VORABDRUCK 3 2020 - ifo Institut

 
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                                                                   März 2020

VORABDRUCK

  Ökonomische Effekte des
  Berliner Mietendeckels
  Mathias Dolls, Clemens Fuest, Carla Krolage, Florian Neumeier
  und Daniel Stöhlker
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Mathias Dolls, Clemens Fuest, Carla Krolage, Florian Neumeier und Daniel Stöhlker

Ökonomische Effekte des Berliner
Mietendeckels
Die Studie untersucht erste Auswirkungen des Berliner Mietendeckels auf Basis der Daten
des Immobilienportals immowelt.de. Unser Interesse gilt vor allem der Frage, ob bereits
die Ankündigung des Mietendeckels einen Einfluss auf Miet- und Kaufpreise von Wohnun-
gen in Berlin hat. Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich seit der Ankündigung des Mieten­
deckels die Mietpreise von Wohnungen, die vom Mietendeckel betroffen sind, und jenen,
die nicht unter die Regulierung fallen, auseinanderentwickeln. Während die Mieten von
regulierten Wohnungen seit Juli 2019 langsamer steigen als in anderen deutschen Groß­
städten, sind die Mieten für neuere, nicht vom Mietendeckel betroffene Wohnungen schnel-
ler gestiegen. Auch die Kaufpreise werden von der Entwicklung erfasst. In der Analyse zei-
gen sich die Angebotspreise von Wohnungen in Berlin etwas schwächer als in den übrigen
Großstädten Deutschlands.

Am 30. Januar 2020 wurde der Mietendeckel im Ber-       Klemperer 2012). Insbesondere kann es zu Umver-
liner Abgeordnetenhaus beschlossen. Seine Einfüh-       teilungseffekten zwischen Bestandsmietern, die von
rung jedoch wurde und wird noch immer kontro-           niedrigen regulierten Mietpreisen profitieren, und
vers diskutiert. Während Befürworter durch den Mie-     neuen Mietern im kostspieliger werdenden unregu-
tendeckel eine Entspannung am Berliner Mietmarkt        lierten Wohnungssegment kommen. Ebenfalls kön-
erhoffen, warnen Kritiker vor negativen Langfrist­      nen Knappheiten am Wohnungsmarkt verschärft
folgen, insbesondere vor ausbleibenden Investitio-      werden, da Mieter infolge zurückgehender Quadrat-
nen in den Berliner Immobilienmarkt, und damit ver-     meterpreise eine größere Wohnfläche nachfragen.
bunden, negativen Auswirkungen auf Quantität und             Langfristig sind vergleichbare Effekte für den Ber-
Qualität des Angebots an Wohnungen (vgl. Sagner         liner Wohnungsmarkt zu befürchten. Sollte der Mie-
und Voigtländer 2019). Erfahrungen in anderen Län-      tendeckel, wie ursprünglich geplant, auf fünf Jahre
dern mit Mietregulierungen zeigen, dass diese in der    begrenzt bleiben, werden sich auch die Auswirkungen
Tat zu einer Verknappung des Angebots an Mietwoh-       auf das Wohnungsangebot in Grenzen halten. Dass der
nungen und langfristig zu steigenden Mieten führen      Mietendeckel in fünf Jahren wieder abgeschafft wird,
können, zum Beispiel, weil aufgrund der Mietregu­       ist aber wenig glaubwürdig, vor allem deshalb, weil es
lierung unrentabel gewordene Wohnungen an Eigen-        dann zu erheblichen Mieterhöhungen käme.
nutzer verkauft werden. So führte eine Mietregulie-          Da sich die langfristigen Erwartungen der Markt-
rung in San Francisco in den 1990er Jahren zu einem     teilnehmer in heutigen Preisen widerspiegeln, sind
15%-igen Rückgang des Angebots an Mietwohnun-           vom Berliner Mietendeckel allerdings auch kurzfris-
gen, der vor allem dadurch verursacht wurde, dass       tige Preiseffekte zu erwarten. Die vorliegende Stu-
von der Regulierung betroffene Mietwohnungen in         die präsentiert erste empirische Ergebnisse, die zei-
hochpreisige Eigentumswohnungen umgewandelt             gen, wie sich der Berliner Mietendeckel (bzw. seine
wurden (vgl. Diamond et al. 2019). In der ökonomi-      An­­kündigung) bisher auf die Miet- und Immobilien-
schen Literatur wird auf weitere negative Auswirkun-    preisentwicklung in Berlin ausgewirkt hat. Basis der
gen von Mietregulierungen hingewiesen. So zeigen        empirischen Analyse sind Daten des Immobilienpor-
verschiedene Studien unter anderem, dass die Qua-       tals immowelt.de zu Angebotspreisen für Miet- und
lität des Mietangebots (vgl. Downs 1988; Sims 2007)     Eigentumswohnungen in Berlin und 13 weiteren Groß-
und die Mobilität der Bewohner von regulierten Woh-     städten in Deutschland.
nungen sinken können (vgl. Diamond et al. 2019),
während Rücknahmen von Mietregulierungen zu             AUSGESTALTUNG DES BERLINER MIETENDECKELS
steigenden Investitionen und einer höheren Attrak­
tivität des lokalen Umfelds geführt haben (vgl. Autor   Das »Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungs­
et al. 2014). Darüber hinaus führen Preisregulierun-    wesen in Berlin«, auch als Mietendeckel bezeichnet,
gen zu Fehlallokationen und Wohlfahrtsverlusten         ist zunächst auf fünf Jahre befristet. Mit Inkrafttreten
(vgl. Glaeser und Luttmer 2003; Sims 2011; Bulow und    des Mietendeckels ist es verboten, eine höhere Miete

