Innenstadt-integrierte Shopping Center - ein Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung?
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Rolf Monheim Innenstadt-integrierte Shopping Center – ein Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung? 1) 1 Fragestellung Die Ansiedlung von Shopping Centern in Innenstädten löst meist deutlich heftigere Kontroversen aus als entsprechende Vorhaben am Stadtrand oder im Umland, obwohl letztere planungspolitisch problematischer sind. Die Kritik thematisiert einerseits die Folgen für den Einzelhandel in der übrigen Innenstadt, andererseits kulturelle Gesichtspunkte im weiteren Sinn, wie die (nach ihrer Auffassung) ungenügende städtebauliche Integration, die Dominanz von Kettenläden und damit die Austauschbarkeit des Angebots und die Abkapselung gegenüber dem Umfeld. Sie ist häufig sehr emotional und kann Züge eines Kulturkampfes annehmen. Beredtes Beispiel ist ein Bericht des KulturSPIEGELs (o.V. 2008) mit dem Titel „ROSA RIESENFERKELEI. Shopping-Center in den Innenstädten boomen. Und zerstören die Fußgängerzonen: mit Ornamenten für die Massen und einer Architektur der Verführung“ (P 2 = Power-Point-Präsentation Bild 2). Eine Aachener Bürgerinitiative spricht im Hinblick auf die für den Haupteinkaufsbereich geplante „Kaiserplatz-Galerie“ von einer „Diktatur der Einkaufspaläste“. Von Medien und Fachpublikationen „bevorzugter“ Gegner ist der Marktführer ECE (P 3, 4). Beispiel ist ein Sammelband, der unter dem Titel „Angriff auf die City“ auf Initiative vom W. Brune (2006) herausgegeben wurde (P 5). Dieser hatte als Architekt und Centerentwickler zunächst selber große zwischenstädtische Projekte realisiert (z.B. Rhein-Ruhr-Center in Mülheim) und sich später zu kleineren „Stadtgalerien“ umorientiert. In diesem Band kann man an einigen Beiträgen die Problematik einseitiger bis polemischer Argumente erkennen, doch zeigen andere abgewogen und detailliert Hintergründe auf, einschließlich der politischen Entscheidungsabläufe. Die Frage der Nachhaltigkeit spielt in diesen Auseinandersetzungen meist eine untergeordnete Rolle, was unter anderem mit dem oft zu engen Begriffsverständnis zusammenhängt. Am ehesten entsprechen die Überlegungen zur Stadtverträglichkeit der Center dieser Perspektive (s. z.B. Jürgens 2009 sowie besonders gründlich Juncker et al. 2008). Neuerdings wird das Bemühen um Nachhaltigkeit von Seiten der Immobilien- und Bauwirtschaft vorangetrieben. Dazu wurde im Juni 2007 die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen e.V. gegründet, unter anderem mit dem Ziel einer komplexen Zertifizierung der Nachhaltigkeit von Gebäuden (s. www.dgnb.de). Im Hinblick auf das übergeordnete Rahmenthema dieser Tagung werden zunächst in einem allgemeinen Überblick einige einschlägige Gesichtspunkte aufgezeigt. In einer Fallstudie werden danach am Beispiel des 1997 in der Bayreuther Innenstadt angesiedelten Rotmain- Centers einige Auswirkungen aufgezeigt, wobei entsprechend meinem eigenen Forschungsschwerpunkt Verhalten und Einstellungen der Innenstadtbesucher im Vordergrund stehen. Methodisch sollen damit auch Ansatzpunkte für die Schülerarbeit aufgezeigt werden, wie sie sich bereits früher im Zusammenhang mit Unterrichtsreihen zu Fußgängerbereichen bewährt haben (s. Monheim 1973, 1977). 1) Veröffentlicht in Popp, H., Obermaier, G. (Hrsg.): Raumstrukturen und aktuelle Entwicklungspro- zesse in Deutschland. Bayreuther Kontaktstudium Geographie, Band 5, Bayreuth 2009, S. 163-205.
2 2 Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit Untersucht man innenstadt-integrierte Shopping Center hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit, so ist ein breites Spektrum von Gesichtspunkten zu berücksichtigen (Abb. 1). Diese liegen nicht nur im Bereich der natürlichen Umwelt, sondern auch der Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Politik. Dabei geht es einerseits um das Objekt selber, andererseits um seine externen Auswirkungen. Abb. 1: Gesichtspunkte der Nachhaltigkeit von Innenstadt-Shopping Centern Bei der Bewertung der Wirkungen müssen jeweils die Alternativen bedacht werden, da es in der Regel nicht darum gehen kann, jegliche Entwicklung zu verhindern, sondern diese im Sinne der Nachhaltigkeit zu steuern. Wenn also in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der Zuwachs an Einzelhandelsflächen bei gleichzeitiger Verringerung der Zahl der Betriebe nicht verhindert werden kann, ist zu fragen, an welchen Standorten und in welchen Formen diese am wenigsten dem Postulat der Nachhaltigkeit widersprechen. Dabei sind Pauschalaussagen kaum möglich, da die konkrete Einzelsituation maßgeblich ist, also die Lage, Größe, Gestaltung und Nutzungszusammensetzung des jeweiligen Centers in Relation zum historisch gewachsenen Einzelhandelsstandort und zu dessen Marktgebiet. Deshalb sollen einleitend die wichtigsten Gesichtspunkte aufgezeigt werden. Bei der im Mittelpunkt dieses Beitrags stehenden Darstellung des Bayreuther Rotmain-Centers können diese allerdings nur zum Teil angesprochen werden. 2.1 Natürliche Umwelt Im Hinblick auf die Belastungen der Umwelt sind der Flächenverbrauch, der Verbrauch bzw. die Recyclingfähigkeit der Baustoffe, der laufende Energieverbrauch und die Folgen des Autoverkehrs von besonderer Bedeutung.
