Kohlenstoff kann Klimaschutz - Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen

 
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Kohlenstoff kann Klimaschutz - Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen
Kohlenstoff kann Klimaschutz
Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen

                                       www.wirtschaft.nrw
Kohlenstoff kann Klimaschutz - Carbon Management Strategie Nordrhein-Westfalen
02                                                     Carbon Management Strategie NRW   Editorial                                                                                        03

                                                       6
                                                            c
                                                           Carbon
                                                                                                                  Carbon Management ­Strategie
                                                                                                                  Nordrhein-Westfalen
                                                                                                                  Liebe Leserinnen und Leser,

             „Wir können zukünftig nicht                                                                         die weltweiten Kohlenstoffdioxidemissionen erreichen auch 2021 ein neues Rekordhoch
                                                                                                                  und schädigen unser Klima mit immer deutlicher spürbaren Folgen. Und das längst nicht

               auf Kohlenstoff verzichten.                                                                        mehr nur in den südlicheren Regionen der Welt, die zunehmend durch Hitzewellen, unbe-
                                                                                                                  herrschbare Brände und Trinkwasserknappheit unter den Folgen der globalen Erwärmung

               Und das müssen wir auch
                                                                                                                  leiden. Auch hier in Nordrhein-Westfalen bekommen wir durch sturzflutartige Regenfälle
                                                                                                                  und Hochwasser, die für viele Bürgerinnen und Bürger im Sommer katastrophale Konse-
                                                                                                                  quenzen hatten, inzwischen ein Gefühl für das Ausmaß der drohenden Klimakatastrophe.

               nicht. Aber wir müssen ganz                                                                        Verständlich und nachvollziehbar also, dass Kohlenstoff, englisch Carbon, nicht gerade
                                                                                                                  den besten Ruf genießt – insbesondere, wenn durch den Einsatz von fossilen Rohstoffen

               anders damit umgehen.                                                                              ­klimaschädliches Kohlenstoffdioxid (CO 2) entsteht. Kohlenstoff selbst hingegen ist für
                                                                                                                  uns lebensnotwendig – wörtlich, weil Kohlenstoff nach Wasserstoff und Sauerstoff das
                                                                                                                  wichtigste Element im menschlichen Körper und in der Natur ist. Aber auch die Grund­
                                                                                                                  produkte unserer modernen Industriegesellschaft wie Stahl, Aluminium, Zement oder

              Dafür brauchen wir neue                                                                             Kunststoff bestehen aus Kohlenstoff oder benötigen ihn, um hergestellt werden zu können.

              Technologien und Prozesse,
                                                                                                                  Wir können also auch zukünftig nicht auf Kohlenstoff verzichten. Und das müssen wir
                                                                                                                  auch nicht. Aber wir müssen ganz anders damit umgehen. Dafür brauchen wir neue
                                                                                                                  Technologien und Prozesse, die mit weniger oder teilweise auch ganz ohne Kohlen-

              die mit weniger oder teilwei-                                                                       stoff auskommen. Und wir brauchen andere Kohlenstoffquellen, vor allem in Form von
                                                                                                                  ­sekundären Rohstoffen, die im Sinne einer Kreislaufwirtschaft oder Circular Economy

              se auch ganz ohne Kohlen-
                                                                                                                   wieder und wieder verwendet werden – anstelle von fossilen Rohstoffen.

                                                                                                                  Dass dies die Industrie vor große Herausforderungen stellt, ist uns natürlich bewusst –

              stoff auskommen.“                                                                                   nicht zuletzt, weil neue Technologien häufig sehr viel mehr Energie benötigen und der
                                                                                                                  Einsatz von grünem Strom oder grünem Wasserstoff zurzeit noch höhere Kosten ver-
                                                                                                                  ursacht. Doch zugleich liegen in solchen innovativen Lösungen für die klimafreundliche
                                                                                                                  Produktion unserer Grundstoffe und die Transformation in eine Low Carbon Industry
                                                                                                                  enorme internationale Wettbewerbschancen.
                                                                      6
6                                                                          c                                      Genau deshalb möchten wir jetzt einen Impuls setzen, ein neues Verständnis von und
                                                                                                                  ­einen neuen Umgang mit Kohlenstoff zu etablieren. Wir zeigen in der Carbon Manage-

     c
                                                                                                                   ment Strategie NRW, wie der Übergang in eine nachhaltige Kohlenstoffwirtschaft in
                                                                          Carbon                                   Nordrhein-Westfalen gelingen kann, welche Herausforderungen dabei bestehen und wie
                                                                                                                   wir diese überwinden können. Ich lade Sie ganz herzlich ein, jetzt mit uns gemeinsam
                                                                                                                   eine Industrie zu gestalten, in der Kohlenstoff nicht nur als Problem, sondern auch als
    Carbon
                                                                                                                   Teil der Lösung gesehen wird. Die Zeit drängt. Aber: Unter Druck entstehen Diamanten –
                                                                                                                   natürlich aus Kohlenstoff. Ich wünsche Ihnen eine spannende und informative Lektüre!

              Prof. Dr. Andreas Pinkwart                                                                          Prof. Dr. Andreas Pinkwart
              Minister für Wirtschaft, I­ nnovation,
                                                                                                                  Minister für Wirtschaft, I­ nnovation,
              Digitalisierung und Energie
                                                                                                                  Digitalisierung und Energie
              des Landes Nordrhein-Westfalen                                                                      des Landes Nordrhein-Westfalen
04   Carbon Management Strategie NRW   Inhalt                                                        05

                                       Inhalt

                                                                          01       08–15
                                                                                   Zusammenfassung

                                                 02               16–19
                                                                  Einleitung

                                                             17–18

                                                             2.1 Motivation und Ziele
                                                             19

                                                             2.2 Einordnung

                                                03   20–27
                                                     Kohlenstoff: Das Rückgrat der
                                                     ­nordrhein-westfälischen Industrie
06                                                  Carbon Management Strategie NRW   Inhalt                                                               07

     04         28–55

                                                                                               06
                Ansätze zur Transformation
                                                                                                    70–75
                in eine Low Carbon Industry in
                ­Nordrhein-Westfalen                                                                Vorreiter beim Carbon Management:
                                                                                                    ­Projekte in Nordrhein-Westfalen
                  30–31

                  4.1     Potenziale und Grenzen
                          der ­Dekarbonisierung
                  32–34

                  4.2 Defossilisierung mit Biomasse:
                          Gut, aber nicht beliebig skalierbar
                                                                                                        07             76–85
                                                                                                                       Erforderliche Rahmenbe­
                                                                                                                       dingungen und Instrumente,
                                                                                                                       um richtig durchzustarten
                  34–35

                  4.3 Sekundärrohstoffnutzung: Kern                                                                  77–78

                  36–53
                          der industriellen Transformation
                                                                                                                     7.1      Green Deal und
                                                                                                                              ­Klimaschutzgesetze

                  4.4 CCX: Voraussetzung für eine                                                                    78–79
                          ­klima­neutrale Industrie in
                           ­Nordrhein-Westfalen                                                                      7.2 Rechtlicher Rahmen für die Ver­
                                                                                                                              wendung alternativer Kohlenstoffe
                  54–55
                                                                                                                     80–85
                  4.5 Fazit: Leitlinien für den n­ achhaltigen                                                       7.3 Rahmenbedingungen im
                          Umgang mit ­Kohlenstoff in
                          ­Nordrhein-Westfalen                                                                                Kontext des EU ETS

05   56–69

                                                                                                08
     Branchenfokus: Chemie und Zement
                                                                                                            86–93
                                                                                                            Unser Weg in eine Low Carbon Industry:
     57–65
                                                                                                            Der Carbon Management Plan für Nord-
     5.1     Carbon Management in der chemischen                                                            rhein-Westfalen
             ­Industrie in Nordrhein-Westfalen
     66–69                                                                                                  94 Ausblick

     5.2 Carbon Management in der Z­ ementindustrie
                                                                                                            96 Anhang
                                                                                                            102 Quellenverzeichnis
             in Nordrhein-Westfalen                                                                         114 Impressum
08                                          Carbon Management Strategie NRW   Zusammenfassung                                                                                                09

                                                                              Mit der Carbon Management Strategie NRW verfolgt das       grund stehen dabei die Abkehr von der weiteren Ausbeu-
                                                                              Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung    tung fossiler Kohlenstoffquellen und der wirtschaftliche
                                                                              und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (MWIDE)         Umgang mit nachhaltigen alternativen Kohlenstoffquel-
                                                                              das Ziel, die Transformation in eine Low Carbon Industry   len. Dadurch werden gleichermaßen die CO2 -Emissionen
                                                                              in Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen, um die Klima­     in Nordrhein-Westfalen gesenkt, die Versorgung der nord-
                                                                              schutzziele zu erreichen und den Industriestandort         rhein-westfälischen Industrie mit Rohstoffen gesichert
                                                                              Nordrhein-Westfalen zu stärken. Es werden Ansätze und      und Wettbewerbsvorteile durch eine frühzeitige Einfüh-
                                                                              Leitplanken zum nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff        rung innovativer Prozesstechnologien geschaffen, die mit
                                                                              in Nordrhein-Westfalen vorgestellt und Maßnahmen ent-      neuen Chancen für Unternehmen verknüpft sind – zum
                                                                              wickelt, die eine zukunftsfähige Kohlenstoffwirtschaft     Beispiel für die starke Basis der Anlagenbauer in Nord-
                                                                              in unserem Bundesland unterstützen sollen. Im Vorder-      rhein-Westfalen.

