Der Kohleausstieg bis 2038 - wie bewerten Ökonomen die Empfehlungen der Kohlekommission? - ifo Institut
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DATEN UND PROGNOSEN Johannes Blum, Philip Kapitzke* und Niklas Potrafke Der Kohleausstieg bis 2038 – wie bewerten Ökonomen die Empfehlungen der Kohlekommission? Ende Januar veröffentlichte die von der deutschen Bundesregierung zur Erstellung eines umfassenden Aktionsplans zum Thema Kohleenergie beauftragte »Kohlekommission« ihren Abschlussbericht. Darin empfiehlt sie den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2038. Im 22. Ökonomenpanel des ifo Instituts und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurde diese Empfehlung als Anlass genommen, Professoren der Volkswirtschaftslehre an deutschen Universitäten zu befragen, wie sie die Konsequenzen des im Bericht nahege legten Ausstiegs einschätzen. Die befragten Wirtschaftswissenschaftler sehen den Kohle ausstieg zum großen Teil skeptisch, wenn er auch von einigen Ökonomen als unumgäng lich angesehen wird. Der Schutz des Klimas gewann in den vergangenen DER DEUTSCHE BEITRAG ZU INTERNATIONALEN Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung immer KLIMAZIELEN mehr an Bedeutung und hielt auch Einzug in die Poli- tik – erstmals in Form des Kyoto-Protokolls im Jahr Im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 hat sich die 1997. Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen Bundesregierung das Ziel der nahezu vollständigen von 2015 ist der Klimaschutz fester Bestandteil des Treibhausgasneutralität gesetzt. Bereits in diesem politischen Diskurses. Im Pariser Klimaabkommen Plan deutete die Bundesregierung die schrittweise einigte sich die Weltgemeinschaft auf das langfristige Abkehr von fossilen Verbrennungsträgern an (Bun- Ziel, die Erderwärmung auf unter 2°C im Vergleich desministerium für Umwelt, Naturschutz und nuk- zu vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Die Euro- leare Sicherheit 2016). Kritiker mahnen jedoch, ein päische Union möchte hierzu beitragen, indem sie deutscher Alleingang zur Erreichung der nationalen unter anderem ihre Treibhausgasemission bis 2030 Klimaziele entfalte auf internationaler Ebene keine um 40% (gegenüber dem Vergleichsjahr 1990) redu- signifikante Wirkung. Andreas Ziegler von der Univer- ziert. Die nationalen Klimaziele Deutschlands sind sität Kassel äußert Zweifel, dass der Kohleausstieg noch ambitionierter: Bis 2020 sollen die CO2-Aus- auf nationaler Ebene die geplante Wirkung erzielt und stöße um 40%, bis 2030 um 55% und bis 2050 um min- nimmt andere Sektoren in die Pflicht. »Der Kohleaus- destens 80% verringert werden (erneut im Vergleich stieg wäre sicherlich ein wichtiger Schritt zur Reduk- zum Jahr 1990). Auch wenn weitestgehend Einigkeit tion von Treibhausgasemissionen. Allerdings reicht besteht, dass das Ziel für 2020 nicht mehr erreicht dieser sehr langfristige Ausstieg bei weitem nicht aus, werden kann, präsentierte die Kommission »Wachs- um die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen. tum, Beschäftigung und Strukturwandel« – besser Hierfür müssten endlich auch klimapolitische Maß- bekannt als Kohlekommission – nun eine Möglichkeit, nahmen in anderen Bereichen, wie z.B. im Verkehrs- wie Deutschland seine langfristigen Ziele noch errei- sektor, getroffen werden.