3 Bei der Flächenversiegelung sind innenstadt-integrierte Shopping Center insofern im Vergleich zur vorherrschenden Flächenexpansion des Einzelhandels am Stadtrand und im Umland günstiger, als sie meist auf bereits versiegelten Grundstücken errichtet werden (Konversionsflächen), mehrgeschossig sind, kein ebenerdiges Parken aufweisen und schon weitgehend erschlossen sind. Die verwendeten Baumaterialien sowie die Möglichkeiten eines eventuellen Rückbaus sind bei isolierten Großprojekten von besonderer Bedeutung, da bei ihnen das Risiko einer relativ begrenzten Lebensdauer größer ist als bei in den Bestand eingefügten Bauten, allerdings geringer als bei Objekten an der Peripherie. Grundsätzlich spielt der Gesichtspunkt des Rückbaus erst seit kurzem eine gewisse Rolle – etwa auch bei Bewertungsverfahren zur Umweltverträglichkeit. Beim Energieverbrauch der Gebäude entsteht durch die geschlossene Anlage ein zusätzlicher Aufwand für Beleuchtung, Lüftung und ggf. Beheizung der internen Ladenstraße. Inzwischen werden aus städtebaulichen Gründen vereinzelt Center von offenen Straßen aus erschlossen und unterscheiden sich dann äußerlich nicht von traditionellen Einkaufsstraßen (ein Beispiel ist die Kamp-Promenade in Osnabrück). Neuerdings gibt es bei Gewerbebauten ähnlich wie bei Wohnbauten („Passivhäuser“) Bestrebungen, den Energiebedarf erheblich zu reduzieren. Dabei können aktuell 40%, längerfristig auch bis zu 70% eingespart werden (ein Beispiel ist das im März 2008 eröffnete MIRA im neuen Münchener Stadtteil Nordheide, bei dem der „ökologische Kriterienkatalog“ der Stadt München berücksichtigt wurde). Für die Akzeptanz der zunächst höheren Baukosten kommt es auch auf die Gestaltung der Mietverträge an. Grundsätzlich könnten Shopping Center hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Die oben erwähnte Zertifizierungsinitiative will dazu anregen. Hinsichtlich des durch Shopping Center zusätzlich erzeugten Verkehrs muss man zwischen der großräumigen Belastungszunahme der Straßennetzes und seiner Knoten und den kleinräumigen Emissionen im Umfeld unterscheiden. Shopping Center zeichnen sich generell durch überdurchschnittliche Anteile mit dem Auto Anreisender aus, wobei allerdings Center an integrierten Standorten gegenüber der Peripherie deutlich besser abschneiden. Dies liegt an größeren Einzugsbereichen, die zu zusätzlichem Aufkommen im Autoverkehr führen, an höheren Anteilen autoorientierter Bevölkerungsgruppen (Jüngere, Konsumorientierte) sowie an der besseren Autoerreichbarkeit (integriertes Parkhaus) und meist schlechteren ÖV-Erreichbarkeit (in Einzelfällen kann dies allerdings umgekehrt sein, so in Passau mit kleiner Tiefgarage und angeschlossener ZOH). Soweit die Abwanderung der Einkäufer an den Stadtrand oder in entfernte Zentren gebremst wird, ermöglichen Shopping Center eine Verringerung des Verkehrsaufwandes. Die traditionelle Autoorientierung der Shopping Center führt dazu, dass diese ein möglichst großes Parkangebot anstreben. Dies kann einerseits zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber der übrigen Innenstadt führen; andererseits können die zusätzlichen Stellplätze aber auch die Autoerreichbarkeit der Innenstadt insgesamt verbessern – also ein Serviceangebot darstellen (dies zeigt sich z.B. in Bayreuth; zum Anteil der Center am gesamten Parkangebot siehe für bayerische Mittelstädte Hutzelmann, Monheim 2005). Wo es die speziellen Umstände erfordern, sind Centerentwickler auch bereit, eine wesentlich geringere Stellplatzzahl in Kauf zu nehmen (z.B. in Passau). Die Parkvorgänge der Kunden und der Lieferverkehr führen zu Umweltbelastungen im unmittelbaren Center-Umfeld, u.U. verstärkt durch gebäudetechnisch bedingte Emissionen
4 (z.B. von Ventilatoren). Sie können zu gravierenden Kontroversen führen – bis hin zu gerichtlichen Auseinandersetzungen (s. Paul 2008). Als Instrument zur Sicherstellung der Verträglichkeit wurde in der in Umwelt- und Verkehrsbelangen oft progressiveren Schweiz die Möglichkeit einer in der Baugenehmigung verankerten Verkehrsmengenbeschränkung auf der Grundlage eines Fahrtenmodells geschaffen (Fellmann 2008). In dieser wird das Maximum zulässiger Parkvorgänge festgelegt, einschließlich Strafzahlungen bei deren Überschreitung. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass damit tatsächlich ein deutlich geringeres Auto-Verkehrsaufkommen erreicht werden kann (z.B. im Züricher Center Siehl City), was außerdem deutliche Kosteneinsparungen für das Center ermöglicht. Die durch den Verkehrslärm entstehenden Konflikte dürften sich künftig bei einer Ausweitung der Ladenöffnungszeiten über 20 Uhr hinaus noch verstärken – ein ganz generell bei den Diskussionen über längere Öffnungszeiten bisher kaum beachtetes Problem für das Innenstadtwohnen. 2.2 Wirtschaft Ökonomische Nachhaltigkeit setzt die Schonung wirtschaftlicher Ressourcen und den Aufbau langfristig Ertrag bringender Strukturen voraus. Auf kurzfristigen Gewinn zielende „Ex- und Hopp-Projekte“, wie sie vor allem an der Peripherie auf billigen Standorten zu finden sind, widersprechen diesem Ziel, wie sich insbesondere an inzwischen in die Krise geratenen Centern in den neuen Bundesländern zeigt. Generell altern Shopping Center rascher als gewachsene Innenstädte und müssen schneller und aufwendiger restrukturiert, vereinzelt sogar wieder abgerissen werden. Ein Autobahn-orientiertes Beispiel ist der ursprünglich als „Leuchtturm“ der ostdeutschen Centerentwicklung angesehene Saale-Park bei Leipzig, nach dessen Abriss ECE das stärker die Freizeit betonende, deutlich vergrößerte „Nova Eventis“ errichtete. Dieses Risiko besteht einerseits bei sehr Zeitgeist-spezifischen und damit rasch alternden Centern, andererseits bei negativer Entwicklung der Rahmenbedingungen (z.B. Abnahme von Kaufkraft / Bevölkerung, neue Wettbewerber). Von entscheidender Bedeutung für die Integrationsfähigkeit innerstädtischer Shopping Center und damit für die nachhaltige Stärkung der Innenstadt sind deren Mikrostandort, Verkaufsfläche und Angebotsmix. Beim Standort ist eine möglichst gute Anbindung an den Haupteinkaufsbereich wichtig. Sie wird teilweise durch das Fehlen geeigneter Grundstücke vereitelt, bilden doch vielfach ungünstiger gelegene Konversionsflächen (Gewerbe, Post, Bahn) den Auslöser der Projekte und drängen dann die Investoren auf eine rasche Umsetzung ihres Projektes. Damit riskieren sie ein Eigenleben des Centers ohne wechselseitige Befruchtung mit der Innenstadt. Ein Beispiel dafür, wie klare Stellungnahmen der Stadt ein solches Center verhindern können, bildet das „Gießereigelände“ am Rand der Ingolstädter Innenstadt. Die immer wieder von Experten wie Medien vorgebrachten Vorwürfe, die Shopping Center seien vom Rest der Stadt weitgehend abgeschottet, sind allerdings empirisch nicht belegt. Im Gegenteil zeigen Besucherbefragungen für zentral gelegene Center sehr enge Verflechtungen mit dem Umfeld, die den Werten von Warenhäusern entsprechen oder diese sogar übertreffen (näher s.u. Kap. 4.6). Hinsichtlich der Verkaufsfläche spielen sowohl die absolute Größe als auch die Relation zum übrigen Handel eine Rolle. Die Beschränkung der absoluten Größe soll insbesondere sicherstellen, dass im Center nicht das komplette Innenstadtangebot dupliziert wird (was allerdings mehr von den Branchen und Betriebstypen abhängt). Die Beschränkung der relativen Größe soll den Anpassungsdruck und die Umwertungen von Standortqualitäten