01   08–15
     Zusammenfassung                                                          Fossiler Kohlenstoff
                                                                              ist derzeit noch das ­Rückgrat unserer Industrie.
     P   Das Erreichen der Klimaschutzziele
         bei gleichzeitigem Erhalt von Wohl-
         stand und Wettbewerbsfähigkeit in
         einer Industriegesellschaft erfor-
         dert eine umfassende Transforma-                                      Es bestehen ­neben der Dekarbonisierung, also dem ­vollständigen Verzicht auf Kohlen-
         tion industrieller Prozesse. Ebenso                                   stoff, drei Ansätze, um den Umgang mit ­Kohlenstoff ­klimaneutral zu gestalten:
         ist dafür ein verändertes Wirtschaf-
         ten mit Energie, Rohstoffen und
         CO2 vonnöten.
                                                                                                                   J Defossilisierung
                                                                                                                        (Ersatz von fossilem Kohlenstoff durch Biomasse)

                                                                                                                   J Nutzung von Sekundärrohstoffen
                                                                                                                        ­(Recycling)

                                                                                                                   J Carbon Capture and X
                                                                                                                        (CO2-Abscheidung, -Transport, -Nutzung und -Speicherung)
10                                                                                       Carbon Management Strategie NRW   Zusammenfassung                                                                                                        11

                                                                                                                              Abbildung 1: Ansätze und Handlungsfelder zur Transformation
                                                                                                                              in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen

                                                                                                                                                                        HANDLUNGSFELD IV
                                                                                                                                                                             Gesellschaftlicher Diskurs

Kohlenstoff hat vielfältige Einsatzfelder und -zwecke in    Wertschöpfungspfade beleuchtet. Alternative Wert-
der Industrie. Somit gibt es auch keine pauschale Lösung    schöpfungspfade, also solche, die nicht auf fossilen Roh-
                                                                                                                                                                        HANDLUNGSFELD II
für die Transformation. Vielmehr muss branchenspezi-        stoffen und konventionellen Technologien oder Prozessen
                                                                                                                                                                        Nachhaltige Kohlenstoffnutzung
fisch nach Möglichkeiten gesucht werden, um die Nut-        basieren, weisen in Abhängigkeit von Kohlenstoffquelle               HANDLUNGSFELD I                                                                   HANDLUNGSFELD III
zung von und den Verzicht auf Kohlenstoff nachhaltig        und Anwendungsfall deutliche Unterschiede auf. Bei de-               Reduzierung der Kohlenstoffintensität                                              CO2-Management
zu gestalten. Aus diesem Grund werden in der Carbon         ren Betrachtung steht insbesondere ihre Nachhaltigkeit
Management Strategie NRW auch verschiedene, auf             im Fokus, die nicht allein anhand der Kohlenstoffquelle
alternativen Kohlenstoffquellen basierende industrielle     bestimmt werden kann.
                                                                                                                                                                         Defossilisierung                          Carbon Capture and X

                                                                                                                                   Dekarbonisierung                      (Ersatz von fossilem                      (CO2 -Abscheidung, -Transport,
                                                                                                                                                                         Kohlenstoff durch Biomasse)               -Nutzung und -Speicherung)
                                                                                                                                   (Verzicht auf Kohlenstoff)

Die für die Beurteilung der N
                            ­ achhaltigkeit                                                                                                                                   Nutzung von Sekundärrohstoffen (Recycling)

­heranzuziehenden ­Kriterien sind umfassender:
                                                                                                                                       Verzicht auf Kohlenstoff                                Klimaneutraler Umgang mit Kohlenstoff

                             J CO - und Energiebilanz des Wertschöpfungspfades
                                      2
                                                                                                                                                                                            regulatorische und organisatorische Gegebenheiten,
                                                                                                                             Handlungsfeld I:
                                                                                                                             Reduzierung der Kohlenstoffintensität                          die die nachhaltige Kohlenstoffnutzung derzeit ebenso
                                                                                                                             in der nordrhein-westfälischen Industrie                       hemmen wie bilanzielle, werden wir kurzfristig angehen,
                                                                                                                             Wir möchten die Verringerung der Kohlenstoffintensität          um die schnelle Transformation in eine zukunftsfähige,
                                                                                                                             in der Industrie ermöglichen und die Umwandlung von            zirkuläre Kohlenstoffwirtschaft in Nordrhein-Westfalen
                             J Stofflicher Bedarf an Wasserstoff im Zuge der                                                 einer High Carbon Industry in eine Low Carbon Industry
                                                                                                                             beschleunigen. Der vollständige Verzicht auf Kohlenstoff
                                                                                                                                                                                            zu ermöglichen.
                                  ­Umwandlung und Produktherstellung
                                                                                                                             ist längerfristig in solchen Bereichen erforderlich, die       Handlungsfeld III: CO2 -Management
                                                                                                                             einer Dekarbonisierung grundsätzlich zugänglich sind.          Wir werden uns dafür einsetzen, dass geeignete Optionen
                                                                                                                             Seitens der Landesregierung unterstützte Entwicklun-           zur Abscheidung, zum Transport, zur Nutzung und zur
                                                                                                                             gen, wie der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft, der           Speicherung von Kohlenstoffdioxid nutzbar werden. Diese
                             J Qualität, Schädlichkeit und Marktpotenzial des                                                Ausbau von Wind- und Solarenergie, der Ausbau von
                                                                                                                             Energieinfrastrukturen wie Netzen und Speichern sowie
                                                                                                                                                                                            müssen ergebnisoffen und zügig geprüft werden, um
                                                                                                                                                                                            deren zeitnahe und langfristige Beiträge zur Emissionsre-
                                  ­resultierenden Produktes
                                                                                                                             die Förderung kohlenstofffreier Prozesse und Techno-           duktion zu ermöglichen, ohne die unsere Klimaschutzziele
                                                                                                                             logien, begleiten die Dekarbonisierungsanstrengungen           nicht zu erreichen sind. Dafür, dass die rechtlichen Rah-
                                                                                                                             der Industrie.                                                 menbedingungen geschaffen werden, werden wir uns auf
                                                                                                                                                                                            Bundesebene einsetzen. Zeitgleich werden wir die CO2 -In-
                                                                                                                             Handlungsfeld II:                                              frastrukturplanung in Nordrhein-Westfalen vorantreiben.
                                                                                                                             Nachhaltige Kohlenstoffnutzung in
Zwei Branchen stehen bei der Transformation in eine         zur A
                                                                ­ bscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2                Nordrhein-Westfalen                                            Handlungsfeld IV: Gesellschaftlicher Diskurs
Low Carbon Industry besonders im Fokus. Zum einen die       hier auch langfristig von Bedeutung sein.                        Wir wollen einen nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff in        Wir wollen die Einbeziehung der Gesellschaft in Nordrhein-
chemische Industrie, die zwar auf Kohlenstoff angewie-                                                                       Nordrhein-Westfalen etablieren. Dazu zählt der adäquate        Westfalen durch frühzeitige Einbindung, transparente
sen ist, jedoch aufgrund des CO2 -Verwertungspotenzials     Nordrhein-Westfalen wird im Rahmen des Carbon                    Umgang mit Biomasse ebenso wie der gezielte Ausbau             Informationen und nachvollziehbare, einvernehmlich
eine Branche sein könnte, die sich von einer CO 2 -Quelle   ­Managements Aktivitäten in vier Handlungsfeldern                der sekundären Rohstoffbasis und die (Weiter-)Entwick-         gestaltbare Prozesse auf eine neue Ebene heben. Die skiz-
in Zukunft zu einer CO2 -Senke wandelt. Zum anderen die      aufnehmen, um die Transformation in eine Low Carbon             lung von Carbon-Capture-and-Usage-Anwendungen.                 zierte Transformation der Industrie geht sicherlich mit um-
Zementindustrie, in der die CO2 -Entstehung im Zuge der      Industry – auf Basis der oben genannten Ansätze zum             Die Voraussetzung für ein nachhaltiges Wirtschaften            fassenden Veränderungen einher, die auch der Akzeptanz
kalkbasierten Klinkerherstellung auch zukünftig nicht        Verzicht auf beziehungsweise klimaneutralen Umgang              mit Kohlenstoff ist eine technologieoffene Abwägung            in der Gesellschaft bedürfen. Gerade deshalb wollen wir
vermieden werden kann. Deshalb wird die Möglichkeit          mit Kohlenstoff – weiter zu beschleunigen.                      der verschiedenen alternativen Wertschöpfungspfade –           die Zukunft unseres Bundeslandes mit den Bürgerinnen
                                                                                                                             sowohl im Vergleich zu dem jeweiligen konventionel-            und Bürgern gemeinsam und auf Augenhöhe gestalten.
                                                                                                                             len Prozess als auch untereinander. Ökonomische,
12                                                                                                                                                                                               13

 Abbildung 2: Carbon Management Plan NRW                                                                                                                                           Niedersachsen
Carbon Management Strategie NRW

                                                      2021               2022                 2023                             2024              2025   2026       2027   2028   2029    2030       2045
Niederlande

                                                     M1
                                                     Gezielte Entwicklung kohlenstofffreier
                                                     Technologien und Prozesse in NRW

                                                     M2
                                                     Beschleunigter Hochlauf der
                                                     Wasserstoffwirtschaft in NRW

                                                     M3
                                                     Ausbau der Versorgung NRWs
                                                     mit erneuerbaren Energien

                                                     M1
                                                     Nachhaltige Nutzung bio-
                                                     logischer Ressourcen in NRW

                                                                       F1
                                                                       Ambitioniertere Anpassung des rechtlichen

                      HANDLUNGSFELD I
                                                                       Rahmens zum CO2-Handling in Deutschland

                      J Reduzierung der                                M1
                             Kohlenstoffintensität                     CO2-Transportinfrastruktur für NRW

                                                                       M2
                                                                       Nationale und internationale
                                                                       CCX-Kooperationen mit NRW
                      HANDLUNGSFELD II
                      J Nachhaltige                                    F2
                                                                       Adäquate Förderlandschaft
                             Kohlenstoffnutzung                        für eine Low Carbon Industry

                                                                       F1
                                                                       Level Playing Field und
                                                                       Carbon-Leakage-Schutz

                      HANDLUNGSFELD III                                                   M3
                      J CO -Management
                                  2                                                       Förderwettbewerb
                                                                                          „CCU-Modellregionen in NRW“

