mit 8,8 Prozent, Braunkohle mit 9,1 Prozent) Deutschlands. Aus der inländischen Förderung stammten am Primärenergieverbrauch nach Erdöl und Erdgas der im Jahr 2019 mit rund 6,7 Milliarden Kubikmetern knapp 6 drittwichtigste Energieträger Deutschlands. Mit dem ge- Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases – mit setzlich beschlossenen Ausstieg aus der subventionierten seit vielen Jahren weiter rückläufiger Tendenz aufgrund zu- Steinkohlenförderung endete Ende 2018 die Steinkohlen- nehmender Erschöpfung der Lagerstätten und fehlender förderung in Deutschland. Der weiter bestehende Bedarf 18 signifikanter Neufunde. Aus gleichen Gründen gehen die an Steinkohle wird ausschließlich über Importe gedeckt. Rohgasreserven (sichere Reserven 24,8 Milliarden Kubik- Die Importe von Steinkohle und Steinkohlenprodukten meter, wahrscheinliche Reserven 21,8 Milliarden Kubik- lagen 2019 bei 42,2 Millionen Tonnen.9 meter) in Deutschland erheblich zurück. Niedersachsen verfügt im Ländervergleich mit einem Anteil von knapp 99 Prozent an den gesamten Rohgasreserven über die größ- Prozent ten Erdgasvorkommen in Deutschland. Dieses Bundesland erbringt mit einem Anteil von rund 97 Prozent auch den größten Anteil an der Förderung. In Nordrhein-Westfalen wird kein Erdgas gefördert. Anteil an der Energieversorgung Die Erdgasimporte wie auch die Re-Exporte nahmen hin- machen Kohle aktuell noch zum gegen deutlich zu – dies ist auch ein Zeichen der hohen Bedeutung Deutschlands mit seinem sehr gut ausgebau- drittwichtigsten Energieträger ten Gasnetz und den großen Gasspeicherinfrastrukturen als internationale Drehscheibe für Gastransporte auch in Deutschlands. andere europäische Mitgliedstaaten, wo dies ebenfalls zur Versorgungssicherheit beiträgt. 25 Braunkohle ist derzeit der wichtigste heimische fos- Kalk ist ebenfalls eine fossile Kohlenstoffquelle, nimmt sile Energieträger, wenngleich Kohle gemäß dem vom jedoch im Vergleich zu den obenstehenden fossilen Deutschen Bundestag im August 2020 verabschiedeten Energieträgern eine andere Rolle ein – denn weder kann Kohleausstiegsgesetz nur noch bis spätestens 2038 Kalk energetisch genutzt noch in signifikantem Umfang einen Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten substituiert werden. Vor allem aus der Baustoffindustrie wird.10 Der gesamte Absatz an Braunkohle aus inländi- ist Kalk als Grundstoff für die Zementherstellung nicht Prozent schem Aufkommen lag im Berichtsjahr 2019 bei 131,3 wegzudenken. Aber auch in der chemischen Industrie und Mit Millionen Tonnen und wurde in drei Revieren gefördert: zur Reinigung der Abgase aus industriellen Prozessen im Rheinischen Revier im Südwesten Nordrhein-West- wird Kalk benötigt. Zudem ist zukünftig von einer weiteren ist Erdgas derzeit der zweit falens (Förderung 64,8 Millionen Tonnen) mit den drei Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden sowie in Steigerung der Nachfrage bei Kalk auszugehen. wichtigste Energie- und Kohlen- den Revieren Mitteldeutschland und Lausitz (zusammen 66,5 Millionen Tonnen).11 Bis einschließlich 2029 über- stoffträger Deutschlands. nimmt Nordrhein-Westfalen mit mehr als 70 Prozent der bundesweit zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten eine Vorreiterrolle beim Kohleausstieg.