5 verringern. Bei den in der Fachliteratur genannten Grenzwerten (z.B. Juncker et al. 2008: ca. 15.000 qm Verkaufsfläche und 20 % Flächenzuwachs) muss allerdings die jeweilige Stadtgröße berücksichtigt werden. Beim Flächenvergleich muss berücksichtigt werden, dass die Center durch ihre hohe Professionalität gegenüber dem etablierten Einzelhandel deutlich höhere Flächenumsätze und damit eine überproportionale Durchschlagskraft entfalten. In unserem Gesellschaftssystem besteht jedoch kein Anspruch einzelner Unternehmen auf Konkurrenzschutz, sondern darf die Planung sich nur an der geordneten Stadtentwicklung orientieren. Die Konkretisierung dieses Leitbildes kann nur gesellschaftspolitisch unter möglichst breiter Beteiligung erfolgen (s.u.). Bei den Verkaufsflächen zeigt sich eine große Spannbreite, die vor allem durch die Verhältnisse im Einzelfall bedingt ist. Zwar scheinen aktuell 15-25.000 qm eine gängige Größe. Daneben gibt es aber einerseits den Typ der Stadtgalerie wie z.B. in München das Luxus-Center „Fünf Höfe“ mit 11.700 qm Vkf. in einer Spitzenlage als Umnutzung ehemaliger Bankgebäude (Monheim, Popp 2003)(ähnlich z.B. in Düsseldorf und Hamburg), andererseits Megacenter wie in Essen den „Limbecker Platz“ mit 70.000 qm und 200 Geschäften an Stelle eines nicht mehr zeitgemäßen Warenhauses, eines Bekleidungskaufhauses und einer dazwischen liegenden Fußgängerstraße, mit dem die Stadt auf das „CentrO“ in Oberhausen (s.o.) reagierte (P 7, 8). Die Integrierbarkeit hängt letztlich nicht von der absoluten Verkaufsfläche ab, sondern vom Gesamt-Kontext. Ökonomisch löst der Anpassungsdruck auf den örtlichen Handel die größten Bedenken aus. Schwächere Betriebe können dadurch zur Aufgabe gezwungen werden. Es kann aber auch zu einem Qualifizierungsschub kommen, der die gesamte Innenstadt zukunftssicherer macht. Braunschweig, Essen und Karlsruhe sind Beispiele dafür, wie durch den Druck neuer Shopping Center ein nicht mehr zeitgemäßer Innenstadt-Handel einen nachhaltigen Erneuerungsschub erhalten kann (s. z.B. ausführlich Stadt Karlsruhe 2007). In Passau führte die bevorstehende Ansiedlung eines Centers zu intensiveren Aktivitäten des Stadtmarketing- Vereins, die durch das Bayerische Modellprojekt „Leben findet Innenstadt“ unterstützt wurden. In Gießen hatten die örtlichen Händler zunächst versucht, die Ansiedlung eines Centers in der Innenstadt zu verhindern; als dies misslang, schlossen sie sich zu Business Improvement Districts (s.u.) zusammen, nachdem die dafür erforderliche gesetzliche Grundlage durch das Land Hessen eigens aus diesem Anlass geschaffen worden war. Dadurch konnten sie sich erfolgreich als Standort behaupten (Dorenkamp 2007). Für die ökonomische Nachhaltigkeit von Innenstädten bildet nämlich die meist geringe Kooperationsbereitschaft ihrer Aktoren einen wesentlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber dem straff durchgeführten Center-Management. Dies zeigt sich u.a. daran, dass die Umsatzentwicklung der Center vielfach günstiger verläuft. Dazu tragen auch die einheitlich längeren Ladenöffnungszeiten bei. Die höheren Erträge werden von den meisten Centerbetreibern nicht zuletzt dazu genutzt, ihren Erfolg abzusichern, unter anderem durch eine kontinuierliche Marktforschung und Marktanpassung. Die Vermieter der gewachsenen Geschäftslagen sind dagegen zu derartigen Aufwendungen für ihren Standort kaum bereit – sie fordern diese höchstens von ihrer Stadt. Insofern wirtschaften die Center nachhaltiger im Sinne der langfristigen Standortsicherung. Hinsichtlich des großräumigen Wettbewerbs wird von den Center-Befürwortern die Ausweitung des Einzugsbereichs der Innenstadt angeführt. Allerdings kann für den ortsansässigen Handel der dadurch erzielte Gewinn oft nicht die durch die Center-Konkurrenz entstehenden Verluste ausgleichen. Negativer für die Nachhaltigkeit ist jedoch, dass die Gewinne des Centers zu Lasten der wohnungsnahen Versorgung gehen. Noch stärker leidet
6 diese allerdings unter der Ausweitung der peripheren Angebote. Für die Nachhaltigkeit positiv ist eine Verringerung von Kaufkraftabflüssen an nicht integrierte Standorte und in höherrangige Zentren. In den Medien wird häufig kritisiert, dass in Shopping Centern Filialisten vorherrschen und dies zu einer Austauschbarkeit und damit zu einem Verlust an Orts-Identität führen würde. Allerdings ist dies generell ein Problem von Hauptgeschäftslagen. Im Unterschied zu dem dortigen Erwartungsdruck der Vermieter, die jeder für sich ihre Einnahmen erhöhen wollen, ohne sich um die Belange der gesamten Geschäftslage zu kümmern, berücksichtigen die Centerbetreiber jedoch differenziert die Mietzahlungsfähigkeit und sind zu Abschlägen bereit, wenn ihnen bestimmte Angebote für ihr Gesamtkonzept wichtig sind. Sie streben zudem einen gewissen Anteil einheimischer inhabergeführter Läden an – nicht zuletzt im Hinblick auf die emotionale Bindung der Bevölkerung. Ein zentrales Thema hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Innenstadt und Shopping Center bildet die Abstimmung der Angebote. Den Centern wird oft vorgeworfen, sie würden die Innenstadt möglichst komplett kopieren und damit darauf zielen, dass Besucher das Center nicht zu verlassen brauchen. Die Forderung nach einer Größenbegrenzung hängt ganz wesentlich mit diesem Risiko zusammen, doch ist neben der Verkaufsfläche der Angebotsmix maßgeblich. Grundsätzlich könnte diese Kritik auch gegenüber Warenhäusern geäußert werden, die aber inzwischen meist als wichtige Frequenzbringer für Innenstädte angesehen werden und deren aktuelle Krise dem Gesamtstandort sehr schadet. Die zunehmende Tendenz zum „Shopping“ als Einkaufserlebnis wirkt dem Risiko der Beschränkung entgegen. Empirische Befunde ergeben, dass bei integrierten Shopping Centern die meisten Besucher Center- und Innenstadtbesuch miteinander verbinden, wobei es je nach Attraktivitätsgefälle zu einer Asymmetrie kommt (s.u. Abb. 14). Die verschiedentlich erhobene Forderung, Shopping Center mit weiteren Nutzungen (auch Wohnen) anzureichern (z.B. Juncker et al. 2008), ist oft nicht sinnvoll bzw. wirkt eher als Alibi, zumal sie bei vergleichbaren Kauf- und Warenhäusern nicht erhoben wird. Die für eine nachhaltige Stadtstruktur erwünschte Nutzungsmischung ist kaum innerhalb eines Gebäudes, sondern vor allem in einem mittleren Maßstab umzusetzen. Die Auswirkung einer Center-Ansiedlung auf die Immobilienpreise bzw. Ladenmieten bildet einen weiteren Kritikpunkt. Hier kommt es teilweise zu Einbußen (s. Krüger, Walther 2007), teilweise aber auch durch die Attraktivitätssteigerung zu einer erhöhten Nachfrage und damit zu Steigerungen (s. z.B. für Osnabrück Juncker et al. 2008). Zwar sind angemessene Erträge aus der Bewirtschaftung der Innenstadt-Immobilien erforderlich, um deren Wert zu erhalten bzw. diese sich ändernden Anforderungen anzupassen. Meist werden aber in den 1a-Lagen, deren Wert nicht zuletzt durch erhebliche öffentliche Investitionen gesteigert wurde, beträchtliche Monopolrenditen erzielt, die nicht zum Substanzerhalt reinvestiert oder gar zur Stärkung des Gesamtstandortes eingesetzt werden (s. Ackers 2007a,b). Auch werden die Mieter oft nur nach maximaler Miethöhe und nicht nach den Erfordernissen des Standortprofils ausgewählt. Dies kann zu einer Abwertung der Hauptgeschäftslagen führen. Derartige Fehlentwicklungen, die oft auch im baulichen Erscheinungsbild abzulesen sind, werden bei der Ansiedlung eines Shopping Centers besonders offensichtlich. Teilweise wird daraufhin wieder in die Innenstadt-Immoblien investiert, wobei u.U. zunächst ein Eigentümerwechsel erfolgen muss. Ein besonderes Problem kann dadurch entstehen, dass als Frequenzbringer wichtige Ankerbetriebe ihren Standort in das neue Shopping Center verlagern und infolge dessen die