                                                                       M2
                                                                       Carbon Monitoring in NRW
                      HANDLUNGSFELD IV
                      J Gesellschaftlicher Diskurs                                        M3
                                                                                          Benchmark nachhaltiger Wert-
                                                                                          schöpfungspfade mit Fokus auf NRW

                        Maßnahme      Forderung                                                                               M1
                                                                                                                              Carbon Education
                                                                                                                              in NRW

                                                                                                                              F1
                                                                                                                              Sustainable
                                                                                                                              Carbon Label

                                                                                                                              F3
                                                                                                                              Ausbau der sekundären
                                                                                                                              Rohstoffbasis

                                                                                                                                                          Hessen
14                                                                                          Carbon Management Strategie NRW   Zusammenfassung                                                                                15

                                                                                                                                   3
Den nachhaltigen Umgang mit Kohlenstoff zu etablieren,        Die Landesregierung unterstützt die Transformation
stellt für die nordrhein-westfälische Industrie eine erheb-   in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen
liche Chance dar. Als Vorreiter im Bereich Low Carbon         bereits durch die zielgerichtete Förderung von Schlüssel-                                                                      Den Unternehmen der Kreis-
Industry können entscheidende Wettbewerbsvorteile ge-         projekten für die nachhaltige Kohlenstoffnutzung, die                                                                          laufwirtschaft kommt eine
schaffen werden: Durch die früh- beziehungsweise vorzei-      Positionierung gegenüber der Bundesregierung und der                                                                           ­tragende Rolle zu. Starke
tige Reaktion auf die immer stärkere Nachfrage nach grü-      Europäischen Kommission und die bundesweit einzig-                                                                              ­Allianzen mit der Industrie
nen Produkten und den steigenden regulatorischen und          artige Landesinitiative IN4climate.NRW, welche Akteuren                  Die Industrie in Nordrhein-West­falen                   müssen aufgebaut und neue
ökonomischen Druck zur Erreichung der Klimaschutzziele        aus Industrie, Wissenschaft und Politik eine Plattform zur               braucht eine andere Rohstoffbasis:                      Geschäftsmodelle entwickelt
(beispielsweise durch steigende CO 2 -Preise oder den         gemeinschaftlichen Erarbeitung innovativer Strategien                    Sekundärrohstoffe sollten insgesamt                     werden, um die Verfügbarkeit
Wegfall kostenloser Zuteilungen im EU ETS) sowie durch        für eine klimaneutrale Industrie bietet.                                 Vorrang haben vor Biomasse und CO2.                     und die stoffliche Verwertung

                                                                                                                                                                                                                               4
die Entwicklung von Carbon-Management-Blaupausen                                                                                       Kreislaufwirtschaft ist der zentrale                    von Abfällen zu maximieren.
und Klimaschutz-Technologien für die ganze Welt.              Mit der Carbon Management Strategie setzt das M ­ WIDE                   Schlüssel für die Transformation und
                                                              nun den entscheidenden Impuls, um die nachhaltige                        die Voraussetzung für den wettbe-
                                                              Kohlenstoffwirtschaft in der nordrhein-westfälischen                     werbsfähigen Umbau der Wertschöp-
                                                              Industrie zu starten.                                                    fungsketten. Nur durch eine zirkuläre
                                                                                                                                       Kohlenstoffwirtschaft können die Ziele
                                                                                                                                       Klima- und Ressourcenschutz vereint

                                                                                                                                                                                5
                                                                                                                                       werden. Recycling muss „der“ zentrale
                                                                                                                                       Stoffstrom der nordrhein-westfäli-
                                                                                                                                       schen Industrie werden – dafür müs-
                                                                                                                                       sen auf Bundesebene entsprechende
Kernaussagen und Eckpunkte im Überblick                                                                                                Anreize gesetzt und Vorgaben zur
                                                                                                                                       Normung gemacht werden.
                                                                                                                                                                                Wir brauchen eine CO2 -Infrastruk-
                                                                                                                                                                                tur in Nordrhein-Westfalen und

                                                              2
                                                                                                                                                                                über die Landesgrenzen hinaus,
                                                                                                                                                                                die CCU und CCS möglich macht.
                                                                                                                                        CO2 -basierte Produkte sind             Die Planung und Entwicklung
                                                                                                                                        weder automatisch „grün“                dieser werden wir mit Hochdruck
                                                                                                                                        noch nachhaltig: Unternehmen            vorantreiben. Von der Bundesre-
                                                                                                                                        sind bei der Umsetzung von              gierung fordern wir zugleich, dass
                                                                      In spezifischen – auch indus­                                     Projekten und der Technologie-          die erforderlichen rechtlichen Vor-
       Kohlenstoff ist das Rückgrat                                   triellen – Teilbereichen ist eine                                 auswahl dazu angehalten, den            aussetzungen geschaffen werden.
       der Industrie in Nordrhein-­                                   „echte“ Dekarbonisierung aber                                     gesamten Kohlenstofflebens-
       Westfalen: Die nordrhein-­                                     möglich. Diese Potenziale wollen                                  zyklus sowie insbesondere
       westfälische Industrie kann und                                wir heben: Anwendungen, die                                       auch die Energieeffizienz zu

                                                                                                                                                                     6
       soll nicht vollständig dekarboni-                              dekarbonisiert werden können,                                     betrachten.
       siert, also vom K­ ohlenstoff „be-                             sollten auch dekarbonisiert wer-                                                                              Eine Elektrifizierung von Prozessen
       freit“, werden. Der Kohlenstoff,                               den. Die Industrie muss daher                                                                                 ist nicht immer die beste Wahl. Denn
       der zukünftig eingesetzt wird,                                 gezielt kohlenstofffreie Prozesse                                                                             in manchen Prozessen führt Elektri-
       und die Art, wie er eingesetzt                                 und Technologien entwickeln.                                                                                  fizierung zu einer ­Verschlechterung
       wird, ­müssen allerdings nach-                                                                                                                                               der CO2 -Bilanz oder zieht unver-
       haltig sein.                                                                                                                                                                 hältnismäßig hohe Energieaufwände

                                        1
                                                                                                                                                                                    nach sich. Alternative Prozessrouten
                                                                                                                                                                                    müssen daher generell immer tech-
                                                                                                                                                                                    nologieoffen und ganzheitlich be-
                                                                                                                                                                                    trachtet und bezüglich ihrer Eignung
                                                                                                                                                                                    abge­wogen werden.

                                                                                                                                                                                                                      7
16                                          Carbon Management Strategie NRW   Einleitung                                                                                                         17

                                                                              2.1Motivation und Ziele

                                                                              Kohlenstoff ist allgegenwärtiger Bestandteil industrieller
                                                                              Wertschöpfungsprozesse. Als häufigstes, reaktions-
                                                                              freudigstes und in vielen Verbindungen vorkommendes
                                                                              Element auf der Erde übernimmt Kohlenstoff zugleich
                                                                              mehrere Funktionen. So kommen kohlenstoffhaltige Roh-
                                                                              stoffe in der Industrie bei weitem nicht nur zum Einsatz,
                                                                              um Wärme oder Strom zu erzeugen. Vielmehr überneh-
                                                                              men sie neben ihrer Funktion als Energieträger gleicher-
                                                                              maßen Funktionen als prozesstechnische Hilfsmittel,

02
                                                                              etwa als Reduktionsmittel in der Stahlherstellung, oder
                                                                              dienen als Grundstoffe zur Herstellung von Produkten
                                                                              wie zum Beispiel Arzneimitteln oder Kunststoffen.

     16–19                                                                    Fossile Rohstoffe sind besonders kohlenstoffhaltig und
                                                                              bilden bislang die Basis industrieller Fertigung.
                                                                                                                                             Der Einsatz von fossilen
     Einleitung                                                                                                                              ­Ressourcen führt dazu, dass
                                                                              Aus Steinkohle hergestellter Koks wird zum Beispiel als
                                                                              Reduktionsmittel bei der Stahlherstellung benötigt und          immer neue, zusätzliche
                                                                              Erdöl und Erdgas, die aus Kohlenwasserstoffverbindun-
                                                                                                                                              Mengen CO2 in die Atmo-
     P   Kohlenstoff ist unverzichtbar.
         Wir müssen aber viel bewusster
                                                                              gen bestehen, sind die stofflichen Hauptbestandteile
                                                                              beinahe aller chemischen Produkte und Kraftstoffe.
                                                                              Während die energetische Nutzung zum Teil schon durch        sphäre eingebracht werden.
         damit umgehen – um das Klima
                                                                              erneuerbare Energien ersetzt wird, ist Kohlenstoff als
         zu schützen, um die Rohstoffver-                                     Roh- oder Hilfsstoff in der Industrie derzeit noch fast      Ohne einen veränderten
         sorgung zu sichern und um wett-                                      ausschließlich fossilen Ursprungs. Vor dem Hintergrund
         bewerbsfähig zu bleiben.                                             der Verschärfung der Klimaschutzziele ist daher eine         ­Umgang mit Kohlenstoff
                                                                              schnellstmögliche Abkehr von fossilen Kohlenstoffen
                                                                              ­notwendig. Dies gilt in besonderem Maße für das Indus­       in der Industrie können die
                                                                               trieland Nordrhein-Westfalen.
                                                                                                                                            ­Klimaschutzziele daher nicht
                                                                              Mit gut 22 Prozent Anteil an den Treibhausgasemissionen
                                                                              Nordrhein-Westfalens rangiert die Industrie auf Platz 2        erreicht werden.
                                                                              unter den Sektoren (Platz 1: Energiewirtschaft mit knapp
                                                                              45 Prozent).1                                                 Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom
                                                                                                                                            24. März 2021, in dem die teilweise Verfassungswidrigkeit
                                                                                                                                            der nationalen Klimaschutzziele entschieden wurde2, und
                                                                                                                                           der daraufhin erfolgten Änderung des nationalen Klima-
                                                                                                                                           schutzgesetzes, die der Bundesrat nur acht Wochen
                                                                                                                                           ­später bestätigte3, hat sich der Druck nochmal deutlich
                                                                                                                                           erhöht. Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bereits
                                                                                                                                           2045 die Netto-Treibhausgasneutralität zu erreichen.
                                                                                                                                           Dazu wurden die Emissionsreduktionsziele in den
                                                                                                                                           einzelnen Sektoren deutlich verschärft. Auch Nordrhein-
                                                                                                                                           Westfalen hat sich mit der am 1. Juli 2021 im Landtag
                                                                                                                                           beschlossenen Novelle des Klimaschutzgesetzes aus
                                                                                                                                           dem Jahr 2013 als erstes Bundesland den ambitionierten
                                                                                                                                           Zielen der Bundesregierung angeschlossen.
18                                                                                     Carbon Management Strategie NRW   Einleitung                                                                                                          19