24 Carbon Management Strategie NRW Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie 25 Die aktuelle Rohstoffbasis der nordrhein-westfälischen Oftmals entstehen in der Grundstoffindustrie im Industrie: ein eng vernetztes, fossil geprägtes Zuge der Herstellung der Hauptprodukte auch Wertschöpfungsnetzwerk Nebenprodukte und Reststoffe, die in anderen Die Wertschöpfungspfade der nordrhein-westfälischen Das sind meist spezielle, aber äußerst vielfältige Anwen- Branchen weiterverwendet werden: Industrie sind zurzeit enorm von den oben beschriebenen dungen, von der Herstellung von Kunststoffen und Fasern fossilen Primärrohstoffen abhängig. Diese Abhängigkeit über Waschmittel, Kosmetika, Farben und Lacke, Druck- zieht sich durch alle Branchen: farben, Klebstoffe, Baustoffe, Hydrauliköle und Schmier- mittel bis hin zu Arzneimitteln.12 J Der in der Petrochemie anfallende Koks J Sowohl in der Stahl- als auch in der Alu- dient als Brennstoff, Reduktionsmittel miniumindustrie entstehen außerdem Die (petro-)chemische Industrie in Deutschland setzte 2017 rund 20 Millionen Tonnen Erdöl, Erdgas und Kohle Die Baustoffindustrie bezieht vor allem mineralische und Kohlenstoffquelle für die Rohstahl- Schlacken, die im Straßenbau und in stofflich ein. Dies entspricht etwa 5 Prozent der hierzulan- Primärrohstoffe: Gips/Anhydrit, Ölschiefer, Trass, Kalk- erzeugung im Hochofen. der Landwirtschaft eingesetzt werden. de insgesamt eingesetzten fossilen Rohstoffe (insgesamt mergel, Kalkstein und Kreide. Kalkstein kommt in der 397 Millionen Tonnen im Jahr 2017). Betrachtet man nur Erdöl, liegt der Anteil der stofflichen Nutzung durch die Glasindustrie zusammen mit Sand, Feldspat und Dolomit als Primärrohstoff zum Einsatz. Das aus Kalkmergel, J Anfallender Petrolkoks wird zur Her- J Der ebenfalls in der S tahlindustrie stellung von Kohlenstoff-Anoden für anfallende Hüttensand wird in der Chemie mit 15 Prozent deutlich darüber. An erster Stelle Kalkstein und Kreide hergestellte Vorprodukt Kalk wird steht dabei das Spalten von Rohbenzin (Naphtha) in eine zudem branchenübergreifend zum Beispiel zur Neutrali- die Aluminiumelektrolyse eingesetzt. Zementindustrie als Ersatz für Reihe von Basischemikalien, deren Weiterverarbeitung sierung und zur Rauchgasreinigung genutzt. Zementklinker eingesetzt. eine nahezu unerschöpfliche Vielfalt an Synthesemöglich- J In der chemischen Industrie anfallende keiten bietet. Immerhin 2,7 Millionen Tonnen nachwach- sende Rohstoffe, von denen Fette und Öle knapp die Hälf- Während in der Stahlindustrie Eisenerz, Kohle, Erdgas und Legierungsmetalle eingesetzt werden, sind in der Alu- Natronlauge hat sich von einem Neben- J Auch bei der energiewirtschaftlichen produkt aus der Chlorherstellung zu Nutzung von fossilen Rohstoffen in te ausmachten, wurden 2017 stofflich in der chemischen miniumindustrie Bauxit und Kryolith die einzigen Primär- Industrie eingesetzt. Sie haben sich überall dort erhalten rohstoffe. Für die Primärrohstoffe der Aluminiumindustrie einem wichtigen Rohstoff für die Alu- Kraftwerken fallen Reststoffe an, die in oder durchgesetzt, wo technische und ökonomische Vor- ist Nordrhein-Westfalen vollständig von internationalen miniumindustrie entwickelt und wird der Zement- und Kalkindustrie als Roh- teile gegenüber fossilen Einsatzstoffen bestehen. Importen abhängig. Bauxit wird als Aluminiumoxid aus stoff dienen: Flugasche und REA-Gips dem Ausland importiert. inzwischen sogar gezielt hergestellt. enthalten Mineralien, die wichtige Be- J Des Weiteren stellt die Chemieindustrie standteile von Kalk und Zement sind. das Natrium- und Kaliumkarbonat für die Glasherstellung zur Verfügung. J Die Abfallaufbereitung liefert ebenfalls Reststoffe: Rostschlacken aus Müllver- 2,7 brennungsanlagen werden der Alumi- J Das in der Kokerei anfallende Steinkoh- niumherstellung zugeführt, kalkhaltige lenteerpech aus der Stahlindustrie wird – zusätzlich zum Petrolkoks aus der Reststoffe finden stofflich, kohlenstoff- Petrochemie – für die Herstellung von haltige Reststoffe als Sekundärbrennstof- fe in der Zementindustrie Anwendung. Millionen Tonnen Kohlenstoff-Anoden genutzt. Steinkohlen- teerpech liefert dabei einerseits Kohlen- nachwachsender Rohstoffe wurden stoff als Reduktionsmittel (wie der Pet- rolkoks), dient aber andererseits vor allem 2017 stofflich in der chemischen auch als Bindemittel für die Anoden. Industrie eingesetzt.