7 Passantenzahlen und damit aber auch die Ertragsmöglichkeiten für die außerhalb liegenden Anbieter abnehmen. Dies verstärkt die ohnehin eintretende Umpolung der Passantenströme in Richtung des neuen Magneten. Je nach dessen Standort können davon auch Nebenlagen profitieren. Ein Beispiel ist Karlsruhe, dessen Kaiserstraße traditionell eine Monopolsituation hatte, während nach Ansiedlung des Centers Ettlinger Tor an einer Querachse in 400 m Entfernung mehrere Verbindungsstraßen ihr gegenüber aufholten. In der Summe aller Zählstellen in Haupt- und Nebenlagen nahmen die Passantenzahlen 2003-2006 (= ein Jahr nach Eröffnung) wochentags um 1,4 % ab, samstags dagegen um 49 % zu (absolut - 9.150 zu + 99.200 Passanten); die Zunahme am Samstag ist zwar primär auf die längeren Öffnungszeiten zurückzuführen, das vorzugsweise samstags aufgesuchte Center verstärkt aber diesen Verlagerungstrend (Stadt Karlsruhe 2007: 44f.). Während der Diskussion über eine eventuelle Centeransiedlung kann es zu einem Investitionsstau kommen, wenn Betriebe erwägen, dorthin umzusiedeln. Wird dann eine Ansiedlung abgelehnt, kann dies zur Auflösung der Blockade führen. Die danach verstärkten Investitionen wurden in Rosenheim als Argument dafür angeführt, dass es richtig war, ein Shopping Center zu verhindern. Sinkende Ladenmieten können auch positive Wirkungen haben. Der in vielen Hauptgeschäftsstraßen herrschende Verdrängungswettbewerb wird abgemildert. Dadurch können sich weniger profitable Anbieter ansiedeln und das Angebot bereichern. Teilweise kommt es zu Zuzügen aus den Nebengeschäftslagen. Diese sind damit eher die Leidtragenden der Angebotsausweitung bei gleichzeitiger Umverteilung der Lagequalitäten durch Shopping Center. Hier kommt es am ehesten zu Leerständen, vereinzelt auch zum Rückzug der Einzelhandelsnutzung. Als Gegenstrategie bietet sich die Entwicklung spezialisierter Standortprofile als Ergänzung der auf den Massenkonsum orientierten Hauptlagen und Shopping Center an. Dies kann eine Innenstadt durchaus interessanter machen, auch wenn keine stärkeren Passantenströme hervorgerufen werden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Regensburger Altstadt: Die Nachbarschaft zu zwei Einkaufszentren hat hier Spielräume für eine qualitative Aufwertung eröffnet (s. Deß 2005, Juncker et al. 2008). Zusammenfassend ist die Nachhaltigkeit der immobilienwirtschaftlichen Auswirkungen ambivalent zu beurteilen. Bei sektoraler Fachsicht (z.B. bei Krüger, Walther 2007) wird aus nachgebenden Mieten / Immobilienwerten in 1a-Lagen auf einen Attraktivitätsverlust der Innenstadt geschlossen; aus umfassender Sicht der Stadtentwicklung wird auf die Korrektur einer vorherigen Monopolsituation und die Überwindung daraus resultierender Entwicklungsblockaden hingewiesen (derartige Blockaden sind generell für Monopolsituationen kennzeichnend). Eine besondere Stärke von Shopping Centern liegt im Marketing durch kundengerechte Gestaltung von Angebot und Service („Wohlfühlfaktor“) sowie dessen Kommunikation. Dabei geht es dem Centermanagement weniger um einzelne Betriebe als um den Gesamtstandort. Dazu gehört, entgegen häufig geäußerten Klagen, für viele Betreiber auch ein Marketing für die übrige Innenstadt, weil sie davon ausgehen, dass bei einem gemeinsamen Auftritt am ehesten Besucher aus größerer Entfernung angezogen werden können. In der Regel beteiligen sich Shopping Center auch am institutionalisierten Stadtmarketing bzw. Citymanagement, falls dies akzeptiert wird, und tragen damit zur Stabilisierung der Innenstadt als Destination bei. Da der Strukturwandel der Wirtschaft vielfach zu einem Abbau von Arbeitsplätzen führt, spielt dieser Gesichtspunkt bei den Kontroversen um neue Shopping Center oft eine große
8 Rolle. Während die Entwickler mit den zusätzlich entstehenden Arbeitsplätzen für ihre Projekte werben, befürchten ihre Gegner, dass diese nicht die Zahl verloren gehender Arbeitsplätze aufwiegen würden. Allerdings wäre unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit zu fragen, wie zukunftssicher die möglicherweise verloren gehenden Arbeitsplätze sind. Soweit sie mittelfristig ohnehin auslaufende Betriebe betreffen, beklagen zwar die Bürger jeweils die Betriebsschließungen, erfolgen diese aber ohnehin, nicht zuletzt durch die Konkurrenz der Großbetriebe am Stadtrand, durch den Zwang zum Größenwachstum und durch das Vordringen neuer Vertriebsformen wie des e-commerce. Stärker als die Innenstädte sind dabei die Nebenzentren gefährdet, wobei dort angesiedelte Shopping Center aber auch zur Standort-Stabilisierung beitragen können. 2.3 Gesellschaft, Kultur und Politik Zum erweiterten Verständnis von Nachhaltigkeit gehören die miteinander zusammenhängenden Wirkungen auf Gesellschaft, Kultur und Politik – und gerade in diesen Bereichen setzt in der öffentlichen Diskussion und den Darstellungen der Medien häufig die Kritik an. Eine wichtige Voraussetzung für politische Nachhaltigkeit sind transparente Entscheidungswege bei der Ansiedlung von Shopping Centern. Diese waren in der Vergangenheit nicht immer gegeben. Dies betrifft einerseits die grundsätzliche Entscheidung, andererseits die Konzeption. Meist werden die Projekte durch die Städte gefördert. Teilweise führt eine starke Opposition bis zu Bürgerentscheiden. Diese fallen meist knapp aus – teils zustimmend (z.B. Erlangen, Passau, Schweinfurt), teils ablehnend (z.B. Cottbus, Würzburg). Am Beispiel Cottbus beschreibt Lorenz (2006) anschaulich, welche Folgen intransparente Verfahren haben können. Im Interesse optimaler Konzepte sollten die Projektträger möglichst in Wettbewerbsverfahren ausgewählt und die maßgeblichen Gutachten durch vom Investor unabhängige Experten erstellt werden (Juncker et al. 2008). Im Konfliktfall kommt es gelegentlich zu einem Gutachterkrieg, was die Glaubwürdigkeit beeinträchtigt. Ein grundsätzliches Problem ist die Überlegenheit der größeren Entwickler hinsichtlich ihres in vorherigen Projekten angesammelten Expertenwissens gegenüber den erstmalig mit einem derartigen Projekt befassten Planern und Politikern. Hier wäre es wichtig, dass sich die örtlichen Entscheidungsträger im Vorfeld über ihre Zielsetzungen im Klaren werden. Allerdings versuchen die Entwickler häufig, ihre Interessen im Konfliktfall unter Verweis auf „Sachzwänge“ (z.B. hinsichtlich der Rentabilität) auch gegen städtische Bedenken oder gutachterliche Stellungnahmen durchzusetzen. Hier ist politische Standfestigkeit gefordert, relativieren doch spätere Entwicklungen oft die vermeintlichen Zwänge. Dies sieht man z.B. an der Zunahme kleinerer Shopping Center, die ursprünglich als ökonomisch nicht tragfähig dargestellt wurden, oder an der Bereitschaft, sich auch mit geringeren Parkkapazitäten abzufinden. Die angemessene Abwägung zwischen Schutz- und Entwicklungsinteressen wird dadurch erschwert, dass Betroffenheit und Interessenlagen sowohl innerhalb der Händlerschaft und der Bürgerschaft als auch zwischen diesen Gruppen unterschiedlich sind. Insgesamt sehen die Bürger für sich eher den Vorteil größerer Wahlmöglichkeiten und brauchen kein persönliches Risiko zu übernehmen. Generell ist „Wachstum“ für sie und damit für die meisten Politiker positiv besetzt. Andererseits hängen aber viele Bürger am vertrauten Stadtbild und kritisieren den Verlust Identität stiftender Bauten.