                                                                                                                           2.2 Einordnung
Aber nicht nur aus Gründen des Klimaschutzes muss die     ­ ersorgung der Industrie zu sichern, Klimaschutz zu
                                                          V                                                                Die vorliegende Carbon Management Strategie Nord-           zu den europäischen und deutschen Klimaschutzzielen
Nutzung fossiler Ressourcen deutlich reduziert werden.    ­betreiben und die Wettbewerbsfähigkeit des Industrie-           rhein-Westfalen behandelt die Transformation der nord-      ­leisten können. Die Energieversorgungsstrategie wird im
Auch die grundsätzliche Begrenztheit des globalen Vor-    standorts Nordrhein-Westfalen zu erhalten.                       rhein-westfälischen Industrie von einer fossilen in eine     ­November 2021 in aktualisierter Fassung vorgestellt.
rats an fossilen Ressourcen macht es erforderlich, dass                                                                    weitgehend defossile, kohlenstoffreduzierte und dennoch
vor allem die heutige intensive Nutzung der Rohstoffe     Um den eingangs geschilderten Herausforderungen zu               wettbewerbsfähige Wirtschaftsweise. Es werden alter-        Die Verfügbarkeit von sauberem Wasserstoff ist entschei-
Erdöl, Erdgas und Kohle in allen Sektoren sukzessive      begegnen, sollen im Rahmen der Carbon Management                 native, nachhaltige industrielle Wertschöpfungsketten be-   dend für eine Low Carbon Industry. Aufbauend auf den
zurückgehen muss.                                         Strategie NRW Leitlinien zum nachhaltigen Umgang mit             leuchtet, um den Übergang in eine Low Carbon Industry in    Wasserstoffstrategien der Europäischen Union (EU) und
                                                          Kohlenstoff in Nordrhein-Westfalen erarbeitet werden.            Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen und einen Beitrag      des Bundes wurde Ende 2020 die Wasserstoff-Roadmap
Für die nordrhein-westfälische Industrie bedeutet dies,   Im Vordergrund stehen dabei die Abkehr von zukünftig             zur Erreichung der Klimaschutzziele zu leisten.4            des Landes Nordrhein-Westfalen7 veröffentlicht und darin
dass innovative Technologien und Verfahren, eine          zu substituierenden fossilen Kohlenstoffquellen und der                                                                      die Chancen und Herausforderungen, Handlungsfelder
alternative Rohstoffbasis und ein nachhaltiger Umgang     wirtschaftliche Umgang mit nachhaltigen, alternativen            Das 2019 vorgestellte Industriepolitische Leitbild des      und Ziele beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft in
mit Kohlenstoff erforderlich sind, um die rohstoffliche   Kohlenstoffquellen.                                              Landes Nordrhein-Westfalen5, mit welchem die Landes-        Nordrhein-Westfalen und beim Einsatz von Wasserstoff in
                                                                                                                           regierung den Industriestandort Nordrhein-Westfalen         den Sektoren Industrie, Mobilität und Energie beschrieben.
                                                                                                                           dauerhaft zum weltweit führenden Innovationsmotor
                                                                                                                           und zum modernsten, klima- und umweltfreundlichsten         Die in Hinblick auf die Produktionsmenge und das Markt­
                                                                                                                           Industriestandort weltweit machen will, zeigt die Hand-     volumen größte mögliche Carbon-Capture-and-­Usage-
                 Die zentralen Ziele, die wir mit dem                                                                      lungsfelder und die Zielrichtung für eine kontinuierliche   Anwendung (CCU-Anwendung) ist die Herstellung
                                                                                                                           Weiterentwicklung des Industriestandorts Nordrhein-         synthetischer Kraftstoffe für die Mobilität. Das Hand-
                 Carbon Management in Nordrhein-Westfalen                                                                  Westfalen auf.                                              lungskonzept Synthetische Kraftstoffe Nordrhein-West-
                                                                                                                                                                                       falen, das Ende 2021 vorgelegt wird, weist das zugehörige
                 verfolgen, sind:                                                                                          Mit der Energieversorgungsstrategie Nordrhein-­             Marktpotenzial in Nordrhein-Westfalen aus und definiert
                                                                                                                           Westfalen 6 wurden Mitte 2019 die wesentlichen              Maßnahmen zur Unterstützung eines zielgerichteten
                 J Senkung der CO -Emissionen in Nordrhein-Westfalen
                                            2                                                                              ­Handlungsfelder beschrieben, die Nordrhein-Westfalen
                                                                                                                            als innovativen Industrie- und Wirtschaftsstandort er-
                                                                                                                                                                                       Markthochlaufs.

                 J Langfristige Sicherstellung einer nachhaltigen rohstoff­lichen                                           halten und stärken sollen und gleichzeitig einen Beitrag
                      Versorgung der nordrhein-westfälischen Industrie

                 J Erhalt und Stärkung des Industriestandorts
                      ­Nordrhein-Westfalen                                                                                                                                                                                        6
                                                                                                                                                                                                                                       c
                                                                                                                                                                                                                                      Carbon

                 Die Carbon Management Strategie NRW
                 setzt den entscheidenden I­ mpuls, um die
                                                                                                                                                               6
                                                                                                                                                                               c
                 Transformation in eine Low Carbon I­ ndustry
                 in Nordrhein-Westfalen zu beschleunigen und
                 damit ­lokal und global einen Beitrag zur Er-
                 reichung der Klimaschutzziele und zum nach-
                 haltigen U
                          ­ mgang mit Kohlenstoff zu leisten.
20                                          Carbon Management Strategie NRW   Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie                                                         21

                                                                              Fossile Rohstoffe haben Kohlenstoff über geologische               Rohstoffe Erdöl, Erdgas und Kohle (Stein- und Braun-
                                                                              Zeiträume – in der Regel über mehrere Hunderttausend               kohle) zum Bezugsjahr 2019 die nachfolgend skizzierte
                                                                              Jahre oder länger – natürlich eingelagert. Infolge ihrer           Datenlage ausweist.
                                                                              Nutzung wird dieser sicher konservierte Kohlenstoff
                                                                              plötzlich frei, lagert sich in sehr kurzer Zeit und in großen      Erdöl ist mit einem Anteil von gut 35 Prozent am Primär-

03
                                                                              Mengen in der Atmosphäre ein und wird so zum Haupt-                energieverbrauch der wichtigste Energieträger Deutsch-
                                                                              treiber des Klimawandels. Sowohl aus Klimaschutzgrün-              lands. Als einer der größten Mineralölverbraucher
                                                                              den als auch mit Blick auf die Endlichkeit dieser Ressour-         weltweit ist Deutschland fast vollständig auf den Import

     20–27                                                                    cen müssen fossile Kohlenstoffquellen daher künftig so
                                                                              weit wie möglich ersetzt werden.
                                                                                                                                                 von Erdöl und Erdölprodukten angewiesen. Bei einem
                                                                                                                                                 Verbrauch von 103 Millionen Tonnen Erdöl stammen nur
                                                                                                                                                 knapp 2 Prozent aus inländischer Förderung – mit weiter
     Kohlenstoff: Das Rückgrat                                                Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
                                                                              (BGR) legt seit 1980 in jährlicher Folge den Rohstoffsi-
                                                                                                                                                 rückläufiger Tendenz. Es besteht somit beim Erdöl eine
                                                                                                                                                 fast vollständige Importabhängigkeit. In Nordrhein-West-
     der nordrhein-westfälischen                                              tuationsbericht für Deutschland8 vor, der für die fossilen         falen wird kein Erdöl gefördert.

     Industrie

     P   Zurzeit decken fast ausschließlich fos-

                                                                                             35
         sile Rohstoffe die Bedürfnisse unserer
         Industriegesellschaft nach Strom,
         Wärme, Mobilität und einer Vielzahl
         von Dienstleistungen und Produkten –
         allen voran Erdöl, Erdgas und Kohle:
         Rohstoffe, die reich an dem wertvollen
         Element Kohlenstoff sind.
                                                                                                                                            Prozent
                                                                                             der Energieversorgung Deutschlands
                                                                                             wird derzeit durch Erdöl gedeckt.
22                                                                                         Carbon Management Strategie NRW   Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie                                                          23

Erdgas ist derzeit mit einem Anteil von rund 25 Prozent am    Im Jahr 2019 war Kohle mit einem Anteil von 17,9 Prozent
Primärenergieverbrauch der zweitwichtigste Energieträger      (Steinkohle mit 8,8 Prozent, Braunkohle mit 9,1 Prozent)
Deutschlands. Aus der inländischen Förderung stammten         am Primärenergieverbrauch nach Erdöl und Erdgas der
im Jahr 2019 mit rund 6,7 Milliarden Kubikmetern knapp 6      drittwichtigste Energieträger Deutschlands. Mit dem ge-
Prozent des in Deutschland verbrauchten Erdgases – mit        setzlich beschlossenen Ausstieg aus der subventionierten
seit vielen Jahren weiter rückläufiger Tendenz aufgrund zu-   Steinkohlenförderung endete Ende 2018 die Steinkohlen-
nehmender Erschöpfung der Lagerstätten und fehlender          förderung in Deutschland. Der weiter bestehende Bedarf