« chen kann: Sie empfiehlt den vollständigen Ausstieg Die Ökonomen wurden gebeten, die Frage zu aus der Kohleverstromung bis 2038. beantworten, ob ihrer Ansicht nach der rein natio- In der Februar-Umfrage des Ökonomenpanels nale Ausstieg aus der Kohleenergie die Emission von wurden Professoren für Volkswirtschaftslehre an Kohlenstoffdioxid in der Europäischen Union verrin- deutschen Universitäten befragt, wie sie die Vor- gern wird. 42% der antwortenden Ökonomen glau- schläge der Kohlekommission zum Ausstieg Deutsch- ben nicht, dass sich die Menge der schädlichen Emis- lands aus der Kohleförderung bewerten, vor allem im sionen EU-weit reduzieren wird. Begründet wird Hinblick auf die ökonomischen Konsequenzen. Insge- diese Ansicht in den meisten Fällen mit dem Handel samt nahmen 143 Professoren an der Umfrage teil. von Zertifikaten, der das obere Limit der EU-weiten * Philip Kapitzke war von Januar bis März 2019 Praktikant am CO2-Ausstöße festsetzt. Viele Professoren sind skep- ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie. tisch, ob durch den Kohleausstieg die Anzahl der Zer- 34 ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 1 reiter werden könnte, dem Reduktion der Kohlendioxidemission in der EU andere Industrienationen fol- Sind Sie der Meinung, dass durch den nationalen Kohleausstieg Deutschlands die Emission von Kohlendioxid (CO₂) in der EU reduziert wird? gen werden. Die Hälfte der Teilnehmer glaubt nicht, dass 7% Ja dies der Fall sein wird. Nur 31% Nein sehen eine positive Strahlkraft 27% Teils-teils des angekündigten Ausstiegs. Weiß nicht Die übrigen 18% sind dieser 24% Frage gegenüber indifferent (vgl. Abb. 2). AUSWIRKUNGEN AUF KOHLEREVIERE UND GESAMTDEUTSCHLAND 42% Der Kohleausstieg geht mit erheblichen strukturellen Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut Veränderungen in den betrof- fenen Regionen einher. Bei- tifikate reduziert wird und glauben vielmehr, dass spielsweise stellen die Braunkohlereviere gegenwär- andere Länder mehr CO2 in Reaktion auf den deut- tig rund 21 000 direkte Arbeitsplätze, wovon über schen Kohleausstieg ausstoßen werden. 27% glau- 1 200 Stellen Ausbildungsplätze sind (vgl. Statistik ben an einen CO2-reduzierenden Effekt auf EU-Ebene, der Kohlewirtschaft e.V. 2018). Damit spielen die örtli- während 24% unentschlossen sind (vgl. Abb. 1). chen Betriebe eine große Rolle für die Förderung und Befürworter des Ausstiegs betonen, Deutschland Integration der Auszubildenden in den Arbeitsmarkt. könne durch den Ausstieg eine internationale Vor- Inklusive der verbundenen Branchen kann von rund reiterrolle einnehmen, der andere Nationen folgen 60 000 betroffenen Stellen ausgegangen werden würden. Denn als eine hochindustrialisierte Nation, (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Ener- deren Anteil an Kohlestrom vergleichsweise groß ist, gie 2019). Zwar schreibt die Kohlekommission, dass stellt der Ausstieg aus dieser Energiequelle und der die Unternehmen in die Lage versetzt werden müs- damit verbundene Strukturwandel für Deutschland sen, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen, eine besonders große Herausforderung dar. Sollte es dennoch sollen die betroffenen Betriebe und Regio- Deutschland gelingen, auf alternative Energieformen nen bereits heute Vorkehrungen treffen, um die nega- umzusteigen, dabei Arbeitsplätze zu erhalten oder tiven Auswirkungen des Kohleausstiegs (Arbeits sogar neue zu schaffen und insgesamt die Wirtschafts- losigkeit, Wertschöpfungsverlust) abzufedern. Die kraft zu stärken, könnte ein wegweisendes Exempel Bundesregierung will bis 2038 rund 40 Mrd. Euro zur statuiert werden. Verfügung zu stellen, um die entsprechenden Ge- Die Ökonomen wurden gefragt, ob Deutschland biete bei der Bewältigung des Umbruchs zu un- bereits durch die Festlegung eines konkreten Datums terstützen. zum Kohleaussteig zu einem internationalen Vor- Befragt, wie sie zu der Höhe der Mittel stehen, antwortet knapp die Hälfte, Abb. 2 dass sie diese als zu hoch ein- Vorreiterrolle Deutschlands schätzt (47%). Auf der anderen Sind Sie der Meinung, dass Deutschland mit einem festen Datum zum Kohleausstieg eine Vorreiter- Seite glauben nur 3%, dass die rolle in der globalen Klimaschutzpolitik einnehmen könnte, der andere Industrienationen folgen? Mittel zu niedrig sind und 13%, dass die Mittel die richtige Ja Höhe haben. 