                                                                      ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   3
FORSCHUNGSERGEBNISSE

    als die Stichtagsmiete vom 18. Juni 2019 zu fordern. darf dafür maximal die eingefrorene Miete verlangt
    Betroffen sind grundsätzlich alle Mietwohnungen des werden. Hierbei gibt es allerdings zwei Ausnahmen.
    Berliner Stadtgebiets. Von dem Gesetz ausgenom- Lag die Vormiete unter 5,02 Euro pro Quadratmeter,
    men sind lediglich Sozialwohnungen, Trägerwohnun- dann darf die Miete bei der Wiedervermietung um
    gen, Wohnungen in Wohnheimen sowie Neubauwoh­ maximal einen Euro, gleichzeitig aber auf nicht mehr
    nungen, die seit dem 1. Januar 2014 erstmals bezugs- als 5,02 Euro pro Quadratmeter erhöht werden, wenn
    fertig wurden.                                             eine moderne Ausstattung vorhanden ist. Eine Aus-
          Das Gesetz sieht vor, dass die Mieten auf dem stattung gilt als modern, wenn mindestens drei der
    Stand des Stichtags eingefroren werden. Bei Miet- folgenden Ausstattungsmerkmale vorhanden sind:
    wohnungen, die zum Stichtag nicht vermietet waren ein schwellenlos erreichbarer Aufzug, eine Einbau­
    oder bei denen es zwischen Stichtag und Inkrafttre- küche, eine hochwertige Sanitärausstattung, ein
    ten des Gesetzes einen Mieterwechsel gab, wird die hochwertiger Bodenbelag in der überwiegenden Zahl
    Miete auf den in dieser Zeit vereinbarten Stand ein- der Wohnräume oder ein Energieverbrauchskenn-
    gefroren. Mieten, die über dem Niveau liegen, sind wert von weniger als 120 kWh/(m² a). Überschritt die
    rechtswidrig. Darüber hinaus sind vertragliche Ver- Vormiete dagegen die in der Mietentabelle festgeleg-
    einbarungen wie beispielsweise Staffelmieten oder te Mietobergrenze, dann darf die Wohnung maximal
    eine Anpassung des Mietpreises an den Verbraucher- zur Mietobergrenze vermietet werden. Bei Wohnun-
    preisindex laut Gesetzestext nichtig, selbst wenn sie gen, die nach Inkrafttreten des Mietendeckels erst-
    vor dem Stichtag im Juni getroffen wurden.1                malig vermietet werden, sind ebenfalls die Mietober-
          Gemäß Mietendeckel sind außerdem »über- grenzen maßgeblich.
    höhte« Mieten fortan unzulässig. Eine Miete ist über-
    höht, wenn sie mehr als 20% über der in der Mieten­ WIE BINDEND IST DER MIETENDECKEL?
    tabelle ausgewiesenen Mietobergrenze liegt, wobei
    bei der Festsetzung der maßgeblichen Mietober- Wie weiter oben ausgeführt, sind die in der Mietta-
    grenze die Wohnlage berücksichtigt wird. Die Mie- belle ausgewiesenen Mietobergrenzen, die die Basis
    tentabelle legt fest, wie hoch die Nettokaltmiete in zur Bestimmung überhöhter Mieten bilden, an den
    Abhängigkeit von Alter und Ausstattung einer Woh- Mietspiegel des Jahres 2013 angelehnt. Da es seither
    nung sein darf. So darf beispielsweise die Miete zu deutlichen Mietanstiegen kam, dürfte der Mieten­
    einer Wohnung, die 2013 erstmalig bezugsfertig war deckel starke Auswirkungen auf das Mietniveau