                                                                                                                                         18
signifikanter Neufunde. Aus gleichen Gründen gehen die        an Steinkohle wird ausschließlich über Importe gedeckt.
Rohgasreserven (sichere Reserven 24,8 Milliarden Kubik-       Die Importe von Steinkohle und Steinkohlenprodukten
meter, wahrscheinliche Reserven 21,8 Milliarden Kubik-        lagen 2019 bei 42,2 Millionen Tonnen.9
meter) in Deutschland erheblich zurück. Niedersachsen
verfügt im Ländervergleich mit einem Anteil von knapp 99
Prozent an den gesamten Rohgasreserven über die größ-

                                                                                                                                                                                   Prozent
ten Erdgasvorkommen in Deutschland. Dieses Bundesland
erbringt mit einem Anteil von rund 97 Prozent auch den
größten Anteil an der Förderung. In Nordrhein-Westfalen
wird kein Erdgas gefördert.                                                                                                                Anteil an der Energieversorgung
Die Erdgasimporte wie auch die Re-Exporte nahmen hin-                                                                                      machen Kohle aktuell noch zum
gegen deutlich zu – dies ist auch ein Zeichen der hohen
Bedeutung Deutschlands mit seinem sehr gut ausgebau-                                                                                       drittwichtigsten Energieträger
ten Gasnetz und den großen Gasspeicherinfrastrukturen
als internationale Drehscheibe für Gastransporte auch in                                                                                   Deutschlands.
andere europäische Mitgliedstaaten, wo dies ebenfalls zur
Versorgungssicherheit beiträgt.

                                                    25
                                                                                                                               Braunkohle ist derzeit der wichtigste heimische fos-              Kalk ist ebenfalls eine fossile Kohlenstoffquelle, nimmt
                                                                                                                               sile Energieträger, wenngleich Kohle gemäß dem vom                jedoch im Vergleich zu den obenstehenden fossilen
                                                                                                                               Deutschen Bundestag im August 2020 verabschiedeten                Energieträgern eine andere Rolle ein – denn weder kann
                                                                                                                               Kohleausstiegsgesetz nur noch bis spätestens 2038                 Kalk energetisch genutzt noch in signifikantem Umfang
                                                                                                                               einen Beitrag zur deutschen Energieversorgung leisten             substituiert werden. Vor allem aus der Baustoffindustrie
                                                                                                                               wird.10 Der gesamte Absatz an Braunkohle aus inländi-             ist Kalk als Grundstoff für die Zementherstellung nicht

                                                            Prozent
                                                                                                                               schem Aufkommen lag im Berichtsjahr 2019 bei 131,3                wegzudenken. Aber auch in der chemischen Industrie und
                                         Mit                                                                                   Millionen Tonnen und wurde in drei Revieren gefördert:            zur Reinigung der Abgase aus industriellen Prozessen
                                                                                                                               im Rheinischen Revier im Südwesten Nordrhein-West-                wird Kalk benötigt. Zudem ist zukünftig von einer weiteren
                                         ist Erdgas derzeit der zweit­                                                         falens (Förderung 64,8 Millionen Tonnen) mit den drei
                                                                                                                               Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden sowie in
                                                                                                                                                                                                 Steigerung der Nachfrage bei Kalk auszugehen.

                                         wichtigste Energie- und Kohlen-                                                       den Revieren Mitteldeutschland und Lausitz (zusammen
                                                                                                                               66,5 Millionen Tonnen).11 Bis einschließlich 2029 über-
                                         stoffträger ­Deutschlands.                                                            nimmt Nordrhein-Westfalen mit mehr als 70 Prozent
                                                                                                                               der bundesweit zu reduzierenden Braunkohlekapazitäten
                                                                                                                               eine Vorreiterrolle beim Kohleausstieg.
24                                                                                           Carbon Management Strategie NRW   Kohlenstoff: Das Rückgrat der nordrhein-westfälischen Industrie                                             25

Die aktuelle Rohstoffbasis der nordrhein-­westfälischen                                                                          Oftmals entstehen in der Grundstoffindustrie im
­Industrie: ein eng vernetztes, fossil geprägtes                                                                                 Zuge der Herstellung der Hauptprodukte auch
 ­Wertschöpfungsnetzwerk
                                                                                                                                 ­Nebenprodukte und Reststoffe, die in anderen
Die Wertschöpfungspfade der nordrhein-westfälischen            Das sind meist spezielle, aber äußerst vielfältige Anwen-          ­Branchen weiterverwendet werden:
Industrie sind zurzeit enorm von den oben beschriebenen        dungen, von der Herstellung von Kunststoffen und Fasern
fossilen Primärrohstoffen abhängig. Diese Abhängigkeit         über Waschmittel, Kosmetika, Farben und Lacke, Druck-
zieht sich durch alle Branchen:                                farben, Klebstoffe, Baustoffe, Hydrauliköle und Schmier-
                                                               mittel bis hin zu Arzneimitteln.12
                                                                                                                                 J Der in der Petrochemie anfallende Koks J Sowohl in der Stahl- als auch in der Alu-
                                                                                                                                        dient als Brennstoff, Reduktionsmittel                         miniumindustrie entstehen außerdem
Die (petro-)chemische Industrie in Deutschland setzte
2017 rund 20 Millionen Tonnen Erdöl, Erdgas und Kohle          Die Baustoffindustrie bezieht vor allem mineralische
                                                                                                                                        und Kohlenstoffquelle für die Rohstahl-                        Schlacken, die im Straßenbau und in
stofflich ein. Dies entspricht etwa 5 Prozent der hierzulan-   Primärrohstoffe: Gips/Anhydrit, Ölschiefer, Trass, Kalk-                 erzeugung im Hochofen.                                         der Landwirtschaft eingesetzt werden.
de insgesamt eingesetzten fossilen Rohstoffe (insgesamt        mergel, Kalkstein und Kreide. Kalkstein kommt in der
397 Millionen Tonnen im Jahr 2017). Betrachtet man nur
Erdöl, liegt der Anteil der stofflichen Nutzung durch die
                                                               Glasindustrie zusammen mit Sand, Feldspat und Dolomit
                                                               als Primärrohstoff zum Einsatz. Das aus Kalkmergel,
                                                                                                                                 J Anfallender Petrolkoks wird zur Her-                            J Der ebenfalls in der S­ tahlindustrie
                                                                                                                                        stellung von Kohlenstoff-Anoden für                            anfallende Hüttensand wird in der
Chemie mit 15 Prozent deutlich darüber. An erster Stelle       Kalkstein und Kreide hergestellte Vorprodukt Kalk wird
steht dabei das Spalten von Rohbenzin (Naphtha) in eine        zudem branchenübergreifend zum Beispiel zur Neutrali-
                                                                                                                                        die Aluminiumelektrolyse eingesetzt.                           Zementindustrie als Ersatz für
Reihe von Basischemikalien, deren Weiterverarbeitung           sierung und zur Rauchgasreinigung genutzt.                                                                                              ­Zementklinker eingesetzt.
eine nahezu unerschöpfliche Vielfalt an Synthesemöglich-                                                                         J In der chemischen Industrie anfallende
keiten bietet. Immerhin 2,7 Millionen Tonnen nachwach-
sende Rohstoffe, von denen Fette und Öle knapp die Hälf-
                                                               Während in der Stahlindustrie Eisenerz, Kohle, Erdgas
                                                               und Legierungsmetalle eingesetzt werden, sind in der Alu-
                                                                                                                                        Natronlauge hat sich von einem Neben-                      J Auch bei der energiewirtschaftlichen
                                                                                                                                        produkt aus der Chlorherstellung zu                            Nutzung von fossilen Rohstoffen in
te ausmachten, wurden 2017 stofflich in der chemischen         miniumindustrie Bauxit und Kryolith die einzigen Primär-
Industrie eingesetzt. Sie haben sich überall dort erhalten     rohstoffe. Für die Primärrohstoffe der Aluminiumindustrie                einem wichtigen Rohstoff für die Alu-                          Kraftwerken fallen Reststoffe an, die in
oder durchgesetzt, wo technische und ökonomische Vor-          ist Nordrhein-Westfalen vollständig von internationalen                  miniumindustrie entwickelt und wird                            der Zement- und Kalkindustrie als Roh-
teile gegenüber fossilen Einsatzstoffen bestehen.              Importen abhängig. Bauxit wird als Aluminiumoxid aus                                                                                    stoff dienen: Flugasche und REA-Gips
                                                               dem Ausland importiert.
                                                                                                                                        inzwischen sogar gezielt hergestellt.
                                                                                                                                                                                                       enthalten Mineralien, die wichtige Be-
                                                                                                                                 J Des Weiteren stellt die Chemieindustrie                             standteile von Kalk und Zement sind.
                                                                                                                                        das Natrium- und Kaliumkarbonat für
                                                                                                                                        die Glasherstellung zur Verfügung.                         J Die Abfallaufbereitung liefert ebenfalls
                                                                                                                                                                                                       Reststoffe: Rostschlacken aus Müllver-

          2,7
                                                                                                                                                                                                       brennungsanlagen werden der Alumi-
                                                                                                                                 J Das in der Kokerei anfallende Steinkoh-                             niumherstellung zugeführt, kalkhaltige
                                                                                                                                        lenteerpech aus der Stahlindustrie wird
                                                                                                                                        – zusätzlich zum Petrolkoks aus der                            Reststoffe finden stofflich, kohlenstoff-
                                                                                                                                        Petrochemie – für die Herstellung von                          haltige Reststoffe als Sekundärbrennstof-
                                                                                                                                                                                                       fe in der Zementindustrie Anwendung.
                                                Millionen Tonnen                                                                        Kohlenstoff-Anoden genutzt. Steinkohlen-
                                                                                                                                        teerpech liefert dabei einerseits Kohlen-
          nachwachsender Rohstoffe wurden                                                                                               stoff als Reduktionsmittel (wie der Pet-
                                                                                                                                        rolkoks), dient aber andererseits vor allem
          2017 stofflich in der chemischen                                                                                              auch als Bindemittel für die Anoden.
          ­Industrie eingesetzt.
26                                                                                            Carbon Management Strategie NRW