37% geben an, 1% Nein dass sie nicht wissen, wie die 18% Höhe der Mittel einzuschätzen Teils-teils 31% ist (vgl. Abb. 3). Weiß nicht Der Ausstieg aus der Koh- leenergie birgt jedoch nicht nur für die betroffenen Regi- onen, sondern auch für die übrigen Teile Deutschlands Risiken. Eines der Risiken 50% sind potenzielle Versorgungs- lücken. Besonders in einem Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut Industrieland ist eine zuver- ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019 35
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 3 Alternativen, Gaskraftwerken Höhe der vorgesehenen Mittel und Stromimporten, besteht Was halten Sie von der Höhe der vorgesehenen Mittel von über 40 Mrd. Euro zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft der Braunkohlereviere? (vgl. Abb. 4). Die Stilllegung von Koh- Die vorgesehenen Mittel lekraftwerken wird das Ange- 13% haben die richtige Höhe bot des vorhandenen Stroms Die vorgesehenen Mittel sind reduzieren und somit den zu hoch Preis in die Höhe treiben. Al- 37% Die vorgesehenen Mittel sind lerdings könnten neue, zeit- zu niedrig gleich erschlossene Strom- quellen, wie Gaskraftwerke, Weiß nicht Windparks und Solarpanels, den Angebotswegfall kom- 47% pensieren und so preismin- 3% dernd wirken. Definitiv wird sich somit entweder die vor- handene Menge oder aber Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut die Zusammensetzung des Stroms aus diversen Energie- lässige, gesicherte Stromversorgung unabdingbar. quellen ändern. Dies wird mit Auswirkungen auf den In ihrem Bericht empfiehlt die Kohlekommission Strompreis einhergehen. Die Kohlekommission emp- als möglichen Lösungsansatz hierfür, die Geneh fiehlt ausdrücklich, ab 2023 (zu diesem Zeitpunkt soll migungsverfahren zur Errichtung neuer Gaskraft- der Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein) ent werke zu beschleunigen (vgl. Bundesministerium für weder einen Zuschuss oder wirkungsgleiche Maßnah- Wirtschaft und Energie 2019). Doch dies wird nur ein men für private und gewerbliche Stromverbraucher Teil der Lösung sein können. Nicht erwähnt von der zu gewähren. Hierfür veranschlagt sie mindestens Kohlekommission wird die Rolle von Stromimpor- 2 Mrd. Euro jährlich. ten. So äußerte jüngst Karen Pittel, Leiterin des ifo Vor diesem Hintergrund wurden die Teilneh- Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen: »Nach mer des Ökonomenpanels nach einer Einschätzung Berechnungen des ifo Instituts wird der Kohleausstieg der Strompreisentwicklung gefragt. 65% der Teil zumindest teilweise ausgeglichen durch Importe von nehmer sind der Ansicht, dass der Strompreis lang- Atom- und Kohlestrom aus Polen und Tschechien.« fristig steigen wird. Fast die Hälfte (43%) meint, dass (ifo Institut 2019). Der Import ausländischen Stroms der Anstieg zwischen 10% und 50% liegt. 19% glau- wird vielfach kritisiert, da die Stromquellen bei Impor- ben an eine Preissteigerung um bis zu 10%, während ten eben diejenigen sind, von denen sich Deutschland 3% eine Preissteigerung um über 50% erwarten. Nur langfristig verabschieden möchte. die Minderheit der Teilnehmer ist der Ansicht, dass der Die Professoren wurden Abb. 4 gefragt, wie ihrer Ansicht nach Kompensation etwaiger Versorgungslücken der Ausfall der Kohleenergie Sind Sie der Meinung, dass durch den Kohleausstieg der Anteil erneuerbarer Energien an der kompensiert werden kann. Stromerzeugung signifikant ansteigen wird, oder werden etwaige Versorgungslücken hauptsächlich Nur 22% sind der Meinung, durch Gaskraftwerke im Inland und Stromimporte aus dem europäischen Ausland kompensiert? dass der Anteil an erneuerba- ren Energien signifikant stei- Weiß nicht 7 gen wird. Mit einer Kompen sation