Der Kohleausstieg bis 2038 - wie bewerten Ökonomen die Empfehlungen der Kohlekommission? - ifo Institut

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DATEN UND PROGNOSEN

     Johannes Blum, Philip Kapitzke* und Niklas Potrafke

     Der Kohleausstieg bis 2038 – wie
     bewerten Ökonomen die
     Empfehlungen der Kohlekommission?

     Ende Januar veröffentlichte die von der deutschen Bundesregierung zur Erstellung eines
     umfassenden Aktionsplans zum Thema Kohleenergie beauftragte »Kohlekommission«
     ihren Abschlussbericht. Darin empfiehlt sie den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis
     2038. Im 22. Ökonomenpanel des ifo Instituts und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
     wurde diese Empfehlung als Anlass genommen, Professoren der Volkswirtschaftslehre an
     deutschen Universitäten zu befragen, wie sie die Konsequenzen des im Bericht nahege­
     legten Ausstiegs einschätzen. Die befragten Wirtschaftswissenschaftler sehen den Kohle­
     ausstieg zum großen Teil skeptisch, wenn er auch von einigen Ökonomen als unumgäng­
     lich angesehen wird.

     Der Schutz des Klimas gewann in den vergangenen                 DER DEUTSCHE BEITRAG ZU INTERNATIONALEN
     Jahren in der öffentlichen Wahrnehmung immer                    KLIMAZIELEN
     mehr an Bedeutung und hielt auch Einzug in die Poli-
     tik – erstmals in Form des Kyoto-Protokolls im Jahr             Im Rahmen des Klimaschutzplans 2050 hat sich die
     1997. Spätestens seit dem Pariser Klimaabkommen                 Bundesregierung das Ziel der nahezu vollständigen
     von 2015 ist der Klimaschutz fester Bestandteil des             Treibhausgasneutralität gesetzt. Bereits in diesem
     politischen Diskurses. Im Pariser Klimaabkommen                 Plan deutete die Bundesregierung die schrittweise
     einigte sich die Weltgemeinschaft auf das langfristige          Abkehr von fossilen Verbrennungsträgern an (Bun-
     Ziel, die Erderwärmung auf unter 2°C im Vergleich               desministerium für Umwelt, Naturschutz und nuk-
     zu vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Die Euro-              leare Sicherheit 2016). Kritiker mahnen jedoch, ein
     päische Union möchte hierzu beitragen, indem sie                deutscher Alleingang zur Erreichung der nationalen
     unter anderem ihre Treibhausgasemission bis 2030                Klimaziele entfalte auf internationaler Ebene keine
     um 40% (gegenüber dem Vergleichsjahr 1990) redu-                signifikante Wirkung. Andreas Ziegler von der Univer-
     ziert. Die nationalen Klimaziele Deutschlands sind              sität Kassel äußert Zweifel, dass der Kohleausstieg
     noch ambitionierter: Bis 2020 sollen die CO2-Aus-               auf nationaler Ebene die geplante Wirkung erzielt und
     stöße um 40%, bis 2030 um 55% und bis 2050 um min-              nimmt andere Sektoren in die Pflicht. »Der Kohleaus-
     destens 80% verringert werden (erneut im Vergleich              stieg wäre sicherlich ein wichtiger Schritt zur Reduk-
     zum Jahr 1990). Auch wenn weitestgehend Einigkeit               tion von Treibhausgasemissionen. Allerdings reicht
     besteht, dass das Ziel für 2020 nicht mehr erreicht             dieser sehr langfristige Ausstieg bei weitem nicht aus,
     werden kann, präsentierte die Kommission »Wachs-                um die selbst gesteckten Klimaziele zu erreichen.
     tum, Beschäftigung und Strukturwandel« – besser                 Hierfür müssten endlich auch klimapolitische Maß-
     bekannt als Kohlekommission – nun eine Möglichkeit,             nahmen in anderen Bereichen, wie z.B. im Verkehrs-
     wie Deutschland seine langfristigen Ziele noch errei-           sektor, getroffen werden.«
     chen kann: Sie empfiehlt den vollständigen Ausstieg                  Die Ökonomen wurden gebeten, die Frage zu
     aus der Kohleverstromung bis 2038.                              beantworten, ob ihrer Ansicht nach der rein natio-
          In der Februar-Umfrage des Ökonomenpanels                  nale Ausstieg aus der Kohleenergie die Emission von
     wurden Professoren für Volkswirtschaftslehre an                 Kohlenstoffdioxid in der Europäischen Union verrin-
     deutschen Universitäten befragt, wie sie die Vor-               gern wird. 42% der antwortenden Ökonomen glau-
     schläge der Kohlekommission zum Ausstieg Deutsch-               ben nicht, dass sich die Menge der schädlichen Emis-
     lands aus der Kohleförderung bewerten, vor allem im             sionen EU-weit reduzieren wird. Begründet wird
     Hinblick auf die ökonomischen Konsequenzen. Insge-              diese Ansicht in den meisten Fällen mit dem Handel
     samt nahmen 143 Professoren an der Umfrage teil.                von Zertifikaten, der das obere Limit der EU-weiten
     * Philip Kapitzke war von Januar bis März 2019 Praktikant am
                                                                     CO2-Ausstöße festsetzt. Viele Professoren sind skep-
     ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.   tisch, ob durch den Kohleausstieg die Anzahl der Zer-