                                                                                                                                  Abbildung 3: Stoffströme in der nordrhein-
                                                                                                                                  westfälischen Grundstoffindustrie15

                                                                                                                                                                                                                                   Abfallaufbereitung                               Betonherstellung
                                                                                                                                                                                 Produktions-, Verarbeitungs-,
                                                                                                                                                                                 End-of-Life-Schrotte
Neben Reststoffen und Nebenprodukten werden                                                                                                                                                                                        Kalkhaltige
                                                                                                                                                                                                                                   Reststoffe

­zunehmend auch Produktions- und „Post-Consumer-­                                                                                                                  Landwirtschaft                       Rostschlacken
                                                                                                                                                                                                        aus MVA
                                                                                                                                                                                                                                        C-haltige
                                                                                                                                                                                                                                        Sekundärbrennstoffe
                                                                                                                                                                                                                                                                           Eisen(II)
                                                                                                                                                                                                                                                                           -sulfat         Verarbeitung
                                                                                                                                                                                                                                                                           Eisenoxid       Abbruch
 Abfälle“ eingesetzt, die recycelt werden und als                                                                                                      Straßenbau
                                                                                                                                                                                                       Metallrück-
                                                                                                                                                                                                       gewinnung aus
 ­sogenannte Rezyklate zu sekundären Rohstoffen                                                                                                   Schlacke           Ammonium-
                                                                                                                                                                                                       Krätzen

  für die Herstellung neuer Produkte werden.                                                                                                                             sulfat
                                                                                                                                                                                                               Salzschlacken                          Energie
                                                                                                                                                        Petrolkoks                                                                                                  Kohle-
                                                                                                                                                                                                                        Oxid-                                        kraft-
                                                                                                                                                                                     Aluminium                          reste
                                                                                                                                                                                                                                               REA- Flug-
                                                                                                                                                        Steinkohlen-
                                                                                                                                                                                                                                               Gips asche           werke           BHKW
                                                                                                                                                        teerpech

In der Metallbranche zum Beispiel wird bereits ein Großteil    Mit einer Veränderung der primären Kohlenstoffbasis und                                                                            Aluminiumoxid
der anfallenden Schrotte recycelt. Ebenfalls hohe Recy-        der Herstellungsprozesse werden heute breit genutzte
clingquoten werden bei Behältergläsern erreicht. Für die       Nebenprodukte und Vernetzungen zukünftig zum Teil                                       Kokerei
Baustoffindustrie stehen Technologien, um Rezyklat in die      wegfallen. Dies hat nicht nur Auswirkung auf die primären
Zement- und Kalkherstellung zurückzuführen, noch am            Wertschöpfungspfade, sondern wird durch die starke                                                                                                                   Zement
                                                                                                                                                                                                           Hüttensand
Anfang. Gebrauchter Beton wird in Deutschland lediglich        Verzahnung eine Veränderung des gesamten Wertschöp-
zu 21 Prozent hochwertig in der Asphalt- und Betonherstel-     fungsnetzwerkes in Nordrhein-Westfalen nach sich ziehen.
lung verwendet. Der Rest erfährt ein Downcycling als Füll-                                                                                                                Bauxit
stoff.13 Kunststoffabfälle werden zwar zu fast 100 Prozent     Bezogen auf die kohlenstoffhaltigen Nebenerzeugnisse                                                       Kryolith                Gips / Anhydrit          Ölschiefer            Trass

gesammelt, nur knapp die Hälfte wird jedoch recycelt, also     werden sich vorrangig die Sekundärrohstoffe aus der
stofflich genutzt. Der Rest wird energetisch verwertet (vgl.   Stahlindustrie und die Stoffströme aus Müllverbrennungs-                                                   Kohle/Erdgas          Eisenerz       Ton        Sand
Abschnitt 5.1.1).14                                            anlagen im Zuge der Transformation und des Ausbaus der                                                     Legierungs-           Kies
                                                                                                                                                   Stahl                  metalle                                                                                    Kalk
                                                               Circular Economy sowohl qualitativ als auch in ihrer Zu-
Deutlich wird an den vorangegangenen Ausführungen und          sammensetzung verändern. Neue Quervernetzungen, die
der nebenstehenden Grafik nicht nur, dass die Kohlenstoff-     ein neues ökonomisches Optimum ermöglichen, müssen                                                         Nachwachsende                       Kaolin     Feldspat      Kalk-     Kalk-
                                                                                                                                                                          C-Quellen 1. / 2.                                            stein     mergel
intensität der Industrie in Nordrhein-Westfalen aktuell sehr   daher gezielt identifiziert und deren Etablierung unter-                                                   Generation
                                                                                                                                                                                                              Holz       Dolomit                 Kreide                  Zweitge-
hoch ist, sondern auch, dass die Wertschöpfungsketten          stützt werden.                                                                                             Erdöl                                                                                          brauchs-
überaus eng und branchenübergreifend miteinander ver-                                                                                                                                                                                                                    wasser

netzt sind. Die Nutzung von Nebenprodukten und Rest-
stoffen ist dabei mit Blick auf Weiterverwertungsmöglich-
keiten weitestgehend optimiert. Dieses Optimum hat sich                                                                                                                                    Petrochemie
in der nordrhein-westfälischen Industrie über Jahrzehnte                                                                                                                                                                                             Papier
eingestellt und zu einer äußert integrierten Wertschöpfung
und Produktionsweise geführt.
                                                                                   Abbildung 3 stellt die primären                                                 Natronlauge
                                                                                                                                                                                     Chemie
                                                                                                                                                                                                           Natriumkarbonat
                                                                                   und sekundären Stoffströme
                                                                                                                                                                                                            Kaliumkarbonat
                                                                                   in der nordrhein-westfälischen
                                                                                                                                     Walz-             Produk-
                                                                                   Grundstoffindustrie dar.                          zunder,           tions-,
                                                                                                                                     Filter-           Verarbei-                                                                Glas
                                                                                                                                                                                          CO2
                                                                                                                                     stäube,           tungs-,
                                                                                       Primärrohstoffe                               kalkhalti-        End-
                                                                                       Grundstoffindustrie                           ge Eigen-         of-Life-
                                                                                                                                     schlacke          Schrotte
                                                                                       Transport­infrastruktur                       aus
                                                                                                                                     Aufbe-                                MVA                                                             MVA
                                                                                       Peripherie                                    reitung
                                                                                       Primärstoffe

                                                                                       Reststoffe                                                                                    Post-Consumer-                  Produktions-,                        Halbstoffe: Zellstoff, thermo-
                                                                                                                                                             Eisenspäne aus          Rezyklate, Closed-              Verarbeitungsabfälle,                mechanischer Holzstoff,
                                                                                       Stoffströme Recycling                                                 Maschinenbau            Loop-Systeme                    Behälterglassamm-                    Altpapier, 1–2 % Tonerden-
                                                                                                                                            Zink                                     (OEM, Kunden),                  lung, Bausektor,                     Rückgewinnung und
                                                                                       Recycling von Reststoffen                                                                     Kunststoffrecycler              Wertstoffhöfe                        1–2 % Biogasgewinnung
                                                                                       aus eigener Produktion
                                                                                                                                     Weiterverarbeitung
                                                                                       (Neben-)Produkte
                                                                                                                                     von Eisen und Stahl
28                                         Carbon Management Strategie NRW   Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen                                                          29

                                                                             Die heutige Wirtschaftsweise der Industrie in Nordrhein-
                                                                             Westfalen sowie die zugrundeliegenden Wertschöpfungs-
                                                                             ketten müssen sich dafür zukünftig fundamental ändern.
                                                                             Neben der Dekarbonisierung, also dem vollständigen
                                                                             Verzicht auf Kohlenstoff, bestehen drei Ansätze, mittels
                                                                             derer der Umgang mit Kohlenstoff klimaneutral gestaltet
                                                                             werden kann:

04   28–55
     Ansätze zur Transformation
     in eine Low Carbon Industry
                                                                                                        J Defossilisierung
                                                                                                               (Ersatz von fossilem Kohlenstoff
                                                                                                               durch Biomasse)
     in Nordrhein-Westfalen
                                                                                                        J Nutzung von Sekundärrohstoffen
                                                                                                               ­(Recycling)
     P   Eine nachhaltige Kohlenstoffnutzung im
         Sinne einer Low Carbon Industry kann nur
         durch die Reduktion der Kohlenstoffmenge
         insgesamt, den weitestgehenden Verzicht                                                        J Carbon Capture and X
         auf fossile Kohlenstoffe sowie das geschick-                                                          ­(CO2-Abscheidung, -Transport,
         te Haushalten mit den Kohlenstoffmengen,
         die sich bereits im System befinden, er-
                                                                                                                ­-Nutzung und -Speicherung)
         reicht werden.

                                                                                                                                                             Eine vollständige Dekarbonisierung unserer Industrie ist
                                                                                                                                                             nicht möglich. Für die Transformation in eine Low Carbon
                                                                                                                                                             Industry ist die Erschließung alternativer Kohlenstoffquel-
                                                                                                                       6
                                                                                                                            c
                                                                                                                                                             len (Biomasse, Sekundärrohstoffe und CO 2) und darauf
                                                                                                                                                             basierender Wertschöpfungspfade in Nordrhein-Westfalen
                                                                                                                                                             somit ebenso erforderlich wie das Management über-
                                                                                                                           Carbon                            schüssiger CO2 -Mengen, die nicht genutzt werden können.