26 Carbon Management Strategie NRW Abbildung 3: Stoffströme in der nordrhein- westfälischen Grundstoffindustrie15 Abfallaufbereitung Betonherstellung Produktions-, Verarbeitungs-, End-of-Life-Schrotte Neben Reststoffen und Nebenprodukten werden Kalkhaltige Reststoffe zunehmend auch Produktions- und „Post-Consumer- Landwirtschaft Rostschlacken aus MVA C-haltige Sekundärbrennstoffe Eisen(II) -sulfat Verarbeitung Eisenoxid Abbruch Abfälle“ eingesetzt, die recycelt werden und als Straßenbau Metallrück- gewinnung aus sogenannte Rezyklate zu sekundären Rohstoffen Schlacke Ammonium- Krätzen für die Herstellung neuer Produkte werden. sulfat Salzschlacken Energie Petrolkoks Kohle- Oxid- kraft- Aluminium reste REA- Flug- Steinkohlen- Gips asche werke BHKW teerpech In der Metallbranche zum Beispiel wird bereits ein Großteil Mit einer Veränderung der primären Kohlenstoffbasis und Aluminiumoxid der anfallenden Schrotte recycelt. Ebenfalls hohe Recy- der Herstellungsprozesse werden heute breit genutzte clingquoten werden bei Behältergläsern erreicht. Für die Nebenprodukte und Vernetzungen zukünftig zum Teil Kokerei Baustoffindustrie stehen Technologien, um Rezyklat in die wegfallen. Dies hat nicht nur Auswirkung auf die primären Zement- und Kalkherstellung zurückzuführen, noch am Wertschöpfungspfade, sondern wird durch die starke Zement Hüttensand Anfang. Gebrauchter Beton wird in Deutschland lediglich Verzahnung eine Veränderung des gesamten Wertschöp- zu 21 Prozent hochwertig in der Asphalt- und Betonherstel- fungsnetzwerkes in Nordrhein-Westfalen nach sich ziehen. lung verwendet. Der Rest erfährt ein Downcycling als Füll- Bauxit stoff.13 Kunststoffabfälle werden zwar zu fast 100 Prozent Bezogen auf die kohlenstoffhaltigen Nebenerzeugnisse Kryolith Gips / Anhydrit Ölschiefer Trass gesammelt, nur knapp die Hälfte wird jedoch recycelt, also werden sich vorrangig die Sekundärrohstoffe aus der stofflich genutzt. Der Rest wird energetisch verwertet (vgl. Stahlindustrie und die Stoffströme aus Müllverbrennungs- Kohle/Erdgas Eisenerz Ton Sand Abschnitt 5.1.1).14 anlagen im Zuge der Transformation und des Ausbaus der Legierungs- Kies Stahl metalle Kalk Circular Economy sowohl qualitativ als auch in ihrer Zu- Deutlich wird an den vorangegangenen Ausführungen und sammensetzung verändern. Neue Quervernetzungen, die der nebenstehenden Grafik nicht nur, dass die Kohlenstoff- ein neues ökonomisches Optimum ermöglichen, müssen Nachwachsende Kaolin Feldspat Kalk- Kalk- C-Quellen 1. / 2. stein mergel intensität der Industrie in Nordrhein-Westfalen aktuell sehr daher gezielt identifiziert und deren Etablierung unter- Generation Holz Dolomit Kreide Zweitge- hoch ist, sondern auch, dass die Wertschöpfungsketten stützt werden. Erdöl brauchs- überaus eng und branchenübergreifend miteinander ver- wasser netzt sind. Die Nutzung von Nebenprodukten und Rest- stoffen ist dabei mit Blick auf Weiterverwertungsmöglich- keiten weitestgehend optimiert. Dieses Optimum