34   ifo Schnelldienst   6 / 2019   72. Jahrgang   21. März 2019
DATEN UND PROGNOSEN

Abb. 1                                                                                                 reiter werden könnte, dem
Reduktion der Kohlendioxidemission in der EU                                                           andere Industrienationen fol-
Sind Sie der Meinung, dass durch den nationalen Kohleausstieg Deutschlands die Emission von
Kohlendioxid (CO₂) in der EU reduziert wird?
                                                                                                       gen werden. Die Hälfte der
                                                                                                       Teilnehmer glaubt nicht, dass
                            7%                                          Ja                             dies der Fall sein wird. Nur 31%
                                                                        Nein                           sehen eine positive Strahlkraft
                                                27%                     Teils-teils                    des angekündigten Ausstiegs.
                                                                        Weiß nicht                     Die übrigen 18% sind dieser
             24%                                                                                       Frage gegenüber indifferent
                                                                                                       (vgl. Abb. 2).

                                                                                                       AUSWIRKUNGEN AUF
                                                                                                       KOHLEREVIERE UND
                                                                                                       GESAMTDEUTSCHLAND

                                   42%                                                                     Der Kohleausstieg geht mit
                                                                                                           erheblichen        strukturellen
Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                     © ifo Institut
                                                                                                           Veränderungen in den betrof-
                                                                                                           fenen Regionen einher. Bei-
tifikate reduziert wird und glauben vielmehr, dass                         spielsweise     stellen     die  Braunkohlereviere gegenwär-
andere Länder mehr CO2 in Reaktion auf den deut- tig rund 21 000 direkte Arbeitsplätze, wovon über
schen Kohleausstieg ausstoßen werden. 27% glau- 1 200 Stellen Ausbildungsplätze sind (vgl. Statistik
ben an einen CO2-reduzierenden Effekt auf EU-Ebene, der Kohlewirtschaft e.V. 2018). Damit spielen die örtli-
während 24% unentschlossen sind (vgl. Abb. 1).                             chen Betriebe eine große Rolle für die Förderung und
       Befürworter des Ausstiegs betonen, Deutschland Integration der Auszubildenden in den Arbeitsmarkt.
könne durch den Ausstieg eine internationale Vor- Inklusive der verbundenen Branchen kann von rund
reiterrolle einnehmen, der andere Nationen folgen 60 000 betroffenen Stellen ausgegangen werden
würden. Denn als eine hochindustrialisierte Nation, (vgl. Bundesministerium für Wirtschaft und Ener-
deren Anteil an Kohlestrom vergleichsweise groß ist, gie 2019). Zwar schreibt die Kohlekommission, dass
stellt der Ausstieg aus dieser Energiequelle und der die Unternehmen in die Lage versetzt werden müs-
damit verbundene Strukturwandel für Deutschland sen, betriebsbedingte Kündigungen auszuschließen,
eine besonders große Herausforderung dar. Sollte es dennoch sollen die betroffenen Betriebe und Regio-
Deutschland gelingen, auf alternative Energieformen nen bereits heute Vorkehrungen treffen, um die nega-
umzusteigen, dabei Arbeitsplätze zu erhalten oder tiven Auswirkungen des Kohleausstiegs (Arbeits­
sogar neue zu schaffen und insgesamt die Wirtschafts- losigkeit, Wertschöpfungsverlust) abzufedern. Die
kraft zu stärken, könnte ein wegweisendes Exempel Bundesregierung will bis 2038 rund 40 Mrd. Euro zur
statuiert werden.                                                          Verfügung zu stellen, um die entsprechenden Ge-
       Die Ökonomen wurden gefragt, ob Deutschland biete bei der Bewältigung des Umbruchs zu un-
bereits durch die Festlegung eines konkreten Datums terstützen.
zum Kohleaussteig zu einem internationalen Vor-                                   Befragt, wie sie zu der Höhe der Mittel stehen,
                                                                                                           antwortet knapp die Hälfte,
 Abb. 2                                                                                                    dass sie diese als zu hoch ein-
Vorreiterrolle Deutschlands                                                                                schätzt (47%). Auf der anderen
Sind Sie der Meinung, dass Deutschland mit einem festen Datum zum Kohleausstieg eine Vorreiter-            Seite glauben nur 3%, dass die
rolle in der globalen Klimaschutzpolitik einnehmen könnte, der andere Industrienationen folgen?
                                                                                                           Mittel zu niedrig sind und 13%,
                                                                                                           dass die Mittel die richtige
                                                                        Ja                                 Höhe haben. 37% geben an,
                                  1%
                                                                        Nein                               dass sie nicht wissen, wie die
                      18%
                                                                                                           Höhe der Mittel einzuschätzen
                                                                        Teils-teils
                                                31%                                                        ist (vgl. Abb. 3).
                                                                        Weiß nicht                               Der Ausstieg aus der Koh-
                                                                                                           leenergie birgt jedoch nicht
                                                                                                           nur für die betroffenen Regi-
                                                                                                           onen, sondern auch für die
                                                                                                           übrigen Teile Deutschlands
                                                                                                           Risiken. Eines der Risiken
                          50%                                                                              sind potenzielle Versorgungs-
                                                                                                           lücken. Besonders in einem
Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                     © ifo Institut     Industrieland ist eine zuver-