    und mit Sammelheizung und Bad ausgestattet ist, haben.
    nicht höher als 9,80 Euro pro Quadratmeter sein.               Wie bereits erläutert wurde, ist aus ökonomischer
    Für Wohnungen in einfacher Wohnlage ist bei der Perspektive zu erwarten, dass bereits die Ankündi-
    Be­­rechnung der maßgeblichen Mietobergrenze ein gung des Mietendeckels Auswirkungen auf Mieten
    Abschlag bei der in der Mietentabelle ausgewiesenen und Kaufpreise von Wohnungen und Häusern in Ber-
    Obergrenze von 0,28 Euro zu berücksichtigen, für lin hat. Die Größe dieser Wirkungen wird davon ab­­
    Wohnungen in mittlerer Wohnlage werden 0,09 Euro hängen, wie sehr der Mietendeckel die Mieten be­­
    abgezogen, und für Wohnungen in guter Wohnlage ist einflusst. Um das zu messen, berechnen wir für jede
    ein Zuschlag von 0,74 Euro zu berücksichtigen. Liegt bei immowelt.de annoncierte Mietwohnung in Berlin
    der Wohnraum in einem Ein- oder Zweifamilienhaus, die zulässige Mietobergrenze. Dazu werden das Bau-
    erhöht sich die Mietobergrenze um einen Zuschlag jahr einer Wohnung, die Beheizungsart, Angaben zum
    von 10%. Auch sind bestimmte Modernisierungen Vorhandensein eines Aufzugs oder einer Einbauküche
    und deren Umlage auf die Miete erlaubt, sofern sich sowie die auf Basis der Wohnungsadresse und Klassi­
    hierdurch die Miete nicht um mehr als einen Euro pro fikationen des Mietspiegels ermittelte Wohnlage her-
    Quadratmeter erhöht. Die in
    der Miettabelle festgesetzten      Abb. 1
    Mietobergrenzen basieren auf       Durchschnittliche Abweichung von der Mietobergrenze
    dem Mietspiegel des Jahres                                                             Nicht reguliert   Reguliert
                                          Euro
    2013, der wiederum auf Basis        6
    von Informationen über Neu-         5
    vertragsmieten und Mietän-
                                        4
    derungen der Jahre 2008 bis
                                        3
    2012 ermittelt wurde.
          Wird eine Wohnung nach        2
    Inkrafttreten des Mietende-         1
    ckels wieder vermietet, dann
                                                        0
                                                        2017q1                             2018q1                              2019q1                             2020q1
    1
       Ab Januar 2022 sind jährliche Miet­             Die Grafik zeigt die durchschnittliche Abweichung der Angebotsmieten von der Mietobergrenze basierend auf Informa-
    erhöhungen als Inflationsausgleich                 tionen über annoncierte Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Bei nichtregulierten Wohnungen
    möglich, jedoch sind diese auf 1,3%                mit Baujahr ab 2014 wird die Abweichung von der Mietobergrenze für Wohnungen der Baujahre 2003–2013 dargestellt.
    beschränkt.                                        Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                        © ifo Institut