hat sich Petrochemie in der nordrhein-westfälischen Industrie über Jahrzehnte Papier eingestellt und zu einer äußert integrierten Wertschöpfung und Produktionsweise geführt. Abbildung 3 stellt die primären Natronlauge Chemie Natriumkarbonat und sekundären Stoffströme Kaliumkarbonat in der nordrhein-westfälischen Walz- Produk- Grundstoffindustrie dar. zunder, tions-, Filter- Verarbei- Glas CO2 stäube, tungs-, Primärrohstoffe kalkhalti- End- Grundstoffindustrie ge Eigen- of-Life- schlacke Schrotte Transportinfrastruktur aus Aufbe- MVA MVA Peripherie reitung Primärstoffe Reststoffe Post-Consumer- Produktions-, Halbstoffe: Zellstoff, thermo- Eisenspäne aus Rezyklate, Closed- Verarbeitungsabfälle, mechanischer Holzstoff, Stoffströme Recycling Maschinenbau Loop-Systeme Behälterglassamm- Altpapier, 1–2 % Tonerden- Zink (OEM, Kunden), lung, Bausektor, Rückgewinnung und Recycling von Reststoffen Kunststoffrecycler Wertstoffhöfe 1–2 % Biogasgewinnung aus eigener Produktion Weiterverarbeitung (Neben-)Produkte von Eisen und Stahl
28 Carbon Management Strategie NRW Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen 29 Die heutige Wirtschaftsweise der Industrie in Nordrhein- Westfalen sowie die zugrundeliegenden Wertschöpfungs- ketten müssen sich dafür zukünftig fundamental ändern. Neben der Dekarbonisierung, also dem vollständigen Verzicht auf Kohlenstoff, bestehen drei Ansätze, mittels derer der Umgang mit Kohlenstoff klimaneutral gestaltet werden kann: 04 28–55 Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry J Defossilisierung (Ersatz von fossilem Kohlenstoff durch Biomasse) in Nordrhein-Westfalen J Nutzung von Sekundärrohstoffen (Recycling) P Eine nachhaltige Kohlenstoffnutzung im Sinne einer Low Carbon Industry kann nur durch die Reduktion der Kohlenstoffmenge insgesamt, den weitestgehenden Verzicht J Carbon Capture and X auf fossile Kohlenstoffe sowie das geschick- (CO2-Abscheidung, -Transport, te Haushalten mit den Kohlenstoffmengen, die sich bereits im System befinden, er- -Nutzung und -Speicherung) reicht werden. Eine vollständige Dekarbonisierung unserer Industrie ist nicht möglich. Für die Transformation in eine Low Carbon Industry ist die Erschließung alternativer Kohlenstoffquel- 6 c len (Biomasse, Sekundärrohstoffe und CO 2) und darauf basierender Wertschöpfungspfade in Nordrhein-Westfalen somit ebenso erforderlich wie das Management über- Carbon schüssiger CO2 -Mengen, die nicht genutzt werden können. Alternative Kohlenstoffquellen sollten langfristig in ausreichender Menge zur Verfügung stehen und dazu beitragen, die Klimaschutzziele zu erreichen. Wie nach- haltig die Nutzung alternativer Kohlenstoffe ist, kann dabei jedoch nicht allein anhand der Kohlenstoffquelle festgemacht werden. Eine Beurteilung der Nachhaltigkeit kann vielmehr nur durch die Betrachtung des gesamten Wertschöpfungspfades von der Kohlenstoffgewinnung 6 über die Produktherstellung bis hin zur Produktnutzung c und -nachnutzung erfolgen.