                                                                                          ifo Schnelldienst   6 / 2019   72. Jahrgang   21. März 2019   35
DATEN UND PROGNOSEN

     Abb. 3                                                                                                           Alternativen, Gaskraftwerken
     Höhe der vorgesehenen Mittel                                                                                     und Stromimporten, besteht
     Was halten Sie von der Höhe der vorgesehenen Mittel von über 40 Mrd. Euro zur Sicherung der
     wirtschaftlichen Zukunft der Braunkohlereviere?
                                                                                                                      (vgl. Abb. 4).
                                                                                                                           Die Stilllegung von Koh-
                                                                            Die vorgesehenen Mittel                   lekraftwerken wird das Ange-
                                                13%                         haben die richtige Höhe
                                                                                                                      bot des vorhandenen Stroms
                                                                            Die vorgesehenen Mittel sind              reduzieren und somit den
                                                                            zu hoch                                   Preis in die Höhe treiben. Al-
                    37%
                                                                            Die vorgesehenen Mittel sind              lerdings könnten neue, zeit-
                                                                            zu niedrig                                gleich erschlossene Strom-
                                                                                                                      quellen, wie Gaskraftwerke,
                                                                            Weiß nicht
                                                                                                                      Windparks und Solarpanels,
                                                                                                                      den Angebotswegfall kom-
                                                        47%                                                           pensieren und so preismin-
                         3%
                                                                                                                      dernd wirken. Definitiv wird
                                                                                                                      sich somit entweder die vor-
                                                                                                                      handene Menge oder aber
     Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                          © ifo Institut
                                                                                                                      die Zusammensetzung des
                                                                                                                      Stroms aus diversen Energie-
     lässige, gesicherte Stromversorgung unabdingbar.                            quellen     ändern.         Dies   wird  mit Auswirkungen auf den
     In ihrem Bericht empfiehlt die Kohlekommission Strompreis einher­gehen. Die Kohlekommission emp-
     als möglichen Lösungsansatz hierfür, die Geneh­ fiehlt ausdrücklich, ab 2023 (zu diesem Zeitpunkt soll
     migungsverfahren zur Errichtung neuer Gaskraft- der Ausstieg aus der Kernenergie vollzogen sein) ent­
     werke zu beschleunigen (vgl. Bundesministerium für weder einen Zuschuss oder wirkungsgleiche Maßnah-
     Wirtschaft und Energie 2019). Doch dies wird nur ein men für private und gewerbliche Stromverbraucher
     Teil der Lösung sein können. Nicht erwähnt von der zu gewähren. Hierfür veranschlagt sie mindestens
     Kohlekommission wird die Rolle von Stromimpor- 2 Mrd. Euro jährlich.
     ten. So äußerte jüngst Karen Pittel, Leiterin des ifo                             Vor diesem Hintergrund wurden die Teilneh-
     Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen: »Nach mer des Ökonomenpanels nach einer Einschätzung
     Berechnungen des ifo Instituts wird der Kohleausstieg der Strompreisentwicklung gefragt. 65% der Teil­
     zumindest teilweise ausgeglichen durch Importe von nehmer sind der Ansicht, dass der Strompreis lang-
     Atom- und Kohlestrom aus Polen und Tschechien.« fristig steigen wird. Fast die Hälfte (43%) meint, dass
     (ifo Institut 2019). Der Import ausländischen Stroms der Anstieg zwischen 10% und 50% liegt. 19% glau-
     wird vielfach kritisiert, da die Stromquellen bei Impor- ben an eine Preissteigerung um bis zu 10%, während
     ten eben diejenigen sind, von denen sich Deutschland 3% eine Preissteigerung um über 50% erwarten. Nur
     langfristig verabschieden möchte.                                           die Minderheit der Teilnehmer ist der Ansicht, dass der
           Die Professoren wurden
                                                  Abb. 4
     gefragt, wie ihrer Ansicht nach
                                                 Kompensation etwaiger Versorgungslücken
     der Ausfall der Kohleenergie                Sind Sie der Meinung, dass durch den Kohleausstieg der Anteil erneuerbarer Energien an der
     kompensiert werden kann.                    Stromerzeugung signifikant ansteigen wird, oder werden etwaige Versorgungslücken hauptsächlich
     Nur 22% sind der Meinung,                   durch Gaskraftwerke im Inland und Stromimporte aus dem europäischen Ausland kompensiert?