4   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
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angezogen. Im Jahr 2019 lie-        Abb. 2
gen die annoncierten Net-          Quartalsweise        Wachstumsraten der Angebotsmieten
tokaltmieten bei 96,7% der                                                                                   Berlin                    Hamburg
                                         Index (2017 Q1 = 100)                                               München                   Köln
zukünftig vom Mietendeckel          115
betroffenen Wohnungen über
der im Gesetzentwurf spe­           110
zifizierten      Mietobergrenze,
d.h. bei fast allen angebotenen     105
Wohnungen. 83,5% der Mie-
ten liegen um mehr als 20%          100
über der Mietobergrenze. Diese
Mieten müssen in Zukunft             95
gesenkt werden. Im Durch-              2017q1                            2018q1                            2019q1                           2020q1
schnitt liegen die Angebots-        Die Grafik zeigt Wachstumsraten der mittleren Quadratmetermieten basierend auf Informationen über annoncierte
                                    Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020.
mieten um knapp 4,70 Euro pro       Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                     © ifo Institut
Quadratmeter über der Miet­
obergrenze (vgl. Abb. 1); der Mietendeckel wirkt also im Januar noch einmal deutlich an.3 Die Angebots-
sehr restriktiv. Dies ist insbesondere auf Wohnungen zahlen im regulierten Segment des Mietmarkts stag-
älteren Baujahres zurückzuführen, bei denen der nierten hingegen im gleichen Zeitfenster. Dies könnte
Gesetzentwurf sehr niedrige Quadratmetermieten darauf hindeuten, dass Eigentümer von Wohnungen,
vorsieht. Die Darstellung für nicht regulierte Woh­ die derzeit nicht vom Mietendeckel betroffen wären,
nungen jüngeren Baujahres basiert auf der Miet­ eine Ausweitung der Regulierung in der Zukunft
obergrenze für zwischen 2003 und 2013 erbaute befürchten. Infolgedessen könnten Vermieter von
Wohnungen.                                                           Wohnungen neueren Baujahrs bestrebt sein, Miet-
                                                                     verträge von in den Folgemonaten freiwerdenden
ENTWICKLUNG DER ANGEBOTSMIETEN                                       Wohnungen frühzeitig abzuschließen, um einer mög-
                                                                     lichen Ausdehnung des Geltungsbereichs zuvorzu-
Abbildung 2 zeigt die relative Entwicklung der mitt- kommen. Der Mietendeckel kann zwar auch in bereits
leren Angebotsmiete pro Quadratmeter für Woh- bestehende Mietverträge eingreifen, bei neuen Ver-
nungen in den vier größten Städten Deutschlands trägen sind die Regelungen aber restriktiver.
(Berlin, Hamburg, München, Köln) für den Zeitraum                           Abbildung 4 schlüsselt die Mietpreisentwick­
von Januar 2017 bis Januar 2020 auf Quartalsba- lungen im regulierten und nicht regulierten Segment
sis.2 Die Basisperiode ist das erste Quartal 2017. Bis auf. Während die mittleren Angebotsmieten von Woh-
zum Jahresende 2019 sind die Angebotsmieten zwi-
schen 6% (Köln) und 11% (Berlin) gestiegen. Wäh- 3 Diese Zahlen basieren auf den um Duplikate bereinigten Roh-
rend die Mieten in Berlin bis zum Jahr 2018 stärker daten                    aller auf immowelt.de geschalteten Anzeigen. Für das erste
                                                                     Quartal 2020 werden die Januarwerte hochgerechnet. Wir stufen
stiegen als in Hamburg, Köln und München, stag- Anzeigen mit identischen Wohnungscharakteristika, wie beispiels-
nierte die Mietentwicklung in Berlin im Laufe des Jah- weise                 Wohnfläche und Baujahr, identischer Adresse und identischem
                                                                     Anzeigetext als Duplikate ein, wenn sie innerhalb eines Zeitraums
res 2019 und fiel dann zu Jahresbeginn 2020 deutlich von drei Monaten geschaltet wurden. In diesem Fall ist das aktuellste
ab. Diese Entwicklung spiegelt jedoch nicht notwen- Veröffentlichungsdatum                         maßgeblich, und es wird davon ausgegan-
                                                                     gen, dass die Vermietung zum ersten Anzeigedatum nicht erfolgreich
digerweise Antizipationseffekte des Berliner Mie­ war. Durch diese Bereinigung fällt die Anzahl der Angebote am aktu-
tendeckels wider. Vielmehr kann die Zusammen­ ellen                         Rand vergleichsweise höher aus als in den Vormonaten. Liegen
                                                                     mehr als drei Monate zwischen zwei identischen Anzeigen, werden
setzung der annoncierten Wohnungen über die Zeit sie als separate Anzeigen gewertet.
variieren und damit die mitt-
lere Miete beeinflussen. Wie        Abb. 3
aus Abbildung 3 ersichtlich,       Anzahl     der annoncierten Mietwohnungen in Berlin
verdoppelte sich die Zahl der                                                                               Nicht reguliert             Reguliert
auf immowelt.de annoncier-                Index (2017 Q1 = 100)
                                    400
ten Wohnungen im nicht regu-
lierten Segment – d.h. von          300
Wohnungen mit Baujahr ab
2014 – bis zum Ende des Jah-        200
res 2019 nahezu und stieg
                                              100
2
   Als Indikator für den mittleren
Miet- bzw. Kaufpreis verwenden wir               0
an dieser Stelle und im Folgenden den            2017q1                            2018q1                               2019q1                          2020q1
Median der Angebotsmieten bzw. -prei-         Die Grafik zeigt Veränderungen in der Zahl der annoncierten Mietwohnungen nach Bereinigung um Duplikate im
se, da der Median robuster gegenüber          Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Im ersten Quartal 2020 werden die Januarwerte auf den Quartalswert hochge-
Ausreißern ist als das arithmetische          rechnet.
Mittel.                                       Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                      © ifo Institut