30 Carbon Management Strategie NRW Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen 31 Für die Nachhaltigkeit alternativer Kohlenstofffreie Energieträger Die Aluminiumherstellung könnte im Gegensatz zur Stahl- in der Industrie herstellung durch den Einsatz einer inerten Anode anstel- Wertschöpfungspfade sind folgende le einer Kohlenstoff-Anode vollständig kohlenstofffrei er- Eine Dekarbonisierung der industriellen Energieerzeu- folgen. Dadurch würde nicht nur die Entstehung von CO 2, Kriterien entscheidend: gung und -nutzung ist – zumindest theoretisch – in wei- sondern auch die Entstehung der höchst klimawirksamen ten Teilen möglich. Der Bezug eines grünen Strommixes Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) vermieden werden. 24 ist hierzu zwar nicht geeignet, da in diesem auch kohlen- Zwar wurden in den vergangenen zehn Jahren deutliche J CO -Bilanz des 2 J Stofflicher Bedarf an Wasser- stoffhaltige Biomasse enthalten ist. 21 Power Purchase Ag- reements, zum Beispiel mit einem Windpark, ermöglichen Fortschritte bei der Entwicklung inerter Anoden gemacht, bisher ist es aber noch keinem Industrieunternehmen Wertschöpfungspfades 16 stoff im Zuge der Umwandlung und dagegen aber eine reelle oder zumindest eine bilanzielle gelungen, diese erfolgreich zur Aluminiumelektrolyse ein- Produktherstellung Dekarbonisierung. 22 Grundsätzlich ist die Dekarbonisie- zusetzen, auch wenn weltweit an der Umsetzung dieser J Energiebilanz des rung der industriellen Energieversorgung anzustreben. Technologie unter Betriebsbedingungen gearbeitet wird.25 Wertschöpfungspfades17 J Schädlichkeit des resultierenden Auch wenn der direkte Einsatz von Strom mit den gerings- ten Umwandlungsverlusten behaftet ist, gibt es durchaus Auch das nordrhein-westfälische Unternehmen Trimet forciert, unterstützt von der Landesregierung, den Ein- roduktes für den Menschen P Bereiche, in denen eine Dekarbonisierung auf Basis einer satz der inerten Anode. und/oder die Umwelt J Qualität des resultierenden Elektrifizierung energetisch und CO 2 -bilanziell derzeit nicht sinnvoll ist oder aufgrund eingeschränkter Flexibi- Produktes J Marktpotenzial des resultierenden lisierungsmöglichkeiten in Anbetracht der Fluktuation Kohlenstofffreie Rohstoffe für roduktes und somit das absolute P erneuerbarer Energien (noch) nicht infrage kommt. Hier die Industrie müssen wasserstoffbasierte Wärmeerzeugungsverfahren Klimaschutz-18 und/oder rohstoffliche erwägt und dem Einsatz von alternativen Brennstoffen Die gesamte organische Chemie und die nachgelagerten Substitutionspotenzial. (mit dem Ziel der Defossilisierung) sowie den Optionen Wertschöpfungen basieren auf Kohlenstoff als Rohstoff. im Rahmen von Carbon Capture and X gegenübergestellt Eine Dekarbonisierung ist hier ausgeschlossen. Dasselbe werden, um anhand obiger Kriterien die beste Alternative trifft auf die kalkbasierten Prozesse, insbesondere die Ze- zu identifizieren. mentherstellung, zu. Eine Ausnahme stellt die Glasindus trie dar, die zurzeit auf Soda und Kalkstein (Karbonate) als Rohstoff setzt. Um die Rohstoffbasis der Glasindustrie zu Kohlenstofffreie Hilfsstoffe dekarbonisieren, wird zurzeit der Einsatz von Hydroxiden 4.1 Potenziale und Grenzen der in der Industrie erforscht, der keine rohstoffbedingte CO2 -Entstehung mit sich bringt. Gelingt zudem die Umstellung auf kohlen- Dekarbonisierung Als Hilfsstoff wird Kohlenstoff vor allem für die Herstel- stofffreie