ausschließlich durch Teils-teils 11 Gaskraftwerke rechnen 6%, und mit einer Kompensation Die Versorgungslücken werden durch ausschließlich Stromim- hauptsächlich sowohl durch Gaskraftwerke 44 porte rechnen 10%. Der größte als auch durch Stromimporte kompensiert Teil der Teilnehmer (44%) ist Die Versorgungslücken werden der Meinung, dass potenzielle hauptsächlich durch Stromimporte 10 kompensiert Vers orgungslücken sowohl Die Versorgungslücken werden mit Hilfe von Gaskraftwer- hauptsächlich durch Gaskraftwerke 6 ken als auch durch Stromim- kompensiert porte ausgeglichen werden. Anteil an erneuerbaren Energien an der 11% setzen auf eine Lösung, 22 Stromerzeugung wird signifikant ansteigen die aus einer Kombination aus erneuerbaren Energien und 0 10 20 30 40 50 % den beiden hier diskutierten Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut 36 ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019
DATEN UND PROGNOSEN Abb. 5 im Ökonomenpanel gebeten, Strompreisentwicklung durch den Kohleausstieg eine kurze Stellungnahme Meinen Sie, dass die Strompreise durch den Kohleausstieg langfristig steigen werden und, wenn ja, für wie hoch schätzen Sie den etwaigen Anstieg des Strompreises durch den Kohleausstieg? abzugeben, wie sie die wirt- schaftlichen Auswirkungen eines Kohleausstiegs für diese Weiß nicht 21 Unternehmen einschätzen. Nur einzelne Teilneh- Ja, um mehr als 50% 3 mer schätzen die Auswirkun- gen explizit positiv ein. Der Ja, um bis zu 50% 15 überwiegende Anteil hinge- Ja, um bis zu 25% 28 gen ist zurückhaltend bzw. negativ eingestellt. Einige Ja, um bis zu 10% 19 Teilnehmer bringen ihre Sor- gen zum Ausdruck, indem Nein 14 sie kurze und eindringliche Begriffe wie »verheerend« 0 10 20 30 % und »desaströs« verwenden, Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut um die Auswirkungen zu be schreiben. Franz Peter Lang Strompreis gleichbleibt oder sinkt (14%). Rund jeder von der Technischen Universität Braunschweig führt Fünfte wollte zu dieser Frage keine konkrete Antwort aus: »Die Energiekonzerne werden sich anstren- geben (vgl. Abb. 5). gen müssen, um auf andere Energiequellen umzu Trotz dieser Risiken sehen einige Teilnehmer des rüsten, was wegen ihrer bürokratischen Strukturen Panels den Ausstieg aus der Kohleverstromung als und den Gewohnheiten jahrzehntelanger Quasi- notwendig an. Franz Peter Lang von der Technischen monopolisten schwerfallen wird.« Die Antworten, die Universität Braunschweig meint: »Der Kohleausstieg einen moderat negativen Ausblick zeichnen, begrün- ist aus klimatischen Gründen unumgänglich, solange den dies vor allem dadurch, dass negative Auswirkun- es keine Technologie gibt, Kohle unter Vermeidung gen durch Kompensationszahlungen ausgeglichen ihrer klimaschädlichen Effekte zu nutzen. Langfristig werden. Einige der antwortenden Ökonomen begrei- wäre er wegen der begrenzten abbaufähigen Ressour- fen den Kohleausstieg auch als Chance für die betrof- cen ohnehin notwendig gewesen.« Philip Sauré von fenen Unternehmen, wie beispielsweise Gerd Grözin- der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz schreibt ger von der Europa-Universität Flensburg: »Kurzfristig prägnant: »Sehr unangenehm für einige, jedoch kostspielig, langfristig aber positiv, weil sie frühzeitig unvermeidbar.« Jüngste Umfragen in der Bevölke- in Alternativen investieren können.« rung legen ebenso einen zügigen Kohleausstieg nahe. Gefragt wurde darüber hinaus, ob die Unterneh- Je nach Studie geben 59% der Befragten an, dass men für finanzielle Nachteile, die sich aus dem poli- Deutschland möglichst schnell aus der Kohleenergie tisch beschlossenen Kohleausstieg ergeben, entschä- aussteigen sollte (vgl. infratest dimap 2019) und 73% digt werden sollten. Bei dieser Frage zeugen die gege- der Deutschen, dass ein schneller Kohleausstieg wich- benen Antworten von einer gespaltenen Meinung der tig oder sehr wichtig sei (vgl. Forschungsgruppe Wah- teilnehmenden Ökonomen. 