                                                                                                    ifo Schnelldienst    3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020   5
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    Abb. 4                                                                                                             der annoncierten Wohnun-
    Quartalsweise Wachstumsraten der Median-Angebotsmieten in Berlin                                                   gen zurückzuführen sind.
           Index (2017 Q1 = 100)                                             Nicht reguliert             Reguliert     Die Schätzung berücksich-
     130
                                                                                                                       tigt ebenfalls unterschied-
                                                                                                                       liche Ausgangsniveaus der
     120                                                                                                               Mieten je Postleitzahlgebiet.
                                                                                                                       Insgesamt umfasst unsere
     110                                                                                                               Stichprobe 285 465 Annon-
                                                                                                                       cen für Mietwohnungen in
     100                                                                                                               den 14 größten Städten
                                                                                                                       Deutschlands im Zeitraum
       90                                                                                                              von Januar 2017 bis Januar
         2017q1                            2018q1                           2019q1                           2020q1    2020. Hierbei werden sepa-
     Die Grafik zeigt Wachstumsraten der mittleren Quadratmetermieten basierend auf Informationen über annoncierte     rate Schätzungen für Woh-
     Mietwohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020.
     Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                     © ifo Institut nungen durchgeführt, die vor
                                                                                                                       dem Jahr 2014 errichtet wur-
    nungen, die in Zukunft der Mietenbegrenzung unter- den sowie für solche, die seit dem Jahr 2014 errich-
    liegen werden, leicht zurückgingen, verzeichneten tet wurden.
    die Angebotsmieten im nicht regulierten Segment                                            Die Ergebnisse sind in Abbildung 5 dargestellt.
    des Immobilienmarkts in der zweiten Jahreshälf- Als Referenzmonat haben wir den Juni 2019
    te 2019 einen deutlichen Anstieg. Dies deutet auf gewählt, da in diesem Monat in der Senatsvor-
    Antizipationseffekte hin. Nicht nur hat also die Anzahl lage Nr. S-2365/2019 die Eckpunkte für das Berliner
    an Annoncen von Wohnungen neueren Baujahres Mietengesetz präsentiert wurden. Die Koeffizien-
    in der zweiten Jahreshälfte überproportional zuge­ ten bilden jeweils ab, in welchem Umfang das Miet-
    nommen; die Vermieter dieser Wohnungen verlang- preiswachstum im regulierten und im nicht regu-
    ten im Schnitt ebenfalls eine höhere Miete. Hinge- lierten Segment des Mietmarkts zwischen Ber-
    gen zeigt sich bei den Angebotsmieten der zukünftig lin und anderen Großstädten divergiert. Während
    vom Mietendeckel betroffenen Wohnungen bereits vor und ab 2014 erbaute Wohnungen vor der Prä-
    ein erster, wenn auch schwacher Rückgang der sentation der Senatsvorlage ähnliche Mietent-
    Angebotsmieten.                                                                      wicklungen aufwiesen, divergierten die Trends
           Unterschiede in den Mietniveaus könnten jedoch ab Juli 2019. Die Angebotsmieten von Wohnun-
    auch durch eine veränderte Zusammensetzung des gen, die in Zukunft dem Mietendeckel unterlie-
    Wohnungsangebots auf immowelt.de hervorge- gen werden, wiesen leicht geringere Mietanstie-
    rufen werden. Wir schätzen daher ein lineares ge auf als vergleichbare Wohnungen in anderen
    Regressionsmodell, in dem wir die Mietentwicklung Großstädten. Hingegen stiegen die Mieten bei ab
    für Wohnungen in Berlin mit entsprechenden Woh- 2014 erbauten Wohnungen in der zweiten Jahres-
    nungsannoncen in einer erweiterten Kontrollgrup- hälfte 2019 stärker als in vergleichbaren Städten,
    pe vergleichen, die alle Großstädte Deutschlands wobei die Unterschiede in den meisten Monaten
    mit mehr als 500 000 Einwohnern umfasst.4 Dabei statistisch nicht signifikant sind. Die differenzielle
    werden die Wohnungen in der Kontrollgruppe Preisentwicklung von regulierten und nicht regu­
    mit Hilfe des Entropy-Balancing-Verfahrens so lierten Wohnungen deckt sich mit den Ergebnissen
    gewichtet, dass die Verteilung der Wohnungs­ der deskriptiven Analyse. Unsere Ergebnisse legen
    charakteristika in Berlin und in der Kontrollgruppe den Schluss nahe, dass die Mieten in Berlin im nicht
    identisch ist (vgl. Hain­
    mueller 2012).5 Somit ist si-                       Abb. 5
    chergestellt,            dass        Unter-         Veränderung der Angebotsmieten in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten
    schiede in der Mietentwick-                                                                Nicht reguliert                   Reguliert
                                                              %                                95%-Konfidenzintervall            95%-Konfidenzintervall
    lung in Berlin und in der Kon-                        10
    trollgruppe nicht auf unter-
    schiedliche             Charakteristika                5