Energie, besteht das Potenzial einer vollständi- lung von Metallen (Stahl und Aluminium) benötigt. Die gen Dekarbonisierung der Glasindustrie. jährliche Stahlerzeugung in Deutschland in Höhe von er Begriff der Dekarbonisierung, der wortwörtlich die D vorhandener Dekarbonisierungspotenziale, die nicht circa 45 Millionen Tonnen erfolgt heute weitestgehend vollständige Abkehr von Kohlenstoff bedeutet, hält seit ungenutzt bleiben dürfen. Zum anderen käme eine voll- mithilfe von kohle- beziehungsweise koksbasierten Pro- Mitte der 2010er Jahre zunehmend Einzug in die Klima- ständige Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche im zessen über die Hochofenroute.23 Bei der Reduktion des schutzdebatte.19 Inzwischen wurde der Begriff der Dekar- ursprünglichen Wortsinn einer vollkommenen Deindus- Eisenerzes mit Koks entstehen große Mengen CO2. Eine bonisierung aufgeweicht und wird in der breiten Debatte trialisierung gleich, die insbesondere für ein Industrie- Alternative zu dieser konventionellen Eisenerzreduktion als die „Verminderung kohlenstoffhaltiger Emissionen land wie Nordrhein-Westfalen keine Option darstellt. Die ist die sogenannte Direktreduktion von Eisenerz unter (besonders durch die Abkehr von fossilen Energieträ- Anforderungen im Zusammenhang mit der Dekarbonisie- Einsatz von Wasserstoff, die zunehmend in den Fokus gern)“20 verstanden. Dies birgt Risiken. Zum einen be- rung im industriellen Sektor müssen somit differenzierter rückt. Dennoch geht in der konventionellen Hochofen- 6 hindert diese Aufweichung die Ausschöpfung t atsächlich betrachtet werden. route ein Teil des Kohlenstoffs aus dem Koks in den Stahl ein. Auch bei der Direktreduktion mit Wasserstoff wird somit noch Kohlenstoff benötigt, der hierbei über die c Carbon Zugabe von Erdgas (CH4) bereitgestellt wird. Wenngleich die Mengen gering sind, kann über dieses Verfahren keine Dekarbonisierung realisiert werden. Nichtsdestotrotz 6 handelt es sich um einen klimaneutralen Prozess, da der c Kohlenstoff im Stahl permanent chemisch gebunden ist und kein CO2 entsteht. Carbon
32 Carbon Management Strategie NRW Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen 33 192 Millionen Tonnen 4.2 Defossilisierung mit Biomasse: Rohbiomasse in Deutschland Gut, aber nicht beliebig skalierbar Mit der Defossilisierung wird im Unterschied zur Dekarbo- Zwar handelt es sich bei Biomasse um einen nachwach- In Deutschland wurden 2015 knapp 185 Millionen nisierung die Abkehr von fossilen Rohstoffen, nicht aber senden Rohstoff, der sowohl stofflich als auch energe- Tonnen Biomasse (Trockengewicht) in Land- die Abkehr von Kohlenstoff an sich angestrebt. Durch eine tisch klimaneutral genutzt werden kann. Gleichzeitig (137 Millionen Tonnen) und Forstwirtschaft (48 Defossilisierung kann erreicht werden, dass trotz kohlen- tragen der Erhalt von Wäldern, die Wiederaufforstung und Millionen Tonnen) erzeugt. Weitere 72 Millionen stoffhaltiger Prozesse und Produkte keine zusätzlichen eine stärkere Begrünung urbaner Regionen aber auch Tonnen Biomasse in Form von Rohstoffen und CO2 -Mengen in die Atmosphäre eingebracht werden. Die zur Verbesserung der Boden- und Luftqualität bei. Da die verarbeiteten Waren wurden importiert. Der zentrale Rolle dabei spielt die Nutzung von Biomasse. Anbauflächen insgesamt stark begrenzt sind, tritt der An- Gesamtexport betrug 65 Millionen Tonnen. bau von Biomasse zur Nutzung als Rohstoff also nicht nur In Summe resultiert im