                                                                                                                                                             Alternative Kohlenstoffquellen sollten langfristig in
                                                                                                                                                             ausreichender Menge zur Verfügung stehen und dazu
                                                                                                                                                             beitragen, die Klimaschutzziele zu erreichen. Wie nach-
                                                                                                                                                             haltig die Nutzung alternativer Kohlenstoffe ist, kann
                                                                                                                                                             dabei jedoch nicht allein anhand der Kohlenstoffquelle
                                                                                                                                                             festgemacht werden. Eine Beurteilung der Nachhaltigkeit
                                                                                                                                                             kann vielmehr nur durch die Betrachtung des gesamten
                                                                                                                                                             Wertschöpfungspfades von der Kohlenstoffgewinnung

                                                                                      6
                                                                                                                                                             über die Produktherstellung bis hin zur Produktnutzung

                                                                                                 c
                                                                                                                                                             und -nachnutzung erfolgen.
30                                                                                       Carbon Management Strategie NRW   Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen                                                           31

Für die Nachhaltigkeit ­alternativer                                                                                         Kohlenstofffreie Energieträger                                                  Die Aluminiumherstellung könnte im Gegensatz zur Stahl-
                                                                                                                             in der Industrie                                                                herstellung durch den Einsatz einer inerten Anode anstel-
­Wertschöpfungspfade sind folgende                                                                                                                                                                           le einer Kohlenstoff-Anode vollständig kohlenstofffrei er-
                                                                                                                             Eine Dekarbonisierung der industriellen Energieerzeu-                           folgen. Dadurch würde nicht nur die Entstehung von CO 2,
 Kriterien entscheidend:                                                                                                     gung und -nutzung ist – zumindest theoretisch – in wei-                         sondern auch die Entstehung der höchst klimawirksamen
                                                                                                                             ten Teilen möglich. Der Bezug eines grünen Strommixes                           Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) vermieden werden. 24
                                                                                                                             ist hierzu zwar nicht geeignet, da in diesem auch kohlen-                       Zwar wurden in den vergangenen zehn Jahren deutliche
J CO -Bilanz des
          2                                                J Stofflicher Bedarf an Wasser-                                   stoffhaltige Biomasse enthalten ist. 21 Power Purchase Ag-
                                                                                                                             reements, zum Beispiel mit einem Windpark, ermöglichen
                                                                                                                                                                                                             Fortschritte bei der Entwicklung inerter Anoden gemacht,
                                                                                                                                                                                                             bisher ist es aber noch keinem Industrieunternehmen
       ­Wertschöpfungspfades        16
                                                                stoff im Zuge der Umwandlung und
                                                                                                                             dagegen aber eine reelle oder zumindest eine bilanzielle                        gelungen, diese erfolgreich zur Aluminiumelektrolyse ein-
                                                                Produktherstellung                                           Dekarbonisierung. 22 Grundsätzlich ist die Dekarbonisie-                        zusetzen, auch wenn weltweit an der Umsetzung dieser
J Energiebilanz des                                                                                                          rung der industriellen Energieversorgung anzustreben.                           Technologie unter Betriebsbedingungen gearbeitet wird.25
       ­Wertschöpfungspfades17                             J Schädlichkeit des ­resultierenden                               Auch wenn der direkte Einsatz von Strom mit den gerings-
                                                                                                                             ten Umwandlungsverlusten behaftet ist, gibt es durchaus
                                                                                                                                                                                                             Auch das nordrhein-westfälische Unternehmen Trimet
                                                                                                                                                                                                             forciert, unterstützt von der Landesregierung, den Ein-
                                                                ­ roduktes für den Menschen
                                                                P
                                                                                                                             Bereiche, in denen eine Dekarbonisierung auf Basis einer                        satz der inerten Anode.
                                                                und/oder die Umwelt
J Qualität des resultierenden                                                                                                Elektrifizierung energetisch und CO 2 -bilanziell derzeit
                                                                                                                             nicht sinnvoll ist oder aufgrund eingeschränkter Flexibi-
       ­Produktes
                                                           J Marktpotenzial des resultierenden                               lisierungsmöglichkeiten in Anbetracht der Fluktuation                           Kohlenstofffreie Rohstoffe für
                                                                ­ roduktes und somit das absolute
                                                                P                                                            erneuerbarer Energien (noch) nicht infrage kommt. Hier                          die Industrie
                                                                                                                             müssen wasserstoffbasierte Wärmeerzeugungsverfahren
                                                                Klimaschutz-18 und/oder rohstoffliche                        erwägt und dem Einsatz von alternativen Brennstoffen                            Die gesamte organische Chemie und die nachgelagerten
                                                                Substitutionspotenzial.                                      (mit dem Ziel der Defossilisierung) sowie den Optionen                          Wertschöpfungen basieren auf Kohlenstoff als Rohstoff.
                                                                                                                             im Rahmen von Carbon Capture and X gegenübergestellt                            Eine Dekarbonisierung ist hier ausgeschlossen. Dasselbe
                                                                                                                             werden, um anhand obiger Kriterien die beste Alternative                        trifft auf die kalkbasierten Prozesse, insbesondere die Ze-
                                                                                                                             zu identifizieren.                                                              mentherstellung, zu. Eine Ausnahme stellt die Glasindus­
                                                                                                                                                                                                             trie dar, die zurzeit auf Soda und Kalkstein (Karbonate) als
                                                                                                                                                                                                             Rohstoff setzt. Um die Rohstoffbasis der Glasindustrie zu
                                                                                                                             Kohlenstofffreie Hilfsstoffe                                                    dekarbonisieren, wird zurzeit der Einsatz von Hydroxiden
4.1 Potenziale und Grenzen der                                                                                               in der Industrie                                                                erforscht, der keine rohstoffbedingte CO2 -Entstehung mit
                                                                                                                                                                                                             sich bringt. Gelingt zudem die Umstellung auf kohlen-
­Dekarbonisierung                                                                                                            Als Hilfsstoff wird Kohlenstoff vor allem für die Herstel-                      stofffreie Energie, besteht das Potenzial einer vollständi-
                                                                                                                             lung von Metallen (Stahl und Aluminium) benötigt. Die                           gen Dekarbonisierung der Glasindustrie.
                                                                                                                             jährliche Stahlerzeugung in Deutschland in Höhe von
 er Begriff der Dekarbonisierung, der wortwörtlich die
D                                                          vorhandener Dekarbonisierungspotenziale, die nicht                circa 45 Millionen Tonnen erfolgt heute weitestgehend
vollständige Abkehr von Kohlenstoff bedeutet, hält seit    ungenutzt bleiben dürfen. Zum anderen käme eine voll-             mithilfe von kohle- beziehungsweise koksbasierten Pro-
Mitte der 2010er Jahre zunehmend Einzug in die Klima-      ständige Dekarbonisierung aller Wirtschaftsbereiche im            zessen über die Hochofenroute.23 Bei der Reduktion des
schutzdebatte.19 Inzwischen wurde der Begriff der Dekar-   ursprünglichen Wortsinn einer vollkommenen Deindus-               Eisenerzes mit Koks entstehen große Mengen CO2. Eine
bonisierung aufgeweicht und wird in der breiten Debatte    trialisierung gleich, die insbesondere für ein Industrie-         Alternative zu dieser konventionellen Eisenerzreduktion
als die „Verminderung kohlenstoffhaltiger Emissionen       land wie Nordrhein-Westfalen keine Option darstellt. Die          ist die sogenannte Direktreduktion von Eisenerz unter
(besonders durch die Abkehr von fossilen Energieträ-       Anforderungen im Zusammenhang mit der Dekarbonisie-               Einsatz von Wasserstoff, die zunehmend in den Fokus
gern)“20 verstanden. Dies birgt Risiken. Zum einen be-     rung im industriellen Sektor müssen somit differenzierter         rückt. Dennoch geht in der konventionellen Hochofen-                                                       6
hindert diese Aufweichung die Ausschöpfung t­ atsächlich   betrachtet werden.                                                route ein Teil des Kohlenstoffs aus dem Koks in den Stahl
                                                                                                                             ein. Auch bei der Direktreduktion mit Wasserstoff wird
                                                                                                                             somit noch Kohlenstoff benötigt, der hierbei über die
                                                                                                                                                                                                                                             c
                                                                                                                                                                                                                                            Carbon
                                                                                                                             Zugabe von Erdgas (CH4) bereitgestellt wird. Wenngleich
                                                                                                                             die Mengen gering sind, kann über dieses Verfahren keine
                                                                                                                             Dekarbonisierung realisiert werden. Nichtsdestotrotz

                               6                                                                                             handelt es sich um einen klimaneutralen Prozess, da der

                                         c
                                                                                                                             Kohlenstoff im Stahl permanent chemisch gebunden ist
                                                                                                                             und kein CO2 entsteht.