     dass der Anteil an erneuerba-
     ren Energien signifikant stei-                                                  Weiß nicht                7
     gen wird. Mit einer Kompen­
     sation ausschließlich durch
                                                                                      Teils-teils                  11
     Gaskraftwerke rechnen 6%,
     und mit einer Kompensation
                                                                Die Versorgungslücken werden
     durch ausschließlich Stromim-                hauptsächlich sowohl durch Gaskraftwerke                                                  44
     porte rechnen 10%. Der größte                 als auch durch Stromimporte kompensiert
     Teil der Teilnehmer (44%) ist                              Die Versorgungslücken werden
     der Meinung, dass potenzielle                         hauptsächlich durch Stromimporte                       10
                                                                                  kompensiert
     Ver­s orgungslücken             sowohl
                                                                Die Versorgungslücken werden
     mit Hilfe von Gaskraftwer-
                                                          hauptsächlich durch Gaskraftwerke                   6
     ken als auch durch Stromim-                                                  kompensiert
     porte ausgeglichen werden.
                                                       Anteil an erneuerbaren Energien an der
     11% setzen auf eine Lösung,                                                                                             22
                                                  Stromerzeugung wird signifikant ansteigen
     die aus einer Kombination aus
     erneuerbaren Energien und                                                                     0            10       20       30     40      50 %
     den beiden hier diskutierten                Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                        © ifo Institut

36   ifo Schnelldienst   6 / 2019   72. Jahrgang   21. März 2019
DATEN UND PROGNOSEN