9 Bei der häufigen Kritik an der Architektur von Shopping Centern ist zwischen Fragen des Geschmacks und der Proportionen zu unterscheiden. Viele Vorwürfe treffen generell auf Großbauten des Handels zu, also auch auf zahlreiche Kauf- und Warenhäuser. Am nachhaltigsten sind nicht zu modische Konzepte. Teilweise droht der Verlust historischer Bausubstanz, doch können bei entsprechendem politischem Druck oft Lösungen erreicht werden, die die Identität fördern. Ein kontrovers diskutiertes Beispiel ist die Rekonstruktion des Braunschweiger Schlosses als Teil eines Shopping Centers (aber auch mit öffentlichen Nutzungen) durch den Investor ECE. In der Bevölkerung führte dies dank der Redimensionierung der verkehrsorientierten Straßengestaltung zu einer Neu-Aneignung des öffentlichen Raumes vor dem Schloss (s. Ackers 2007a,b). Die oben erwähnte Filialisierung und der Verlust ortsansässiger Händler hat auch eine kulturelle Dimension. Hier besteht allerdings das Problem, dass das bildungsbürgerliche Kulturverständnis nicht das in der Bevölkerung vorherrschende Bedürfnis nach Sicherheit und Zugehörigkeit berücksichtigt, dem gerade durch den Erwerb bekannter „Labels“ entsprochen wird. Die kritisierte Vereinheitlichung entspricht den Wünschen des Durchschnittskonsumenten. Der Kultursoziologe A. Nassehi spricht vom „Fernsehformat“ der Einkaufszentren, die bei deren Besuchern den Reflex auslösen: „Das kenn ich, das kauf ich“ (Abb. 2). Für diesen „Wiedererkennungswert“ des Einzelhandelsangebotes ist es wichtig, dass die „maßgeblichen“ Marken in möglichst großem Umfang vertreten sind (s. als Beispiel Stadt Karlsruhe 2007: 32). Nach Nassehi zielt das Marketingkonzept auf die von den Soziologen als „Mediengruppe“ bezeichneten ab: „Jüngere und weniger Gebildete“. Diesem Trend können sich auch die Konsumlagen der Innenstädte nicht entziehen. Dabei kann es im Sinne der Nachhaltigkeit sein, wenn der durch austauschbare Filialisten ausgeübte Nachfragedruck teilweise von integrierten Shopping Centern aufgefangen wird – auch wenn die Immobilien- Monopolisten der 1a-Lage dadurch geringere Einnahmen erzielen.
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11 Die Kritik an der Inszenierung von Stadt verkennt, dass Städte immer von Inszenierungen lebten. Im Sinne der Nachhaltigkeit kommt es allerdings auf das Wie derartiger Inszenierungen an. Hier sollte nicht auf den Sündenfall der „autogerechten Stadt“ nun die „verkaufs- bzw. eventgerechte Stadt“ folgen. Die Erfahrungen mit früher gerne übermäßig „möblierten“ Fußgängerzonen lehren, dass weniger oft mehr und vor allem nachhaltiger ist, da die Kosten für die Installation und den späteren Rückbau entfallen. Die kulturelle und soziale Bedeutung der Innenstadt ist besser nachzuvollziehen, wenn man berücksichtigt, dass in der heutigen Gesellschaft der Konsum für viele Menschen die Funktion einer Ersatzreligion eingenommen hat: er stiftet Orientierung und Zugehörigkeitsgefühl. Die Riten des Kirchgangs werden nun auf die Innenstadt übertragen, die Markenlabels ersetzen die vertrauten Kirchenlieder. Und so wie Sakralbauten die Ankerpunkte für individuelle Emotionen und kollektive Identität bildeten, tun dies jetzt die „Konsumtempel“. Man mag dies bedauern und kritisieren. Man darf jedoch das Bedürfnis nach emotionaler Geborgenheit nicht ignorieren. Hinsichtlich der sozialen Nachhaltigkeit ist danach zu fragen, wie verschiedene Bevölkerungsgruppen das Center in ihren Alltag integrieren und wie sie von eventuellen Auswirkungen des Centers betroffen sind. Hier gibt es Unterschiede nach Alter und Geschlecht sowie nach Wohnstandort und Mobilitätsbedingungen. Ein allgemeines Urteil ist nicht möglich, doch ergeben Befragungen, dass manche bildungsbürgerlichen Bedenken an der Alltagswirklichkeit der meisten Menschen vorbei gehen und diese ungezwungen je nach Bedarf Center und Innenstadt nutzen (s.u. Abb. 18). Im Zusammenhang damit ist auch die Diskussion um die Privatisierung öffentlicher Räume zu sehen (z.B. Popp 2006). Die Kontrolle der Mall durch den Centerbetreiber mit der Möglichkeit der Verhaltensregulierung (z.B. keine Fotos, keine Interviews) und des Hausverweises gegenüber unerwünschten Gruppen widerspricht unserem gesellschaftlichen Leitbild von Urbanität. Gerade Innenstädte werden traditionell als Orte des offenen gesellschaftlichen Dialogs und als „Übungsfelder“ für Toleranz auch gegenüber Randgruppen angesehen und sollen so die soziale Integration stärken. Allerdings kann auch dies wieder ausgrenzend wirken, wenn das Gefühl von Unsicherheit dazu führt, dass die Innenstadt von diesbezüglich „sensibleren“ Gruppen (z.B. Frauen, Ältere, Wohhabendere) gemieden wird. Die große Mehrheit der Bevölkerung bewertet die Kontrolle des öffentlichen Raumes eher positiv, was diese aber nicht unbedingt rechtfertigt. Das in den USA teilweise im Rahmen von Business Improvement Districts (s.u.) erfolgte Management öffentlicher Straßen und Plätze (z.B. Times Square in New York) ist zwar ökonomisch erfolgreich, aber gesellschaftlich nicht ohne Probleme (der vorherige Niedergang aber erst recht nicht). Ein wenig beachteter Konkurrenzvorteil der Centerbetreiber liegt in ihrer systematischen Bearbeitung des politischen und gesellschaftlichen Umfeldes (Social Marketing, Lobbying). Sie unterscheidet sich deutlich von dem häufig spannungsgeladenen Verhältnis zwischen der Verwaltung / Politik und den ansässigen Einzelhändlern, die sich eher in Klagen ergehen (z.B. über fehlende Parkmöglichkeiten, zu große Fußgängerzonen, zu restriktive Genehmigungen). Dazu gehört auch, dass die Center-Betreiber über das reine Verkaufen hinaus kulturelle Aufgaben übernehmen (z.B. Ausstellungen bzw. Veranstaltungen zu lokalen Themen organisieren). Sie investieren regelmäßig in Gemeinwohl-Aktivitäten, für die die Innenstadt- Händler und Immobilienbesitzer nur selten etwas aufzubringen bereit sind. Eine bedeutende Ausnahme ist die Initiative „Ab in die Mitte“ (s. Die Initiatoren des Projektes „Ab in die Mitte!“ 2004, 2005, Hatzfeld et al. 2007). Ganz allgemein konzentrieren sich die Center- Betreiber darauf, positive Botschaften zu kommunizieren, während in der öffentlichen