35% finden, dass die Kon- len e.V. 2019). Abb. 6 AUSWIRKUNGEN AUF ENER- Entschädigung für Energieerzeuger und mit der Kohle verbundene Industrien GIEERZEUGER UND VERBUN- Befürworten Sie, dass Energieerzeuger und weitere mit der Braun- und Steinkohle verbundene Industrien für finanzielle Nachteile, die durch den Kohleausstieg bis 2038 entstehen, entschädigt DENE INDUSTRIEN werden? Die von der Kohlekommission Ja 3% vorgeschlagenen Klimaschutz- Nein maßnahmen bergen nicht nur Teils-teils auf gesamtgesellschaftlicher, 29% 35% Weiß nicht sondern auch auf betriebs- wirtschaftlicher Ebene subs- tanzielle Herausforderungen. Die Energieerzeuger (insbe- sondere E.ON, RWE, EnBW) und eng mit der Kohleverstro- mung verbundenen Industrien 33% sind hiervon besonders betrof- fen. Die Professoren wurden Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019 37
DATEN UND PROGNOSEN zerne entschädigt werden soll- Abb. 7 ten. Hierfür werden vorran- Umsetzung der Vorschläge der Kohlekommission durch die Bundesregierung Sind Sie der Meinung, dass die Empfehlungen der Kohlekommission tatsächlich durch den gig zwei Argumente ins Feld Gesetzgeber umgesetzt werden? geführt: Zum einen handele es sich beim Kohleausstieg Ja, vollständig 7% um eine spezielle Form der 14% Ja, teilweise Enteignung und zum anderen seien die Rahmenbedingungen Nein nicht durch den Markt selbst, sondern durch die Politik ent- 16% Weiß nicht scheidend verändert worden. 33% sind gegen Kompensa- tionszahlungen (vgl. Abb. 6). Die Energiewende sei seit lan- gem absehbar gewesen und 63% stelle damit ein gewöhnliches unternehmerisches Risiko dar. Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019. © ifo Institut POLITISCHE UMSETZUNG DER EMPFEHLUNGEN DER geeignete Ansatzpunkte.« Gerhard Wegner von der KOHLEKOMMISSION Universität Erfurt meint, der Kohleausstieg sei eine mehrfach fehlkonzipierte Politik – energiepolitisch, Die Empfehlungen der Kohlekommission haben kei- industriepolitisch und umweltökonomisch. Nach nen verbindlichen Charakter. Die Bundesregierung ist Ansicht von Ulrich Blum von der Martin-Luther-Uni- somit nicht verpflichtet, diese in gesetzliche Regelun- versität Halle-Wittenberg könne sich der Kohleaus- gen zu überführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel stieg nur dann lohnen, wenn dieser mit einer Innova- kündigte jüngst an, zeitnah Gesetze verabschieden tionsoffensive einhergeht und nach dem Ausstieg aus zu wollen (vgl. Handelsblatt 2019). In einem Interview der energetischen Verwertung neue Kohletechnolo- mit der Rheinischen Post forderte Bundesfinanzmi- gien, insbesondere die stoffliche Nutzung von Kohle, nister Olaf Scholz dazu auf, noch in diesem Jahr alle gefördert werden: »Wir sollten die Braunkohle weiter Planungen für den Kohleausstieg zu veranlassen stofflich nutzen, weil Deutschland für seine Industrie (vgl. Marschall & Quadbeck 2019). Im Ökonomenpa- Kohlenstoff benötigt, der bisher als Erdöl oder Erdgas nel wurde deshalb gefragt, ob die Empfehlungen der aus umweltökonomisch – und teils auch politisch – Kohlekommission nach Ansicht der Ökonomen vom bedenklichsten Quellen importiert wird.