Bezugsjahr 2015 ein Biomasse ist ein wichtiger Bestandteil des Kohlenstoff- in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion, sondern deutschlandweites Inventar von 192 Millionen 185 MILLIONEN kreislaufs. Im Zuge der Photosynthese wird der Atmo- steht auch in Konflikt mit der Biodiversität. Grundsätzlich Tonnen Biomasse.29 TONNEN sphäre CO2 entzogen und unter anderem in Kohlenstoff ist bei der Bewertung der Nachhaltigkeit von Biomasse erzeugt umgewandelt. Pflanzen sind somit eine natürliche Kohlen- als Kohlenstoffquelle daher zwischen nachwachsenden Weniger problematisch als die Nutzung nach- stoffsenke. Ein Hektar Wald bindet ungefähr 10 Tonnen Rohstoffen und Restbiomassen zu unterscheiden. Die wachsender Rohstoffe ist die Verwendung von CO2 pro Jahr. In Nordrhein-Westfalen werden ca. 8,5 Mil- Nutzung von nachwachsender Biomasse als Rohstoff für biogenen Rest- und Abfallstoffen, vorzugsweise lionen Tonnen CO2 im Jahr von Waldflächen absorbiert.26 die Industrie ist häufig nur eingeschränkt nachhaltig. Bei organischer Reststoffe aus der Industrie und Die Nutzung von Biomasse wird als klimaneutral betrach- biogenen Rohstoffen, die stofflich in industriellen Prozes- der kommunalen Entsorgung. Hierbei handelt tet, da bei deren Verwertung maximal so viel CO2 frei wird, sen genutzt werden sollen, kann nur dann von Nachhaltig- es sich um eine weitgehend uneingeschränkt wie zuvor während des Wachstums auch aufgenommen keit gesprochen werden, wenn diese vor allem auf Flächen zukunftsfähige alternative Kohlenstoffquelle. 30 wurde.27 angebaut werden, die aus Umwelt- und Naturschutzsicht Abgesehen von der Quelle wird die Nachhaltigkeit unproblematisch sind. Eine Konkurrenz mit Flächen, die biobasierter Wertschöpfungsketten häufig auch für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion genutzt insbesondere durch deren Kaskadennutzung werden, ist dabei ebenso zu vermeiden wie die energeti- determiniert.31 sche Nutzung von Anbaubiomasse und Waldrestholz, die laut Umweltbundesamt zu einer Minderung der natür Eine Defossilisierung ist im Gegensatz zur Dekar- lichen CO2 -Senken führt.28 bonisierung in vielen Bereichen der Wirtschaft 72 MILLIONEN und insbesondere auch der Industrie ein zumin- dest technisch mögliches Szenario. Dennoch TONNEN sind dem Grenzen gesetzt. Zum einen durch die importiert Knappheit der Biomasse, zum anderen mangels 8,5 Substitutionsmöglichkeiten für kalkbasierte An- wendungen und Baustoffe wie Zement. Millionen Tonnen CO2 werden jährlich in Nordrhein-Westfalen von Waldflächen absorbiert. 65 MILLIONEN TONNEN exportiert Erhebungsjahr 2015
34 Carbon Management Strategie NRW Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen 35 Abbildung 4: Einordnung der Sekundärrohstoff- Viele potenzielle Sekundärrohstoffe werden heute zu- nutzung innerhalb der Circular Economy nächst als Abfälle behandelt und klassifiziert. Allerdings Sind die mechanischen endet die Abfalleigenschaft eines Stoffes gemäß Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der Möglichkeiten ausgeschöpft, umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen, wenn CIRCULAR dieser ein Recycling oder ein anderes Verwertungsverfah- ist das chemische Recyc- ECONOMY ren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass ling allerdings eine vielver- = er üblicherweise für bestimmte Zwecke WEITER- CO2- verwendet wird, sprechende Option, um die GEBRAUCH NUTZUNG = ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm Kohlenwasserstoffe im Stoff- besteht, WIEDER- SEKUNDÄR- kreislauf zu halten, anstatt VERWENDUNG ROHSTOFFNUTZUNG = er alle für seine jeweilige Zweckbestimmung geltenden technischen Anforderungen sowie alle sie energetisch zu verwerten Rechtsvorschriften und anwendbaren Normen für Erzeugnisse erfüllt sowie und damit abzuwerten.35 = seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen Müllverbrennungsanlagen sollten letztlich nur noch zur Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt.34 Ausschleusung von Schadstoffen dienen. Ziel muss somit sein, den Anteil tatsächlicher Abfallstoffe zu minimieren. Wenngleich diese Kriterien zunächst eindeutig scheinen, Die Zusammensetzung der Reststoffe aus der Müllver- sind sie dennoch für den praktischen Einsatzfall häufig zu brennungsanlage muss dazu laufend untersucht werden, unkonkret, wodurch eine Ausweitung der Sekundärroh- um das Potenzial einer stofflichen Nutzung heben zu stoffnutzung derzeit gehemmt wird: Da für Produkte aus können. Sekundärrohstoffen keine Produktnormen existieren und Normen für Primärprodukte nur bedingt angewendet wer- Bei aus Rezyklaten hergestellten Produkten handelt es den können, werden viele potenzielle Sekundärrohstoffe sich in der Regel um Produkte, in denen der Kohlenstoff heute entsorgt beziehungsweise energetisch verwertet. dauerhaft chemisch gebunden ist (zum Beispiel Kunst- Somit besteht auch kaum die Möglichkeit, dass ein Markt stoffe). Im Rahmen der vorgesehenen Nutzung entsteht 4.3 Sekundärrohstoffnutzung: oder eine Nachfrage dafür entsteht. daher kein CO 2 . Wichtig ist hier vielmehr die Frage da- nach, was nach der Nutzung mit dem Produkt geschieht. Kern der industriellen Transformation Hinsichtlich der Gewinnung sekundärer Rohstoffe, soge- Die Kreislaufführung (Sammelquote) muss hier ebenso nannter Rezyklate, sollte werkstoffliches (mechanisches) maximiert werden wie der Anteil stofflich verwerteter Ab- Recycling dem chemischen Recycling aus energetischer fälle (Recyclingquote). Mit dem European Green Deal32 und dem Circular Econo- CO2. Hinsichtlich des Weitergebrauchs kann die Wieder- Sicht vorgezogen werden. my Package von 2015 33 hat die Europäische Union zwei verwendung (auf Produktebene) von der Sekundärroh- wichtige Eckpfeiler in die Diskussion um die Transforma- stoffnutzung unterschieden werden. Die Wiederver- Wichtig ist dafür ein Design tion der europäischen (und internationalen) Industrie- wendung durch Aufarbeitung, Instandsetzung und/oder gesellschaften eingebracht. Das Verständnis der Circular Neukonfigurierung bezieht sich auf ein bereits bestehen- for Recycling, das mecha Economy geht dabei deutlich über die klassische Kreis- des Produkt. Für die industrielle (Grundstoff-)Produktion laufführung und Abfallhierarchie hinaus und greift in den ist daher insbesondere die Sekundärrohstoffnutzung von nisches Recycling e rleichtert Kern der industriellen Wertschöpfung ein. Bedeutung. Sekundärrohstoffe schonen natürliche Vor- räte und ermöglichen den (anteiligen) Verzicht auf fossile und Downcycling besser Eine Circular Economy umfasst den Weitergebrauch von Ressourcen. Zudem sind entsprechende Verarbeitungs- Produkten, Komponenten und elementaren Bestandteilen prozesse nicht selten deutlich energieeffizienter als die vermeidbar macht. im weitesten Sinne sowie die Nutzung des entstehenden jeweiligen primären Routen.
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