12 Darstellung von Innenstädten, nicht zuletzt unter Beteiligung örtlicher Händler und ihrer lokalpolitischen Unterstützer, Alarm- und Krisenmeldungen einen großen Raum einnehmen (z.B. „Verödung“, „nicht mehr erreichbar“). Voraussetzung für den Erfolg von Innenstädten ist letztlich deren Entwicklung zu einer klar definierten Destination, bei der alle relevanten Gruppen kooperieren, selbst wenn sie im Einzelfall Konkurrenten sind – Wirtschaftswissenschaftler nennen dies „Kooperenz“ (Woracek et al. 2004, Monheim 2007c). Dies beginnt bei den bisher als Gruppe zu wenig beachteten Immobilieneigentümern, geht weiter bei deren Mietern, umfasst aber auch alle für die äußere und innere Erreichbarkeit Verantwortlichen sowie die Dienstleister im weitesten Sinn (Sauberkeit, Begrünung, Toiletten, Veranstaltungsprogramme, Werbung usw.). Dieser Marketingansatz ist bisher am ehesten in Tourismusdestinationen anzutreffen. Er bildet die entscheidende Basis für den Erfolg von Shopping Centern. Insofern kommt es für eine nachhaltige Entwicklung der Innenstadt darauf an, hiervon zu lernen und dabei auch ein in ihr angesiedeltes Center zu integrieren. Einige Elemente des von den Shopping Centern mit ihrem umfassenderen Marketingkonzept verfolgten Ansatzes lassen sich auf die Innenstädte in der Form von Business Improvement Districts (BID) übertragen (BCSD 2007, Pechlaner, Zehrer 2008, jeweils aktuelle Informationen auf den Internetseiten der DIHK – s. Literatur). Bei diesem Zusammenschluss der an einem Standort aktiven Unternehmen bzw. Immobilieneigentümer müssen sich nach einem entsprechenden Mehrheitsbeschluss alle an den Kosten gemeinsam erarbeiteter Aufwertungsmaßnahmen beteiligen. Die Laufzeit ist dabei auf 3-5 Jahre begrenzt. Grundlage sind Landesgesetze; sie wurden bisher von sechs Bundesländern erlassen, weitere sind in Vorbereitung. Dabei hat NRW die Bezeichnung ISG (= Immobilien- und Standortgemeinschaften) und Schleswig-Holstein die Bezeichnung PACT (= Partnerschaft zur Aktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen) gewählt. Bayern und Baden-Württemberg lehnen entsprechende Gesetze bisher ab und beschränken sich auf begrenzte Modellvorhaben (für Bayern s. www.lebenfindetinnenstadt.de). Egger (2008) vertritt die Meinung „die Kernbotschaft von BIDs heißt: Innenstädte wie hoch frequentierte Einkaufszentren managen“. Auch wenn man seine Vorschläge nicht in allen Punkten teilt, muss man einsehen, dass Innenstädte längerfristig nur bei einer Professionalisierung ihres Standortmarketings erfolgreich sein können und die Voraussetzungen dafür zunächst im gesellschaftlichen und politischen Bereich liegen (s. Monheim 2007c). Bisher fehlt allerdings ganz überwiegend die Bereitschaft, vom Erfolg der Shopping Center zu lernen. Abschließend ist zu sagen, dass kein allgemein gültiges Urteil über die Nachhaltigkeit innenstadt-integrierter Einkaufszentren möglich ist, dass es vielmehr Chancen wie Risiken gibt und der Einzelfall entscheidend ist. Dabei besteht ein Grundproblem in den oft widersprüchlichen Interessenlagen der Beteiligten bzw. Betroffenen: Der Händler, Immobilieneigentümer, Konsumenten, Politiker und Verwaltung bzw. Planung, wobei oft auch innerhalb dieser Gruppen gegensätzliche Interessenlagen bestehen (s. z.B. Lingen 2008). Letztlich erscheint es wichtig, dass die Innenstädte in der Lage sind, auch solche neuen Vertriebsformen zu integrieren, zumal angesichts der Krise der Warenhäuser, die lange eine wichtige Magnetwirkung ausgeübt hatten. Ziel einer nachhaltigen Entwicklung muss es sein, dass die Center eine entsprechende Funktion für ihr Umfeld entwickeln. Dies scheint teilweise noch nicht der Fall zu sein – gelegentlich ist sogar das Gegenteil eingetreten.
13 3 Die Entwicklung von Shopping Centern Die Entwicklung der Shopping Center in Deutschland soll hier nur kurz dargestellt werden. Ein Problem bei Statistiken über Shopping Center stellen allerdings Unterschiede bei deren Definition dar, insbesondere hinsichtlich ihrer Mindest-Verkaufsfläche und der Zahl der Geschäfte. Am 1. 1. 2009 gab es nach EHI 399 Shopping Center mit mindestens 10.000 qm Verkaufsfläche und 25 Geschäften (Gesamtfläche. 12,6 Mio. qm, Mietfläche 10,1 Mio. qm, Pittroff 2008; für einen detaillierten Überblick zum aktuellen Bestand an Shopping Centern siehe die jährlich vom EHI Retail Institute herausgegebenen Studien, zuletzt EHI 2008). Setzt man die Grenze der Shopping Center bei 8.000 qm an, so gab es am 1. 1. 