                                     Carbon
32                                                                                          Carbon Management Strategie NRW   Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen                         33

                                                                                                                                                                                                                192 Millionen Tonnen
4.2 Defossilisierung mit Biomasse:                                                                                                                                                                              Rohbiomasse in Deutschland
Gut, aber nicht beliebig skalierbar
Mit der Defossilisierung wird im Unterschied zur Dekarbo-     Zwar handelt es sich bei Biomasse um einen nachwach-              In Deutschland wurden 2015 knapp 185 Millionen
nisierung die Abkehr von fossilen Rohstoffen, nicht aber      senden Rohstoff, der sowohl stofflich als auch energe-            Tonnen Biomasse (Trockengewicht) in Land-
die Abkehr von Kohlenstoff an sich angestrebt. Durch eine     tisch klimaneutral genutzt werden kann. Gleichzeitig              (137 Millionen Tonnen) und Forstwirtschaft (48
Defossilisierung kann erreicht werden, dass trotz kohlen-     tragen der Erhalt von Wäldern, die Wiederaufforstung und          Millionen Tonnen) erzeugt. Weitere 72 Millionen
stoffhaltiger Prozesse und Produkte keine zusätzlichen        eine stärkere Begrünung urbaner Regionen aber auch                Tonnen Biomasse in Form von Rohstoffen und
CO2 -Mengen in die Atmosphäre eingebracht werden. Die         zur Verbesserung der Boden- und Luftqualität bei. Da die          verarbeiteten Waren wurden importiert. Der
zentrale Rolle dabei spielt die Nutzung von Biomasse.         Anbauflächen insgesamt stark begrenzt sind, tritt der An-         Gesamtexport betrug 65 Millionen Tonnen.
                                                              bau von Biomasse zur Nutzung als Rohstoff also nicht nur          In Summe resultiert im Bezugsjahr 2015 ein
Biomasse ist ein wichtiger Bestandteil des Kohlenstoff-       in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion, sondern             deutschlandweites Inventar von 192 Millionen                                    185 MILLIONEN
kreislaufs. Im Zuge der Photosynthese wird der Atmo-          steht auch in Konflikt mit der Biodiversität. Grundsätzlich       Tonnen Biomasse.29                                                              TONNEN
sphäre CO2 entzogen und unter anderem in Kohlenstoff          ist bei der Bewertung der Nachhaltigkeit von Biomasse                                                                                             erzeugt
umgewandelt. Pflanzen sind somit eine natürliche Kohlen-      als Kohlenstoffquelle daher zwischen nachwachsenden               Weniger problematisch als die Nutzung nach-
stoffsenke. Ein Hektar Wald bindet ungefähr 10 Tonnen         Rohstoffen und Restbiomassen zu unterscheiden. Die                wachsender Rohstoffe ist die Verwendung von
CO2 pro Jahr. In Nordrhein-Westfalen werden ca. 8,5 Mil-      Nutzung von nachwachsender Biomasse als Rohstoff für              biogenen Rest- und Abfallstoffen, vorzugsweise
lionen Tonnen CO2 im Jahr von Waldflächen absorbiert.26       die Industrie ist häufig nur eingeschränkt nachhaltig. Bei        organischer Reststoffe aus der Industrie und
Die Nutzung von Biomasse wird als klimaneutral betrach-       biogenen Rohstoffen, die stofflich in industriellen Prozes-       der kommunalen Entsorgung. Hierbei handelt
tet, da bei deren Verwertung maximal so viel CO2 frei wird,   sen genutzt werden sollen, kann nur dann von Nachhaltig-          es sich um eine weitgehend uneingeschränkt
wie zuvor während des Wachstums auch aufgenommen              keit gesprochen werden, wenn diese vor allem auf Flächen          zukunftsfähige alternative Kohlenstoffquelle. 30
wurde.27                                                      angebaut werden, die aus Umwelt- und Naturschutzsicht             Abgesehen von der Quelle wird die Nachhaltigkeit
                                                              unproblematisch sind. Eine Konkurrenz mit Flächen, die            biobasierter Wertschöpfungsketten häufig auch
                                                              für die Nahrungs- und Futtermittelproduktion genutzt              insbesondere durch deren Kaskadennutzung
                                                              werden, ist dabei ebenso zu vermeiden wie die energeti-           determiniert.31
                                                              sche Nutzung von Anbaubiomasse und Waldrestholz, die
                                                              laut Umweltbundesamt zu einer Minderung der natür­                Eine Defossilisierung ist im Gegensatz zur Dekar-
                                                              lichen CO2 -Senken führt.28                                       bonisierung in vielen Bereichen der Wirtschaft                                  72 MILLIONEN
                                                                                                                                und insbesondere auch der Industrie ein zumin-
                                                                                                                                dest technisch mögliches Szenario. Dennoch
                                                                                                                                                                                                                TONNEN
                                                                                                                                sind dem Grenzen gesetzt. Zum einen durch die                                   importiert
                                                                                                                                Knappheit der Biomasse, zum anderen mangels

          8,5
                                                                                                                                Substitutionsmöglichkeiten für kalkbasierte An-
                                                                                                                                wendungen und Baustoffe wie Zement.

                                                    Millionen Tonnen CO2
           werden jährlich in Nordrhein-Westfalen
           von Waldflächen absorbiert.                                                                                                                                                                          65 MILLIONEN
                                                                                                                                                                                                                TONNEN
                                                                                                                                                                                                                exportiert

                                                                                                                                                                                                                Erhebungsjahr 2015
34                                                                                        Carbon Management Strategie NRW   Ansätze zur Transformation in eine Low Carbon Industry in Nordrhein-Westfalen                                                         35

 Abbildung 4: Einordnung der Sekundärrohstoff-                                                                                Viele potenzielle Sekundärrohstoffe werden heute zu-
 nutzung innerhalb der Circular Economy                                                                                       nächst als Abfälle behandelt und klassifiziert. Allerdings                      Sind die mechanischen
                                                                                                                              endet die Abfalleigenschaft eines Stoffes gemäß Gesetz
                                                                                                                              zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und Sicherung der                         ­Möglichkeiten ausgeschöpft,
                                                                                                                              umweltverträglichen Bewirtschaftung von Abfällen, wenn
CIRCULAR                                                                                                                      dieser ein Recycling oder ein anderes Verwertungsverfah-                         ist das chemische Recyc-
ECONOMY                                                                                                                       ren durchlaufen hat und so beschaffen ist, dass
                                                                                                                                                                                                               ling allerdings eine vielver-
                                                                                                                              = er üblicherweise für bestimmte Zwecke
WEITER-                                                                                      CO2-                               verwendet wird,                                                                sprechende Option, um die
GEBRAUCH                                                                                     NUTZUNG
                                                                                                                              = ein Markt für ihn oder eine Nachfrage nach ihm                                 Kohlenwasserstoffe im Stoff-
                                                                                                                                ­besteht,
 WIEDER-                           SEKUNDÄR-                                                                                                                                                                   kreislauf zu halten, anstatt
 VERWENDUNG                        ROHSTOFFNUTZUNG                                                                            = er alle für seine jeweilige Zweck­bestimmung
                                                                                                                                ­geltenden technischen Anforderungen sowie alle                                sie energetisch zu verwerten
                                                                                                                                 ­Rechts­vorschriften und anwendbaren Normen für
                                                                                                                                  ­Erzeugnisse erfüllt sowie                                                   und damit abzuwerten.35
                                                                                                                              = seine Verwendung insgesamt nicht zu schädlichen                               Müllverbrennungsanlagen sollten letztlich nur noch zur
                                                                                                                                Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt führt.34                                  Ausschleusung von Schadstoffen dienen. Ziel muss somit
                                                                                                                                                                                                              sein, den Anteil tatsächlicher Abfallstoffe zu minimieren.
                                                                                                                              Wenngleich diese Kriterien zunächst eindeutig scheinen,                         Die Zusammensetzung der Reststoffe aus der Müllver-
                                                                                                                              sind sie dennoch für den praktischen Einsatzfall häufig zu                      brennungsanlage muss dazu laufend untersucht werden,
                                                                                                                              unkonkret, wodurch eine Ausweitung der Sekundärroh-                             um das Potenzial einer stofflichen Nutzung heben zu
                                                                                                                              stoffnutzung derzeit gehemmt wird: Da für Produkte aus                          können.
                                                                                                                              Sekundärrohstoffen keine Produktnormen existieren und
                                                                                                                              Normen für Primärprodukte nur bedingt angewendet wer-                           Bei aus Rezyklaten hergestellten Produkten handelt es
                                                                                                                              den können, werden viele potenzielle Sekundärrohstoffe                          sich in der Regel um Produkte, in denen der Kohlenstoff
                                                                                                                              heute entsorgt beziehungsweise energetisch verwertet.                           dauerhaft chemisch gebunden ist (zum Beispiel Kunst-
                                                                                                                              Somit besteht auch kaum die Möglichkeit, dass ein Markt                         stoffe). Im Rahmen der vorgesehenen Nutzung entsteht
4.3 Sekundärrohstoffnutzung:                                                                                                  oder eine Nachfrage dafür entsteht.                                             daher kein CO 2 . Wichtig ist hier vielmehr die Frage da-
                                                                                                                                                                                                              nach, was nach der Nutzung mit dem Produkt geschieht.
Kern der industriellen Transformation                                                                                         Hinsichtlich der Gewinnung sekundärer Rohstoffe, soge-                          Die Kreislaufführung (Sammelquote) muss hier ebenso
                                                                                                                              nannter Rezyklate, sollte werkstoffliches (mechanisches)                        maximiert werden wie der Anteil stofflich verwerteter Ab-
                                                                                                                              Recycling dem chemischen Recycling aus energetischer                            fälle (Recyclingquote).
Mit dem European Green Deal32 und dem Circular Econo-       CO2. Hinsichtlich des Weitergebrauchs kann die Wieder-            Sicht vorgezogen werden.
my Package von 2015 33 hat die Europäische Union zwei       verwendung (auf Produktebene) von der Sekundärroh-
wichtige Eckpfeiler in die Diskussion um die Transforma-    stoffnutzung unterschieden werden. Die Wiederver-                                                                                                 Wichtig ist dafür ein Design
tion der europäischen (und internationalen) Industrie-      wendung durch Aufarbeitung, Instandsetzung und/oder
gesellschaften eingebracht. Das Verständnis der Circular    Neukonfigurierung bezieht sich auf ein bereits bestehen-                                                                                          for Recycling, das mecha­
Economy geht dabei deutlich über die klassische Kreis-      des Produkt. Für die industrielle (Grundstoff-)Produktion
laufführung und Abfallhierarchie hinaus und greift in den   ist daher insbesondere die Sekundärrohstoffnutzung von                                                                                            nisches Recycling e­ rleichtert
Kern der industriellen Wertschöpfung ein.                   Bedeutung. Sekundärrohstoffe schonen natürliche Vor-
                                                            räte und ermöglichen den (anteiligen) Verzicht auf fossile                                                                                        und Downcycling besser
Eine Circular Economy umfasst den Weitergebrauch von        Ressourcen. Zudem sind entsprechende Verarbeitungs-
Produkten, Komponenten und elementaren Bestandteilen        prozesse nicht selten deutlich energieeffizienter als die                                                                                         ­vermeidbar macht.
im weitesten Sinne sowie die Nutzung des entstehenden       jeweiligen primären Routen.
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