Abb. 5                                                                                                   im Ökonomenpanel gebeten,
Strompreisentwicklung durch den Kohleausstieg                                                            eine kurze Stellungnahme
Meinen Sie, dass die Strompreise durch den Kohleausstieg langfristig steigen werden und, wenn ja,
für wie hoch schätzen Sie den etwaigen Anstieg des Strompreises durch den Kohleausstieg?
                                                                                                         abzugeben, wie sie die wirt-
                                                                                                         schaftlichen    Auswirkungen
                                                                                                         eines Kohleausstiegs für diese
                                  Weiß nicht                              21                             Unternehmen einschätzen.
                                                                                                              Nur einzelne Teilneh-
                       Ja, um mehr als 50%         3
                                                                                                         mer schätzen die Auswirkun-
                                                                                                         gen explizit positiv ein. Der
                          Ja, um bis zu 50%                  15
                                                                                                         überwiegende Anteil hinge-
                          Ja, um bis zu 25%                                         28                   gen ist zurückhaltend bzw.
                                                                                                         negativ eingestellt. Einige
                          Ja, um bis zu 10%                         19                                   Teilnehmer bringen ihre Sor-
                                                                                                         gen zum Ausdruck, indem
                                       Nein                14
                                                                                                         sie kurze und eindringliche
                                                                                                         Begriffe wie »verheerend«
                                             0              10               20                30 %
                                                                                                         und »desaströs« verwenden,
Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                      © ifo Institut
                                                                                                         um die Auswirkungen zu be­
                                                                                                         schreiben. Franz Peter Lang
Strompreis gleichbleibt oder sinkt (14%). Rund jeder                       von  der  Technischen        Universität Braunschweig führt
Fünfte wollte zu dieser Frage keine konkrete Antwort aus: »Die Energiekonzerne werden sich anstren-
geben (vgl. Abb. 5).                                                       gen müssen, um auf andere Energiequellen umzu­
      Trotz dieser Risiken sehen einige Teilnehmer des rüsten, was wegen ihrer bürokratischen Struk­turen
Panels den Ausstieg aus der Kohleverstromung als und den Gewohnheiten jahrzehntelanger Quasi-
notwendig an. Franz Peter Lang von der Technischen monopolisten schwerfallen wird.« Die Antworten, die
Universität Braunschweig meint: »Der Kohleausstieg einen moderat negativen Ausblick zeichnen, begrün-
ist aus klimatischen Gründen unumgänglich, solange den dies vor allem dadurch, dass negative Auswirkun-
es keine Technologie gibt, Kohle unter Vermeidung gen durch Kompensationszahlungen ausgeglichen
ihrer klimaschädlichen Effekte zu nutzen. Langfristig werden. Einige der antwortenden Ökonomen begrei-
wäre er wegen der begrenzten abbaufähigen Ressour- fen den Kohleausstieg auch als Chance für die betrof-
cen ohnehin notwendig gewesen.« Philip Sauré von fenen Unternehmen, wie beispielsweise Gerd Grözin-
der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz schreibt ger von der Europa-Universität Flensburg: »Kurzfristig
prägnant: »Sehr unangenehm für einige, jedoch kostspielig, langfristig aber positiv, weil sie frühzeitig
unvermeidbar.« Jüngste Umfragen in der Bevölke- in Alternativen investieren können.«
rung legen ebenso einen zügigen Kohleausstieg nahe.                             Gefragt wurde darüber hinaus, ob die Unterneh-
Je nach Studie geben 59% der Befragten an, dass men für finanzielle Nachteile, die sich aus dem poli-
Deutschland möglichst schnell aus der Kohleenergie tisch beschlossenen Kohleausstieg ergeben, entschä-
aussteigen sollte (vgl. infratest dimap 2019) und 73% digt werden sollten. Bei dieser Frage zeugen die gege-
der Deutschen, dass ein schneller Kohleausstieg wich- benen Antworten von einer gespaltenen Meinung der
tig oder sehr wichtig sei (vgl. Forschungsgruppe Wah- teilnehmenden Ökonomen. 35% finden, dass die Kon-
len e.V. 2019).
                                          Abb. 6
AUSWIRKUNGEN AUF ENER-                    Entschädigung für Energieerzeuger und mit der Kohle verbundene Industrien
GIEERZEUGER UND VERBUN-                   Befürworten Sie, dass Energieerzeuger und weitere mit der Braun- und Steinkohle verbundene
                                          Industrien für finanzielle Nachteile, die durch den Kohleausstieg bis 2038 entstehen, entschädigt
DENE INDUSTRIEN
                                          werden?