    4
       Die Kontrollgruppe umfasst Ham-                     0
    burg, München, Köln, Frankfurt am
    Main, Stuttgart, Düsseldorf, Leipzig,
    Dortmund, Essen, Bremen, Dresden,                    −5
    Hannover und Nürnberg.
    5
       Zu den Kontrollvariablen zählen
    das Baujahr der Wohnung, die Anzahl                 −10
    der Zimmer, die Fläche, der Zustand                        −29        −24            −19           −14         −9           −4          1           6
    (saniert vs. unsaniert), das Vorhanden-                                                                    Monate vor/nach Präsentation der Senatsvorlage
    sein einer Terrasse, eines Gartens oder            Die Grafik zeigt das differenzielle Wachstum der Angebotsmieten (pro m2) in Prozentpunkten für Mietwohnungen in
    eines Balkons und weitere Wohnungs-                Berlin im Vergleich zu den 13 nächstgrößeren Städten Deutschlands im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020.
    charakteristika.                                   Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                       © ifo Institut

6   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
FORSCHUNGSERGEBNISSE

Abb. 6                                                                                                                  der Preisschwankungen durch
Quartalsweise Wachstumsraten des mittleren Angebotspreises                                                              Unterschiede in den Charak­
        Index (2017 Q1 = 100)                                             Berlin              Hamburg                   teristika der annoncierten
  145
                                                                          München             Köln
  140                                                                                                                   Wohnungen erklärt werden
  135                                                                                                                   kann.
  130                                                                                                                          Wir schätzen daher auch
  125
                                                                                                                        für die Kaufpreise ein mit
  120
                                                                                                                        der        Entropy-Balancing-Me-
  115
  110                                                                                                                   thode gewichtetes lineares
  105                                                                                                                   Regressionsmodell, das die
  100                                                                                                                   Preisentwicklung für Eigen-
   95                                                                                                                   tumswohnungen in Berlin mit
     2017q1                           2018q1                             2019q1                           2020q1
Die Grafik zeigt quartalsweise Wachstumsraten des mittleren Quadratmeterpreises basierend auf Informationen über        entsprechenden Wohnungs-
annoncierte Eigentumswohnungen im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020. Das erste Quartal im Jahr 2020 umfasst          angeboten in allen Großstäd-
annoncierte Eigentumswohnungen bis zum Stichtag 31. Januar 2020.
Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                        © ifo Institut    ten Deutschlands mit mehr
                                                                                                                        als 500 000 Einwohnern kon-
regulierten Segment über den Zeitraum von Juni trastiert. Insgesamt umfasst unsere Stichprobe
2019 bis Dezember 2019 um etwa 3 bis 5 Prozent- 90 386 Eigentumswohnungen, die in den 14 größten
punkte stärker gestiegen sind als im regulierten Städten Deutschlands im Zeitraum von Januar 2017
Segment.                                                                               bis Januar 2020 zum Verkauf angeboten wurden.
                                                                                             Die Regressionsergebnisse sind in Abbildung 7