« Gesetzgeber auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt Auf Basis der gesammelten Antworten und der werden. Die Mehrheit der Befragten (63%) ist der Mei- Kommentare des 22. Ökonomenpanels kann festge- nung, dass lediglich ein Teil der Vorschläge umgesetzt halten werden, dass die Mehrheit der teilnehmenden wird. Etwa jeder Sechste (16%) Teilnehmer glaubt Ökonomen dem Kohleausstieg als Mittel zum Zweck nicht daran, dass die Empfehlungen Niederschlag in des Klimaschutzes skeptisch gegenübersteht. Ob es gesetzlichen Regelungen finden. Mit einer vollständi- sich beim Ausstieg aus der Kohleverstromung jedoch gen Umsetzung der Empfehlungen rechnen lediglich wirklich um die »World`s Dumbest Energy Policy« 7% (vgl. Abb. 7). handelt, zu der Deutschlands Energiepolitik in einem Generell hadern einige der Ökonomen mit der Artikel des Wall Street Journal gekürt wurde, auf den politisch getriebenen Durchsetzung des Kohleaus- David Stadelmann von der Universität Bayreuth ver- stiegs. »Der Kohleausstieg ist eine weitere, rein poli- weist, oder ob Deutschland möglicherweise eine glo- tisch motivierte Fehlentscheidung der Regierungen bale Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen kann, unter Merkel, der für das globale Klima so gut wie wird abschließend wohl erst 2038 beantwortet wer- nichts bringt, aber Deutschland aberwitzige Kosten den können. aufbürden wird«, schreibt Ulrich van Suntum von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. »Eine LITERATUR CO2-Bepreisung würde den Klimaschutz weitaus kos- Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit tengünstiger herbeiführen«, meint Wolfgang Scherf (2016), Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Auch Dirk der Bundesregierung, Druck- und Verlagshaus Zarbock, Frankfurt am Main. Rübbelke von der Technischen Universität Berg- Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019), Kommission »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung« – Abschlussbericht, Druck- akademie Freiberg ist dieser Ansicht: »Eine umfas- und Verlagshaus Zarbock, Frankfurt am Main: sende CO2-Bepreisung für Strom und Wärme sowie im Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2019), »Politbarometer Januar II 2019«, Verkehrssektor wäre ein sinnvollerer Weg. Eine Reform verfügbar unter https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politba- rometer/Archiv/Politbarometer_2019/Januar_II_2019/, aufgerufen am des europäischen Emissionshandels oder auch eine 28. Februar 2019. aufkommensneutrale CO2-Besteuerung wären hier 38 ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019
DATEN UND PROGNOSEN Handelsblatt (2019), »Merkel will offenbar Vorschlägen der Kohlekom- mission folgen«, 31. Januar, verfügbar unter: https://www.handelsblatt. com/politik/deutschland/energiepolitik-merkel-will-offenbar-vorschlae- gen-der-kohlekommission-folgen/23936206.html, aufgerufen am 28. Feb- ruar 2019. ifo Institut (2019), »Das ifo Institut kritisiert die Kohlekommission«, Pres- semitteilung, 27. Januar 2019, verfügbar unter: http://www.cesifog- roup.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-Ar- chiv/2019/Q1/pm_20190127_Kohlekommission.html, aufgerufen am 28. Februar 2019. infratest dimap (2019), »Mehrheit wünscht sich möglichst schnellen Braunkohle-Ausstieg«, verfügbar unter https://www.infratest-dimap. de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/mehrheit-wu- enscht-sich-moeglichst-schnellen-braunkohle-ausstieg/, aufgerufen am 28. Februar 2019. Marschall, B. und E. Quadbeck (2019), »Die bequemen Zeiten sind vorbei«, Rheinische Post, 23. Februar, verfügbar unter: https://rp-online.de/politik/ deutschland/olaf-scholz-eine-grundrente-fuer-nur-100000-menschen-ist- keine-grundrente_aid-36953969, aufgerufen am 28. Februar 2019. Statistik der Kohlewirtschaft e.V. (2018), »Zur Lage des Kohlenbergbaus in der Bundesrepublik Deutschland«, verfügbar unter https://kohlensta- tistik.de/files/lb_statistik_2018_jan_sept.pdf, aufgerufen am 28. Februar 2019. Wall Street Journal Editorial Board (2019), »World`s Dumbest Energy Policy«, Wall Street Journal, 29. Januar, verfügbar unter: https://www.wsj. com/articles/worlds-dumbest-energy-policy-11548807424, aufgerufen am 28. Februar 2019. ifo Schnelldienst 6 / 2019 72. Jahrgang 21. März 2019 39
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