Die von der Kohlekommission                                                                                              Ja
                                                                            3%
vorgeschlagenen Klimaschutz-                                                                                             Nein
maßnahmen bergen nicht nur                                                                                               Teils-teils
auf gesamtgesellschaftlicher,                             29%                                35%
                                                                                                                         Weiß nicht
sondern auch auf betriebs-
wirtschaftlicher Ebene subs-
tanzielle Herausforderungen.
Die Energieerzeuger (insbe-
sondere E.ON, RWE, EnBW)
und eng mit der Kohleverstro-
mung verbundenen Industrien
                                                                           33%
sind hiervon besonders betrof-
fen. Die Professoren wurden               Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                            © ifo Institut

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DATEN UND PROGNOSEN

     zerne entschädigt werden soll-                      Abb. 7
     ten. Hierfür werden vorran-                        Umsetzung der Vorschläge der Kohlekommission durch die Bundesregierung
                                                        Sind Sie der Meinung, dass die Empfehlungen der Kohlekommission tatsächlich durch den
     gig zwei Argumente ins Feld                        Gesetzgeber umgesetzt werden?
     geführt: Zum einen handele
     es sich beim Kohleausstieg                                                                                                     Ja, vollständig
                                                                                                7%
     um eine spezielle Form der                                                  14%
                                                                                                                                    Ja, teilweise
     Ent­eignung und zum anderen
     seien die Rahmenbedingungen
                                                                                                                                    Nein
     nicht durch den Markt selbst,
     sondern durch die Politik ent-                                  16%
                                                                                                                                    Weiß nicht
     scheidend verändert worden.
     33% sind gegen Kompensa-
     tionszahlungen (vgl. Abb. 6).
     Die Energiewende sei seit lan-
     gem absehbar gewesen und                                                                            63%

     stelle damit ein gewöhnliches
     unternehmerisches Risiko dar.
                                                        Quelle: Ökonomenpanel Februar 2019.                                                           © ifo Institut

     POLITISCHE UMSETZUNG
     DER EMPFEHLUNGEN DER                                                              geeignete Ansatzpunkte.« Gerhard Wegner von der
     KOHLEKOMMISSION                                                                   Universität Erfurt meint, der Kohleausstieg sei eine
                                                                                       mehrfach fehlkonzipierte Politik – energiepolitisch,
     Die Empfehlungen der Kohlekommission haben kei-                                   industriepolitisch und umweltökonomisch. Nach
     nen verbindlichen Charakter. Die Bundesregierung ist                              Ansicht von Ulrich Blum von der Martin-Luther-Uni-
     somit nicht verpflichtet, diese in gesetzliche Regelun-                           versität Halle-Wittenberg könne sich der Kohleaus-
     gen zu überführen. Bundeskanzlerin Angela Merkel                                  stieg nur dann lohnen, wenn dieser mit einer Innova-
     kündigte jüngst an, zeitnah Gesetze verabschieden                                 tionsoffensive einhergeht und nach dem Ausstieg aus
     zu wollen (vgl. Handelsblatt 2019). In einem Interview                            der energetischen Verwertung neue Kohletechnolo-
     mit der Rheinischen Post forderte Bundesfinanzmi-                                 gien, insbesondere die stoffliche Nutzung von Kohle,
     nister Olaf Scholz dazu auf, noch in diesem Jahr alle                             gefördert werden: »Wir sollten die Braunkohle weiter
     Planungen für den Kohleausstieg zu veranlassen                                    stofflich nutzen, weil Deutschland für seine Industrie
     (vgl. Marschall & Quadbeck 2019). Im Ökonomenpa-                                  Kohlenstoff benötigt, der bisher als Erdöl oder Erdgas
     nel wurde deshalb gefragt, ob die Empfehlungen der                                aus umweltökonomisch – und teils auch politisch –
     Kohlekommission nach Ansicht der Ökonomen vom                                     bedenklichsten Quellen importiert wird.«
     Gesetzgeber auch tatsächlich in die Praxis umgesetzt                                   Auf Basis der gesammelten Antworten und der
     werden. Die Mehrheit der Befragten (63%) ist der Mei-                             Kommentare des 22. Ökonomenpanels kann festge-
     nung, dass lediglich ein Teil der Vorschläge umgesetzt                            halten werden, dass die Mehrheit der teilnehmenden
     wird. Etwa jeder Sechste (16%) Teilnehmer glaubt                                  Ökonomen dem Kohleausstieg als Mittel zum Zweck
     nicht daran, dass die Empfehlungen Niederschlag in                                des Klimaschutzes skeptisch gegenübersteht. Ob es
     gesetzlichen Regelungen finden. Mit einer vollständi-                             sich beim Ausstieg aus der Kohleverstromung jedoch
     gen Umsetzung der Empfehlungen rechnen lediglich                                  wirklich um die »World`s Dumbest Energy Policy«
     7% (vgl. Abb. 7).                                                                 handelt, zu der Deutschlands Energiepolitik in einem
          Generell hadern einige der Ökonomen mit der                                  Artikel des Wall Street Journal gekürt wurde, auf den
     politisch getriebenen Durchsetzung des Kohleaus-                                  David Stadelmann von der Universität Bayreuth ver-
     stiegs. »Der Kohleausstieg ist eine weitere, rein poli-                           weist, oder ob Deutschland möglicherweise eine glo-
     tisch motivierte Fehlentscheidung der Regierungen                                 bale Vorreiterrolle im Klimaschutz einnehmen kann,
     unter Merkel, der für das globale Klima so gut wie                                wird abschließend wohl erst 2038 beantwortet wer-
     nichts bringt, aber Deutschland aberwitzige Kosten                                den können.
     aufbürden wird«, schreibt Ulrich van Suntum von der
     Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. »Eine                                 LITERATUR
     CO2-Bepreisung würde den Klimaschutz weitaus kos-
                                                                                       Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit
     tengünstiger herbeiführen«, meint Wolfgang Scherf                                 (2016), Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpolitische Grundsätze und Ziele
     von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Auch Dirk                               der Bundesregierung, Druck- und Verlagshaus Zarbock, Frankfurt am Main.
     Rübbelke von der Technischen Universität Berg-                                    Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019), Kommission
                                                                                       »Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung« – Abschlussbericht, Druck-
     akademie Freiberg ist dieser Ansicht: »Eine umfas-                                und Verlagshaus Zarbock, Frankfurt am Main:
     sende CO2-Bepreisung für Strom und Wärme sowie im
                                                                                       Forschungsgruppe Wahlen e.V. (2019), »Politbarometer Januar II 2019«,
     Verkehrssektor wäre ein sinnvollerer Weg. Eine Reform                             verfügbar unter https://www.forschungsgruppe.de/Umfragen/Politba-
                                                                                       rometer/Archiv/Politbarometer_2019/Januar_II_2019/, aufgerufen am
     des europäischen Emissionshandels oder auch eine
                                                                                       28. Februar 2019.
     aufkommensneutrale CO2-Besteuerung wären hier