2007 nach der aktuellsten Auswertung des Instituts für Gewerbezentren 563 Center mit insgesamt 13,7 Mio. qm Verkaufsfläche (Falk 2007). Abb. 3: Anzahl und durchschnittliche Verkaufsfläche der Shopping Center 1965-2006 Der Gesamtbestand wuchs in den ersten 25 Jahren eher, was insbesondere auf die in den 1970er Jahren eingeführten planerischen Beschränkungen zurückzuführen ist (Abb. 3). Nach der Wende gab es eine explosionsartige Zunahme in den neuen Bundesländern, die vielfältige Ursachen hatte und zu einem Überangebot führte. Seit 1998 hat sich das Wachstum wieder verlangsamt, bleibt aber mit gut 15 Centern pro Jahr auf hohem Niveau; 2009/10 soll es mit weiteren 42 Centern erneut zunehmen. Die durchschnittliche Größe aller Center sank zwischen 1964 und 1985 von 34.000 auf 29.800 qm Verkaufsfläche. Nach der Wende stieg sie wieder auf 34.000; seit 2002 liegt sie annähernd konstant bei etwa 31.500 qm. Hinter diesen Durchschnittswerten verbirgt sich allerdings eine starke Polarisierung. Auf die Größenklasse 10-20.000 qm Mietfläche entfallen 2007 47 % aller Center, bis 30.000 qm haben 25 %, bis 40.000 qm 14 % und darüber liegen 13 %. Dabei eröffnen gerade die größten Center an zentralen Standorten, z.B. Alexa in Berlin, Centrum Galerie in Dresden, Erweiterung Altmarkt-Galerie in Dresden, Forum Duisburg, Zeilforum in Frankfurt, Citti-Park in Kiel, Limbecker Platz in Essen. Für die Beurteilung der Centerentwicklung ist deren Standort wichtig (Abb. 4). Dabei zeigen sich vor allem Anfang der 1990er Jahre dramatische Unterschiede zwischen alten und neuen Bundesländern, da in Letzteren Standorte außerhalb der Innenstadt dominierten. Seit 2001 liegen die meisten neuen Center in Innenstädten. Dabei ist der Zuwachs in den neuen
14 Bundesländern dramatisch zurückgegangen; 2006/07 wurde dort sogar, sieht man von Ostberlin ab, nur noch ein Center eröffnet (Kröpeliner Tor-Center in Rostock). Abb. 4: Eröffnung von Einkaufszentren in Deutschland 1964-2007 nach Standort innerhalb Deutschlands und innerhalb der Region Ein weiterer Standort-Gesichtspunkt ist die Stadtgröße. Zunächst erfolgten die Ansiedlungen überwiegend in Großstädten (bis 1990 zu 63 %). Nach der Wende wurden die meisten in Mittel- und Kleinstädten, vor allem in den neuen Bundesländern eröffnet (bis 1995 42 % bzw. 19 %). 2006/07 wurden gut zwei Drittel in Großstädten eröffnet – mit Berlin als Spitzenreiter (6 von 29 Eröffnungen, Gesamtbestand Berlins 36 Center!); die für 2009/10 geplanten Center liegen zu 68 % in Großstädten, die übrigen in Mittelstädten (Pittroff 2008). Sehr aufschlussreich ist eine detaillierte Untersuchung der Entwicklung im Rhein- Ruhrgebiet 1964-1994 (Abb. 5, Heineberg, Mayr 1996). Sie zeigt, dass von den 36 in dieser Zeit errichteten Einkaufszentren nur drei in der zwischenstädtischen Peripherie lagen (jeweils mit über 50.000 qm Verkaufsfläche). Seit 1979 dominieren in Innenstädte oder Stadtteile integrierte Center unter 30.000 qm, teils unter 10.000 qm. Außerdem wurden innerhalb dieses Zeitraums viele Center erweitert oder erneuert. Abb. 5: Eröffnung von Einkaufszentren in der Region Rhein-Ruhr 1964-1994 nach Größe, Standort und seitheriger Entwicklung
15 Das erste und nach mehreren Erweiterungen immer noch größte Center ist der zwischen Bochum und Dortmund autobahnorientiert gelegene Ruhrpark (P 13) - zusammen mit dem Main-Taunus-Center bei Frankfurt das älteste deutsche Center. Die 1996 eröffnete „Neue Mitte Oberhausen bzw. das „CentrO“, ist der erste und größte Vertreter des neu aus den USA übertragenen Typs des Urban Entertainment Centers (P 14). 200 Läden auf 70.000 qm Verkaufsfläche werden ergänzt durch einen Food-Court („CocaCola-Oase“) und einen Gastronomie-Boulevard, ein Multiplex-Kino, eine Arena und einen Freizeit-Park; trotz der Bezeichnung „Neue Mitte“ handelt es sich eher um einen zwischenstädtischen Standort auf
16 einer Industriebrache, der vor allem autoorientiert ist (10.500 kostenlose Stellplätze), allerdings auch an einer Stadtbahnstrecke liegt. Die Besucher kommen nur zu 16 % aus Oberhausen, etwa die Hälfte kommt aus dem Fern-Einzugsbereich. Das Center soll erweitert werden, ist aber eher das Gegenteil von Nachhaltigkeit (s. Quack 2001). 4 Das Rotmain-Center in Bayreuth Die Fallstudie über das Rotmain-Center in Bayreuth ist durch frühere Veröffentlichungen und die diesem Band beigefügte Power-Point-Präsentation ausführlich dokumentiert (Dittmeier et al. 1999, Monheim, Lux 1999, Monheim 2007a). Deshalb beschränken sich die folgenden Ausführungen auf die bei der Tagung vorgetragenen Gesichtspunkte. Wie bereits eingangs erwähnt, können diese großenteils auch im Rahmen von Feldarbeit im Unterricht für die eigene Stadt erhoben werden (einschließlich des Studiums von Zeitungsarchiven). 4.1 Nutzungsstruktur und Verkehrserschließung Die Ansiedlung eines Einkaufszentrums wurde von der Stadt Bayreuth im Zusammenhang mit der Absiedlung des kommunalen Schlachthofs betrieben, um die zentralörtliche Bedeutung zu stärken. Dabei entschied man sich von Beginn an für den Marktführer ECE als Entwickler und Betreiber. Das Vorhaben fand im Stadtrat 1992 breite Zustimmung, mit Ausnahme des zunächst vorgesehenen Abrisses der Rotmainhalle, die 1935 für Viehmärkte errichtet worden war und heute am Mittwoch und Samstag vormittags den Wochenmarkt beherbergt (P 15). Die Eröffnung erfolgte 1997. Mit dem Center wird die Hauptgeschäftslage verlängert (Abb. 6). Dabei kann der dazwischen liegende Stadtkernring auf einer Fußgängerbrücke überquert werden, die von der auf einem Geländesporn gelegenen Innenstadt in die obere Mall führt. Am hinteren Ende der Mall führt eine weitere Brücke in ein Parkhaus. Die Autoerreichbarkeit ist durch ein Parkhaus, eine Tiefgarage und ein benachbartes städtisches Parkhaus optimal. Außerdem halten mehrere Buslinien vor dem Center; der zentrale Bushalt ist nur etwa 250 m entfernt. Abb. 6: Nutzung und Verkehrserschließung der Bayreuther Innenstadt
17 Die Hauptgeschäftslage ist gut 600 m lang und wird durch die zweigeschossige Mall nochmals um etwa 400 m verlängert, womit sie eigentlich für die Größe von Bayreuth zu lang ist. Folge ist, dass von dem theoretisch nach dem „Knochenprinzip“ sinnvollen Gegenpol in der Richard-Wagner-Straße 2006 und 2008 zwei Textilkaufhäuser in das auf Bekleidung spezialisierte Rotmain-Center umgesiedelt sind (ein drittes wurde aus betriebsinternen Gründen bereits 1992 geschlossen). Als wichtiger Ankerbetrieb bleibt damit außerhalb des Centers nur das Warenhaus Karstadt im Zentrum des Marktplatzes.