KURZFRISTIGE PREISEFFEKTE                                                              grafisch dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass
                                                                                       das Preiswachstum in Berlin in den 29 Monaten vor
Bei der Analyse von Antizipationseffekten ist es von der Senatsvorlage in einigen Monaten unter und in
besonderem Interesse, die Entwicklung der Woh- einigen Monaten über dem Preiswachstum in der
nungspreise zu untersuchen. Da Wohnungspreise Kontrollgruppe lag. Die Abweichungen sind jedoch
letztlich erwartete künftige Mieteinnahmen wider- nicht statistisch signifikant. Nach der Senatsvorlage
spiegeln, könnten sich bei Wohnungspreisen deut- stiegen die Angebotspreise in Berlin in den Monaten
liche Reaktionen auf den Mietendeckel ergeben. Juli/August zunächst etwas stärker als in der Kont-
Das dürfte allenfalls dadurch gemildert werden, rollgruppe, im Dezember jedoch signifikant schwä-
dass die Käufer Wohnungen auch selbst nutzen kön- cher. Das Preiswachstum in Berlin lag im Dezem-
nen. Außerdem könnte die erwartete Angebotsver- ber rund 5 Prozentpunkte unterhalb des Preis-
knappung durch verringerte Bautätigkeit preisstabi- wachstums in der Kontrollgruppe. Der negative
lisierend wirken.                                                                      Preiseffekt im Dezember 2019 ist der einzige Monat
      Analog zu Abbildung 2 stellt Abbildung 6 die in unserem Betrachtungszeitraum, in dem das Preis-
Wachstumsraten des mittleren Angebotspreises pro wachstum in Berlin signifikant unter dem Preis-
Quadratmeter in den vier größten Städten Deutsch- wachstum in der Kontrollgruppe lag. Im Januar die-
lands für den Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020 ses Jahres ist kein statistisch signifikanter Unter-
auf Quartalsbasis dar. In dem betrachteten Zeit- schied zwischen dem Preiswachstum in Berlin und
raum sind die mittleren Angebotspreise in einer in der Kontrollgruppe feststellbar. Diese Ergebnisse
Spanne von 26% in München bis 44% in Köln gestie- sind auch vor dem Hintergrund einzuordnen, dass
gen. Während in München und Köln im letzten Quar- nach Aussage des Berliner Gutachterausschusses
tal 2019 und im Januar 2020 ein fortgesetzter Preis­ viele Kaufverträge der vergangenen Monate mit einer
anstieg zu verzeichnen war, haben sich die Preise in Klausel abgeschlossen wurden, nach der eine (auto-
Berlin und Hamburg im Mittel
                                                   Abb. 7
zuletzt eher seitwärts bewegt.
                                                   Veränderung der Angebotspreise in Berlin im Vergleich zu anderen Großstädten
Der beobachtete Trend in Ber-
                                                                                                                                        Preiseffekt
lin muss jedoch nicht zwangs-                                                                                                           95%-Konfidenzintervall
                                                          %
läufig auf die bevorstehende                         10
Einführung des Mietendeckels
                                                       5
zurückzuführen sein. Zum
einen hat sich der mittlere                            0
Angebotspreis auch in einigen
vorangegangenen Quartalen                            −5
vor Ankündigung der Mieten-
begrenzung seitwärts bewegt.                        −10
                                                         −29            −24            −19          −14              −9           −4            1              6
Zum anderen ist auch bei den                                                                                  Monate vor/nach Präsentation der Senatsvorlage
zum Kauf angebotenen Woh-                          Die Grafik zeigt das differenzielle Wachstum der Angebotspreise (pro m2) in Prozentpunkten für Eigentumswohnun-
                                                   gen in Berlin im Vergleich zu den 13 nächstgrößeren Städten Deutschlands im Zeitraum Januar 2017 bis Januar 2020.
nungen denkbar, dass ein Teil                      Quelle: Daten von immowelt.de; Berechnungen des ifo Instituts.                                        © ifo Institut