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DATEN UND PROGNOSEN

Handelsblatt (2019), »Merkel will offenbar Vorschlägen der Kohlekom-
mission folgen«, 31. Januar, verfügbar unter: https://www.handelsblatt.
com/politik/deutschland/energiepolitik-merkel-will-offenbar-vorschlae-
gen-der-kohlekommission-folgen/23936206.html, aufgerufen am 28. Feb-
ruar 2019.
ifo Institut (2019), »Das ifo Institut kritisiert die Kohlekommission«, Pres-
semitteilung, 27. Januar 2019, verfügbar unter: http://www.cesifog-
roup.de/de/ifoHome/presse/Pressemitteilungen/Pressemitteilungen-Ar-
chiv/2019/Q1/pm_20190127_Kohlekommission.html, aufgerufen am
28. Februar 2019.
infratest dimap (2019), »Mehrheit wünscht sich möglichst schnellen
Braunkohle-Ausstieg«, verfügbar unter https://www.infratest-dimap.
de/umfragen-analysen/bundesweit/umfragen/aktuell/mehrheit-wu-
enscht-sich-moeglichst-schnellen-braunkohle-ausstieg/, aufgerufen am
28. Februar 2019.
Marschall, B. und E. Quadbeck (2019), »Die bequemen Zeiten sind vorbei«,
Rheinische Post, 23. Februar, verfügbar unter: https://rp-online.de/politik/
deutschland/olaf-scholz-eine-grundrente-fuer-nur-100000-menschen-ist-
keine-grundrente_aid-36953969, aufgerufen am 28. Februar 2019.
Statistik der Kohlewirtschaft e.V. (2018), »Zur Lage des Kohlenbergbaus
in der Bundesrepublik Deutschland«, verfügbar unter https://kohlensta-
tistik.de/files/lb_statistik_2018_jan_sept.pdf, aufgerufen am 28. Februar
2019.
Wall Street Journal Editorial Board (2019), »World`s Dumbest Energy
Policy«, Wall Street Journal, 29. Januar, verfügbar unter: https://www.wsj.
com/articles/worlds-dumbest-energy-policy-11548807424, aufgerufen am
28. Februar 2019.

                                                                                ifo Schnelldienst   6 / 2019   72. Jahrgang   21. März 2019   39
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