18 Die äußere Erreichbarkeit der Innenstadt ist durch 6200 Autostellplätze im Radius von 500 m und die radial aus allen Richtungen zusammenlaufenden Buslinien sehr gut, die innere Erreichbarkeit und Aufenthaltsqualität durch die ausgedehnte Fußgängerzone ebenfalls. Das Rotmain-Center bietet ca. 80 Einzelhandels- und Gastronomiebetriebe mit 19.500 qm Verkaufsfläche (Abb. 7). Es hat sich seit seiner Eröffnung und insbesondere bei einem Relaunch nach 10 Jahren stark auf Bekleidung spezialisiert (zum Vergleich mit dem Angebot 2000 s. Popp 2002). Dafür wurden die Mietverträge von PLUS und einem großen Verbrauchermarkt trotz ursprünglich anderer Zusagen der Stadt gegenüber nicht verlängert, was in der Bevölkerung zu starker Kritik führte, zumal diese die Innenstadt immer noch ganz wesentlich als Nahversorgungszentrum nutzt. Einerseits gibt es fünf Ankerbetriebe mit über 1000 qm Verkaufsfläche (darunter WÖHRL in seinem eigenen Haus), anderseits aber auch zahlreiche mittelgroße und kleine Läden. Abb. 7: Branchen und Betriebsgrößen im Rotmain-Center
19 Für die Hauptgeschäftslage können durch frühere Erhebungen die Erdgeschossnutzungen 1964 und 1996 mit der heutigen Situation verglichen werden (Abb. 8). Dabei nahmen zunächst dem allgemeinen Trend entsprechend Geschäfte für Kleidung, Schuhe, Gesundheit und Körperpflege zu, wobei der Bekleidungssektor für eine Hauptgeschäftslage immer noch relativ schwach blieb. Dies ging zu Lasten von Lebensmitteln und sonstigem Handel. Seit der Eröffnung des Rotmain-Centers ging der Bekleidungssektor noch unter das schwache Niveau von 1964 zurück; zugenommen haben dafür die Lebensmittel (allerdings z.T. nur „Backshops“ u.ä.) und insbesondere die Gaststätten. Stadtplanerisch könnte man die Spezialisierung des Centers und die Vielfalt in der Hauptgeschäftslage positiv bewerten, zumal dadurch der Anreiz zu Kopplungen erhöht wird; allerdings entsprechen die schwache Stellung des Bekleidungssektors in der Hauptlage und die teilweise bescheidene Angebotsqualität nicht den Erwartungen vieler Bürger (s.u.). Abb. 8: Erdgeschossnutzung in der Bayreuther Hauptgeschäftslage 1964, 1996 und 2007 Bei der Beurteilung der Veränderungsdynamik sollte man differenziert vorgehen. Einerseits sind Geschäftsschließungen teilweise eine Folge betriebsinterner Entwicklungen (z.B. kein Nachfolger, P 19), andererseits können zunächst negativ erscheinende Standortverlagerungen wie die von K&L Ruppert aus der Richard-Wagner-Straße ins Rotmain-Center neue Potentiale eröffnen, wenn nach gründlicher Erneuerung ein kleines Lebensstil-Warenhaus wie Strauss INNOVATION nachfolgt, das deutlich besser zum Shopping passt (P 20). Der lebensstilorientierte Handel konzentriert sich auf die Nebenlagen (P 21). Teilweise haben die dortigen Geschäfte nur eine kurze Lebensdauer, was dann zu häufigeren Leerständen führt. Diese scheinen allerdings gelegentlich auch mit unangemessenen Mietkonditionen zusammenzuhängen. 4.2 Passanten- und Besucheraufkommen Eine wichtige Standortbedingung für den Einzelhandel ist das Passantenaufkommen (hierzu können auch leicht Erhebungen mit Schülern gemacht werden; zur Methode s. Monheim 1999). Im Rahmen einer von Heinritz betreuten Vergleichsuntersuchung von bayerischen
20 Mittelstädten mit Einkaufszentren wurde der Tagesgang für das Rotmain-Center, die Mitte des Marktes und den Ostteil der Haupteinkaufsachse erfasst (Abb. 9, nach Popp 2002). Dieser weist zwischen den drei Standorten deutliche Unterschiede auf, die bereits die besonderen Stärken des Centers erkennen lassen. Am Freitag liegen die Werte bis 16 Uhr relativ nah beieinander, wobei der Markt um 10, 11.30 und 16.30 Uhr deutlich am stärksten frequentiert wird. Danach beginnt ein zunehmendes Übergewicht des Centers, dessen Passantenfrequenz bis 19.30 Uhr nahezu gleich bleibt, während die beiden anderen Standorte immer stärker veröden. Am Samstag ist die Innenstadt etwa doppelt so belebt. Nun hat das Center außer mittags die meisten Besucher, wobei der Abstand um 9.30 (benachbarter Wochenmarkt!) und ab 13.30 Uhr am größten ist. Zur richtigen Einschätzung der Center-Werte muss man bedenken, dass beide Ebenen nahezu gleich frequentiert sind, das Aufkommen zusammengenommen also doppelt so hoch ist. Abb. 9: Tagesgang des Passantenaufkommens am Freitag und Samstag Die Unterschiede zwischen den Standorten zeigen sich auch deutlich, wenn man das Besucheraufkommen von Unternehmen vergleicht, die in der Fußgängerzone und im Center einen Laden betreiben, gemessen an der Zahl der Kassiervorgänge (Bons)(Abb. 10). Die Innenstadtgeschäfte haben jeweils bis 12 Uhr höhere und nach 17 Uhr deutlich geringere Besucheranteile. Besonders ausgeprägt ist dies im Reformhaus, vor allem samstags.
21 Abb. 10: Tagesgang des Besucheraufkommens in der Bayreuther Innenstadt und im Rotmain- Center gelegener Betriebe (in %) Die Tagesgangkurven des Passantenaufkommens vor und nach der Center-Eröffnung zeigen am Markt (= Maximilianstraße) und noch stärker in der Richard-Wagner-Straße zwischen 1981 und 2001 deutliche Abnahmen bei teilweise verändertem Tagesgang (P 24). So liegt am Markt die Mittags- und Nachmittagsspitze später, in der Richard-Wagner-Straße sind die Spitzen ganz entfallen. Die Zählung auf der Brücke zum Rotmain-Center ergibt den Tag über fast kontinuierlich ansteigende Werte. Führender Magnetbetrieb in der Innenstadt ist Karstadt (früher Hertie). 2008 suchen ihn im Wochenmittel 41 % der befragten Passanten auf, samstags 44 %. Ohne im Umfeld des Rotmain-Centers Befragte sind es 43 %; auch in der Vergangenheit lagen die Anteile meist in einer ähnlichen Größenordnung (1980: 43 %, 2002: 32 %, 2004: 41 %, 2005: 44 %).
22 Abb. 11: Besucher von Hertie bzw. Karstadt in Bayreuth 1976 – 2008 Für Karstadt gibt es durch Besucherzählungen, die im Rahmen einer in ganz Deutschland alle vier Jahre durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels organisierten Erhebung stattfinden, eine Zeitreihe von 1976 bis 2008 (Abb. 11). Bei der Interpretation der Veränderungen muss jedoch berücksichtigt werden, dass sich verschiedene Einflüsse überlagern: Mitte der 1980er Jahre durchliefen die Warenhäuser eine erste Krise. 1984 machte außerdem der Umbau des Marktes zur Fußgängerzone diesen zur Großbaustelle und erforderte die Verlagerung der ZOH. Die Ladenöffnungszeiten änderten sich mehrfach, was zu Verlagerungen zwischen den Wochentagen führte. Nach 1996 nahmen die Besucherzahlen deutlich ab, was teilweise auf den Einfluss des Centers zurückzuführen sein dürfte, zumal sich Versuche von Karstadt, abends ebenso lange offen zu halten wie das Rotmain-Center, angesichts der in seiner Nachbarschaft fast ausnahmslos geschlossenen Läden als wenig sinnvoll erwiesen. 2002 brachte die Schließung der Lebensmittelabteilung im Untergeschoss eine erneute Minderung. Die nochmals starken Rückgänge 2008 könnten auch mit der kurz vorher erfolgten Verlagerung des ZOH vom Karstadt-Haupteingang zu einer rückwärtigen Straße zusammenhängen. Bei der Interpretation der Entwicklung in Bayreuth mahnt ein Blick auf das Hertie / Karstadt- Haus im benachbarten Bamberg zur Vorsicht. Auch dort ist es in den letzten beiden Jahrzehnten zu erheblichen Rückgängen gekommen. Gegenüber 1988 betrugen sie am Donnerstag in Bamberg 63 und in Bayreuth 71 %, am Freitag 62 bzw. 60 % und am Samstag trotz der verlängerten Öffnungszeit 60 bzw. 72 % (gegenüber 1996 sind in Bamberg die Rückgänge am Freitag und Samstag um ein Drittel geringer als in Bayreuth). Zwar gibt es in der Bamberger Innenstadt kein Shopping Center (ein am Bahnhof gelegenes Center ist für die Innenstadtbesucher wenig relevant), aber am Stadtrand und in den Nachbargemeinden wurde wesentlich mehr Verkaufsfläche geschaffen als in Bayreuth. Eindeutige Kausalitäten lassen sich demnach aus den Besucherzahlen nicht ableiten. Die Verluste der Warenhäuser können nicht auf einen einzelnen Faktor wie die Ansiedlung eines Shopping Centers zurückgeführt werden. Allerdings hat sich offensichtlich das Argument, durch das Rotmain-Center könne auch die übrige Innenstadt belebt werden, für Karstadt nicht bewahrheitet, obwohl das Haus unmittelbar vor Eröffnung des Centers für ca. 10 Mio. € gründlich renoviert worden war und auch laufend kleinere Strukturanpassungen erfolgen. Ein Problem ist allerdings die von der Konzernzentrale gesteuerte, nicht gerade üppige Werbung –
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