                                                                                                           ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020    7
FORSCHUNGSERGEBNISSE

    matische) Preissenkung nach Inkrafttreten des Ber-            bei immowelt.de nicht notwendigerweise repräsen­
    liner Mietengesetzes eintritt (vgl. Löhr 2019).               tativ für den Immobilienmarkt insgesamt. Insbe-
                                                                  sondere könnten gewerbliche Anbieter in unse-
    ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUSSFOLGERUNGEN                        rer Stichprobe überrepräsentiert sein. Bei der Ana-
                                                                  lyse der Wirkungen des Mietendeckels haben wir als
    In diesem Beitrag untersuchen wir erste Auswir­               »kontrafaktisches Szenario« ein Szenario betrachtet,
    kungen der Ankündigung des Mietendeckels in Berlin            in dem sich Mieten und Preise so entwickeln wie in
    auf Mieten und Preise angebotener Immobilien. Zwar            anderen Großstädten. Ob sich der Immobilienmarkt
    war der Mietendeckel im betrachteten Zeitraum noch            in Berlin tatsächlich so entwickelt hätte, ist trotz der
    nicht in Kraft, er war aber bereits angekündigt und           Parallelen in der Entwicklung vor der Ankündigung
    ist in den Medien intensiv diskutiert worden. Unsere          des Mietendeckels unklar.
    Analyse kommt zu dem Ergebnis, dass sowohl Mieten
    betroffener Wohnungen als auch Kaufpreise in Berlin           LITERATUR
    – letztere allerdings in geringerem Umfang – seit der         Autor, D. H., C. J. Palmer und P. A. Parag (2014), »Housing Market
    Ankündigung des Mietendeckels langsamer gestie-               Spillovers: Evidence from the End of Rent Control in Cambridge,
                                                                  Massachusetts«, Journal of Political Economy 122(3), 661–717.
    gen sind als in anderen Großstädten. Bemerkenswert
                                                                  Bulow, J. und P. Klemperer (2012), »Regulated Prices, Rent Seeking, and
    ist außerdem, dass die Mieten für neuere, nicht vom           Consumer Surplus«, Journal of Political Economy 120(1), 160–186.
    Mietendeckel betroffene Wohnungen schneller gestie-           Diamond, R., T. McQuade und F. Qian (2019), »The Effects of Rent
    gen sind.                                                     Control Expansion on Tenants, Landlords, and Inequality: Evidence from
                                                                  San Francisco,« American Economic Review 109(9), 3365–3394.
         Statistisch sind diese Effekte aber nur teilweise
                                                                  Downs, A. (1988), Residential Rent Controls: An Evaluation, Urban Land
    signifikant. Dafür sind unterschiedliche Erklärungen          Institute, Washington, DC.
    denkbar. So bewegen sich vor allem Immobilienpreise           Glaeser, E. L. und E. F. P. Luttmer (2003), »The Misallocation of Housing
    typischerweise nur mit einer gewissen Zeitverzöge-            under Rent Control«, American Economic Review 93(4), 1027–1046.

    rung. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den von         Hainmueller, J. (2012), »Entropy balancing for causal effects: A multi­
                                                                  variate reweighting method to produce balanced samples in observatio-
    uns verwendeten Daten um Angebotspreise handelt.              nal studies«, Political Analysis 20, 25–46.
    Es ist durchaus denkbar, dass die tatsächlichen Kauf-         Löhr, J. (2019), »In München kostet der Quadratmeter so viel wie ein gan-
    preise stärker gefallen sind als die Angebotspreise.          zes Dorf«, www.faz.net, 17. Dezember, verfügbar unter: https://www.faz.
                                                                  net/aktuell/finanzen/immobilien-in-muenchen-kostet-der-quadratmeter-
    Auf erhebliche Preiswirkungen lassen auch Berichte            so-viel-wie-ein-dorf-16539986.html?GEPC=s3.
    über Kaufvertragsklauseln mit Bezug auf den Mieten-           Sagner, P. und M. Voigtländer (2019), Volkswirtschaftliche Folgen des Ber-
    deckel schließen.                                             liner Mietendeckel, Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln.
         Bei der Interpretation dieser Ergebnisse sind die        Sims, D. P. (2007), »Out of Control: What Can We Learn from the End of
                                                                  Massachusetts Rent Control?«, Journal of Urban Economics 61(1), 129–151.
    zugrunde liegenden Daten und die Prämissen der Ana-
                                                                  Sims, D. P. (2011), »Rent Control Rationing and Community Composi-
    lyse zu berücksichtigen. Bei den Daten handelt es sich        tion: Evidence from Massachusetts«, B.E. Journal of Economic Analysis &
    um Miet- und Kaufangebote, nicht um die tatsäch­              Policy 11(1), Article 25.
    lichen Vertragsabschlüsse. Zudem sind die Annoncen

8   ifo Schnelldienst   3 / 2020   73. Jahrgang   11. März 2020
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